Gesicht - Face - Mianzi im interkulturellen Management


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2011

18 Seiten


Leseprobe


GESICHT - FACE - MIANZI

IM INTERKULTURELLEN MANAGEMENT

面子

Die Interpenetration der Hemisphären und Zivilisationen akzentuiert sich im Zuge der technologischen planetaren Integration. Dies führt auch zur Auseinandersetzung mit den Geisteskulturen der diversen betroffenen Zivilisationen und Kulturen. Während der Gesichtsbegriff bereits im Wege der Kolonialisierung und seiner Rückwirkungen über das englische Face unsere Kulturen erreicht hat, kann man in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine umfassende philosophische Ost-West Begegnung auf friedlichem Wege beobachten. Diese gestattet es, den fremdkulturell anmutenden, aber nicht fremden Gesichtsbegriff, sinngebend einzuordnen. Mit dem transnationalen Management gewinnt er nun in Zusammenhang mit kulturgrenzüberschreitenden ost-westlichen strategischenAllianzen an Brisanz. Ich möchte behutsam über eigene Erfahrung an den Begriff heranführen, der kulturrelative Priorität besitzt und im konfuzianischen Kulturkreis viel wichtiger ist als hierzulande. Daher das chinesische Schriftzeichen für 面子 , Mianzi oder Gesicht zu Beginn.

Einst reiste ein japanischer Prinz nach Paris. Dort weilte er während seines Aufenthalts in einem Lokal, möglicherweise einer Brasserie oder in einem Café-Bar,Restaurant, wofür die Lichterstadt bekannt ist und wo sich der auf der übernächsten Seite beschriebene Vorfall zugetragen hat, der uns an die fernöstliche Kultur heranführen kann. Besonders die renommierten Cafés auf dem Boulevard Montparnasse, wie beispielsweise La Coupole, waren und sind Begegnungsorte der Kreativität des Pariser Kultur- und Geisteslebens und Geburtsstätte so mancher Philosophie und künstlerisch-literarisch-kultureller Leistung. Sie entsteht häufig in der sozialen-umweltlichen Beziehung. Und das Gesicht im kulturanthropologischen Sinne ist das soziale Kapital des Menschen, das man, wie Kapital,erwerben, erhalten oder auch verlieren kann.

Sowohl der Philosoph Jean-PaulSartre, als auch Simone der Beauvoir lebten beispielsweise unweit von dem besagten Café auf dem das Boulevard Montparnasse kreuzenden Boulevard Raspail in einem kulturellen Zentrum der Stadt unweit des Quartier Latin. Die Cafés könnte man ebenso als soziale Harmonisierungs-dienstleister betrachten, deren Beliebtheit häufig mit gesichtsgebenden gesellschaftlichen Ritualen verbunden ist.

Der japanischeAnthropologie, der von dem erwähnten und nachher geschilderten Vorfall berichtet, den ich persönlich in Paris kannte, nannte den Namen des Lokals nicht. Zur Wahrung des Gesichts des Etablissements oder weil es nicht bekannt wurde? Übrigens haben wir auch häufig, nach den Aikido Übungen während des Erwachens von Paris um 6.00h morgens, mit ihm anschließend noch kurz im Café verweilt und die morgendliche Harmonisierungsaktivität im sozialen Umfeld auf uns weiter wirken lassen, während wir uns bei einem Café oder Café Crème vor Anbruch des Arbeits- oder Studientages unterhalten.Aikido heißt soviel wie Weg der Harmonie(sierung) und zeugt von der kulturellen Priorität der Harmoniesuche in Ostasien. Als persönlicher Schüler der Begründers des Aikido, Morihei Ueshiba, war Itsuo Tsuda zusammen mit dem Begründer der Makrobiotik, George Oshawa und seinem Nachfolger Mishio Kushi und dem Zen Meister Taisen Deshimaru unter jenen Menschen, die eine Brücke zwischen Ost und West schlugen und die fernöstliche Philosophie den westlichen Menschen näher brachten. Während ich meinem 1986 in Paris verstorbenen Meister natürlich regelmäßig begegnete, war ich nur einmal im Dojo Taisen Deshimarus und begegnete auch Mishio Kushi nur einmal.Er ruht auf dem Père Lachaise und sein Grabmal schmückt eine enigmatische Zigarre. Dieses Symbol fasst seine ganze persönliche und kulturelle Philosophie für jenen, und nur für jenen zusammen, der das erforderliche gesamtkulturelleKontextwissen besitzt. Und Oshawa hatte das Zentrum Ignoramus in der Rue Lamaritine gegründet, wo ich mir häufig meine makrobiotischen Produkte besorgte. Der Geist jener Philosophie war also gewissermaßen in unserem Dojo, im Zen Dojo Deshimarus und dem Zentrum Ignoramus präsent. Nicht zuletzt verbrachte ich auch einige Zeit im japanischen Haus in der Cité Universitaire International de Paris auf dem Boulevard Jourdan, gegenüber dem Parque Montsouri. Als Studenten der Sorbonne arbeitete man auch bisweilen in den Cafés um die altehrwürdige, beinahe tausendjährige Universität, man holte sich im Vorbeigehen, als Mahlzeitersatz in der geschäftigen Großstadt nicht selten ein Sandwich au Fromage oder Jamben de Paris oder man konsolidierte seine Freundschaft oder entwickelte neue an den Bars der unzähligen Café, wo man kurz einkehrte, um an der Theke einen Ballon de Rouge, Rosé oder Blanc oder ein Bière Blonde zusammen mit alten und neuen Bekannten zu genießen. All diese Aktivitäten haben einen Bezug zum Gesichtsbegriff und konstituieren das Konto unseres sozialen Kapitals mit seinen größeren und kleineren Zuflüssen, Transaktionen mit anderen und Abgängen. Das Café und die Gastronomie sind, das weiß auch der interessierte Leser, eine kulturelle Institution mit hohem kulturellen Stellenwert und die Metiers de la Bouche et de la Table genießen auchentsprechend hohes Ansehen. Fauxpas in diesem nationalkulturell sensitiven Bereich können zu einem Gesichtsverlust beitragen, ebenso wie besondere kulturelle Kompetenz mit einem Zugewinn einhergehen. Der Begriffdes Ansehens bringt uns nun, nach einem kleinen kulturellen Überblick, der den Zivilisationen überbrückenden Hintergrund und den Zusammenhang herstellt, zu dem engeren Thema dieses Exposés und zu dem angekündigten Vorfall.Vorweg wäre noch zu bemerken, dass der Grund, warum jene transkulturellen Brückenbauer Paris als strategische Basis für die „japanische Inkulturation“ Europas und des Westens wählten, hat eventuell in vieler Hinsicht mit kulturellen Ähnlichkeiten, sowie auchAntagonismen zu tun, deren kulturelle Harmonisierung ein Zugewinn für die Menschheit insgesamt darstellt. Die Ähnlichkeiten befinden sich im Bereich des kulturellen Raffinements, das mit Höflichkeit, Solidarität, Etiquette und der Logik der Ehre einhergeht, sowie anderer Faktoren, auf die in diesem Exposé nur angespielt werden kann und die gesichtswahrend wirken, während der rationale Cartesianismus den Gegenpol zur nordostasiatischen prälogisch basierten Philosophie der Handlung bildet, wie es Tsuda in seinen Diskursen formulierte.

Gesichtsbewusstsein in verschiedenen Graden gibt es also in diversen kulturellen Kontexten.Die deutschen Begriffe der Ehre, des Ansehens, des Rufs, des Renommees, Prestiges oder des Sozialkapitals, die eine Entsprechung in den meisten Kulturen haben, zeugen hierzulande wie anderswo von einem kulturell variablen Gesichtsbegriff, der vor allem in den kollektivistischen, kontextreichen Kulturenhohe Priorität besitzt.

Dem erwähnten japanischen Prinzen passierte folgendesMissgeschick: Es fiel ihm eine Tasse herunter. Der Patron oder Café Besitzer verlangte, dass der Prinz diese Tasse ersetzt und das Café dafür entschädigt. Der Prinz, der einen Stab als Zeichen seiner Prinzenschaft trug, nahm alsdann diesen Stab und fegte damit die diversen exklusiven Spirituosen, Liköre, Weine etc. von den Regalen und sagte zum Wirt: „Die Rechnung bitte!“ Es ist davon auszugehen, dass er die Rechnung beglich.

[...]

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Details

Titel
Gesicht - Face - Mianzi im interkulturellen Management
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V178817
ISBN (eBook)
9783656012504
ISBN (Buch)
9783656012443
Dateigröße
601 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
interkulturelle Wirtschaftskommunikation, 面子, Mianzi, Face, Gesicht, interkulturelles Management, intercultural management
Arbeit zitieren
D.E.A./UNIV. PARIS I Gebhard Deissler (Autor:in), 2011, Gesicht - Face - Mianzi im interkulturellen Management, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/178817

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