M&A in Sondersituationen


Diplomarbeit, 2010

73 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

II Abkürzungen

III Abbildungen

1 Problemstellung

2 Distressed M&A
2.1 Kriseninvestments
2.1.1 Eigenkapitalnachfrage durch Krisenunternehmen
2.1.2 Eigenkapitalangebot durch Investoren
2.1.3 Ökonomische Betrachtung von Sanierungsinvestitionen
2.2 Insolvenzverfahren
2.2.1 Insolvenz …..
2.2.2 Das Insolvenzplanverfahren
2.2.3 Das Regelinsolvenzverfahren (Übertragende Sanierung)
2.2.4 Die Rolle von Distressed Investments im Insolvenzverfahren

3 Der Debt-Equity-Swap
3.1 Finanztheoretische Erklärungen des Debt-Equity-Swap
3.1.1 Optimale Kapitalstruktur und Insolvenzkosten
3.1.2 Kapitalstruktur und Agency-Kosten
3.2 Die Anwendung des Debt-Equity-Swaps
3.2.1 Der klassische Ablauf in der Praxis
3.2.2 Rechtliche und steuerliche Fallstricke
3.2.3 Alternative Ablaufszenarien
3.3 Schlüsselrolle Forderungsbewertung
3.3.1 Der (Sekundär-) Markt für notleidende Forderungen
3.3.2 Forderungsbewertung in Krisen
3.3.3 Bewertungsalternative Recovery Rates
3.4 Kritische Würdigung des Debt-Equity-Swap

4 Thesenförmige Zusammenfassung

IV Literaturverzeichnis

II Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

III Abbildungen

3.1 Trade-Off-Theorie der optimalen Kapitalstruktur

3.2 Agency-Kosten des Eigen- und Fremdkapitals

1 Problemstellung

Was vor wenigen Jahren in den USA als Subprime-Krise begann und sich zu einer allgemeinen Finanzkrise entwickelte, mündete schließlich in einer globalen Wirtschaftskrise. Die Realwirtschaft bekam die Auswirkungen globaler Marktverwerfungen selten so stark zu spüren wie im Jahr 2009, was man u.a. an einem deutlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen[1] - darunter solch prominente Fälle wie Märklin, Schiesser, Karmann oder Arcandor - festmachen kann.

Neben zahlreichen Ursachen stellt jedoch meistens ein starker Auftragsrückgang den Hauptauslöser der Insolvenz dar. Trotz tragfähigem Geschäftsmodell werden Unternehmen vielfach durch ihre Kapitalstruktur bzw. zu hohe Fixkosten überfordert. Oftmals ist dies auf eine hohe Fremdkapitalbelastung zurückzuführen, die dem Unternehmen bspw. von einem Private Equity Investor im Zuge eines Leveraged Buy-Outs lange vor der Krise aufgebürdet wurde. Als eine der größten Belastungen für Unternehmen in bzw. nach der Wirtschaftskrise stellt sich demnach die mangelnde Ausstattung an Eigenkapital heraus. Da gerade in den letzten Jahren – mitunter durch die Einführung der Basel-II-Eigenkapitalvorschriften – die Eigenkapitalquote bei der Kreditwürdigkeitsprüfung durch die Banken zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, müssen Unternehmen verstärkt auf alternative Finanzierungsinstrumente zur Stärkung ihres Eigenkapitals zurückgreifen[2].

Gleichwohl besteht für insolvente Unternehmen die Chance, durch umfassende Restrukturierungen wieder in die Erfolgsspur zurückzugelangen. Nach Ansicht von Experten[3] werden M&A-Transaktionen in den kommenden drei Jahren vor allem im Bereich der Restrukturierungen vorgenommen werden. Das Kaufen bzw. Verkaufen von Unternehmen oder Beteiligungen in Krisensituationen fällt in diesem Zusammenhang unter den Begriff „Distressed Mergers & Acquisitions“. Aufgrund der Notsituation des betreffenden Unternehmens läuft eine Transaktion hierbei wesentlich zügiger ab und u.a. die Unternehmensbewertung sowie die Suche nach potenziellen Käufern finden unter erschwerten Umständen statt – im Vergleich zu M&A-Prozessen außerhalb der Insolvenz.

Generell wird darüber hinaus zwischen der Phase vor Eintritt in die Insolvenz und der Phase nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterschieden, wobei M&A-Aktivitäten in erstgenannter Phase keine wesentliche Rolle spielen.

Eine immer häufiger angewandte Lösung, die Kreditwürdigkeit zu verbessern, die Eigenkapitalquote zu erhöhen und damit eine Insolvenzsituation zu vermeiden, stellt die Umwandlung von Kreditforderungen in Eigenkapital dar - der sog. Debt-Equity-Swap. Dieses Instrument kann entweder zur Vermeidung der Insolvenz in der Pre-Insolvenz-Phase eingesetzt werden oder im Rahmen eines Insolvenzplans zur Entschuldung eines Unternehmens beitragen.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, dieses Restrukturierungsinstrument umfassend vorzustellen und sowohl dessen Anwendung finanztheoretisch zu erklären als auch die Durchführung in der Praxis unter Berücksichtigung zahlreicher rechtlicher und steuerlicher Aspekte zu erläutern.

Eine bedeutende Rolle im Zuge dieser Betrachtung spielt die Bewertung der zur Umwandlung in Eigenkapital einzubringenden Forderungen. Neben einer Betrachtung des Sekundärmarktes für notleidende Forderungen wird außerdem auf die Forderungsbewertung im Allgemeinen sowie die Schwierigkeiten und aktuellen Anpassungen der Standardsetter bei der Fair Value Ermittlung in Krisen eingegangen. Eine Betrachtung der praxisrelevanten Recovery Rates schließt die Thematik der Forderungsbewertung ab.

Schließlich werden eine Würdigung des Restrukturierungsinstrumentes Debt-Equity-Swap und dessen Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Sanierung vorgenommen und Reformperspektiven dafür aufgezeigt sowie Anknüpfungspunkte für weitergehende wissenschaftliche Untersuchungen genannt.

2 Distressed M&A

2.1 Kriseninvestments

2.1.1 Eigenkapitalnachfrage durch Krisenunternehmen

In der Sanierungspraxis geht man davon aus, dass viele Unternehmenskrisen durch Fehler des Managements hervorgerufen werden und dabei einem typischen Phasenschema folgen. In einer bis heute in der Praxis angewandten Kategorisierung[4] wird eine Unterscheidung in vier Stadien einer Unternehmenskrise vorgenommen: Strategische Krise, Erfolgskrise, Liquiditätskrise und Insolvenz[5]. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Phasen einen aufeinander folgenden Krisenverlauf darstellen. Es kommt vereinzelt vor, dass vor dem Stadium der Strategie-Krise zusätzlich die Stakeholder-Krise angeführt wird, welche durch Konflikte zwischen Interessengruppen, wie bspw. Unternehmensleitung, Gesellschaftern, Gläubigern oder Arbeitnehmern, gekennzeichnet ist und zu Reibungsverlusten und einer erheblich erschwerten Entscheidungsfindung führen kann.

Die Strategische Krise macht sich durch die Bedrohung bzw. den Verlust von wesentlichen Erfolgspotentialen des Unternehmens bemerkbar, indem z.B. der Ist-Umsatz vom Plan-Umsatz abweicht. Dies ist häufig auf unklare oder fehlende strategische Ausrichtung sowie grundlegende Fehleinschätzungen der Markt- und Wettbewerbslage zurückzuführen. Die zweite Phase nach Müller (1986) ist die Erfolgskrise, oftmals auch Operative Krise genannt. Diese liegt bei nachhaltig starkem Rückgang und Unterschreitung der wichtigsten Erfolgsziele, wie z.B. Umsatz, Gewinn oder Rentabilität vor. Damit verbunden äußert sich dieses Stadium außerdem durch erhebliches Zurückgehen der Nachfrage nach den Hauptumsatz- und Erfolgsträgern, was man an steigenden Vorratsbeständen und zunehmender Kapitalbindung erkennen kann. Durch die sich anhäufenden Verluste nimmt das Eigenkapital schrittweise ab und mittel- bis langfristig können Kapitalverlust, Unterbilanz und in letzter Konsequenz sogar die Überschuldung drohen[6]. Die Liquiditätskrise liegt schließlich vor, sobald die Situation eines tatsächlichen Insolvenzgrundes, also der Zahlungsunfähigkeit und/oder der Überschuldung, konkret droht. Zur Existenzkrise bzw. Insolvenz entwickelt sich die Liquiditätskrise durch das Eintreten der in §§ 17–19 InsO als Gründe für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens definierten Sachverhalte. Das Unternehmen kann dann seinen bestehenden Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen bzw. die kumulierten Verluste haben das Eigenkapital mehr als vollständig aufgezehrt. Auf den Tatbestand der Insolvenz wird in Kapitel 2.2.1 noch ausführlicher eingegangen. In einer derartigen Situation kann das Unternehmen einer Liquidation nur entgehen, indem ihm neues Eigenkapital zugeführt und/oder ein Gesellschafterdarlehen mit eigenkapitalersetzendem Charakter zur Verfügung gestellt wird[7].

Eigenkapital - die Residualgröße aus Unternehmensgesamtwert abzüglich aller zinstragenden Verbindlichkeiten – dient als eine Art Risikopuffer für Unternehmen. Es trägt dazu bei, erzielte negative Ergebnisentwicklungen wenigstens kurz- bis mittelfristig zu kompensieren, ohne umgehend in eine Überschuldungssituation zu geraten. Erschwerend fallen während einer Restrukturierung neben dem negativen Ergebnis zusätzlich die für den Turnaround erforderlichen Aufwendungen an – bspw. Sozialplanzahlungen, Wertberichtigungen auf Forderungen oder Abschreibungen auf Vermögensgegenstände[8], um nur einige davon zu nennen. Um die Durchführung der Sanierungsmaßnahmen zu ermöglichen, muss dem Unternehmen deshalb frisches Kapital zugeführt werden. Neben der wichtigen Funktion als Risikopuffer dient eine reichliche Eigenkapitalausstattung zudem als zwingende Voraussetzung für eine weitere Fremdkapitalzufuhr. Schon allein diese beiden Funktionen verdeutlichen im Ansatz die herausragende Bedeutung des Eigenkapitals, insbesondere bei von Krisen betroffenen Unternehmen.

Mit einer finanzwirtschaftlichen Sanierung bezeichnet man im Finanzbereich alle finanziellen Maßnahmen, die zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit (Liquidität) sowie zur Aufstockung und Sicherung der Eigenkapitalbasis (Solvenz) auf eine für die weitere Geschäftstätigkeit erforderliche Mindesthöhe dienen[9]. Dabei kann man die Möglichkeiten zur Eigenkapitalstärkung bzw. -erhöhung anhand unterschiedlicher Kriterien kategorisieren. Als ein Kriterium kann in Anlehnung an die in §§ 17–19 InsO genannten Insolvenzgründe eine Unterscheidung in rein eigenkapitalstärkende Maßnahmen ohne Liquiditätswirkung oder in Maßnahmen zur Eigenkapitalstärkung mit einer damit verbundenen positiven Liquiditätswirkung getroffen werden[10]. Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die erstgenannten Maßnahmen, da diese in enger Verbindung zum in Kapitel 3 ausführlich behandelten Debt-Equity-Swap stehen und dieser selbst diesen Maßnahmen zuzuordnen ist. Die im Folgenden behandelten Maßnahmen zur Bilanzsanierung erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

An einer dringend benötigten Eigenkapitalzufuhr haben Aktionäre oftmals wenig Interesse, da durch die Eigenkapitalerhöhung in erster Linie das Ausfallrisiko der Gläubiger reduziert wird. Darum lässt sich regelmäßig feststellen, dass die Gläubiger den Eigentümern insofern ein Entgegenkommen signalisieren, als sie einen teilweisen Forderungsverzicht aussprechen und damit den durch die Eigenkapitalzufuhr eingeleiteten Vermögenstransfer zu ihren Gunsten vermindern[11]. Ein echter Forderungsverzicht entspricht einer Erklärung der Gläubiger, auf Teile oder die Gesamtheit ihrer Forderung gegen das zu sanierende Unternehmen zu verzichten, was rechtlich einen Erlassvertrag gemäß § 397 BGB zwischen dem Schuldner und dem einzelnen Gläubiger darstellt. Dieser Verzicht wird i. d. R. mit einer bedingten Besserungsvereinbarung in Form eines Besserungsscheins verknüpft. Dies bewirkt, dass die Forderung mit dem Forderungsverzicht zwar erlischt, jedoch mit Eintritt einer bestimmten auflösenden Bedingung für den Erlassvertrag - z. B. bei der Erzielung zukünftiger Gewinne - wieder auflebt[12].

Als eine rein formale Maßnahme für das zu sanierende Unternehmen kann die Kapitalherabsetzung (Kapitalschnitt) angeführt werden. Dieses für Kapitalgesellschaften gesetzlich geregelte Verfahren ermöglicht es, einen Verlust durch die buchmäßige Herabsetzung des Grund- oder Stammkapitals zu beseitigen. Bei finanziellen Sanierungen kommt typischerweise die vereinfachte Kapitalherabsetzung (§§ 229–236 AktG) zur Anwendung, um eine Buchsanierung zu erreichen[13]. Diese dient häufig als Vorbereitung einer Kapitalerhöhung im Rahmen des Debt-Equity-Swaps, worauf an späterer Stelle ausführlich eingegangen wird.

Als eine zweite Kategorisierung bietet sich eine Abgrenzung hinsichtlich der Investoren an, welche die jeweiligen bilanzsanierenden Maßnahmen tragen. Hierfür dient vorzugsweise eine Unterscheidung in Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber sowie Mezzanine-Investoren. Die oben beschriebene Kapitalherabsetzung sowie (Sach-) Kapitalerhöhungen zielen hauptsächlich auf die Unterstützung der Eigenkapitalgeber ab, während der Forderungsverzicht ein zweiseitiges Rechtsgeschäft darstellt, wofür eine Kooperation der Eigentümer mit den Gläubigern Voraussetzung ist. Als eine von Fremdkapitalgebern initiierte Maßnahme zur bilanziellen Sanierung kann der Rangrücktritt genannt werden. Dabei erklären einer oder mehrere Gläubiger, dass sie mit ihren Forderungen im Rang hinter die Forderungen der übrigen Gläubiger zurücktreten, wodurch die Verbindlichkeit insolvenzrechtlich in Eigenkapital umqualifiziert wird[14]. Voraussetzung dafür ist die Sicherstellung, dass eine Befriedigung der subordinierten Forderung so lange nicht verlangt werden kann, wie die Schulden der Gesellschaft das Aktivvermögen übersteigen. Durch die Rangrücktrittsvereinbarung wird jedoch nur der Überschuldungstatbestand verhindert bzw. beseitigt und die Vermögens- und Ertragslage bleiben grundsätzlich weiterhin belastet.

Im Zusammenhang mit Mezzanine-Investoren können Maßnahmen wie bspw. die Aufnahme von Nachrangdarlehen, die Emission von Wandelanleihen oder Genussscheinen sowie atypisch stille Beteiligungen genannt werden. Von einer Erläuterung dieser Maßnahmen wird mangels Bedeutung bei einer Durchführung des Debt-Equity-Swaps abgesehen. Aus Sicht des Unternehmens hat die Aufnahme von Mezzanine-Kapital den Vorteil, dass die Kontrollstruktur nicht geändert wird. Die Kapitalgeber jedoch sehen dies aufgrund mangelnder Kontrollmöglichkeiten als problematisch an[15].

2.1.2 Eigenkapitalangebot durch Investoren

Mögliche Eigenkapitalinvestoren können aus dem Kreis der bereits bestehenden Investoren des Unternehmens entstammen oder als potenzielle neue Investoren auftreten, die bislang noch keine Verbindung zum Krisenunternehmen hatten[16]. Wenn ein Unternehmen auf die Suche neuer Kapitalgeber angewiesen sein sollte, können Intermediäre wie Investmentbanken oder spezialisierte Berater durch ihre i.d.R. guten Beziehungen zu potenziellen Investoren entsprechende Kontakte herstellen. Bei neuen Kapitalgebern - wie z.B. auf Krisenunternehmen spezialisierte Private Equity-Unternehmen - besteht die Geschäftsidee darin, eine Wertoptimierung beim Zielunternehmen vorzunehmen, welches zu diesem Zeitpunkt weit unter seinem Wertpotenzial agiert. Ziel ist es, durch das eingebrachte Risikokapital und Know-how ein notleidendes bzw. insolventes Unternehmen zu restrukturieren bzw. neu zu organisieren, um eine überdurchschnittliche Rendite zu erwirtschaften[17]. Im Hinblick auf die bereits beschriebenen fortschreitenden Krisenphasen ergibt sich für den Investor jedoch ein Zielkonflikt: Durch steigenden Verkaufsdruck sowie die Einpreisung der Krisensituation in die Unternehmensbewertung resultieren ein sinkender Kaufpreis für das Zielunternehmen sowie ein zunehmend höheres Wertsteigerungspotenzial mit Fortschreiten der Krisenstadien. Andererseits verschlechtern sich die Chancen, das Unternehmen erfolgreich aus der Krise zu führen, mit jeder darauf folgenden Krisenphase. Ein Mittelweg zwischen der Ausschöpfung von Wertpotenzial einerseits und akzeptabler Erfolgswahrscheinlichkeit für den Turnaround auf der anderen Seite, stellt eine Investition in Unternehmen dar, die sich entweder in einer operativen oder einer Liquiditätskrise befinden[18].

Den Ertragschancen des Distressed Investments stehen nicht zu vernachlässigende Risiken gegenüber, welche vor allem aus den herrschenden Marktineffizienzen folgen. Die Risiken resultieren hauptsächlich aus den Unsicherheiten bei der Wertermittlung in Bezug auf das vorhandene Vermögen und aus der Abschätzung von Erfolgspotenzialen dieses Vermögens. Man kann dabei nach Risiken aus einzelnen Engagements der Investoren sowie Gesamtinvestitionsrisiken unterscheiden. Für Turnaround-Investoren ist das Gesamtrisiko aller Sanierungsprojekte jedoch durch Diversifikationseffekte niedriger als die Summe der Einzelrisiken. Beispielsweise kann eine Konzentration auf bestimmte Branchen risikomindernd wirken, wobei die Spezialisierungsstrategie regelmäßig mit positiv korrelierten Einzelrisiken verbunden sein wird[19].

Risiken bei einzelnen Reorganisationsprojekten bestehen in erster Linie im Rahmen der Fortführung bezgl. der Unternehmensentwicklung sowie bei der Liquidation in Bezug auf die Bewertung und Handelbarkeit von Vermögensgegenständen. Eine Sanierung ist insbesondere dann sehr risikobehaftet, wenn schwer prognostizierbare diskontinuierliche Unternehmensentwicklungen vorliegen. Es fällt dem Investor dabei sehr schwer, Szenarien für das Weiterbestehen des Unternehmens zu planen oder Entscheidungsmodelle zu entwerfen.

Weitere Risiken ergeben sich aus der Informationsasymmetrie zwischen den Gläubigern und den Investoren. Diese Asymmetrie zugunsten der Gläubiger kann häufig durch die langjährige Geschäftsbeziehung zum insolventen Unternehmen erklärt werden. Durch den Interessenkonflikt im Bezug auf den Kaufpreis besteht für die Gläubiger der Anreiz, Fehlinformationen herauszugeben, um einen höheren Preis für das gesamte Unternehmen bzw. für notleidende Kredite zu erzielen. Für die Distressed Debt Investoren bedeutet der erhöhte Preis jedoch eine Beschränkung für eine zusätzliche Wertschaffung beim Zielunternehmen[20].

Vor diesen Hintergründen werden nun die wesentlichen Einflussfaktoren der Investorenentscheidung zusammenfassend betrachtet. Im Rahmen einer umfassenden empirischen Untersuchung identifiziert Buschmann (2006) vier übergreifende Kriterien, die das Entscheidungskalkül eines Stakeholders - insbesondere des eigenkapitalzuführenden Investors - in einem Krisenunternehmen beschreiben. Diese sind Turnaround-Fähigkeit, Qualität und Vertrauenswürdigkeit des Managements, Abhängigkeiten und Alternativen sowie Interaktion mit anderen Stakeholdern[21].

Die Turnaround-Fähigkeit und die damit eng zusammenhängende Turnaround-Wahrscheinlichkeit des Krisenunternehmens stellen nach Buschmann das primäre Entscheidungskriterium für einen Eigenkapitalgeber dar. Wesentliches Kriterium zur Bewertung der Turnaround-Fähigkeit ist für ihn die Frage, ob das Unternehmen nach Abschluss der Sanierung wieder eine gesunde wirtschaftliche Basis erlangen und eigenes langfristiges Überleben sichern kann. Für das zweite genannte Kriterium gilt für den Investor im Sinne der Agency-Theorie: Je intransparenter und komplizierter die aktuelle Lage des Unternehmens ist, desto mehr Spielraum bietet sich potenziell für das Management, die eigenen Interessen, gegebenenfalls auch zum Nachteil der Investoren, durchzusetzen[22]. Mit dem dritten Kriterium wird die Investition hinsichtlich der dem Investor zustehenden Rechte und Möglichkeiten zur Machtausübung gegenüber dem Krisenunternehmen beurteilt. Ohne umfassende Mitspracherechte gestaltet sich eine Restrukturierung für den Investor weitaus schwieriger. Die Interaktion mit anderen Stakeholdern - insbesondere mit den Fremdkapitalgebern und dem Management – gilt nach Buschmann als wichtiges viertes Kriterium für eine erfolgreiche Umsetzung des Sanierungskonzeptes. Ohne deren Unterstützungsbeiträge bzw. Kooperationsbereitschaft bei Verhandlungen fällt die Wahrscheinlichkeit für Einigungen zwischen den Beteiligten und es vermindern sich die Chancen für die schnelle Umsetzung der erforderlichen Krisenbewältigungsmaßnahmen[23].

2.1.3 Ökonomische Betrachtung von Sanierungsinvestitionen

Im Zuge einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung sind Unternehmenskrisen Teil des Geschehens in einer Volkswirtschaft. Durch das Verschwinden von unwirtschaftlichen Subjekten am Markt wird Kapital zu rentablen Unternehmen transferiert, was volkswirtschaftlich einen wichtigen Prozess hinsichtlich der Faktorallokation bedeutet. In Konsequenz könnte man folgern, dass Turnaround-Investoren den wirtschaftlichen Kreislauf in seiner selbstregelnden Effizienz stören bzw. unterbrechen, indem sie den Austritt notleidender Unternehmen verhindern[24]. Jedoch werden Investoren keine Wirtschaftssubjekte mit fraglichem Geschäftsmodell unterstützen, da sonst ihre Renditeziele verfehlt würden. Geschähe dies aufgrund falscher Einschätzungen regelmäßig, gerieten die Investoren allmählich selbst unter Druck und würden schließlich vom Markt verdrängt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich primär die Frage, ob die Vermögensverwertung bei einer Unternehmensinsolvenz durch Sanierungsinvestitionen verbessert werden kann. Aus Sicht des Investors müssen zwei Prämissen erfüllt sein, um einen sog. komparativen Verwertungsvorteil zu schaffen: Er muss einerseits eine den Alteigentümern bzw. Gläubigern überlegene Vermögensverwaltung besitzen sowie andererseits eine adäquate Verzinsung für sein eingegangenes Risiko erhalten[25].

Die beiden Möglichkeiten, einen höheren Wert im Vergleich zur Verwertung durch die Gläubiger zu schaffen, bestehen entweder aus einer verbesserten Liquidation oder deren Vermeidung in Form einer verbesserten Fortführung des Unternehmens. Im Falle einer Liquidation ist die Höhe des Veräußerungserlöses stark von der Auflösungsgeschwindigkeit abhängig. Der Fokus der Gläubiger liegt im Zuge des Forderungsverzichts bzw. der Realisierung der Forderungen auf zeitlichen Präferenzen im Vergleich zur Höhe der Forderungen. Bei einer schnellen Liquidation entsteht dabei für Distressed Debt Investoren insofern ein Vorteil, als sie im Vergleich zu den Gläubigern keinem zeitlichen Verwertungsdruck ausgesetzt sind[26]. Ein weiterer Vorteil zur Erhöhung der Liquidationserlöse stellt eine mögliche Kombination und Zusammenführung von Vermögensgegenständen im Unternehmensportfolio des Investors dar. Durch Pooling von kompatiblen Unternehmensvermögen lassen sich bei deren Veräußerung Wertsteigerungen erzielen, die von Gläubigern nicht hätten realisiert werden können. Ferner können Investoren durch ihre Spezialisierung – wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt – Vorteile auf der Kostenseite im Bezug auf Transaktionskosten sowie Informations- und Suchkosten im Verlauf der Liquidation verbuchen[27].

Die zweite Verwertungsmöglichkeit, mit der eine eventuell suboptimale Liquidation und die damit verbundene Wertvernichtung verhindert werden kann, ist die Fortführung des insolventen Unternehmens. Die Entscheidung der Alteigentümer für die Liquidation fällt regelmäßig aufgrund des mangelnden Kapitals für eine Fortführung. Beschränkt haftende Gesellschafter haben zu diesem Zeitpunkt meist einen Großteil ihres Vermögens verloren und verzichten auf eine weitere Kapitalzufuhr. Die Gläubiger verzichten aufgrund ihrer Risikoaversion und des zeitlichen Verwertungsdrucks auf eine Reorganisation, was die risikofreudigen und spezialisierten Turnaround-Investoren auf den Plan ruft. Durch diese fließt das notwendige Kapital und Know-how in die Restrukturierung und die Neuausrichtung der Wirtschaftssubjekte und erzielt im Erfolgsfall eine überdurchschnittliche Rendite. Hinzu kommt ein weiterer Vorteil der Investoren, der in der Diversifikation des Investitionsrisikos auf verschiedene Reorganisationsprojekte besteht. Unter Berücksichtigung der Portfoliotheorie sind möglichst räumlich und vor allem nach Branchen verschiedene Restrukturierungsprojekte zu akquirieren[28].

Wie bereits erwähnt, ist für die Finanzierungsseite die Realisierung von Wertvorteilen allein nicht ausreichend. Durch die hochriskanten Kriseninvestments muss ebenfalls eine entsprechend hohe Verzinsung des Kapitals erfolgen. In früheren Studien ermittelte Zielrenditen bewegen sich hierbei zwischen 20% und 30%[29]. Auf die zugrunde liegende Wertsteigerungslogik wird im später folgenden finanztheoretischen Teil näher eingegangen.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Hauptkriterien für einen komparativen Verwertungsvorteil für Sanierungsinvestoren sowohl aus der Befriedigung der (reduzierten) Ansprüche der Gläubiger als auch aus der adäquaten Verzinsung des Kapitaleinsatzes bestehen. Unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten liefern Sanierungsinvestitionen einen sinnvollen Beitrag, da sich der Eintritt von Investoren aufgrund klarer Renditeziele disziplinierend auf Unternehmen auswirkt[30]. Frühere Studien belegen zudem, dass Investoren mit Turnaround-Fokus durch ihre hohe Expertise in Restrukturierungsfällen effizienzsteigernd wirken[31].

2.2 Insolvenzverfahren

2.2.1 Insolvenz

Distressed Debt Transaktionen werden in erheblichem Umfang von den gesetzlichen Rahmenbedingungen des Gesellschafts- und Insolvenzrechts beeinflusst. Im deutschen Insolvenzrecht geht man von einer kriteriengebundenen Eröffnung des gerichtlichen Insolvenzverfahrens aus. Als Voraussetzung dafür, dass die Bedingungen für eine Insolvenzeröffnung erfüllt sind und damit auch die Verfügungsrechte über das Unternehmensvermögen von den Eigentümern auf die Gläubiger übergehen (§ 16 InsO), gelten die Insolvenztatbestände[32]. Das Insolvenzrecht definiert hier drei Insolvenzauslöser: Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit und drohende Zahlungsunfähigkeit, die im Folgenden näher beleuchtet werden.

Der Tatbestand der Überschuldung greift nur bei Kapitalgesellschaften und nicht bei Personengesellschaften, d.h. der Tatbestand wird vom Gesetzgeber nur dort eingesetzt, wo Unternehmen für ihre Verbindlichkeiten gegenüber Gläubigern beschränkt haften[33]. Überschuldung liegt gemäß § 19 Abs. 2 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Der zweite Halbsatz stellt eine vorübergehende Änderung im Zuge des FMStG dar und wird ab dem 1.1.2011 wieder durch die bis dahin geltende Fassung ersetzt[34]. Damit liegt bei einer positiven Fortführungsprognose nach aktueller Gesetzeslage keine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne mehr vor, während bisher eine positive Fortführungsprognose lediglich bewirkte, dass die Aktiva zu Fortführungswerten und nicht zu Liquidationswerten anzusetzen waren[35]. Im Zuge der Feststellung der Überschuldung unterscheidet man zwischen der rechnerischen und der rechtlichen Überschuldung. Rechnerische Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldnerunternehmens bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht decken würde. Erst wenn dieses Ergebnis durch die Fortbestehensprognose keine Korrektur der Liquidationswerte erfährt, ist eine rechtliche Überschuldung als Auslöser eines Insolvenzverfahrens gegeben[36].

Als zweiter Insolvenzauslöser gilt die Zahlungsunfähigkeit, die nach herrschender Meinung[37] immer als Geldilliquidität zu verstehen ist. Diese ist gegeben, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist i.d.R. anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 InsO). In dieser Situation besteht für das Schuldnerunternehmen die Pflicht, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, während Gläubiger die Möglichkeit – jedoch keine Pflicht – zur Antragstellung haben (§ 13 ff. InsO). Abgrenzen muss man die Zahlungsunfähigkeit gegenüber einer Zahlungsstockung. Der BGH hat diese Frage weitgehend entschieden[38]. Demnach ist als Zahlungsstockung nur noch eine Illiquidität anzusehen, die den Zeitraum nicht überschreitet, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die erforderlichen Mittel zu beschaffen. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10% seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von einer Zahlungsfähigkeit auszugehen. Voraussetzung ist, dass eine weitere Vergrößerung der Liquiditätslücke nicht abzusehen ist. Eine Liquiditätslücke von mehr als 10% indiziert schließlich die Zahlungsunfähigkeit.

Als dritter Insolvenztatbestand kann die drohende Zahlungsunfähigkeit angeführt werden, der eine möglichst frühzeitige Eröffnung eines Verfahrens ermöglichen soll. Aus ökonomischer Sicht ist der Antragszeitpunkt für die Effizienz des Verfahrens von zentraler Bedeutung, da bei früher Eröffnung die Chancen einer erfolgreichen Restrukturierung steigen. Nach der Legaldefinition in § 18 Abs. 2 InsO droht der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Dieser Tatbestand, dessen Einschätzung auf Grundlage des Liquiditäts- oder Finanzplans vorgenommen wird, verschafft dem Schuldner die Möglichkeit, das Unternehmensvermögen unter den Schutz des Insolvenzverfahrens zu stellen, wozu aber keine Pflicht besteht[39]. Durch das fehlende Vorliegen des Liquiditäts- bzw. Finanzplans bei den Gläubigern eröffnet sich ihnen für diesen Insolvenztatbestand keine Antragsmöglichkeit.

2.2.2 Das Insolvenzplanverfahren

Im Zuge der Insolvenzrechtsreform 1999 wurde vom Gesetzgeber mit der Einführung des Insolvenzplanverfahrens ein neues rechtliches Instrumentarium geschaffen. Dies sollte - in Anlehnung an das amerikanische Insolvenzrecht - die Möglichkeit eröffnen, Unternehmenskrisen einvernehmlich zu bewältigen und die Sanierung und den Erhalt eines Unternehmens, hauptsächlich zum Wohle der Gläubiger, in den Mittelpunkt zu stellen. Ferner kann das Planverfahren zur Liquidation oder Übertragung eines Unternehmens eingesetzt werden.

Kern des gesamten Verfahrens bildet ein Plan, der entweder vom Schuldner oder vom Insolvenzverwalter beim zuständigen Insolvenzgericht eingereicht wird. Dies geschieht oftmals in Verbindung mit der Einreichung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, was den Beginn des Verfahrens darstellt. Da Unternehmen in der Krise auf rasches Handeln und Entscheiden angewiesen sind, ist es jedoch üblich, noch im Eröffnungsverfahren einen erheblichen bzw. den entscheidenden Teil der Verhandlungen mit den Gläubigergruppen zu antizipieren und vor das eigentliche Insolvenzplanverfahren zu ziehen[40].

Zur Sicherung der Vermögensmasse im Eröffnungsverfahren kann das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter einsetzen und diesen nach den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit mit unterschiedlichen Befugnissen ausstatten. Während ein sog. „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bei endgültigen Vermögensverfügungen des Schuldners lediglich seine Zustimmung verweigern kann und ausschließlich mit der Aufgabe der Insolvenzmassensicherung betraut ist, wird dem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners vollständig übertragen. Damit hat dieser bereits eine ähnliche Stellung wie der endgültige Insolvenzverwalter. Auf Letzteren geht das Verfügungs- und Verwaltungsrecht des Insolvenzschuldners über die Insolvenzmasse mit Insolvenzverfahrenseröffnung über (§ 80 InsO).

Der erarbeitete Insolvenzplan ist formell in einen darstellenden sowie einen inhaltlichen Teil zu gliedern und bestimmte Anlagen, wie bspw. eine Übersicht über die Vermögens- und Ertragslage und deren erwartete Entwicklung, sind diesem beizufügen (§ 229 f. InsO). Im darstellenden Teil wird beschrieben, welche Maßnahmen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen worden sind oder noch getroffen werden sollen, um die Grundlagen für die geplante Gestaltung der Rechte der Beteiligten zu schaffen (§ 220 I InsO). Der gestaltende Teil legt fest, wie die Rechtsstellung der Beteiligten durch den Plan geändert werden soll (§ 221 InsO). Auf diese und noch weitere Anforderungen wird der eingereichte Plan vom Insolvenzgericht im Rahmen einer Vorprüfung untersucht. Daraufhin folgt entweder eine endgültige oder eine – vorbehaltlich einer eingeräumten Änderungsfrist – vorläufige Zurückweisung oder aber eine sofortige Zulassung des Plans. In diesem Fall wird der Insolvenzplan vom Insolvenzgericht zur Stellungnahme an die Beteiligten weitergeleitet sowie ein Termin vereinbart, an dem der Insolvenzplan und das Stimmrecht der Gläubiger erörtert werden und schließlich über den Plan abgestimmt wird (§ 235 InsO).

Durch Bildung von Gläubigergruppen nach betroffener Rechtsstellung und weitgehend homogenen Ansprüchen soll den unterschiedlichen Interessen der Gläubiger Rechnung getragen werden und jeder einzelnen Gruppe die Entscheidung ermöglichen, dem Planvorschlag zu folgen oder nicht. Alle Gruppen, deren Ansprüche durch einen Insolvenzplan modifiziert werden, müssen dem Verwertungsvorschlag zustimmen, damit dieser als angenommen gilt. Da keine Gruppe überstimmt werden darf, ist dies gleichbedeutend mit einem Vetorecht, mit dem ein jeder Verwertungsplan zu Fall gebracht werden kann[41]. Die Möglichkeit, taktische Störpositionen aufzubauen und den Insolvenzplan zu blockieren, schränkt der Gesetzgeber – wiederum in Anlehnung an den US-amerikanischen Bankruptcy-Code – mit dem sog. Obstruktionsverbot (§ 245 InsO) ein.

Danach ist es für eine Bestätigungsmöglichkeit des Plans theoretisch ausreichend, dass eine Gruppe dem Plan zustimmt, weil sie die so vorgeschlagene Alternativregelung der Regelabwicklung vorzieht. Allen übrigen negativ abstimmenden Gruppen wird nahegelegt, dieses Ergebnis hinzunehmen und nicht verhindern zu können - nicht obstruieren zu können -, dass dieser Vorteil für die zustimmende Gruppe eintritt, solange zwei Kriterien gewährleistet sind: Erstens dürfen die ablehnenden Gruppen im Vergleich zur Regelabwicklung nicht schlechter gestellt werden und zweitens müssen die Lösungen des Plans grundsätzlich angemessen und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Gläubigern Treu und Glauben entsprechend sein[42].

Nach der Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger (§§ 244-246 InsO) und der Zustimmung des Schuldners bedarf der Plan der Bestätigung durch das Insolvenzgericht (§ 248 I InsO). Das Gericht soll jedoch vor seiner Entscheidung den Insolvenzverwalter, den Gläubigerausschuss sowie den Schuldner anhören (§ 248 II InsO). Eine Ablehnung durch das Gericht kann erfolgen, wenn Vorschriften über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung des Insolvenzplans nicht beachtet wurden oder ein Gläubiger besonders begünstigt würde (§ 250 InsO). Mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein (§ 254 InsO).

Eine weitere Alternative zur Regelabwicklung des Schuldnervermögens stellt das Eigenverwaltungsverfahren dar. Die Eigenverwaltung (vgl. §§ 270 ff. InsO) sieht ein Verfahren vor, in welchem der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen behält. Zusätzlich wird zum Schutz der Gläubiger ein Sachwalter bestellt, dem insbesondere die Überwachung der Geschäftsführung des Schuldners obliegt. Der Antrag eines Schuldners auf Anordnung der Eigenverwaltung wird i.d.R. nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn zusammen mit dem Eigenantrag ein Insolvenzplan vorgelegt wird und das schuldnerische Unternehmen als erhaltungsfähig eingestuft werden kann[43]. Durch die Anordnung der Eigenverwaltung können in erheblichem Maße Kosten eingespart werden, da der Sachverwalter im Vergleich zum Insolvenzverwalter erheblich niedrigere Gebühren verursacht. Außerdem erkennen Kunden und Lieferanten sofort, dass keine Zerschlagung angestrebt wird.

In der Praxis der vergangenen Jahre führte das Insolvenzplanverfahren eher ein Schattendasein und konnte die hohen Erwartungen nicht erfüllen[44]. Als mögliche Ursachen wurden der noch immer unzureichende Bekanntheitsgrad, Vorbehalte von Insolvenzgerichten und –verwaltern aufgrund geringer Vertrautheit mit dem Verfahren sowie eine oftmals zu späte Insolvenzantragstellung identifiziert[45]. Weitere Hindernisse stellen außerdem die zeitaufwendigen Verhandlungen und Abstimmungen zwischen den Gläubigergruppen sowie die häufig fehlende wirtschaftliche Substanz der insolventen Gesellschaften dar, um die Gläubiger im Rahmen des Insolvenzplans akzeptabel zu befriedigen. Als Folge dieser Gründe wird das Insolvenzplanverfahren in vielen Fällen mangels sicherer Erfolgsperspektiven zu Gunsten einer klassischen übertragenden Sanierung zurückgestellt[46].

2.2.3 Das Regelinsolvenzverfahren (Übertragende Sanierung)

Das klassische und in der Praxis überwiegend bevorzugte Sanierungsinstrument ist die übertragende Sanierung. Diese kann sowohl im Regelinsolvenzverfahren (§§ 160 ff. InsO) als auch im Rahmen eines Insolvenzplans erfolgen, wobei u.a aus Aufwands- und Kostengründen meist kein Insolvenzplan vorgelegt wird. Bei der übertragenden Sanierung wird das Unternehmen vom Unternehmensträger getrennt, also veräußert. Dabei kommen sowohl die Veräußerung der Geschäftsanteile (Share Deal) als auch die Veräußerung sämtlicher Vermögensgegenstände (Asset Deal) in Frage.

Beim Share Deal kann der Insolvenzverwalter ein Unternehmen, einen Betrieb oder einen Teilbetrieb vor dem Verkauf auf einen bestehenden oder neu gegründeten Rechtsträger ausgliedern und anschließend die Gesellschaftsanteile veräußern. Im Rahmen des Asset Deals erfolgt die Unternehmensfortführung auf Basis der Veräußerung aller zur Betriebsfortführung notwendigen Wirtschaftsgüter des insolventen Unternehmens an ein anderes Unternehmen oder an eine zu diesem Zweck gegründete Auffanggesellschaft[47]. Der neue Unternehmensträger entledigt sich dadurch vollständig der Altverbindlichkeiten, was das Kernstück der übertragenden Sanierung ausmacht. Die nicht zur Fortführung benötigten Unternehmensteile des insolventen Unternehmens werden liquidiert. Der durch den Verkauf des „gesunden“ Vermögens erzielte Erlös wird zur Befriedigung der Gläubiger verwendet.

[...]


[1] Vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland (2010), S. 7.

[2] Vgl. PricewaterhouseCoopers AG WPG (2009).

[3] Vgl. PricewaterhouseCoopers AG WPG (2010).

[4] Vgl. Müller (1986), S. 54 f.

[5] Vgl. Brunke/Waldow (2009) in Buth/Hermanns, RSI, § 18 Rn. 11.

[6] Vgl. Müller-Ganz (2004), S. 22 f.

[7] Vgl. Brunke/Waldow (2009) in Buth/Hermanns, RSI, § 18 Rn. 12.

[8] Vgl. Brunke/Waldow (2009) in Buth/Hermanns, RSI, § 18 Rn. 13.

[9] Vgl. Rudolph (2006), S. 537.

[10] Vgl. Brunke/Waldow (2009) in Buth/Hermanns, RSI, § 18 Rn. 14.

[11] Vgl. Gertner/ Scharfstein (1991), S. 1189 ff.

[12] Vgl. Picot/Aleth (1999), S. 159.

[13] Vgl. Picot/Aleth (1999), S. 106 ff.

[14] Vgl. § 19 Abs. 2 InsO.

[15] Vgl. Rudolph (2006), S.538.

[16] Vgl. Brunke/Waldow (2009) in Buth/Hermanns, RSI, § 18 Rn. 24.

[17] Vgl. Burger/Buchhart (1999), S.189.

[18] Vgl. Klockenbrink/Wömpener (2007), S. 642.

[19] Vgl. Burger/Buchhart (1999), S.192.

[20] Vgl. Burger/Buchhart (1999), S.192.

[21] Vgl. Buschmann (2006), S. 136 ff.

[22] Vgl. Brunke/Waldow (2009) in Buth/Hermanns, RSI, § 18 Rn. 28.

[23] Vgl. Buschmann (2006), S. 138.

[24] Vgl. Kunz/Ehnert (2007), S. 405.

[25] Vgl. Burger/Buchhart (1999), S.190.

[26] Vgl. Burger/Buchhart (1999), S.190.

[27] Vgl. Burger/Buchhart (1999), S.191.

[28] Vgl. Burger/Buchhart (1999), S.192.

[29] Vgl. Altman (1993), S.165.

[30] Vgl. Kunz/Ehnert (2007), S. 405.

[31] Vgl. Hotchkiss/ Mooradian (1997).

[32] Vgl. Rudolph (2006), S. 526.

[33] Vgl. Drukarczyk (2003), S. 516.

[34] „…Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.“ (§19 II InsO)

[35] Vgl. Schackmann/Mellert (2009).

[36] Vgl. Uhlenbruck (2006) in Gottwald, § 6 Rn. 14f.

[37] Vgl. Uhlenbruck (2006) in Gottwald, § 6 Rn. 5.

[38] BGH-Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04 - OLG Hamm, LG Dortmund.

[39] Vgl. Rudolph (2006), S. 527.

[40] Vgl. Braun (2006) in Gottwald, § 68 Rn.1

[41] Vgl. Drukarczyk (2003), S. 544.

[42] Vgl. Braun (2006) in Gottwald, § 68 Rn.52.

[43] Vgl. Braun (2006) in Gottwald, § 72 Rn. 1-4.

[44] Vgl. Labbé/Rudolph (2008), S. 97.

[45] Vgl. Pfaffenholz/Kranzusch (2007), S.112.

[46] Vgl. Morshäuser/Falkner (2009), S. 529.

[47] Vgl. Beck (2007) in Wabnitz/Janovsky, A III, Rn. 18.

Ende der Leseprobe aus 73 Seiten

Details

Titel
M&A in Sondersituationen
Hochschule
Universität Hohenheim
Note
2,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
73
Katalognummer
V177749
ISBN (eBook)
9783640994793
ISBN (Buch)
9783640996001
Dateigröße
890 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
M&A, Distressed M&A, Debt Equity Swap, Restrukturierung, Insolvenz, Kapitalstruktur, Unternehmensbewertung
Arbeit zitieren
Ulrich Hahn (Autor:in), 2010, M&A in Sondersituationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177749

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Titel: M&A in Sondersituationen



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