Komik und Groteske bei Franz Kafka am Beispiel "Der Proceß"


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2011

20 Seiten


Leseprobe


Komik und Groteske bei Franz Kafka am Beispiel "Der Proceß"

Der "düstere" Kafka: ein Klischee?

Der Weg zu einer unvoreingenommenen Auseinandersetzung mit Kafkas Romanfragment "Der Proceß" ist mit vielen Stolpersteinen gepflastert. Es ist daher verständlich, wenn der nach Orientierung strebende, aufgeschlossene Leser bereit ist, sich der Führung derjenigen anzuvertrauen, die diessen Weg bereits vor ihm gegangen sind und an deren Sachkundigkeit und kritischer Kompetenz er keinen Grund hat zu zweifeln. Dennoch läuft er Gefahr, "einem (allzu) verkrusteten ... Kafka-Bild" (Christine Lubkoll, S. 34) bzw. dem "Klischee vom nur- depressiven Prager Schriftsteller" (Elmar Schenkel im Vorwort zu Gisbert Kranz, S. XII) zu erliegen und es dankbar zu übernehmen in der Hoffnung, dass er damit einen wichtigen Deutungsschlüssel erhalten habe, der ihm den Zugang zu diesem Werk erleichtern und sein Verständnis vertiefen könne. Diese Tendenz scheint durch eine größere Anzahl von Selbstzeugnissen Kafkas in seinen Briefen und Tagebüchern bestätigt zu werden, die auf einen autobiografischen Hintergrund des Romans verweisen, d. h. eine Beziehung herstellen zwischen Kafkas eigener Lebensgeschichte und den in der Gestalt des Josef K. sich verdichtenden Wesenszügen eines jungen Mannes, der zwischen Minderwertigkeit und Überheblichkeit schwankt, der von Sorgen, Angst und Schuldgefühlen geplagt wird, der zur Selbstbeobachtung, Selbstanalyse, Selbstanklage und Selbstrechtfertigung neigt, kurz: eines jungen Mannes, der zu sich selbst im Widerspruch steht und sich gleichzeitig ständig seiner selbst vergewissern muss. Auf eine Formel gebracht, könnte ein solcher Denkansatz in den Worten Kafkas lauten: "Der Roman bin ich, meine Geschichten sind ich ... denn durch mein Schreiben halte ich mich ja am Leben ... begreife nur liebste Felice, daß ich dich und alles verlieren muß, wenn ich einmal das Schreiben verliere." (Brief an Felice Bauer vom 02./03..01.1913, Briefe 2., Seite 15).

Dennoch wäre es kein Gewinn, sich diese Äußerung - oder auch andere in diese Richtung zielenden Aussagen - zueigen zu machen und sie als Grundlage eines autobiografisch orientierten Deutungsmusters anzusehen. Wer den düsteren Autor im "Proceß" zu erkennen glaubt, der seine eigene Lebensgeschichte literarisch verarbeitet hat und von dem immer wieder die Rede ist, wird genügend Anhaltspunkte finden, die diese These zu stützen scheinen. Man könnte beispielsweise Hinweise auf Kafkas "Kontaktschwierigkeiten zu Frauen und ein gespaltenes Verhältnis zu Sexualität, Ehe und Familie" (Thomas Gräff, S. 77) entdecken oder Anspielungen auf den Konflikt zwischen einem angepassten Beamtendasein und dem unterdrückten Wunsch nach freier Selbstentfaltung. Man könnte den Roman sogar als "metaphorische Verschlüsselung eines inneren Selbstgerichts" (ebd., S. 80) ansehen, wenn man Kafkas Äußerung Glauben schenkt, er habe sich nach seiner Verlobung mit Felice Bauer wie ein "Verbrecher" gefühlt (Tagebucheintrag vom 06. Juni 1914)1, und seinen Kommentar zur Entlobungsszene im Hotel "Askanischer Hof" in Berlin (23. Juli 1914) liest, wo vom "Gerichtshof im Hotel"2 die Rede ist. Aber die Frage nach einem Erkenntniszuwachs, der nicht im Schematischen und Klischeehaften steckenbleibt, sondern sich auf die Vieldeutigkeit des Romangeschehens einlässt, bliebe weitgehend unbeantwortet.

Der Gedanke liegt nahe, dass Kafkas kofliktbeladene Beziehung zu Felice Bauer und das Ereignis seiner Entlobung wichtige Impulse für das Schreiben des Romans geliefert haben. Kurz darauf schreibt er anscheinend verzweifelt: "Meine Unfähigkeit zu denken, zu beobachten, festzustellen, mich zu erinnern, zu reden, mitzuleben wird immer größer, ich versteinere, ich muß das feststellen. Meine Unfähigkeit wird sogar im Bureau größer. Wenn ich mich nicht in eine Arbeit rette, bin ich verloren." (Tagebucheintrag vom 28. Juli 1914; Tagebücher, Seite 663) Diese Äußerung scheint zweifelsfrei zu belegen, dass Kafka seiner Arbeit als Schriftsteller eine für ihn elementar wichtige therapeutische Wirkung zuschrieb. Und am 29. Juli 1914 beginnt er in seinem Tagebuch ein Erzählfragment, dessen Hauptfigur Josef K. heißt und das den Ausgangstext für den späteren Roman bildet.3 Bei der Suche nach einem Bedeutungsschlüssel des Romans läuft der Leser jedoch Gefahr, allzu bereitwillig geläufige Deutungsmuster derjenigen zu übernehmen, die den Schlüssel, der den Zugang zum Roman eröffnen kann, in seinen autobiografischen Bezügen zu erkennen glauben oder sich auf andere Interpretationsansätze festgelegt haben. Man kann den Roman beispielsweise als Roman der Moderne lesen, in dem der Einzelne einem institutionellen Machtapparat gegenübersteht, dem er sich hilflos ausgeliefert fühlt und für den - bei einem gleichzeitigen Verlust von Zugehörigkeit und Geborgenheit - die Welt undurchschaubar und unbegreiflich geworden ist, einem Apparat, der von einer Vielzahl von komplizierten Vorschriften geregelt wird und dessen Repräsentanten sich als dumm, faul, böswillig, nicht zuständig und korrupt erweisen. Die Unmöglichkeit, sich in einer solchen Welt zu behaupten, führt zu Angst- und Panikgefühlen, die sich in albtraumhaften Zwangserlebnissen konkretisieren können. Derartige Verhältnisse und die daraus resultierenden Seelenzustände des Einzelnen werden gern als "kafkaesk" bezeichnet. Dieser Begriff beinhaltet ein ganzes Spektrum von Bedeutungskomponenten, die im Kern "vornehmlich die moderne Macht der Bürokratie" versinnbildlichen, der der Einzelne "ohnmächtig gegenüber" steht und die ihn daran hindert, "an ein existenziell bedeutsames Ziel zu kommen" (Michael Niehaus, S. 4) In diesem Zusammenhang weist Joachim Pfeiffer darauf hin, dass es kein Wunder sei, wenn sich bis in den allgemeinen Sprachgebrauch hinein "ein Kafkabild verfestigt" hat (J. Pfeiffer, S. 12), und Michael Niehaus (S. 3) spricht von einem "Etikett 'kafkaesk'", das häufig unreflektiert für die verschiedensten Lebensbereiche übernommen wird, wo man Strukturen einer undurchschaubaren Bürokratie zu entdecken glaubt. Ein solcher Denkansatz kann natürlich nicht zu einem vertieften Verständnis von Kafkas Texten - und insbesondere nicht vom Roman "Der Proceß" - führen. Auch das Fehlen einer über den Dingen stehenden, das Geschehen ordnenden und erläuternden auktorialen Erzählinstanz erschwert den Zugang zum Verständnis des Romans. Durch die Verwendung eines personalen, monoperspektivischen Erzählverfahrens, das sogenannte "einsinnige Erzählen" (Thomas Gräff, S. 84), sieht der Leser die Vorgänge nur mit den Augen und aus dem Blickwinkel des Josef K., d. h. er erfährt von der Wirklichkeit nur das, was im Bewusstsein des Protagonisten registriert, reflektiert und gespiegelt wird. Der Leser fragt sich daher fortwährend, ob er den Wahrnehmungen des Josef K. trauen kann, ob dieser nicht in seiner Widersprüchlichkeit und Hypersensibilität ein verzerrtes Bild der Realität vermittelt und ob es überhaupt möglich sei, zu dem vorzudringen, was sich real und faktisch in konkret fassbaren Vorgängen im Roman abspielt und es zu trennen von dem, was sich nur in der Gefühls- und Gedankenwelt des Josef K. vollzieht. Aus diesem Grunde wird sich der Leser verständlicherweise gern den Untersuchungsergebnissen renommierter Kafkainterpreten anvertrauen und diese als Richtschnur bei der Suche nach Bedeutung zugrunde legen wollen.

Wer bei Kafka in erster Linie den düsteren Autor der Moderne und auch die düstere Seite in seinem Wesen zu erkennen meint, wird darauf verweisen können, dass es unter den vielen Fotos, auf denen Kafka zu sehen ist, nur wenige gibt, auf denen er lacht oder lächelt. Und selbst diese wenigen Fotos zeigen vor allen Dingen einen Menschen, dessen Mund ein eher skeptisches, unsicheres Lächeln umspielt, wie es z. B. auf einem Foto aus dem Jahre 1922 der Fall ist, das ihn im grauen Anzug mit dunklem Mantel und Hut und verlegen vor dem Körper zusammengefalteten Händen vor dem Haus der Familie am Altstädter Ring, dem "Oppelthaus", zeigt. (Vgl. die Innenumschlagseite von Klaus Wagenbach: "Franz Kafka - Bilder aus seinem Leben") Auf einem früheren Foto aus dem Jahre 1914 steht er neben seiner Lieblingsschwester Ottla ebenfalls vor dem "Oppelthaus", scheinbar lässig an eine steinerne Säule angelehnt, aber wiederum mit verkrampft gefalteten Händen. Sein Lächeln scheint nicht aus der Tiefe seines Herzens zu kommen, sondern wirkt eher wie ein freundliches Zugeständnis an die Erwartungen des Fotografen bzw. des Betrachters. (ebd., Seite 203) Die weitaus meisten Fotos, einschließlich die aus seiner Kindheit, zeigen ihn "stets ernst, wenn nicht gar traurig", und "da man weiß, wie sehr belastet sein Leben war, ist man geneigt, ihn für einen durchaus schwermütigen Menschen zu halten ... Mit seiner Person wie mit seinem Werk pflegt man Begriffe wie Angst, Ausweglosigkeit, Tragik und Verzweiflung zu v]erbinden." (Gisbert Kranz, S. 1) Dieses Zitat verdeutlicht sehr nachdrücklich und konkret, warum sich ein klischeehaftes Kafkabild etablieren und bis auf den heutigen Tag erhalten konnte.

Der "lachende Kafka": auch ein Klischee? Natürlich kann es nicht darum gehen, ein vorhandenes Kafkabild durch ein anderes zu ersetzen, das einen nunmehr heiteren, gelösten und humorvollen Kafka zeigt und seine düsteren Seiten in den Hintergrund verbannt. Darauf weist Joachim Pfeiffer in seinem Auzfsatz "Kafka lacht", Seite 12, besonders hin. Aber es gibt offenbar verschiedene Möglichkeiten, Kafkas Texte zu lesen, und, je nach der gewählten Lesart, wird man sich auf bestimmte Schwerpunkte und Aspekte konzentrieren und andere dafür beiseite oder außer Acht lassen, sich zumindest nicht eingehender mit ihnen beschäftigen. Heinz Hillmann (Seite 371) spricht diesen Gedanken ganz unverblümt an, wenn er die Frage stellt, was es bedeute, "Kafka tragisch zu lesen" bzw. "Kafka komisch zu lesen". Über die erste Frage ist sicher viel nachgedacht und geschrieben worden. Es lohnt sich daher, die zweite Frage unter die Lupe zu nehmen, dabei jedoch darauf zu achten, dass kein neues Klischee entsteht und ein Kafkabild konstruiert wird, das einer genauen Überprüfung nicht standhält.

Wenn man Kafkas Biografie betrachtet, so wie sie sich in seinen Tagebüchern und Briefen und in den schriftlichen Zeugnissen seiner Zeitgenossen offenbart, wird man an vielen Stellen auf Spuren eines "lachenden Kafka" (Joachim Pfeiffer, Seite 12) stoßen und eine andere Seite von ihm entdecken, die in der Kafkaforschung bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit bekommen zu haben scheint. Man wird von seiner Vorliebe für jiddisches Theater lesen und von den Gastspielen einer ostjüdischen Theatertruppe vom September 1911 bis zum Januar 1912 im jüdischen Café Savoy am Ziegenplatz. Über den Besuch einer ihrer Aufführungen schreibt Kafka beispielsweise "Sie scheinen sich aus jedem [Ostjuden] einen Narren zu machen". (Tagebücher, Band 1, Seite 48) Und über die Statisten am Theater heißt es: "Sie hatten meistens nur damit zu tun, ihr Lachen zu verbergen oder zu genießen ... Ein Rundbackiger mit blondem Bart, demgegenüber man sich kaum vor Lachen beherrschen konnte, lachte infolge der Unnatur des angeklebten, sich schüttelnden Vollbartes, der seine Wangen bei dem allerdings nicht vorgesehenen Lachen falsch begrenzte, besonders komisch ...", usw. (Tagebücher, Band 1, Seite 179) Man wird auch von Kafkas Besuchen im Kabarett und seiner Begeisterung für das frühe Kino erfahren, von seiner "Heiterkeit" und seinem "Humor" (Max Brod: "Über Franz Kafka", S. 156), von seiner "Welt- und Lebensfreude" (ebd., S 157). Man wird das Komische und Groteske in "Der Proceß" entdecken und verstehen, dass scheinbar Widersprüchliches wie Komisches und Albtraumhaftes sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern einem Gegenstand gleichen, den man von zwei verschiedenen Seiten betrachten kann wie die beiden Seiten einer Medaille. Man wird "ein Echo des unbekümmert fröhlichen Lachens im Prager Freundeskreis" vernehmen, "der sich jede Woche an einem Abend traf" (Gisbert Kranz, S. 3) und aus Kafkas eigener Feder lesen: "Gelacht wurde ... so viel an diesen Abenden, dass Max auf dem Nachhauseweg sagte, dieses ewige Lachen sei eigentlich bedauerlich, weil man dadurch alle ernsten Sachen vergesse ..." (zitiert nach Gisbert Kranz, Seite 3) An Felice Bauer schreibt er am 26./27. Januar 1913: "Du hättest uns nur gestern abend, wir waren im Kaffeehaus, lachen sehen sollen." (Tagebücher, Band 1, Seite 48) Und in einem Brief an seine Schwester Ottla im April 1921 heißt es, er habe am Vortage "gewiß den halben Abend mit Lachen verbracht." (zitiert nach Gisbert Kranz, Seite 4) In einem Brief an Felice vom 08./09. Januar 1913 berichtet er wiederum von einem regelrechten Lachanfall, der ihn bei einer "feierlichen Unterredung mit unserem Präsidenten" erfasste und für den er sich in aller Form schriftlich bei ihm entschuldigte. (Briefe 2., Seite 26)

Wenn es stimmt, dass Kafka viel Autobiografisches in seinem Werk verarbeitet hat, kann man mit großer Sicherheit annehmen, dass ein Wesenszug, den er in derartig intensiver Ausprägung bei sich selbst und anderen Menschen beobachtete, die ihm nahestanden, Eingang in seine Texte und damit auch in den "Proceß" gefunden hat. In der Tat kommt Christine Lubkoll (Seite 28) in ihrer kleinen Lachstatistik zu dem Ergebnis, dass in diesem Roman insgesamt 71 mal gelacht wird. Das allein besagt noch nicht viel, aber es könnte diejenigen stutzig machen, die in diesem Werk vor allem oder ausschließlich die düstere und problematische Seite zu finden meinen, und sie dazu verführen, den komischen Aspekten nachzuspüren, die sie bisher noch nicht entdeckt zu haben glauben.

"Der Proceß": ein "grotesk-komischer Roman"?

Bei Durchsicht der Kafkakritik der letzten fünfzehn Jahre stößt man auf eine wachsende Zahl von Veröffentlichungen, die dem Aspekt des Komischen und Grotesken in Kafkas "Proceß" zunehmende Aufmerksamkeit widmen. Für Xlibris (vgl. www.xlibris.de, sub: "Der Proceß") beispielsweise " ist dieser Roman auch und vor allem ein grotesk-komischer Roman, der immer wieder an Filme von Karl Valentin und Charlie Chaplin erinnert." Heinz Hillmann geht in seinem Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel "Versuch, Kafka als Komödie zu lesen" auf die häufig anzutreffende tragische Lesart Kafkascher Texte ein und sieht sie in der Neigung begründet, "das zwanghafte Denken seines Helden wie selbstverständlich mitzumachen" (Seite 371). Daher plädiert er - auch im Sinne einer Selbst-Befreiung von vorgeprägten Denkmustern - dafür, Kafka "komisch" zu lesen und - bildhaft gesprochen - "die Zwangsjacke probeweise auszuziehen." (ebd.) Er sieht eine Ursache für die Komik im "Proceß" in den nimmermüden Versuchen des Protagonisten Josef K., die gestörte Ordnung seines Beamtendaseins wieder herzustellen, ein Aspekt, der die "Zwanghaftigkeit seines Handelns" (Seite 375) greifbar vor Augen führt. Dieses Unterfangen wird jedoch immer wieder durchkreuzt und ad absurdum geführt und erzeugt daher komische Wirkungen, die noch dadurch verstärkt werden, dass Josef K. - bis auf die Gerichtsszene, wo er sich durch die Zuschauer zum Mitlachen verführen lässt (vgl. Pr, S. 50) - selbst bestrebt ist, um jeden Preis seine Fassung zu wahren und nicht aus der Rolle zu fallen.

Heinz Politzer ("Franz Kafka der Künstler", Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, Seite 496) meint in diesem Zusammenhang, Kafkas Humor sei "unlösbar an die beinah totale Humorlosigkeit seiner menschlichen Hauptfiguren gebunden". Josef K. nehme sich selbst zu ernst, er sei arrogant und neige überdies dazu, andere Menschen für seine Zwecke einzuspannen. Thomas Gräff (Seite 93) erkennt in dem Roman einen "paradoxen Zirkel", der in dem Widerspruch zwischen einer Kette von "alogischen" Geschehnissen und den krampfhaften Versuchen des Josef K. begründet liegt, diesen alogischen Vorgängen mit Vernunft und Logik zu begegnen. In diesem Zusammenhang spricht er auch von einer "grotesken" oder "komischen Wirkung" (Seite 93 - 94), die dadurch entstehe, dass in den Episoden des Romans bestimmte Verhaltensweisen oder Merkmale des äußeren Erscheinungsbildes bestimmter Figuren "überzogen, übersteigert und verzerrt" (Seite 93) bzw. "grotesk übertrieben" (Seite 94) werden, die vom Leser einerseits als komisch bzw. lächerlich angesehen, ihn andererseits aber verunsichern, da sie auch als rätselhaft oder bedrohlich empfunden werden. Für Gisbert Kranz ("Kafkas Lachen", S. 11) wird die komische Wirkung dadurch intensiviert, dass die Lachenden im Roman, die "die Komik einer gerade vorkommenden Sache erkannt" haben - und insofern einen den komischen Effekt verstärkenden Resonanzkörper bilden - "selbst auch komisch sind und den Leser zum Lachen reizen." Xlibris (siehe oben) weist auf die groteske Komik bestimmter Situationen hin, beispielsweise die Szene der Verhaftung Josef K.s am Beginn des Romans, die ihm selbst wie eine Komödie vorkommt, die Unterbringung des Gerichts in den Dachböden der armseligen Mietskasernen eines heruntergekommenen Vorstadtviertels, die einer Farce gleichende Untersuchung im Sitzungssaal, die slapstickartige Episode des Advokaten, der sich von einem gereizten Beamten die Treppe hinunterwerfen lässt, das Loch im Zimmer des Advokaten, durch das immer wieder jemand einbricht oder die "aberwitzig-valentineske" Episode beim Maler Titorelli, dessen Besucher über das Bett steigen müssen, um in sein Zimmer zu gelangen. "Die grotesk-komische Wirkung solcher Situationen lebt von der Differenz der Darstellung des Widersinnigen im Gegensatz zu einer vernünftig geordneten Welt. Und genau der Einbruch des mit Vernunft nicht Erklärbaren in die Lebensordnung von Josef K. ist der Gegenstand des Romans." (Xlibris, Seite 1) Aber das Komische ist - wie oben bereits erwähnt - oft vom Unheimlichen und Bedrohlichen nicht weit entfernt. "Denn Komik auf hohem Niveau, besonders in ihrer grotesken Spielart, bewegt sich immer an der Grenze zum Tragischen. Vielfach bedarf es nur einer geringfügigen Verschiebung der Perspektive, damit das Komische in echte Verzweiflung umschlägt." (ebd.)

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Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Komik und Groteske bei Franz Kafka am Beispiel "Der Proceß"
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Philosophische Fakultät)
Autor
Jahr
2011
Seiten
20
Katalognummer
V171906
ISBN (eBook)
9783640915163
ISBN (Buch)
9783640915224
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
komik, groteske, franz, kafka, beispiel, proceß
Arbeit zitieren
Hans-Georg Wendland (Autor:in), 2011, Komik und Groteske bei Franz Kafka am Beispiel "Der Proceß", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/171906

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