Ich bin Missionar, weil ich singe, spiele und tanze

Zur musikgestützten Evangelisierung in den Jesuitenreduktionen


Diplomarbeit, 2004

98 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Missionshistorischer Kontext
1.1 Das Verhältnis von Kolonisierung und Evangelisierung
1.1.1 Unterschiede zwischen Hispano- und Lusoamerika
1.1.2 Das Verhältnis von Kirche und Staat
1.1.3 Vorausgehende Missionen und Missionsversuche
1.2 Die Gesellschaft Jesu in Lateinamerika
1.2.1 Ebene 1: Lateinamerika
1.2.2 Ebene 2: Paraquaria
1.2.3 Ebene 3: Chiquitos
1.3 Die Reduktionen bei den Chiquitos
1.3.1 Die Chiquitos
1.3.2 Die Missionare
1.4 Grundskizze einer ignatianischen Missionologie
1.4.1 Grundlegung der Missionologie
1.4.2 Gründung einer Reduktion
1.4.3 Leben in der Reduktion
1.4.4 Medien der Evangelisation
1.5 Zusammenfassung

2 Die Musik der Reduktionen
2.1 Musikwissenschaftliche Beschreibung
2.1.1 Eigenheiten der präkolumbianischen Musik
2.1.2 Europäische Musik des 17./18. Jahrhunderts
2.1.3 Die Musik der Reduktionen - musikwissenschaftlich
2.1.4 Ergebnis
2.2 Lebenspraktische Verortung
2.2.1 In der Verkündigung des Evangeliums
2.2.2 Im Alltag
2.2.3 Im Fest
2.3 Funktionale Reflexion
2.4 Zusammenfassung

3 Zu einer musikgestützten Evangelisierung
3.1 Anthropologische Bedeutung der Musik
3.1.1 Autonomie versus Funktionalität
3.1.2 Der Mensch: ein musikalisches Wesen
3.1.3 Musik als symbolische Kommunikationsform
3.2 Theologie der Musik
3.2.1 Theologische Ästhetik
3.2.2 Anwendung auf die Anthropologie
3.2.3 Musik und Offenbarung
3.2.4 Musik als Magd der Liturgie?
3.3 Missionstheologische Bedeutung der Musik
3.3.1 Musik und Verkündigung
3.3.2 Inkulturation und Musik
3.3.3 Prinzipien einer musikgestützten Evangelisierung

Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis

Einleitung

Diese Arbeit wurde durch einen einjährigen Aufenthalt in Bolivien motiviert, den ich als Teil meines theologischen Studiums machte. Die dortigen Erfahrungen und theologischen Studien am Instituto de Missionolog´ıa der Universidad Católica Boliviana in Cochabamba ha- ben mir die Notwendigkeit missionologischer Fragestellungen bewusst gemacht. Der Besuch der Reduktionen in der Chiquitanie und im Gebiet der Moxos hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Im besonderen möchte ich das Miterleben der Feierlichkeiten zum Fest des Heiligen Ignatius in San Ignacio de Moxos erwähnen, bei dem die Musik der Reduktionen nach den Erwähnungen in der Standardliteratur für mich persönlich lebendig wurde. Dabei kam die Frage nach der Musik und ihrer Bedeutung für die Evangelisierung, zum einen damals in den Reduktionen, zum anderen aber auch heute in unserer missionarischen Kirche auf. In- teresse an der Geschichte Lateinamerikas, der Gesellschaft Jesu und insbesondere auch an der Musik, die für mein eigenes Leben und Glauben sehr wichtig ist, haben die Themenfindung dieser Arbeit unterstützt.

Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch, woraus sich eine Bedeutung der Missionstheologie für den Fächerkanon der Theologie ergibt, der in vielen Hochschulen und Fakultäten nicht entsprochen wird, da die Theologie der Mission unter Pastoraltheologie subsumiert wird. Sicherlich haben die Ergebnisse missionstheologischer Überlegungen auch immer Konsequenzen für die pastorale Praxis, da z.B. in der heutigen kirchlichen Situation in Deutschland nicht immer deutlich zwischen evangelisatorischen und pastoralen Aktivitäten unterschieden werden kann. Insofern ergibt sich eine innere Verbundenheit der beiden Fächer, die aber nicht über die Notwendigkeit einer Theologie der Mission hinwegtäuschen kann.

Eine wesentliche Dimension der heutigen missionstheologischen Reflexion ist dabei - angesto- ßen von den ”jungenKirchen“dieFragenachdemVerhältnisvonEvangeliumundKulturen, auf die mit einer Theologie der Inkulturation des Evangeliums geantwortet wird. Der Vorgang der Inkulturation geht im Idealfall auf den verschiedenen Ebenen der Kultur von statten, so dass z.B. von inkulturierter Liturgie, Theologie oder Spiritualität gesprochen wird. Diese Arbeit greift nun aus den verschiedenen Ausprägungen von Kultur ein Merkmal heraus: die Musik. Dabei wird nicht die in vielen Studien zur Inkulturation übliche Methode gewählt, einen missionarischer Kontext, z.B. Deutschland, zu wählen und dann nach kulturanthropolo- gischen Überlegungen die Grundzüge einer inkulturierten Musik dargestellt werden, sondern diese Arbeit versucht zu allgemeinen Prinzipien zu kommen, welche dann als Grundlage für Einzelstudien benutzt werden können.

Daher wird in dieser Arbeit auch nicht das Ergebnis der Inkulturation sondern der Prozess im Mittelpunkt stehen; d.h. es soll nicht um inkulturierte Musik, sondern um die Bedeutung der Musik in der Evangelisierung gehen. Dementsprechend ist die Hauptthese, die in dieser Arbeit vertreten werden soll, folgende :

Der Bedeutung, die Musik im evangelisatorischen Prozess und im Leben des Menschen hat bzw. haben sollte, wird am besten eine musikgestützte Evangelisierung gerecht. Diese These soll in der vorliegenden Arbeit induktiv belegt werden, indem ein historisches Bei- spiel vorgestellt wird, innerhalb dessen die Musik so verwendet wurde, dass man die Methode der Evangelisierung mit Recht ”musikgestützt“nennenkann.Davonausgehendsollendann systematischere Überlegungen angestellt, die den Begriff der musikgestützten Evangelisierung beleuchten. Daher lautet der Titel:

”IchbinMissionar,weilichsinge,spieleundtanze!“ Zur musikgestützten Evangelisierung in den Jesuitenreduktionen.

Mit dem Ausspruch von P. Martin Schmid SJ (1694 -1772 ), der an verschiedenen Stellen dieser Arbeit als konkretes Beispiel herangezogen wird, ist schon ein wesentliches Merkmal der musikgestützten Evangelisierung angesprochen. Von musikgestützter Evangelisierung sollte dann gesprochen werden, wenn Musik nicht einfach nur schmückendes Dekor der Verkündigung des Evangeliums ist, sondern wenn die Musik selbst verkündigend wirkt und der Missionar sich als Musiker und der Musiker sich als Missionar versteht. Dennoch sollten Evangelium und Musik aber ihre Eigengesetzlichkeit nicht verlieren. Diese ersten Gedanken aufnehmend, könnte eine Arbeitsdefinition einer musikgestützten Evangelisierung lauten:

Musikgestützte Evangelisierung ist die Methode der Verkündigung des Evangeliums, die bewusst und reflektiert den Verkündigungscharakter der Musik gemäß der Eigenart des Evangeliums und der Musik einsetzt.

Diese Arbeit will die Möglichkeit einer solchen Evangelisierung erweisen und Erwägungen anstellen darüber, dass es auch sinnvoll und dem Evangelium gemäß ist, eine solche musikgestützte Evangelisierung durchzuführen.

Dazu beschäftigt sich der erste Teil mit dem missionshistorischen Kontext der Musik: den Reduktionen der Gesellschaft Jesu. Nur unter der genauen Berücksichtigung der Reduktio- nen und ihres historischen Umfeldes kann die Musik als integrativer Bestandteil des ganzen Missionsexperiments Reduktionen verstanden werden, so dass diesem Teil in der Arbeit Raum gegeben werden muss. Diese Darstellung des historischen Kontextes wird in eine sehr kurze Skizzierung der von den Jesuiten in ihren Reduktionen angewendeten Missionologie münden. Der zweite Teil wird die Musik selbst in den Blick nehmen und sie zuerst musikwissenschaftlich verorten. Danach soll aufgezeigt werden, wie sehr die Musik das Leben in den Reduktionen und die missionologische Reflexion geprägt hat.

Ein dritter Teil dieser Arbeit wird schließlich versuchen einige notwendige Prinzipien einer mu- sikgestützten Evangelisierung zu entwickeln. Dazu werden zunächst die Ergebnisse des ersten und zweiten Teil durch eine Betrachtung der Anthropologie der Musik verallgemeinert. Dabei soll der Mensch als ein musikalisches Wesen gekennzeichnet werden, der sich in der ästhetischen Erfahrung als auf das Transzendente erwiesen erfährt. Die Theologie der Musik, die sich dar- an anschließen wird, soll ausgehend von den anthropologischen Daten die Grundlage für das genuin missionstheologische Reden von Musik bilden, das dann mit einigen Prinzipien einer musikgestützten Evangelisierung schließen wird, die in diesem Rahmen allerdings nur thesen- artig aufgeführt werden können.

Dieser kurze Überblick über die angewendete Methode ermöglicht einige Bemerkungen zu ihren Nachteilen. Diese Untersuchung ist sehr breit angelegt und rekurriert auf verschiedene theologische und insbesondere auch nicht-theologische Disziplinen. Diese Verweise auf Philosophie, Musikwissenschaft oder Kulturanthropologie müssen im für diese Arbeit gesteckten Rahmen zu meist anfanghaft bleiben.

Trotz der Gefahr in der Oberflächlichkeit stehen zu bleiben, erscheint die Einbeziehung dieser Disziplinen notwendig, um das multidimensionale Phänomen ”Musik“angemessenzubehan- deln und für die missionologische Reflexion anschlussfähig zu machen. Es ist an dieser Stelle noch darauf hinzuweisen, dass durch die ganze Arbeit hindurch der heute gebräuchliche Terminus Ind´ıgenas für die originäre Bevölkerung Lateinamerikas Ver- wendung findet. Dies geschieht, um die als diskriminierend empfundenenBegriffe oder ”Indios“ ”Indianer“zuvermeiden.

1 Missionshistorischer Kontext

Eine Darstellung des historischen Kontexts kann verschiedene Wege gehen. Sie kann chronolo- gisch den zu bearbeitenden Zeitraum besprechen, sie kann aber auch die relevanten Problem- kreise anders ordnen. So wird in dieser Arbeit ein Vorgehen gewählt, das sich in konzentrischen Kreisen auf Evangelisierung der Chiquitos in den Reduktionen der Gesellschaft Jesu zu be- wegt.

Dabei soll mit den Bedingungen der Evangelisierung Lateinamerikas begonnen werden, die durch das politische Spannungsfeld von Kolonisierung und Evangelisierung vorgegeben waren. Danach richtet sich der Blick auf die erste Gesellschaft Jesu in ihren Bemühungen zur Evangelisierung. Ein dritter Punkt wird versuchen kurz die Protagonisten der ReduktionenChiquitanos und Jesuiten - in der Chiquitanie im heutigen Bolivien zu betrachten. Der vierte Punkt wird dann schließlich versuchen eine ignatianische Missionologie zu umreißen, die das Spezifikum der jesuitischen Reduktionen zu erfassen sucht.

1.1 Das Verhältnis von Kolonisierung und Evangelisierung

In diesem ersten Teil der missionshistorischen Untersuchung wird allerdings schon eine erste Unterscheidung in die Untersuchung eingeführt werden, da sie sich auf ein Gebiet im spanisch sprechenden Teil Lateinamerikas beziehen wird, nämlich die zwischen Hispano- und Lusoamerika. Danach sollen kurz Entstehung, Umfang und Bedeutung des patronato real erläutert werden, da das so zu benennende Verhältnis von Staat und Kirche als Voraussetzung jeglicher Evangelisierung zu sehen ist. Schließlich soll ein Überblick über die verschiedenen Systeme der Christianisierung gegeben werden, die zur Herausbildung von Vorläufern und schließlich dem reduktionalen System der Jesuiten geführt haben.

1.1.1 Unterschiede zwischen Hispano- und Lusoamerika

Auf einer sehr grundlegenden Ebene muss man in der Untersuchung der Missionsgeschichte Lateinamerikas zwischen dem spanischen und dem portugiesischen Einflussbereich unterschei- den, da dies besonders auf der politischen Ebene einen nicht unwesentlichen Einfluss ausgeübt hat.

Die Situation und die Zielsetzung beider Mächte ist nämlich wesentlich unterschiedlich. Während Portugal hauptsächlich auf merkantile Vorteile hofft, ist Spanien auf Dauer auf eine Siedlungskolonisation aus, die man in gewissem Maße als eine Fortsetzung der Reconquista ansehen kann. So kann man über den portugiesischen Herrschaftsbereich in Lateinamerika, Brasilien, wohl nicht sagen, dass es allein wegen der Eroberung entdeckt werden sollte:

”AuchdiePortugiesenhabenBrasilienimJahre 1500 nurdurcheinenNavigationsfehlerbeieiner Ostindienfahrt entdeckt. Sie wollten es zunächst gar nicht haben. Es wurde nicht dem Farbholz zuliebe besetzt, das ihm den Namen gegeben hat, sondern um unternehmungslustige französische Konkurrenz von dort fernzuhalten [...].“1

Eine gezielte auf Eroberung angelegte Strategie hätte Portugal auch auf Grund der geringen Einwohnerzahl wohl kaum durchführen können. Nicht so die Spanier. Auch wenn sie vielleicht ein Netz ähnlich der portugiesischen Handelsstützpunkte in Indien errichten wollten, trafen sie in Amerika auf eine ganz andere Situation:

”SpanienzählteeinVielfachesderportugiesischenBevölkerungunddieIndianerwarennach Bewaffnung, politischem System und Mentalität zu ernsthaftem Widerstand kaum in der Lage [...]. So konnten die aufstiegswilligen Spanier unter der Führung ehrgeiziger jüngerer Söhne des Niederadels massenweise nach Amerika strömen, um dort auf Kosten der alten Herren ihr Glück zu machen. Nach der Eroberung Granadas im Jahr der Entdeckung Amerikas 1492 - kein Zufall - bestand diese Möglichkeit in der alten Welt nicht mehr.“2

Somit erscheint es möglich für Hispanoamerika die Conquista als Fortsetzung der Reconquista zu sehen. Daher sind auch die Motive ähnlich gelagert, wie sie von Reinhard in folgender Kurzform genannt sind: ”SeelenfürGott,LandfürdenKönig,BeutefürdieHelden.“3 Diese inhaltliche und ideologische Grundlegung der Conquista, die immerhin als ein Motiv auch die Evangelisierung enthält, hat gewichtige Konsequenzen für den Ablauf von Conquista und Evangelisierung, zum Beispiel im Verhältnis von Kirche und Staat.

1.1.2 Das Verhältnis von Kirche und Staat

Mit der Einnahme von Granada 1492 ist in der Geschichte der iberischen Halbinsel ein großes Kapitel zu Ende gegangen, die Reconquista. Im Laufe dieser kriegerischen Wieder-Eroberung und Bekehrung Spaniens konnte sich ein Staatskirchentum ausbilden, dass im Patronato de Granada seinen Höhepunkt fand. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die spanischen Könige sich dieses System zum Vorbild für das Verhältnis von Staat und Kirche in Hispanoamerika nahmen:

”DieZurückdrängungderMaurenunddieAusbreitungdesChristentumsrechtfertigtennach Auffassung der spanischen Krone den Anspruch auf die Patronatsrechte. Das ’Patronato de Gra- nada’, der den ’Katholischen Königen’ am13.12.1486 mit der Bulle ’Orthodoxae fidei’ gewährt wurde, sollte denn auch zum unmittelbaren Vorläufer für das königliche Patronat in der Neuen Welt werden.“4

Die wichtigsten Punkte des späteren Patronats in der neuen Welt sind jedenfalls schon in diesem Patronato de Granada enthalten, so das Recht zur Präsentation bei der Besetzung der Bischofsstühle und das Abtreten des Zehnten an die Krone. Dies lässt sich mit guten Gründen als eine ”gegendierömischeKurieundgegendiekirchlicheHierarchieimeigenen Lande gerichtete, staatskirchliche Tendenz der spanischen Politik“5 bezeichnen.

Auch Portugal hatte im 15. Jahrhundert ähnliche Rechtstitel erworben, allerdings ”fürseine Eroberungen und Erwerbungen in Afrika (und darüber hinaus)“6, so dass Spanien es Portugal nur nachmachte, wenn es sich durch das Edikt Inter Cetera7 Alexanders VI. im Jahre 1493 alles Land westlich einer gedachten Linie8 als Missions- und Eroberungsland zusprechen ließ. Freilich liegt zu diesem Zeitpunkt noch kein Patronatsrecht Spaniens über die zu erobernden Gebiete vor, aber die Katholischen Könige bauen ihre Privilegien in der Folgezeit aus. In den folgenden Jahren wird ihnen durch die päpstlichen Bullen Eximiae devotionis (1501), Universalis Ecclesiae (1508) und Sacri Apostolatus munere (1518) ein universales Patronat gewährt, das man mit Prien ”Superpatronat“nennenkönnte:

Die damit an die spanische Krone verliehenen Privilegien könnte man schon ein ’Superpatronat’ nennen. Es besteht aus fünf Privilegien: dem Recht, Missionare auszusuchen und zu entsenden, dem ausschließlichen Besitzrecht an Amerika, gekoppelt mit der Missionsverpflichtung, dem Recht zur Erhebung des Zehnten, dem Universalpatronat über die Kirche der Neuen Welt und dem Recht die Bistümer zu teilen.“9

Die Kirche hat sich somit in quasi jeglicher Hinsicht die Möglichkeit genommen, direkten Einfluss - sei er personeller, finanzieller oder gar inhaltlicher Art auf die Evangelisierung Lateinamerikas zu nehmen, so er nicht durch die spanische Krone unterstützt wird. Dies wird sich später noch explizieren in der Anordnung Karls V. 1538, dass jeder päpstliche Erlass das königliche Placet10 erfordere.

Unter Philipp II. und Papst Pius V. bekommt dann das Patronat seine endgültige Ausformung durch die Junta Magna (1568) und in der bis zur Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Staaten gültigen Patronatsverordnung (1574). Neu an der Junta Magna ist das Institut des Generalkommissars für die einzelnen Orden mit Sitz in Madrid, das allerdings nur die Franziskaner einführten. Die Einsetzung eines Patriarchen oder eines Nuntius, die König beziehungsweise Papst forderten, wurde nicht durchgeführt. Stattdessen ergab sich endgültig durch die Patronatsverordnung folgende Situation:

1.1 Das Verhältnis von Kolonisierung und Evangelisierung

”SiedefiniertedasPatronatalseinederKroneundderenbevollmächtigtenRegierungsbehörden unterstehende Institution, der es oblag, ausnahmslos alle mit Rechtsbefugnissen ausgestatteten Personen oder Einrichtungen der Kirche zu bestimmen.“11

Auch die 1622 von Rom eingeführte Kongregation De Propaganda Fide kann - jedenfalls kurz- fristig - nichts an der Oberhoheit des spanischen Königs über die Kirche in Amerika ändern auch wenn sie langfristig zu einer Zurückgewinnung der Verantwortung über die Evangelisie- rung geführt hat.

Sollen die konkreten Auswirkungen des Patronats auf die Evangelisierung betrachtet werden, so müssen dies dennoch differenzierter geschehen, als die bisherigen Ausführungen denken lie- ßen, da die spanische Krone - neben allem politischen und wirtschaftlichen Nutzen, den die Conquista brachte, auch die Verbreitung des Evangeliums im Blick hatte und diese durch das Patronat zwar behindert, aber gerade in den ersten Jahren auch gefördert wurde. Kritik er- scheint aber dennoch berechtigt, ob man dabei aber so weit gehen muss, zu sagen, dass die Missionsarbeit auf Grund des Patronata zum Stillstand kam, kann bezweifelt werden. Auf der anderen Seite erscheint es aber genauso überzogen vom Patronat als ”bedeutendsteLai- enhilfe für die Mission, die je von der Kirche erbeten und von Laien geleistet wurde [...].“12 zu sprechen, da man mit Prien entgegenhalten muss, dass ”diemateriellenMittelfürdie Missionsunternehmung von Anfang an durch die koloniale Ausbeutung Amerikas aufgebracht werden sollten und per saldo auch wurden.“13

1.1.3 Vorausgehende Missionen und Missionsversuche

Den Beginn der Evangelisierung Amerikas als organisierte Mission kann man wohl mit der Ankunft der ersten Gruppe von Franziskanern auf Hispaniola im Jahre 1500 ansetzen. Es gab zwar schon vorher einzelne Priester und Laienbrüder, die sich um die Bekehrung der Ind´ıgenas kümmerten, doch immer eher nebenbei und nicht organisiert.Dieser Umschwung zu einer planmäßigen Evangelisierung hängt wohl mit dem Beginn der Siedlungskolonisation nach dem Ende der jeweiligen Conquista zusammen, aus der sich eine unmittelbare Herrschaft über die neu-entdeckten Gebiete ergibt. Daraus folgt dann auch ein gesteigertes Interesse an der Bekehrung der Einwohner, um die gesellschaftspolitischen Funktionen der Religion nutzen zu können.

Von Beginn an waren die Bettelorden die hauptsächlichen Träger der Evangelisierung. Das hatte verschiedene Ursachen. Zum einen war die Ausbildung des Weltklerus im Allgemeinen deutlich schlechter, so dass Diözesanpriester noch schlechter auf diese große und unbekannte Aufgabe vorbereitet gewesen sind. Zum anderen könnte es in der Hoffnung der Krone be- gründet sein, dass sich die Orden in ihrer relativen Autonomie von der Hierarchie besser ins Patronatssystem eingliedern lassen könnten. Außer diesen praktischen Gründen ist auch noch auf den großen Missionseifer der Franziskaner hinzuweisen, der sich in den ersten Jahren nach der Entdeckung unter der Einwirkung von chiliastisch-endzeitlichen Erwartungen entwickelte. Die Methodik14 der Evangelisierung entwickelte sich erst im Laufe der Zeit, was auch nicht weiter verwunderlich ist, da selbst die Orden kaum über Erfahrung in der Erstverkündigung des Glaubens verfügten. Dabei begann man, so lange es noch keine Dolmetscher gab, mit Verkündigung mit Hilfe christlicher Symbole, wie zum Beispiel dem Kreuz, das aufgestellt und verehrt wurde, entwickelte dann immer ausgefeiltere Methoden bis hin zu Katechismen in der jeweiligen Sprache der Ind´ıgenas. Auch wenn man die größeren gesellschaftlichen Zusam- menhänge betrachtet, in die die Evangelisierung eingebettet war, so kann man eine Abfolge von verschiedenen Missionssystemen erkennen, die am Ende zur Entwicklung des Reduktions- systems führen sollte.

Das erste wichtige Missionssystem, das benutzt wurde, waren die Encomiendas . Dieses Sys- tem beruhte auf ”derVergabevonGruppenvonEingeborenenindieObhuteinzelnerKolonis- ten mit der Maßgabe, für die Christianisierung zu sorgen“15. In der Theorie versuchte dieses System die Evangelisierung durch die Nähe zwischen Kolonisten und Ind´ıgenas zu erreichen. Durch das Mit-Leben mit den christlichen Spaniern, sollten die Ind´ıgenas zuerst zu zivilisiert lebenden Menschen gemacht werden - und dadurch dann auch zu Christen16. Die Intention des Gesetzbegers beruhte also auf der Intuition, dass sich die Mission am Besten durch das Zusammenleben gewährleisten ließe. Die Realität der Encomienda sah allerdings ganz anders aus:

”DieEncomenderossaheninderInstitutioninallerersterLinieeineEinrichtung,dieihrerwirt- schaftlichen Bereicherung dienen sollte, so daß sie die Indios nach Kräften ausbeuteten, ohne sich jedoch um deren Christianisierung oder gar, wie ebenfalls vorgeschrieben, um deren Schutz zu kümmern “17

Wegen dieser Probleme in der praktischen Umsetzung der Encomiendas wurden Stimmen laut, die auf eine Veränderung der Situation drängten. In erster Linie standen dabei die Dominika- ner um Montesino und später Bartholome de las Casas. Aus diesem Protest entwickelte sich 1.1 Das Verhältnis von Kolonisierung und Evangelisierung dann eine missionologische Tendenz, die eine Trennung zwischen Kolonisten und Ind´ıgenas forderte, da sie das koloniale Millieu für die Evangelisierung nicht als zuträglich erachtete. So begann Las Casas 1537 in Guatemala mit dem Aufbau einem ersten Projekt mit dem programmatischen Namen Verapaz. Dieses Missionsexperiment hatte schon die ersten Züge der späteren Reduktionen, wenn auch die Abgrenzung zur kolonialen Gesellschaft noch nicht konsequent durchgesetzt werden konnte:

”HierbegabensichdieMönchealleinunterdienichtunterworfenenIndios,umsiesozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit zum Christentum zu bekehren. Spanischen Kolonisten wurde nämlich verboten, das Gebiet zu betreten, um die Arbeit der Patres nicht zu stören. Auch dieses Experiment scheiterte nach Anfangserfolgen, da sich die Kolonisten der benachbarten Regionen nicht von Vorstößen in das Indianerland abhalten ließen.“18

Aber nicht nur die Dominikaner, auch die Franziskaner entwickelten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor allem in Mexiko ein Missionssystem, das schon reduktionsartige Züge hatte. Dieses war von chiliastischen Erwartungen geprägt, verfolgte aber ein schon differen- zierteres Ziel im Hinblick auf die indigene Kultur. Es sollte ein quasi synkretistischer19 Vorgang in der Evangelisierung einem radikalen Kulturwechsel in die iberische Kultur vorgezogen wer- den:

”SostrebtendieFranziskanernichteineradikaleTranskulturationderEingeborenenan,sondern suchten eine Synthese von durchaus positiv empfundenen Kulturelementen der Ind´ıgenas und der europäischen Kultur zu verwirklichen.“20

So modern diese fast schon inkulturative Methode anmutet, hatte sie doch die Kehrseite, dass die Franziskaner dem Kolonialsystem prinzipiell unkritisch gegenüber standen. Sie beurteilten das Enkomienden-System daher grundsätzlich auch nicht negativ, so dass es auch bei den Franziskaner-Reduktionen zu keiner absoluten Trennung zwischen Siedlern und Ind´ıgenas gab, wie später bei den Jesuiten:

”ZwarwandtenauchsiesichgegendieAuswüchsederEncomienda,lehntendeshalbaberdas System nicht rundheraus ab, da sie darin ein Fundament der entstehenden kolonialen Gesell- schaftsordnung sahen.“21

Nach diesem kurzen Überblick über die verschiedenen Vorläufer der Reduktionen in den anderen Ordensgemeinschaften, ist es nun an der Zeit den Orden zu betrachten, der das Missionsmodell der Reduktionen am weitesten und konsequentesten entwickelt und ausgeführt hat: die Gesellschaft Jesu.

1.2 Die Gesellschaft Jesu in Lateinamerika

In diesem Abschnitt soll ein Blick auf die Geschichte der ersten Provinzen der Gesellschaft Jesu in Lateinamerika und im speziellen der Reduktionen geworfen werden. Dabei soll die Betrachtung auf drei Ebenen stattfinden: Nach einem Überblick auf lateinamerikanischer Ebene, wird sich die Darstellung auf die Provinz Paraquaria einschränken und schließlich auf die Reduktionen bei den Chiquitanos.

1.2.1 Ebene 1: Lateinamerika

Es sollten nur neun Jahre seit der offiziellen Bestätigung der Gesellschaft Jesu vergehen, bis im Jahre 1549 mit P. de Nobrega und mit ihm fünf andere Jesuiten ihren Fuß in die Neue Welt setzen würden - in Brasilien. Schon 1553 gab es 30 Jesuiten im portugiesischen Herr- schaftsbereich, so dass Brasilien die erste eigenständige Provinz in Lateinamerika wurde. In Hispanoamerika dauerte es dagegen deutlich länger, bis sich Mitglieder der Gesellschaft Jesu aufmachten, um auch dort den Seelen zu helfen. Erst unter P. General Francisco de Borja wurden die ersten Jesuiten nach Hispanoamerika geschickt. Man kann mutmaßen, dass dies zum einen am Misstrauen von Seiten der spanischen Herrscher lag, wie Marzal sagt:

”EnAméricaespañolalascosasiránmasdespacio.Nosoloporqueelnúmerodejesuitassegu ıa siendo bajo [...], sino por la desconfianza inicial de Felipe II. Este prefirió confiar la evangelización americana a las viejas órdenes de los franciscanos, dominicanos, augustinos y mercedarios, pero acabó pidiendo insistentemente jesuitas para sus dominios.“22

Andere Autoren, wie z.B. Mora Mer´ıda gehen eher von Vorbehalten bei der Gesellschaft Jesu gegenüber dem Patronat aus, welche die Jesuiten davon abhielten nach Hispanoamerika zu gehen.23

Auf jeden Fall sollte es bis 1566 dauern bis die ersten Jesuiten in die spanischen Besitzungen in Amerika kamen, genauer gesagt nach Florida. Dieser Unternehmung war allerdings kein großer Erfolg beschienen, so dass man sagen kann, dass der wirkliche Anfang der jesuitischen Tätigkeit in Spanisch-Amerika mit der Ankunft von P. Jerónimo Ruiz de Portillo und seinen Gefährten in Lima 1568 gemacht wurde. Im Jahre 1572 gelangten Jesuiten auch nach Mexiko, wo sich bald eine zweite Provinz etabliert, so dass mit Bangert davon gesprochen werden kann, dass die Ausbreitung der Gesellschaft - nach anfänglichen Schwierigkeiten in den spanischen Gebieten - auch dort schnell von statten ging:

”Butoncestartedtheymovedrapidly.Beginningin 1566 theyhadwithinsixyearsenteredthree major areas of New Spain: Florida, Mexico and Peru. The mission to Florida failed; those to Mexico and Peru prospered wonderfully.“24

Die Aktivitäten der Jesuiten beschränkten sich zunächst auf die Gründung von Kollegien die quasi als Stützpunkte für so genannte misiones volantes fungierten, bei denen die Jesuiten, der halbnomadischen Lebensweise vieler indigener Stämme angepasst, eine Zeit lang bei einem Stamm die Frohe Botschaft verkündeten und dann weiterzogen. Es zeigt sich allerdings, dass diese Methode kaum nachhaltige Erfolge vorweisen konnte, so dass 1576 in Juli am Titicacasee die erste doctrina im spanischen25 Herrschaftsbereich übernommen wurde. Juli, im Kulturbereich der Quechua gelegen, sollte sich als ein Vorläufer der späteren Reduktionen erweisen, der weniger in der konkreten26 Lebensweise, sondern vielmehr in der Suche nach einer fast schon inkulturierten Evangelisierung den späteren sehr nahekam.

Es wurde im Jahre 1604 die Provinz Nueva-Granada gegründet, die später in zwei eigenständige Provinzen unterteilt wurde. 1605 beschloss man eine eigenständige Provinz Paraquaria zu gründen, was 1607 auch durchgeführt wurde. Von dort aus begann 1609 ein neues Kapitel in der Geschichte der Gesellschaft Jesu, mit San Ignacio im Paraná wurde die erste eigentliche Reduktion gegründet. Diese und die vielen weiteren Gründungen sollten bis zur Zeit der Ausweisung einen Großteil der jesuitischen Aktivität ausmachen und sie sollten zum Stein des Anstoßes werden, der das Ende der Präsenz und Arbeit der Gesellschaft Jesu in Lateinamerika auf entscheidende Weise mit-verursachte.

Die anderen Aktivitäten der Gesellschaft wurden fortgeführt, so dass im Jahre 1626 ungefähr 1300 Jesuiten in Lateinamerika lebten und arbeiteten. Es wurde jedoch, um die Missionsarbeit weiter auszudehnen, eine deutlich größere Anzahl von Jesuiten benötigt, so dass sich unter anderem die mexikanische Provinz darum bemühte auch nicht-spanische Missionare in die spanischen Herrschaftsgebiete einzulassen, was allerdings erst nach 1660 und nur für die Länder unter Herrschaft des Hauses Habsburg erlaubt wurde:

”InmovinglanguagetheJesuitsofMexicoaskedtheirgeneralin 1653 totrytopersuadethe Council of the Indies to allow Jesuits of other nationalities to join them. The next year Spain reaffirmed her ban. But ten years later Oliva managed to obtain a concession as Spain agreed to endorse Jesuit missionaries from lands ruled by Austrian Hapsburgs.“27

Die Missionsgebiete weiteten sich in den folgenden Jahren aus und auch andere Provinzen benutzten das in Paraguay entwickelte Reduktionssystem. So begann 1637 die Mission am Marañon und 1668 im Gebiet der Moxos.28 In der Folgezeit entwickelten sich die Missionen und Provinzen weiterhin gut, so dass 1750 sogar ungefähr 2300 Jesuiten allein in Hispanoame- rika tätig waren, viele davon kamen inzwischen aus deutschsprachigen Ländern, wie z.B. der berühmte P. Eusebio Kino oder auch P. Martin Schmidt auf den weiter unten noch genauer einzugehen sein wird.

Doch die Stimmung in Europa und in den kolonialen Gesellschaften war längst nicht mehr eindeutig pro-jesuitisch, sondern war schon größtenteils umgekippt, so dass nach vielen anti- jesuitischen Aktionen, unter denen die Verbreitung von Schmähschriften über den Jesuiten- staat nur die bekannteste war, die Gesellschaft schließlich 1759 aus Portugal und seinen Besit- zungen vertrieben wurde. Im Jahre 1767 erließ auch der König von Spanien ein Dekret, dass die Jesuiten seine Länder zu verlassen hätten, was ein Jahr darauf ausgeführt wurde.

1.2.2 Ebene 2: Paraquaria

Im Jahre 1585 kamen auf Bitte des Bischofs von Tucumán die ersten zwei Jesuiten in den La-Plata-Raum und 1587 begannen drei weitere in Asunción mit dem Aufbau eines Kollegs. Auch hier diente das Kolleg als Ausgangspunkt für Wandermissionen unter den Guaran ıs, die zunächst sehr erfolgreich zu verlaufen schienen, da sie der ursprünglichen Lebensweise der indigenen Bevölkerung gut angepasst waren:

”Nofundaronmisionesestables,pero,siguiendoelejemplodeloqueyasehab ıa hecho en la provincia de donde ven´ıan, el Brasil, crearon misiones itinerantes, ya fuere para adaptarlas mejor a la vida seminómada de las tribus guaran´ıes, [...] ya para poder evangelizar el mayor número posible.“29

Die paraguayischen Jesuiten gehörten ursprünglich zur Provinz Peru, da jedoch die Kommuni- kation zur brasilianischen Provinz einfacher und auch der Nachschub an Missionaren von dort schneller durchzuführen war, überlegte man einen Anschluss an die brasilianische Provinz, was wegen der schwierigen politischen Lage nicht so recht möglich war, so dass 1607 unter Diego de Torres, der vorher die Mission in Juli geleitet hatte, als Provinzial die Provinz Paraquaria30 ins Leben gerufen wurde.

P. Torres31 begann seine Arbeit als Provinzial damit, dass er versuchte die Provinz mit einem Noviziat auf eigene Füße zu stellen. Ebenso ergriff er gleich zu Beginn entschlossen Partei für die originäre Bevölkerung zum Beispiel dadurch, dass er die Arbeiter, die das Noviziat gebaut hatten, bezahlte. Ebenso beschloss er - seine Erfahrungen aus Juli werden ihm dabei geholfen haben - systematisch Missionssiedlungen, die Reduktionen, zu gründen. Ende 1609 machten sich Jesuiten in drei Richtungen auf, um dieses große Werk in Angriff zu nehmen: Die Patres Maceta und Cataldino nach Guairá, P. Griffi und der später heilig gesprochene P. Roque Gonzalez de Santa Cruz in den Chaco und eine dritte Gruppe unter P. Lorenzana an den Paraná.

Die Expedition in den Chaco scheiterte an der Wildheit der Guaycurú, aber die Paraná- und besonders Guairá-Missionen unter verschiedenen Stämmen von Guaran´ı begannen Früchte zu tragen, so dass mit Loreto (1610) und San Ignacio (1611) die ersten Reduktionen gegründet werden konnten. Auch wenn 1618 durch eine Seuche und verstärkt auftretenden Widerstand durch Schamanen erste Probleme auftraten, war die Anfangsphase der Reduktionen äußerst erfolgreich, was unter anderem mit dem schon vor der Christianisierung vorhandenen Monotheismus der Guaran´ı zu erklären ist:

”EinerderGründefürdenerstaunlichenAnfangserfolgwarderCharakterderGuaran ı. [...] Als Monotheisten glaubten sie an einen Vatergott ohne ihm irgendeine Verehrung zu zollen;so hatten sie eine natürliche Bereitschaft für ein christliches Experiment.“32

Eine Konsolidierung der vorhandenen Reduktionen und eine starke Expansion im Paraná- Gebiet geschah durch den Hl. Roque Gonzalez, der nach Scheitern seiner Chaco-Expedition im Jahre 1613 dort eintraf und in den Jahren 1615 bis zu seinem Tod 1628 viele weitere Re- duktionen gründete und ausbaute, so dass sich die Reduktionen bis in die Nähe des Atlantiks erstreckten.33

Diese gute Entwicklung wurde in der Zeit nach 1629 durch die erste große Krise34 erschüttert, die durch die Mamelucken, die auch Paulistaner genannt wurden, ausgelöst wurd. Diese krie- gerische Gruppe, die zum größten Teil aus mestizisierten Portugiesen bestand, hatte sich in São Paulo eine festes Hauptquartier gebaut und lebte vom Sklavenhandel mit indigener Bevölkerung, die sie sich teils durch Handel mit anderen Stämme teils durch Raubzüge be- schafften. Als sie 1629 in Guairá die ersten Reduktionen angriffen, hatten die Jesuiten und die Bewohner keine Chance, so dass etwa 15000 Ind´ıgenas nach São Paulo entführt wurden, um dort als Sklaven verkauft zu werden. Der Protest der Jesuiten in São Paulo und in Rio de Ja- neiro hatte keinen messbaren Erfolg und auch die Lage in den Guairá-Reduktionen verschärfte sich zusehends, da viele Bewohner in den Urwald zurückkehrten und von einem aufkommen- den Kult pagan-messianischen Gepräges verwirrt wurden. Weitere Raubzüge der Paulistaner folgten, so dass die Jesuiten beschlossen sich ans spanische Militär zu wenden, dass ihnen aber auch nicht helfen wollte, da der Gouverneur von Asunción sich mit den Paulistanern verbündet hatte. Deshalb entschieden die Jesuiten, die Reduktionen um den Guairá aufzuge- ben. Der darauf folgende Exodus unter P. Ru´ız de Montoya kostete einer großen Menge der fliehenden Bevölkerung das Leben, aber 4000 von ursprünglich 12000 konnten von P. Montoya in neuen Siedlungen an einem Nebenfluss des Paraná angesiedelt werden.

Doch diese Rettung war nur von kurzer Dauer. Zwar konnten die Neugründungen im Itat ın und in Tape sich zunächst gut entwickeln, aber die nächsten Angriffe der Paulistaner ließen nur bis 1633 auf sich warten. 1634 wird P. Diego de Boroa Provinzial, der umsichtig die weitere Entwicklung plante. Er sah vor, das Gebiet der Reduktionen weiter auszudehnen und sich mit den Caagú zu verbünden, um eine größere Basis in der Auseinandersetzung mit den Mame- lucken zu haben. Das mißlang allerdings, so dass die Reduktionen in einen ersten Krieg mit den Caagú gerieten. Während dessen brandschatzten die Paulistaner weitere Reduktionen, so dass ein weiterer Rückzug erfolgen musste, um mehr Zeit zu gewinnen. Im Jahre 1637 fuhr P. de Montoya nach Europa zur Generalkongregation der Jesuiten. In Europa sollte er aber auch mit Philipp IV. von Spanien verhandeln, um die Privilegien der Reduktionen abzusichern und um die Erlaubnis zu bitten, die Reduktionsindios mit Feuerwaffen auszustatten, damit diese sich gegen die Paulistaner verteidigen könnten. Er konnte diese Anliegen durchsetzen, allein die Genehmigung der Feuerwaffen sollte den Reduktionen nur dann gewährt werden, wenn es der Vizekönig in Lima für angebracht hielte.

Die ersten Verteidigungsversuche, die unterdessen unter dem Kommando von P. de Alfaro durchgeführt wurden, scheiterten, da die Guaran´ı als undisziplinierter Haufen angetreten wa- ren. Doch als 13 ausgebildete Soldaten zur Unterstützung von P. de Alfaro anrückten, wurde trotz materieller Unterlegenheit ein erster Sieg gegen die Paulistaner errungen. Daraufhin wurde der Tapé verlassen, um sich in die gut zu verteidigende Gegend des Rio Uruguay zu begeben. Als schließlich die Erlaubnis zum Gebrauch von Schusswaffen kam und die neue Re- duktionsarmee erste Kampferfahrungen in Einsätzen für die spanische Krone gesammelt hatte, kam es am 8. und 11.3.1641 zur entscheidenden Schlacht am Mbororé, in der die Mamelucken entscheidend geschlagen werden konnten.

Die Gefahr der Paulistaner wurde so gebannt und auch der letzte versuchte Raubzug 1642 konnte vereitelt werden. Trotzdem konnten die Reduktionen nur kurz durchatmen, da schon eine neue Sturmwolke heranzog, die großen Schaden anrichten sollte.

Im gleichen Jahr übernahm nämlich Bernadino de Cárdenas OFM die Verwaltung der Diözese Asunción. Er brachte viele der Vorwürfe, die mehr als hundert Jahre später zur Ausweisung der Gesellschaft Jesu aus den spanischen Besitzungen führen sollten, zum ersten Mal vor. Später nahm er Asunción, auch wenn seine Weihe gültig aber unerlaubt vollzogen wurde, als Bischof in Besitz. Bevor er aber zum Bischof ernannt wurde, schrieb er ein Memorandum, in dem er die Evangelisierung der Ind´ıgenas forderte und darauf aufmerksam machte, ”[...]daßes unklug sei, die Indianer den Jesuiten anzuvertrauen, weil diese den Bischöfen nicht unterstellt seien [...].“35 Dieses Papier brachte ihm dann die Ernennung zum Bischof von Asunción ein. Auch ohne die noch fehlende päpstliche Bestätigung ließ er sich vom Bischof von Tucuman weihen, was bei den Jesuiten Kritik hervorrief. Doch dies war erst der Anfang der Konflik- te zwischen Cárdenas und den Jesuiten. Die ersten beiden Jahre verhielt er sich zwar sehr freundlich gegenüber den Jesuiten und lobte sie über alle Maßen, begann aber unterdessen Streitigkeiten mit dem Gouverneur, die 1644 in bewaffnete Auseinandersetzungen übergingen, in denen der Gouverneur die Jesuiten bat ihn mit Reduktionssoldaten zu unterstützen. Die Jesuiten gehorchten, worauf hin Cárdenas auch gegen die Jesuiten vorzugehen versuchte und sie exkommunizierte:

Los Padres de la Compañia no tuvieron inconveniente en obedecer a estas órdenes y remitieron los 600 indios, bien armados con arcabuces y otras armas. Cuando D.Bernadino supo este hecho, se desató en injurias contra los jesuitas, y desede entonces sus imprecaciones confundiaron en uno al Gobernador y a los padres de la Compañia. Lanzó sobre ellos todas las excomuniones y prohibiciones que pod´ıa lanzar un obispo, y desde aquel punto juró arruinar para siempre el colegio de la Compañia en la Asunción.“36

In der Folge dieses Konfliktes versuchte Cárdenas das Kolleg in Asunción zu schließen, indem er zunächst versuchte dessen finanzielle Grundlage, ein Landgut, das ihn vom ersten Augen- blick in Paraguay interessiert hatte, in seine Gewalt zu bringen, um danach das Kolleg selbst einzunehmen. Dies scheiterte, worauf er zunächst in den Franziskanerkonvent gebracht wurde und schließlich Asunción im November 1644 verlassen musste. Aber aus seinem Exil in Corrien- tes fuhr er fort, anti-jesuitische Propaganda zu machen. 1647 konnte er wieder nach Asunción zurückkehren und setzte sofort zu einem neuen Angriff an, indem er die Jesuiten als Häretiker brandmarkte. 1648 ersetzte er die Jesuiten im Itat´ın durch ihm treu ergebene Geistliche, wor- auf die Bevölkerung der Reduktionen in den Urwald zurückkehrte. Der Hauptvorwurf, den er hier vorbrachte, war der, dass die Jesuiten einen eigenen Staat gegründet hätten, der von einem König Nicolás I. regiert würde. Wenn bei der Ausweisung der Jesuiten dieser Vorwurf über einhundert Jahre später wieder auftauchen sollte, wird man den Ursprung dieser Idee vom Jesuitenstaat wohl hier zu suchen haben.

Ein anderer Vorwurf den Cárdenas immer wieder vorbrachte und der geschichtsmächtig wirk- sam bei der Vertreibung werden sollte, lag in den angeblichen Gold- und Silberminen, die im Gebiet des Uruguay unter Kontrolle der Jesuiten stünden und aus denen die Ordensleute unschätzbare Gewinne machen sollten. Allerdings konnten verschiedene Expeditionen diesen Vorwurf nicht erhärten. Auch verschiedene andere Intrigen Cárdenas’37 blieben ohne, jeden- falls kurzfristigen, Erfolg. Dennoch hatte dieser Konflikt mit Cárdenas, neben den finanziellen Verlusten, die die Gesellschaft durch Anwaltskosten etc. erlitt, zu einem beginnenden Miss- trauen auf der Seite der spanischen Krone gegenüber den Jesuiten geführt, das auch weiterhin anhielt. Nicht zuletzt müssen wir mit Caraman schließen, dass ”[...]eineErneuerungderBe- schuldigungen Cárdenas’ nicht zuletzt verantwortlich für die Zerstörung ihres Werkes (war).“38 Nach diesen Episoden konnten sich die Reduktionen erst einmal in Ruhe konsolidieren. Aller- dings wurden bis zum Ende des 17. Jahrhunderts die schon immer bestehenden Verbote für ausländische Geistliche in den spanischen Herrschaftsgebieten verstärkt umgesetzt, so dass an eine weitere Ausbreitung der Reduktionen nicht zu denken war, sondern nur die bestehenden weiter entwickelt werden konnten:

”Indennächsten40 JahrenmußtendieJesuitensichdamitbegnügen,ihrePositionzuhalten. Es waren genug Jesuiten vorhanden, um in jeder Niederlassung zwei Patres zu belassen, und drei oder mehr in Candelaria, dem Hauptquartier für die Paraná-Mission. Für Pionierarbeit aber stand niemand zur Verfügung.“39

Erst 1691 konnte deswegen ein neues Missionsgebiet in Angriff genommen werden: die Chiqutania, auf dem Gebiet des heutigen Boliviens und kurz darauf auch zum zweiten Mal der Chaco. Diese Missionen, wie die ganze Provinz Paraguay, hatten während der nächsten Jahre ein relativ gutes Auskommen, wenn man von einigen kleineren Konflikten mit der kolonialen Gesellschaft absieht, die den servicio personal auf die Reduktionsbewohner ausdehnen wollte, was allerdings abgewehrt werden konnte.40

Die nächste große Erschütterung der Reduktionen stellte der comuneros-Aufstand in Paraguay 1721-1735 dar, der besonders durch mehrere Eingriffe des Guaran´ı-Heer gegen Aufständische geprägt wurde und in dem das Zerwürfnis zwischen den Reduktionen und der kolonialen Gesellschaft noch einmal besonders deutlich hervortrat.41

Im Jahre 1750 vereinbarten Spanien und Portugal aufs Neue die Grenzziehung zwischen den jeweiligen Herrschaftsbereichen in Lateinamerika. In Folge dieses tratado de limites gerieten sieben Reduktionen unter portugiesische Hoheit, so dass die Reduktionen verlegt werden soll- ten. Die Guarani, die eine sehr starke Verbundenheit zu ihrer Heimat hatten, wollten die Siedlungen nicht verlassen und gingen in den Widerstand - auch gegen die Jesuiten, die sich den Anordnungen der Krone beugten. Ein Aufstand der Guarani wurde von einem spanisch- portugiesischen Kontingent niedergeschlagen. Schließlich aber scheiterte der tratado de limites und die Guarani konnten in ihre Siedlungen zurückkehren. Aber auch diese Krise hatte in der öffentlichen Meinung in Europa großen Schaden für die Gesellschaft Jesu hinterlassen, so dass die Ausweisung nicht mehr aufzuhalten war.

1.2.3 Ebene 3: Chiquitos

Die Reduktionen bei den Chiquitos42 bilden den dritten -engsten- Kreis des historischen Überblicks.DieGeschichtedieserMissionen ist von Tomichá in vier Phasen eingeteilt worden:

”Paraestepropósito,dividimoslaexperienciaevangelizadorajesu ıtica en cuatro periódos misiona- les: periódo fundante (1691 -1709 ), per ıodo de asentamiento(1709 -1724 ), per´ıodo de consolidación (1724 -1754 ) y per´ıodo de crecimiento (1754 -1767 ).“43

Dieser Periodisierung soll im folgenden gefolgt werden, um den nötigen Überblick über die Historie der Evangelisierung in der Chiquitania zu bekommen.

Die erste Phase, die von Tomichá per´ıodo fundante44 genannt wird, begann mit der Gründung von San Francisco Xavier im Jahre 1691. Dennoch erscheint es notwendig zuerst einen Blick auf die Vorgeschichte zu werfen. Die ersten Kontakte mit der Botschaft Christi hatten die Chiquitos wahrscheinlich Anfang des 16. Jahrhunderts durch jesuitische Missionare gehabt, die allerdings keine nachhaltigen Folgen hatten. Danach gerieten die Chiquitos und die anderen Stämme der Region in eine ziemliche Isolation, die allein durch Expeditionen der Bewohner von Santa Cruz auf der Suche nach Ind´ıgenas für den servicio personal durchbrochen wurde:

”As ı, por ejemplo, a finales del siglo XVII, los cruzeños entablaron con buena fortuna una batalla campal contra algunos etnias chiquitas, que ocasionó la muerte de muchos ind´ıgenas y la captura de

numerosos chiquitos para las granjas y haciendas cruzeñas.“45

Auf Grund dieser Angriffe, sowohl von den Cruzeños als auch von den Mamelucken, beschlossen verschiedene chiquitische Stämme, ebenso bestärkt durch die große Not, die aus verschiedenen Epidemien und der wirtschaftlichen Isolation stammte, um Frieden und die Entsendung von Missionaren zu bitten. Dieser Entschluss -”voluntarioyconsciente“46 - der Chiquitos bildete 1690 den Auftakt zu ihrer Evangelisierung. Der Gouverneur von Santa Cruz, an den diese Bitte herangetragen wurde, gab diese an die Gesellschaft Jesu weiter. Zunächst konnte die Provinz Paracuaria nicht genügend Jesuiten als Missionare zur Verfügung stellen, so dass auch die Provinz Peru sich an dieser Mission beteiligte.47 Die Personalprobleme Paraguays entstanden durch eine Expedition von 44 Jesuiten, die einen schiffbaren Weg zum Gebiet der Chiquitos finden sollten, daran aber scheiterten und dann in den Guarani-Missionen blieben. Dennoch kamen die wichtigsten Pioniere dieser Anfangszeit aus der paraquarischen Provinz, allen voran P. José de Arce, der eigentlich mit der Evangelisierung der Chiriguanos betraut war, aber sich dann auf Grund der Bitte des Gouverneurs Agust´ın Arce de la Concha zu den Chiquitos aufmachte. Im November 1691 kam P. de Arce mit zwei weiteren Jesuiten nach Santa Cruz de la Sierra, wo es zunächst so erschien, als ob die entrada nicht stattfinden könnte:

”Ennoviembredelmismoaño,lostresreligiososlleganalaciudadcruceña,dondeencontraron un ambiente poco favorable a sus própositos misonales, debido a l aproximidad de las lluvias pero sobre todo a la oposición de los vecinos, favorecida por el nuevo gobernador D. Benito de Rivera y Quiroga.“48

Diese problematische Beziehung zu den Siedlern aus Santa Cruz gehörte zu den großen Pro- blemen der Chiquitos-Reduktionen in diesem per´ıodo fundante . Sie war Grund gelegt in der Tatsache, dass durch die Errichtung von Reduktionen die Siedler weniger Möglichkeiten hat- ten, die Ind´ıgenas zum servicio personal zu verpflichten, después del inicio de las reducciones de Moxos“49 ”comoyalohab ıan comprobado Trotz dieser Schwierigkeiten begann P. José de Arce seine erste Expedition zusammen mit ei- nem Bruder am 5. Dezember 1691. Nach drei Wochen fand P. Arce ein Dorf der Piñocas , die ihn baten bei ihnen zu bleiben, um die Kranken zu pflegen und das Evangelium zu verkünden. So gründete er am31.12.1691 durch das Errichten eines Kreuzes die Reduktion San Francisco Xavier. Diese Siedlung wurde, wie fast alle Chiquitos-Reduktionen, in den ersten Jahren ih- rer Existenz mehrfach verlegt, bis sie schließlich 1705 ihren endgültigen Platz gefunden hat. Von San Xavier aus machten sich1695 einige Neu-Getaufte mit den PP. Zea und Herbas zu den Tabicas und Taus auf und gründeten unter ihnen die Reduktion San Rafael.1697 wur- de San José und1699 San Juan Bautista gegründet. Danach versuchte man erst einmal, die so gegründeten Siedlungen zu konsolidieren, und erst ab1704 gab es wieder nennenswerte Missionsbemühungen, die1709 mit der Gründung von Concepción unter den Manasicos ihren Abschluss fanden.

Mit dieser Gründung lässt Tomichá einen neuen Abschnitt beginnen: den per´ıodo de asentamiento50, den er bis 1724 ansetzt. Diese Phase wurde in der ersten Hälfte von einem Mangel an personellem Nachschub, der durch den Spanischen Erbfolgekrieg entstanden war, geprägt. Danach begannen zahlreiche entradas zu den Zamucos, die eine immer bessere Kenntnis der ganzen Region der Chiquitos zur Folge hatten.

Die Missionierung der Zamucos51 stellte sich als ein relativ schweres Unterfangen heraus, da diese, obwohl bei der ersten Expedition 1717 schon symbolischerweise eine Reduktion mit dem Schutzpatron San Ignacio gegründet worden war, in einem Gebiet lebten, in dem es nur sehr wenig Wasser gab. Ebenso scheint es so, dass ihre halbnomadische Lebensweise und ihre starke Isolation für die Evangelisierung hinderlich war. Daher gab es in den folgenden Jahren einige weitere entradas, die allerdings ohne großen Erfolg bleiben sollten. Bei einer Unterredung mit einem Ober-Kaziken der Zamucos beschloss man an einem bestimmten Ort eine Reduktion zu errichten. Als P. Miguel de Yegros und Fr. Alberto Romero ein Jahr später an den ausge- machten Ort kamen, waren die Zamucos allerdings verschwunden. Bei der Suche nach ihnen wurde Fr. Alberto als Märtyrer umgebracht. In den Jahren 1720/21 fanden weitere erfolglose Expeditionen statt. Erst 1722 gelang es den PP. de Aguilar und Castañares wieder zu einem wichtigen Kaziken vorzudringen, der allerdings auch Hechizero52 war und daher die Anwesenheit der Missionare verbot und die Jesuiten wegschickte. Allerdings konnten die Missionare einige Zamucos überzeugen, so dass sie nach San José zurückkehrten - ”acompañadosporsólo diez nativos zamucos que por voluntad propia hab´ıan queridos seguirlos y hacerse cristianos“53. Diese zehn Zamucos konnten in der kommenden Zeit als Anlaufstelle für weitere Stammesmitglieder dienen, die vor Kriegen und Seuchen in die Reduktion flohen, so dass 1724 San Ignacio de Zamucos gegründet werden konnte.

Damit begann die dritte Phase in der Geschichte der Chiquitos-Mission, der periódo de con- solidación , in dem die Zahl der Reduktionen gleich blieb und die bisherigen Missionserfolge gesichert werden konnten. Allerdings gab es in dieser Zeit auch Schwierigkeiten mit den unter- schiedlichen Ethnien, die in den einzelnen Missionssiedlungen lebten. Besonders groß wurde dieses Problem im gerade neu gegründeten San Ignacio de Zamucos, in dem die verfeindeten Zamucos und Ugaraños lebten. Dort waren die Konflikte so stark, dass man sich 1745 ent- schloss die Reduktion aufzugeben und die Ind´ıgenas auf verschiedene Siedlungen aufzuteilen. Daraufhin wurde beschlossen das Dorf San Miguel zu teilen, so dass San Ignacio de Chiquitos im Jahre 1748 gegründet werden konnte und die Anzahl der Reduktionen gleichblieb. In der ganzen Zeit gab es weitere entradas , die von fast allen Siedlungen getragen wurden.

Die vierte Phase, der per´ıodo de crecimiento genannt, wird von 1754 bis zur Vertreibung der Jesuiten 1767 angesetzt. In dieser Zeit wurde die Evangelisierung im geographischen Raum der Chiquitanie so gut wie abgeschlossen, wobei sich die entradas besonders auf die Völker, die kein Chiquito sprachen, konzentrieren, da die eigentlichen Chiquitos schon fast vollständig christianisiert waren. Ebenso richtete sich der Blick der Jesuiten in diesen Jahren wieder einmal auf den Chaco. Zuerst aber wurden 1754 und 1755 die Reduktionen Santiago und Santa Anna gegründet und im Jahre 1760 Santo Corazón de Jesús. Die letztere sollte als Ausgangspunkt für eine großangelegte Missionsinitiative in den Chaco werden und gleichzeitig die direkte Kommunikation mit den Guarani-Reduktionen vereinfachen:

Como ya se ha anotado, Santo Corazón deb´ıa servir de base para la conquista de los guaicurús y de algunas naciones chaqueñas [...]; y también como centro de comunicación con las misiones de los guaran´ıes.“54

Die Bemühungen um die Guaicurús kommen in den wenigen Jahren, die den Jesuiten bis zu ihrer Vertreibung noch blieben, über einige hoffnungsvolle Anfänge nicht hinaus, die Kommunikationswege konnten allerdings 1766 etabliert werden.

Ende 1767 erreichte der Befehl Santa Cruz, dass die Jesuiten ausgewiesen werden sollen, wor- aufhin am 2. April 1768 die letzten Jesuiten das Gebiet der Chiquitos verlassen mussten.

1.3 Die Reduktionen bei den Chiquitos

Dieser dritte Abschnitt des missionsgeschichtlichen Überblicks will sich den Besonderheiten der Chiquitanos-Reduktionen zuwenden, in dem er die Protagonisten der EvangelisierungChiquitanos und Jesuiten - in den Blick nimmt. Zuerst werden daher die Chiquitanos als Volk beschrieben und danach die Jesuiten, die in diesen Regionen maßgeblich an der Evangelisierung und dem Reduktionsleben beteiligt waren.

1.3.1 Die Chiquitos

Die Ind´ıgenas in der Region Chiquitos waren vor Beginn der Kolonisierung eine sehr hetero- gene Gruppe von verschiedenen Ethnien unterschiedlicher kultureller und sozio-linguistischer Prägung gewesen. Die größte Gruppe bildeten dabei Völker mit chiquitischer Sprache, es gab aber auch Angehörige der Sprachenfamilien der Arawak, der Guaran´ı, der Zamucos und vieler anderer. Auch die Gruppe der Chiquitos konnte nicht einfach hin als eine einheitliche Grup- pe gesehen werden, obwohl viele Gemeinsamkeiten, am wesentlichen war dabei die Sprache, vorlagen.

Einheit in Vielfalt

Das Chiquito, das in verschiedenen Dialekten gesprochen wurde, und das in einer55 standardisierten Form zur allgemeinen Sprache der Chiquitos-Reduktionen geworden war, wurde von den Missionaren zu einer der schwersten Sprachen der Welt gezählt, weil es unter anderen Schwierigkeiten zwei völlig unterschiedliche Sprachformen enthielt, je nachdem ob man ein Mann oder eine Frau ist, so dass alleine aus sprachlichen Schwierigkeiten die Evangelisierung anfänglich sehr erschwert wurde:

Las particularidades de la lengua chiquita que complicaban a los jesuitas radicaban en su misma estructura gramatical, a saber, la definición de los verbos, la distinción de habla masculina y femenina, e incluso la pronunciación.“56

Aber nicht nur auf der linguistischen Ebene ergaben sich durch den spezifischen Charakter der Chiquitos Schwierigkeiten in der Evangelisierung. Alles in allem zählte man 36 Stämme, die außer den unterschiedlichen Dialekten des Chiquito auch auf der Ebene der Kultur57 keine einheitliche Größe darstellten, sondern durchaus Unterschiede aufwiesen.

Dennoch geschah auch auf diesem Bereich eine gewisse Vereinheitlichung, ”quesepuedahablar

1.3 Die Reduktionen bei den Chiquitos

de una unidad linguistico-cultural ( y por supuesto, religiosa) en la diversidad de naciones chiquitas que poblaban las reducciones“58. Im Folgenden werden daher einige wesentliche Aspekte der chiquitanischen Kultur beleuchtet, die für die Evangelisierung und für das Leben in den Reduktionen von besonderer Wichtigkeit waren.

Leben und Arbeiten

Die meisten Stämme der Chiquitos waren sesshafte Ackerbauern, die in kleinen Ansiedlungen aus Strohhütten für die einzelnen Familien und einem gemeinschaftlichen, etwas größeren Haus bestehenden Dörfern wohnten. Da die Türen der Häuser waren sehr klein waren, sagten die ersten Spanier, die sie sahen,dass dort kleine Menschen, spanisch Chiquitos , leben müssten. Das Gemeinschaftshaus diente unter anderem den Heranwachsenden als Wohnraum, gleichzeitig als Lager und als Gästehaus für die ganze Gemeinschaft:

Los chiquitos viv´ıan en ”unsoranchosdepaja,enformadehornos’conunapuerta’tanpequeña, que á gatas entran por ella, por cuya causa les dieron los Españoles el nombre de Chiquitos’; ten´ıan además una ’casa común para los solteros, que cumplidos catorze ó punfce años, no viven en casa de sus padres“59

Nur bei den Manasicas gab es besser ausgebaute Dörfer mit Plätzen und sogar mit Tempeln. Die Manasicas waren aber nicht nur in diesem Punkt etwas von den anderen chiquitanischen Stämmen isoliert, sondern auch in der Religion oder in der Verwaltung. Die männlichen Chiquitos waren üblicherweise nackt, während die Frauen einen so genannten Tipoy aus Baumwolle trugen, der auch in der Reduktionszeit und bis heute das traditionelle Kleidungsstück geworden ist. Es gab verschiedene Erkennungszeichen, die den Stamm oder die Familie kennzeichneten:

”Sibienloschiquitospreferıa andar desnudos debidos al calor de la región, sol´ıan llevar una ’señal’ que indicaba la pertecencia a una determinada nación e idioma [...]. Esta señal de identificación personal y grupal se expresaba con un tejido de algodón o en otros casos con unciones en la cabeza o mediante el pintado del cuerpo usando colorantes de ra´ıces y plantas.60

[...]


1 Reinhard, Wolfgang: Triebkräfte, Formen und Wege der europäischen Expansion. In Meier (1988b),

2 Reinhard (1988), 11.

3 Reinhard (1988), 11.

4 Gründer, Horst: Welteroberung und Christentum. Gütersloh, 1992, 88.

5 Gründer (1992), 88.

6 Gründer (1992), 89.

7 Das sich schon dem Namen nach an das gleichnamige Edikt zugunsten Portugals aus dem Jahre 1456 anlehnt.

8 Diese Linie wurde freilich durch den Vertrag von Tordesillas im darauf folgenden Jahr von Spanien und Portugal noch einmal nach Westen korrigiert.

9 Prien, Hans-Jürgen: Die Geschichte des Christentums in Lateinamerika. Göttingen, 1978, 125.

10 Vgl. Prien (1978), 126.

11 Mora Mérida, José Luis: Kirche und Mission. In: Pietschmann, Horst(Hrsg.): Bd. 1 Mittel-, Südamerika und die Karibik bis 1760.Formierung und Entwicklung der kolonialen Gesellschaften. Hispanoamerika. In Bernecker (1994), 379.

12 Biermann, Benno: Der spanisch-portugiesische Patronat als Laienhilfe für die Mission. In: Specker, Johannes (Hrsg.): Der Laienapostolat in den Missionen. Festschrift Prof. Dr. Johannes Beckmann smb zum 60. Geburtstag dargeboten von Freunden und Schülern. Schöneck-Bechenried, 1961, NZM Supp. X, 161.

13 Prien (1978), 205.

14 Vgl. Mora Mérida (1994), 390f. .

15 Pietschmann, Horst: Die Kirche in Hispanoamerika. In: Henkel, Willi (Hrsg.): Die Konzilien in La- teinamerika. Teil 1: Mexiko 1555-1897. Paderborn, 1984, 14.

16 Dieser Zweischritt ist in der ganzen Missionsgeschichte Lateinamerikas zu beobachten. Es scheint so zu sein, dass die Reflexion, die die heutige Missionstheologie gegenüber dem Wert anderer Kulturen durchführt, im großen und Ganzen noch nicht in den Blick kommt und Christentum mit abendländischer Christenheit gleichgesetzt wird (Vgl. die Diskussion um den Begriff der Christenheit in der heutigen Missionstheolo- gie). Das spielt sich auch darin wieder, dass Kultur als christlich-abendländische Kultur nur im Singular verwendet wurde.

17 Pietschmann (1984), 15.

18 Pietschmann (1984), 32.

19 Der Ausdruck ’Synkretismus’ wird in dieser Arbeit in Folge einer kulturanthropologischen Sicht der Evan- gelisierung nicht als negativ angesehen. Im Gegenteil erscheint der Synkretismus auf dem Weg zu einem inkulturierten Christentum als notwendiger Schritt. Vgl.: Luzbetak, Louis J.: The Church and Cultures. New Perspectives in Missiological Anthropology. Maryknoll, 1988, 391-393.

20 Pietschmann (1984), 30.

21 Pietschmann (1984), 31.

22 Marzal, Manuel M.: La utopia posible: indios y jesuitas en la América colonial (1549-1767). Lima, 1992, Bd. 1, 18.

23 Vgl. Mora Mérida (1994), 393f..

24 Bangert, William: A history of the Society of Jesus. 2. Ausgabe. Saint Louis, 1986, 93.

25 Im portugiesischen Brasilien hat es neben den schon erwähnten Wandermissionen schon unter Nobrega und Anchieta dort aldeias genannte feste Missionsstationen gegeben, vgl. Bangert (1986), 92.

26 Die konkreten Unterschiede zwischen dem Experiment von Juli und späteren Reduktionen liegen zum einen in der rechtlichen Struktur begründet, da die Ind´ıgenas als encomenderos der Rey zur Mit’a verpflichtet waren und zum anderen in der deutlich anderen Kultur und Lebensweise der Quechua, die die inkaische Hochkultur hervorgebracht haben.

27 Bangert (1986), 256.

28 Vgl. Bangert (1986), 260.

29 Armani, Alberto: Ciudad de Dios y Ciudad ell sol. El ’Estado’ jesuita de los guaran´ıes (1609-1768). Ciudad de México, 1988, 62.

30 An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Provinz Paraquaria nicht identisch mit dem Gebiet der heutigen Republik Paraguay gewesen ist. Vielmehr umfasste sie außer Paraguay auch Teile der heutigen Staaten Argentinien, Brasilien, Uruguay und Boliviens.

31 Bei der Darstellung folge ich Caraman, Philip: Ein verlorenes Paradies: der Jesuitenstaat in Paraguay. München, 1979, 22ff..

32 Caraman (1979), 34.

33 Vgl. Caraman (1979), 46.

34 Ich folge im weiteren Caraman (1979), 53-65.

35 Caraman (1979), 84.

36 Astrain, Antonio: Jesuitas, guaranies y encomenderos: historia de la Compañ´ıa de Jesús en el Paraguay. Asunción, 1995, 151.

37 Vgl. Caraman (1979), 94-102.

38 Caraman (1979), 102.

39 Caraman (1979), 101.

40 Vgl. Astrain (1995), 249.

41 Vgl. Prien (1978), 368f..

42 Man findet in der Benennung sowohl der Bewohner wie auch dieser Gegend selbst verschiedene Varianten. Die Region wird entweder Chiquitos oder Chiquitania genannt. Die Bewohner von heute nennen sich Chi- quitanos, während man für die jesuitische Zeit zwischen Chiquitos, die schon vor der Reduktion Chiquito gesprochen haben, und Chiquitanos, die erst nach einer Zeit der Transkulturation das Chiquito als Sprache der Reduktionen angenommen haben, unterscheidet (vgl. dazu Tomichá Charupá, Roberto: La primera evangelización en las reducciones de Chiquitos (1691-1767). Protagonistas y metodolog´ıa misional. Rom, 2000, 231).

43 Tomichá Charupá (2000), 516.

44 ”Fundante“isthierineinemzweifachenSinnzuverstehen.AlsPhasederGründungenundalsPhaseder Grundlegung.

45 Tomichá Charupá (2000), 518.

46 Tomichá Charupá (2000), 521.

47 Daraus ergaben sich dann in der Folgezeit Probleme, die den jurisdiktionellen Status der Chiquitos-Missionen betraffen. Die endgültige Entscheidung für die Zugehörigkeit zu Paraguay sollte der P. General González 1696 treffen, vgl. Tomichá Charupá (2000), 527.

48 Tomichá Charupá (2000), 528f..

49 Tomichá Charupá (2000), 526.

50 ”Asentamiento“bedeutetindiesemFallsovielwie ”inBesitznahme“.

51 Für das folgende vgl. Tomichá Charupá (2000), 540-544.

52 Hechizeros wurden die Schamanen oder Zauberer der verschiedenen chiquitischen Stämme genannt, deren Funktionen noch genauer erläutert werden.

53 Tomichá Charupá (2000), 543.

54 Tomichá Charupá (2000), 559.

55 Genauer gesagt war es nicht eine Sprachform, sondern am Ende der Reduktionszeit existierten vier große Dialekte, wobei sich jedoch viele einzelne Stämme ihren Partikulardialekt beibehielten.

56 Tomichá Charupá (2000), 233.

57 Kultur kann man mit Luzbetak (1988) wie folgt definieren: “[...] culture is (1) a plan (2) consisting of a set of norms, standards, and associated notions and beliefs (3) for coping with various demands of life, (4) shared by a social group , (5) learned by the individual from the society and (6) organized into a dynamic (7) system of control.“(56)

58 Tomichá Charupá (2000), 256.

59 Tomichá Charupá (2000), 318. P. Tomichá zitiert an dieser Stelle einen Bericht eines Jesuiten an den König von Spanien über die Reduktionen.

60 Tomichá Charupá (2000), 321f..

Ende der Leseprobe aus 98 Seiten

Details

Titel
Ich bin Missionar, weil ich singe, spiele und tanze
Untertitel
Zur musikgestützten Evangelisierung in den Jesuitenreduktionen
Hochschule
Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main  (Seminar f. Praktische Theologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
98
Katalognummer
V25896
ISBN (eBook)
9783638283977
ISBN (Buch)
9783656202400
Dateigröße
903 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Diplomarbeit umfasst drei Teile. Der erste gibt einen Überblick über die Evangelisierung in den Reduktionen der Jesuiten in Lateinamerika mit einem besonderen Augenmerk auf die Chiquitanos(Bolivien). Der zweite Teil betrachtet dann die Musik in den Reduktionen musikwissenschaftlich, in ihrer lebenspraktischen Bedeutung und ihrer missionstheologischen Reflexion. Der dritte Teil abstrahiert von diesem missionshistorischen Befund und entwirft Kriterien für eine musikgestützte Evangelisierung.
Schlagworte
Missionar, Evangelisierung, Jesuitenreduktionen
Arbeit zitieren
Marc-Stephan Giese (Autor:in), 2004, Ich bin Missionar, weil ich singe, spiele und tanze, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25896

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