Schriftbasiertes E-Coaching: Einsatzfelder, Rahmenbedingungen und Grenzen

Eine Befragung im deutschsprachigen Raum


Masterarbeit, 2010

104 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1 Einleitung
1.1 Thema und Fragestellungen
1.2 Aufbau der Arbeit
1.3 Sprachregelung

2 Begriffsdefinitionen
2.1 Coaching
2.1.1 Definition von Coaching
2.1.2 Abgrenzung zu Beratung
2.1.3 Abgrenzung zu Mentoring
2.1.4 Abgrenzung zu Supervision
2.1.5 Abgrenzung zu Psychotherapie
2.1.6 Abgrenzung zu Training
2.2 E-Coaching
2.2.1 Definition von E-Coaching
2.2.2 Formen von E-Coaching
2.2.3 Abgrenzung zu Face-to-Face-Coaching, Blended Coaching und E-Learning

3 Besonderheiten des E-Coachings
3.1 Kennzeichen des Internets
3.1.1 Internetnutzung
3.1.2 Auswirkungen des Internets auf Individuum und Gesellschaft
3.2 Computervermittelte Kommunikation (CVK)
3.2.1 Kanalreduktionstheorie
3.2.2 Theorie des Herausfilterns sozialer Hinweisreize
3.2.3 Medienwahlmodelle
3.2.4 Theorie der sozialen Informationsverarbeitung
3.2.5 Simulationsmodell
3.2.6 Imaginationsmodell
3.3 Schriftkommunikation im Internet: Parasprache und Oraliteralität
3.4 Ablauf und Setting von E-Coachings
3.5 Zielgruppen von E-Coaching und Anforderungen an den E-Coachee
3.6 Anforderungen an den E-Coach
3.7 Vorteile des E-Coachings
3.8 Nachteile des E-Coachings
3.9 Ethische Fragestellungen

4 Untersuchungsmethode
4.1 Methodische Überlegungen und Forschungsprozess
4.2 Datenerhebung
4.2.1 Datenerhebungsverfahren
4.2.2 Interviewleitfaden und Pretest
4.2.3 Stichprobenauswahl und Stichprobenbeschreibung
4.3 Rahmenbedingungen der Befragung
4.3.1 Kontaktaufnahme zu den Interviewpartnern
4.3.2 Interviewsituation
4.3.3 Interviewprotokolle
4.4 Auswertungsmethode
4.4.1 Qualitative Inhaltsanalyse
4.4.2 Auswertungsschritte

5 Ergebnisse
5.1 Kontaktaufnahme und technische Rahmenbedingungen
5.2 Ablauf der E-Coachings
5.3 E-Coaching-Kunden
5.4 Themen und Ziele von E-Coaching
5.5 Vor- und Nachteile von E-Coaching
5.6 Einstellung und Motivation der E-Coaching-Anbieter
5.7 Ist-Situation und Blick in die Zukunft
5.8 Ergänzende Bemerkungen der Interviewpartner

6 Interpretation und Diskussion
6.1 Rahmenbedingungen von schriftbasiertem E-Coaching
6.1.1 Angebot und Anbieter von schriftbasiertem E-Coaching
6.1.2 Ablauf der E-Coachings
6.2 Einsatzfelder von schriftbasiertem E-Coaching
6.2.1 E-Coaching-Kunden
6.2.2 Themen und Ziele von schriftbasierten E-Coachings
6.2.3 Vorteile von E-Coaching
6.3 Grenzen von schriftbasiertem E-Coaching
6.3.1 Anforderungen an die E-Coaching-Kunden
6.3.2 Anforderungen an die E-Coachs
6.3.3 Limitierung der Themen und Methoden
6.3.4 Nachteile von schriftbasiertem E-Coaching
6.3.5 Ist-Situation bei der Nachfrage nach schriftbasiertem E-Coaching

7 Ausblick: Die Zukunft von schriftbasiertem E-Coaching in Forschung und Praxis
7.1 Konsequenzen für die Forschung
7.2 Konsequenzen für die Praxis

8 Abbildungsverzeichnis

9 Literaturverzeichnis

Abstract:

In einer globalisierten Welt ist das Internet zum alltäglichen Kommunikations-medium geworden. Das Angebot zum Coaching via Internet nimmt zu, ist breit gefächert und unübersichtlich. Es wird von Befürwortern und Gegnern kontrovers diskutiert. Dabei gibt es wenige aussagekräftige Studien, welche schriftbasiertes E-Coaching im deutschsprachigen Raum thematisieren. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die Rahmenbedingungen, Einsatzfelder und Grenzen von schriftbasiertem E-Coaching in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu erheben. Per Online-Interview wurden zehn Anbieter von E-Coaching als Experten ausführlich zu dem Thema befragt.

Die Ergebnisse sind sehr differenziert und zeigen klar die grossen Chancen und Einsatzmöglichkeiten, aber auch die Grenzen von E-Coaching auf. Schriftbasiertes E-Coaching kann dann sein grösstes Potenzial entfalten, wenn es von qualifizierten E-Coaches als ein zielgruppenspezifisches Instrument eingesetzt wird. Eine Kombination mit Präsenzcoaching in der Kontraktphase ist empfehlenswert.

In a global economy the internet is a commonplace means of communication. The range of coaching services offered via internet is diverse and growing, and can be confusing. Controversial discussions take place between supporters and detractors. There are few relevant studies addressing text-based e-coaching in German speaking regions. The aim of this work is to highlight the general conditions, areas of application and limits of text based e-coaching in Germany, Austria and Switzerland. Ten e-coaching service providers were asked their expert opinions on this subject via extensive online interviews.

The results are highly differentiated and clearly show not only the considerable possibilities and vast array of applications available through e-coaching, but also its limits. Text based e-coaching can achieve its greatest potential if it is used by qualified e-coaches as an instrument for specific target groups. It is recommended that e-coaching be combined with face-to-face coaching during the “contracting” or “entry phase” of the coaching process.

1 Einleitung

1.1 Thema und Fragestellungen

Wir verbringen immer mehr Zeit in virtuellen Welten. Das Internet ist zum alltäglichen Arbeitsinstrument geworden. In einer globalisierten Welt ist die Kommunikation über grosse Distanzen und mit zeitlicher Flexibilität zunehmend wichtig. Der Zugang zu Informationen und rasche Reaktionsmöglichkeiten stellen einen wichtigen Erfolgsfaktor dar.

Gleichzeitig ist Coaching seit mehr als zwanzig Jahren ein wichtiges und akzeptiertes Instrument, Menschen bei der Bewältigung der zunehmenden Komplexität der (Arbeits-)Welt zu unterstützen. Angebote zum Coaching via Internet nehmen zu. Das Angebot ist breit gefächert und unübersichtlich (vgl. Theis, 2009, S. 24ff.). Dabei unterscheidet sich das Setting im Coaching via Internet sehr stark von der ursprünglichen Face-to-Face-Beratungssituation. Befürworter (vgl. Koch, 2009), die die Vorteil des Coachings via Internet betonen und ihm eine grosse Zukunft voraussagen und Gegner (vgl. Albrecht, 2009), die im Coaching per Internet höchstens eine Zusatzmöglichkeit zum Face-to-Face-Setting sehen, stehen sich gegenüber.

Wie sieht also die Ist-Situation im deutschsprachigen Raum aus?

Die vorliegende Arbeit hat das Ziel einer qualitativen Ist-Erhebung im deutschsprachigen Raum. Im Rahmen von Online-Interviews werden Experten befragt, welche E-Coaching (engl. electronic coaching) anbieten. Dabei beschränke ich mich auf schriftbasiertes Coaching via E-Mail und Chat, da diese die häufigsten Formen des E-Coachings darstellen.

Folgende Fragestellungen werden bearbeitet:

- In welchen Einsatzfeldern wird schriftbasiertes E-Coaching angewendet?
- Was sind die Rahmenbedingungen?
- Wo sind Grenzen des schriftbasierten E-Coachings?

Die somit erhobenen qualitativen Daten können dann eine Grundlage für weitergehende wissenschaftliche Untersuchungen bilden.

1.2 Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit gliedert sich in einen theoretischen, literaturverarbeitenden Teil und einen empirischen Teil.

Im Theorieteil werden zunächst die wichtigsten Begriffe und Konzepte definiert und abgegrenzt.

Danach wird auf die Besonderheiten des schriftbasierten E-Coachings eingegangen, wie die Kennzeichen von Internet und computervermittelter Kommunikation, die Settings und die Zielgruppen, sowie die speziellen Anforderungen an den E-Coachee und den E-Coach. Vor- und Nachteile werden diskutiert und ethische Fragen angesprochen.

Der empirische Teil beginnt mit der Darstellung der Erhebungs- und Auswertungsmethode, der Auswahl der Interviewpartner und der Darstellung des Interviewleitfadens.

Die Ergebnisse der Interviews werden zusammengefasst und durch Zitate untermauert. Schliesslich erfolgt die Interpretation und Diskussion der Ergebnisse vor dem Hintergrund der theoretischen Grundlagen sowie die Beantwortung der forschungsleitenden Fragestellungen. Im Ausblick werden Schlussfolgerungen für die Forschung und die Praxis gezogen.

1.3 Sprachregelung

Aus Gründen der Anonymisierung, der besseren Lesbarkeit und des leichteren Verständnisses des Textes wird die männliche Form gewählt.

2 Begriffsdefinitionen

2.1 Coaching

2.1.1 Definition von Coaching

Ursprünglich leitet sich der englische Begriff „Coach“ von Kutsche bzw. Kutscher ab, also von einer Person, die jemanden sicher und schnell ans Ziel bringen soll (vgl. Lippmann, 2006, S.12). Dieses „ans Ziel Bringen“ konzentrierte sich zunächst auf das Coaching im Bereich des Leistungssports im angelsächsischen Raum.

Nach Böning (2002, S.26ff) hat sich Coaching im betrieblichen Kontext in sechs Phasen entwickelt:

1. Phase: Ursprung: 1970er – 1980er Jahre in den USA: entwicklungsorientiertes Führen durch den Vorgesetzten
2. Phase: Erweiterung: ab Mitte der 1980er Jahre in den USA: zusätzlich als Begriff für karrierebezogene Betreuung des Führungskräfte-Nachwuchses
3. Phase: der „Kick“: ab Mitte der 1980er Jahre: Pionierphase des Coachings im deutschsprachigen Raum, hohe Aufmerksamkeit durch firmenexternes Coaching von Top-Managern
4. Phase: Etablierung: ab Ende der 1980er Jahre: Coaching als Instrument der systematischen Personal- und Führungskräfteentwicklung im deutsch-sprachigen Raum
5. Phase: Differenzierung: ab Anfang der 1990er Jahre: Ideen des Coachings werden in unterschiedlichen Settings der Personal- und Führungskräfte-entwicklung eingesetzt, z.B. als Gruppencoaching, Teamcoaching, Projektcoaching, EDV-Coaching
6. Phase: Populismus: seit Mitte/Ende der 1990er Jahre: Coaching entwickelt sich zu einem inflationär gebrauchten „Container“-Begriff (ebd., S.29), der für unterschiedlichste Tätigkeiten im Feld von Training und Beratung verwendet wird.

Dies zeigt sich nach Rauen (2008, S.1) darin, dass „mittlerweile […] nahezu alle Formen von klassischer Beratung, Trainings, Schulungen, Gesprächen und Seminaren von Anbietern jeglicher Art fälschlicherweise als „Coaching“ bezeichnet [werden], - von Esoterik-Angeboten ganz zu schweigen“.

Oder wie Strikker (2007, S.12) warnt: „Coaching als Sammelbegriff für jede Art von Lernbeziehungen würde die Grenzen des Konzepts überdehnen und folgerichtig den Hype bald zerplatzen lassen. Der Siegeszug würde sich schliesslich als Pyrrhussieg entpuppen.“

Dennoch gibt es einige grundsätzliche übereinstimmende Merkmale, die Coaching genügend trennscharf zu anderen Verfahren abgrenzen. Es sind dies die folgenden Charakteristika (Rauen, 2008, S.3ff):

a. Coaching ist ein interaktiver, personenzentrierter Beratungs- und Begleitungsprozess, der berufliche und private Inhalte umfassen kann, wobei interaktiv bedeutet, dass auf gleicher Augenhöhe zusammengearbeitet wird. Dem Gecoachten wird keine Verantwortung abgenommen und ein Beziehungsgefälle ist unerwünscht.
b. Coaching ist eine individuelle Beratung auf der Prozessebene, der Coach liefert keine direkten Lösungsvorschläge.
c. Die Basis von Coaching ist eine tragfähige und durch gegenseitige Akzeptanz und Vertrauen gekennzeichnete, freiwillige und gewünschte Beratungsbeziehung.
d. Coaching zielt immer auf eine (auch präventive) Förderung von Selbstreflexion und –wahrnehmung, Bewusstsein und Verantwortung, um damit Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.
e. Coaching arbeitet mit transparenten Intervention en und erlaubt keine manipulativen Techniken, da diese der Förderung von Bewusstsein prinzipiell entgegenstehen würden.
f. Coaching setzt ein ausgearbeitetes Coaching-Konzept voraus, welches das Vorgehen des Coachs erklärt und festlegt, welche Interventionen, Methoden und Techniken verwendet werden, wie die angestrebten Prozesse ablaufen können und welche Wirkungszusammenhänge berücksichtigt werden müssen. Das Konzept sollte dem Gecoachten soweit transparent gemacht werden, dass Manipulationen ausgeschlossen werden können.
g. Coaching findet in mehreren Sitzungen statt und ist zeitlich begrenzt.
h. Coaching richtet sich an eine bestimmte Person (im Gruppen-Coaching an eine genau definierte Gruppe von Personen) mit Führungsverantwortung und/oder Managementaufgaben.
i. Coaching wird ausgeübt durch Beraterinnen und Berater mit psychologischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen, sowie praktischer Erfahrung in Bezug auf die Anliegen des Gecoachten.
j. Ziel ist immer die Verbesserung der Selbstmanagementfähigkeiten des Gecoachten, so dass der Coach letztendlich nicht mehr benötigt wird.
k. Der Coach arbeitet im Rahmen vorher vereinbarter Spielregeln, die der Gecoachte akzeptiert. Grundlage ist die auf Vertrauen basierende, persönliche Beziehung zum Gecoachten.
l. Der Coach drängt nicht seine eigenen Ideen und Meinungen auf, sondern sollte eine unabhängige Position einnehmen.

Lippmann (2008, S.71) definiert Coaching zusammenfassend „als professionelle Form individueller Beratung im beruflichen Kontext, in der vom Coachee definierte Anliegen heraus- bzw. bearbeitet werden. […] Fokus bildet dabei das Spannungsfeld Person – Rolle – Organisation“.

In der vorliegenden Arbeit wird im Folgenden von einem Coachingbegriff ausgegangen, der sich an den oben genannten Merkmalen orientiert.

Die folgenden Kapitel dienen der Abgrenzung von Coaching gegenüber verwandten Formen psychosozialer Interventionen.

2.1.2 Abgrenzung zu Beratung

Obwohl sich Coaching unter einen Oberbegriff der Beratung einordnen lässt, gibt es doch einige charakteristische Unterschiede (vgl. Rauen, 2008, S.10ff):

Zwar braucht auch der Coach oftmals Expertenwissen oder zumindest Erfahrung aus einem ähnlichen Umfeld wie der Coachee, um von diesem akzeptiert zu werden. Jedoch liegt der Fokus im Coaching klar auf der Prozess- und nicht auf der Fachberatung. Zwar können auch im Coaching Fähigkeiten, Kenntnisse und Verhaltensweisen erworben werden, der Fokus liegt aber auf dem Prozess.

Ein Beispiel von Rauen (2008, S.13) illustriert dies:

„ Sich eigenständig anzulesen, wie Mitarbeitergespräche durchzuführen sind, sollte für keine Führungskraft ein Problem sein. Die Durchführung von fruchtbaren Mitarbeitergesprächen ist – so zeigt es die Praxis – immer wieder ein Problem. Die Schwierigkeit, mit der eine Führungskraft zu kämpfen hat, ist hier einmal mehr nicht das „Was“, sondern das „Wie“. Eine fachliche Anleitung, was im Mitarbeitergespräch im Einzelnen zu thematisieren ist, ist Beratung, genauer: Fachberatung. Das Erarbeiten- z.B. in Rollenspielen mit anschliessendem Feedback -, wie ein Mitarbeitergespräch erfolgreich geführt wird und als Führungsinstrument genutzt werden kann, ist Coaching, d.h. Prozessberatung.“

Im Weiteren steht bei Coaching die individuelle, vom Coachee erarbeitete Lösung im Vordergrund und keine Standardlösung, wie sie in der Fachberatung häufig ist (vgl.ebd.).

2.1.3 Abgrenzung zu Mentoring

Mitte der 1980er Jahre hat sich Mentoring als eine Art „Patenschaft“ zwischen jungen oder neueintretenden Organisationsmitgliedern und einem Mentor – meist einer erfahrenen Führungskraft – etabliert (vgl. Whitmore, 1996). In der Beziehung zwischen Mentor und Mentee besteht also ein Wissens- und Machtgefälle (vgl. Lippmann, 2006, S.30).

Ziel ist meist die Vermittlung von Riten und Normen der Organisation und eine langfristige Karriereberatung. Der „Schützling“ kann sich seinen Mentor in der Regel nicht selber aussuchen und im Vordergrund steht das Interesse der Organisation, die Integration neuer Mitarbeiter sicher zu stellen und Fluktuationen zu vermeiden (vgl. Rauen, 2008, S.9f).

2.1.4 Abgrenzung zu Supervision

Nach Lippmann (2006, S.31) „weist die Supervision die grössten Ähnlichkeiten zum Coaching auf. Der Begriff „Supervision“ wird jedoch vorwiegend im Non-Profit-Bereich verwendet, während Coaching eine bessere Anschlussfähigkeit in der Wirtschaft hat. […] Supervision findet im Non-Profit-Bereich zudem häufig in Gruppen statt […] Oft ist es hauptsächlich eine Frage von Kultur und Sprachkonventionen, welcher Begriff einen besseren Anschluss beim Kundensystem findet.“

Einen möglichen Unterschied kann man von der Wortherkunft ableiten: „Während Supervision „Überblick verschaffen“ umschreibt, kann Coaching als konsequente Arbeit an den so gefundenen Zielen verstanden werden“ (Lippmann, 2006, S.33).

Für Rauen (2008, S.8) steht bei der Supervision die Zielgruppe der „Beziehungsarbeiter“ wie Therapeuten, Sozialarbeiter etc. im Mittelpunkt. Es geht weniger um die Bearbeitung von Zielen und den Aufbau von spezifischen Fähigkeiten und Kompetenzen als im Coaching.

2.1.5 Abgrenzung zu Psychotherapie

Obwohl im Coaching auch Techniken aus psychotherapeutischen Schulen (wie z.B. kognitive Verfahren, Gesprächstechniken, Kreativitätsübungen, Rollenspiele etc.) eingesetzt werden ist „Coaching […] keine Psychotherapie für Manager“ (Rauen, 2008, S.5).

Auch wenn persönliche Probleme in ein Coaching einfliessen können – Menschen leben ja in unterschiedlichen Kontexten und Rollen, die sich wechselseitig beeinflussen – so sind im Coaching hauptsächlich die mit der „Berufspersönlichkeit“ zusammenhängenden Aspekte relevant (vgl. Schreyögg, 1995). In der Psychotherapie stehen tiefgehende private und persönliche Schwierigkeiten unter Berücksichtigung der gesamten individuellen Lebensgeschichte im Fokus, das Ziel ist die Verbesserung oder Wiederherstellung der Selbstmanagementfähigkeiten, sowie die Wiederherstellung der psychischen Gesundheit des Individuums (vgl. Rauen, 2008, S.6).

„Stehen […] psychische Erkrankungen im Vordergrund, so ist Coaching nicht indiziert“ (Lippmann, 2006, S.33).

2.1.6 Abgrenzung zu Training

Im Training stehen die Vermittlung von Wissen und die gezielte Verbesserung von Verhaltensweisen in bestimmten Situationen im Vordergrund, wie z.B. im Verkauf, bei Auftritten, im Umgang mit neuen Technologien. Der Trainer ist dabei der Fachspezialist, der sein Knowhow durch methodisch-didaktische Kompetenzen vermittelt. Dabei ist der Trainer in der Rolle des Anleiters, Moderators oder Lernbegleiters (vgl. Lippmann, 2006, S. 29f).

Der Übungsaspekt ist dabei charakteristisch, der Trainer hat die Funktion Feedback zu geben und zu korrigieren, er bestimmt den Inhalt und den Ablauf der Übungen und leitet den Übenden konkret an (vgl. Rauen, 2008, S. 13ff).

2.2 E-Coaching

2.2.1 Definition von E-Coaching

In der Literatur existiert eine Fülle von Begriffen für das Coaching via Internet. E-Coaching (engl. electronic coaching), virtuelles Coaching, Online-Coaching, webbasiertes Coaching sind die gängigsten Bezeichnungen. Sie bezeichnen zusammenfassend das Gleiche: Coaching unter Einsatz des Mediums Internet.

Ich habe mich für die Verwendung des Begriffs E-Coaching entschieden, da dieser mit am häufigsten verwendet wird und auch im angelsächsischen Raum weit verbreitet ist.

Von den meisten Autoren wird betont, dass E-Coaching keine eigene Form des Coachings darstellt, sondern dass es sich um eine Hilfsform des Coachings handelt, also gewissermassen um eine Form des Coachings mit Unterstützung digitaler Medien (vgl. Siegrist, 2006; Rauen, 2008).

Allerdings weist diese Art des Coachings bestimmte wichtige Charakteristika auf, welche ich im Kapitel 3 Besonderheiten des E-Coachings behandeln werde.

2.2.2 Formen von E-Coaching

E-Coaching lässt sich nach der Art der Kommunikationsformen unterscheiden. Dabei handelt es sich um nicht kopräsente Kommunikationsformen, das heisst, dass sich die Teilnehmer nicht am selben Ort befinden (siehe auch Kapitel 3.2 Computervermittelte Kommunikation (CVK)). Man kann unterscheiden zwischen:

a. Synchronen (bzw. quasisynchronen) Kommunikationsformen wie Internettelefonie, Videochat und Chat, bei denen zwei oder mehrere Teilnehmer sich (fast) zeitgleich austauschen können und
b. Asynchronen Kommunikationsformen wie E-Mail, Mailinglisten und Newsgroups, bei denen zwei oder mehrere Teilnehmer sich zeitversetzt austauschen (vgl. Sigrist, 2006, S.305).

Ein Chat (engl. „Schwatz“, „Plauderei“) ist die Möglichkeit zum schriftlichen Austausch, indem die Chat-Teilnehmer sich bei einem Web-Chat-Dienst, meist anonym, einloggen. „Bei der Chat-Kommunikation erscheinen die Tastatureingaben der Chattenden unmittelbar (d.h. mit minimaler übertragungsbedingter Verzögerung) auf den Monitoren der anderen Beteiligten“ (Döring, 2003, S.83).

E-Mail (engl. „Elektronische Post“) ist eine der ältesten und populärsten Anwendungen im Internet. Es gleicht tatsächlich einem Briefverkehr in elektronischer Form und ermöglicht die Übermittlung von elektronischen Dokumenten und Programmen. Die Kommunikation per E-Mail verläuft zeitlich asynchron. Im E-Coaching wird E-Mail als „Ongoing Conversation“ eingesetzt, das bedeutet, dass es Bestandteil einer längeren Korrespondenz ist. Dabei wird auf vorhergehende Äusserungen, Fragen und Kommentare Bezug genommen (vgl. Döring, 2003, S.52).

In der vorliegenden Arbeit beschränke ich mich auf die Untersuchung von E-Coaching via Chat und E-Mail, also auf schriftbasierte Kommunikationsformen. (siehe auch Kapitel 3.3 Schriftkommunikation im Internet: Parasprache und Oraliteralität)

2.2.3 Abgrenzung zu Face-to-Face-Coaching, Blended Coaching und E-Learning

Geissler (2008, S.7ff) schlägt folgende Begriffsstruktur für Coaching vor:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Begriffsstruktur von Coaching nach Geissler (2008)

Als Vor-Ort-Coaching bezeichnet Geissler (ebd.) ein Coaching, welches räumlich dort durchgeführt wird, wo der Coachee den Coachingbedarf hat, also beispielsweise am Arbeitsplatz.

Face-to-Face-Coaching ist die bislang vorherrschende Coachingform mit dem Merkmal der Kopräsenz.

Didaktisch offenes E-Coaching kann synchron oder asynchron stattfinden und bezeichnet das hier im Fokus stehende „eigentliche“ E-Coaching.

Didaktisch vorstrukturiertes E-Coaching befindet sich sehr stark in der Nähe von E-Learning. Die Vermittlung von Wissen mit Unterstützung elektronischer Medien steht im Vordergrund. Dies ist der Bereich der Teletutoren.

Von Blended Coaching wird dann gesprochen, wenn „Formen des Präsenzcoachings mit Formen des E-Coachings verbunden“ werden (Geissler, 2008, S.8).

Von unterschiedlichen Autoren wird die Meinung vertreten, dass Blended Coaching eine notwendige Voraussetzung für E-Coaching ist, da damit potenzielle Nachteile des E-Coachings kompensiert werden (vgl. Siegrist, 2006, S.312; Geissler, 2008, S.3; Rauen, 2008, S.44).

3 Besonderheiten des E-Coachings

3.1 Kennzeichen des Internets

Das Internet ist das weltweit grösste Computernetzwerk, welches aus dem 1969 in Betrieb genommenen ARPANet der University of California hervorgegangen ist (vgl. Döring, 2003, S.2f).

Das Netz mit den ursprünglich vier Netzknoten entwickelte sich rasant, besonders seit der Einführung der ersten WWW-Browser (Suchmaschinen), welche die Suche im Internet deutlich komfortabler machten (zur Geschichte des Internets finden sich sehr gute Artikel auf http://www.isoc.org/internet/history ).

3.1.1 Internetnutzung

Weltweit gibt es rund 1 740 000 000 Internet-Nutzer (Quelle: http://www.internetworldstats.com/stats.htm, Stand: 30.09.2009).

Dabei verteilen sich die Internet-Nutzer weltweit unterschiedlich:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Internet-Durchdringungsraten nach Kontinenten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Internet-Nutzer nach Kontinenten

Dies zeigt, dass der höchste Durchdringungsgrad – also der höchste Anteil an Internet-Nutzern gemessen an der Gesamtbevölkerung - in Nordamerika, Australien und Europa liegt.

Frauen und Männer nutzen das Internet immer noch unterschiedlich häufig. Eine Studie aus dem Jahr 2006 aus Deutschland (vgl. Kampmann, Kempf & Nimke, 2006) zeigt, dass zwar der Anteil derjenigen Frauen ab 14 Jahren, die das Internet nutzen im Vergleich zum Jahr 2001 von 30,5% auf 51,5% gestiegen ist. Bei den Männern über 14 Jahren stieg der Anteil jedoch von 44,2% auf 65,4%. Das bedeutet, dass von allen Internetnutzern in Deutschland 2006 54% Prozent Männer und 46% Frauen sind, der Männeranteil also immer noch höher ist.

Das Alter ist ein weiterer wesentlicher Faktor bei der Internetnutzung – auch im Zusammenhang mit dem Geschlecht. Bei der Gruppe der 14 – 19 Jährigen sind 86% der Frauen und 87% der Männer Internetnutzer. In der Altersgruppe von 60 – 69 Jahren hingegen nur 23 % der Frauen und 43% der Männer. Je älter die Bevölkerungsgruppe, desto weniger nutzen das Internet – Frauen in einem noch grösseren Mass als Männer. Allerdings zeigt sich eine Tendenz: in allen Altersgruppen sind Zuwächse zu verzeichnen, am stärksten in der Gruppe der 20 – 29-jährigen Frauen (2005: 77%, 2006: 83%). Und mittlerweile ist die Hälfte der 50 – 59-jährigen Frauen online.

Auch der Bildungsgrad spielt eine Rolle. Den höchsten Nutzungsgrad haben Personen mit Abitur oder Hochschulabschluss (2006: über 90%) – und zwar relativ unabhängig vom Alter. Auffällig ist jedoch, dass in der Gruppe der über 60-Jährigen mit Abitur oder Hochschulabschluss eine klare Differenz von 20 Prozentpunkten zwischen Männern (2006: 54%) und Frauen (2006: 34%) besteht. Der über 90%igen Nutzung im oberen Bildungssegment steht ein Nutzungsgrad von 67% bei den Frauen und 81% bei den Männern mit Volksschulabschluss (in Deutschland neun Schuljahre) gegenüber.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass es zwar den „klassischen“ Internetnutzer zunehmend weniger gibt, dass jedoch immer noch junge, gut gebildete Männer anteilsmässig an der Spitze der Internetnutzer stehen.

3.1.2 Auswirkungen des Internets auf Individuum und Gesellschaft

Nach Döring (2003) bewirkt die zunehmende Verbreitung aller Einsatzformen des Internets eine kulturelle Veränderung. So verändern sich die Art und Weise, wie und mit wem kommuniziert wird, wie Kontakte, Beziehungen und Gemeinschaften gestaltet werden, direkt durch eigene Netzerfahrungen sowie indirekt durch Netzaktivitäten im sozialen Umfeld.

Ein wichtiger Aspekt ist dabei die „Internet-Bildung“. Diese muss nach Döring (ebd.) auf verschiedenen Ebenen stattfinden:

a. Technische Ebene: erfolgreiche Internet-Nutzung setzt medientechnisches Wissen und Erfahrungen mit Computeranwendungen voraus
b. Selbstbezogene Ebene: konstruktiver Umgang mit möglichen Computer- und Internet-Ängsten sowie mit Wissensdefiziten, Selektion und Organisation von Inhalten, Kontaktgelegenheiten und Online-Kontakten, Produktion von Netzinhalten, zeitliche Struktur der Netznutzung etc.
c. Soziale Ebene: Fähigkeit zum computervermittelten Kontakt zu anderen Menschen, z.B. Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und zu Empathie, zum Kooperieren und Kommunizieren
d. Gesellschaftliche Ebene: „Chancen und Gefahren der Vernetzungstechnik auf Makroebene […] etwa wenn es um die ökologischen oder politischen Folgen von Internet-Nutzung und um entsprechende Massnahmen zur Internet-Regulation geht“ (Döring, 2003, S.7).

Das Ausmass dieser Kompetenzen im Umgang mit den neuen Medien wie dem Internet könnte möglicherweise auch eine generationenübergreifende Rolle spielen. Small & Vorgan (2009) bezeichnen dies als „Brain Gap“: „Unsere Gesellschaft scheint in zwei kulturelle Gruppen zu zerfallen: Digital Natives, die in die Welt der Computertechnik hineingeboren werden, und Digital Immigrants, die als Erwachsene in die Computerwelt eingewandert sind“ (ebd., S.43). Inwiefern dies tatsächlich der Fall ist, ist ein interessantes Untersuchungsfeld für Soziologen, Neurowissenschaftler, Psychologen und verwandte Forschungsgebiete.

3.2 Computervermittelte Kommunikation (CVK)

Für Döring (2002, S.38) ist die natürliche Grundform der zwischenmenschlichen Kommunikation die Face-To-Face-(FTF) bzw. Body-to-Body-Kommunikation, bei der Personen zur gleichen Zeit am gleichen Ort zusammenkommen (körperliche Kopräsenz) und verbale, paraverbale sowie nonverbale Botschaften austauschen. Dabei sind potenziell alle Sinnesmodalitäten wie Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen beteiligt.

Davon abweichend wird als Computervermittelte Kommunikation (CVK) der interpersonale Austausch per E-Mails, Mailinglisten, Chat und andere Internet-Medien bezeichnet. Eine Definition findet sich bei Lang (2002, S.1): „Computervermittelte Kommunikation ist eine Form medialer Kommunikation, bei der Computer bei der En- und Dekodierung von Nachrichten zum Einsatz kommen“. CVK kann asynchron oder synchron erfolgen (siehe auch Kapitel 2.2.2 Formen von E-Coaching).

Im Folgenden werden die wichtigsten Kommunikationstheorien beschrieben, die in Bezug auf CVK und damit E-Coaching eine Rolle spielen. Dabei konzentrieren sich manche Theorien auf die konkrete Nutzungssituation, andere auch auf lebensweltliche und gesellschaftliche Veränderungen (vgl. Döring, 2000, S.353). Ein zusammenfassender Überblick zu den Theorien der CVK findet sich ausserdem bei Fritsche, Niermann & Wohlmann, 2002.

3.2.1 Kanalreduktionstheorie

Bei CVK sind laut der Kanalreduktionstheorie durch die fehlende Kopräsenz die meisten Sinnesmodalitäten im interpersonalen Zusammenhang ausgeschlossen. Für Winterhoff-Spurk & Vitouch (1989) bedeutet dies im Vergleich zur FTF-Kommunikation eine Verarmung und Entleerung der Kommunikation. Weitere Begriffe, welche im Zusammenhang mit der Kanalreduktionstheorie fallen sind Ent-Sinnlichung, Ent-Emotionalisierung, Ent-Kontextualisierung und gar Ent-Menschlichung. Dazu kommen Ent-Räumlichung und Ent-Zeitlichung (vgl. Döring, 2003, S.149; Döring, 2000 S.354). Vertreter der Kanalreduktionstheorie gehen also von der Vorstellung aus, dass FTF-Kommunikation per se einen ganzheitlichen und restriktionsfreien Austausch garantiert, während medial vermittelte Kommunikation stets mit einer Beschränkung der Ausdrucksmöglichkeiten verbunden ist.

Insgesamt hat die Theorie der Kanalreduktion einen klar zivilisations- und technikkritischen Hintergrund. Döring (2003, S.151ff; 2000, S.355) setzt dem entgegen, dass die FTF-Situation stark idealisiert werde und Bedrohungs-szenarien im Vordergrund stehen („wenn wir eines Tages nur noch per Computer kommunizieren…“). Es würden die unterschiedlichen Kommunikationskanäle und –bedürfnisse nicht differenziert und Metaphern würden Phänomenologie ersetzen. Ausserdem würde häufig vergessen, die zahlreichen Übereinstimmungen mit der kulturell hochgeschätzten Briefkommunikation in die Bewertung einzuschliessen.

Zwar zeigen Laborexperimente zur synchronen CVK (z.B. Connolly, Jessup & Valacich 1990, zit.n. Döring 2003, S. 150) dass die Kommunikation tatsächlich sachlicher, aufgabenbezogener und demzufolge weniger emotional abläuft, als in der FTF-Situation. Dem gegenüber stehen allerdings Untersuchungen und Feldstudien, welche dies empirisch nicht nachweisen (vgl. Lang, 2002, S.3). Und Lang (ebd., S.2) bemerkt dazu:“Aus kognitionspsychologischer Sicht kann die strikte Trennung von Gefühl und Gedanken nicht aufrechterhalten werden. Kognitionen sind immer auch emotional, sie sind sogar – gemäss der neurologischen Wissenschaften – emotional gesteuert.“

Möglichen Restriktionen in der Ausdrucksfähigkeit wird in der CVK ausserdem mit bestimmten Hilfsmitteln zum Ausdruck von Emotionen begegnet (siehe Kapitel 3.3 Schriftkommunikation im Internet: Parasprache und Oraliteralität).

Oder, wie es Döring (2000, S. 509) klar formuliert: „dass Aktivitäten im Internet in der Regel nicht Ersatz, sondern Ergänzung und Erweiterung herkömmlicher Kommunikationsformen sind […] Und wenn textbasierte Netzkommunikation so lebendig und sinnlich erlebt werden kann, dass Menschen sich befreunden und/oder verlieben […] warum sollte man dann Annehmen, dass nicht genügend Emotionalität und Intimität freigesetzt werden können […]?“. Denn „der lebensuntüchtige, sozial isolierte Computerfreak, dessen Leben sich fast ausschliesslich in virtuellen Ersatzwelten abspielt, ist die seltene Ausnahme“ (Döring, 2005, S.40, vgl. auch Döring, 2000, S.379ff.).

3.2.2 Theorie des Herausfilterns sozialer Hinweisreize

Filter-Modelle greifen nach Döring (2002, S.355ff; 2003, S.154ff) den Gedanken der Kanalreduktion auf, dass mit der Verringerung der Kommunikationskanäle ein Informationsverlust verbunden ist, der die Wahrnehmung des Kommunikationspartners verändern kann. Möglicherweise fehlen Informationen über den psychosozialen Hintergrund wie Alter, Aussehen, Bildung, usw.. Diese, vor allem visuell und nonverbal vermittelten, Informationen haben jedoch grossen Einfluss darauf, wie wir Personen einschätzen. Döring spricht dabei von einem Nivellierungseffekt, der auftreten kann: „Weder die imposante Gestalt, noch die laute Stimme, der Altersvorsprung oder die elegante Kleidung schaffen in CVK-Szenarien einen Kommunikationsvorteil.“ (Döring 2003, S.155). Dadurch können möglicherweise soziale Hemmungen abgebaut werden. Dies bringt Vor- und Nachteile mit sich: so kann die CVK offener und ehrlicher, aber auch verletzender und feindseliger sein.

3.2.3 Medienwahlmodelle

Theorien der Rationalen Medienwahl gehen, wie die Kanalreduktionstheorie, davon aus, dass die interpersonale Kommunikation durch mediale Vermittlung verarmt. Dabei wird der Grad der Verarmung, bzw. umgekehrt das Ausmass der persönlichen Nähe und Lebendigkeit als „soziale Präsenz“ und „mediale Reichhaltigkeit“ bezeichnet. Menschen erstellen sich dabei ihre eigenen Medienhierarchien, wobei die FTF-Kommunikation stets an der Spitze steht. Sie treffen dann auf der Basis dieser Hierarchien und bei einem konkreten Kommunikationsanlass die rationale Wahl, welches Medium dafür am besten geeignet ist, also ob sie beispielsweise anrufen, persönlichen Kontakt auf nehmen oder eine E-Mail schreiben (vgl. Döring, 2000, S.357).

Bei der Theorie der Normativen Medienwahl erfolgt die oben beschriebene Wahl der Medien jedoch nicht rational, sondern sie wird durch soziale Normen im Umfeld beeinflusst. So sind „diverse medienbedingte Kommunikationsstörungen möglich, etwa wenn man bestimmte Medien nur aus Prestigegründen nutzt bzw. zu nutzen vorgibt oder sie auf Basis von Vorurteilen ablehnt“ (Döring, 2000, S.360f).

Die Theorie der Interpersonalen Medienwahl betont, dass die Entscheidung für ein Medium davon abhängt, ob und wie der Kommunikationspartner dieses Medium ebenfalls nutzt (vgl. Döring, 2000, S.361ff).

3.2.4 Theorie der sozialen Informationsverarbeitung

Die Theorie der sozialen Informationsverarbeitung geht davon aus, dass es nicht zu einer medienbedingten Kommunikationsverarmung kommen muss, da Menschen ihr Nutzungsverhalten so auf die technischen Systemeigenschaften abstimmen, dass mediale Einschränkungen kompensiert werden. So werden beispielsweise Emotionen nicht ausgeblendet, sondern durch Textzeichen, wie z.B. Emoticons und oder Grossschreibung ausgedrückt (zu den Besonderheiten der Internet-Sprache siehe Kapitel 3.3 Schriftkommunikation im Internet: Parasprache und Oraliteralität).

Nach Döring, (2002, S.362ff; Döring, 2003, S.161ff) setzt dies allerdings die Entwicklung neuer sozialer Fertigkeiten bei der Textproduktion und Interpretation voraus. Dabei wird mehr Zeit benötigt, als in FTF-Situationen. Das Verständnis und die Verständigung über das Internet hängt also in erster Linie davon ab, wie differenziert und kontextsensibel sich Nutzer schriftsprachlich artikulieren können. Falls dies gelingt, so ist im Unterschied zur zivilisationskritischen und pessimistischen Haltung der Kanalreduktionstheorie „das Internet ein neuer sozialer Handlungsraum, in dem Menschen auf kreative Weise Gefühle ausdrücken, Beziehungen realisieren und soziale Fertigkeiten erlernen, ohne dass dabei automatisch Kommunikationsstörungen und Beziehungsverarmung zustande kommen müssen“ (Döring, 2002, S.363).

Kommunikationsstörungen können jedoch dann auftreten, wenn Nutzer ungeübt sind, unter Zeitdruck stehen oder einander kaum kennen (ebd., S.364).

3.2.5 Simulationsmodell

Das Simulationsmodell betont, dass die CVK den Internetnutzern die Kontrolle darüber gibt, welche Informationen sie über sich und ihre Lebenszusammenhänge offenbaren wollen. Man kann also ggf. über selbst konstruierte Online-Identitäten agieren und jedes beliebige Attribut annehmen. Dies eröffnet einerseits Freiheitsgrade in der Gestaltung der eigenen Identität und kann damit einen Kontrollgewinn bedeuten, andererseits „ist man aber gleichzeitig den Simulationen der anderen ausgesetzt und damit vielleicht verletzbarer und täuschbarer […] (Kontrollverlust)“ (Döring, 2002, S.365, zur vertiefenden Lektüre dieser Aspekte siehe auch Döring, 2002, S.379ff).

3.2.6 Imaginationsmodell

Wie das Simulationsmodell betont auch das Imaginationsmodell die Freiheitsgrade, die gerade durch die medienbedingten Wahrnehmungsbeschränkungen entstehen. So setzen bei der Personenwahrnehmung im Internet die fehlenden Informationen einen kognitiven Konstruktionsprozess in Gang, der von der eigenen Vorstellungskraft moduliert wird. Damit ist es möglich, dass eine Reduktion der Sinneskanäle oftmals eher eine Steigerung, als eine Verarmung des Empfindens bewirkt. Walter (1996) nennt dies „hyperpersonale Interaktionen“, was zum Ausdruck bringen soll, dass durch Imagination soziale Interaktionen im Internet oft noch persönlicher als FTF-Kontakte sind. „Wissen Personen zum Beispiel, dass sie über längere Zeit netzvermittelt kommunizieren werden, so machen sie sich von vornherein ein eher positives Bild ihrer Kommunikationspartner. Diese positive Erwartung prägt dann ihr Kommunikationsverhalten, legt kooperatives und entgegenkommendes soziales Handeln nahe und provoziert entsprechendes Feedback“ (Döring, 2002, S.368).

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Ende der Leseprobe aus 104 Seiten

Details

Titel
Schriftbasiertes E-Coaching: Einsatzfelder, Rahmenbedingungen und Grenzen
Untertitel
Eine Befragung im deutschsprachigen Raum
Hochschule
ARGE Bildungsmanagement Wien
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
104
Katalognummer
V174282
ISBN (eBook)
9783640958030
ISBN (Buch)
9783640958382
Dateigröße
982 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Beurteilung der Prüfer: Im theoretischen Teil legt die Autorin einen guten Überblick über die aktuelle Situation von E-Coaching vor, die Grundlagen sind ausgezeichnet recherchiert und belegt, sprachlich gut formuliert und flüssig geschrieben. Im empirischen Teil sind Methodenwahl, Methode und Vorgehen schlüssig und transparent aufbereitet. Die Ergebnisse sind übersichtlich, die Schlussfolgerungen und die Diskussion sinnvoll. Insgesamt bietet die vorliegende Arbeit einen ausgezeichneten Einblick in ein hochaktuelles Thema und ist mit Gewinn und Vergnügen zu lesen.
Schlagworte
Coaching, Online-Coaching, E-Coaching, Internet-Coaching
Arbeit zitieren
Jutta Schneider-Ströer (Autor:in), 2010, Schriftbasiertes E-Coaching: Einsatzfelder, Rahmenbedingungen und Grenzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/174282

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