Die Gebrauchsweisen des Plusquamperfekts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

18 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Das Plusquamperfekt – ein unproblematisches Tempus?

2. Bedeutung und Gebrauch des Plusquamperfekts.
2.1. Semantik..
2.2. Pragmatik.
2.2.1. Plusquamperfekt und Perfekt..
2.2.2. Relativer Gebrauch des Plusquamperfekts.
2.2.2.1. Das ‚futurische’ Plusquamperfekt
2.2.2.2. Streckformen
2.2.3. Absoluter Gebrauch des Plusquamperfekts..

3. Das Plusquamperfekt als Spiegel der Tempusproblematik

Bibliographie

Quellenverzeichnis

Vorwort

Die Bandbreite an einschlägiger Literatur zum Plusquamperfekt ist, verglichen mit den anderen Vergangenheitstempora, sehr überschaubar. Diese „stiefmütterliche Behandlung“ (BREUER/ DOROW 1996: 1) ist unter anderem auf die scheinbare Problemlosigkeit des Plusquamperfekts zurückzuführen (dazu auch HAUSER-SUIDA/ HOPPE-BEUGEL 1972: 160). Dass dieses Urteil vorschnell ist, wird noch zu zeigen sein.

Besonders hervorzuheben im Zusammenhang mit der Darstellung des Plusquamperfekts sind neben den Arbeiten von HAUSER-SUIDA/ HOPPE-BEUGEL (1972), VATER (1994) und KROEGER (1977) vor allem die Untersuchungen von EROMS (1983 und 1984) und BREUER/ DOROW (1996).

Die vorliegende Arbeit soll sich mit den unterschiedlichen Gebrauchsweisen beschäftigen, in denen das Plusquamperfekt auftaucht und diese anhand von Beispielen aus der neueren deutschen Literatur zu belegen versuchen. Diese ausdrückliche Beschränkung auf Belege aus der geschriebenen Sprache soll zum einen der von HENNIG (2000: 4) geäußerten Kritik an den meisten Tempus-Abhandlungen und deren stillschweigender Gleichsetzung von gesprochener und geschriebener Sprache Rechnung tragen; zum anderen setzt „die künstlerische Verwendung von Sprache ein in der Sprache angelegtes Potential“ (RAUH 1985: 63) frei, das im alltäglichen (also zumeist mündlichen) Sprachgebrauch nicht zum Tragen kommt. D. h. die verschiedenen Erscheinungsformen des Plusquamperfekts, das den anderen Tempora gegenüber ohnehin vergleichsweise selten auftritt (BREUER/ DOROW 1996: 1), sind am ehesten in literarischen Texten zu fassen[1].

1. Das Plusquamperfekt – ein unproblematisches Tempus?

„Unter den Vergangenheitstempora des Deutschen ist das Plusquamperfekt verhältnismäßig wenig den kontroversen Diskussionen ausgesetzt“, stellt EROMS (1983: 58) fest. So herrscht etwa weitgehend Einigkeit darüber, dass das Plusquamperfekt als monosemes Tempus (HELBIG/ BUSCHA 1975: 129) anzusehen, d. h. dass es in all seinen Verwendungsweisen auf eine Grundbedeutung zurückzuführen ist.

Probleme und Meinungsverschiedenheiten treten an der oft diffusen Grenze zwischen Semantik und Pragmatik auf.[2] So werden dem Plusquamperfekt teilweise zwei Bedeutungen zugerechnet[3], ohne dass im einzelnen immer klar wäre, ob nicht pragmatische Faktoren (vgl. auch GREWENDORF 1982: 233) ausschlaggebend sind für bestimmte Erscheinungsformen des Plusquamperfekts und ob nicht die Tempusbedeutung unverändert bleibt.

Dem von GREWENDORF (1982: 231) sog. „futurischen Plusquamperfekt“ wird gar die „Vorzeitigkeit eines Geschehens gegenüber einem anderen, das vergangen ist“ abzusprechen versucht (DIELING 1980: 231).

Und auch terminologisch ist man von einer Einheitlichkeit teilweise weit entfernt.[4] So führen BREUER/ DOROW (1996: 12f.) „auch auf die Gefahr hin, zur ohnehin bestehenden Bezeichnungsverwirrung beizutragen“ neben den synonymen Termini der ‚Referenz’- und der ‚Betrachtzeit’ einen dritten gleichbedeutenden Begriff, den der ‚Orientierungszeit’ ein.

Die Feststellung von VATER (1983: 201), dass über die deutschen Tempora keineswegs Einigkeit unter den Linguisten herrsche, scheint also auch hinsichtlich des Plusquamperfekts ihre Berechtigung zu finden.

Dieser Arbeit liegt somit in Übereinstimmung mit EROMS (1983: 58) der Gedanke zugrunde, dass bei der Untersuchung der unterschiedlichen Erscheinungsformen des Plusquamperfekts vor allem zwischen seiner Bedeutung und seinem Gebrauch zu unterscheiden sein wird (vgl. auch GREWENDORF 1982: 218f. und LENERZ 1986: 140).

2. Bedeutung und Gebrauch des Plusquamperfekts

2.1. Semantik

Basierend auf dem System von REICHENBACH (1947: 288) wird dem Plusquamperfekt im allgemeinen folgende Grundbedeutung zugeschrieben: Die Ereignis- (oder Aktzeit) liegt vor der Referenz- (oder Betracht- bzw. Orientierungszeit) und diese wiederum liegt vor der Sprechzeit (vgl. SUIDA 1970: 123, DIELING 1980: 232, EROMS 1983: 61, VATER 1994: 71 und BREUER/ DOROW 1996: 22), wobei die im Plusquamperfekt dargestellten Ereignisse oder Vorgänge zum Sprechzeitpunkt immer abgeschlossen sind (EROMS 1983: 61). Durch das Partizip II des Verbs wird die Abgeschlossenheit (vgl. VENNEMANN 1987: 234) des vergangenen Geschehens markiert und durch die Präteritumform des Auxiliars haben/ sein wird dieses Geschehen auf eine präteritale Erzählebene bezogen (KROEGER 1977: 397). Es werden gewissermaßen die Begleitumstände oder die Vorgeschichte eines Präteritalberichtes im Plusquamperfekt wiedergegeben (KROEGER 1977: 198).

Das Plusquamperfekt in seiner ‚analytischen’ (DIELING/ KEMPTER 1994: 7) (oder auch ‚periphrastischen’) Form stellt als „Vorvergangenheit“ (VATER 1994: 71 und DUDEN 1995: 145) in Bezug zu einer vergangenen Referenzzeit (BUßMANN 1990: 591) somit (wie das Futur II) ein sog. ‚relatives’[5] (EROMS 1983: 58) oder ‚indirektes’ (KROEGER 1977 : 200) Tempus dar.

Über diese Grundbedeutung herrscht, wie bereits erwähnt, weitgehend Einigkeit und so sollen die dieser Bedeutung scheinbar zuwiderlaufenden Erscheinungsformen des Plusquamperfekts (man denke vor allem an das ‚futurische’ Plusquamperfekt) im Bereich der Pragmatik behandelt und zu erklären versucht werden. Auch BREUER/ DOROW (1996: 5) plädieren dafür, eine Tempussemantik möglichst unabhängig zu formulieren von „kontextuellen Faktoren und sekundären Verwendungsweisen“. Dass dieses Unterfangen mit Problemen befrachtet ist, sieht LENERZ (1986: 150) auch der schwierigen „Situation der Forschung im Grenzbereich von Semantik und Pragmatik“ geschuldet. BUSCHA (1981: 129) aber bezweifelt, dass eine „kontextfreie Betrachtung von Tempusformen [...] zur Klärung des Charakters der [...] Tempora führen kann“.[6] Diese kontextuelle Betrachtung ist demnach in der Pragmatik anzustellen.

2.2. Pragmatik

2.2.1. Plusquamperfekt und Perfekt

Die formale Ähnlichkeit von Perfekt und Plusquamperfekt lässt es m. E. sinnvoll erscheinen, beide Tempora kurz voneinander abzugrenzen.

HAUSER-SUIDA/ HOPPE-BEUGEL (1972: 160) stellen fest, dass sich die Funktionen von Perfekt und Plusquamperfekt teilweise entsprechen, THIEROFF (1994: 124) weist dem Plusquamperfekt gar eine dem Perfekt „entsprechende Bedeutung“[7] zu.

Den entscheidenden Unterschied sehen sowohl VENNEMANN (1987: 239) als auch BREUER/ DOROW (1996: 25) in der finiten Form des Auxiliars haben/ sein, welches dem Plusquamperfekt einen präteritalen und dem Perfekt einen präsentischen Anteil verleiht, d. h. dass das Plusquamperfekt in gleicher Relation zum Präteritum steht wie das Perfekt zum Präsens (BUßMANN 1990: 591, vgl. dazu auch VENNEMANN 1987: 244). Somit liegt beim Plusquamperfekt im Gegensatz zum Perfekt, das die unmittelbare Bedeutung des abgeschlossenen Geschehens für die Gegenwart hervorhebt, der Akzent auf dem Aspekt der Abgeschlossenheit und Vergangenheit.

HENNIG (2000: 35) konstatiert folgerichtig, dass das Plusquamperfekt auf die Vergangenheit beschränkt ist (vgl. dazu auch DUDEN 1995: 151), während das Perfekt unter anderem auch Zukunft ausdrücken kann.

Die Nähe von Perfekt und Plusquamperfekt lässt sich auch an der Streckform des Perfekts[8], dem sog. ‚Doppelperfekt’ (BREUER/ DOROW 1996: 63) ablesen.

LITVINOV (1969: 22f.) ordnet der „Perfektstreckung“ die Bedeutung der „perfektiven Abgeschlossenheit“ zu, was zumindest auf resultative Verben (BREUER/ DOROW 1996: 67) auch zutrifft, sodass bei diesen Verben Doppelperfekt und Plusquamperfekt austauschbar sind. Auch HAUSER-SUIDA/ HOPPE-BEUGEL (1972: 257f.) sehen diese Funktionsgleichheit von Doppelperfekt und Plusquamperfekt und stellen fest, dass sich diese Erscheinung weder auf oberdeutsche Mundarten (als eine Folge des Präteritumschwundes) noch auf gesprochene Umgangssprache überhaupt beschränken lässt, sondern dass sie vielmehr sowohl im gesamten deutschen Sprachraum als auch in der geschriebenen Sprache auftritt.

Die beiden analytischen Tempora Perfekt und Plusquamperfekt unterscheiden sich bei allen Gemeinsamkeiten also vor allem durch den präsentischen Bezug beim einen und den präteritalen beim anderen. Funktionsgleichheit mit dem Plusquamperfekt kann das Perfekt in seiner Streckform erreichen, in der es zu einem relativen Tempus, gleich dem Plusquamperfekt, wird.

[...]


[1] Wobei die direkte Rede, die in der Literatur ja auf vielfältige Art und Weise anzutreffen ist, sicherlich einen Grenzbereich markiert, zumal, wenn sie etwa in Dialekten auftritt.

[2] Hauptsächliches Unterschiedsmerkmal zwischen Semantik und Pragmatik dürfte die Differenz zwischen wörtlicher und nicht-wörtlicher Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks sein (BREUER/ DOROW 1996: 4).

[3] STEUBE (1980: 22) etwa unterscheidet zwischen den zwei Bedeutungen „resultative“ und „entfernte Vergangenheit“ und auch DIELING/ KEMPTER (1994: 13) rechnen dem Plusquamperfekt „mindestens zwei Bedeutungsvarianten“ zu.

[4] EROMS (1983: 58) stellt beispielsweise fest, dass mit der Bezeichnung des Plusquamperfekts als absolutem Tempus völlig unterschiedliche Vorstellungen verbunden werden.

[5] RADTKE (1998: 175) bezweifelt das, da das Plusquamperfekt auch in einfachen Sätzen vorkommen könne.

[6] Was m. E. keinen Widerspruch zu BREUER/ DOROW (1996: 5) darstellt, da diese die kontextuellen Faktoren ja nur im Bereich der Semantik ausblenden und sie stattdessen in der Pragmatik behandelt wissen wollen.

[7] LENERZ (1986: 138, Anm. 4) weist auf die terminologische Unschärfe des Begriffs Bedeutung hin, der „oft in bewusster Mehrdeutigkeit für ‚semantische Bedeutung’, ‚pragmatisch induzierte Bedeutung’ [...] und ggf. auch für ‚rhetorische Wirkung’“ stehen kann.

[8] Zusammengesetzt aus dem Präsens von haben/ sein + Partizip II + gehabt/ gewesen. Zur Streckform des Plusquamperfekts und einschlägigen Belegen siehe 2.2.2.2.

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Details

Titel
Die Gebrauchsweisen des Plusquamperfekts
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
2
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V43949
ISBN (eBook)
9783638416290
ISBN (Buch)
9783638806466
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Plusquamperfekt, Gebrauchsweisen, Tempus
Arbeit zitieren
Andreas Lehmann (Autor:in), 2005, Die Gebrauchsweisen des Plusquamperfekts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43949

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