Raumbild Afrika: Die Konstruktion des afrikanischen Kontinents in den deutschen Printmedien


Diplomarbeit, 2010

351 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

EINLEITUNG
Begründung des Forschungsvorhabens und Zielstellung
Untersuchungsansatz der Arbeit

TEIL I: THEORIEN

1 Konstruktion medialer Realitäten
1.1 Medien, Politik und Öffentlichkeit
1.1.1 Klassischer Dualismus
1.1.2 System-Umwelt-Perspektive
1.1.2.1 Systemtheorie nach Luhmann
1.1.2.2 Zwiebelmodell nach Weischenberg
1.1.3 CNN-Effekt
1.1.4 Zwischenfazit
1.2 Realität, Konstruktion und Erkenntnis
1.2.1 Weg 1: Realismus
1.2.2 Weg 2: Konstruktivismus
1.2.3 Weg 3: Rekonstruktions-Dekonstruktions-Ansatz nach Hafez
1.2.4 Zwischenfazit
1.3 Kritische Geopolitik
1.3.1 Raum und Identität
1.3.2 Diskurs, Macht und Realität
1.3.3 Zwischenfazit

2 Theorie der Auslandsberichterstattung
2.1 Interkulturelle Darstellung - Prozesse, Muster , Strukturen
2.1.1 Logik der Auslandsberichterstattung
2.1.1.1 Agenda-Setting und Priming
2.1.1.2 Bilder, Frames, Diskurse
2.1.2 Nachrichtenmuster
2.1.2.1 Nachrichtenwert
2.1.2.2 Nachrichtenfaktoren
2.1.3 Struktur der deutschen Afrikaberichterstattung
2.1.4 Zwischenfazit
2.2 Akteure der Afrikaberichterstattung
2.2.1 Mirkoebene: Ich, Korrespondent
2.2.2 Mesoebene: Mediensysteme und Medienorganisationen
2.2.3 Makroebene: Medien, Politik und Öffentlichkeit
2.3 Präsentation von Krieg und Frieden
2.3.1 Krisenjournalismus
2.3.2 Friedensjournalismus
2.3.3 Zwischenfazit

3 Die Konstruktion des Anderen
3.1 Kultur und Imperialismus
3.2 Afrikabilder
3.2.1 Klischee und Exotik - Das historische Afrikabild
3.2.2 Stagnation und Stigma - Die deutsche Afrikapolitik

4 Forschungsfragen und Hypothesenbildung
4.1 Forschungsfragen
4.2 Hypothesenbildung.

TEIL II: METHODEN

5 Allgemeines Forschungsdesign
5.1 Grundlagen der Methodenwahl
5.2 Quantitative vs. qualitative Analysemethoden
5.3 Medienprodukte
5.3.1 Medienprofile
5.3.1.1 Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.)
5.3.1.2 Süddeutsche Zeitung (SZ)
5.3.1.3 die tageszeitung (taz)
5.3.1.4 Der Spiegel
5.3.1.5 Die Zeit
5.3.2 Untersuchungsrahmen

6 Ausgewählte Forschungsmethoden
6.1 Die quantitative Inhaltsanalyse
6.1.1 Kategorienbildung
6.1.2 Grenzen der quantitativen Inhaltsanalyse
6.2 Die qualitative Inhaltsanalyse
6.2.1 Rekonstruktion der Mediendiskurse
6.2.2 Auswahl der Fallbeispiele
6.2.3 Argumentation und Diskrepanzerfahrung
6.2.4 Grenzen der qualitativen Inhaltsanalyse
6.3 Die qualitative Befragung
6.3.1 Ausgewählte Journalisten
6.3.2 Fragestellung und Einordnung
6.3.3 Grenzen der qualitativen Befragung

TEIL III: ERGEBNISSE

7 Ergebnisse der quantitativen Analyse
7.1 Formale Ebene
7.1.1 Zeitverlaufsanalyse
7.1.2 Urheber der Beiträge
7.1.3 Platzierung der Beiträge
7.1.4 Darstellungsformen der Beiträge
7.1.5 Umfang der Beiträge
7.2 Inhaltliche Ebene
7.2.1 Geographie der Berichterstattung
7.2.2 Themen der Berichterstattung
7.2.3 Ereignisvalenz
7.2.4 Akteure der Berichterstattung
7.2.4.1 Hauptakteure
7.2.4.2 Nebenakteure
7.2.5 Quellen der Berichterstattung
7.3 Nachrichtenfaktoren
7.3.1 Nachrichtenfaktor Zeit
7.3.2 Nachrichtenfaktor Nähe
7.3.3 Nachrichtenfaktor Status
7.3.4 Nachrichtenfaktor Dynamik
7.3.5 Nachrichtenfaktor Valenz
7.3.6 Nachrichtenfaktor Identifikation
7.4 Zwischenfazit zur quantitativen Struktur des Afrikabildes.

8 Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse
8.1 Fallbeispiel I: Die Keniakrise 2008
8.1.1 Rekonstruktion: Mediendiskurs
8.1.2 Dekonstruktion I: Argumentationsmuster
8.1.3 Dekonstruktion II: Diskrepanzerfahrung
8.2 Fallbeispiel II: Aufschwung in Angola
8.2.1 Rekonstruktion: Mediendiskurs
8.2.2 Dekonstruktion I: Argumentationsmuster
8.2.3 Dekonstruktion II: Diskrepanzerfahrung
8.3 Fallbeispiel III: Piraterie am Horn von Afrika
8.3.1 Rekonstruktion: Mediendiskurs
8.3.2 Dekonstruktion I: Argumentationsmuster
8.3.3 Dekonstruktion II: Diskrepanzerfahrung
8.4 Zwischenfazit zur qualitativen Struktur des Afrikabildes

9 Fazit
9.1 Bewertung der Untersuchungsergebnisse
9.2 Grenzen der Analyse
9.3 Schlussbemerkungen

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG
A. Materialien zur Inhaltsanalyse
B. Materialien zu den Expertengesprächen

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

ABBILDUNG 0.1: Politisches Afrika - Grenzen eines Kontinents

ABBILDUNG 0.2: Aufbau der Untersuchung

ABBILDUNG 1.1: Das „Zwiebelmodell“ nach Weischenberg

ABBILDUNG 7.1: Höhepunkte der Berichterstattung

ABBILDUNG 7.2: Höhepunkte der Berichterstattung im Medienvergleich

ABBILDUNG 7.3: Urheberschaft der Afrikaberichterstattung

ABBILDUNG 7.4: Platzierung und Ressortverteilung der Artikel

ABBILDUNG 7.5: Verteilung der Darstellungsformen in der Afrikaberichterstattung

ABBILDUNG 7.6: Häufigkeiten der Darstellungsformen im Medienvergleich

ABBILDUNG 7.7: Urheberschaft der Darstellungsformen

ABBILDUNG 7.8: Korrespondenten im Vergleich der Darstellungsformen

ABBILDUNG 7.9: Vergleich des durchschnittlichen Umfangs der Beiträge

ABBILDUNG 7.10: Umfang der Beiträge

ABBILDUNG 7.11: Geographie der Afrikaberichterstattung und Nennungshäufigkeit

ABBILDUNG 7.12: Regionale Abgrenzung in der Afrikaberichterstattung

ABBILDUNG 7.13: Regionale Verteilung der Berichterstattung in Prozent

ABBILDUNG 7.14: Themen der Afrikaberichterstattung und Nennungshäufigkeit

ABBILDUNG 7.15: Medienvergleichende Themenverteilung der Afrikaberichterstattung

ABBILDUNG 7.16: Ereignisvalenz der Afrikaberichterstattung

ABBILDUNG 7.17: Ereignisvalenz der Afrikaberichterstattung im Medienvergleich

ABBILDUNG 7.18: Ereignisvalenz der Korrespondentenberichte

ABBILDUNG 7.19: Ereignisvalenz der Korrespondentenberichte im Medienvergleich

ABBILDUNG 7.20: Hauptakteure der Afrikaberichterstattung und Nennungshäufigkeit

ABBILDUNG 7.21: Nebenakteure der Afrikaberichterstattung und Nennungshäufigkeit

ABBILDUNG 7.22: Durchschnittliche Häufigkeit der Quellennutzung im Medienvergleich

ABBILDUNG 7.23: Bedeutung der Nachrichtenfaktoren in der Afrikaberichterstattung

ABBILDUNG 7.24: Bedeutung des Nachrichtenfaktors Zeit

ABBILDUNG 7.25: Bedeutung des Nachrichtenfaktors Nähe

ABBILDUNG 7.26: Bedeutung des Nachrichtenfaktors Status

ABBILDUNG 7.27: Bedeutung des Nachrichtenfaktors Dynamik

ABBILDUNG 7.28: Bedeutung des Nachrichtenfaktors Valenz

ABBILDUNG 7.29: Bedeutung des Nachrichtenfaktors Identifikation

ABBILDUNG 8.1: Die Keniakrise in den deutschen Medien

ABBILDUNG 8.2: Der Angoladiskurs in den deutschen Medien

ABBILDUNG 8.3: Der Pirateriediskurs in den deutschen Medien I

ABBILDUNG 8.4: Der Pirateriediskurs in den deutschen Medien II

TABELLENVERZEICHNIS

TABELLE 5.1: Verkaufsauflage der untersuchten Medienprodukte 2009

TABELLE 7.1: Untersuchungskategorien der quantitativen Inhaltsanalyse

TABELLE 7.2: Wortfelder zur Bestimmung der Ereignisvalenz

TABELLE 7.3: Anteile und Wertigkeiten der Hauptakteure

TABELLE 7.4: Anteile und Wertigkeiten der Nebenakteure

TABELLE 7.5: Die wichtigsten Informationsquellen der Afrikaberichterstattung

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

EINLEITUNG

„ Dieser Kontinent ist zu groß, als dass man ihn beschreiben k ö nnte. Er ist ein regelrechter Ozean, ein eigener Planet, ein vielf ä ltiger, reicher Kosmos. Wir sprechen nur der Einfachheit, der Bequemlichkeit halber von Afrika. In Wirklichkeit gibt es dieses Afrika gar nicht, außer als geographischer Begriff. “

(Ryszard Kapuściński, 2001)

Das Afrikabild der Deutschen ist entweder bunt und exotisch oder brutal und Mitleid erregend. Die Darstellung des Kontinents beeinflusst die Wahrnehmung, prägt individuelle Einstellungen, Klischees und Vorurteile, sie evoziert konkrete sozialpolitische Handlungsfolgen. In den Massenmedien sind die internationalen und interkulturellen Darstellungsprozesse eingebettet in zwei grundlegende Paradigmen der Gegenwart, die Globalisierung und den Kampf der Kulturen (HAFEZ 2002: 11). Transregionale Nachrichtenströme können eine globalisierende Wirkung im Sinne der Angleichung von Werten, politischen Kulturen und Lebensstilen entfalten. Selbst eine pluralistische deutsche Medienkultur ist nicht davor geschützt, in der Auslandsberichterstattung zum Teil abweisende oder abwehrende Strukturen zu etablieren. Die Konstruktion negativer sozialer Identitäten kann dann Konfliktpotenzial im interkulturellen Austausch hervorrufen.

Gerade die Massenmedien nehmen in der internationalen Kommunikation eine zentrale Schalt- und Vermittlungsposition ein, da es den Konsumenten meist am kritischen Korrektiv der Eigenerfahrung fehlt. Kommunikationsstörungen und fehlende Alternativperspektiven können daher das Afrikabild der Medienrezipienten entscheidend beeinflussen. Offensichtliche Problemfaktoren wie die Häufigkeit staatlicher Instabilität, Flüchtlingsströme, Korruption oder die Verbreitung von HIV/Aids haben die Wahrnehmung von Afrika als Krisenkontinent etabliert. Afrika-Pessimisten äußern ihren deutlichen Befund. Afrika sei ein bankrotter und korrupter Kontinent, die Entwicklungshilfe verlaufe im Sande, die Anstrengungen des Westens zeitigten keine spürbaren Erfolge (SEITZ 2009). Die Schuldfrage ist Bestandteil des Diskurses über die Verantwortung westlicher Staaten und die Mitschuld afrikanischer Regime. Die Auswüchse krisenhafter Entwicklungen sind offensichtlich. Die Medien sind Transporteur oder Konstrukteur sozialer und politischer Realitäten. Ihre Rolle gilt es zu hinterfragen in Bezug auf die Selektion der Themen ihrer Berichterstattung und die Prinzipien des Agenda-Settings. Konkrete gesellschaftliche Diskurse, wie der Umgang mit Entwicklungshilfe, die Spendenbereitschaft bei humanitären Katastrophen oder die Integration von Menschen mit afrikanischem Migrationshintergrund im Alltag, basieren auf Grundannahmen, die zum Teil erheblich durch das Afrikabild in den deutschen Medien geprägt werden. Berichterstattung über Afrika stellt die handelnden Akteure, Journalisten und Mediensysteme, vor die Aufgabe, langfristige Konsequenzen der eigenen Arbeit einzuschätzen, und gegebenenfalls strukturelle Reformen zu unternehmen. Gleichwohl sind Leser und Zuschauer mitverantwortlich für die Konstruktion und Verarbeitung von Mediendiskursen. Das Raumbild Afrika entsteht aus einem interaktiven Gesamtsystem aus Medien, Politik und Öffentlichkeit.

Begründung des Forschungsvorhabens und Zielstellung

Ein rein technischer Blick auf die Globalisierung vernachlässigt Defizite im medieninhaltlichen Diskurs. Berichte über die Ausweitung der Handelsbeziehungen auf afrikanische Staaten, die Intensivierung des politischen Dialogs oder die Verabschiedung einer neuen Partnerschaft mit Afrika1 überdecken die strukturellen Probleme der Auslandsberichterstattung in Bezug auf die inhaltliche Gestaltung, die zivilgesellschaftliche Teilhabe, die existierenden Strukturen von Themenselektion und Themenrezeption. Die langfristige Transformation der interkulturellen Kommunikation ist angewiesen auf eine konstruktive Kritik an den bestehenden Darstellungsformen des Afrikabildes in den deutschen Medien.

Repräsentationsanalysen einzelner Ereignisse liegen vor, auch mit Blick auf die Darstellung des Afrikabildes.2 Diese beziehen sich jedoch überwiegend auf Einzelkonflikte und monothematische Raster. Ein umfassenderes Zusammenwirken von Medien, Politik und Öffentlichkeit in der Afrikaberichterstattung ist bislang kaum erforscht worden. Die Untersuchung des Nahost- und Islambildes in der deutschen Presse (HAFEZ 2002) ist der ambitionierte Ansatz, Forschungsergebnisse der Medienwissenschaft, der Orientalistik und der internationalen Beziehungen in einem Fundament zu verbinden. Eine Doktorarbeit am Leipziger Institut für Praktische Journalismusforschung (MÜKKE 2009) ist die bislang gründlichste Analyse von Akteuren, Strukturen und Potenzialen der deutschen Afrikaberichterstattung.

Die vorliegende Arbeit überträgt ausgewählte Bausteine dieser Pionierarbeiten und untersucht das mediale Afrikabild anhand der empirischen Analyse veröffentlichter Beiträge aus den wichtigsten deutschen Printmedien. Neben der Arbeit von Mükke existieren nur wenige multiperspektivische Untersuchungen über das Afrikabild der Deutschen oder jüngere Analysen über den Wandel der medialen Interpretation und der Wechselwirkung mit Gesellschaft und Politik. Durch die Verbindung von systemtheoretischer und medienwissenschaftlicher Basisforschung mit dem einzelfallorientierten Ansatz der Kritischen Geopolitik, soll ein vertiefender Blick auf die Bezüge zwischen der medialen Darstellung des Afrikabildes und politischen Handlungen gerichtet werden. Als kritische Scharnierfunktionen in der deutschen Auslandsberichterstattung erscheinen vor allem die Art der Themengestaltung auf der Medienagenda und die argumentative Zusammensetzung des öffentlichen Diskurses. Das Rollenverständnis der Medien entspricht in Konfliktsituationen nicht immer den Forderungen einer kritischen Öffentlichkeit nach Objektivität und Ausgewogenheit. Darüber hinaus arbeitet das Mediensystem mit selbstreferenziellen Bezügen und Rückgriffen auf Diskursfragmente anderer Medien. Auch langfristige Rollenzuschreibungen und die Persistenz historischer Afrikabilder aus Film, Kunst und Literatur wirken nach in der Konstruktion medialer Realitäten.

Untersuchungsansatz der Arbeit

Die vorliegende Arbeit ist in die drei Teilbereiche Theorien, Methoden und Ergebnisse gegliedert. Der theoretische Rahmen umfasst im Groben zwei Bereiche: die Aspekte der strukturellen Beziehung zwischen Medien, Politik und Öffentlichkeit sowie die Produktionsbedingungen und Entstehungsfaktoren für die Afrikaberichterstattung. Die Diskussion über die Konstruktion medialer Realitäten schafft ein Grundverständnis für unterschiedliche Auffassungen der Systembeziehung zwischen Medien, Politik und Öffentlichkeit. Gerade zum Rollenverständnis der Medien und der Nachrichtenproduktion existiert ein breiter Fundus theoretischen Rüstzeugs, das auch den Stellenwert der Afrikaberichterstattung einordnen kann. Am Prozess der Afrikaberichterstattung ist eine Vielzahl von Akteuren beteiligt, die zumindest genannt werden sollen, um die Nachvollziehbarkeit der Argumentation für den Leser zu garantieren. Das fertige Produkt des Auslandsreports entfaltet seine Wirkung auf der Makroebene von Politik und Gesellschaft. Der Journalist als Reporter und Nachrichtenkommunikator arbeitet auf der Mikroebene, die durch persönliche Einstellungen und Erfahrungswerte geprägt ist. Die jeweilige Redaktion fungiert als Bindeglied zwischen der Einzelperspektive und dem Mediensystem auf einer Mesoebene und kann durch Leitlinien, graphische Gestaltung und inhaltliche Eingriffe ebenfalls auf das Endprodukt einwirken. Eine Verbindung zwischen der medialen Konstruktion des Raumbildes von Afrika mit konkreten politischen Handlungsfolgen erfolgt durch theoretische Bezüge zur Kritischen Geopolitik. Insbesondere im anglophonen akademischen Raum hat die Untersuchung von Bildern, Symbolen und Diskursen auf die geopolitische Ausrichtung in den letzten zwei Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen.3 Im deutschsprachigen Raum ist die Anwendung konstruktivistischer geopolitischer Theorien hingegen ein noch sehr junges Forschungsfeld.4 Die Beurteilung der Wirkung von Raumbildern erscheint jedoch erst durch die Verbindung mit einer medienwissenschaftlich orientierten Theorie der Auslandsberichterstattung möglich.

ABBILDUNG 0.1

Politisches Afrika - Grenzen eines Kontinents

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung.

Politische Karte. 1:50000000

Erstellt mit: ArcGIS, Version 9.3, ESRI, 2009

In dem empirischen Teil dieser Arbeit werden die ausgewählten Forschungsmethoden und die Profile der analysierten Medien vorgestellt. Vorgehensweise und Kategorien der quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse sowie der qualitativen Befragung werden in diesem Abschnitt detailliert vorgestellt. Den dritten Teilbereich nehmen die Resultate der Inhaltsanalysen ein, die das Afrikabild in der deutschen Presse im Zeitraum August 2007 bis Juli 2009 erfassen. Die quantitativen Ergebnisse umfassen die Auswertung der Beiträge auf formaler und inhaltlicher Ebene, kategorisiert nach ausgewählten Kriterien, die in einem methodischen Prozess zum Teil deduktiv aufgrund bestehender Forschungsfragen und zum Teil induktiv im Rahmen der empirischen Evaluation gesetzt wurden. Die qualitativen Ergebnisse umfassen die Auswertung der Mediendiskurse von drei Fallbeispielen. Die Keniakrise 2008, der Aufschwung in Angola und die Piraterie am Horn von Afrika wurden untersucht auf das Rollenverständnis der analysierten

Medien, den strukturellen Aufbau der Medienagenda, die Diskurskomposition sowie auf die spezifischen Nachrichtenfaktoren, die in den Fallstudien zum Tragen gekommen sind. Die Ergebnisse der Inhaltsanalysen wurden ergänzt durch Einschätzungen der verantwortlichen Korrespondenten und Redakteure großer deutscher Zeitungen. Die Länge der vorliegenden Arbeit geht über die Grenzen einer Diplomarbeit hinaus. Der Autor ist sich dessen bewusst, vertritt dennoch die Meinung, dass alle Einzelbausteine für eine umfassende Bewertung der medialen Darstellungsprozesse in der Afrikaberichterstattung von Bedeutung sind. Insbesondere die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse nehmen einen umfangreichen Platz in der vorliegenden Arbeit ein. Die kleinteilige Auswertung der empirischen Daten soll davor schützen, durch zu grobe Verallgemeinerungen kurzsichtigen Rückschlüssen zu verfallen. Die Auswertung der qualitativen Analyse ist nur schwer zu begrenzen, da sich die mediale Auseinandersetzung mit bestimmten Themen der Afrikaberichterstattung in einer erstaunlichen Pluralität äußert. Im Unterschied zu einer rein quantitativen Auswertung bestimmen in der Rekonstruktion der Mediendiskurse nicht der Umfang und die Anzahl der Beiträge die Gewichtung, sondern die Kraft einzelner Argumente und ihre Positionierung innerhalb der Diskurskomposition.

ABBILDUNG 0.2

Aufbau der Untersuchung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

TEIL I:

THEORIEN

1 KONSTRUKTION MEDIALER REALITÄTEN

1.1 Medien, Politik und Öffentlichkeit

Das Rollenverhältnis zwischen der medialen Berichterstattung, politischen Entscheidungsprozessen und der öffentlichen Wahrnehmung ist vielschichtig miteinander verwoben. Jedes System, jede Gesellschaft verfügt über unterschiedliche und den eigenen Bedingungen angepasste Ausprägungen. Dieser Arbeit liegt ein systemisches Verständnis über die Wechselwirkungen der einzelnen Systemelemente zugrunde. Mit den Worten Foucaults sind der mediale Diskurs und der politische Prozess ineinander verwobene Teile eines beschreibbaren Gesamtmodells (CARUSO/FOUCAULT 1969, zitiert nach KERCHNER/SCHNEIDER 2006: 20). Weder bestimmen politische Strukturen pauschal über die Themen der medialen Berichterstattung noch können Mediendiskurse mit Gewissheit politische Anschlusshandlungen provozieren. Dem Rollenverständnis der Systembausteine liegt eine eigene umfangreiche Diskursgeschichte zugrunde, deren Grundzüge für die Beurteilung der theoretischen Basis dieser Arbeit bedeutsam sind.

Entscheidungsprozesse in politischen Problemlagen werden sowohl von Institutionen und Organisationen bestimmt, wie auch von Einstellungen und Verhalten der Bürger sowie den verbindenden Elementen der politischen Kommunikation (RUDZIO 2003: 489). Dennoch wurden Politik und Medien im Wissenschaftsdiskurs lange Zeit als Prozesselemente in einer Kausalitäts-Ursachen-Wirkung beschrieben. Der Bezug auf die soziologischen Grundannahmen der Systemtheorie hat nach dem Erscheinen von Niklas Luhmanns „Soziale Systeme“ (1984) neue Analysemuster in der Forschung etabliert, die schon bald deutliche Kritik aus klassischen Denkschulen hervorgerufen haben (DIECKMANN 2004: 9). Luhmann brach mit der dualistischen Darstellung und integrierte Medien, Politik und Öffentlichkeit in einer in sich geschlossenen Systembeziehung. Die Wechselwirkungen zwischen den Systemelementen ließen sich nicht länger durch lineare Kausalitäten beschreiben. Die Analyse des Afrikabildes in den deutschen Medien erfordert jedoch einen theoretischen Unterbau des Wechselspiels zwischen politischen Interessen, medialer Darstellung und öffentlicher Rezeption. Die Konstruktion sozialer Identitäten durch die Afrikaberichterstattung kann nicht isoliert von den herrschenden Regeln der gesellschaftlichen Interpretationsraster und der politischen Handlungsmuster betrachtet werden. Die Abwägung von Machtfaktoren und Abhängigkeiten im Verhältnis von Interesse, Darstellung und Wahrnehmung ist ein erster Schritt, um die komplexe Konstruktion des Raumbildes von Afrika zu erfassen. Von zentralem Interesse sind die nachweisbaren Einflussfaktoren politischer Entscheidungen auf den Mediendiskurs und umgekehrt.

1.1.1 Klassischer Dualismus

Dem Verhältnis zwischen den Systembausteinen Politik und Medien werden in der Forschungslandschaft vielfältige Ausprägungen zugeschrieben. Das Spektrum reicht von der dualistischen Vorstellung zweier Einzelsysteme bis zur Verschmelzung in einem Gesamtsystem. Das Gewaltenteilungsparadigma sieht Medien und Politik als unabhängige Einzelsysteme, die sich gegenseitig beeinflussen und kontrollieren. Verschiedene Erklärungsmodelle sehen eine zunehmende Grenzverschiebung und Grenzverwischung eines Systems auf Kosten des anderen. Das andere Extrem der Beziehungskonstellation interpretiert die Verschmelzung von Politik und Medien in einer Art Symbiose zu einem interdependenten „Supersystem“ (KUNCZIK/ZIPFEL 2001:85). Dem Rollenmodell der Medien als „vierte Gewalt“ in dem Gewaltenteilungsparadigma liegt eine Annahme zugrunde, die den drei konstitutionellen Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative die Medien als Widerpart und Kontrollinstanz zur Seite stellt (SARCINELLI 1994: 38). Das Mediensystem ist autonom, hält Distanz zur Politik und trifft unabhängige Entscheidungen über die Gestaltung der Themenagenda. In dieser auf den Dialog zwischen Politik und Bevölkerung ausgerichteten Darstellung kommt den Medien eine Vermittlerrolle zu, deren vornehmliche Funktion eine anwaltliche oder sogar kompensatorische im Dienste des Publikums ist.

Das Instrumentalisierungsparadigma beschreibt Politik und Medien in einer Beziehung gegenseitiger Einflussnahme. Die Öffentlichkeit gilt darin als reiner Konsument und Beobachter der gewählten Darstellungsformen. In beide Richtungen kann es nun zu Kräfteverschiebungen kommen. Demnach gelten die Medien entweder als Verlautbarungsorgan der Politik5 oder aber politische Entscheidungen werden in direkter Abhängigkeit von den Massenmedien gefällt.6 Einen Schritt weiter führt das Symbioseparadigma, das einen Interaktionszusammenhang zwischen den Einzelsystemen Politik und Medien entwickelt und wechselseitige Abhängigkeiten aufzeigt (SARCINELLI 1994: 39). Der Grundgedanke bezieht sich auf die Tauschbeziehung von Information und Publizität, die das Zusammenspiel zu einer Art Doppelverpflichtung von Distanz und Nähe werden lässt, mit der latent existenten Gefahr einer Beziehungskorruption. Vor allem Studien aus den 80er Jahren haben den wachsenden Einfluss von politischer Öffentlichkeitsarbeit und Polit-Marketing auf die politische Berichterstattung in den Medien untersucht. Kampagnenorientierte politische Kommunikation galt als erster Schritt, um die autonome Stellung der Medien aufzubrechen. Zumindest die wachsende Bedeutung öffentlichkeitswirksamer Präsentationsformen in Politik und Gesellschaft deutet auf einen zunehmenden Kommunikationszwang aller am öffentlichen Diskurs beteiligten Gruppen hin (KUNCZIK/ZIPFEL 2001: 90). Die Konsequenzen könnten das Vertrauen zwischen Politik und Öffentlichkeit mindern, da durch die wachsende Kluft zwischen der Politik im Entscheidungsprozess und der Politik im Vermittlungsprozess Erwartungen geweckt werden, die die Politik nicht einlösen kann (SARCINELLI 1994: 36). Die klassisch dualistisch angelegten Erklärungsansätze vernachlässigen jedoch die Wechselbeziehungen, die zwischen Öffentlichkeit und Mediensystem einerseits und zwischen Öffentlichkeit und Politiksystem andererseits bestehen. Als grundlegendes Theoriegebäude sind die einführend beschriebenen Modelle nicht hilfreich, wenn das Ziel die Beschreibung einer gegenseitigen Beeinflussung von medialer Darstellung, öffentlichem Diskurs und politischen Entscheidungsräumen ist. Neuere systemtheoretische Modelle haben sich als leistungsfähiger erwiesen, die strukturellen Beziehungen zwischen Politik, Medien und Gesellschaft zu ordnen. Hier steht zunächst die Beobachtung im Vordergrund, nach der das politische System durch das Mediensystem durchdrungen wird, um aus einem Gesamtsystem heraus prägenden Einfluss zu entfalten. Dem Diskurs gesellschaftlicher Themen wird somit erstmals eine in sich geschlossene analytische Basis geschaffen.

1.1.2 System-Umwelt-Perspektive

Das Schlagwort der systemtheoretischen Betrachtung von Medien und Politik ist die Interpenetration. Medien und Politik sind weder autonom noch treten sie als Gegenpole auf. In einer strukturellen Kopplung erschaffen und erhalten sie sich selbst als Gesamtsystem in einem Prozess, der als Autopoiesis bezeichnet wird (MARCINOWSKI/BRUNS 1993: 17). Der Systembegriff bezieht sich auf etwas in sich Geschlossenes, wie die Bereiche der Soziologie, der Kommunikation oder des Journalismus. Die Systemtheorie erhebt für sich den Anspruch, den gesamten Bereich der Wirklichkeit abzudecken (BERGHAUS 2003: 25). Grundlegend ist der Einbezug der gesamten Welt als Umwelt bestimmter sozialer Systeme - die System-Umwelt- Perspektive. Die Welt wird verstanden als soziale Konstruktion eines erklärbaren Systems, jede Erkenntnis wird als Ergebnis von Beobachtung und Beschreibung gewonnen. Auch für die Beziehung zwischen Politik, Medien und Öffentlichkeit entwerfen Systeme ihre eigene Konstruktion von Wirklichkeit. Systeme stehen im Austausch mit ihrer Umwelt, definieren sich geradezu durch eine Abgrenzung von allem, was sie nicht sind. Die systemische Sicht stellt eine Abkehr von dem handlungstheoretischen Verständnis der Kommunikation dar. Die Vermittlung von Nachrichten und Informationen wird nicht länger als eine lineare Handlung begriffen, sondern als Teil eines geschlossenen Systems, in dem Kommunikation ein Gedächtnis erzeugt, das von vielen auf sehr verschiedene Weise in Anspruch genommen werden kann (DIECKMANN 2004: 131).

Autopoietische Systeme kombinieren ihre operative Geschlossenheit mit einer mehr oder weniger hohen Irritierbarkeit durch Umweltvorgänge und Umweltabhängigkeit (REINHARDT 2005: 18). Im politischen System ist somit die Irritation durch Medieninhalte eine strukturell eingebundene Kopplung. Sie manifestiert sich in den „Erwartungen der Politik an die Themenstruktur der Medien“ (MARCINOWSKI/BRUNS 2004: 492), die wiederum als öffentliche Meinung zu verstehen ist. Somit ist die Kritik an bestimmten Funktionsweisen eines Systems als Irritation zu verstehen, die aus der Umwelt auf das System einwirkt. Die Unzufriedenheit mit einem bestimmten, medial vermittelten Afrikabild kann als Irritation des Systems Auslandsberichterstattung betrachtet werden. Reibungspunkte entstehen, die Diskurse im öffentlichen Raum anstoßen können. Der Erhalt der Systemstabilität erfordert eine Reaktion des Systems, die sich in Anpassung, Verdrängung oder Deutungshoheit äußern kann.

In Abgrenzung zur Betrachtung von Einzelphänomenen und ihrem Ursache-Wirkungs- Verhältnis untersucht der Systemansatz holistische Systeme, die aus Einzelteilen und deren Verknüpfungen bestehen. Lineare Kausalitäten und zielgerichtete Steuerung werden in diesem Verständnis abgelöst durch eine Kreislauf-Logik der Selbstorganisation und Selbstregulation der Gesellschaft und ihrer Teilsysteme (WEISCHENBERG 2005: 438). Kommunikation bezieht sich nicht länger auf den Akt der Mitteilung oder Informationsvermittlung, sondern beschreibt eine Interaktionsform, die erst dann abgeschlossen ist, wenn sie verstanden wird und Reaktionen hervorruft. Als autopoietisches System können die Massenmedien dahingehend gelten, dass sie den Code der Aktualität benutzen, deren Funktion es ist, die Gesellschaft zu synchronisieren, und somit gesellschaftliche Funktionssysteme wie Politik, Wirtschaft und Kultur füreinander beobachtbar zu machen (GÖRKE 1999: 278). In dieser Auffassung werden bereits erste Funktionsmerkmale der journalistischen Arbeit sichtbar, die Berichterstattung als funktionale Zwänge und Normzuweisungen betrachten und nicht etwa als Repräsentationsgebot (WEISCHENBERG 2005: 441). Für den Bezug auf die Auslandsberichterstattung bedeutet die Selektion von Themen und Informationen keine Abhängigkeit von externen Systemen, sondern einen systemspezifischen Umgang nach den jeweils herrschenden journalistischen Regeln. Die systemtheoretische Sichtweise eröffnet daher die Möglichkeit nach existierenden Zwängen und Regeln zu suchen, die das wiedergegebene Angebot in der Auslandsberichterstattung erklären. Mediale Vermittlung, öffentliche Wahrnehmung und politische Handlung sind demnach in einer strukturellen Kopplung Teil eines holistischen Systems. Die historisch gewachsene und kulturell spezifische Anwendung professioneller journalistischer Regeln bestimmt die Selektion und Darstellung von Ereignissen. Ein zirkuläres Verhältnis bestimmt den „Output“ des Systems, wodurch keines der Einzelelemente aufeinander reduzierbar ist.

1.1.2.1 Systemtheorie nach Luhmann

Für die Kommunikationsforschung dient das Modell der Sozialen Systeme von Niklas Luhmann als übergeordneter systemtheoretischer Bezugsrahmen (LUHMANN 1984). Schon in seinen frühen Werken stellte Luhmann das System der Kommunikation ins Zentrum seiner Betrachtungen. In Bezug auf die Massenmedien untersucht Luhmann, wie und mit welchen Unterscheidungen die Medien die Realität beobachten und in ihrer Berichterstattung ein Bild der Realität liefern (BERGHAUS 2004: 30). Ein außermediales Ereignis gelangt als Rohinformation an einen Journalisten, wodurch dieser Input aus der Umwelt zu einem systemeigenen Element der Berichterstattung wird. Den weiteren Umgang mit dem Ereignis, die Darstellungsform, die Selektion und die Bewertung bestimmen die Regeln des Systems. Der Mensch als Akteur hat in Luhmanns Systemtheorie eine operative Funktion, die Theorie selbst untersucht keine individuellen Handlungen auf der Mikroebene (WEBER 2003: 208). Im Mittelpunkt steht die Kommunikation im und durch das System. Die Massenmedien bestehen als soziales Funktionssystem aus vielen Interaktions- und Organisationssystemen, ihre Aufgabe ist die Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung der Gesellschaft (WEBER 2003: 209). Das soziale System der Massenmedien und dessen Beziehung zur Umwelt umfassen somit alle Variablen, die als Input oder Output wahrnehmbar sind.

Ohne der inhaltlichen Produktion einzelner Nachrichten oder Berichte viel Bedeutung zuzumessen, geht Luhmann davon aus, dass Systeme immer sinnvoll operieren. Durch Selbstbeobachtung ist ihnen die Möglichkeit gegeben, die eigenen Strukturen an neue Regeln anzupassen. Der Prozess, der in der Systemtheorie von Luhmann als Selbstregulierung bezeichnet wird, kann jedoch nicht aus sich selbst heraus funktionieren (DIECKMANN 2004: 88). Weil die Beobachtungsfähigkeit der Systeme eingeschränkt ist, spricht Weischenberg von einer „Beobachtung zweiter Ordnung“, wenn er auf den blinden Fleck des Systems verweist, an dem Beobachtungen nicht selbst mit beobachtet werden können. Kritik an diesem nicht Sichtbaren der Systemtheorie wird als gleichzeitige „Verbundenheit und Getrenntheit beider Sphären“ bezeichnet (DIECKMANN 2004: 88). Die pauschale Beschreibung von allem, was außerhalb des Systems liegt, als Umwelt, ist folglich auch einer der Kritikpunkte an der Theorie. Für Luhmann aber wären Kritik an medialen Darstellungsformen und Widersprüche mit politischen Handlungen außersystemische Irritationen, die durch eine Anpassung der Regeln in das System übernommen werden. Er beschreibt die Medien als ein nach innen operativ geschlossenes System, das sich von seiner Umwelt unterscheidet, von allem, was die Medien beobachten und worüber sie informieren, berichten, schreiben (BERGHAUS 2004: 236). In Wechselwirkung und in gegenseitiger Anpassung sind demnach die Muster der Massenmedien, der Individuen und der Gesellschaft entstanden. Luhmann beschreibt die Massenmedien demnach auch als soziales Gedächtnis der Gesellschaft (LUHMANN 1996: 173). Die Realität der Massenmedien könne nicht begriffen werden, wenn man ihre Aufgabe in der Bereitstellung zutreffender Informationen über die Welt sieht, und daran ihr Versagen, ihre Realitätsverzerrung, ihre Meinungsmanipulation misst. Vielmehr realisieren die Massenmedien in der Gesellschaft „genau jene duale Struktur von Reproduktion und Information, von Fortsetzung einer immer schon angepassten Autopoiesis und kognitiver Irritationsbereitschaft“ (LUHMANN 1996: 174). Nicht die Vermehrung von Erkenntnis, nicht Sozialisation, nicht Erziehung in Richtung auf Konformität mit Normen sieht Luhmann als Funktion der Massenmedien, sondern das ständige Erzeugen und Bearbeiten von Irritationen. Aus systemtheoretischer Sicht Luhmanns entstehen an den Schnittstellen der Irritationen die Welt- und Gesellschaftsbeschreibungen, an denen sich die moderne Gesellschaft orientiert. Das Erfahren und Ausgleichen systemischer Inkonsistenzen bezeichnet er somit auch als die Erzeugung medialer Realitäten.

1.1.2.2 Zwiebelmodell nach Weischenberg

Eine anschauliche und detaillierte Darstellung des Systems Journalismus bietet Siegfried Weischenberg mit dem Zwiebelmodell (vgl. ABBILDUNG 1.1). Demnach liefern Medien Wirklichkeitsentwürfe und Journalisten konstruieren die Wirklichkeit. Ihre Handlung vollzieht sich dabei immer auf der Grundlage von Regeln, die sie gelernt haben, und über die innerhalb des Systems Konsens besteht (WEISCHENBERG 2004: 65). Das Zwiebelmodell bietet eine integrative Sicht auf die System-Umwelt-Perspektive des Journalisten. Seine Funktion besteht vor allem darin, jene Themen für die Medienkommunikation zur Verfügung zu stellen, die einen Neuigkeitswert besitzen und faktisch an die sozial verbindlichen Wirklichkeitsmodelle gebunden sind.

Der Kontext der journalistischen Arbeit lässt sich in vier Ebenen unterteilen („Kreise“): Mediensysteme bilden den Normenkontext; Medieninstitutionen bilden den Strukturkontext; Medienaussagen bilden den Funktionskontext; Medienakteure bilden den Rollenkontext (WEISCHENBERG 2004: 71). Das Zusammenspiel von Normen, Strukturen, Funktionen und Rollen entscheidet nach Weischenberg über die vom Journalisten gelieferten Wirklichkeitsentwürfe. Zum Normenkontext zählen die sozialen Rahmenbedingungen, historische und rechtliche Grundlagen, die Kommunikationspolitik, sowie formalisierte und ethische Standards für die Arbeit der Journalisten. Bereits im äußersten Kreis zeigen sich die interdisziplinären Verbindungen zu anderen wissenschaftlichen Teilbereichen, was für die Analyse von Auslandsbildern einem Informationsverlust gleichkommt, weil sie dort an Kompetenzgrenzen stößt. Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Kreis des Strukturkontexts. Eine Untersuchung der getroffenen Medienaussagen muss auf Informationsquellen, Berichterstattungsmuster, Darstellungsformen und die Grundlagen der jeweiligen Wirklichkeitskonstruktion zurückgreifen. Und auch die Mikroebene, die den innersten Kreis der Medienakteure umfasst, muss in die Betrachtung konstruierter Realitäten mit einfließen. Das Medienpublikum nimmt Medienaussagen auf und verarbeitet sie. Diese Handlungen sind in vielfältiger Weise mit denen der Produzenten verknüpft, wenn Kommunikationsabsichten der Journalisten mit den Kommunikationserwartungen der Konsumenten abgeglichen werden, und somit auch das Publikum die eigene Wirklichkeitskonstruktion bestimmt, und die Autonomie der Wirklichkeitskonstruktion durch die Medien beschränkt (WEISCHENBERG 1994: 430).

ABBILDUNG 1.1

Das „Zwiebelmodell“ nach Weischenberg

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein systemisches Verständnis der Wirkungszusammenhänge, die letztlich zu einer Abbildung von journalistischen Wirklichkeitsentwürfen führen, erfordert eine klare analytische Verbindung verschiedener Teilsysteme. Als Anschauungsbeispiel dient im folgenden Kapitel der sogenannte CNN-Effekt, der als spezifische Deutung journalistischer Systemergebnisse zumindest auf die äußeren drei Kreise von Weischenbergs Zwiebelmodell Bezug nimmt.

1.1.3 CNN-Effekt

„ Where there is no camera, there is no humanitarian intervention “ (Bernard Kouchner, zitiert nach CATE 2002)

Ein häufig zitiertes Zusammenspiel von Berichterstattung und politischer Reaktion, das systemtheoretisch als Regel bezeichnet werden kann, ist der sogenannte CNN-Effekt. Technologische Entwicklungen in den Bereichen mobiler Reportage, Satellitenübertragung und Live-Berichterstattung stärkten nach dem Ende des Kalten Krieges die politische Bedeutung der Medien, insbesondere der Fernsehbilder. Konstituierendes Ereignis für das Branding dieser direkten Wechselwirkungen als CNN-Effekt war die Reaktion der Clinton-Administration auf Berichte des Fernsehsenders CNN, die einen gefallenen US-Soldaten zeigten, der von somalischen Truppen durch die Straßen von Mogadischu geschleift wurde (LIVINGSTON 1997: 4). Aus Rücksicht auf mögliche Empörung in der amerikanischen Öffentlichkeit beschloss die US-Regierung den sofortigen Abzug der in Somalia stationierten Truppen.7 Stellvertretend für weitere Medienvertreter beschreibt der CNN-Effekt die Fähigkeit der Medien, eine politische Reaktion und Adaption zu provozieren. Vor allem drei Faktoren entwickeln Einfluss auf außenpolitische Maßnahmen: 1) Medien als Akteur des Agenda-Settings; 2) Medien als Hindernis zur Erreichung politischer Ziele; 3) Medien als Beschleuniger politischer Entscheidungen (LIVINGSTON 1997: 2). Erst der medienwirksame Blick auf Krisenregionen und die Dokumentation der Entwicklung macht politische und humanitäre Krisen auch zu öffentlich wahrnehmbaren Krisen. Wie im Falle Somalia können Medienzeugnisse auch militärische und politische Ziele verhindern, indem der gesellschaftliche Diskurs durch eine drastische Sichtbarkeit der Folgen beeinflusst wird. Schließlich erfordert die globale Vernetzung zügige Reaktionen auf jedes krisenhafte Ereignis. Echtzeitkommentare von Opfern und Beteiligten erlauben längst keine zeitaufwendige Strategieformulierung mehr. Aufgrund der zeitlichen Verkürzung von Aktion und Reaktion wird der durch den CNN-Effekt beschriebene Einfluss der Medien auf politische Entscheidungen als zweischneidiges Schwert empfunden (BELKNAP 2001).

Besonders im Zusammenhang mit humanitären Katastrophen und Krisen in entlegenen Regionen wird der CNN-Effekt auch heute noch als Begründung für die Art der Berichterstattung und verwendete Darstellungsmittel herangezogen. Dabei beziehen sich die medialen Vermittlungsangebote längst nicht mehr ausschließlich auf Rundfunk- und Printmedien. Hilfsgruppen, Nichtregierungsorganisationen und global agierende Aktivisten konkurrieren um Aufmerksamkeit und öffentliche Unterstützung, um über das Vehikel der Massenmedien politisches Eingreifen zu erwirken (CATE 2002). Übersättigung und Abnutzungserscheinungen radikaler Bilder und Nachrichten in der Weltöffentlichkeit sind eine Folge. Der strategische Umgang von Regierungen und Militär mit den Pressevertretern, wie etwa am Beispiel des embedded journalism zu Beginn des Irakkrieges 2003, deutet auf einen eher langfristigen Wandel im Zusammenspiel von Medien und politischem Kalkül hin. Quantitative Erhebungen der Beiträge belegen zudem, dass die mediale Aufmerksamkeit in afrikanischen Konfliktregionen vor allem dem militärischen Engagement der internationalen Gemeinschaft folgt, und nicht umgekehrt (vgl. KAPITEL 8). In Einzelfällen hat die Krise als Medienereignis ohne Zweifel zu diplomatischen oder gar militärischen Interventionen geführt, ob die Rolle der Medien dabei per se Frieden fördernde Folgen hatte, muss kritisch betrachtet werden (vgl. Kapitel 2.3.1 und 2.3.2). Die Bedeutung des CNN-Effekts hat Mitte der 90er Jahre einen Höhepunkt erreicht, der aufgrund von Anpassungsprozessen und der Neudefinition von Regeln der Systembeziehung zwischen Medien, Politik und Öffentlichkeit jedoch deutlich nachgelassen hat (LIVINGSTON 1997: 1). Der CNN-Effekt wurde auf vielen Politikbereichen zum Mythos erklärt, dessen Wirkungen auf die Außenpolitik, wenn überhaupt, auf Nebenschauplätzen der internationalen Politik erkennbar werden (HAFEZ 2005: 77). Gleichzeitig verdeckt dieser Mythos den Tatbestand, dass Massenmedien im Kern nicht auf ein Weltsystem ausgerichtet sind, sondern sich auf nationale Märkte konzentrieren, deren Interessen und Stereotype sie in hohem Maße reproduzieren (HAFEZ 2005: 41).

1.1.4 Zwischenfazit

Einflussmöglichkeiten in der Wechselbeziehung von Politik und Medien sind auch in einer systemtheoretischen Auffassung gegeben. Das Beispiel CNN-Effekt verdeutlicht, in welcher Weise Systeme sich selbst reproduzieren und Irritationen aus der Umwelt in neue Regeln und Handlungslogiken umformulieren. Dualistische Darstellungen vom Verhältnis der Massenmedien zu Politik und Öffentlichkeit können wichtige Beiträge zum Verständnis der Rollenmodelle und der Aufgabenwahrnehmung leisten. Die System-Umwelt-Perspektive aber bietet einen theoretischen Rahmen, der das komplexe Verhältnis sich gegenseitig regulierender Teilsysteme erfasst.

Die Bezugsmodelle bieten jedoch keine Grundlage für die Analyse der Diskursausprägung, der Themenauswahl oder der konkreten Konstruktion sozialer Identitäten, wie sie in langfristig stabilen Auslandsbildern vorzufinden sind. Auch die unterschiedlichen Ausprägungen des Auslandsjournalismus, insbesondere des Krisenjournalismus, lassen sich zwar in systemtheoretische Denkmuster einbinden, finden jedoch in ihrer Manifestation keine Erklärung.

Das Zusammenspiel von Medien, Politik und Öffentlichkeit soll dennoch als systemische Interdependenz verstanden werden. Ein System, das aus sich selbst heraus Kommunikationsregeln entwickelt, anpasst und verändert.

1.2 Realität, Konstruktion und Erkenntnis

Ein grundlegender wissenschaftlicher Meinungsstreit herrscht über das Verhältnis zwischen Medieninhalten und Realität, über die Frage, wie realistisch Auslandsberichterstattung die Konsumenten informiert, und ob der Realitätsbegriff überhaupt definitorisch umfasst werden kann (HAFEZ 2002a: 15). Der Glaube an die Existenz einer darstellbaren politischen und gesellschaftlichen Realität diente vielen Untersuchungen als Grundlage, um Auslandsbilder und deren Verzerrungen durch Massenmedien zu erforschen. Basierend auf dem Forschungsparadigma des Realismus existiert eine Vielzahl an Studien, die sich mit Abbildungsmöglichkeiten von Realität in vergleichender Perspektive befassen. Für die Meinungsbildung und den öffentlichen Diskurs ergibt sich daraus generell die Frage, welche Folgen die Orientierung an einer offensichtlich verzerrten Medienrealität für den Einzelnen und die Gesellschaft hat (SCHULZ 1989: 139).

In dem Maße, in dem Journalisten selbst, und auch Mediensysteme, als Akteure in den Vordergrund getreten sind, hat auch die Position eines radikalen Konstruktivismus prägenden Einfluss in der Medienforschung übernommen. Realitäten existieren nicht länger als inner- und außermediale Einheiten, sondern Medien und Institutionen unternehmen eine „Konstruktion der Realität“ (SCHULZ 1990: 119f.). Niklas Luhmann schrieb der Kommunikation und den Medien eine Erkenntnis schaffende Funktion zu. „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (LUHMANN 2004: 9). Gleichwohl schreibt Luhmann, wüssten wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen nicht trauen könnten. Der Doppelsinn des Realitätsbegriffes, den Luhmann den Medien zuschreibt, erklärt sich zum einen in einer realen Realität der Massenmedien selbst, als die in ihnen ablaufende, sie durchlaufende Kommunikation. Zum anderen ergibt sich aus Luhmanns Sicht eine Realität, die erst durch die Massenmedien für andere als Realität erscheint.

Kritische Schriften und Extrempositionen poststrukturalistischer Denker wie Michel Foucault, Jacques Derrida oder Jean Baudrillard stellten tradierte Konzepte zusätzlich in Frage. Die Diskursanalysen Foucaults versuchen eine Rekonstruktion von Bedingungszusammenhängen, die sich unter anderem auf die Möglichkeit einer objektiven und zuverlässigen Existenz von Wissen beziehen (PIAS 2003: 279). Demnach bestimmen erst die Diskurse das Wissen eines Subjekts. Einen Schritt weiter geht Baudrillard, indem er die Medien für den „Kollaps des Realen“ verantwortlich macht (BAUDRILLARD zitiert nach PIAS 2003: 285). Für ihn ergibt sich die Diagnose, dass wir nichts wissen können, was nicht immer schon von Medien übertragen wurde. Aus der Nicht-Existenz des Realen geht ein autoreflexiver Mechanismus der Steuerung hervor, ein „dezentralisierter Totalitarismus“, der alle medientheoretischen Kategorien radikal in Frage stellt, weil alle Bezugspunkte auf sich selbst zurück geworfen werden.8 Auch wenn der Poststrukturalismus den gängigen Medientheorien ihren Boden entzieht, selbst jedoch keine eigene Methodologie entwirft, lassen sich dennoch Elemente und Spuren extrahieren, die in der Medienanalyse Einzug gefunden haben. Für die Entwicklung von Auslandsbildern in den deutschen Medien lassen sich jeweils Anregungen aus den angedeuteten wissenschaftstheoretischen Teilbereichen gewinnen.

Die zwei etablierten Denkschulen des Realismus und des Konstruktivismus werden im Folgenden vorgestellt und mit den Einflüssen der poststrukturalistischen Kritik in einem dritten Weg zusammengeführt. In den Sozialwissenschaften dominierte lange der Bezug zu außermedial existierenden Realitäten. Die Abbildung dieser Wirklichkeit wurde als Hauptaufgabe der Massenmedien angesehen. Erst in den 70er und 80er Jahren entwickelte sich aus einer langen Philosophiegeschichte heraus der radikale Konstruktivismus, der in den Medien nicht länger ein Abbild der Welt entdeckte, sondern Medien selbst als Weltbildapparate auffasste. Objektivität, Medienwirklichkeit und Kommunikation wurden zu Streitbegriffen in einer Diskussion um das „bessere Paradigma“ (BENTELE 1993: 153).

1.2.1 Weg 1: Realismus

Der Realismus zählt in der Philosophie zu den ontologischen Positionen, die von einer Existenz der real existierenden Außenwelt ausgehen (WEBER 2003: 180). Die „naive“ Auffassung etwa einer Nachrichtentheorie, nach der Nachrichten die Realität abbilden, ist jedoch kaum aufzufinden. Vielmehr bezieht sich die realistische Position auf ein Zusammenspiel deskriptiver und normativer Ansprüche. Nachrichten sind demnach als Mitteilungen über Tatsachen, Sachverhalte oder Ausschnitte von Wirklichkeit zu verstehen (BENTELE 1993: 156). Ausgangspunkt der Auffassung ist die Annahme, dass diese Tatsachen oder Sachverhalte weitgehend unabhängig von etwaigen Beobachtern existieren. Theoretisch also könnten diese Realitäten adäquat von Journalisten wiedergegeben und abgebildet werden. Typisch für die realistische Position sind die Begriffe Abbild, Bild oder Spiegel, die aus sich heraus schon mit einer gewissen Unschärfe verbunden sind. Auf dieser Basis ergibt sich für Journalisten zumindest die ethische Norm, wahrheitsgemäß und objektiv zu berichten, und innermediale Fakten von außermedialer Realität kenntlich abzuheben. Häufig fungiert dieser normative Anspruch auch als Legitimation gegenüber Kritik, die bestimmte Verzerrungen oder Entstellungen in der Berichterstattung moniert. Die Vergleichbarkeit von Realität und journalistischer Arbeit ist gleichzeitig Notwendigkeit dieser Position und Forschungsgrundlage.

Winfried Schulz sortiert die gegensätzlichen Auffassungen vom Verhältnis zwischen Medien und Realität in eine „ptolemäische“ Antwort und eine „kopernikanische“ Antwort. Realistisch denken heißt für Schulz „ptolemäisch“ denken: Die Medien sind ein Spiegel der Wirklichkeit, ihre Wirkung ist mächtig. Denn die Menschen orientieren ihr Verhalten an einem Bild der Wirklichkeit, das von den Medien hochgradig strukturiert und häufig verzerrt präsentiert wird. Massenmedien sind ein Fremdkörper in der Gesellschaft, mit dem Potenzial, soziale Gruppen zu manipulieren. Die idealistische Rolle der Massenmedien besteht darin, die Realität zu spiegeln und ein möglichst getreues Abbild der Welt zu schaffen. Medien sind passive Vermittler der Realität und können leicht ein falsches Bewusstsein kultivieren. Die massive Medienkritik ist die häufige Reaktion auf den Widerspruch zwischen verzerrter Medienrealität und dem journalistischen Prinzip der Objektivität (SCHULZ 1989: 140 f.).

Vertreter der realistischen Position verweisen bei konstruktivistischer Kritik darauf, dass nicht der Mangel an geeigneten Realitätsindikatoren das entscheidende Problem darstelle, sondern die völlig unzureichende Erhebung und Nutzung (KEPPLINGER 1993: 123). Vergleiche zwischen der Realitätsdarstellung in den Massenmedien und der externen Realitätsindikatoren seien durchaus Beschränkungen unterworfen, die jedoch nichts daran ändern könnten, dass es hinreichende Kriterien gebe, um bessere von weniger guten Realitätsdarstellungen zu unterscheiden. Die konstruktivistische Ablehnung des Realismus steht nach Auffassung realistischer Positionen in deutlichem Gegensatz zu einer grundlegenden Forderung der Konstruktivisten, nämlich die Bedingungen der Konstruktion von Realität zu erforschen. Diese könnten schließlich nur dann erkannt werden, wenn die massenmediale Darstellung von Realität auch mit der dargestellten Realität verglichen werde.

1.2.2 Weg 2: Konstruktivismus

Kommunikation aus konstruktivistischer Sicht ist ein Prozess individueller Sinnkonstruktion (WEISCHENBERG 1993: 128). Medien werden nicht als technische Einrichtungen oder Transportunternehmen verstanden, die Botschaften und Informationen versenden, sondern als soziale Systeme, die nach ihren internen Strukturen Wirklichkeitsentwürfe anbieten. Für die Beurteilung dieser Konstruktionen könne es keine absoluten Maßstäbe nach den Kategorien „wahr“ oder „richtig“ geben. Wahrheit und Realität existieren im konstruktivistischen Sinne nur im Referenzbereich. Der Begriff der Wirklichkeitskonstruktion nimmt eine zentrale Stellung im konstruktivistischen Denken ein. Explizit wird darunter nicht das planerische, absichtliche oder intentionale Entwerfen einer Wirklichkeit verstanden, sondern das unbewusste, implizit ablaufende Erzeugen dieser Sicht auf die Wirklichkeit (WEBER 2003: 185). Inhaltlicher Schwerpunkt einer Medieninhaltsanalyse müsse daher auf den jeweiligen Konstruktionsprozessen und ihrer empirischen Konditionierung liegen (SCHMIDT 1994: 18). Die durchaus verständliche Forderung aus Forschung und Öffentlichkeit nach einer objektiven Berichterstattung wird angesichts der komplexen Situation als verständlich, im Journalismus aber eben als völlig unrealistisch abgewiesen. Ist der Realitätsbegriff pluralisiert, dann unterscheiden sich die Angebote an Wirklichkeitsmodellen nach dem Grad ihrer Relevanz und ihrer Operationalisierung. Soziale Systeme entwickeln im Sinne Luhmanns systemspezifische Auffassungen von Wirklichkeit, basierend auf Herstellungsmethoden und Anwendung, die nach den systemimmanenten Regeln jeweils ausgehandelt werden müssen.

Die radikal-konstruktivistische Medienforschung hat die normative Objektivitätsdoktrin des Journalismus entscheidend relativiert (HAFEZ 2002a: 16). Winfried Schulz beschreibt den Konstruktivismus als „kopernikanische“ Antwort auf das Verhältnis zwischen Medien und Realität: Medien sind Weltbildapparate, kein Widerpart zur Gesellschaft, sondern ein integraler Bestandteil. Massenmedien sind aktive Akteure in einem Prozess, aus dem die Vorstellung von Wirklichkeit erst hervorgeht. Medien selektieren, verarbeiten und interpretieren ihre Umwelt, und schaffen so eine gemeinsame Basis für soziales Handeln. Realität ist das Ergebnis von Kommunikation, die sich aus externen Informationen und Ereignissen, aber eben auch aus den internen Informationen der Systemelemente zusammensetzt. Die Ausprägung von Verzerrung und Entstellung sind aus dieser Sicht nie genau zu bestimmen, sind allenfalls mit anderen außermedialen Konstrukten vergleichbar. Plausibilität gilt im Alltag als pragmatische Handlungsbasis - die Möglichkeit, „falsche“ Vorstellungen von Wirklichkeit zur Grundlage des kollektiven Handelns zu machen, ist Bestandteil des Systems (SCHULZ 1989: 141 f.). Jeder Versuch, die Medienrealität falsifizieren zu wollen, gilt als grundsätzlich ungerechtfertigt und unmöglich (WEBER 2003: 195).

Doch auch eine weitgehende Akzeptanz des medienkulturellen Konstruktivismus9 hat nicht zu einer klaren Kennzeichnung von Konstruktionen geführt. Medienwirklichkeiten werden durch „authentische“ Bilder verschleiert, während die Ausblendung von Ereignissen gesellschaftliche Irritationen fördert. Realität ist nicht länger konsenspflichtig, weshalb sich unter diesen kommunikativen Bedingungen Fundamentalisten jeder Art entwickeln können (LUHMANN 1996: 168). Als Folge ist die individualisierte Kommunikation nicht genötigt, auf einen in der Schwebe bleibenden Bezug zur Realität zu verzichten. Massenmedien können es der weiteren Kommunikation überlassen, ob sie sich eher den Mitteilungsmotiven oder eher den Themen zuwendet. Gerade in dieser Abkehr von empirischer Überprüfbarkeit sieht Hafez ein Hindernis, um die Leistung internationaler Kommunikation zu erforschen und mit ihrer Fähigkeit zu vergleichen, soziale und gesellschaftliche Realitäten adäquat abzubilden (HAFEZ 2002a: 16).

1.2.3 Weg 3: Rekonstruktions-Dekonstruktions-Ansatz nach Hafez

Der Paradigmenstreit zwischen Realismus und Konstruktivismus hat die wissenschaftstheoretische Ausrichtung der Medienforschung neu belebt. Anfang der 90er Jahre nahm Günter Bentele (BENTELE 1990) eine vermittelnde Rolle zwischen den beiden Positionen ein mit seinem theoretischen Ansatz des Rekonstruktivismus. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist ein hypothetischer Realismus. Medienrealität wird nicht länger an einem nicht erfüllbaren Objektivitätsanspruch gemessen, sondern an einer adäquaten Realitätsrekonstruktion durch die Berichterstatter (BENTELE 1993: 168). Er begründet die Übertragung der intersubjektiven Überprüfbarkeit auf mediale Teilsysteme und dann auf gesamte Mediensysteme durch die Systemtheorie (BENTELE 1990: 53). Nachrichten werden als Rekonstruktion von Wirklichkeit aufgefasst. Unabhängig davon, ob Wirklichkeit sozial konstruiert sei oder nicht, könne empirisch nachvollzogen werden, inwieweit sie verzerrt dargestellt, oder eben adäquat rekonstruiert sei. In der Beschreibung wirkt nach Auffassung Benteles ein „Unschärfemechanismus“, eine mehrstufige Selektion, basierend auf einem Set von Nachrichtenwerten, die systemimmanent durch die Sozialisation der Journalisten und der Regeln des Systems auftritt (BENTELE 1990: 59). Medienrealität ist demnach ein Produkt der Realitätsverarbeitung durch Journalisten, Redaktionen und Mediensysteme. Als Prozess der Re- Rekonstruktion bezeichnet Bentele die Interpretation und Wahrnehmung durch den Rezipienten. Je mehr Vorwissen bei den Konsumenten der Medienberichte existiert, desto eher können auch Verzerrungsphänomene wahrgenommen werden. Die Unterscheidung von zwei unterschiedlichen Realitätsdarstellungen nennt Bentele „Diskrepanzerfahrung“ (BENTELE 1990: 64). Als Irritation im System steuert das Publikum über Vertrauen und Misstrauen in Politiker, Wirtschaft und Medien den gesellschaftlichen Prozess mit. Die Entwicklung von Adäquatheitsbeziehungen zwischen Aussagen über Realität und der Realität selbst ist demzufolge die logische Entwicklung von gesellschaftlichen Normen, ein Selbststeuerungsmechanismus im System. Die größte Herausforderung für die Medienanalyse sieht Bentele in der Leistung, theoretisch zu rekonstruieren und empirisch zu untersuchen, wie und mit welchem Genauigkeitsgrad andere Wirklichkeiten repräsentiert oder verzerrt werden (BENTELE 1993: 171).

Hafez bezeichnet den Ansatz des Rekonstruktivismus jedoch als unvollständiges methodologisches Paradigma für die Anwendung auf die Auslandsberichterstattung der Medien, weil darin keine Erklärung vorliegt, wie und von wem intersubjektive Vergleiche zwischen Medienrealität und außermedialer Realität vorgenommen werden (HAFEZ 2002a: 19). Gerade die Auswertung der Diskrepanzerfahrung nimmt für Hafez in der Untersuchung von Auslandsberichterstattung eine zentrale Rolle ein. Außenpolitik, Außenwirtschaft, andere mit internationalen Fragen beschäftigte Institutionen und Organisationen zählt Hafez zu den wichtigsten Kreisen von Medienrezipienten mit hohem Potenzial an Diskrepanzerfahrung. Die Fähigkeit, ein Alternativmodell der Realität zu entwerfen, beschreiben Bentele und Hafez als „gegenstandsanalytische Qualifikation“, die vor allem in kulturkreisverwandten Wissenschaften aufzufinden ist. Hafez beschreibt die außermediale Rekonstruktion von Wirklichkeit jedoch als „Dekonstruktion“, da dieser Realitätsentwurf nur aus dem einem Ziel heraus entworfen werde, den gleichfalls rekonstruierten Textsinn zu überprüfen und zu kritisieren (HAFEZ 2002a: 19). Für seinen Rekonstruktions-Dekonstruktions-Ansatz entwirft Hafez drei Prozessschritte, auf denen die Erforschung der Auslandsberichterstattung basiert (HAFEZ 2002a: 20). Diese drei Analyseschritte werden im weiteren Verlauf der Arbeit als grundlegende Struktur für die Auswertung der Fallbeispiele in der qualitativen Inhaltsanalyse verwendet (vgl. KAPITEL 8):

1. Die Rekonstruktion der Medienrealität durch quantitative und qualitative Verfahren und eine nachvollziehbare Darstellung des Mediendiskurses
2. Die Dekonstruktion I eines alternativ erstellten Realitätsentwurfs und den kritisch- rationalen Vergleich von Medienrealität mit dem außermedialen Realitätsentwurf
3. In einer weiteren Dekonstruktion II die Erklärung des Diskrepanzmodells anhand der Theorie der Auslandsberichterstattung

1.2.4 Zwischenfazit

Der Untersuchung des Afrikabildes in den deutschen Medien liegt eine systemtheoretische Perspektive zu Grunde, die Auslandsberichterstattung als eigenes System begreift. Auslandsberichterstattung steht in einer System-Umwelt-Beziehung zu einem Gesamtsystem, aus der sich Interaktionsgeflechte ergeben. Das medial vermittelte Bild Afrikas ist das Ergebnis einer sozialen Konstruktion aus dem System Afrikaberichterstattung heraus. Für die Darstellung bestimmter sozialer Identitäten spielen sowohl Ereignisse eine Rolle, als auch systemimmanente Informationen und Strukturen, die auf der Mikroebene bei den Journalisten und auf der Mesoebene bei den Mediensystemen aufzufinden sind. Da soziale Konstruktionen immer Realitätsentwürfe bleiben müssen, können sie auf Kritik und Widerspruch alternativer Wirklichkeitsmodelle stoßen. Irritationen sind fester Bestandteil aus systemtheoretischer Perspektive, sie werden durch Selbstregulierung in neue soziale Regeln umformuliert. Die Diskurse, die also an den Reibungspunkten der medialen Darstellung entstehen, stellen für das System eine Anpassungsaufgabe dar. Interpenetration, strukturelle Kopplung und Anpassung beim Auftreten von Irritationen sind die systemtheoretischen Kernelemente, die beschreiben, wie Systeme überleben. Der Analyse dieser Reibungspunkte am Rande des Systems der Afrikaberichterstattung gilt der Schwerpunkt dieser Arbeit. Der Rekonstruktions- Dekonstruktions-Ansatz nach Hafez dient dabei als theoretischer Bezugsrahmen, um die medial vermittelte Wirklichkeit der Afrikaberichterstattung mit alternativen außermedialen Realitätsentwürfen zu vergleichen. Um einen selbstreferenziellen Rückschluss von Mediensystemen auf Mediensysteme zu vermeiden, dient der noch vorzustellende Ansatz der Kritischen Geopolitik als zusätzlicher Bezugsrahmen. Erst durch den Einbezug einer Theorie der Internationalen Beziehungen kann die Außenwirkung der Afrikadarstellung ihrer Position im Gesamtsystem zugeordnet werden.

1.3 Kritische Geopolitik

“ It can be argued that the essential moment of geopolitical discourse is the division of space into “ our ” place and “ their ” place ”

(Simon Dalby, 1991)

Der analytische Rahmen von Hafez (HAFEZ 2002a) dient als Grundlage für die Erkenntnis eines vermittelten Auslandsbildes, lässt jedoch die Wirkung außer Acht, den die spezifische Kommunikation von Regionen auf politische Handlungen, insbesondere die geopolitische Auffassung der Welt ausübt. Die Konstruktion sozialer und nationaler Identitäten durch Medien, Popkultur und Film steht im Zentrum von Forschungsarbeiten der Kritischen Geopolitik.10 Theoretische und empirische Grundlagen dieses Forschungszweiges lenken die Aufmerksamkeit auf konstruierte Vorstellungen von Nationen, Ideologien und Kulturen, und untersuchen die Ausstrahlung verschiedenster Darstellungsformen auf den Diskurs um Raum, Macht und Territorium (WOLKERSDORFER 2001: 143). Die Unterscheidung zwischen realistischer und konstruktivistischer Perspektive auf die Geopolitik führt ebenfalls zu einer Unterteilung in eine natürliche räumliche Geographie und eine konstruierte, textlich begründete (AGNEW 2001: 48). Aus der Perspektive der Kritischen Geopolitik wird Weltpolitik durch die Repräsentation historisch-geographischer Entwicklungen erzeugt (AGNEW 2001: 49). Die geopolitischen Konstruktionen bilden jene diskursiven Phänomene, die den Ideen einer möglichen politischen Ordnung zugrunde liegen (WOLKERSDORFER 2001: 146). Kritische Geopolitik untersucht Räume nicht nach ihrer Verortung, sondern nach ihrer Mischung aus repräsentierter Projektion und den dafür verantwortlichen materiell-funktionalen Beziehungen (Ó TUATHAIL/DALBY 1998: 4). Das Raumbild Afrika wird zum Teil auch durch Massenmedien produziert. Visuelle Bilder, etwa Karten, Filme und Cartoons, gelten ebenso als Produzenten eines Raumbildes wie auch sprachliche Formen, Analogien, Metaphern aus Romanen, Zeitungen, offiziellen Reden und politischen Dokumenten. Begriffe und Symbole können zu Ankerpunkten in der öffentlichen Debatte werden. Weite Steppen und Löwen prägen die Vorstellung Kenias, die Massaker der Hutus an den Tutsis sind dauerhaft mit der Vorstellung Ruandas als Land des Genozids verbunden, Jean-Bédel Bokassa prägt mit den Bildern seiner pompösen Inthronisierung das Bild der Zentralafrikanischen Republik weit über seinen Tod hinaus. Die Bilder hungernder Kinder aus Äthiopien stehen noch heute für das Elend auf dem afrikanischen Kontinent. Der mutmaßliche Nahrungsmittelentzug für ganze Bevölkerungsteile in der nigerianischen Provinz Biafra hat den Begriff des hungernden Biafra-Kindes dauerhaft als Analogie für Hungerkatastrophen etabliert. In Themengebieten, auf denen dem Medienrezipienten kein Vergleich durch Eigenerfahrung möglich ist, die Diskrepanzerfahrung demnach besonders hoch ist, vermitteln Kommunikationsmedien unmittelbares Wissen. Die Informationsträger entfalten direkte Auswirkungen auf die Wahrnehmung der internationalen Beziehungen und wecken Erwartungshaltungen an Gesellschaft und Politik (vgl. Ó TUATHAIL 2006: 2 ff.).

Globale Disparitäten zwischen Regionen und den Definitionen dieser Regionen sind in einem signifikanten Ausmaß das Ergebnis dieser Repräsentation (ALBERT/REUBER/STRÜVER/ WOLKERSDORFER 2006: 2). In den letzten zwei Jahrzehnten hat eine Reihe von Autoren die wechselseitige Bedeutung zwischen Konstrukten der internationalen Beziehungen und der medialen Rezeption und Einflussnahme erforscht. Die Kritische Geopolitik hat in diesem Kontext die Teilbereiche der formalen, praktischen und populären Geopolitik identifiziert (DITTMER/DODDS 2008: 441). Während die formale Geopolitik die Arena der intellektuellen Debatte umschreibt, untersucht die praktische Geopolitik den Raum politischer Entscheidungen. Die populäre Geopolitik beschäftigt sich mit der öffentlichen Sphäre, der Repräsentation von Bildern im Diskurs und innerhalb der politischen Kultur (MAWDSLEY 2008). Ältere Studien belegen den Wandel des Afrikabildes in der europäischen und amerikanischen Öffentlichkeit, deuten aber gleichwohl auf fest verankerte Vorurteile, Stereotypen und Wahrnehmungsmuster hin (MYERS/KLAK/KOEHL 1996). Die diskursorientierte Analyse der Kritischen Geopolitik betont die visuellen und verbalen Ausprägungen geopolitischer Repräsentation. Die Verbreitung populärer geopolitischer Ansichten in der Alltagskultur entwickelt einen prägenden Einfluss auf geopolitische Konstruktionen und Vorstellungen globaler Ungleichheiten (ALBERT/REUBER/STRÜVER/WOLKERSDORFER 2006: 5). Vor diesem Hintergrund kommt der medialen Vermittlung des Afrikabildes eine konstituierende Rolle zu in der Projektion der Region und ihrer Bedeutung.

1.3.1 Raum und Identität

„ Die Eroberung der Erde, die meistens darauf hinausl ä uft, dass man sie denen wegnimmt, die eine andere Hautfarbe oder etwas flachere Nasen als wir haben, ist keine h ü bsche Sache, wenn wir ein bisschen genauer hinsehen. Was das Ganze ertr ä glich macht, ist nur die Idee. Eine Idee dahinter: kein sentimentaler Vorwand, sondern eine Idee; und ein selbstloser Glaube an die Idee - etwas, woran man sich halten und vor dem man sich verneigen und dem man Opfer bringen kann …“

(Joseph Conrad, Herz der Finsternis, 1899)

Die Erzählungen Marlows in Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis“ präsentieren eine imperialistische Weltsicht, die sich in ihrer Begrifflichkeit bis heute gehalten hat. Was sich im 19. Jahrhundert als klar formulierte Perspektive auf afrikanische Kolonien ausdrückte, zeugt auch von der monopolisierten Darstellung durch das System Imperialismus und dessen geopolitischer Idee (SAID 1993: 63). Zeitpunkt und geopolitische Beziehungen spiegeln sich eben auch in Formen kultureller Übersetzung. Die Neukonfiguration politischer und sozialer Räume durch die Globalisierung geht auch mit einer Neuinterpretation der räumlichen Dimension von Politik einher (SCHMITT 2002: 8). Die Lage und Beschaffenheit von Räumen ist immer mit politischen Potenzialen verbunden, und auf die Nutzung solcher Potenziale durch darauf ausgerichtete Weltbilder und Strategien. Politische Handlung erfordert Agenten, die ein durch soziale Regeln ausgehandeltes Verständnis darüber teilen, welchen politischen, sozialen und sprachlichen Vorgaben zu folgen ist (AGNEW 2001: 34). Die radikal-konstruktivistische Perspektive der Kritischen Geopolitik sieht ein Problem darin, dass der reale Zustand einer Region nie mit der vermittelten Idee der Region übereinstimmt, „a ‚geo-graphing’ in which meaning is never completely mapped even as they make the claim that it is“ (AGNEW 2001: 40).

Agnew zählt drei Bereiche zu den Kernthemen der Kritischen Geopolitik: die Problematisierung einer Entfremdung von Geographie und Politik mit der wirklichen Identität und Räumlichkeit, die Untersuchung der Produktion von geopolitischer Kartierung und die Konfrontation manifester geopolitischer Konstrukte mit der ihnen zu Grunde liegenden Infrastruktur (AGNEW 2001: 41). Die Präsentation von Auslandsbildern in den Massenmedien spiegelt somit zum einen die gesellschaftliche Wahrnehmung geopolitischer und soziokultureller Identitäten, ist gleichzeitig Abbild und Konstruktion von Denkmustern. Zum anderen ist sie in der Lage, gesellschaftliche Akzeptanz oder Kritik an politischen Handlungen auszudrücken. In Bezug auf die Afrikaberichterstattung hat der sporadische Diskurs über den Krisenkontinent Leser und Autoren sensibilisiert im Hinblick auf Konfliktmuster, hat Vergleichsgrößen geschaffen, wie die äthiopische Hungerkrise von 1984, den Völkermord in Ruanda oder die undurchsichtigen Wirren des Kongo-Krieges. Die Generalisierung afrikanischer Konflikte und die Übertragung von Konfliktmustern auf andere afrikanische Länder sind eine Folge. Eine krisenorientierte Selektion der Berichterstattung konstruiert negative Diskursmuster, die im Gegenzug Erwartungen bei Lesern, Hörern und Zuschauern schüren. Korruption, Krieg und Armut sind Schlagworte, die vorurteilsbelastet zur Verwendung bereit liegen.

Raum und Identität manifestieren sich auch in der Konstruktion von „uns“ und dem „Anderen“ (ALBERT/REUBER/STRÜVER/WOLKERSDORFER 2006: 5). Simon Dalby erkennt einen „essenziellen Moment“ des geopolitischen Diskurses, wenn in der Berichterstattung eine trennscharfe Unterscheidung zwischen uns als Beobachter, und den anderen als Akteur eines Ereignisses, getroffen wird (MYERS/KLAK/KOEHL 1996: 42). Trotz ihres materiellen Auftretens im Raum können Regionen in ihrer Bedeutung dekonstruiert werden (ALBERT/REUBER/STRÜVER/WOLKERSDORFER 2006: 6). Assoziationen können gerade in Bezug auf die Afrikaberichterstattung mit einem weiten Spektrum moralischer, kultureller und politischer Attribute belegt werden. Durch Repräsentationsformen in Massenmedien, Politik und Gesellschaft entsteht ein „mentaler Atlas“ konstruierter Geographien.

1.3.2 Diskurs, Macht und Realität

„ Macht ist etwas, was sich von unz ä hligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht. “

(Michel Foucault, Sexualit ä t und Wahrheit)

Ó Tuathail sieht die Kritische Geopolitik nicht als ein Konzept, das aus sich selbst heraus seine volle Bedeutung entfalten kann, sondern als diskursives Ereignis, das bestehende Konstrukte hinterfragt (ROBERTS 2000: 345). Anrührende Afrikabilder, die in Kampagnen von Hilfsorganisationen oder für Spendenaufrufe verwendet werden, beziehen sich meist auf Ansichten, die sich über einen langen Zeitraum entwickelt, durch Belege in Massenmedien öffentliche Anerkennung erfahren haben. Historische Vergleiche zeugen von der Wandelbarkeit fixer Wahrnehmungsmuster. Die Erfahrung des Mauerfalls und das Ende des Kalten Krieges beweisen, dass geopolitische Ordnungen, real existierende und mentale Hindernisse für Bevölkerungsbewegungen und Interaktionen nie fixiert, sondern immer temporär sind (AGNEW ET AL. 2003: 2). Widerstand formiert sich nicht allein durch staatliche oder politische Strukturen, sondern wird als eine Kapazität gesehen, die sich auch dann entfalten kann, wenn Gruppen ihre materiellen und symbolischen Interessen vertreten. Machtstrukturen im Sinne von Foucault stoßen immer auf Gegenwehr, werden transportiert durch Institutionen und Modi der Repräsentation (AGNEW ET AL. 2003: 4). Poststrukturalistische Ansätze und Diskurstheorie haben die Methodik der Kritischen Geopolitik stark beeinflusst. Im Bereich der populären Geopolitik nimmt die Textanalyse der Massenmedien eine zentrale Stellung ein.11 Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass sich die Methodik der Kritischen Geopolitik bislang auf Annäherungen und diskursanalytische Verfahren beschränkt, und keine Fallbeispiele mit detailliertem empirischem Material einer ausführlichen Diskursanalyse vorweisen kann (ALBERT/REUBER/STRÜVER/WOLKERSDORFER 2006: 13).

Der ausführliche Diskursansatz hinterfragt die Entstehung von Wissen über ein bestimmtes Thema, die Formulierung von Ideen, Bildern und Praktiken, aus denen schließlich Redeformen und angewandtes Wissen resultieren (ALBERT/REUBER/STRÜVER/WOLKERSDORFER 2006: 9). Foucaults Version der Diskursanalyse befasst sich über die Entstehung von Bedeutung hinaus mit der Frage, wie diese Bedeutung legitimiert, normalisiert und als soziale Regel akzeptiert wird. Macht und Herrschaft gehören bei Foucault zum fundamentalen Verständnis von gesellschaftlicher Entwicklung und Diskursen, wie auch deren stets normative Belegung (WOLKERSDORFER 2001: 186). Diskursanalyse ist also zugleich eine Analyseform von Macht (PIAS 2003: 279). Die wirklichkeitsdefinierende Macht von Diskursen zeigt sich darin, dass Diskurse Objekte formen, über die sie sprechen, indem sie entlang „machtvoller Regeln“ über sie sprechen. Die Regeln bestimmen, was in welchem Diskurs gesprochen, was als wahr anerkannt und als falsch verworfen wird (WOLKERSDORFER 2001: 187). Ziel der Dekonstruktion einer massenmedialen Darstellung muss folglich in der Erklärung von Wirklichkeitsentwurf und Wirklichkeitswirkung liegen. Eine befriedigende kritisch geopolitische Bewertung des vermittelten Afrikabildes muss sich daher mit der Produktion, den Effekten und den Konsequenzen der konstruierten Medienrealität befassen. Die von der Kritischen Geopolitik angebotene Methodik kann dieses Anforderungsprofil nur bedingt erfüllen (ALBERT/REUBER/STRÜVER/WOLKERSDORFER 2006: 14), weshalb für eine Weiterführung des Forschungsbereiches eine Verknüpfung der diskursanalytischen Elemente mit den hermeneutischen Verfahren vergleichender Realitätsrekonstruktionen vorgeschlagen wird. Abgesehen von dem methodischen Rüstzeug hat die radikal-konstruktivistische Neubewertung der politischen Geographie ein interessantes Forschungsfeld eröffnet, die Bedeutung von Wirklichkeit, Medienrealität und Konstruktion auf die machtpolitische Ebene zu übertragen. Die Kritische Geopolitik bietet einen theoretischen Ansatz, um das Afrikabild in den deutschen Medien anhand geopolitischer Entscheidungen zu bewerten, indem sie die Kraft geopolitischer Diskurse nachzeichnet (WOLKERSDORFER 2001: 144). Der Vergleich mit einer außermedialen Wirklichkeit schafft Anhaltspunkte, um den Einfluss medialer Repräsentationen darzustellen. Ob Ereignisse, wie etwa Konflikte in Eritrea oder Simbabwe, zu einem diskursiven Ereignis werden oder nicht, hängt von dem jeweiligen politischen Stellenwert ab. Von großer Bedeutung für den diskursanalytischen Ansatz der Kritischen Geopolitik sind somit nicht nur die Darstellung ausgewählter Themen, sondern auch die Auslassung anderer Themenbereiche, die Lücken im Diskurs, und das Wissen, das den Medienrezipienten in der medialen Repräsentation von Regionen vorenthalten wird.

1.3.3 Zwischenfazit

Machtstrukturen stoßen immer auf Gegenwehr (Foucault 1980). Dass Macht nicht ausschließlich mit politischen oder ökonomischen Potenzialen zu verbinden ist, zeigt das Forschungsfeld der Kritischen Geopolitik. Herrschaft, Gesellschaft und Kultur sind durch historische Verflechtungen eng miteinander verknüpft, und auch die Art und Weise, wie Vergangenheit begriffen oder dargestellt wird, prägt das Gegenwartsbild (SAID 1993: 38). Die Kritische Geopolitik beschreibt die Idee einer Ordnung, die nicht mit Soldaten und Kanonen geführt wird, sondern um und mit Formen, Bildern und Imaginationen. Massenmediale Diskurse sind Ausdruck einer mentalen Geographie, die historische Bezüge einverleibt, und durch die öffentliche Debatte nicht von politischen Entscheidungen zu trennen ist. Krisen- und Ereignisorientierung ist die primäre Ausdrucksform der deutschen Afrikaberichterstattung. Die Analyse der deutschen Printmedien bestätigt diesen Trend. Stereotype afrikanischer Krisen und Konflikte dominieren die Beiträge. Eine kontinuierliche und nachvollziehbare Dokumentation, die dem Leser ein repräsentatives Afrikabild ermöglichen könnte, findet in der deutschen Presse jedoch keinen Platz. Afrika interessiert unter der Prämisse humanitärer Katastrophen, Gewalt oder kriegerischer Auseinandersetzungen. Muster, die auch aus geopolitischer Sicht Rückschlüsse auf die politische und ökonomische Bedeutung Afrikas für Deutschland erlauben. Die Verbindung geopolitischer Komponenten mit dem Rekonstruktions-Dekonstruktions-Ansatz nach Hafez ermöglicht nun, Aussagen über den Wirkungshorizont der Afrikaberichterstattung weiter zu fassen. Die methodischen Grundfragen orientieren sich an einem ähnlichen Raster der Textanalyse. Durch die Kombination der theoretischen Ansätze ergeben sich insbesondere für die Formulierung der Forschungsfragen in dieser Arbeit umfassende Optionen.

2 THEORIE DER AUSLANDSBERICHTERSTATTUNG

2.1 Interkulturelle Darstellung - Prozesse, Muster, Strukturen

Der Weg vom Ereignis zur Wahrnehmung eines Berichts durch das Publikum ist eine Reise durch den Kosmos des journalistischen Handwerks. Der Produktionspfad ist gesäumt von einer Fülle an Entscheidungsprozessen, wie die Selektionsmechanismen der Autoren, Interpretation und Abwägung, die Überwindung sprachlicher Barrieren, die Bewältigung von Logistik und Finanzierung, oder die Wahl der Darstellungsform. Berichte aus dem Ausland sind nicht selten Berichte aus einer unbekannten Welt. Der Journalist wird zum Erzähler, er ordnet und strukturiert das Verständnis, erklärt und übersetzt kulturelle Unterschiede. Die Fähigkeit überhaupt Strukturen in diesem komplexen Kommunikationsapparat zu erkennen, hängt nicht zuletzt von Erklärungsmustern ab, entwickelt in der Publizistik und der Kommunikationswissenschaft der letzten Jahrzehnte, zunehmend aber auch in Politik- und Sozialwissenschaften. Begriffe haben sich etabliert, Definitionen wurden geschärft, Informationskanäle differenziert, Faktoren zur Bewertung der Nachrichten entwickelt.

Der hier vorgestellte theoretische Ansatz zur Auslandsberichterstattung basiert vornehmlich auf dem Theoriegebäude des Erfurter Politikwissenschaftlers Kai Hafez, der „Theorie internationaler und interkultureller Darstellungsformen in Massenmedien“ (HAFEZ 2002a und 2002b). Hafez hat ältere Modelle zur Erklärung von Einzelaspekten in einer eher anwendungsorientierten Form verbunden. Sein Modell versucht Inhaltsstrukturen, Verursachungs- und Entstehungsprozess, sowie deren gesellschaftlichen Wirkungshorizont zu erfassen (HAFEZ 2002a: 31). Die vorliegende Gliederung orientiert sich an diesem Raster, und wirft einen Blick auf Inhalte, Akteure und Ausprägungsformen der Afrikaberichterstattung. Im Anschluss an die in KAPITEL 1 vorgestellten theoretischen Grundannahmen zur Konstruktion medialer Realitäten werden in den folgenden Abschnitten die Produktions- und Wirkungsmuster der Auslandsberichterstattung genauer betrachtet. Prozesse, Strukturen und Muster der journalistischen Arbeit sollen dazu dienen, eine Grundlage für die Bewertung der deutschen Afrikaberichterstattung zu schaffen.

2.1.1 Logik der Auslandsberichterstattung

„ Die Massenmedien schaffen es vielleicht nicht, uns zu sagen, was wir denken sollen, aber sie schaffen es erstaunlich gut, uns zu sagen, wor ü ber wir denken sollen. “

(McCombs/Shaw, 1977)

Das Handwerk des Journalismus ist eine komplexe Mischung aus Fachwissen, Routine und Pragmatismus. Die Medienwissenschaft sucht nach Erkenntnissen über Muster in der Gestaltung 30 Raumbild Afrika. Theorie der Auslandsberichterstattung der journalistischen Arbeit und in der Wahrnehmung durch das Publikum. In der Auslandsberichterstattung können sich die Erklärungsmuster jedoch von der Funktionsweise nationaler Mediensysteme unterscheiden. Allein die Faktoren der Nachvollziehbarkeit, von Vergleichsmöglichkeit und Diskrepanzerfahrung oder der Bedeutung von Auslandsereignissen für die individuelle Lebensumwelt verdeutlichen die in der Regel abweichende Bewertung durch das Publikum. Es sind Fragen der Relevanz, der emotionalen Bindung, der politischen Bedeutung, der humanitären Betroffenheit oder auch der Skurrilität, die dazu beitragen, bestimmten Themen Aufmerksamkeit zu widmen. Auslandsberichterstattung besetzt eine breite Spannweite von Neuinformation über Wissensvertiefung bis zur Bedienung einer vorhandenen Informationsnachfrage.

Als Agenda-Setting wird in der Medienwirkungsforschung der Zusammenhang zwischen der Themenagenda der Medien und der Themenagenda des Publikums bezeichnet. Dieses Konzept versucht den Beitrag zu beschreiben, den die Massenkommunikation auf die Bildung unseres Weltbildes leistet (MCCOMBS 2000: 123). Die Auswahl von Themen und deren Prioritätensetzung zeigen erste Muster der Auslandsberichterstattung, die wiederum Antworten auf die Fragen ermöglichen, worüber Menschen nachdenken und mit welchen Auslandsthemen sie sich beschäftigen.

Die Form der Auslandsberichte, die Art der Berichterstattung und die Prägung des Publikums durch Berichterstattung sind eng mit sozialpsychologischen Forschungsfeldern verbunden. Auslandsbilder, Vorurteile oder Stereotype sind nur einige Aspekte, die in der Auslandsberichterstattung eine spezielle, weil vermittelte Rolle einnehmen. Die Interpretation eines Ereignisses durch den Journalisten trifft auf die Interpretation der journalistischen Darstellung durch das Publikum. Konstruierte Medienwirklichkeit prägt dabei die Diskurse über Auslandsgeschehen, durch die sich Auslandsbilder verfestigen. Die kleinsten Text- und Bildeinheiten, die in der Linguistik und auch in der Analyse der Auslandsberichterstattung untersucht werden, sind Frames. Indem manifeste Auslandsbilder auf ihre Sinnaussagen überprüft werden, kann eine weitere Annäherung an die Medienlogik der Auslandsberichterstattung erfolgen (MCQUAIL 2001: 343).

2.1.1.1 Agenda-Setting und Priming

Der Raum für Berichterstattung ist begrenzt. Tagesaktualität steht in Konkurrenz zu langfristiger Themenbegleitung. Und selbst innerhalb eines Nachrichtenformates, in Tageszeitungen, Radio oder Fernsehnachrichten, erhalten Ereignisse unterschiedlich hohe Aufmerksamkeit. Je wichtiger ein Ereignis eingeschätzt wird, desto höher rutscht es in der Regel auf der Themenagenda. Agenda-Setting und Priming sind zwei Begrifflichkeiten, die in der Medienforschung dazu dienen, diese Form der Nachrichtenbewertung zu beschreiben. Dabei geht es um Deutungsfragen, Entscheidungskompetenzen und Selektion (DEARING/ROGERS 1996: 2). Das Ausmaß, in dem in den Nachrichten Schwerpunkte gesetzt werden, beeinflusst die Prioritäten, die diesen Themen auch in der Öffentlichkeit zugeschrieben werden (MCCOMBS 2000: 124). Die Präsentation eines Themas in den Medien weckt nicht nur Vorstellungen beim Zuschauer, sie beeinflusst auch das Verhalten. Im Agenda-Setting-Ansatz werden zwei Ebenen der Beeinflussung unterschieden. Die erste Ebene umfasst die Frage, mit welchen Themen sich die Medienrezipienten beschäftigen, die zweite Ebene geht einen Schritt weiter, und untersucht die Frage, wie über ein Objekt nachgedacht wird (MCCOMBS 2000: 125). Dieser kausale Zusammenhang kann erklären, inwieweit die Themen der Massenmedien mit dem Diskurs in der Öffentlichkeit über bestimmte Auslandsthemen und Regionen verbunden sind. Die These des Agenda-Setting liefert aber noch keine Erklärung für die unterschiedliche Ausgestaltung medialer Themenlisten (MCQUAIL 2001: 455). Unterschiedliche Mediensysteme beliefern unterschiedliche Zielgruppen, setzen andere Prioritäten und unterscheiden sich auch dadurch von der Konkurrenz. Trotzdem messen zu bestimmten Zeitpunkten, oder über einen bestimmten Zeitraum hinweg, unterschiedliche Medien denselben Themen eine gewisse Relevanz zu (DEARING/ROGERS 1996: 90). Die Agenda-Setting-Forschung befasst sich mit der Häufigkeit eines Themenvorkommens, nicht mit den Inhalten der Nachrichten. Eine wichtige Erkenntnis dieses Forschungsbereiches belegt die Unabhängigkeit der Medienagenda von den Ereignissen und Indikatoren der „realen Welt“. Die Bewertung eines Themas ist nicht bedingt durch eine objektive Bedeutungszuschreibung, sondern das Ergebnis eines Wechselspiels der politischen und der öffentlichen Agenda (DEARING/ROGERS 1996: 91 f. und MCQUAIL 2001: 456).

Ein weiteres Analyseraster, das die Relevanz eines Themas erfasst, ist die Positionierung auf der Themenagenda (DEARING/ROGERS 1996: 92). Der Begriff des Priming illustriert die Frontstellung eines Themas in den Medien. Dadurch, dass ein Objekt, ein Diskurs oder ein Ereignis an die erste Stelle in der Nachrichtenpräsentation rückt, erfährt es eine besondere Wichtigkeit (JÄCKEL 2005: 175). Die Auswahl der berichteten Aspekte formt die Meinungsbildung der Rezipienten. Je nach Anordnung misst das Publikum Themen unterschiedliche Bedeutung und Aufmerksamkeit zu. Während Agenda-Setting also die Frage betrifft, ob und inwieweit Medienangebote in der Lage sind, die Aufmerksamkeit des Publikums auf bestimmte Nachrichten zu lenken, thematisiert das Priming einen weiteren Schritt. Abhängig von der Position der Nachricht werden Zuschauer und Leser mehr oder weniger stark von der jeweiligen Nachricht beeinflusst (JÄCKEL 2005: 177). Darüber hinaus beeinflusst der Priming- Effekt auch nach welchen Kriterien Personen und Ereignisse beurteilt werden (PÜRER 2003: 381f.). Besondere Bedeutung kommt bestimmten Vorinformationen zu, die von dem Publikum dann besonders leicht abgerufen werden können, wenn sie häufig wiederholt werden. So entstehen feste Wahrnehmungsmuster und Schemata, die sich auch durch eine leichte Verschiebung der Themenagenda nicht auflösen. Erst eine neue Form des Priming könnte diese erstarrten Muster nachhaltig beeinflussen. Agenda-Setting und Priming beschreiben die Phänomene in einer mehrstufigen Wirkungskette, in der zunächst die Wahrnehmung von Themen gewichtet und später Einstellungen und Meinungen dauerhaft geprägt und verändert werden.

2.1.1.2 Bilder, Frames, Diskurse

Der Raum für Berichterstattung ist ebenso begrenzt wie das Wahrnehmungsvermögen des Menschen. Um Umwelteinflüsse sinnvoll einordnen und interpretieren zu können, ist das Individuum darauf angewiesen, in seinem Vorstellungsvermögen Denkmuster zu etablieren, in denen sich die Außenwelt in der Form von Sinnbildern widerspiegelt. Ob der Mensch die Umwelt als „tatsächliche Welt“ erkennen kann, berührt die Grundfragen der Philosophie. Zumindest können die Eindrücke der individuellen Realität als „Abbild von der Welt“ beschrieben werden, die jedoch nie der Wirklichkeit selbst entsprechen müssen (MARTEN 1988: 12). Die Neigung zu realitätsfremder Imagination ist umso größer, je abstrakter und entfernter das dargestellte Objekt ist (HAFEZ 2002a: 36). Einzelne Eindrücke entstehen nie isoliert, sondern immer in Sinnzusammenhängen mit komplexeren Bildstrukturen. Der Kontext eines Objekts wird als Frame bezeichnet, als kleinster Sinn vermittelnder Orientierungsrahmen (MCCOMBS 2000: 127). So wie zwischen Sender und Empfänger der Information muss auch zwischen zwei Arten von Frames unterschieden werden. Medienframes werden von Journalisten und Redaktionen erzeugt, sie entstehen unter Routine, Effizienz- und Zeitdruck und der Anwendung von Nachrichtenregeln. Der Wahrnehmungsframe entsteht beim Zuschauer unter Betrachtung seiner Gemütsverfassung und seines eigenen Medienkonsums (MCQUAIL 2000: 454). In Bezug auf die Auslandsberichterstattung ist besonders interessant, dass Frames umso einheitlicher vermittelt werden, je weiter die Nachrichtenlage entfernt liegt (MCQUAIL 2000: 344), da die Interpretationsmöglichkeiten durch eine begrenzte Anzahl an Quellen geringer ist. Hafez verweist auf Leon Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz, wenn er schreibt, dass sich neue Bilder in bestehende Frames einfügen, sich dabei in einem neuen Equilibrium stabilisieren, im Zweifelsfall aber die etablierten Bildsysteme ein strukturelles Übergewicht gegenüber neuen Bildern aufweisen (HAFEZ 2002a: 37). Vergleichbar zu den Erklärungsmustern des Agenda-Setting und des Priming zeigt sich die Beharrlichkeit gefestigter Vorstellungen und somit die Schwierigkeit, alte Bilder und starre Vorstellungen durch neue zu ersetzen.

[...]


1 Im November 2005 hat Bundespräsident Horst Köhler gemeinsam mit der Zeit-Stiftung und unter Beteiligung der Bundesregierung die Initiative Partnerschaft mit Afrika ins Leben gerufen, um grundlegend das Verhältnis zwischen den Staaten Afrikas und den Industriestaaten zu diskutieren.

2 Vgl. MÜKKE (2009), MAWDSLEY (2008), HAFEZ (2002), MYERS/KLAK/KOEHL (1996), MOOS (1977).

3 Vgl. Ó TUATHAIL/AGNEW (1992), DALBY (1991), SHARP (1996).

4 Vgl. WOLKERSDORFER (2001).

5 Der Instrumentalisierungsansatz beschreibt einen Autonomieverlust der Medien durch die Zunahme von

politischen Public-Relations-Agenturen, der mediengerechten Vermarktung von Ereignissen und Personen sowie der Depolitisierung der Bevölkerung (PALETZ/ENTMAN 1981 und SCHUSTER 2004).

6 Aus Sicht des Dependenzansatzes sind politische Institutionen abhängig von der Scharnierfunktion der Medien zur Öffentlichkeit. Aus dieser Machtfunktion heraus können Medien die Legitimität und die Artikulation politischer Entscheidungen beeinflussen (KEPPLINGER 1998).

7 Das US-Engagement in Somalia war eingebettet in eine humanitäre Intervention der Vereinten Nationen, durch die eine Versorgung der durch eine Hungersnot betroffenen Somalis sichergestellt werden sollte. Insbesondere in der Hauptstadt Mogadischu wurden die amerikanischen Soldaten in Kämpfe mit Rebellengruppen somalischer Warlords verwickelt. Die Fernsehaufnahmen entstanden nach der Schlacht von Mogadischu im Oktober 1993.

8 Für Baudrillard gibt es keine gültige Existenz von Wissen außerhalb der medial vermittelten Realitätskonstruktion.

9 Noch heute gilt das Modell der zirkulären Wirklichkeitskonstruktion von Siegfried Schmidt als Standard. In einem sich selbst tragenden Kreislauf der vier Instanzen Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur wird Wirklichkeit konstruiert. Kognition und Kommunikation werden als konstituierende Faktoren etabliert, Kultur als Verhaltensprogramm und Interpretation, Medien als Kompaktbegriff für Instrumente, Organisationen und Angebote (WEBER 2003: 187 ff.).

10 Vgl. auch die Arbeiten von DITTMER/DODDS (2008), DODDS (2003), SPARKE (2000), SHARP (1996), Ó TUATHAIL/AGNEW (1992).

11 Vgl. auch die Arbeiten von MAWDSLEY (2008), MYERS/KLAK/KOEHL (1996).

Ende der Leseprobe aus 351 Seiten

Details

Titel
Raumbild Afrika: Die Konstruktion des afrikanischen Kontinents in den deutschen Printmedien
Hochschule
Universität Trier  (Fachbereich VI - Angewandte Geographie / Abteilung Raumentwicklung und Landesplanung)
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
351
Katalognummer
V173500
ISBN (eBook)
9783640982882
ISBN (Buch)
9783640983247
Dateigröße
7350 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Medienanalyse, Afrika, Qualitative Inhaltsanalyse, Quantitative Inhaltsanalyse, Medien, Journalisten, Expertengespräche, Afrikaberichterstattung, Kritische Geopolitik, Afrikabild, Afrikabilder, Diskursanalyse, Nachrichtenfaktoren, Fallbeispiele, Keniakrise, Piraterie am Horn von Afrika, Angola, Kenia, Somalia
Arbeit zitieren
Diplom Geograph Alexander Glodzinski (Autor:in), 2010, Raumbild Afrika: Die Konstruktion des afrikanischen Kontinents in den deutschen Printmedien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173500

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