Faszination Lernen. Die Rolle der Spiegelneuronen


Masterarbeit, 2011

61 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

ABBÜRZUNGSVERZEICHNIS

NAMENSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 LERNEN
2.1 Definition
2.2 Kurze Übersicht über verschiedene Lerntheorien
2.2.1 Klassisches Konditionieren
2.2.2 Operantes Konditionieren
2.2.3 Soziale Lerntheorien Lernen durch Nachahmung
2.2.4 Zusammenfassung

3 DIE SPIEGELNEURONEN
3.1 Entdeckung
3.2 Was war vor der Entdeckung der Spiegelneuronen?
3.2.1 Die Neurobiologie des Handelns
3.2.2 Feuer im Gehirn
3.2.3 Entwicklung des Spiegelneuronensystems
3.2.4 Hemmung

4 ANNÄHERUNG: SPIEGELNEURONEN UND LERNEN
4.1 Drei Ebenen des Lernens
4.2 Wahrnehmung, die Informationsquelle des Gehirns
4.3 Lernbibliothek Gedächtnis

5 SPIEGELWELTEN KOMPONENTEN
5.1 Resonanz
5.2 Empathie Verstehen und Verständnis
5.3 Verstand contra Gefühl?
5.4 Der Lehrwert des Zuschauens
5.5 Der Lehrwert der Vorstellung
5.6 Unerlässlichkeit von sozialen Interaktionen
5.7 Gespiegelte Kommunikation Hören und Sprache

6 WIE FUNKTIONIERT LERNEN?
6.1 Was ist Lernen aus neurobiologischer Sicht?
6.2 Lernförderndes
6.3 Lernhemmendes
6.4 Spiegelneuronale Lernformen

7 WENN SPIEGELUNGEN NICHT (MEHR) STATTFINDEN
7.1 Mobbing
7.2 Schlaganfall Unfall
7.3 Videotherapie
7.4 Autismus

8 LERNEN UND ZUNEHMENDES ALTER

9 KRITISCHER BLICK AUF DIE SPIEGELNEURONEN

10 FAZIT

11 ANHANG
11.1 Anmerkungen zur Videotherapie
11.2 Das Gehirn
11.2.1 Aufbau des menschlichen Gehirns
11.2.2 Prinzip der Gehirnfunktionen
11.2.3 Aufbau eines Neuron
11.2.4 Prinzip der Neuronen
11.2.5 Aufbau und Aufgabe einer Synapse
11.2.6 Prinzip der Synapsen

12 LITERATURVERZEICHNIS
12.1 Bücher
12.2 Artikel
12.3 DVD's
12.4 CD
12.5 www.Artikel
12.6 www.wikipedia

VORWORT

Die Suche nach einem zu mir passenden Thema der Abschlussarbeit zur Psychologischen Beraterin begann bereits im Sommer 2009, bald nach Beginn des Fernstudienlehrgangs. Mein bestehendes Interesse an den Spiegelneuronen, bereits 2007 durch das Buch von Joachim Bauer „Warum ich fühle, was du fühlst“ geweckt, stellte sich bald in den Mittelpunkt dieses Findungsprozesses, wobei das erste Vorhaben, ihre Funktion aus der Sicht zwischenmenschlicher Beziehungen zu beschreiben, im Bestreben, das Thema einzugrenzen, mehr und mehr Kontur verlor. Die Fülle der Sichtweisen auf die Vielzahl menschlicher Beziehungsformen (z. B. Mutter Kind / männlich weiblich) bewirkte in mir eine Art Leerlauf.

Die Anregung, die Spiegelneuronen aus dem Blickwinkel des Lernens zu untersuchen, brachte Spannung und Motivation ins Geschehen. Wobei die Komik gelang! War doch gerade der Studienbrief Nummer 6 zum Thema Lernen derjenige, durch den ich mich während des Studiums mehr schlecht als recht und mit wenig Erfolg und wahrem Verstehen hindurchgebissen hatte.

Nun bot ich mir anhand meines Interesses an den Spiegelneuronen selbst eine neue Herangehensweise an das Thema Lernen. Und siehe da, es begeisterte mich. Um Lernen im Zusammenhang mit der beruflichen Zukunft als Psychologische Beraterin neu betrachten zu können, bot sich die Entdeckung der Spiegelneuronen und deren Folgen geradezu an. Das wurde während der Ausarbeitung immer deutlicher. Die Entdeckungen der Plastizität des Gehirns, des damit einhergehenden lebenslangen Lernens, der Untrennbarkeit von Kognition und Emotion und der daraus folgernden Erkenntnisse bezüglich Lernen bieten fundamentale Orientierung im Umgang mit Menschen, sowohl jungen als auch älter werdenden, die ihr Wissen von der Welt und von sich selbst ausbilden wollen.

Lernen auf die Sicht der Spiegelneuronen zu beschränken fördert natürlicherweise eine einseitige Perspektive auf das weite Spektrum Lernen. Meiner Ausarbeitung liegt diese Beschränkung zugrunde und lässt andere Lernbereiche bewusst außen vor.

Die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Medien, die ich für diese Arbeit fand und nutzte, bot außer den gesuchten Inhalten die für mich passende Motivation. Ausgehend von oben genanntem Buch des Neurologen, Psychotherapeuten und Mediziners Joachim Bauer und dessen Literaturangaben begann sich in mir und um mich herum ein Netz von Fakten, Wissen und Bildern zu weben, das immer dichter wurde.

Spannende Vorträge von Hirnforschern auf DVD und CD, Internetartikel und unterschiedliche Bücher säumten bereits den Entwicklungsweg der Fragestellungen und der vorläufigen Gliederung bis hin zur Ausarbeitung. Diese Vielfalt bot mir reichlich Nahrung für den Blick auf das Wunder Gehirn. Dabei habe ich mir entgegen den Vorgaben erlaubt, die Nennung der DVD und Internet Quellen im laufenden Text kürzer zu halten und weise bereits hier auf die vollständige Literaturangaben im DVD und www. Anhang hin. Die teilweise unglaubliche Länge der Angaben hätten den Lesefluss deutlich gestört.

Meine Recherchen ergaben, dass für die Pluralbildung des Substantivs „Spiegelneuron“ sowohl Spiegelneurone als auch Spiegelneuronen zulässig ist. Ich bediene mich der letzteren, Spiegelneuronen.

Ich verwende in dieser wissenschaftlich orientierten Arbeit, wo immer es mir möglich ist, eine bilderreiche und verständliche Sprache. Die Kapitel sind in kurze Unterkapitel geteilt, die sowohl die Übersichtlichkeit als auch die leichte Lesbarkeit der Texte fördert. Aufgrund dessen ist das Inhaltsverzeichnis umfangreich. Nach dem Abkürzungsverzeichnis füge ich ein Namensverzeichnis ein von Vertretern der Hirnforschung, die mir bei meinen Recherchen begegnet sind.

Die Ausführungen des 2. Kapitels lehnen sich an den Studienbrief 6 des Fernstudiums zur Psychologischen Beraterin an, das als türöffnender Einstieg dem gewählten Thema dient und nur ein kurzer und damit oberflächlich bleibender Überblick einiger Lerntheorien darstellt. Auch Inhalte des Kapitels Lernen und Gedächtnis stammen aus dem 6. Studienbrief dieses Fernstudiums. Ähnlich fragmentarisch fällt Kapitel 7 „Wenn Spiegelungen nicht (mehr) stattfinden“ aus. Es dient als Hinweis, da mich diese Blick richtung sehr beschäftigte.

Die Fülle des Materials wob in mir eine sehr spezielle Welt. Die Ausarbeitung der Inhalte eröffnete mir Räume, in denen ich mich über viele Monate immer häufiger aufhielt und die mich eintauchen ließen in vorhandenes Wissen, modernes und über die Jahrhunderte gewachsenes. Meine Lust an Sprache und Schreiben kam voll auf ihre Kosten und es war sehr spannend, dieses bereits alles Gedachte und Erforschte zu sammeln, zu durchforsten und dem so Gefundenen eigenes Leben einzuhauchen. Auch jetzt, am Ende der Arbeit, begeistert mich mein Tun und das Gelingen.

Vor Kurzem hörte ich in einer Weiterbildung Worte von dem französischen Philosophen Jean Luc Nancy, die er 2005 gesagt haben soll: „ Dekonstruieren bedeutet, … eine Zusammenfügung lockern, ihr Spielraum geben, um zwischen den Teilen dieser Zusammenfügung eine Möglichkeit spielen zu lassen, von der sie herkommt, die sie als Zusammenfügung jedoch zudeckt. “ In diesem Sinne erarbeitete ich mir das vorliegende Thema: Faszination Lernen die Rolle der Spiegelneuronen.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

NAMENSVERZEICHNIS

Bauer, Joachim Mediziner, Neurobiologe, Psychotherapeut, Universität Freiburg Gallese, Vittorio Professor für Neurophysiologie an der Universität Parma Giacomo, Rizzolatti Professor für Physiologie an der Universität Parma.

Hüther, Gerald Professor für Neurobiologe, Leiter der Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung Univ. Göttingen, Mannheim, Heidelberg

Iacoboni, Marco Neurologe, Professor für biologische Verhaltenswissenschaften an der University of California in Los Angeles

Kandel, Eric amerikanischer Neurowissenschaftler, Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2000

Kast, Bas Wissenschaftsjournalist, Studium der Psychologie und Biologie

Roth, Gerhard Biologe und Hirnforscher, Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen

Spitzer, Manfred Psychiater, Psychologe, ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm

1. EINLEITUNG

Der seit zwei Jahrzehnten mögliche Blick ins Gehirn und das Entdecken und Verstehen der neurobiologischen Vorgänge in demselben stellte die bis dahin definierten Annahmen zur menschlichen Entwicklung und die daraus resultierenden Lerntheorien buchstäblich auf den Kopf.

Ging Pawlow bei der Klassischen Konditionierung noch von der logischen ReizReaktionstheorie aus, vertrat Bandura mit seiner sozialen Lerntheorie bereits die dem Menschen implizite Fähigkeit des nachahmenden Lernens.

Den Hirnforschern eröffneten sich, seit Lernen neurobiologisch betrachtet werden kann und sie dem Gehirn beim Lernen zuschauen konnten, ganz neue Fragestellungen. Der Mensch wurde plötzlich als innerhalb seiner gesamten Lebenszeit Lernender erkannt und der Blick der Forschenden orientierte sich von nun an an Fragen zu differenzierten Lern Qualitäten in unterschiedlichen Lebensaltern und Lebensphasen.

Mit der Entdeckung der Spiegelneuronen Anfang der 90er Jahre öffnete sich die Perspektive zum Verständnis Mensch erneut. Diesen Nervenzellen im Gehirn wurde die Basis für Mitgefühl und Intuition zugeordnet. Die damit einhergehende revolutionäre Entdeckung war, dass Lernen ohne Gefühl, ohne Subjektivität, nicht möglich ist. Die bis dahin strenge wissenschaftliche Trennung von Verstand und Gefühl, von Beweis und Weisheit, geriet ins Wanken.

Lernvorgänge aus der Sicht der Spiegelneuronen zu betrachten, diesbezüglich einem Fenster gleich ins menschliche Gehirn zu schauen, um die Vorgänge nachzuzeichnen, ist die Aufgabe dieser Arbeit. Bisherige Lerntheorien voranzustellen, über sie hinaus den Lernort Gehirn zu bereisen und am Ende spiegelneuronale Lernformen zu benennen, bilden den Rahmen. Innerhalb desselben stellt sich sowohl die Kommunikation als motorische Spiegelaktivität als auch die Unerlässlichkeit von sozialen Interaktionen in den Fokus dieser Lern Betrachtung.

2. LERNEN

Lernen ermöglicht Menschen die Anpassung an die Umstände des Lebens und ein sinnvolles Agieren innerhalb der sozialen Umwelt. Die Fähigkeit zu lernen ist eine Voraussetzung für Bildung. Ergebnisse von Lernprozessen sind häufig implizit und nicht alles Gelernte ist in Worten fass oder messbar.

2.1. Definition

Menschliche Wesen besitzen die natürliche Gabe zu lernen. Lernen ist ein lebenslanger Prozess, innerhalb dessen Wissen und Fähigkeiten erworben werden, die sowohl Verhaltens als auch Erlebensweisen, Einstellungen und Werte verändern. „ Der Kernpunkt des Lernens ist Veränderung “ (ALH Studienbrief 6, Psychologische Beraterin, S. 12). Lernen beinhaltet das Aufnehmen, Verarbeiten und Umsetzen von Informationen (Schilling, Johannes, Soziale Arbeit Berlin: Luchterhand, 1997, S.159) … und sozialen Erfahrungen.

2.2. Kurze Übersicht über verschiedene Lerntheorien

Lerntheorien beschäftigen sich mit den Bedingungen menschlichen Lernens und menschlicher Entwicklung und untersuchen Veränderungen menschlichen Verhaltens und Denkens, unabhängig von Reifung oder angeborenen Reaktionen. Behavoristische Theorien gehen davon aus, dass Lernprozesse von außen gesteuert werden. Daher steht die Beobachtung des Verhaltens im Vordergrund. Bewusstseinsprozesse werden dabei nicht beachtet.

2.2.1. Klassisches Konditionieren

Der Kernpunkt des Lernens bedeutet Veränderung. Diese wird beim klassischen Konditionieren im Hinblick auf Veränderung des Verhaltens dadurch erreicht, dass zwei zeitlich nahe verschiedene Reize, die dem Verhalten voraus gehen, zusammengefügt werden. Lernen geschieht hier durch die zeitliche Nähe (Kontiguität) der Verbindung von Reiz und Reaktion. Beim klassischen Konditionieren wird kein neues Verhalten gelernt, sondern ein bereits vorhandener, angeborener Auslöser wird mit einem neuen Reiz verbunden (z. B. Hundefütterung: Glockenton bei Futtergabe = Speichelfluss, als natürliche Reaktion bei der Fütterung, tritt nach einer gewissen Zeit allein schon beim Glockenton auf). Dieses konditionierte neue Verhalten braucht zum Erhalt desselben von Zeit zu Zeit Wiederholung. Klassisches Konditionieren beachtet die Folgen von Verhaltensweisen nicht. Vertreter dieser Lerntheorie waren Pawlow und Watson.

2.2.2. Operantes Konditionieren

Veränderungen geschehen beim operanten Konditionieren durch Lernen am Effekt (Kontingenz). Die amerikanischen Psychologen Thorndike und Skinner setzten Lernen in Bezug zu Verhalten und dessen Konsequenzen. Auch sie, ebenso vom Behaviorismus überzeugt wie Pawlow und Watson, sahen Lernen im Zusammenhang von Reiz und Reaktion, doch sie erkannten in den dem Lernen nachfolgenden Bedingungen, den Konsequenzen, entscheidende Einflussgrößen. Sie definierten: Lernen am Effekt führt durch Versuch und Irrtum zum Erfolg. Die Möglichkeit eigener Einflussnahme hat wesentliche Bedeutung für menschliches Verhalten.

Thorndike ging innerhalb des operanten Konditionieren noch einen Schritt weiter hin zum instrumentellen Lernen, indem er der Situation, in der Verhalten stattfand, Beachtung schenkte. Er erkannte, dass Verbindung von Reiz und Reaktion dann am Wahrscheinlichsten geschieht, wenn auf die Reaktion eine befriedigende Konsequenz folgt. So wird Verhalten ein Mittel zur Erreichung befriedigender Konsequenz (Mittel = „Instrument“ = instrumentelles Lernen). Lernen hängt so von den Folgen des Verhaltens ab. Beide Konditionierungsformen benötigen zum Erhalt derselben kontinuierliche oder intermittierende Verstärkung.

2.2.3. Soziale Lerntheorien Lernen durch Nachahmung

Soziale Lerntheorien weisen sowohl auf die zwischenmenschlichen Beziehungen als auch auf die aktive und zielgerichtete Rolle des Individuums beim Lernen hin. Ebenso werden dessen zielgerichtetes, komplexes und ganzheitliches Verhalten und seine Möglichkeit der Selbstregulation zur eigenen Verhaltensbeeinflussung mit eingeschlossen. Der Psychologe Albert Bandura ging davon aus, dass Menschen erst lernen, wenn sie erkennen, das die Ereignisse miteinander korrelieren (ALH Studienbrief 6, Psychologische Beraterin, S. 41). Er bezog in jeden Lernprozess die zugehörigen sozialen Bedingungen wie z. B. Aufmerksamkeit, sprachliche Äußerungen, die Beobachtung des Verhaltens anderer und die beobachtbaren Verhaltens konsequenzen mit ein.

Der wesentliche Unterschied zu den Reiz Reaktionstheorien liegt bei den sozialen Lerntheorien in der speziellen Beachtung der individuellen Kondition des jeweiligen Menschen. Aufmerksamkeitsprozesse, das Behalten, Erinnern, Reproduzieren und motivierende Prozesse führen zur Nachahmung und bilden die Basis für das Beobach tungslernen (ALH Studienbrief 6, Psychologische Beraterin, S. 43). Vom heutigen Stand der Wissenschaft aus ist dieses Imitationslernen das wichtigste Lernen für den Menschen.

2.2.4. Zusammenfassung

Impulsiert von der behavioristischen Forderung nach objektiver empirischer Psychologie entwickelten sich Lerntheorien, die sich auf das Verhalten und auf verhaltensauslösende Bedingungen konzentrierten. Empirisch erfassbar waren Lern prozesse nach den Grundregeln von Kontiguität und Kontingenz des klassischen und operanten Konditionierens und erfüllten so den objektiven naturwissenschaftlichen Anspruch. Lernen wurde als reaktiver Prozess zum externen Stimulus gesehen.

Die sozialen Lerntheorien, die im Gegensatz dazu nur mit und am Menschen erforscht wurden und sich aus dieser wissenschaftlichen Arbeit heraus entwickelten, legten gerade auf die vielzähligen individuellen Unterschiede der Spezies Mensch ihr Augenmerk. Sie betonten das aktive Lernen vor allem innerhalb sozialer Beziehungen und vertraten die Ansicht, dass Beobachtung zur Nachahmung führt und dieses Beobachtungslernen wiederum zu aktivem, konstruktivem und auf das Urteil gegründetem Verhalten. Um mit dem Hirnforscher Professor Hüther zu sprechen: „ ..., denn wenn es um das Lebendige geht, gehört das Subjektive dazu. “ (Hüther, Gerald: Wie aus Erfahrungen Strukturen werden. DVD, s. A.)

3. DIE SPIEGELNEURONEN

Um Lernen im Zusammenhang mit den Spiegelneuronen zu erkunden, steht das menschliche Gehirn im Mittelpunkt der Betrachtungen und um dem Phänomen Lernen auf die Spur zu kommen, braucht es den Blick in das gleichsam phänomenale Organ Gehirn. Nachfolgend fokussiert der Blick die neuronale Ebene dieses Körperteils. Die Bestandteile des Gehirns und deren Funktionsweise sind, um dem Fokus des Lernens nahe zu bleiben, im Anhang ausführlich dargestellt.

Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft haben 100 200 Millionen der insgesamt 100 Milliarden Nervenzellen im menschlichen Gehirn besondere Attribute. Sie scheinen über die Reizweiterleitung und verarbeitung hinaus die im Außen wahrgenommene Welt im Innern abzubilden, zu simulieren. Sie wurden aufgrund dieser Fähigkeit Spiegelneuronen genannt.

Ihre Merkmale, deren Entdeckung und ihr sehr spezielles „Feuern“ bringt diese Neurobiologie des Handelns in die Sichtbarkeit. Die Darstellung der Entwicklung der Spiegelzellen wirft Licht auf deren Beteiligungs Potential beim Lernen und führt Regie dank eingebauter Hemm Mechanismen.

Diese speziellen Nervenzellen aktivieren sich im Kontakt mit anderen Menschen und gehen in Resonanz mit dem, was sie visuell, akustisch oder motorisch wahrnehmen. Giacomo Rizzolatti nennt sie bimodal, weil sie sowohl motorische plus visuelle als auch motorische plus akustische Reize gleichzeitig verarbeiten können. (Rizzolatti, Giacomo; Sinigaglia, Corrado: Emphatie und Spiegelneurone. Die biologische Basis für Mitgefühl. Suhrkamp Verlag Frankfurt a. M. 2008, S. 84/92/95)

Spiegelneuronen bilden wie alle Nervenzellen Systeme und diese ermöglichen das Aufnehmen, Verarbeiten und Speichern von Bewegungs und Handlungsabläufen in ganzheitlicher Weise. Es werden ganze Handlungen kodiert, keine Einzelhandlungen, sowohl eigen ausgeführte als auch solche, die bei anderen beobachtet werden.

Die Aktivität der Spiegelnervenzellen entzieht sich häufig dem Bewusstsein und ist kaum steuerbar. Sie reagieren sehr schnell, daher unbewusst, der Verstand braucht deutlich länger. Spiegelneuronen erfordern keine Aufmerksamkeit, sind unbestechlich und insofern auch täuschungsanfällig. Erst reflektierendes Nachdenken ermöglicht es dem Menschen, vom Gewohnten abzuweichen.

Das Prinzip des Spiegelns ist in der Großhirnrinde angesiedelt. Spiegelneuronen befinden sich u. a. im präfrontalen Kortex an der Stirnseite des Frontallappens. In dieser Gehirnregion werden Bewegungsabläufe kodiert. Auch wurden solcherart Aktivität im motorischen Kortex nachgewiesen, insbesondere im Broca Zentrum und in der Insel.

3.1. Entdeckung

Auf die Spur der Spiegelneuronen kam das Forscherteam um Giacomo Rizzolatti und Vittorio Gallese an der Universität Parma Anfang der neunziger Jahre. Dieser Fund wurde von Teilen der wissenschaftlichen Welt als eine der größten Entdeckungen der Hirnforschung gehandelt. Der international bekannte Neurologe Vilayanur Ramachan dran meinte im Jahr 2000 gar, sie käme der DNA Entdeckung in der Biologie gleich. (Kast, Bas: Revolution im Kopf. Die Zukunft des Gehirns. Berliner Taschenbuchverlag 2003, S. 133)

Im prämotorischen Cortex von Affen konnten Neuronen gefunden werden, die bereits bei der reinen Beobachtung einer Tätigkeit so feuern, als ob sie diese Handlung selbst ausführen. Die damalige Versuchsreihe sollte die Arbeit des Gehirns eines Affen beim Griff nach einer Erdnuss nachvollziehen können. Die Forscher wollten also sehen, was neuronal geschieht, wenn eine eigenständige Aktion ausgeführt wird. Die elektrischen Signale der motorischen und sensomotorischen Hirnzellen wurden mithilfe von Elektro den sichtbar gemacht und lieferten das erwartete Ergebnis: sie feuerten, sobald der Affe nach einer Erdnuss griff.

Die Überraschung kam unvermutet: dieselben Neuronen des Affen feuerten ebenso, als der Forscher nach der Nuss griff, also die dafür typische Greifbewegung ausführte. Einzelne Neuronen reagierten im für motorische Handlungsplanung und Bewegungs steuerung zuständigen Areal (im ventralen prämotorischen Kortex) und simulierten dasjenige, was der Affe andere Wesensverwandte tun sah, in diesem Fall einen Menschen, den Forscher. Sie feuerten sogar dann, als der Affe nur das charakteris tische Knacken der Erdnussschale hörte. Selbst der Griff des Forschers nach für den Affen nicht sichtbaren Nüssen löste dieselbe Zellaktivität aus. Das Gehirn simulierte im Kopf die beobachtete Bewegung. Dabei führten die feuernden motorischen Nerven zellen keinerlei „motorische Reaktion“ aus. Sie bauten lediglich Handlungsbereitschaft auf. Diese Simulation im Affengehirn blieb jedoch aus, als der Forscher die charakteris tische Greifbewegung in die entgegengesetzte Richtung der Nüsse ausführte.

Die Forscher nannten diese Nervenzellen aufgrund ihrer doppelten Funktion Spiegelneuronen, weil sie sowohl bei Eigenaktivität als auch bei der Beobachtung solcher Aktivitäten feuerten. Sie maßen ihnen deshalb eine so wichtige Rolle bezüglich Verstehen und Lernen bei, weil der Affe in den Experimenten bereits die darin liegende Absicht des Forschers erkannte. Dieses Experiment verwies zum ersten Mal auf die Wichtigkeit von Intention! Es zeigte klar, die Absicht des Handelns ist wichtig, damit gespiegelt werden kann und aus dieser Erkenntnis heraus wurden die Spiegelneuronen zur Schaltstelle für das Verstehen von Handlungen definiert. Beobachten hieß anscheinend Be Greifen.

Diese neuen Forschungserkenntnisse waren auf den Menschen übertragbar, da Spiegelneuronen u. a. dank der funktionalen Kernspintomographie auch beim Menschen nachgewiesen werden konnten.

Weitere Forschungen ergaben, dass immer dann, wenn eine Bewegung vorbereitet, beobachtet oder auch nur innerlich vorgestellt wurde, sich im Gehirn dieselben Bereiche aktivierten wie bei selbst ausgeführter Aktion.

3.2. Was war vor der Entdeckung der Spiegelneuronen?

Im Mittelalter galt das Gehirn als Regulativ der menschlichen Körpertemperatur und noch vor 30 Jahren hatte die Lehrmeinung, dass die Funktion des Kleinhirns sich auf die Regelung des Gleichgewichts beschränkt, Gültigkeit. Die bis vor zwei Jahrzehnten vorherrschende wissenschaftliche Anschauung ging davon aus, dass alleine die Eigenaktivität die lernenden neuronalen Vernetzungen erzeugt. Bis zur Entdeckung und Erforschung der Spiegelnervenzellen wusste die Wissenschaft, dass die Gehirnfunk tionen des motorischen Kortex und der prämotorischen Gebiete ausschließlich bestimmte Bewegungen codieren, sich also an der fehlerfreien Bewegungsvorbereitung beteiligen. Einige Jahre zuvor wurde bereits vom Team um Giacomo Rizzolatti erkannt, dass viele Neuronen im prämotorischen Kortex auch Aktionen verschlüsseln. (Rizzolatti, Giacomo: Die Magie des Spiegels. Interview, s. A.) Früher wurde davon ausgegangen, dass das Gehirn Bewegungen anderer versteht, indem es sie sieht und dann im Denken entschlüsselt. Und dass es eigene Körperbewegungen erzeugt, indem die Wahrnehmung ein Wissen kreiert und dieses Wissen einen Befehl an die motorischen Neuronen gibt.

3.2.1. Die Neurobiologie des Handelns

Die Abbildung auf der folgenden Seite zeigt die rechte Großhirnhemisphäre. Der prämotorische Kortex ist gelb umrandet. Dort aktivieren sich, sobald eine bewusste Handlung ausgeführt werden soll, die Planungsneuronen. J. Bauer betitelt sie als Asterix. (Bauer, Joachim: Warum ich fühle, was du fühlst. Heyne 10/2006, S. 21)

Sie sind für den Plan einer Handlung und den passenden Zeitpunkt zuständig, wann dieser in die Tat umgesetzt wird. Diese Information leiten sie an die Handlungsneuronen weiter, von Joachim Bauer Obelix genannt. Bauers bildhafter Vergleich macht verständlich, dass diese den motorischen Plan einer Handlung haben und die entsprechenden Muskeln koordinieren.

Wie alle Neuronen bilden auch Handlungsneuronen Netzwerke und sind in motori schen Feldern des Gehirns zu finden, aktivieren Muskeln und steuern willkürliche Bewegungen. Die Handlungsneuronen führen nicht einfach nur Befehle aus, die in anderen Hirnregionen erzeugt werden. Sie speichern das, was ein Mensch tut und auch, wozu er dies tut. Handlungsneuronen verstehen also die Bedeutung von Gegenständen und zwar unabhängig von Sprache. Das deutet darauf hin, dass es ein „motorisches Wissen“ gibt.

Die Entdeckung der Spiegelneuronen ließ verstehen, dass nicht jede Aktivität von Asterix (Handlungsneuron) automatisch zu einer Aktion von Obelix (Bewegungs neuron) führt. Es kann bei der bloßen Vorstellung oder beim Nachdenken über eine Handlung bleiben. Joachim Bauer nennt dies einen Handlungsgedanken. (Bauer, Joachim: Warum ich fühle, was du fühlst. Heyne Taschenbuchausgabe 10/2006, S. 21)

Der Neurologe Marco Iacoboni fand zusammen mit dem Team um Giacomo Rizzolatti und Vittorio Gallese weiterführend heraus, dass Spiegelnervenzellen die Absicht entschlüsseln, die hinter Handlungen anderer stehen, also das Nachempfinden und das Nachvollziehen dessen, was ein anderer Mensch gerade tut und vor allem, was derjenige mit seiner Aktion beabsichtigt. Eine solche simultane Übersetzung der Spiegelneuronen im prämotorischen Kortex ermöglicht Einfühlung, die Fähigkeit, sich als Beobachtender in ein Gegenüber hinein versetzen zu können. Dazu braucht der beobachtende Mensch zahlreiche eigene Erfahrungen, auf die zurückgegriffen werden kann, um Beobachtetes nachvollziehen zu können, diese neuronale Bewegung muss bereits im Erfahrungsschatz vorhanden und abgespeichert sein. Es ist nur dasjenige spiegelbar, was zum eigenen motorischen Repertoire gehört oder mit bereits ähnlich Vorhandenem verbunden werden kann. (Iacoboni, Marco: Die Gedanken der anderen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 61 Seiten

Details

Titel
Faszination Lernen. Die Rolle der Spiegelneuronen
Hochschule
Fernschule Akademie für ganzheitliche Lebens- und Heilweisen in Haan
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
61
Katalognummer
V180496
ISBN (eBook)
9783656049388
ISBN (Buch)
9783656049005
Dateigröße
658 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar der Dozentin: Sehr lesenswerte Arbeit!
Schlagworte
faszination, lernen, rolle, spiegelneuronen
Arbeit zitieren
Yshouk Ursula Kirsch (Autor:in), 2011, Faszination Lernen. Die Rolle der Spiegelneuronen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180496

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