Carcinogenese durch Viren


Facharbeit (Schule), 2010

62 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I Molekulare Grundlagen der Carcinogenese

1 Carcinogenese - ein Mehrstufenprozess
1.1 Hautcarcinogenese bei Mäusen
1.2 Tumorinitiation
1.2.1 Tumorsuppressorgene
1.2.2 Onkogene
1.2.3 Mutagene Faktoren
1.2.4 Die unbegrenzt teilungsfähige Zelle - Zielscheibe von genetischen Veränderungen .
1.3 Tumorpromotion
1.3.1 Einfluss auf die zelluläre Expansionsrate .
1.3.2 Bedeutung der Promotion
1.4 Tumorprogression
1.4.1 Progression nach dem Darwinschen Modell .
1.4.2 Krebsstammzellen vs. Klonale Evolution .
1.4.3 Kennzeichen von Krebszellen
1.4.4 Der Einfluss des Alters

2 Mechanismen der viralen Carcinogenese
2.1 Verschiedene Infektionsarten und deren Auswirkungen auf die Zelle
2.2 In vitro - Transformation durch Viren
2.3 Warum transformieren Tumorviren Zellen?
2.4 Direkte Mechanismen
2.4.1 Virale Onkogene
2.4.2 Aktivierung von Proto - Onkogenen
2.4.3 Virusintegration und genetische Instabilität
2.5 Indirekte Mechanismen
2.5.1 Chronische Entzündung
2.5.2 Unterdrückte Immunantwort

II Zelltransformation durch Tumorviren

3 Epstein - Barr - Virus (EBV)
3.1 Infektion
3.2 Verhalten von EBV in vitro
3.3 Das Burkitt - Lymphom (BL)
3.3.1 Molekulare Mechanismen der Lymphomentstehung
3.3.2 BL und Malaria
3.4 Weitere EBV - assoziierte Tumoren
3.4.1 Nasopharynx - Carcinom
3.4.2 Hodgkin - Lymphom

4 Humane Papillomaviren (HPV)
4.1 Aufbau
4.2 Infektion
4.3 Transformation durch HPV
4.3.1 Das „high - risk“ E6 - Protein
4.3.2 Das „high - risk“ E7 - Protein
4.4 HPV und Gebärmutterhalskrebs

Schlussgedanke

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Die Menschen werden älter. Und sie wollen immer älter werden. Beinahe täg- lich können wir in den Tageszeitungen von 100 - jährigen Geburtstagsfeiern rüstiger Senioren lesen. Wir leben im Zeitalter der Verjüngungskuren, Anti - Age - Cremes und des Fitnesskults. Sie, werter Leser, wollen womöglich auch alt werden? Für die Aussicht auf ein weitgehend gesundes Alter ist es sehr beruhigend, dass wir immer besser in der Lage sind viele Krankheiten zu besiegen. Jedoch steigert die erhöhte Lebenserwartung auch deutlich das Krebsrisiko und so ist die Bedeutung von Krebserkrankungen in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Obwohl im Bereich der Forschung groÿe Anstreng- ungen unternommen werden, diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen, sind noch immer viele Probleme ungelöst. Und so stellt Krebs weiterhin eine zen- trale medizinische und vor allem menschliche Herausforderung dar.

Ein wichtiger Ansatz zur Krebsprävention sind die Bemühungen, Infektionskrankheiten vorzubeugen, denn schätzungsweise 20 % der Krebserkrankungen können auf Viren zurückgeführt werden. Diese Arbeit wird sich mit den Mechanismen auseinandersetzen, die bei der Beteiligung von Viren an der Krebsentstehung eine Rolle spielen.

Ein so komplexes Gebiet bedarf einer fundierten Grundlagenschaffung in den allgemeinen Prinzipien der Carcinogenese. Deshalb widme ich diesem Thema einen erheblichen Teil meiner Arbeit.

Teil I Molekulare Grundlagen der Carcinogenese

Kapitel 1 Carcinogenese - ein Mehrstufenprozess

Erst einmal sollten wir die Frage klären, was man eigentlich unter einem Tumor versteht.

Tumoren sind Gewebswucherungen, die entweder gutartig oder bösartig sein können. Allgemein versteht man unter einem gutartigen Tumor eine gewebs- begrenzte, unkontrollierte Zellvermehrung, während ein bösartiger Tumor auch in umgebendes Gewebe eindringt (Invasivität) und sich an anderen Stellen im Körper absiedelt (Metastasierung) (5, S.541). Bösartige Tumoren werden „Krebs“ genannt. Wenn es sich um gutartige oder bösartige Gewebs- wucherungen der B - Zellen handelt, heiÿen diese auch „Lymphom“, bösartige Tumoren der Epithelzellen tragen den Namen „Carcinom“. Epithelgewebe be- deckt einerseits Hohlräume und Kanäle innerhalb des Körpers wie z.B. den Gebärmutterhals, bildet aber auch die äuÿere Hautschicht des Körpers (7, S.28). Im engeren Sinne ist mit „Carcinogenese“ die Bildung eines Carcinoms, also eines Epithelzelltumors gemeint. Jedoch wird der Begriff „Carcinogenese“ auch allgemein für die Entstehung maligner Tumoren verwendet. In diesem letzterem Sinne wird der Begriff in meiner Abhandlung gebraucht.

KAPITEL 1. CARCINOGENESE - EIN MEHRSTUFENPROZESS 6

1.1 Hautcarcinogenese bei Mäusen

Als Einführung betrachten wir Modelluntersuchungen an der Mäusehaut, die schon in den 40er Jahren im Zentrum experimenteller Forschung stan- den. Dabei wurde insbesondere die Rolle der carcinogenen polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK) und von Crotonöl untersucht, wel- ches stark hautreizende Verbindungen enthält. Bei diesem Versuch fand man heraus, dass durch das Aufpinseln einer einmaligen, niedrigen Dosis PAK auf die Mäusehaut keine Hauttumoren induziert werden konnten. Genauso vermochten durch mehrmaliges Aufpinseln von Crotonöl hervorgerufene Ent- zündungen keine Tumorentstehung zu verursachen. Vielmehr mussten beide Substanzen aufgetragen werden, und das in einer bestimmten Reihenfolge. So konnten gutartige Hauttumoren (Papillome) nur dann entstehen, wenn erst PAK und danach das Crotonöl verwendet wurden (4, S.194). Anfangs jedoch verschwanden die kleinen Tumoren nach Beendigung der Crotonölbe- handlung immer wieder. Nachdem allerdings das Bestreichen der Papillome mehrere Wochen fortgesetzt wurde, konnte sich das Tumorwachstum ver- selbstständigen und eine weitere Stimulation mit Crotonöl war nicht mehr notwendig (siehe Abb. 1.1) .

Aus diesen Versuchsprotokollen wurde folgendes abgeleitet:

Die Entstehung eines Carcinoms bei Mäusen kann in 3 Stufen eingeteilt wer- den: Die Initiation durch PAK, die Promotion durch Crotonöl und die Pro- gression.

- Stufe 1 : Initiation (≈ Beginn, Anstoÿ) ⇔ PAK rufen eine langlebige (nicht von den DNA - Reparaturmechanismen korrigierte) genetische Veränderung hervor.

- Stufe 2 : Promotion (≈ Unterstützung, Beförderung) ⇔ Crotonöl sti- muliert die Zellproliferation, also Wachstum und Teilung der initiierten Zellen, da diese durch die Veränderung des Erbguts (Mutation) einen Wachstumsvorteil gegenüber den nicht - initiierten Zellen haben. Die Wirkung des Promotors beruht also auf einem reversiblen, nicht - ge- netischen Effekt. Der Promotor in diesem Modell darf nicht mit den DNA - Sequenzen verwechselt werden, welche die Transkription eines Gens regulieren und ebenfalls (Transkriptions -) Promotoren heiÿen.

- Stufe 3 : Progression (≈ Weiterentwicklung) ⇔ Stadium, bei dem durch eine zweite, von der ersten unabhängigen genetischen Veränderung das Zellwachstum nicht mehr vom Promotor abhängt (7, S.435 ff.).

Abbildung 1.1: Protokolle zur Induktion von Hautkrebs bei Mäusen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dies konnte auch dadurch erreicht und beschleunigt werden, indem das Papillom erneut mit dem erbgutverändernden Initiator behandelt wurde und dadurch eine weitere Mutation entstand.

Der Begriff „Progression“ wird aber auch allgemein dazu verwendet, den mehrstufigen Entwicklungsprozess von einer normalen Zelle zur Krebszelle zu beschreiben. Dabei sind in der Regel deutlich mehr als zwei genetische Veränderungen notwendig.

Später konnte in weiteren Tierexperimenten nachgewiesen werden, dass die genannten 3 Stufen auch bei Tumoren anderer Organe vorliegen (4, S.194). Zwar kann von diesem Modell nicht zwingend auf analoge Mechanis- men in der Carcinogenese beim Menschen geschlossen werden, jedoch lieferte es einen wichtigen Ausgangspunkt im Verständnis des mehrstufigen Krebs- entstehungsprozesses. Im Folgenden wird an dieses Modell angeknüpft und der heutige Kenntnisstand über die Carcinogenese erläutert.

1.2 Tumorinitiation

Die Initiation repräsentiert eine irreversible, genetische oder epigenetische Veränderung in einem Gen. Eine epigenetische Veränderung ist dabei eine Abwandlung in der Genexpression (Transkription eines Gens) bzw. des Phä- notyps, ohne dass sich die DNA - Sequenz ändert (z.B. Promotormethylie- rung).

Die betroffenen Gene sind in der gesunden Zelle für den geordneten Ablauf des Zellzyklus zuständig. Sie regulieren beispielsweise Zellteilung oder auch die Apoptose, den Mechanismus des programmierten Zelltodes, bei welchem beschädigte Zellen sich selbst zerstören. Eine wichtige Rolle in den erwähnten Prozessen spielen die sogenannten Tumorsuppressorgene und Proto - Onko- gene.

1.2.1 Tumorsuppressorgene

Ein Tumorsuppressorgen definiert sich über die Konsequenzen, die ein Defekt dieses Gens auf den Organismus hat. So trägt der Ausfall eines Tumorsup- pressors entweder direkt zur malignen Transformation bei oder begünstigt durch resultierende Fehlfunktion der DNA - Reparatur zumindest die Anhäu- fung von nicht reparierten Mutationen, was in einer Tumorbildung münden kann (4, S.97). Mit Transformation ist dabei der Umwandlungsprozess einer

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1.2: Verlust der Heterozygotie durch mitotische Rekombination am Beispiel des Tumorsuppressors Rb. Am Anfang dieses Vorgangs liegt das Gen Rb in zwei verschiedenen Genvarianten vor (Heterozygotie), einem intakten Allel und einem defekten. Genetisches Material kann nach der DNA - Replikation mittels Crossing - Over zwischen zwei homologen Chromo- somen ausgetauscht werden. Mit 50 % - iger Wahrscheinlichkeit liegen am Ende zwei Zellen mit jeweils identischen Allelen des Gens vor (Ho- mozygotie), also einmal mit zwei defekten und einmal mit zwei intakten Varianten.

normalen Zelle in eine Zelle gemeint, welche einige oder viele Merkmale einer Krebszelle besitzt (7, G:19). Die Inaktivierung eines Tumorsuppressor - Gens ist ein Beispiel dafür, dass die Initiation auch aus zwei oder mehr Teilschrit- ten bestehen kann. Das liegt daran, dass der Ausfall einer Genkopie oft von der anderen Genvariante (Allel) auf dem homologen Chromosom so gut kom- pensiert werden kann, dass keine signifikanten Veränderungen auftreten. Aus diesem Grund müssen also beide Allele inaktiviert werden. Die erste Genko- pie wird oft durch epigenetische Methylierung des Promotors oder durch eine Mutation stillgelegt, es kann aber auch schon ein nicht funktionsfähiges Allel vererbt worden sein (7, S.415). Im Normalfall ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide Allele durch eine zufällige Mutation deaktiviert werden, extrem gering. Jedoch fand man heraus, dass nach dem Ausschalten der ersten Genkopie das zweite Allel mit einer vergleichsweise deutlich höheren Wahrscheinlich- keit stillgelegt wurde. Für das Abschalten der zweiten Genkopie sind norma- lerweise sogenannte „Verlust der Heterozygotie“ (LOH) - Vorgänge zuständig. LOH umfasst die Mechanismen mitotische Rekombination (siehe Abb. 1.2), Genkonversion, Verlust der das Gen beinhaltenden Chromosomenregion und fehlerhafte Chromosomensegregation während der Mitose. Bei der Genkon- version verwendet die DNA - Polymerase wie gewöhnlich einen Strang des Chromosoms als Vorlage für die Synthese eines Tochterstrangs. Doch wäh- rend der Replikation kann die Polymerase auf einen Strang des homologen Chromosoms springen und diesen als Vorlage für die weitere Synthese benut- zen. Auf die gleiche Art und Weise kann die Replikation am ursprünglichen Strang fortgesetzt werden, wenn die DNA - Polymerase nach einiger Zeit wie- der zurückspringt. Nun kann es vorkommen, dass die übersprungene Region der ursprünglichen Vorlage das funktionsfähige Tumorsuppressorgen bein- haltet und damit der zwischendurch synthetisierte Abschnitt des homologen Chromosoms das defekte Allel enthält. Somit kann die neu synthetisierte DNA ein in beiden Allelen deaktiviertes Tumorsuppressorgen enthalten, was zur Tumorentstehung beitragen kann (7, S.216 ff.).

1.2.2 Onkogene

Nicht nur Tumorsuppressoren, sondern auch sogenannte Proto - Onkogene können für die Tumorbildung ausschlaggebende genetische Veränderungen erwerben. Dabei handelt es sich um normale zelluläre Gene, die als Wachs- tumskontrolleure fungieren und damit in jedem gesunden Organismus eine unverzichtbare Rolle spielen. Infolge von Mutationen oder Aktivierung durch virale Sequenzen können sie sich aber in Onkogene umwandeln (genauere Be- handlung in 2.4). Onkogene sind in der Lage, Zellen zu transformieren und damit maligne Tumoren zu induzieren (7, G:16 ff.). Sie spielen deshalb neben den Tumorsuppressorgenen eine entscheidende Rolle in der Carcinogenese. Proto - Onkogene können auf verschiedene Weise zu Onkogenen aktiviert werden:

- Mutationen im Transkriptionspromotor und/oder „im Gen selbst“. Die Aktivierung kann also sowohl durch (transkriptions)regulatorische als auch durch strukturelle Mechanismen erfolgen. Dabei reicht manchmal eine Punktmutation, d.h. die Veränderung einer einzigen Base (siehe Abb. 1.3).
- Integration von Virus - DNA in das Wirtszellgenom, wobei das Virus selbst ein Onkogen mitbringt oder durch regulatorische Sequenzen ein zelluläres Proto - Onkogen aktiviert (genauere Behandlung in Abschnitt 2.4).
- Chromosomale Translokation: Darunter versteht man eine Genortsveränderung, wodurch ein Proto - Onkogen unter den Einfluss aktivierender regulatorischer Sequenzen geraten kann. Ein Beispiel dafür wird in Abschnitt 3.3.1 behandelt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1.3: Zur Umwandlung des Proto - Onkogens ras in ein Onkogen ist nur eine Punktmutation nötig.

- Amplifikation von Genen: Ein genetischer Mechanismus, bei dem eine gewisse DNA - Region bevorzugt repliziert wird. Infolgedessen kann ein Gen in mehreren Kopien „nebeneinander“ vorliegen und wird dann häufig stärker exprimiert, d.h. das aus dem Gen entstehende Protein wird in gröÿerem Maÿstab gebildet.
- Deregulierter Transkriptionsfaktor des Gens: Transkriptionsfaktoren sind Proteine, welche die Regulation eines Gens übernehmen, indem sie an den Transkriptionspromotor binden. Durch Veränderung des Tran- skriptionsfaktors kann die Expression des assoziierten Gens gesteigert werden (7, S.103 ff.).

1.2.3 Mutagene Faktoren

Mutagene sind Faktoren, welche Mutationen auslösen, also allgemein das Erbgut verändern können. Der menschliche Körper muss sich stets mit ei- ner Vielzahl solcher Mutagene sowohl exogener („auÿen entstandener“) als auch endogener („im Inneren erzeugter“) Natur auseinandersetzen. Beispiele für exogene Faktoren sind chemische Carcinogene oder ionisierende Strah- lung. Chemische Carcinogene werden meistens nach dem Eindringen in den Körper enzymatisch zu Produkten umgewandelt, welche durch chemische Re- aktionen die DNA schädigen können. Dies kann nicht nur genetisch, sondern auch epigenetisch erfolgen, indem z.B. Basen alkyliert werden. Ionisierende Strahlen sind in der Lage, Elektronen freizusetzen oder sogenannte Reaktive Sauerstoffspezies (ROS, „reactive oxygen species“) zu bilden, welche die DNA attackieren können. Zu den ROS gehören insbesondere das Hyperoxidradikal

-O−2 , Wasserstoffperoxid H202, und das Hydroxylradikal -OH (4, S.196). Diese Moleküle entstehen nicht nur bei Kontakt mit ionisierender Strahlung, sondern auch als Zwischenprodukte im Rahmen der Zellatmung in den Mito- chondrien. So ist es möglich, dass diese Substanzen aus dem Mitochondrium entweichen und die DNA durch Oxidation von Nukleinbasen schädigen (7, S.481). Wenn die ROS als Zwischenprodukte der Zellatmung anfallen, werden sie zu der Gruppe der endogenen Mutagene gezählt.

In den allermeisten Fällen können die Schäden vom DNA - Reparatursystem behoben werden, doch wie bereits angesprochen, kann manchmal schon eine nicht behobene Punktmutation zur Entstehung eines Onkogens führen. Gera- de wenn bereits erbliche oder erworbene Mutationen vorliegen, die genetische Instabilität hervorrufen, ist die Initiation begünstigt (4, S.199). Genetische Instabilität beruht auf dem Versagen einer Reihe verschiedener Mechanis- men, welche für die Integrität des Genoms verantwortlich sind. Dazu gehören beispielsweise ein defekter mitotischer Apparat oder fehlerhafte DNA - Re- paratur. Dies kann zu numerischen Chromosomenaberrationen (Aneuploidie) und Genmutationen führen.

Entgegen der allgemeinen Meinung sorgen endogene Prozesse in viel gröÿerem Maÿe für Mutationen als exogene Mutagene. So können, neben den bereits erwähnten ROS, auch Wasserstoff - und Hydroxidionen die DNA angreifen. Diese liegen in jeder gesunden Zelle in geringer Konzentration vor (7, S.479 f.). Die wichtige Rolle von endogenen Faktoren bei der Initiation und allgemein bei der Entstehung von Mutationen untermauert auch die Bedeutung der Tumorpromotion bei der Verhinderung der Tumorentstehung, da Mutationen, im Gegensatz beispielsweise zum Konsum von Ethanol (einem Promotor), nicht grundsätzlich vermeidbar sind.

1.2.4 Die unbegrenzt teilungsfähige Zelle - Zielscheibe von genetischen Veränderungen

Untersuchungen haben ergeben, dass Zellen mit hoher Teilungsfähigkeit der Hauptangriffspunkt für genetische Veränderungen sind. Dabei kann es sich um Stammzellen handeln, aber auch um schon weiter differenzierte Zellen, welche die Fähigkeit zu unbegrenzter Teilung erst im Laufe der Carcinoge- nese erlangt haben (Immortalisierung) (7, S.470). Die Wahrscheinlichkeit für die Initiation in bereits differenzierten Zellen ist gerade dann hoch, wenn z.B. Zellverluste aufgetreten sind, die zu einer kompensatorischen, proliferations- fördernden Reaktion führen. Auch bei Kindern ist die Wahrscheinlichkeit aufgrund des allgemein höheren Zellumsatzes gröÿer (4, S.198).

Stammzellen sind in der Lage Tochterzellen zu erschaffen, welche sich in verschiedene Zelltypen ausdifferenzieren können. Auÿerdem besitzen sie die Fähigkeit, sich unbegrenzt zu teilen. Dieses Potenzial erhalten sie aufrecht, indem sich bei der Zellteilung neben einer weiter ausdifferenzierten sogenann- ten Tochterzelle eine zur Mutterzelle baugleiche Stammzelle bildet.

Während die neu gebildeten Stammzellen an ihrem Ursprungsort blei- ben, können sich die Tochterzellen nun durch nochmalige, zahlenmäÿig aber beschränkte Zellteilungen immer weiter ausdifferenzieren. So kann mithilfe dieser Tochterzelle durch eine einzige Teilung einer Stammzelle eine Vielzahl von ausdifferenzierten Körperzellen entstehen. Dies deckt sich auch mit der Beobachtung, dass Stammzellen groben Schätzungen zur Folge in manchen Geweben nur ca. 0.1 - 1 % der gesamten Zellpopulation ausmachen. Stamm- zellen müssen sich also nur relativ selten teilen, was den maÿgeblichen Vorteil hat, dass sich in ihren Genomen nicht so leicht aus der DNA - Replikation resultierende Mutationen anhäufen können. Wenn Stammzellen in groÿem Maÿe Mutationen ausgesetzt wären, hätte das eklatante Folgen. Das ver- änderte Erbgut würde stetig an sich ebenfalls weiterteilende Tocherzellen weitergegeben werden und aus einer einzigen Stammzelle mit fehlerhaftem Genom würde sich eine immense Anzahl an fehlerhaften Tochterzellen for- mieren.

Im Gegensatz dazu haben sich differenzierende bzw. ausdifferenzierte Zellen nur eine begrenzte Lebenszeit. Mit dem Tod der Zelle verschwinden auch die Mutationen. Aus diesem Grund befinden sich an den mutationsanfälligsten Stellen im Körper auch immer hoch differenzierte Zellen. So sind beispiels- weise die ausdifferenzierten Epithelzellen unserer äuÿeren Hautschicht einer Vielzahl von mutagenen Faktoren wie ultravioletter Strahlung ausgesetzt, während Stammzellen sich im Körper an anatomisch geschützten Stellen befinden (7, S.464 ff.). Es wird auÿerdem vermutet, dass Stammzellen auf Mutationen empfindlicher reagieren als sich differenzierende Zellen. Statt zu versuchen den genetischen Schaden zu reparieren, neigen sie eher dazu den programmierten Zelltod einzuleiten. Auch dies würde eine Anhäufung von Mutationen in Stammzellen verhindern (7, S.471). Trotz dieser Vielzahl an Schutzvorrichtungen lässt es sich jedoch nicht vollkommen verhindern, dass Stammzellen Opfer von genetischen Veränderungen werden und damit den Weg für die Entstehung eines malignen Tumors ebnen können.

1.3 Tumorpromotion

Die Tumorinitiation liefert einer Zelle oft nur einen sehr geringen Wachs- tumsvorteil, sodass sich nur langsam eine Zellpopulation mit der erworbenen Mutation im Genom entwickelt (4, S.197). Jedoch kann die Expansionsra- te durch sogenannte Tumorpromotoren beschleunigt werden. Das Ausmaÿ der Tumorpromotion bestimmt also entscheidend die Wachstumsrate des Tu- mors.

1.3.1 Einfluss auf die zelluläre Expansionsrate

Tumorpromotoren können das Zellwachstum, insbesondere initiierter Zellen, auf verschiedene Weise beeinflussen:

- Promotoren können toxische Wirkung haben. Ein Beispiel dafür ist das bereits angesprochene Ethanol. Durch Genuss von alkoholhaltigen Getränken werden, einmal abgesehen von den Leberzellen, die Epithelzellen in Mund und Hals stark gereizt und sterben zum Teil ab. Als Gegenreaktion auf den Zelltod erhöht der Körper die Teilungsrate von Stammzellen, um den Zellverlust zu kompensieren. Dies eröffnet bereits initiierten Zellen nun die Chance zu expandieren.
- Promotoren können zellteilungsfördernde (mitogene) Wirkung haben. Steroidhormone wie Östrogen, Progesteron oder Testosteron haben solch einen Effekt. Bei der Frau induzieren Östrogen und Progesteron peri- odisch die Zellproliferation im Reproduktionsgewebe. In jedem Mens- truationszyklus vollzieht sich dadurch sowohl eine proliferationsfördern- de als auch eine proliferationshemmende Phase im Wachstum u.a. von Epithelzellen der Brustdrüse. In epidemiologischen Studien konnte fest- gestellt werden, dass bei erhöhter Rate von Menstruationszyklen auch das Risiko für Brustkrebs steigt, da bereits initiierten Epithelzellen der Brust die Möglichkeit gegeben wird zu expandieren. Hormone, die als Promotoren fungieren, sind im Gegensatz zu Agenzien wie Ethanol en- dogene Promotoren.
- Der dritte Mechanismus trägt der Beobachtung Rechnung, dass Tu- morpromotoren selten rein toxische oder rein mitogene Wirkung ha- ben. Meist wird die Promotion von Mechanismen befördert, mit denen eine chronische Entzündung einhergeht. Die Basis für eine chronische Entzündung liefert ein (chronischer) inflammatorischer Stimulus. Häu- fig wird diese Rolle von einem Infektionserreger eingenommen, welcher meist aufgrund seines Lebensszyklus auch eine cytotoxische Wirkung entfaltet. Ein Beispiel dafür ist das Hepatitis B - Virus (HBV), auf das in Abschnitt 2.5.1 noch näher eingegangen wird. Als Reaktion auf diesen Angriff werden sogenannte Entzündungszellen zum Ort der Ent- zündung rekrutiert, um den Stimulus zu bekämpfen. Entzündungszellen repräsentieren eine Reihe verschiedener Arten weiÿer Blutkörperchen. Sie sind für die Abtötung von Erregern, beschädigten und infizierten Zellen zuständig. Auÿerdem setzen sie einen komplexen „pathway“ zur Synthese von anti - apoptotischen und zellteilungsfördernden Protei- nen sowie von bestimmten Gewebshormonen in Gang, welche für das Herausbilden diverser Krebszellphänotypen sorgen. Die genannten Eigenschaften (Erläuterung in Abschnitt 2.2) ähneln stark den Auswirkungen eines Onkogens auf eine Zelle. Jedoch handelt es sich hierbei interessanterweise um völlig verschiedene Mechanismen, auch wenn der Phänotyp bei der Wirkung eines Onkogens und der eines Tumorpromotors fast identisch ist (7, S.439 ff.). Nur bei einer chronischen Infektion hält dieser promovierende Zustand über einen längeren Zeitraum an, sodass sich initiierte Zellen vermehren können.

[...]

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Carcinogenese durch Viren
Note
1
Autor
Jahr
2010
Seiten
62
Katalognummer
V190494
ISBN (eBook)
9783656199120
ISBN (Buch)
9783656200277
Dateigröße
2860 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
carcinogenese, viren
Arbeit zitieren
Mathis Camerer (Autor:in), 2010, Carcinogenese durch Viren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190494

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