„...und kosten von Freuden und Leiden“

Zu Heinrich Heines Gedicht „In der Fremde“


Referat (Ausarbeitung), 2010

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Naturanalogie
2.1 Untersuchung desZugangsweges
2.2 Didaktische Vermittlung

3. Sprachliche Auffälligkeiten
3.1 Untersuchung desZugangsweges
3.2 Didaktische Vermittlung

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

„Lies keine Oden mein Sohn, lies Fahrpläne: sie sind genauer.“ schreibt Hans Magnus Enzensberger in seinem Gedicht „Ins Lesebuch für die Oberstufe.“[1] Damit bringt er eine weit verbreitete Position zur Sprache, die die Thematisierung von Lyrik im Unterricht in hohem Maße erschwert: bei der Lyrik, so die verbreitete Auffassung, handelt es sich um eine literarische Gattung, deren Aussagen weder eindeutig sind noch beim einmaligen Lesen letztgültig erfasst werden können.[2] Diese fehlende Genauigkeit im Text erzeugt vielfach einen ausgeprägten Widerwillen seitens der Schülerschaft, sich mit lyrischen Texten auseinanderzu setzen.[3]

Es gilt daher, eine spezifische, auf die Bedürfnisse der Lyrik zugeschnittene Didaktik zu entwickeln und umzusetzen, um dem verbreiteten Unwillen entgegen zu wirken und zugleich die Besonderheiten und Vorzüge der Poesie in den Vordergrund zu rücken. Aufgrund der großen Variabilität dieses Bereiches der Literatur ist dabei die generelle Anwendung von einzelnen Methoden nur schwer möglich. Vielmehr muss eine Verknüpfung von Inhalt und didaktischer Methodik derartig gestaltet sein, dass nicht nur eine didaktische Orientierung am Thema der Lyrik erfolgt, sondern die Bezugnahme detailliert genug ist, um eine Verknüpfung singulärer, konkreter Textzugänge einzelner Teilbereiche des Gedichtes mit dazu passenden methodischen Zugängen zu erlauben.[4] Aufbauend auf die Ergebnisse des Referates sollen zwei mögliche Zugangswege zu Heinrich Heines Gedicht „In der Fremde“[5] näher untersucht und exemplarisch mit potentiell geeigneten Vermittlungskonzepten verknüpft werden.

2. Die Naturanalogie

2.1 Untersuchung des Zugangsweges

Liest man den vorliegenden Text unter dem Aspekt der Naturbezüge, so wird eine Vielzahl an Begriffen aus diesem Wortfeld augenfällig.[6]

Schon zur Konkretisierung der Schönheit der vom lyrischen Ich beschriebenen Person wird durch die Bezeichnung der Haartracht als „in Flechten“[7] ein Bezug zur Natur hergestellt. Der Begriff ist dabei aufgrund seiner Mehrdeutigkeit von besonderem Interesse. Auf der einen Seite stellt er - durch den Bezug auf eine Frisur - eine auf die Tätigkeit des Flechtens bezogene Anwendung dar; im Sinne von: „sie trug das Haar geflochten.“ Bei diesem Deutungsansatz stellt das „in Flechten“ eine künstlerische Variation des Wortes dar, das sich auf diese Weise als Motiv in das im Text präsente Wortfeld „Natur“ einordnen lässt. Auf der anderen Seite lässt sich jedoch eine Deutung herauslesen, die über eine Beschreibung der Haaranordnung hinausgeht. Die Flechte zeichnet sich aus biologischer Perspektive als exklusive Lebensform mit einer mutualistischen Beziehung aus, bei der eine symbiotische Beziehung zwischen Pilz und filamentösen Algen zu beobachten ist.[8] Diese schon zu Heines Zeiten in der Biologie bekannte[9], seltene Form der Koexistenz, bei der beide Partner einer Gemeinschaft Vorteile aus der Verbindung ziehen, lässt sich strukturell auf das im Text geschilderte, anhand der Worte „lieb haben“ und „küssen“ ersichtliche romantische Zusammensein[10] übertragen. Auch wenn sich im Fall des romantischen Zusammenseins die langfristige Implikation ändert[11], so handelt es sich doch in beiden Fällen um eine situativ für beide Seiten vorteilhafte Zusammenkunft, weshalb die Wortwahl „in Flechten“ sowohl aus sprachlicher als auch naturwissenschaftlicher Perspektive einen künstlerischen Mehrwert bietet. Dieser Mehrwert ist unabhängig von der Auffassung der Handlung als Traum oder als - im Rahmen der Fiktionalität des Textes - reale Handlung.[12]

Der zweite Begriff aus dem Wortfeld Natur stellt die „Lind“[13] dar. Die Linde verortet in einer direkten Betrachtung den Ort der geschilderten Handlung in der Natur. Ihr Bedeutungshorizont reicht dabei jedoch über eine exemplarische Funktion als pars pro toto hinaus. Die assoziativen Verknüpfungen wie „die herzförmigen Blätter und der süße Duft der Blüten“ heben die Rolle dieses Baumes als „Lieblingsbaum der Liebenden“ hervor.[14] Somit betont der Platz „unter der Lind“[15] als Handlungsort den romantischen Charakter des Zusammenseins. Ergänzend lässt sich eine geschlechtsspezifische Bedeutung des Baumes ausmachen. So ist die Linde der Eiche als weiblicher Gegenpart gegenübergestellt und zugeordnet.[16] Diese Hervorhebung der Weiblichkeit des Treffpunkts der Liebenden spiegelt sich im gesamten Handlungsverlauf wieder, da das - am in der zweiten Zeile verwendeten Genus als weiblich erkennbare - „schöne Kind“[17] die Kontrolle über die Zusammenkunft ausübt und das lyrische Ich allein zurücklässt.[18] Das Verständnis dieser Hervorhebung ist in Bezug auf die unklare Textsituation als Traum oder fiktionale Realität unterschiedlich zu bewerten, da in ersterem Fall ein Sehnen des lyrischen Ichs nach einer romantischen Zusammenkunft und die Kontrastierung zur wachen Realität im Mittelpunkt stünde, wohingegen in letzterem Fall die Dominanz des weiblichen Partners eher für den Verlauf der Beziehung von Relevanz wäre und somit die Beziehung an sich im Fokus stünde.

Die Symbolik der „Sommernacht“[19] verstärkt - unabhängig von der Interpretation als Traum oder Realität - die Betonung der Weiblichkeit, sowohl in Bezug auf das einzelne Wort als auch auf den Verlauf der Handlung, da die Nacht ebenso als Symbol für Weiblichkeit steht wie die Linde.[20] Zugleich stellt die Sommernacht eine kontrastierende, wertende Darstellungsweise der Nacht dar, die dem „Dunkeln“[21] gegenübersteht. Die zeitliche Einordnung in die Phase der Nacht ist bei beiden Begriffen gegeben; allerdings werden unterschiedliche Aspekte betont. Durch die Verknüpfung des positiv konnotierten, mit Lebensfreude verbundenen Begriffs des Sommers mit dem Begriff der Nacht wird die Assoziation eines warmen, behaglichen, lauen Abends hervorgehoben, wohingegen das Dunkle den elementaren Gegensatz darstellt und die ängstigenden, isolierenden Aspekte der Nacht in den Fokus rückt.[22]

Die letzten Begriffe aus dem Wortfeld Natur, der „Himmel“ und die „Sterne“ sind jeweils zweifach in Text präsent.[23] Es herrscht ebenso wie bei der vorherigen Gegenüberstellung ein Gegensatz, der allerdings in diesem Fall nicht durch eine unterschiedliche inhaltliche Konnotation der Worte, sondern durch den abweichenden Bezug im Text erzeugt wird. Das Symbol des Himmels selbst steht hierbei ebenso wie das der Sterne für das Unerreichbare, das dem Irdischen entgegen gesetzt ist.[24] Die Art der Beziehung ist dabei zunächst „beneidender“ Natur, bei der die Sterne „seufzen“, dass sie die Distanz zwischen Erde und Himmel nicht überwinden können.[25] In der dritten Strophe ändert sich diese Beziehung auf fundamentale Weise. Analog zum Ende der romantischen Zusammenkunft wandelt sich der Wunsch nach Teilhabe in Gleichgültigkeit.[26] Die Distanz zwischen Himmel und Erde, die es zuvor noch zu überwinden galt, wird nun durch das Wort „droben“[27] betont und als unüberwindbar gekennzeichnet.

Dieser erkennbare Bezug zwischen der Naturschilderung beziehungsweise der Naturwahrnehmung lässt sich auf den gesamten Text übertragen. Die in den ersten beiden Strophen verwendeten Begriffe aus dem Bereich der Natur lassen sich - wenn auch wertend in Bezug auf die Rolle der Geschlechter - durchweg in positiver Weise assoziieren, wogegen mit dem Ende der Zusammenkunft die „Sommernacht“ zum „Dunkeln“ wird und die Sterne nun nicht mehr den Anschluss zur Erde suchen. Insgesamt gesehen lässt sich daher von einer Rolle der Natur als Spiegel der Romanze reden.

2.2 Didaktische Vermittlung

Die Naturanalogie fügt sich nahtlos in die Reihe klassischer, im Deutschunterricht verbreiteten Zugänge zu einem lyrischen Text ein.[28] Daher ist gerade bei einem derart „klassischen“ Zugangsweg die Auswahl der passenden Methode zur Vermeidung von Monotonie und damit letztlich einer Ablehnung durch die Schülerinnen von entscheidender Wichtigkeit.

[...]


[1] Enzensberger, Hans Markus: Ins Lesebuch für die Oberstufe. In: ders. Verteidigung der Wölfe. Suhrkamp. Berlin. 1957. S.90.

[2] Vgl. Behrendt, Marf/n/FoLDENAUER, Karl: Werkbuch Lyrik. Westermann. 1979. S.4.

[3] Vgl. Hausser, Sonja: Förderung der Vorstellungsbilder anhand visualisierender Methoden zu lyrischen Texten der Neuen Subjektivität. Grin. Norderstedt. 2008. S.13f.

[4] Vgl. Vorst, Claudia: Der Schlüssel im Leser - Produktionsorientierter Umgang mit Literatur auf rezeptionsästhetischen und konstruktivistischen Grundlagen. In: Herzig, Bardo/Schwerdt, Ulrich (Hrsg.): Subjekt- oder Sachorientierung in der Didaktik? Aktuelle Beiträge zu einem didaktischen Grundproblem. Lit. Münster. 2002. S. 166.

[5] Heine, Heinrich·. In der Fremde. In: ders. Neue Gedichte. 8. Ausgabe. 1868. S.234.

[6] Vgl. Anhang 1

[7] Ηεινε:Ιπ derFremde.Z.2.

[8] Vgl. Raven, PeterH./Evert, RayF./EicHHORN, Susan E:. Biologie der Pflanzen. 4. Auflage. De Gruyter.

Berlin. 2006. S.325f.

[9] Vgl. Wallroth, Friedrich Wilhelm·. Naturgeschichte der Flechten. ZweyterTheil ; Physiologie und Pathologie des Flechtenlagers. o.V. Frankfurt a.M. 1827. S.7.

[10] Vgl. Heine: In der Fremde. Z. 5f.

[11] Vgl. Ebd. Z. 9-10.

[12] Vgl. Ebd. Z.1& 9.

[13] Ebd. Z. 3.

[14] Vgl. Korkisch, Gustav: SchönhengsterVolkskunde. Oldenbourg. München. 1982. S.69.

[15] Heine: In der Fremde. Z. 3.

[16] Vgl. Schöne, Anja\ Weibliche Stadtplanung und frauengerechtes Wohnen. In: Köhle-Henziger,

Christel/Scharfe, Marf/n/BREDNicH, RoIfWilhelm (Hrsg.): Männlich. Weiblich. Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Kultur. Waxmann. Münster. 1999. S. 479.

[17] Heine: In der Fremde. Z.1f.

[18] Vgl. Ebd. Z.10.

[19] Ebd. Z.4.

[20] Vgl. Löhr, Katja: Sehnsucht als poetologisches Motiv bei Joseph von Eichendorff. Königshausen & Neumann. Würzburg. 2003. S.342.

[21] Heine: In der Fremde. Z.10.

[22] Vgl. Kurz, Gerhard: Metapher, Allegorie, Symbol. Vandenhoeck& Ruprecht. Göttingen. 2004. S.72.

[23] Heine: In der Fremde. Z.7& 9f.

[24] Vgl. Villwock, Jörg: Die Sprache - ein „Gespräch der Seele mit Gott“. Vittorio Klostermann. Frankfurt a.M. 1996. S. 370.

[25] Heine: In der Fremde. Z.7f.

[26] Ebd. Z.11.

[27] Ebd.Z.11.

[28] Vgl. Behrendt/Foldenauer: Werkbuch Lyrik. 1979. S.32, 36 & 62.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
„...und kosten von Freuden und Leiden“
Untertitel
Zu Heinrich Heines Gedicht „In der Fremde“
Hochschule
Universität Münster  (Germanistische Fakultät)
Veranstaltung
Lyrik im Unterricht
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
17
Katalognummer
V170107
ISBN (eBook)
9783640887552
ISBN (Buch)
9783640887453
Dateigröße
724 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heinrich Heine, In der Fremde, Gedichtanalyse
Arbeit zitieren
Johannes Bellebaum (Autor:in), 2010, „...und kosten von Freuden und Leiden“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170107

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