Medea - Ein Vergleich der Werke von Euripides und Christa Wolf


Facharbeit (Schule), 2006

20 Seiten, Note: 13 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitungsgedanke:

Die Faszination des Medea-Mythos

1. Gattungsspezifische Unterschiede zwischen Roman und gespieltem Drama

2. Thematische Unterschiede
2.1 Euripides
2.1.1 Medeas besondere Aktivität im Drama: Rolle, Lebensvorstellungen, Lösungen
2.1.2 Intention des Euripides
2.2 Christa Wolf
2.2.1 Medeas besondere Aktivität im Roman: Rolle, Lebensvorstellungen, Lösungen
2.2.2 Bezug der Figur Medea zu Christa Wolfs Biographie

3. Vergleich der Motive und Themen von Euripides’ „Medea“ mit Christa Wolfs „Medea. Stimmen“

4. Literaturbetrieb in der DDR

Schlussgedanke: Bedeutung des letzten Ausrufes der Medea in Christa Wolfs Roman

Literaturverzeichnis

Einleitungsgedanke: Der Medea-Mythos

Medea, ein Mythos, der die Menschen seit bereits über zweieinhalbtausend Jahren bewegt und fasziniert: Durch alle Epochen setzte Medea ihre ikonographische Präsenz durch1. So inspirierte sie seit ihrer ersten Erwähnung an der Schwelle des 7. vorchristlichen Jahrhunderts in der Theogonie Hesiods2 immer wieder zum Neuerzählen ihrer Geschichte.

Der Sage nach ist Medea eine kolchische Königstochter, die dem Führer des Argonautenzuges Jason, einem Königssohn aus Iolkos, mit ihren Zauberkräften hilft, das Goldene Vlies zu entführen, weswegen er nach Kolchis gesandt worden war. Medea verliebt sich in Jason und flieht nach dem Verrat an ihrem Vaterland mit ihm. Nachdem die beiden auch aus Iolkos vertrieben werden, als Opfer einer Intrige des Pelias, Jasons Onkel, finden sie in Korinth Asyl. Dort werden sie freundlich empfangen von König Kreon. Sie leben hier einige Jahre lang glücklich bis Jason sich in die Königstochter Kreusa, auch Glauke genannt, verliebt und seine gedemütigte Gattin Medea verlässt. Daher sinnt diese auf Rache. Euripides, welcher 431 v.Chr. das erste Drama über Medea verfasste, dichtete ihr den Mord an ihren eigenen beiden Söhnen an3, mit welchem sie bezweckte, ihren untreuen Ehemann für immer zu vernichten. Dieser gelungene dramaturgische Kunstgriff ging dauerhaft in den Mythenstoff um Medea ein und wurde in späteren Medea-Bearbeitungen meist fester Bestandteil der Handlung4. So wurde aus der ursprünglich zauberkundigen Helferin eine böse Hexe und skrupellose Verbrecherin.

Doch gegen Ende der 70er Jahre setzte ein bis heute anhaltender „Medea-Boom“ ein, wobei feministisch orientierte Medea-Texte mit ungewohnten Perspektiven spielen und den Mythos neu erzählen5. So zum Beispiel die Autorin Christa Wolf: In ihrer 1996 geschriebenen Fassung der Medea hält sie sich nicht an die Vorgaben des Euripides, sondern sie nimmt Medea in Schutz.

Diese Arbeit wird nun in ihrem weiteren Verlauf die euripideische Medea mit Christa Wolfs „Medea. Stimmen“ verglichen.

1. Gattungsspezifische Unterschiede

Bei Euripides’ Medea handelt es sich um eine griechische Tragödie, die früheste Gattung des Dramas, welche ihre Blütezeit im 5. Jh. v. Chr. hatte6. In ihr findet das Menschenbild der Antike Ausdruck. Entweder das Schicksal oder die Götter bringen den Helden in einen unvermeidlichen und unausgleichbaren Konflikt, welcher zum tragischen Scheitern des Protagonisten führt. Der Held erfährt seine Grenzen bewusst. So wurde dem Publikum gezeigt, dass der Mensch nicht immer nur die guten Seiten des Lebens erfahren kann, sondern auch dessen dunklen Seiten. Versucht der Mensch allerdings seine Grenzen zu sprengen, gerät er in Gefahr. Denn dadurch stellt er sich gegen die Götter, was Hybris ist. Er steht also in einer Urschuld, was bedeutet, dass der Mensch allein durch sein Sein schuldig ist, also keine persönliche Schuld trägt. Somit ist die Tragödie nicht nur für die Unterhaltung verantwortlich, sondern in erster Linie hat sie einen erzieherischen Charakter.

Ursprünglich diente die Tragödie dazu, den griechischen Weingott Dionysos in einem rituellen Fest mit dem Bocksgesang zu ehren. Aus diesem Gesang entwickelte sich der Chor, welcher fester Bestandteil der griechischen Tragödie ist. Der Aufbau folgt dem Grundschema:

- Prolog(os)
- Parodos (Eingangslied des Chores)
- 4-6 Epeisodien, welche durch je ein Stasimon unterbrochen sind
- Exodos

Der Prolog dient zum einen der Exposition der Vorgeschichte und zum anderen warnt er vor der unmittelbar drohenden Gefahr. Auch wird bereits hier die bestehende Situation geschildert.

Der Parodos ist das Lied des Chores, welches er beim Einzug auf die Bühne singt. Die Funktion des Chores ist es, Informationen über das Geschehen zu geben, das Geschehen und die Charaktere zu reflektieren und Andeutungen auf die weitere Handlung zu machen.

Ein Epeisodion ist ein Teil mit gesprochenen Dialogen bzw. Monologen der Schauspieler, der zwischen zwei Chorgesänge eingeschaltet wurde. Diese Chorgesänge werden Stasimona genannt. Hier singt der Chor, während er schon auf der Bühne steht, zwei Strophen. Die erste Strophe ist allgemein, wohingegen die Gegenstrophe sich auf das aktuelle Thema, also die Handlung im Drama bezieht. Exodos wird das Lied zum Auszug des Chores genannt. Hier treten der Chor und die Hauptpersonen ein letztes Mal auf. Ein Element des Exodos ist der ‚Deus ex machina’, der die Verwicklung der Szene bzw. die Konstellation des Dramas löst, indem künstlich ein Gott geschaffen wird. Diese Grundstruktur des Dramas konnte nicht geändert werden und somit führt der lineare Handlungsablauf zwingend dazu, dass Parallelhandlungen oder andere wichtige Ereignisse, welche unter Umständen zu grausam waren, um auf der Bühne dargestellt zu werden, anderweitig dargestellt werden mussten. Eine Möglichkeit dafür ist die Teichoskopie (Mauerschau), auch Botenbericht genannt. Er enthält oft epische Elemente des Erzählens. Euripides problematisiert in seinen Tragödien die Beziehung zwischen menschlichem und göttlichem Sein. Weiterhin herrschen die Konflikte der Menschen, ihre Klage und Anklage der Weltordnung vor7.

Christa Wolfs „Medea. Stimmen“ besteht aus elf inneren Monologen, den Stimmen, also aus elf unabhängigen Einzelaussagen. Dadurch hat Christa Wolf ein zentrales Element des Dramas für die epische Gestaltung ihrer Medea übernommen8. Jedoch „unterläuft der innere Monolog die klassische Unterscheidung der Gattungen Epik, Dramatik und Poesie“, so Michael Niehaus9. Daher fällt es schwer, dieses Werk einer bestimmten literarischen Gattung zuzuordnen. Allerdings wird Wolfs Medea im Titel als Roman bezeichnet. Die zeitlich aufeinander folgenden Monologe haben auch durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Briefroman mit mehreren Personen, jedoch passt das unmittelbare Aufeinanderfolgen der Monologe und das vorangestellte Personenverzeichnis mehr zu einem dramatischen Text10.

Birgit Roser bemerkt hierzu, dass die Mottos, die vor den einzelnen inneren Monologen stehen, nichtfiktionale Texte sind, die Wolf unverändert in ihren literarischen Text übernahm, wodurch ein weiterer Schritt zur Aufhebung der Gattungsgrenzen gemacht wurde11.

Zusammenfassend kann man sagen, dass „Medea. Stimmen“ ein als Roman bezeichnetes Werk ist, welches jedoch auch dramatische Elemente enthält, also eher eine Mischform der Gattungen ist.

2. Thematische Unterschiede

2.1 Euripides

2.1.1 Medeas besondere Rolle im Drama: Rolle, Lebensvorstellungen, Lösungen

Euripides greift in seinem Werk auf bereits bestehenden Sagenstoff um Medea zurück. In seinem Drama geht es um eine Medea, Königstochter des Aites und Enkelin des Sonnengottes Helios, welche „für Jason“, den fremden Argonautenführer, „heiß in wilder Liebesglut entbrannte“12. Dieser kam in ihre Heimat Kolchis, um das Goldene Vlies zu entführen. Medea hilft Jason bei dieser Entführung und begeht somit Verrat an ihrem Vaterland. Schließlich verlässt sie aus Liebe zu Jason mit ihm gemeinsam ihre Heimat. Auf der Flucht werden die beiden von Medeas Bruder und seinen Gefolgsleuten verfolgt, um sie zurückzuholen. Doch Medea lockt ihren eigenen Bruder in eine Falle, so dass er zu Tode kommt. Seine zerstückelten Glieder wirft sie ihren Verfolgern entgegen, um diese abzuschütteln. Nachdem Medea und Jason sich in Korinth niedergelassen haben, heiraten die beiden und bekommen zwei Söhne. Während sich Medea als „Fremdling fügen muss in des Landes Art“13 und von der Königstochter schlagartig zu einem Nichts wurde, einer Heimatlosen ohne soziale Einbindung in die Tradition eines Landes und ohne die Würde einer Frau, so verliebt Jason sich in Kreusa oder auch Glauke genannt, die Tochter des korinthischen Königs Kreon. Medea „sieht sich von ihrem Gatten verstoßen“14, und weil sie dadurch abgrundtiefe Enttäuschung empfindet und sich durch die Treulosigkeit ihres Gatten entehrt fühlt, verhält sie sich hier nicht als Dulderin, was auch gerechtfertigt ist, da sie schließlich von ihrem Ehemann betrogen wurde.

Dies ist die Ausgangssituation für Euripides, hier setzt er ein. Die Vorgeschichte lässt er durch die Amme der Söhne reflektieren.

Im weiteren Verlauf des Dramas wird Medea von König Kreon aus Korinth verstoßen, weil sie sich gegen das Königshaus wendet und schlimm vom König redet15, da sie sich in der patriarchalischen Gesellschaft Korinths nicht zurechtfindet. Medea ist völlig isoliert von der Gesellschaft. Diese Verbannung steigert ihre Verzweiflung ins Unermessliche. Doch durch geschickte Reden erreicht Medea einen Tag Aufschub bis zu ihrer Verbannung. In dieser Zeit plant sie aus Hass auf Jason, seine Geliebte und Kreon ihre blutige Rache, denn „ward gekränkt sie in der Ehe heil’gem Recht, giert keine Seel’ auf Erden mehr nach Blut und Mord“16. Zunächst vergewissert sie sich eines Asyls, welches ihr König Ägeus gewähren will. Danach verlässt sie die für sie bestimmte Rolle in der Weltordnung, indem sie an der höchsten Instanz, den Göttern, zweifelt. Medea verlässt sich nun auf ihr Geschick als Frau und führt somit ihre Rache durch: Sie schickt ihre Söhne mit einem Geschenk zu Kreusa, scheinbar um diese milde zu stimmen, damit Medeas Söhne von der Verbannung aus Korinth verschont bleiben. Doch in Wirklichkeit bringen die beiden Jungen Kreusa ein vergiftetes Kleid. Als Kreusa dieses anlegt geht, erleidet sie einen qualvollen Tod und auch ihr Vater, der König, welcher die Tote in seiner Trauer an sich zieht, wird von dem gleichen Schicksal ereilt. Doch dieses reicht Medea nicht aus, sie will Jason in so großes Unglück stürzen, dass er daran zerbricht. Also beschließt sie mit den Worten: „So kränk ich meinen Gatten auf das bitterste.“17, ihre beiden Söhne zu ermorden, obwohl ihr das selbst die größten Schmerzen bereitet. Dennoch siegt die Rachsucht über die Mutterliebe und entgegen der Warnung ihrer treuen Freundin, der Amme, tötet sie im letzten Stasimon die Jungen. Medea als autonomer Mensch handelt hier maßlos, so dass die Welt aus den Fugen geraten muss.

Im Exodus erfährt Jason davon und kommt am Boden zerstört zum Schauplatz. In rasendem Schmerz fleht Jason Medea an, ihm wenigstens die toten Körper seiner Söhne zu lassen, um diese bestatten und beklagen zu können18. Doch Medea verwehrt ihm diesen Wunsch, triumphiert über ihn und flüchtet mit den toten Kindern auf einem Drachenwagen, welcher ihr vom Gott Helios zur Verfügung gestellt wurde und sie „schirmt vor Feindeshand“19.

[...]


1 Göbel-Uotila 2005, S.15.

2 Göbel-Uotila 2005, S.16.

3 Schmalzriedt 1976, S.81.

4 Göbel-Uotila 2005, S.18.

5 Göbel-Uotila 2005, S.21.

6 Dtv-Lexikon 1992, S.260.

7 Dtv-Lexikon 1992, S.261.

8 Krischel 2003, S.74.

9 Krischel 2003, S.73.

10 Krischel 2003, S.73.

11 Krischel 2003, S.74.

12 Euripides 2003, S.5.

13 Euripides 2003, S.13.

14 Euripides 2003, S.5.

15 Euripides 2003, S.20.

16 Euripides 2003, S.14.

17 Euripides 2003, S.35.

18 Euripides 2003, S.54.

19 Euripides 2003, S.52.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Medea - Ein Vergleich der Werke von Euripides und Christa Wolf
Note
13 Punkte
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V193310
ISBN (eBook)
9783656184386
ISBN (Buch)
9783656186236
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
medea, vergleich, werke, euripides, christa, wolf
Arbeit zitieren
Laura Ostermaier (Autor:in), 2006, Medea - Ein Vergleich der Werke von Euripides und Christa Wolf, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/193310

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