Ein Beispiel schwedischer Erinnerungskultur


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Die Autorin Annika Thor

3 Schweden im Dritten Reich
3.1 Schwedens Flüchtlingspolitik
3.2 Stellung der Flüchtlinge in Schweden

4 Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskultur

5 Eine Insel im Meer, Eine Bank am Seerosenteich, In der Tiefe des Meeres und Offenes Meer – Eine Analyse
5.1 Historische Authentizität
5.2 Die Thematisierung von Erinnerung

6 Schlussteil

7 Literaturverzeichnis

1. Einführung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem Beispiel der schwedischen Erinnerungskultur. Untersuchungsgegenstand sind die vier Bände Eine Insel im Meer, Eine Bank am Seerosenteich, In der Tiefe des Meeres und Offenes Meer der schwedischen Autorin Annika Thor. Die vier Bücher erzählen die Geschichte zweier jüdischer Schwestern, die im Dritten Reich von ihren Eltern aus dem besetzten Wien ins schwedische Exil geschickt werden.

Einführend soll die Autorin Annika Thor vorgestellt werden. Ein kurzer geschichtlicher Überblick über die Stellung Schwedens im Dritten Reich soll dann den historischen Hintergrund der untersuchten Bücher skizzieren. Hierbei soll insbesondere auf die Flüchtlingspolitik Schwedens, sowie die Stellung der Flüchtlinge in Schweden eingegangen werden. Anschließend sollen die Begriffe kollektives Gedächtnis und Erinnerungskultur definiert und diskutiert werden. Im Hauptteil der Arbeit sollen die Bücher analysiert und unter dem Aspekt der historischen Authentizität und der Thematisierung von Erinnerung untersucht werden. Es soll untersucht werden inwiefern sie historische Authentizität gewährleisten können oder wollen und es soll herausgearbeitet werden, wie der zentrale Aspekt der Erinnerung in den vier Büchern thematisiert wird. Abschließend sollen die gewonnen Ergebnisse zusammengetragen und ausgewertet werden.

2. Die Autorin Annika Thor

Annika Thor wurde am 2. Juli 1950 in Göteborg, Schweden, als Kind jüdischer Eltern geboren. Sie hat den Zweiten Weltkrieg nicht miterlebt, ist aber im Schweden der Nachkriegszeit aufgewachsen.

Zunächst arbeitet Annika Thor als Film- und Fernsehkritikerin, sowie als Bibliothekarin. Heute ist sie als Autorin von Kinder- und Jugendbüchern sowie von Theaterstücken für Kinder und Jugendliche vor allem in ihrer Heimat Schweden bekannt.

1996 veröffentlicht sie ihren ersten Roman Eine Insel im Meer (Originaltitel: En ö i havet). Es ist der erste von insgesamt vier Romanen über die jüdischen Geschwister Steffi und Nelli, die von ihren Eltern aus dem besetzten Wien ins schwedische Exil geschickt werden. Für dieses Werk erhält Annika Thor 1999 den Deutschen Literaturpreis.

Der zweite Band Eine Bank am Seerosenteich (Originaltitel: Näckrosdammen) erscheint noch im selben Jahr wie Eine Insel im Meer. Die Folgebände In der Tiefe des Meeres (Originaltitel: Havets djup) und Offenes Meer (Originaltitel: Öppet hav) lassen etwas auf sich warten und erscheinen 1998 und 1999.[1]

Ihr Jugendroman Ich hätte Nein sagen können (Originaltitel: Sanning eller Konsekvens, 1997) kam in Deutschland auf die Auswahlliste zum Deutschen Literaturpreis und wurde mit dem höchsten schwedischen Literaturpreis, dem „August-Preis“, ausgezeichnet. Ein Kaninchen für Alva, Wie ein brennender Vogel (Originaltitel: Eldfågeln) und Ein rotes Herz, ein blauer Schmetterling (Originaltitel: Rött hjärta blå fjäril) erscheinen 2000 und 2002 in Schweden.

3. Schweden im Dritten Reich

Zur Zeit des Dritten Reichs wird Schweden vom sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Per Albin Hansson regiert. Er amtiert von September 1932 bis Juni 1936 und von September 1936 bis zu seinem Tode 1946. Unter seiner Regentschaft erklärt Schweden unmittelbar nach Kriegsausbruch am 1. September 1939 seine Neutralität. „Die schwedische Regierung war konsequent darum bemüht, sich aus Verwicklungen herauszuhalten und ihre Neutralität zu wahren.“[2]

Während des gesamten Krieges jedoch laufen Kontakte des deutschen Widerstands und des polnischen Untergrunds über Schweden. Ein Hilfegesuch der Finnischen Regierung im Winterkrieg 1940 wird zwar abgelehnt, doch die Bildung eines freiwilligen Jäger- und Bomberverbands sowie geringe finanzielle und materielle Unterstützung Finnlands werden gestattet. Schweden konnte den finnischen Nachbarn so unterstützen ohne seine Neutralität offiziell aufgeben zu müssen. Auch nach der Besetzung Norwegens 1940 setzt Schweden die Belieferung der deutschen Industrie mit Eisenerz fort. Wobei die schwedischen Lieferungen etwa 40 Prozent des deutschen Gesamtbedarfs an Eisenerz darstellen. Aus den besetzten Nachbarländern Dänemark und Norwegen können allerdings noch 1940 jüdische und politische Flüchtlinge nach Schweden gerettet werden.[3] Dennoch dürfen unbewaffnete deutsche Soldaten per Eisenbahn zwischen Nordnorwegen und Südnorwegen beziehungsweise Dänemark durch Schweden transportiert werden. Dieser so genannte Urlaubsverkehr wurde durch die pragmatische, nicht-doktrinäre Neutralitätspolitik Schwedens ermöglicht. 1941 wird eine deutsche Division, die Division Engelbrecht, samt Waffen von Norwegen über Schweden nach Finnland transportiert. Als die Deutschen jedoch mehr und mehr Niederlagen hinnehmen müssen und es ganz nach einem Sieg der Alliierten aussieht, wird die Neutralitätspolitik entsprechend immer mehr den alliierten Forderungen angepasst. So wird der Urlaubsverkehr im August 1943 verboten. Etwa zur gleichen Zeit werden auch die Eisenerztransporte eingestellt und in der schwedischen Presse werden erste Anzeichen von Deutschenhass spürbar. Ab 1945 dann bemüht sich die schwedische Regierung um Konzentrationslager-Insassen: 7.000 dänische und norwegische Häftlinge, später noch 12.000 jüdische und französische, werden nach Schweden überführt.[4] Schließlich wird die Kapitulation Deutschlands mit Jubel von der schwedischen Bevölkerung aufgenommen.

3.1 Schwedens Flüchtlingspolitik

Bereits 1927 tritt das erste schwedische Gesetz zur Behandlung von Ausländern in Kraft. Es soll den Arbeitsmarkt vor allzu großer ausländischer Konkurrenz schützen und eine Überfremdung Schwedens und der „schwedischen Rasse“ verhindern.[5] Dieses Gesetz ist bis 1937 gültig. Politischen Flüchtlingen wird zu dieser Zeit meist Asyl gewährt. Ab 1938 dann treten neue Gesetze in Kraft, da Schweden auf die „Massenflucht“, die nach der Besetzung Österreichs am 13. März 1938 und den Pogromen vom 9. und 10. November 1938 einsetzt, nicht vorbereitet ist. Bis Oktober 1941 verlassen 59.245 Juden das so genannte Altreich. Davon nimmt Schweden 2.134 Flüchtlinge auf. Von den 148.816 Juden, die ab 1938 Österreich verlassen, nimmt Schweden offiziell 725 auf. Laut Müssener kann jedoch mit einer erheblichen Dunkelziffer gerechnet werden.[6]

Ab 1. Januar 1938 werden „Nichtarier“ von der schwedischen Regierung nicht mehr als politische Flüchtlinge anerkannt. Schweden fordert außerdem eine besondere Kennzeichnung für jüdische Pässe. Der „J“-Stempel in jüdischen Pässen wird zwar unabhängig von der schwedischen Forderung aufgrund von deutsch-schweizerischen Verhandlungen am 05.10.1938 eingeführt, wird aber auch von Schweden genutzt. Jüdische Flüchtlinge, die in Schweden seit 1938 nicht mehr als politische Flüchtlinge angesehen werden, können so bereits an der Grenze abgewiesen werden.

Die schwedischen Grenzbehörden werden außerdem ab September 1938 dazu angehalten Personen aus Österreich, Deutschland, der CSR und Italien, die Grund zu der Annahme liefern Juden zu sein, umgehend abzuweisen. Um zu dieser Zeit nach Schweden einreisen zu dürfen, müssen Verwandte in Schweden nachgewiesen werden und es darf kein Verdacht entstehen, dass beabsichtigt wird, Schweden schon bald wieder zu verlassen. Dennoch findet von Schweden aus eine bedeutende Weiterwanderung nach Übersee statt.

Ab 4. April 1939 muss bei Beantragung der Einreisegenehmigung für Schweden zusätzlich die „Rassenzugehörigkeit“ angegeben werden.[7]

3.2 Stellung der Flüchtlinge in Schweden

Zu Beginn des Krieges herrscht im schwedischen Bürgertum eine stark verbreitete Deutschlandorientierung. Schweden hat zu dieser Zeit eine kulturell gefärbte Bindung an Deutschland. „Deutsch war die Fremdsprache, die der gebildete Schwede am besten beherrschte.“[8] Eine Phobie gegen Kommunismus und Linkssozialismus und ein latenter Antisemitismus der Schweden erschweren den Flüchtlingen zusätzlich die Integration.

Die antisemitischen Schweden werden seit 1930 durch die SNP (Schwedische Nationalsozialistische Partei) und später durch die NSAP (Nationalsozialistische Arbeiterpartei) vertreten. Die Partei orientiert sich am deutschen Nationalsozialismus und sieht sich als Vertreter der nordischen Herrenrasse. Doch bei Wahlen erzielt die Partei nie auch nur zweistellige Ergebnisse und bleibt in den politischen Systemen bedeutungslos. Dennoch herrscht in gewissen Kreisen ein größeres Verständnis für die Politik Hitlers und sein Drittes Reich als für die Flüchtlinge.

Das liberale schwedische Bürgertum ist hier etwas differenzierter und befürwortet zwar die antikommunistische und antisozialistische Politik Hitlers, verurteilt aber das Terrorsystem und die Verfolgung Andersdenkender.

Selbstverständlich gab es auch Schweden, die Hitler und seine Politik gänzlich verabscheuten und sich bemühten den Flüchtlingen zu helfen wo es nur geht.

Die schwedische Bevölkerung kann in ihren Ansichten und Meinungen gegenüber Hitler, dem Dritten Reich und den daraus resultierenden Opfern, den Flüchtlingen, als sehr verschieden und differenziert betrachtet werden.

[...]


[1] Die Daten beziehen sich auf die Veröffentlichung in Schweden bei Bonnier Carlsen Bokförlag. In Deutschland erschienen die Bücher 1998 (Eine Insel im Meer), 1999 (Eine Bank am Seerosenteich) und 2000 (In der Tiefe des Meeres und Offenes Meer) im Carlsen Verlag.

[2] Müssener, Helmut: Exil in Schweden. Politische und kulturelle Emigration nach 1933. München: Carl Hanser Verlag 1974. S. 77

[3] Ebd. S. 50

[4] Ebd. S. 60

[5] Ebd. S. 61

[6] Ebd. S. 45

[7] Ebd. S. 66

[8] Carlsson, Sten-Jerker Rosén: Svensk Historia II. Tiden efter 1718. (Schwedische Geschichte. Die Zeit nach 1718). Stockholm 1961. S. 430.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Ein Beispiel schwedischer Erinnerungskultur
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Jugendbuchforschung)
Veranstaltung
Literarische Erinnerungskultur im internationalen Kontext
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V59506
ISBN (eBook)
9783638534222
ISBN (Buch)
9783656805151
Dateigröße
420 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beispiel, Erinnerungskultur, Literarische, Erinnerungskultur, Kontext
Arbeit zitieren
Vanessa Scharmann (Autor:in), 2006, Ein Beispiel schwedischer Erinnerungskultur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59506

Kommentare

  • Gast am 14.6.2007

    Herausragend.

    Ich bin von dieser Hausarbeit begeistert:
    - geradlinig
    - gut recherchiert
    - fachgerecht
    - sachkundig

    meine absolute Hochachtung Frau Scharmann!

    Viele Grüße
    Herr Davor

    PS: Die 1,7 stelle ich hiermit in Frage

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Titel: Ein Beispiel schwedischer Erinnerungskultur



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