Einseitige Rechtsakte im Völkerrecht


Seminararbeit, 2009

30 Seiten, Note: 7 (befriedigend)


Leseprobe


Inhalt

A ) Fragenaufriss
I) Atom-Test-Fälle im Südpazifik
1) Tatbestand
2) Rechtliche Bewertung des Urteils
II) Ostgrönlandfall / Ihlen-Erklärung
1) Tatbestand
2) Rechtliche Bewertung des Urteils
III) Schlussfolgerungen

B ) Typisierungen der einseitigen selbstständigen Rechtsakte
I) Im Einzelnen
1) Notifikation
2) Anerkennung
3) Protest
4) Verzicht
5) Versprechen
II) Fazit

C ) Anknüpfungspunkte der Verbindlichkeit
I) Das „estoppel“-Prinzip
II) Treu und Glauben
III) Fazit

D ) Voraussetzungen der Verbindlichkeit
I) Bindungswirkung und Einseitigkeit
II) Allgemeine Voraussetzungen
III) Eindeutigkeit und Bestimmtheit
IV) Stillschweigende Vorbehalte und Bedingungen
V) Bindungsbestimmung aus funktionaler Zuordnung
VI) Formerfordernisse
VII) Empfangsbedürftigkeit
VIII) Widerruf

E ) Einordnung in den völkerrechtlichen Rechtsquellenkatalog
I) Allgemeine Rechtsgrundsätze
II) Vertragsrecht
III) Gewohnheitsrecht
IV) Fazit

F ) Zusammenfassung und Bewertung der Rechtsfigur des einseitigen Rechtsaktes, insbesondere des Versprechens

Literaturverzeichnis

Seminararbeit über das Thema „Einseitige Rechtsakte im Völkerrecht“

A ) Fragenaufriss

Um die Frage nach der völkerrechtlichen Einstufung einseitiger Rechtsakte aufzuwerfen, sollen zunächst zwei praktische Beispiele angeführt werden, durch die eben diese Frage nach der rechtlichen Beurteilung solcher Rechtakte an Bedeutung gewonnen hat und die Rechtsfigur einen neuen Grad an Aufmerksamkeit gewann.

I) Atom-Test-Fälle im Südpazifik

1) Tatbestand

Zwischen 1966 und 1971 fanden mehrfach Kernwaffenversuche Frankreichs im Murora-Atoll (Französisch-Polynesien) statt. Die daraus resultierenden Detonationen fanden unweit von der Küste Australiens statt. Diese forderten daraufhin Frankreich auf, jene Versuche in Zukunft zu unterlassen, da in der Atmosphäre erhöhte Radioaktivität festgestellt wurde. Frankreich jedoch sah die Belastung als zu gering an, um die Versuche einzustellen. Nachdem sämtliche Verhandlungen scheiterten, brachte Australien[1] den Fall vor den IGH. Frankreich bestritt die Zuständigkeit des IGH und ging auf das Verfahren nicht ein. Dennoch forderte das Gericht am 22.06.1973 Frankreich dazu auf, vorläufig die Versuche einzustellen. Ungeachtet dessen führte Frankreich dennoch zwei weitere Versuchsreihen durch. Im September 1974, während das Verfahren noch lief, war die Testreihe dann beendet. Frankreich gab von sich aus bekannt, keine technische Notwendigkeit mehr zu haben, weiterhin atmosphärische Versuche durchzuführen. Diese Erklärungen wurden weder direkt gegenüber Australien noch im Verfahren publik gemacht, sondern lediglich u.a. auf Pressekonferenzen, Versammlungen und in Fernsehinterviews. Dennoch waren sie für die Urteilsfindung des IGH von Relevanz. Er stufte es als rechtlich verbindliches Versprechen Frankreichs ein, wodurch eine eventuelle Fortsetzung der Versuchsreihe für Frankreich ausgeschlossen war.[2]

2) Rechtliche Bewertung des Urteils

Australien interpretierte die Erklärungen Frankreichs folgendermaßen: Sie seien lediglich so zu verstehen, dass die Durchführung unterirdischer Versuche fortgesetzt werden, was noch lange keine Zusicherung bedeute, auf atmosphärische Tests zu verzichten.[3] Als verbindlich eingestuft hätte Australien demnach ausschließlich ein formelles Versprechen, das vom Rechtsfolgewillen erfasst wäre.[4] Seltsam aufgestoßen ist der Umstand, dass Frankreich die Erklärungen allesamt abgegeben hat, nachdem der IGH es angewiesen hat, vorläufig die Kernwaffenversuche einzustellen, es sich dennoch darüber hinweg gesetzt hat. Dass ein mutmaßlicher Wille Frankreichs, sich unwiderruflich völkerrechtlich zu binden, nicht zu Unrecht als widersprüchlich angesehen wird, wirft die Frage nach Willensmängeln auf. Als bedenklich wird ebenfalls der vergleichsweise informelle Rahmen, in dem die Erklärungen abgegeben wurden, eingestuft (s.o.). Zu guter letzt ist es bemerkenswert, dass bei den Erklärungen als Begründung nie die völkerrechtliche Problematik, verursacht durch die Schädigung in der Atmosphäre, als Motiv für die Einstellung der Versuche genannt wurde, sondern immer nur fehlende technische Notwendigkeit. Nebenbei scheint es verwunderlich, dass Frankreich, hätte es tatsächlich das Bestreben gehabt, sich bezüglich der Unterlassung von Kernwaffenversuchen rechtlich zu binden, es ja dem Moskauer Teststoppabkommen hätte beitreten können und so eine unzweifelhafte Bindung gegenüber der Völkerrechtsgemeinschaft eingehen können. Dass das Urteil nicht nur in der Literatur umstritten ist, zeigt, dass das Mehrheitsvotum sehr knapp ausfiel.[5] Das Urteil ließ im Endeffekt die Frage aufkommen, wie präzise der Inhalt einer Erklärung sein muss, um als verbindlich eingestuft werden zu können und nicht nur als schlichte Absichtserklärung ohne Rechtfolgen. Die Frage nach der Interpretation im Einzelfall spielt in diesem Zusammenhang daher die Hauptrolle. Bezüglich dieses Gesichtspunktes konnte das Urteil im Ergebnis eine Bekräftigung zu Gunsten der teilweise bestrittenen potenziellen Verbindlichkeit einseitiger Akte im Völkerrecht bewirken. Die Kritik, die das Urteil nach sich zog, lässt aber den Schluss zu, dass die Verbindlichkeit bis dato als zu selbstverständlich hingenommen wurde und nun die Voraussetzungen für die rechtliche Grundlage genauer geprüft werden müssen.[6]

II) Ostgrönlandfall / Ihlen-Erklärung

1) Tatbestand

Im Jahre 1920 fragte die Regierung Dänemarks bei den Staaten England, Frankreich, Italien, Japan, Schweden und Norwegen an, ob aus ihrer Sicht Einwände gegen die von Dänemark geltend gemachte Souveränität über Grönland bestünden. Fast alle versicherten, dass dem nichts entgegenstünde. Lediglich Norwegen knüpfte an die Anerkennung Bedingungen, die für Dänemark inakzeptabel waren. Dies entfachte eine über Jahre andauernde Diskussion zwischen den zwei Staaten. Als Norwegen am 10.07.1931 eine Resolution erlies, einen Teil Ostgrönlands der norwegischen Flagge zu unterwerfen, klagte Dänemark vor dem StIGH. Unter anderem berief Dänemark sich auf eine norwegische Erklärung vom 22.07.1919, abgegeben vom damaligen Außenminister Nils Claus Ihlen. Inhalt dessen war, dass er versprach, dass Norwegen bezüglich der Fragen in Punkto Souveränität über Grönland keine Schwierigkeiten bereiten werde. Dies war die Stellungnahme zu einer Aussage der dänischen Seite Norwegens gegenüber, in der sie ihren Standpunkt über die Frage nach der Verteilung der Souveränität über Grönland kundtat und im Gegenzug zusagte, Norwegen bei seinen Bestrebungen betreffend der Hoheitsgewalt über Spitzbergen zu unterstützen. Der StIGH maß der Erklärung zwar keinen direkten Rechtsgrund über die Souveränitätsfrage über Grönland bei, jedoch betrachtete es die Erklärung als verbindlich in der Hinsicht, dass Norwegen sich aus der Frage nunmehr heraushalten muss. Auf das Wesen einseitiger Rechtsakte ging das Gericht nicht näher ein, sondern lies den Aspekt vielmehr dahinstehen. Es bezog keine direkte Stellung zu der Frage, ob es sich um ein einseitiges oder zweiseitiges Rechtsgeschäft handelte.[7]

2) Rechtliche Bewertung des Urteils

Teilweise wird angenommen, dass es für die Wirksamkeit nicht relevant sei, ob das Rechtsgeschäft nun einseitig oder zweiseitig war. Wichtiger ist, ob die „estoppel“-Doktrin in diesem Fall anwendbar ist. Danach ist der Wille des Erklärenden, sich rechtlich binden zu wollen, sekundär. Vielmehr kommt es darauf an, welche Wirkung sie objektiv entfaltet hat und ob ein rechtlich geschütztes Interesse des Adressaten vorliegt. In diesem Fall sei eine großzügige Anlegung des „estoppel“-Maßstabes angebracht, da die Ihlen-Erklärung auch im Kontext zu früheren informellen Erklärungen Norwegens stehen muss, in denen auch schon auf Eingeständnisse über die Souveränität Dänemarks über Ostgrönland zu schließen war. Auch sei auf Äußerungen des Gerichts verwiesen, in denen auf die Präzision der Formulierung der Erklärung, sowie der Gesamtumstände in denen sie abgegeben wurde, hingewiesen wird, was ein Versprechen klar von einer Absichtserklärung abheben soll.[8] Weiterhin wird als Rechtsgrund für die Wirksamkeit ein vollwertiges zweiseitiges Rechtsgeschäft zwischen Dänemark und Norwegen angenommen.[9] Ähnlich wird vertreten, dass der wahre Rechtscharakter schwer zu greifen sei und dass es sich um eine Art „agreement“ zwischen den zwei Staaten handeln müsste, das nicht unter allen Umständen bindend sein muss und dass die Erklärung des einen Staates im „quid pro quo“ -Verhältnis zu der des anderen steht.[10] Drittens wird vertreten, dass es sich um ein einseitiges, selbstständiges Rechtsgeschäft handelte.[11] Trotz aller Meinungen bleibt das Hauptproblem, das sich durch das Urteil in Zusammenhang mit der Ihlen-Erklärung ergab, dass das Gericht nicht auf das voluntaristische Element der Erklärung, das sowohl bei einseitigen, als auch bei zweiseitigen Rechtsgeschäften Bindungsvoraussetzung ist, einging.[12]

Ein anderes Thema, das hier noch näher erörtert wird, ist die Frage danach, ob der Norwegische Außenminister als erklärendes Organ tatsächlich zuständig war, im Namen seines Staates die Erklärung abzugeben.[13]

III) Schlussfolgerungen

Die zwei Beispiele zeigen sehr deutlich, dass es rund um die Rechtsfigur der einseitigen Erklärung diverse Probleme gibt, auf die unten im Einzelnen eingegangen wird. Konkret ergibt sich die Problematik daraus, dass in der Staatenpraxis diese Rechtsfigur nicht sehr verbreitet ist, was zur Folge hat, dass gewisse Unsicherheiten auftauchen, wie eine Erklärung bezüglich des Rechtsbindungswillens zu interpretieren ist, also wie sie im Wortlaut ausgelegt werden muss, bzw. wie sie im Gesamtzusammenhang zu sehen ist. Auf der anderen Seite ist zu erörtern, inwiefern das Vertrauenselement einfließt. Nebenbei ist es nicht unumstritten, welcher Rechtsquelle die einseitige Erklärung zugeordnet werden soll, ob sie nun im erweiterten Sinne dem Vertragsrecht zugeordnet werden kann oder ob sie Teil des Gewohnheitsrechts oder der allgemeinen Rechtsgrundsätze ist oder ob sie gar eine eigene Rechtsquelle bildet. Zusätzlich, sind, wie besonders bei der Ihlen-Erklärung auffällt, die Frage nach der Zuständigkeit und dazu die weiteren Bindungsvoraussetzungen zu betrachten.

B ) Typisierungen der einseitigen selbstständigen Rechtsakte

Um einseitige Rechtsakte besser einteilen zu können und um das „Geflecht“ etwas zu entwirren, wurden in Teilen der Lehre Versuche unternommen, die Rechtsfigur in verschiedene Typen einzuteilen.

I) Im Einzelnen

Näher beleuchtet werden im Folgenden die Notifikation, die Anerkennung, der Protest, der Verzicht und das Versprechen.

1) Notifikation

Damit sich ein Völkerrechtssubjekt nicht auf mangelnde Kenntnis über eine bestehende Tatsache, Lage oder existierendes Recht, verbunden mit bestimmten Rechtsfolgen, berufen kann, kann das andere Völkerrechtssubjekt von der Notifikation Gebrauch machen. Zur Herstellung klarer Verhältnisse teilt beispielsweise ein Staat einem anderen Staat oder der Öffentlichkeit mit, dass gewisse Ansprüche oder Rechte seinerseits geltend gemacht werden. Dadurch kann er erreichen, dass andere Staaten zu dieser Erklärung Stellung beziehen, eventuell eine gegenteilige Erklärung zur Verhinderung des Verlusts ihrer Rechte geltend machen und er dadurch entsprechend reagieren oder handeln kann.[14] Da davon ausgegangen wird, dass es sich bei einer Notifikation um eine Willenserklärung handelt, reicht es zur Herbeiführung der gewünschten Rechtsfolge nicht aus, schlicht in tatsächlicher Weise die entsprechende Kenntnis zu übermitteln.[15] Grundsätzlich haben Notifikationen lediglich deklaratorischen Charakter, sind also keine obligatorische Voraussetzung für die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder der Rechtshandlung. Als Beispiele sind hierbei die Annexion und die Okkupation zu nennen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Notifikation jedoch einen konstitutiven Zusammenhang innehaben, wenn sie nämlich notwendiger Teil eines Gesamtrechtstatbestandes ist. Dabei ist zu beachten, dass im Gegensatz zum Fall der deklaratorischen Wirkung nicht die Notifikation an sich mit dem Attribut versehen werden kann, sondern eben nur dieser zusammengesetzte Rechtstatbestand.[16] Beispielsweise schreibt Art. 3 des III. Haager Abkommens von 1907 vor, dass beim Eintreten feindlicher Handlungen eine förmliche Kriegserklärung von Nöten ist.[17]

2) Anerkennung

Dadurch wird erklärt, dass ein bestimmter Zustand, eine bestimmte Situation oder ein bestimmter Anspruch vom erklärenden Völkerrechtssubjekt als rechtmäßig angesehen wird. Anerkannt werden können z. B. Staaten, Regierungen oder Kriegführende. Sobald ein Tatbestand ausdrücklich oder konkludent anerkannt wurde, kann er bis zu seinem Untergang nicht mehr bestritten werden, da das Bestreiten vor jenem Zeitpunkt paradox wäre.[18]

[...]


[1] IGH 1974, 457 ff.: Neuseeland brachte ebenfalls eine Klage mit gleichem Inhalt vor den IGH.

[2] Leutert, S. 63 f.; NJW/ Wengler, S. 1063 ff.; AJIL/ Rubin, S. 1 ff.; IGH 1974, 253 ff.

[3] Leutert, S. 66 f.; IGH 1974, S. 262.

[4] Leutert, S. 66, Fn. 3; IGH 1974, S. 262.

[5] FS Menzel/ Kewenig, S. 342 f.

[6] GYIL/ Fiedler, 1976, S. 36 f.

[7] Leutert, S. 41 ff.; AJIL/ Rubin, S. 4; PCIJ Series A/B, Nr. 53, 22 ff.

[8] Leutert, S. 45; De Visscher, S. 186 f.

[9] Suy, S. 124.

[10] Lord McNair, S. 10.

[11] Verdross, S. 157, PCIL Series A/B, Nr. 53, 71; jedoch entgegen Leutert, S. 50 als Versprechen und nicht als Anerkennung klassifiziert.

[12] Leutert, S. 51 f.

[13] GYIL/ Fiedler, S.59 f.

[14] Dahm, S. 166; Verdross, S. 156.

[15] Pfluger, S. 223.

[16] Pfluger, S. 229.

[17] Dahm, S. 167.

[18] Dahm, S. 165 f.; Verdross, S. 156; Suy, S. 190; genauer: Pfluger, S. 153 ff.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Einseitige Rechtsakte im Völkerrecht
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
7 (befriedigend)
Autor
Jahr
2009
Seiten
30
Katalognummer
V197056
ISBN (eBook)
9783656341659
ISBN (Buch)
9783656342182
Dateigröße
647 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Völkerrecht, einseitige, Rechtsakte, Erklärungen
Arbeit zitieren
Armin Karg (Autor:in), 2009, Einseitige Rechtsakte im Völkerrecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197056

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