Bildungsungleichheit als Dimension sozialer Ungleichheit dargestellt am Beispiel der Lesekompetenz bei Grundschulkindern

Lesekompetenzförderung als Maßnahme zur Überwindung sozialer Ungleichheit?


Bachelorarbeit, 2011

66 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Soziale Ungleichheit
2.1. Definition sozialer Ungleichheit
2.2. Strukturebenen sozialer Ungleichheit

3. Bildungsungleichheit als Dimension sozialer Ungleichheit
3.1. Definition Bildungsungleichheit
3.2. Ursachen der Bildungsungleichheit
3.2.1. Kapitalbegriff nach Bourdieu
3.2.2. Herkunftseffekte nach Boudon
3.3. Schichtenspezifische Bildungsungleichheit im deutschen Bildungssystem

4. Lesekompetenz
4.1. Bedeutung der Lesekompetenz
4.2. Instanzen der Lesesozialisation
4.2.1. Familie als Instanz der Lesesozialisation
4.2.2. Schule als Instanz der Lesesozialisation
4.2.3. Peergroup als Instanz der Lesesozialisation
4.3. Lesekompetenz von Grundschulkindern nach sozialer Herkunft

5. Lesekompetenzförderung zur Verminderung von Bildungsungleichheit
5.1. Lesekompetenzförderung
5.2. Lesekompetenzförderung in Kooperation mit verschiedenen Instanzen der Lesesozialisation - aktuelle Projekte/ Programme
5.2.1. Lesekompetenzförderung in Kooperation mit der Familie
5.2.2. Lesekompetenzförderung in Kooperation mit der Schule
5.3. Bewertung der Projekte im Hinblick auf die Herstellung von Chancengleichheit
5.3.1. Definition Chancengleichheit
5.3.2. Chancengleichheit durch Lesekompetenzförderung
5.3.3. Projektbewertung im Hinblick auf die Schaffung von Chancengleichheit

6. Schlussbetrachtung und Ausblick

Zusammenfassung

Summary

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Strukturebenen sozialer Ungleichheit

Abbildung 2: Kapitalformen nach Bourdieu

Abbildung 3: Lesekompetenz im Sozialisationskontext

Abbildung 4: Mehrebenenmodell der Lesesozialisation

Abbildung 5: Rendite für Investitionen in das Humankapital benachteiligter Kinder in verschiedenen Lebensphasen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Relative Chancen für eine Gymnasialempfehlung der Lehrer und Präferenz der Eltern abhängig von der sozialen Lage der Familie (EPG)

Tabelle 2: Vergleich der IGLU-Testergebnisse und der Schullaufbahnempfehlungen der Lehrer in Zeilenprozent

Tabelle 3: Übersicht der Projekte nach Erfüllung der aufgestellten Bewertungskriterien .

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Auf die Frage, welches das größte momentan auf der Welt existierende Problem sei, antwortete der Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela:

„The question of poverty and lack of education, those two combined. It’s important for us to ensure that education reaches everybody” (Reader´s Digest 2004: Internet).

Im Jahr 2008 waren 14,4 % der deutschen Bevölkerung von Armut betroffen (Martens 2010: 29), besonders Kinder und Jugendliche haben ein deutlich erhöhtes Armutsrisiko (Martens 2010: 31). So lag das Armutsrisiko der unter 18-Jähringen im Jahr 2008 bei 17,3 %, dies entspricht 2,4 Millionen Kindern (Böhmer/ Rühling 2008: 8). Eine der wichtigsten Fragen an unsere heutige Gesellschaft ist somit die, wie diesen Men- schen ein Ausweg aus der Armut geboten werden kann - eine wichtige Strategie der Armutsbekämpfung ist die Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Da die Nachfrage nach un- oder niedrigqualifzierter Arbeit abnimmt, sind Weiterbildung und Qualifizierung zunehmend wichtig.

Primär geschieht diese Qualifizierung (also Bildung) von Menschen über die Schule, also über die Erreichung von Bildungsabschlüssen. Problematisch hierbei ist, dass insbesondere in Deutschland die soziale Herkunft eine große Rolle spielt und somit Kinder und Jugendli- che aus „niedrigeren“ sozialen Schichten in der Erlangung von Bildungschancen oft stark benachteiligt sind. Dies wird besonders deutlich an den Ergebnissen der internationalen Schulleistungsstudien PISA und IGLU aus den letzten Jahren. Deutschland erzielte in der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 den „Spitzenplatz“ im Bereich der Chancenungleichheit: In keinem anderen Land war die Leseleistung der 15-jährigen Schüler so stark von ihrer sozia- len Herkunft abhängig. Die Ergebnisse der IGLU-Studie von 2006 zeigen, dass Leistungs- unterschiede abhängig von der sozialen Herkunft bereits im Grundschulalter bestehen (Bos/ Schwippert/ Stubbe 2007: 243). Deutschland ist also vom Ziel einer möglichst geringen Kopplung des Bildungserfolges und der sozialen Herkunft noch weit entfernt (Ehmke/ Jude 2010: 242, 250).

Werden Menschen von qualifizierenden Bildungsabschlüssen ferngehalten, so steigt für die Betroffenen das Armutsrisiko signifikant.

Bildung ist eine zentrale, individuelle und gesellschaftliche Ressource des 21. Jahrhunderts (Quenzel/ Hurrelmann 2010: 13). Der Bildungsgrad eines Menschen entscheidet über dessen individuelle Lebenschancen, beruflichen Erfolg - aber auch über dessen sozialen, kulturellen und politischen Teilhabemöglichkeiten (Solga/ Dombrowski 2009: 7).

Diese Ausarbeitung wird sich mit der Frage beschäftigen, wie sich soziale Ungleichheiten im Bildungsbereich manifestieren und welche Möglichkeiten der Kompensation es gibt. Als 1

zentraler Ansatzpunkt dient dabei die Lesekompetenz von Grundschulkindern. Denn Lesen ist nicht nur eine Kompetenz neben vielen anderen; Lesen ist vielmehr die grundlegende Voraussetzung für den Bildungserwerb. Lesen eröffnet den Zugang zur Medienwelt, die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben und befähigt so nicht zuletzt zum lebenslangen Lernen (Bundesministerium für Bildung und Forschung (im weiteren BMBF) 2007: 6; Bartnitzky 2006: 8; Klieme et al. 2010b: 23; Artelt et al. 2001: 133). Auf Grund dieser Schlüsselrolle der Lesekompetenz für den Bildungserwerb wird die Lesekompetenzförderung von Kindern aus sozial benachteiligten Schichten als geeignete Maßnahme zur Entkopplung der Bildungschancen von der sozialen Herkunft gesehen.

In der vorliegende Arbeit wird demnach zunächst in Kapitel zwei der Terminus der sozialen Ungleichheit definiert; anschließend wird in Kapitel drei am Beispiel Deutschlands aufgezeigt werden, inwieweit Bildungsungleichheit eine Dimension sozialer Ungleichheit ist. Lesens ist nicht nur zentrale Kulturtechnik. sondern auch Schlüssel zur Reduktion sozialer Ungleichheit. Daher werden zunächst in Kapitel vier der Begriff der Lesekompetenz eingeführt und daran anschließend in Kapitel fünf Projekte vorgestellt, die sich explizit mit der Förderung von Lesekompetenz bei Grundschulkindern befassen. Zentral wird dabei die Fragestellung sein, wie diese Projekte konzipiert wurden und inwiefern sie die Lesekompetenz nachhaltig fördern. Eine Beurteilung der Projekte in Hinsicht ihres Beitrages zur Reduktion sozialer Ungleichheit wird den Abschluss dieses Teils bilden. Kapitel sechs erfasst die zentralen Ergebnisse der vorherigen Kapitel und wird auf Grund- lage dessen die zentrale Fragestellung dieser Ausarbeitung in Form eines Ausblicks reflek- tieren. Zur besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit das generische Maskulinum ver- wendet.

2. Soziale Ungleichheit

„In jedem Land der Welt sind materielle und immaterielle Ressourcen ungleich verteilt, die Lebensbedingungen der Bürger sind unterschiedlich vorteilhaft und ihre gesellschaftlichen Positionierungen verschieden. Soziale Ungleichheit ist kein deutsches Problem. In hohem Maße ungerecht ist es aber, wenn die soziale oder ethnische Herkunft eines Menschen die entscheidende Determinante für seinen weiteren Lebensverlauf ist. Hier ist der Staat in der Pflicht, allen Bürgern die gleichen Möglichkeiten zur Entwicklung ihrer Potenziale zu bieten und die Voraussetzungen zu schaffen, dass die vorhandenen Chancen auch tatsächlich wahrgenommen werden können. Denn die Herstellung von Chancengleichheit ist einer der wichtigsten Eckpfeiler demokratischer Gesellschaften, gleichberechtigte Bildungschancen wesentlich für ihren Zusammenhalt und inneren Frieden“. In diesem Zitat legen Wernstedt und John-Ohnesorg (2008: 5) eindrücklich die Bedeutung sozialer Ungleichheit für die Bevölkerung dar und deuten die Wichtigkeit der Herstellung von Chancengleichheit an. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit sozialer Ungleichheit und ihren Erscheinungsformen (Bedingungs-, Verteilungs- und Chancenungleichheit). Zuerst wird der Begriff der sozialen Ungleichheit definiert, im Anschluss daran erfolgt eine Darstellung der vier Strukturebenen der sozialen Ungleichheit: Determinanten, Ursachen, Dimensionen und Folgen.

2.1. Definition sozialer Ungleichheit

In der Soziologie sind verschiedene Definitionen von sozialer Ungleichheit zu finden. Die vorliegende Arbeit orientiert sich an der Definition von Hradil (]2006: 195f). Als soziale Ungleichheit werden demnach unterschiedliche Teilhabemöglichkeiten an wert- vollen, knappen gesellschaftlichen Ressourcen, verursacht durch unterschiedliche Lebens- bedingungen (Arbeitsbedingungen, Einkommen, Bildungsgrad, etc.) bezeichnet (Zillien 2009: 29; Hradil 2006: 195).

Soziale Ungleichheit bezieht sich dabei erstens, auf bestimmte Güter, die im gesellschaftli- chen Kontext als „wertvoll“ gelten. Die Lebensbedingungen einer Person sind folglich umso besser, je mehr Güter sie besitzt. Als „wertvoll“ werden zum einen Güter bezeichnet, die dazu befähigen ein „gutes Leben“ zu führen (geprägt von Werten wie Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit), wie etwa Geld oder eine unkündbare Arbeitsstelle. Zum anderen werden Güter als „wertvoll“ bezeichnet, wenn sie knapp oder verknappt sind (Hradil 2006: 196). So kann der Wert eines Gutes abhängig von Land und Zeit differenzieren (Abels 2007: 319).

Soziale Ungleichheiten beziehen sich zweitens nur auf wertvolle Güter, auf die einige Men- schen in größerem Umfang zugreifen können als andere (Hradil 2006: 28). Soziale Ungleichheiten beziehen sich drittens auf ungleich verteilte wertvolle Güter, die be- stimmte Gesellschaftsmitglieder auf Grund ihrer sozialen und gesellschaftlichen Positionen besser oder schlechter stellen als andere, und nicht auf Grund individueller oder zufälliger Gründe (Hradil 2006: 196; Abels 2007: 319). Von sozialer Ungleichheit wird also nur dann gesprochen, wenn eine regelmäßige und dauerhafte Begünstigung oder Benachteiligung auf Grund einer sozialen Position oder einer sozialen Handlung vorliegt. Der zufällige Lottoge- winn der Nachbarin, der sie über Nacht zur Millionärin macht, ist demnach keine soziale Un- gleichheit (Abels 2007: 319; Solga et al. 2009: 15).

Der Erwerb wertvoller Güter sowie der Zugang zu gesellschaftlichen Positionen sind durch

Bedingungen, Chancen und Ergebnisse gekennzeichnet (Solga 2003: 10). Soziale Ungleichheit kann demnach als Bedingungs-, Verteilungs- und Chancenungleichheit auftreten:

- Als Bedingungsungleichheit wird die Ungleichheit in den Startchancen bezeichnet (Solga 2003: 10).
- Als Verteilungsungleichheit bezeichnet Hradil (2006: 196) die unterschiedliche Verteilung wertvoller Güter (z. B. Einkommen) innerhalb der Sozialstruktur der Bevölkerung.
- Chancenungleichheit besteht dann, wenn eine bestimmte Bevölkerungsgruppe (Frauen, Migranten, Arbeitslose, etc.) der Gesamtbevölkerung die Möglichkeit besitzt besser oder schlechter abzuschneiden als der Rest der Bevölkerung (Hradil 2006: 196).

2.2. Strukturebenen sozialer Ungleichheit

Um soziale Ungleichheiten zu untersuchen, ist eine Unterscheidung zwischen vier Strukturebenen sinnvoll: Determinanten, Dimensionen, Ursachen und Folgen sozialer Ungleichheit, siehe auch Abb. 1 (Hradil 2006: 197).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Strukturebenen sozialer Ungleichheit Ursachen

(Quelle: modifiziert nach Solga et al. 2009: 17)

Determinanten sozialer Ungleichheit

Die Determinanten sozialer Ungleichheit umfassen soziale Merkmale einer Person, wie etwa Geschlecht, Alter, Bildungsniveau, Beruf, soziale Herkunft, ethnische Zugehörigkeit (Hardil 2006: 197, Solga et al. 2009: 16). Diese Merkmale stellen an sich keine Vor- oder Nachteile dar, mit ihnen geht jedoch eine empirisch nachweisbar hohe Wahrscheinlichkeit sozialer Ungleichheit einher (Hardil 2006: 197). Bei den sozialen Merkmalen wird zwischen zugeschriebenen und erworbenen Merkmalen unterschieden:

- Zugeschriebene Merkmale können vom Einzelnen nur gering beeinflusst werden, dazu gehören Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit, soziale oder regionale Herkunft.
- Erworbene Merkmale hingegen sind durch das eigene Zutun von Personen entstanden und daher prinzipiell veränderbar, z. B. Bildungsniveau, Beruf, Familienstand (Solga et al. 2009: 17; Solga 2003: 11).

Dimensionen sozialer Ungleichheit

Auf Grund der großen Zahl und Vielfalt an vor- und unvorteilhaften Lebensbedingungen wer- den diese in folgende Basisdimensionen gebündelt: materieller Wohlstand, Macht, Bildung und Prestige, Arbeits-, Wohn-, Umwelt-, Freizeit- und Gesundheitsbedingungen, soziale Sicherheit und Lebensqualit ä t (Hradil 2006: 197; Solga 2003: 14; Ditton 2008: 631; Abels 2007: 320). In der vorliegenden Arbeit wird das Augenmerk nur auf die Dimension Bildung gerichtet.

Ursachen sozialer Ungleichheit

Soziale Ungleichheit entsteht durch Prozesse, die bestimmte Determinanten einer Person sozial relevant machen und so zu Vor- oder Nachteilen in bestimmten Lebensbereichen (Dimensionen) führen. Die Prozesse sind quasi Auslöser sozialer Ungleichheiten. Beispiele für Ursachen sozialer Ungleichheit sind Ausbeutung, Funktionserfordernisse der Wirtschaft, soziale Vorurteile, Netzwerkeinbindungen und -ausgrenzungen, Stigmatisierung, Diskriminierung (Solga et al. 2009: 19; Solga 2003: 14).

„Merkmale von Personen (wie Ausbildung, Geschlecht, Alter, Beruf, ethnische Zugehörigkeit) [werden] erst dann zu Determinanten sozialer Ungleichheit […], wenn sie über soziale Mechanismen vermittelt systematisch mit Vor- und Nachteilen (als Dimension sozialer Ungleichheit) verbunden sind“ (Solga et al. 2009: 19).

Folgen

Die in den Dimensionen zusammengefassten, ungleichen Lebensbedingungen (Einkommen, Bildung, etc.) haben weitreichende Folgen. (Un-)vorteilhafte Lebensbedingungen beeinflussen das Denken und Handeln des Einzelnen (Sprache, Erziehung der Kinder, etc.). Je nach Ausprägung können diese verschiedenen Mentalitätsmuster Vor- oder Nachteile mit sich bringen (Hradil 2006: 197).

Im vorliegenden Kapitel wurde der Begriff der sozialen Ungleichheit eingeführt und auf die Strukturebenen der sozialen Ungleichheit eingegangen. Eine der Strukturebenen bilden die „Dimensionen sozialer Ungleichheit“, welche u. a. die Dimension Bildung umfassen. Im sich anschließenden Kapitel wird die Dimension Bildung(sungleichheit) näher betrachtet.

3. Bildungsungleichheit als Dimension sozialer Ungleichheit

Bildung ist die zentrale, individuelle und gesellschaftliche Ressource des 21. Jahrhunderts (Quenzel/ Hurrelmann 2010: 13). Der Bildungsgrad eines Menschen entscheidet über des- sen individuelle Lebenschancen, beruflichen Erfolg sowie über dessen soziale, kulturelle und politische Teilhabe (Solga/ Dombrowski 2009: 7). „Bildung und die durch sie ausgewiesenen Fähigkeiten gelten in unserer Gesellschaft als Innovationspotenzial und zentrale Vorausset- zung für wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftlichen Wohlstand“ (Solga/ Powell 2006: 175). Doch wodurch kann der Bildungsprozess beeinflusst werden und wie wirkt sich ein unglei- cher Zugang zu Bildung aus? Diese Fragen werden u. a. im folgenden Kapitel geklärt. In Ka- pitel drei wird die Bildungsungleichheit als Dimension sozialer Ungleichheit näher betrachtet. Zu Beginn wird dafür ein theoretischer Einblick in die Bildungsungleichheit gegeben, der Be- griff der Bildungsungleichheit wird definiert und im Anschluss werden die Ursachen der Bil- dungsungleichheit betrachtet. Bei der Betrachtung der Ursachen für Bildungsungleichheit wird der Kapitalbegriff nach Bourdieu eingeführt und danach auf die primären und sekundä- ren Herkunftseffekte nach Boudon eingegangen. Zum Ende wird ein Einblick in die Bildungs- realität durch Darstellung der Bildungsungleichheit im deutschen Bildungssystem gegeben.

3.1. Definition Bildungsungleichheit

Bildungsungleichheiten bestehen im deutschen Bildungssystem vor allem abhängig von Ge- schlecht, Nationalität und sozialer Herkunft (Ditton 2008: 247). Bildungsungleichheit ist dem- zufolge eine Ausprägung von Chancenungleichheit (vgl. 2.1. Definition sozialer Ungleich- heit), denn hier schneiden bestimmte Bevölkerungsgruppen (Mädchen, Migranten, Kinder aus unteren sozialen Schichten) schlechter ab als andere. Die vorliegende Arbeit fokussiert sich auf die Betrachtung der Bildungsungleichheit abhängig von der sozialen Herkunft.

Als Bildungsungleichheit werden die „Unterschiede im Bildungsverhalten und in den erzielten Bildungsabschlüssen (beziehungsweise Bildungsgängen) von Kindern, die in unterschiedli- chen sozialen Bedingungen und familiären Kontexten aufwachsen“ (Müller/ Haun 1994: 3) bezeichnet.

Ehmke et al. (2005: 259) unterscheiden zwischen primären und sekundären schichtbezogenen Disparitäten des Bildungserfolges. Von Prim ä ren schichtbezogenen Disparit ä ten des Bildungserfolgs wird gesprochen wenn ein Kind aus einer niedrigen sozialen Schicht einen geringeren Schulerfolg auf Grund geringerer Leistungen erbringt. Um Sekund ä re schichtbe zogene Disparit ä ten des Bildungserfolgs handelt es sich, wenn das Leistungspotenzial eines Kindes nicht erkannt oder gefördert wird. Ursächlich hierfür sind häufig Entscheidungen von Eltern und Lehrern (Emke et al. 2005: 259).

3.2. Ursachen der Bildungsungleichheit

In den Schulleistungsstudien IGLU und PISA der letzten Jahre zeigt sich eine deutliche Kopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg (Solga/ Dombrowski 2009: 7). Im Folgen- den soll dargestellt werden, welche Aspekte der sozialen Herkunft den Bildungserfolg eines Kindes beeinflussen. Dazu wird zuerst der Kapitalbegriff nach Bourdieu eingeführt und im Anschluss die primären und sekundären Herkunftseffekte nach Boudon vorgestellt. Bei der Beschreibung der primären Herkunftseffekte werden, zur besseren Veranschaulichung der Thematik, die zuvor vorgestellten Kapitalformen nach Bourdieu beispielhaft eingebunden.

3.2.1. Kapitalbegriff nach Bourdieu

Bourdieu (1983: 186ff) unterscheidet zwischen den folgenden drei Kapitalformen: ökonomisches Kapital, soziales Kapital und kulturelles Kapital. Wobei sich das kulturelle Kapital in drei Ausdrucksformen unterteilt: in das inkorporierte, das objektive sowie das institutionalisierte Kulturkapital (siehe schematische Darstellung in Abb. 2).

Abbildung 2: Kapitalformen nach Bourdieu

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: eigene Darstellung)

Diese Kapitalformen sollen im Weiteren näher erläutert werden:

Als ökonomisches Kapital bezeichnet Bourdieu die materiellen Ressourcen wie Geld oder Schmuck (Bourdieu 1983: 186).

Die sozialen Netzwerke einer Person werden von ihm als soziales Kapital verstanden (Bourdieu 1983: 191f).

Als kulturelles Kapital, definiert Bourdieu die Bildung eines Menschen, mit den bereits er- wähnten Ausdrucksformen, die er wie folgt beschreibt:

- Das inkorporierte Kulturkapital entspricht dem Wissen, das eine Person im Laufe des Lebens erworben hat (Bourdieu 1983: 187f). Dazu zählen allgemeine Lebensführungskompetenzen, wie bspw. sprachliche Ausdrucksfähigkeit, Aufgeschlossenheit gegenüber gesellschaftlichem Wissen, Abstraktionsvermögen, Informationsverarbeitungs- und Medienkompetenzen, Analytische Kompetenzen sowie soziale Umgangsformen (Brake/ Büchner 2003: 631).
- Zum objektiven Kulturkapital zählen materielle Gegenstände wie Bücher, Kunstwerte und Musikinstrumente (Bourdieu 1983: 189f).
- Das institutionalisierte Kulturkapital schließlich umfasst die schulischen und akademi- schen Titel einer Person (Bourdieu 1983: 190f).

3.2.2. Herkunftseffekte nach Boudon

Zur Beurteilung und Differenzierung der Ursachen sozialer Ungleichheit beim Bildungserfolg wird in der Soziologie häufig auf Boudons Ansatz primärer und sekundärer Herkunftseffekte zurückgegriffen. Dieser soll im Folgenden näher beschrieben werden.

Primäre Herkunftseffekte

Primäre Herkunftseffekte beschreiben den Zusammenhang von Ressourcenverfügbarkeit nach sozialer Herkunft und schulischen Leistungen und den darauf aufbauenden Bildungs- erfolg (Bos/ Schwippert/ Stubbe 2007: 226). Kinder aus höheren sozialen Schichten sind auf Grund besserer Ressourcen der Herkunftsfamilie eher dazu in der Lage, gute Schulleistung- en zu erbringen als Kinder aus niedrigen sozialen Schichten (Arens 2007: 147; Preißer 1997: 21).

Eltern verfügen je nach Schichtzugehörigkeit über einen bestimmten Pool an Ressourcen aus ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital. Ressourcenunterschiede zwischen Herkunftsfamilien beziehen sich auf verschiedene Aspekte wie die monetären Ressourcen der Familie (ökonomisches Kapital), den Bildungsgrad der Eltern, das Wissen der Eltern über Bildungsmöglichkeiten, kulturelle Aktivitäten im Elternhaus (Kulturelles Kapital), die soziale Unterstützung der Eltern und das soziale Umfeld (soziales Kapital) (Hadjar et al. 2010: 225). Nach Bos, Schwippert und Stubbe (2007: 226) investieren Eltern ihr vorhandenes ökonomi- sches, kulturelles und soziales Kapital in die Ausbildung ihrer Kinder Im Folgenden wird der Einfluss unterschiedlicher Ressourcen der Herkunftsfamilie auf die Bildungserfolge des Kindes, auf Grundlage von Bourdieus Unterteilung in die verschiedenen Kapitalformen, dar- gestellt.

Ökonomisches Kapital

Kinder aus oberen sozialen Schichten haben durch ein Mehr an materiellen Ressourcen in der Familie bessere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bildungskarriere und damit ein- hergehend höhere Chancen, später selbst einen hohen sozialen Status zu erreichen (Hadjar et al. 2010: 225). Sozial schwache Familien können ihre Kinder nicht immer in aus- reichendem Maße in schulischen Dingen unterstützen. Auf Grund der geringen finanziellen Mittel ist es oft nicht möglich, Nachhilfestunden oder unterstützende Unterrichtsmaterialien (z. B. Lexika, Bücher) zu finanzieren. Hinzu kommt oft noch eine niedrige Qualität des Wohn- umfeldes, welche es erschwert, ein lernfreundliches Umfeld (z. B. eigenes Zimmer, Schreib- tisch, Bücherregal) bereit zu stellen (Hadjar et al. 2010: 225; Bos/ Schwippert/ Stubbe 2007: 227; Solga/ Dombroski 2009: 22).

Kulturelles Kapital

Die Familie beeinflusst in hohem Maße die persönliche und intellektuelle Entfaltung des Kin- des, prägt dessen Charakter und vermittelt Wertvorstellungen und Kompetenzen in den Be- reichen Bildung, Leistungsorientierung, Alltagskompetenzen, Allgemeinwissen, sprachliche und kognitive Fähigkeiten, Leistungsmotivation und Glaube an den Erfolg persönlicher An- strengungen (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 2004: 6; Brake/ Büchner 2003: 630; Solga/ Dombroski 2009: 21). Der Bildungserwerb, die Bildungsbiogra- phie und der Bildungserfolg eines Kindes sind somit stark von den Bildungs- und Kulturleis- tungen der Herkunftsfamilie abhängig (Büchner 2008: 142). Personen innerhalb sozialer Gruppen entwickeln auf Grund gleicher Lebenslagen oft ähnliche Wertvorstellungen und Verhaltensmuster. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe prägt die Kinder hinsichtlich ihrer Entscheidungs-, Denk- und Sprechgewohnheiten und hat damit Einfluss auf den späte- ren Bildungserfolg (Solga/ Dombroski 2009: 21). Je nach Schichtzugehörigkeit der Eltern, unterscheiden sich auch deren Bildungsansprüche und Erziehungsvorstellungen. Eltern aus der mittleren und oberen Bildungsschicht fördern gezielt „die Entwicklung von Fähigkeiten und Motivationen, die eine erfolgreiche Bildungskarriere begünstigen“ (Geißler 2006: 41), dazu gehören Leistungsbereitschaft, Ehrgeiz, Kreativität, Fleiß und Selbstständigkeit (Geiß- ler 2006: 41; Solga/ Dombroski 2009: 22). Das in niedrigen sozialen Schichten oft niedrigere Anregungs- und Unterstützungsmilieu führt dazu, dass bei Kindern aus diesen Schichten nach Tillmann (2008: 162) im Durchschnitt die Intelligenz und die Interessen geringer ausge- bildet werden als bei Kindern aus oberen sozialen Schichten. Auch ist in den unteren sozia- len Schichten oft nur ein mangelhaftes Wissen über Bildungsmöglichkeiten vorhanden (Hadjar et al. 2010: 225).

Soziales Kapital

Das soziale Kapital umfasst alle Ressourcen, die durch Beziehungsarbeit in einem sozialen Netzwerk entstehen, diese Ressourcen resultieren aus bestimmten Gruppenzugehörigkeiten (z. B. Familie, Freunde, Vereinsmitgliedschaft, Arbeitsplatz). Die Höhe des sozialen Kapitals ist abhängig von der Größe des Netzwerks (Anzahl der Mitglieder) sowie individuellen Unter- schieden dieser Personen (z. B. Beruf). Ein hohes soziales Kapital haben demnach Perso- nen, die gute Netzwerker sind, d. h. die eine große Anzahl von Personen kennen, welche wiederum in verschiedenen Bereichen tätig sind (Braun 2002: 8, Deindl 2005: 1).

Das kulturelle und das soziale Kapital, welches Kindern durch die Familie vermittelt bekom- men und welches sie sich in dieser aneignen, beeinflussen in hohem Maße die Bildungspro- zesse in der Kindheit und dadurch den späteren Lebenslauf (Brake/ Büchner 2003: 631).

Sekundäre Herkunftseffekte

Sekundäre Herkunftseffekte beschreiben den Zusammenhang zwischen den Bildungsent- scheidungen und der sozialen Herkunft der Eltern (Böttcher 2005: 63). Sie erklären, warum für Kinder mit gleichen Schulleistungen unterschiedliche Bildungswege, abhängig von ihrer sozialen Herkunft gewählt werden (Solga/ Dombrowski 2009: 21). Besonders schwerwie- gend sind diese beim Übergang von der Primarstufe zur Sekundarstufe I am Ende der vier- ten Klasse. Hier wird die Entscheidung getroffen, ob ein Kind die Förder-, Haupt-, Real-, Ge- samtschule oder ein Gymnasium besucht und damit die Weichen für die weitere Bildungs- biographie gestellt (Arens 2007: 147, Solga/ Dombrowski 2009: 14), da Schüler im Normalfall bis zum Schulabschluss in der nach der Primarstufe gewählten Schulform verweilen (Bellenberg/ Klemm 2000: 73). Häufige und vor allem frühe Bildungsentscheidungen in der Schullaufbahn erhöhen die Bedeutung sekundärer Herkunftseffekte bei der Reproduktion sozialer Ungleichheit (Bos/ Schwippert/ Stubbe 2007: 226).

Die IGLU-Studie ist eine internationale Schulleistungsstudie, die die Lesekompetenz von Viertklässlern in verschiedenen Staaten (2006: 35 Staaten) misst, mit dem Ziel, Informatio- nen über die Kompetenzen der Schüler und deren Lernbedingungen in den beteiligten Staaten zu gewinnen (Bos et al. 2007b: 11). Die IGLU-Studie von 2006 hat gezeigt, dass die Chance für Schüler aus niedrigen sozialen Schichten, bei gleichen kognitiven Grundfähigkeiten und Kompetenzen, niedriger ist ein Gymnasium zu besuchen als für Schüler aus hohen sozialen Schichten (Solga/ Dombrowski 2009: 14). Die Ursachen hierfür sind zum einen in den Schullaufbahnempfehlungen der Lehrer und zum anderen in den Schullaufbahnpräferenzen der Eltern, abhängig von der sozialen Lage der Familie, zu suchen. Im Folgenden wird der Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund und Schullaufbahnempfehlungen/ -präferenzen durch Lehrer/ Eltern differenziert betrachtet.

Sozialer Hintergrund der Schüler und Schullaufbahnempfehlungen der Lehrer

Die Schullaufbahnpräferenzen der Lehrer basieren nur teilweise auf den eigentlichen Leis- tungen der Schüler, ein großer Teil der Präferenzen wird durch soziale Herkunft der Schüler bestimmt (Arnold et al. 2007: 286). Grund hierfür ist, dass Lehrer bei ihrer Einschätzung häufig leistungsfremde Aspekte berücksichtigen, wie etwa, ob die Familie über ein ausrei- chendes Unterstützungspotential für einen Gymnasiumbesuch des Kindes verfügt (Leh- mann/ Peek 1997: 86). Zudem fließen in die Lehrerempfehlung die Lernmotivation, die Lern- gewohnheiten, das Sozialverhalten und die Umgangsformen des Schülers mit ein (Schuma- cher 2002: 265). Der Einfluss leistungsfremder Aspekte auf die Schullaufbahnempfehlung zeigt sich auch in den Ergebnissen der IGLU-Studie von 2006 (vgl. Tab. 1).

Tabelle 1: Relative Chancen für eine Gymnasialempfehlung der Lehrer und Präferenz der Eltern abhängig von der sozialen Lage der Familie (EPG)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„In Modell 1 wird nur die Sozialschicht der Kinder berücksichtigt. In Modell 2 werden neben der Sozialschicht auch die kognitiven Grundfähigkeiten kontrolliert, d. h. es werden die Chancen auf eine bestimmte Schulempfehlung berechnet, wenn die Kinder unterschiedlicher Sozialschicht entstammen, aber über gleiche kognitive Grundfähigkeiten verfügen. In Modell 3 werden schließlich auch noch die Lesekompetenzen mit kontrolliert“ (Hovestadt/ Eggers 2007: 39). (Quelle: modifiziert nach Arnold et al. 2007: 287)

Im Modell 3 zeigt sich, dass bei gleichen kognitiven Fähigkeiten und gleicher Lesekompetenz Kinder der oberen Dienstklasse mit 2,64-mal höherer Wahrscheinlichkeit von ihren Lehrern eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen als Kinder aus Facharbeiterfamilien. Zur Mes- sung der sozialen Lage der Familien wurden die Familien auf Grundlage der von ihren an- gegebenen Daten zur beruflichen Stellung in „EPG-Klassen“ unterteilt (Bos/ Schwippert/ Stubbe 2006: 227). Diese Unterteilung geht auf Erikson, Goldthorpe und Portocarero (1979: 420) zurück, welche Personen auf Grund ihres Berufs in verschiedene abgrenzende Klassen einordneten. Der oberen Dienstklasse (I) werden so z. B. hochgradig Qualifizierte, Leiter von Behörden sowie Manager in großen Wirtschaftsunternehmen zugeordnet. Die Berufsgruppe der Facharbeiter und leitenden Angestellten (V und VI) umfasst Arbeiter, ausgebildete Handwerker sowie Vorgesetzte von Handwerkern (Erikson et al. 1979:420). Laut Arnold et al. (2007: 290) basieren die unterschiedlichen Schullaufbahnempfehlungen für Grundschulkinder durch ihre Lehrer zu 11 % auf dem sozioökonomischen Hintergrund.

Ein Vergleich der Schullaufbahnempfehlungen der Lehrer (auf Grund der schulischen Leis- tungen) mit den IGLU-Testergebnissen von 2006 (siehe Tabelle 2) zeigt, dass 36 % (6,3 % + 29,7 %) der Schüler aus dem oberen Leistungsbereich sowie etwa 40 % (32,3 % + 8,2 %) der Schüler aus dem unteren Leistungsbereich eine Schullaufbahnemp- fehlung erhalten haben, die nicht ihren Kompetenzen entspricht. Die meisten Schüler aus dem mittleren Leistungsbereich bekommen zudem eine Schullaufbahnempfehlung, die nicht ihren Kompetenzen entspricht. So werden weniger als die Hälfte (44,2 %) der Schüler des mittleren Leistungsbereichs für die Realschule empfohlen, jeweils mehr als ein Viertel wer- den jedoch für die Hauptschule oder das Gymnasium empfohlen (Solga/ Dombrowski 2009: 23).

Tabelle 2: Vergleich der IGLU-Testergebnisse und der Schullaufbahnempfehlungen der Lehrer in Zeilenprozent

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Oberer Leistungsbereich 6,3 29,7 64,1 100,1

(Quelle: modifiziert nach Arnold et al. 2007: 281)

Sozialer Hintergrund der Schüler und Schullaufbahnpr ä ferenzen der Eltern Der Zusammenhang zwischen Schullaufbahnempfehlung und sozialer Herkunft ist bei den Eltern der Schüler selbst noch stärker ausgeprägt. So haben Eltern aus der oberen Dienstklasse, bei gleichen kognitiven Fähigkeiten und gleicher Lesekompetenz, eine 3,8-mal höhere Präferenz für einen Gymnasialbesuch ihres Kindes als Eltern aus Facharbeiterfamilien und sogar eine 5,7-mal höhere Präferenz im Vergleich zu un- und angelernten Arbeitern (Rechnung: 3,83 * (1/0,67) = 5,7) (Solga/ Dombrowski 2009: 14). 14 % der Unterschiede in den Schullaufbahnempfehlungen von Eltern sind durch den Einfluss des sozioökonomischen Hintergrundes zu erklären (Arnold et al. 2007: 291).

Kindern aus niedrigen sozialen Schichten sind demnach doppelt im Nachteil. Neben der Be- nachteiligung im Bereich der Kompetenzentwicklung und -förderung, können sie ihre vor- handenen Kompetenzen auch schlechter in entsprechende Bildungswege umsetzen (Solga/ Dombrowski 2009: 14). Lehrerempfehlungen und Elternpräferenzen (sekundäre Her- kunftseffekte) spielen im deutschen Schulsystem eine größere Rolle als primäre Herkunfts- effekte, da der Bildungsweg eines Kindes insbesondere durch diese festgelegt wird (Solga/ Dombrowski 2009: 23, 29).

3.3. Schichtenspezifische Bildungsungleichheit im deutschen Bildungssystem

„Zu den wichtigsten bildungspolitischen Zielen demokratischer Gesellschaften gehört es, al- len Heranwachsenden gleich gute Bildungschancen zu geben, sie individuell optimal zu för- dern und gleichzeitig soziale, ethnische und kulturelle Disparitäten der Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolgs auszugleichen“, so heißt es in der PISA Studie 2000 (Deutsches PISA-Konsortium 2001: 323). Deutschland ist von diesem Ziel noch weit entfernt, denn die Chancenungleichheit auf Grund der sozialen Herkunft ist nach wie vor groß (Grgic et al. 2010: 4). Der Lernerfolg von Kindern hängt stark von ihrer sozialen Herkunft ab (Solga/ Dombrowski 2009: 7). Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde in empiri- schen Studien immer wieder die enge Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Bildungs- chancen im deutschen Bildungssystem belegt. Das deutsche Bildungssystem schafft es bis heute nicht ausreichend, soziale Ungleichheiten abzuschwächen und Kindern aus unter- schiedlichen sozialen Schichten und Milieus vergleichbare Bildungschancen einzuräumen. Auch die Reformen zum Ausgleich sozialer Ungleichheiten waren bisher erfolglos (Bos/ Schwippert/ Stubbe 2007: 225).

Im folgenden Abschnitt wird ein kurzer Einblick in die Ungleichheiten des deutschen Bildungssystems gegeben, wobei der Hauptschwerpunkt der Betrachtung auf der Ungleichheit im Grundschulalter liegt.

Ungleichheit in der Grundschule

Beim Eintritt in die Grundschule unterscheiden sich die Kompetenzen der Schüler deutlich, abhängig von ihrer sozialen Herkunft (Durham et al. 2007: 294). Ditton und Krüsken (2009: 33) untersuchten in einer Längsschnittstudie die Entwicklung von Schulleistungen in den Fächern Deutsch und Mathematik sowie den Einfluss der sozialen Herkunft auf die Schulleistungen in der Grundschule. Die Daten wurden jeweils zum Ende der Klassenstufen zwei bis vier anhand einer Stichprobe bayrischer und sächsischer Grundschüler erhoben. In Sachsen, wie auch in Bayern „erziel[t]en Schüler der höheren Statusgruppen in allen Leis- tungsbereichen die besseren Ergebnisse“ (Ditton/ Krüsken 2009: 57). Die Schulleistungen der Schüler waren stark von der sozialen Herkunft abhängig, 9 - 10 % der Varianz in den Schulleistungen bayrischer Schüler, sowie 5 - 7 % der Varianz in den Schulleistungen sächsischer Schüler konnten auf Herkunftsmerkmale zurückgeführt werden (Ditton/ Krüsken 2009: 57f). Viele Kinder aus unteren sozialen Schichten zählten zu Beginn der Studie zu den leistungsschwächeren Schüler, die meisten Kinder aus Familien mit hohem sozialen Status hingegen gehörten zu den leistungsstarken Schülern. Die Schulleistungen der Schüler gli- chen sich im Laufe der Studie zwar an, die Leistungsunterschiede konnten jedoch nicht voll- kommen ausgeglichen werden. Die Herkunftseffekte konnten während der Grundschulzeit nicht reduziert werden, „sie [nahmen] […] bei gleichen Eingangsleistungen sogar etwas zu, und es ist zu vermuten, dass der erhebliche Leistungsrückstand der Schüler aus den unteren Schichten am Ende der Grundschulzeit sich auf die weitere Leistungsentwicklung in der Sekundarstufe auswirken wird“ (Ditton/ Krüsken 2009: 58).

Auch in der IGLU-Studie von 2006, zeigten sich deutliche Leistungsunterschiede der Grundschüler abhängig von ihrer sozialen Herkunft. Kinder aus unteren sozialen Schichten hatten in der IGLU-Studie Leistungsrückstände von teilweise mehr als einem Lernjahr (Solga/ Dombrowski 2009: 13; Grgic et al. 2010: 4; Bos/ Schwippert/ Stubbe 2007: 243). Weitere Ergebnisse der IGLU-Studie finden sich im Gliederungspunkt 4.3.

Ungleichheit nach der Grundschule

In Deutschland ist der Bildungserfolg eines Menschen während seiner gesamten Schullaufbahn und beim Zugang zu Arbeitsmarkt bzw. Hochschule eng an seine soziale Herkunft gekoppelt. Das deutsche Schulsystem schafft es aber nicht, die Ungleichheiten in den Lernausgangslagen von Schülern auszugleichen, sondern trägt im Gegenteil dazu bei, soziale Ungleichheiten zu verstärken (Brake/ Büchner 2003: 620).

So wird in der Sekundarstufe I die Kopplung von sozialer Ungleichheit und Schulerfolg noch verstärkt (Solga/ Dombrowski 2009: 15; weiterführend dazu Klieme et al. 2010a; Klieme et al. 2010b).

[...]

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Bildungsungleichheit als Dimension sozialer Ungleichheit dargestellt am Beispiel der Lesekompetenz bei Grundschulkindern
Untertitel
Lesekompetenzförderung als Maßnahme zur Überwindung sozialer Ungleichheit?
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Wirtschaftslehre des Haushalts und Verbrauchsforschung)
Veranstaltung
Armutsforschung
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
66
Katalognummer
V177007
ISBN (eBook)
9783640985326
ISBN (Buch)
9783640985654
Dateigröße
734 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bildungsungleichheit, dimension, ungleichheit, beispiel, lesekompetenz, grundschulkindern, lesekompetenzförderung, maßnahme, ungleichheit
Arbeit zitieren
Marie Tolkemit (Autor:in), 2011, Bildungsungleichheit als Dimension sozialer Ungleichheit dargestellt am Beispiel der Lesekompetenz bei Grundschulkindern , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177007

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