Soziale Arbeit und Gesundheit

Das klassische nosologische Präventionsmodell und das moderne Spezifitätsmodell im Vergleich bezüglich ihrer Praxisrelevanz für die Soziale Arbeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

13 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Begriffsbestimmungen
1.1 Definition Gesundheit/ Krankheit
1.2 Definition Prävention

2 Zwei Krankheitspräventionsmodelle im Vergleich
2.1 Das klassische nosologische Strukturmodell
2.1.1 Primäre Prävention
2.1.2 Sekundäre Prävention
2.1.3 Tertiäre Prävention
2.2 Das moderne Spezifitätsmodell
2.2.1 Universale Prävention
2.2.2 Selektive Prävention
2.2.3 Indizierte Prävention
2.3 Zum Verhältnis beider Modelle
2.4 Methoden der Krankheitsprävention

3 Praxisrelevanz von Krankheitsprävention für die Soziale Arbeit
3.1 Praxisbeispiel

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Obwohl Soziale Arbeit kein Heilberuf im eigentlichen Sinne ist, knüpft sie jedoch in ihrenKompetenzen und Tätigkeitsfeldern vielfach an das präventive, kurative und rehabilitativeHandeln im Gesundheitssystem an. Ihre Schlüsselfunktion hierbei ist die Bekämpfung der immer größer werdenden gesundheitlichen Benachteiligungen bestimmter Bevölkerungsgrup pen. Aufgrund ihrer Lebenswelt und Ressourcenorientierung hat sie einen leichteren Zugangzu den Adressaten als andere kurativ-therapeutisch oder beratende Berufsgruppen.1

In Bezug auf die vorgelagerten Determinanten gesundheitlicher Benachteiligung, wie Armutund sozio-strukturelleBenachteiligungen, verlangt die Bekämpfung sozialer Ungleichheitnach präventiven und gesundheitsfördernden Ansätzen, um ihrem Auftrag gerecht zu werden.

Da das heutige Gesundheitssystem jedoch vorwiegend von medizinischen Sichtweisen be- stimmt wird und strukturell hauptsächlich auf Kuration und Therapie ausgelegt ist,2 muss sie,um an dieses System anschlussfähige Maßnahmen zu entwickeln, zunächst überprüfen, obund inwieweit medizinische Präventionsstrategien mit der Sozialen Arbeit prinzipiell verein bar und umsetzbar sind.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit das klassische nosologische Struk- turmodell und das moderne Spezifitätsmodell praxisrelevant für die Soziale Arbeit sind, vorallem im Hinblick auf ihre Schlüsselfunktion der Bekämpfung von gesundheitlicher Un- gleichheit?

Um diese Frage zu erörtern wurde verschiedene Literatur miteinander verglichen, die beidenPräventionsmodelle gegenübergestellt und im Hinblick auf die sozialarbeiterische Praxis analysiert.

Zunächst werden die Begriffe Gesundheit/ Krankheit sowie Prävention definiert. Anschließend werden beide Modelle anhand ihrer wesentlichen Merkmale dargestellt und miteinander verglichen. Danach werden primäre Methoden von Krankheitsprävention erläutert. Anhand eines Beispieles wird folgend die Praxisrelevanz von Prävention für die Soziale Arbeit herausgearbeitet. Das Fazit bildet den Schluss der Arbeit.

1 Begriffsbestimmungen

1.1 Definition Gesundheit/ Krankheit

Gesundheitsvorstellungen unterliegen grundsätzlich soziokulturellen und historischen Veränderungen, sodass es in verschiedenen Epochen, Kulturen, ja sogar innerhalb einer Gesellschaft unterschiedliche Verständnisse gibt. Das hat zur Folge, dass es keine einheitliche und allgemeingültige Definition vom Gesundheitsbegriff gibt. Erst im praktischen Bezug gewinnt er seine jeweilige Bedeutung.3

Nach Göckenjan lässt sich der Begriff Gesundheit als einen existenziellen Lebenszustand charakterisieren, der sich aus drei unterschiedlichen Perspektiven definieren lässt: als Wertaussage, als Abgrenzungskonzept und als Funktionsaussage.4

Gesundheit auf der Grundlage von Wertaussagen wird als als absoluter Wert oder als Lebensziel verstanden. Eine weit verbreitete Definition in diesem Zusammenhang ist die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO): „Health is a state of complete physical, mental and social well-beeing and not merely the absence of disease or infirmity.“5 Mit dem Begriff „Wohlbefinden“ löste die WHO das Verständnis von Gesundheit aus einer rein biomedizinischen Sichtweise und den engen Bezügen des professionellen Krankheitssystems und verankerte ihn in den Dimensionen des täglichen Lebens. Hiernach umfasst Gesundheit körperliche, psychische und soziale Aspekte und Ressourcen, die sich wechselseitig beeinflussen. Inzwischen wird jedoch auch verstärkt der Prozesscharakter betont.6

Gesundheit als Abgrenzungskonzept ist eng mit der medizinischen Deutung und Diagnostik von Krankheit verknüpft. Gesundheit wird hier definiert als die vollständige Abwesenheit von Krankheit. Abgesichert wird diese Abgrenzung von vorher definierten Schwellen und Normwerten. Da Grenzen jedoch unterschiedlich gedeutet werden, ist dieses Konzept nach Kälble nur vordergründig objektiv und klar.7

Gesundheit als Funktion wird als Leistungs- und Arbeitsfähigkeit in körperlicher und sozialer Hinsicht (vorrangig definiert vom Medizinsystem), andererseits für Vorstellungen eines körperlich-psychische Gleichgewichts i.S.d. störungsfreien Funktionierens eines hoch integrierten Systems bzw. für die erfolgreiche Adaption und Regulation unter den Bedingungen einer konkreten Lebenswelt definiert.8

Hurrelmann hat die Grundvorstellungen von Gesundheit und Krankheit von zentralen Theorien unserer Zeit überprüft und vier Leitvorstellungen herausgearbeitet:

1. die Leitvorstellung von Gesundheit als gelungene und Krankheit als nicht gelungeneBewältigung von von inneren und äußere Anforderungen,
2. Gesundheit als Gleichgewicht und Krankheit als Ungleichgewicht von Risiko- undSchutzfaktoren auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene,
3. die Leitvorstellung von „relativer Gesundheit“ und „relativer Krankheit“ nach objekti-ven und subjektiven Kriterien,
4. Gesundheit und Krankheit als Reaktion auf gesellschaftliche Gegebenheiten.9

Auf einen Konsens gebracht ist Gesundheit nach Hurrelmann „ein Stadium von Gleichgewicht von Risikofaktoren und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem Menschen eine Bewältigung sowohl der inneren (körperlichen und psychischen) als auch äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen gelingt. Gesundheit ist damit eine lebensgeschichtlich immer wieder neu und aktiv herzustellende Balance.“10

Im Umkehrschluss bedeutet Krankheit demnach ein Ungleichgewicht von Risiko- undSchutzfaktoren, sodass äußere und/ oder innere Anforderungen nicht mehr bewältigt werdenkönnen.

1.2 Definition Prävention

Die Begriffe Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung werden nicht nur im alltäglichen, sondern auch im professionellen und gesundheitswissenschaftlichen Sprachgebrauch oft synonym verwendet.11

Hinter beiden Begriffen stehen jedoch ganz unterschiedliche Konzepte. Altgeld und Kolip unterscheiden Prävention und Gesundheitsförderung anhand ihrer Ansatzpunkte und Ziele. Während Gesundheitsförderung an den Schutzfaktoren bzw. an den Ressourcen der Menschen (des Systems) ansetzt und diese fördert, um eine Steigerung der Gesundheit und des Wohlbefindens zu erzielen (Salutogenesemodell), hat Prävention ihren Ausgangspunkt bei spezifizierten Krankheiten oder Störungen, deren Risiken zu minimieren oder gänzlich auszuschalten versucht werden (Risikofaktorenmodell).12

Krankheitsprävention begründet ihr Eingreifen also vorwiegend pathogenetisch. Sie beruht auf Vorannahmen und Erkenntnissen über die Ursachen dieser spezifischen Krankheiten,13 sowie Veränderungswissen.14 Sie soll das Auftreten von Krankheiten oder unerwünschten physischen oder psychischen Zuständen verhindern, weniger wahrscheinlich machen oder zumindest verzögern.15 „Insofern ist Prävention von jeher auf die Beeinflussung von Bedingungsoder Risikofaktoren für Krankheiten ausgerichtet.“16

Nach Franzkowiak umfasst Prävention im Gesundheits- und Sozialwesen alle personen- und gruppenbezogenen, kontext- und systemverändernden Strategien zur Erhaltung der Gesundheit, sowie der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit.17

2 Zwei Krankheitspräventionsmodelle im Vergleich

2.1 Das klassische nosologische Strukturmodell

Wie alle präventiven Maßnahmen ist der Ansatzpunkt und Bezug des nosologischen Strukturmodells eine medizinische bzw. psychiatrisch definierte, intersubjektiv diagnostizierbare und mit gängigen Klassifikationssystemen beschreibbare Gesundheitsstörung, manifeste Krankheit oder deren Vorläufer.18

In diesem klassischen Modell werden die Interventionsmaßnahmen nach zeitlichen Aspekten, also nach der spezifischen Abfolge der Krankheitsentwicklung bzw. Störung strukturiert.19 Hierbei hat sich in Biomedizin und Psychiatrie zwischen den 1960er und den 1990er Jahren die Dreiteilung in Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention durchgesetzt.20

2.1.1 Primäre Prävention

Primäre Prävention oder auch Krankheitsverhütung setzt vor dem Auftreten bzw. der Entste- hung eines Leidens an. Sie soll sowohl bei dem Individuum, als auch in der Bevölkerung vor- beugend wirken, Risiken senken und eliminieren, also die Inzidenz bestimmter Krankheitenminimieren. Primärprävention umfasst damit alle Maßnahmen, die vor dem ersten Auftreteneiner Erkrankung durchgeführt werden, wie die Beseitigung eines oder mehrerer Faktoren derExposition (z.B. Ausrottung von Virenstämmen), durch die Verhinderung von verhaltensbe- dingter Faktoren (z.B. Aufklärung, gesetzliche Regelungen bzgl. Alkohol und Nikotin), Erhöhung der organismischen Widerstandskraft der Menschen (z.B. Impfungen) und durch Veränderungen von Umweltfaktoren (z.B. Hygieneregelungen, Armutsbekämpfung).21

Adressaten primärpräventiver Maßnahmen sind demnach gesunde Menschen bzw. solche Personen, die keinemanifeste Symptomatik aufweisen. Interventionen zielen vorwiegend auf eine Breitenwirkung und Gemeindeorientierung ab und warten nicht auf die Nachfrage durch die Patienten, sondern werden aktiv an die Adressaten herangetragen.22

2.1.2 Sekundäre Prävention

Zeitlich setzt die sekundäre Prävention am Anfang eines pathogenetischen Prozesses an, bei dem die Patienten jedoch oftmals noch keine Symptome oder Beschwerden wahrnehmen. Ziel hierbei ist die Krankheitsfrüherkennung, -behandlung und die Eindämmung des Fortschreitens (Progredienz) der jeweiligen Krankheit. Dies geschieht mit Hilfe von spezifischen diagnostischen Maßnahmen (z.B. Screenings wie Mammographien), frühzeitige Behandlung und Lebensstilempfehlungen (z.B. Diäten, Trainingsprogramme).23

Zielgruppe der Sekundären Prävention sind einzelne Personen und ausgewählte Bevölkerungsgruppen, die zwar als Symptomlose an der Intervention teilnehmen, durch die diagnostische Maßnahme allerdings zu Patienten bzw. Klienten werden. Folgerichtig gilt auch hier, dass die Maßnahmen aktiv an die Menschen herangetragen werden.24

2.1.3 Tertiäre Prävention

Sekundäre Prävention ist an diejenigen Menschen gerichtet, bei denen bereits eine manifesteKrankheit oder ein Leiden vorliegt. Ziel der Maßnahmen ist die Verhütung der Krankheitsver schlechterung, also die Vermeidung, Verhinderung und Milderung von Folgeschäden, Funkti onsverlusten, Chronifizierungen und Rückfällen. Hierzu werden notwendige Heil und Folge behandlungen (z.B. Physiotherapie, Psychotherapie) möglichst früh eingeleitet. An dieserStelle überschneiden sich die Begriffe Prävention und Rehabilitation.

[...]


1 Vgl. Franzkowiak et al. 2009, S. 8 f

2 Vgl. Hurrelmann et al. 2007, S. 14; vgl. Franzkowiak et al. 2009, S. 9

3 Vgl. Kälble 2007, S. 405; vgl. Franzkowiak et al. 2009, S. 23

4 Vgl. Göckenjan 1991 zit. n. Kälble 2007, S. 405

5 WHO 1948 zit. n. Kälble 2007, S. 405

6 Vgl. Kälble 2007, S. 405

7 Vgl. ebd.

8 Vgl. ebd.

9 Vgl. Hurrelmann 2003 zit. n. Kälble 2007, S. 405

10 Hurrelmann 2003 zit. n. Kälble 2007, S. 405

11 Vgl. Franzkowiak 2006, S. 20; vgl. Naidoo et al. 2003, S. 90; vgl. Altgeld et al. 2007, S. 41

12 Vgl. Altgeld et al. 2007, S. 41; vgl. Hurrelmann et al. 2006 in Franzkowiak 2009, S. 35

13 Vgl. Franzkowiak 2006, S. 30

14 Vgl. Leppin 2007, S. 31

15 Albee et al. 1998, Caplan 1964, Laaser et al. 2006, Röhrle 1999, Walter et al. 2003 zit. n. Leppin 2007. S. 31

16 Leppin 2007, S. 31

17 Vgl. Franzkowiak 2006, S. 24

18 Vgl. ebd. S. 30

19 Vgl. Franzkowiak et al. 2009, S. 24

20 Vgl. Franzkowiak 2006, S. 32

21 Vgl. ebd.; vgl. Franzkowiak et al. 2009, S. 24; vgl. Leppin 2007, S. 31 f; vgl. Naidoo et al. 2003, S. 90;

22 Vgl. Leppin 2007, S. 31 f

23 Vgl. ebd., S. 32; vgl. Franzkowiak et al. 2009, S. 25; vgl. Franzkowiak 2006, S. 32 f; vgl. Naidoo et al. 2003, S. 90

24 Vgl. Leppin 2007, S. 31 f; Vgl. Franzkowiak 2006 S. 32 f

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Soziale Arbeit und Gesundheit
Untertitel
Das klassische nosologische Präventionsmodell und das moderne Spezifitätsmodell im Vergleich bezüglich ihrer Praxisrelevanz für die Soziale Arbeit
Hochschule
Hochschule Koblenz (ehem. FH Koblenz)
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
13
Katalognummer
V207555
ISBN (eBook)
9783656347521
ISBN (Buch)
9783656350071
Dateigröße
433 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
soziale, arbeit, gesundheit, präventionsmodell, spezifitätsmodell, vergleich, praxisrelevanz
Arbeit zitieren
Britta Iwwerks (Autor:in), 2010, Soziale Arbeit und Gesundheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207555

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