Alle unter ein(em) Dach!

Heterogenität in der Schule. Vielfalt als Chance und Herausforderung


Essay, 2008

44 Seiten


Leseprobe


EINLEITUNG

Heterogenität in der Schule ist ein Thema, das in sich viele verschiedene Aspekte vereinigt, die allesamt im Umgang mit der Thematik wesentlich sind, es sind dies historische wie gegenwärtige Aspekte und ein Antizipieren, wie Schule in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter entwickelt werden sollte, es verlangt von Lehrkräften Auseinandersetzung sowohl auf der kognitiven Ebene im Gewinnen von Wissen, im Sammeln von Informationen über Heterogenität im schulischen Zusammenhang, aber auch Auseinandersetzung auf der persönlichen und emotionalen Ebene, im Verändern der eigenen Haltung gegenüber heterogenen Gruppen von Lernenden und nicht zuletzt ist es nötig, sich im Bereich der Praxis neues Know how anzueignen, den eigenen Methodenpool zu erweitern, um den Erfordernissen heterogener Lerngruppen gerecht werden zu können.

Es wird nicht möglich sein, alle Aspekte von Heterogenität in der Schule und den damit zusammenhängenden Erfordernissen zu Individualisierung und Differenzierung, oder, um einen Begriff zu verwenden, der m.E. die wesentlichen unterrichtspraktischen Maßnahmen im Umgang mit der Vielfalt im Klassenzimmer am besten beschreibt, der Didaktischen Differenzierung[1], hier ausreichend zu behandeln. In der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit muss es daher beim Versuch bleiben, grundlegende Gedankengänge und wissenschaftliche Fakten zusammenzufassen, und einige Kernpunkte aufzuzeigen, die zu einem tieferen Verständnis und auch zu einer veränderten Betrachtungsweise beitragen können.

Halten wir gemeinsam ein wenig Rückschau, wie mit Unterschieden was die Schüler und SchülerInnen betrifft, in der Geschichte der Schule umgegangen wurde, lenken wir dann unser Augenmerk auf gegenwärtige Erkenntnisse und die neuen Entwicklungen in Bezug auf die Zusammensetzung von Schulklassen und wenden wir uns dann schließlich Wegen und Möglichkeiten zu, wie mit Heterogenitäten in der Schule produktiv umgegangen werden kann.

INDIVIDUALISIEREN tut Not

Ganz an den Anfang möchte ich Ausschnitte aus einem wundervollen Buch stellen, das, wie es wissenschaftliche Fakten und kluge Reden nicht können, auf den Punkt bringt, und augenöffnend wirken kann, worum es beim Individualisieren in der Schule geht, und was Schule für die Individualität eines Kindes bedeuten kann – nicht mehr und nicht weniger als für das jeweilige Leben entweder geglückte oder nicht geglückte Entwicklung und Chancen.

Es ist dies die Geschichte von David aus dem Buch „35 kg Hoffnung“ von Anna Gavalda[2], der in der Schule nicht gerade erfolgreich ist, warum das so ist? Einige wenige Ausschnitte werden genügen, um Ihnen Lust auf das Selber- und mit Ihren Schüler/inne/n gemeinsam lesen zu machen und so in die Thematik der individuellen Förderung, einem Gespräch über individuelle Bedürfnisse, Fähigkeiten, Ängste und Nöte uvm. in Ihr Klassenzimmer zu holen, um sie also transparent zu machen.

Kurz zum Inhalt dieses hervorragenden Jugendbuches und einige Ausschnitte:

David ist 13 und schon zweimal sitzen geblieben. Er hasst die Schule und wacht deshalb jeden Morgen mit Magenschmerzen auf. Der einzige Ort, an dem er sich wohl fühlt, ist der Schuppen seines Großvaters, wo die beiden stundenlang zusammen basteln.“

„Ich hasse die Schule. Ich hasse sie. Nichts ist schlimmer auf der Welt. Sie macht mir das Leben zur Hölle. ... Bis zu meinem dritten Lebensjahr war ich glücklich. In dieser Phase meines Lebens mochte ich die Welt ... und dann, als ich drei Jahre ... alt war, rums! die Vorschule.“ Nach dem ersten Tag jedoch wollte er nicht mehr hingehen, er meinte „Ich habe gesehen, wie es dort ist, und es interessiert mich nicht. ... „Meine Mutter kniete sich vor mich hin und ich schüttelte den Kopf. Sie ließ nicht locker und ich fing an zu weinen. Sie hob mich hoch und ich fing an zu brüllen. Und sie haute mir eine runter. Das war das erste Mal in meinem Leben. Bitte sehr! Das war also die Schule. Das war der Anfang eines Albtraums.“

„Schule ist immer ein Drama zu Hause, das könnt ihr euch vorstellen ... Meine Mutter heult und mein Vater motzt mich an, oder es ist genau das Gegenteil, meine Mutter motzt und mein Vater sagt nichts. Ihnen fällt nichts anderes ein, als wie Papageien immer wieder dasselbe nachzuplappern: Du musst mehr lernen! Lernen! Lernen! Lernen! Lernen! Gut. Ich hab verstanden, ich bin ja trotz allem nicht völlig schwachsinnig. Ich würde gerne mehr lernen; das Problem ist nur, dass es mir nicht gelingt. Alles, was in der Schule vor sich geht, kommt mir chinesisch vor. Zum einen Ohr geht es rein und zum anderen raus. Sie haben mich zu Tausenden von Ärzten geschleppt. ... Und das Ergebnis dieser ganzen verlorenen Zeit: Ich hab ein Konzentrationsproblem. Du glaubst es nicht! Ich weiß ganz genau, was mit mir los ist. Es würde genügen mich einfach zu fragen. Ich habe kein Problem, kein einziges.

Es interessiert mich nur einfach alles nicht. Es interessiert mich nicht. Punkt. Aus. Schluss.“

Doch ein Interesse hat David, und auch die Begabung und die Fähigkeiten dafür, er sagt: „Nichts auf der Welt interessierte mich mehr als meine Hände und das, was ich mit ihnen gestalten konnte.“ Seine Vorschullehrerin schrieb in sein Zeugnis: „Dieser Junge hat ein Gedächtnis wie ein Sieb, Finger wie eine Fee und ein riesengroßes Herz. Es müsste gelingen, daraus etwas zu machen.“

Dass das tatsächlich noch gelang, und David auf seinem Weg, ein Erfinder werden zu wollen, die richtige Schule fand, ist ein Glücksfall in diesem Buch.

Es darf jedoch nicht dem Zufall überlassen bleiben, dass ein Kind seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend gefördert werden kann und Freude am Lernen hat, egal auf welcher Kompetenzstufe es sich befindet – Schule soll ein positiver Ort sein für alle Kinder, unabhängig von Begabungslage oder Herkunft.

Ich habe deshalb meinem Beitrag den Titel

Alle unter ein(em) Dach! gegeben. Worum es im Wesentlichen dabei geht ist, die Heterogenität in der Schule, die dort vorhandene Vielfalt an Individuen als Herausforderung anzunehmen und als Chance für SchülerInnen und LehrerInnen sehen zu können.

Der Titel benennt m.E. drei wesentliche Kernpunkte im Zusammenhang mit Heterogenität und den Schlagworten Individualisieren und Differenzieren:

- Schule soll für alle sein, wir sind alle verschieden (also heterogen)
- mit dieser Pluralität zurecht zu kommen ist nicht nur oder nicht immer leicht, sondern eben auch Herausforderung und
- Verschiedenheit, oder um einen neueren und positiv belegten Begriff zu verwenden, Vielfalt, birgt aber auch viele Chancen, für Lernende UND Lehrende, die es zu nützen gilt.

Schon bei Comenius im 16. Jhdt. wird in der Vermittlung wesentlicher Inhalte dem Bild besondere Bedeutung beigemessen, wir wissen auch aus eigener Erfahrung, wie sehr bestimmte Bilder uns beeindrucken können, wie prägend bildhafte Eindrücke sind und welch großen Einfluss Bilder auf uns haben können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Betrachten wir einmal das chinesische Schriftzeichen Ai, das Symbol eines Daches über dem Zeichen für „miteinander reden“ bedeutet (unter anderem) auch „Eintracht, Einigkeit, Vereinigung“.

Das Schriftzeichen stellt einen Mund, die Ziffer eins und darüber ein Hausdach dar, was man so deuten kann, dass unter diesem Dach alle wie mit einem Mund sprechen. Der Begriff Einigkeit scheint am nächsten zu liegen.

In der Kombination, die das zusammengesetzte Wort Aikido bildet, ist jedoch die gewöhnlichste Übersetzung von Ai Liebe, aber auch Harmonie, um auf eine Einigkeit hinzuweisen, die nicht nur die Abwesenheit von Uneinigkeit ist, sondern so tief und selbstverständlich, dass sie wie ein eigener angenehmer Zustand geworden ist, eine friedlich wirkende Kraft.

Auf der Suche nach einem passenden Bild zum Vortragstitel bin ich auf das Problem gestoßen, ja, aber welches Dach, welches Schuldach soll es denn sein, unter dem alle einen guten Platz zum Lernen finden, ein Flachdach, ein Dachgarten, ein Giebeldach mit vielen Türmchen oder eine Kuppel? Soll es ein modernes Gebäude sein oder ein altes mit dicken Mauern, es gibt so viele Dächer ...

Warum Einigkeit im Titelbild, wenn doch Verschiedenheit in der Schule die Rede ist? Ganz einfach, im Umgang mit Heterogenität bedarf es einer gemeinsamen Maxime, die sich gleich erschließen wird.

Besser als das chinesische Schriftzeichen Ai, schien mir nichts geeignet zu sein, um zu symbolisieren, was für Schule schlechthin ein schöner gemeinsamer Nenner wäre: ein Dach, unter dem Harmonie herrscht und unter dem Einigkeit darüber besteht, dass alle darunter Versammelten, wie individuell verschieden sie auch sein mögen, miteinander in Eintracht und getragen von gegenseitiger Akzeptanz lernen, arbeiten und leben können. Ein Dach, unter dem jedes Kind den für es besten Platz findet, sich optimal weiter entwickeln, seine Talente entfalten oder Einschränkungen, Defizite im einen oder anderen Bereich überwinden oder besser mit ihnen zurechtzukommen lernt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Schule soll ein Lern- und Lebensort für alle, Lehrende wie Lernende sein, mit weit offenen Türen für Neues und für äußere und innere Reformen im Interesse aller Beteiligten, Schule soll sich verstehen, als ein Ort, an dem für jedes Kind Platz ist und nicht ein Ort sein, der nur für bestimmte Kinder, nur für dort oder dorthin „passende“ Platz ist.

In welcher Form diese Ideale verwirklicht werden können, auch dafür gibt es durchaus verschiedene Wege und Möglichkeiten. Auch Lehrkräfte sind heterogen und nicht jede Form der Unterrichtsgestaltung ist für jede Lehrperson ein gangbarer Weg – das ist ebenso zu respektieren wie die Pluralität auf Seiten der SchülerInnen, wird nur leider manchmal in der Diskussion um neue Entwicklungen und neue Ansprüche ein wenig vergessen.

Akzeptanz, Toleranz, Wertschätzung des jeweils Anderen, Respekt für und Eingehen auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Individuen ... diese Grundhaltungen müssen eine Selbstverständlichkeit sein, ein Ziel, das, unabhängig von vorfindlichen Rahmenbedingungen nicht zur Disposition stehen darf. In dieser Hinsicht sollten alle gleich sein. Demokratisches Denken, meint Annedore Prengel, ist auch ein Denken in Pluralität, daher plädiert sie dafür, dass die Schule ein Ort sein müsse, an dem auch gelernt wird, „einander in den jeweils besonderen historisch-kulturellen Gewohnheiten kennenzulernen und zu respektieren“[3] und auch in „globaler Hinsicht eine Kultur der Akzeptanz von Heterogenität, der demokratischen Gleichberechtigung von Menschen in verschiedenen Lebenslagen und mit verschiedenen Lebensweisen zu entwickeln und zu pflegen“[4]. Dieses Denken in Pluralität muss auch Menschen mit unterschiedlicher Begabungslage einschließen.

Trotzdem ist klar zum Ausdruck zu bringen, dass der Umgang mit den zum Teil recht erheblichen Unterschieden zwischen den in einer Klasse miteinander Lernenden, seien sie kulturell, persönlich, intellektuell, sozial oder wie auch immer geartet, sich einerseits als eine der größten Herausforderungen der gegenwärtigen schulischen Wirklichkeit darstellt und dass gerade darin andererseits auch der größte Reichtum besteht, der größte Schatz, den die Schule zur Zeit hat.

Einen Schatz zu finden, dazu braucht man:

- den Glauben daran, dass es ihn gibt, denn sonst macht man sich nicht auf den Weg, um ihn zu suchen (Haltung der Lehrenden).
- einen Plan, der dabei hilft, ihn zu finden, in die Pädagogik übersetzt, einen Leitfaden, eine Leitlinie, konstruktive Vorgaben, ...
- Mittel und Wege (zum Beispiel die Ressource Know how durch das Kennenlernen neuer Methoden ...)
- Den Mut, mit den neu erworbenen Kenntnissen ins Klassenzimmer zu gehen, auszuprobieren, evt. vorhanden Hürden überwinden, Stolpersteine aus dem Weg zu räumen, Irrwege oder Sackgassen wieder zu verlassen ohne den Mut zu verlieren.

... und schließlich zeigt sich der verborgene Schatz! Sie werden ihn erkennen! Er könnte aussehen wie folgt:

Vielfalt ist Reichtum im Sinne eines breiten Spektrums an Möglichkeiten voneinander zu hören, zu erfahren, zu lernen, sie bietet Anreize zum Vergleichen, Reflektieren und Respektieren der jeweils anderen Eigenart, sie stellt das eigene Individuum in einen größeren Zusammenhang, lässt sozusagen über den eigenen „Tellerrand“ hinausblicken, schult in den Bereichen Kooperation und Kommunikation, oder lässt beispielsweise zu, sich einmal als helfend und ein anderes Mal als Hilfe erhaltender Mensch zu erleben, um nur einige wenige Ausschnitte eines toleranten und akzeptierenden Umgangs miteinander zu nennen.

Weniger blumig ausgedrückt, dieser Beitrag möchte nicht nur eine Zusammenschau über wesentliche Elemente, um die es beim Individualisieren und Differenzieren geht, geben, sondern auch zu einer Veränderung des Blickwinkels darauf anregen sowie ausschnittsweise didaktische Settings vorstellen, die bei bestehender schulischer Faktenlage realisierbar sind.

Machen wir uns diese Faktenlage zunächst einmal bewusst.

Ein paar unerfreuliche TATSACHEN:

1) Trotz eines nach außen hin differenziert angelegten Schulsystems (Volksschule, Hauptschule, Neue Mittelschule, Unterstufe der AHS) stehen LehrerInnen in der Grund- und auch in der Sekundarstufe heute vor der Tatsache, SchülerInnengruppen zu unterrichten, die in vielerlei Hinsichten sehr unterschiedlich mit den schulischen Anforderungen zurechtkommen. Heterogenitäten betreffen Herkunftssprache, Milieu, Kultur, Interessen, Begabungen, Neigungen, kognitive Fähigkeiten, Vorwissen und Vorerfahrungen, Leistungsbereitschaft und -vermögen, Verhalten, persönliche Ziele, uvm.

Auch die Einstellung von Eltern der Schule gegenüber unterscheidet sich bisweilen grundlegend von den Vorstellungen, die Lehrende oder auch SchulleiterInnen von Schule und Unterricht haben.

2) Die Erfolge des gegenwärtigen Bildungs- bzw. Schulsystems sind im internationalen Leistungsvergleich leider nicht nur erfreulich, was zum Nachdenken und Umdenken Anlass genug sein sollte.

3) Die Anforderungen an die Unterrichtsgestaltung sind vor allem auch in der Sekundarstufe[5] in den letzten Jahren eklatant gestiegen, immer deutlicher wird ein Anspruch auf differenzierende und individualisierende Unterrichtssettings, immer lauter werden auch die Forderungen nach individueller Förderung jedes einzelnen Kindes. Eine solche Forderung ist beispielsweise formuliert im Rundschreiben des bmukk, wo eine „kontinuierliche und professionelle Weiterentwicklung bestehender Unterrichtspraxis im Zeichen zunehmender Heterogenität in den Klassen und Lerngruppen“ ( ... ) „verbindlich zu planen, zu überprüfen und zu dokumentieren“ ( ...) ist und die „in der Gestaltung des alltäglichen Unterrichts“ explizit erwartet wird.[6]

Doch vielfach fehlt es Lehrenden an Informationen und Wissen, kurz am nötigen Knowhow, über Möglichkeiten der Individualisierung und Differenzierung, da diese Herangehensweise an Unterricht früher nicht in dem Maß als notwendig erachtet wurde und es daher auch nicht Teil der didaktischen Ausbildung war und zum Teil auch heute noch nicht ist, flexibel, kreativ und adäquat auf die Bedürfnisse einzelner Lernender im selben Klassenverband reagieren zu können.

Als ein interessantes und wie ich meine nachahmenswertes Beispiel, auf die aktuelle Bildungssituation bereits in der Ausbildung einzugehen, möchte ich das Institut für Schule und Heterogenität der PH Zentralschweiz anführen, das bereits während der LehrerInnenbildung der Frage nachgeht, wie Unterricht und die entsprechenden Schulstrukturen einen gerechten Umgang mit heterogenen Lerngruppen unterstützen können.[7]

Und obwohl Heterogenität inzwischen zu einem zentralen Begriff in der pädagogischen Diskussion geworden ist (vgl. Prengel 1995 und Rauschenberger 2001 u.a.), hat sich an der Betrachtungsweise von und Haltung gegenüber Vielfalt und Heterogenität in der Schule selbst noch nicht viel verändert.

Das mag verwundern, denn schon diese einfache künstlerische Bearbeitung des Themas, lässt nachdenklich werden.

Triptichon von Anne-Kathrin Schmidt „ Einfalt – Vielfalt – Individualität“[8]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Stellen wir uns ganz simpel die Frage, was das Gegenteil von Vielfalt ist?

Die Antwort ist so einfach wie erschütternd – es ist schlicht die Einfalt.

Leider begegnet sie uns in vielen gesellschaftlichen Zusammenhängen, nicht nur in der Schule, oft wird ihr schlicht aus Überforderung der Vorzug gegeben, meist auf Kosten der Individualität Einzelner.

GESTERN UND HEUTE – die lange GESCHICHTE des Umgang mit Heterogenität in der Schule

Interessant ist, dass wir es einerseits mit einem höchst aktuellen und andererseits mit einem bereits uralten gesellschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen Phänomen zu tun haben. Das „Problem“ um das es geht, und ich verwende die Formulierung Problem in diesem Kontext bewusst, weil es vielfach als solches erlebt und dargestellt wird, hat viele Namen. Man spricht von großer Unterschiedlichkeit der Fähigkeiten bei Lernenden, von großer Heterogenität innerhalb der einzelnen Schulklassen oder Schulformen, Vielfalt, nennen es die, die es positiv betrachten, die Schule sei zunehmend von Pluralismus belastet, sagen andere, Diversität ist wieder ein anderer Begriff aus dem pädagogischen Fachjargon, Möglichkeiten mit Heterogenität umzugehen werden mit einem Begriff aus der Wirtschaft auch Diversity Management genannt, die Individualität in der Schule kommt in vielen Verkleidungen daher.

Ein kleiner Blick zurück in der Schulgeschichte zeigt, dass es im Grunde immer noch um dasselbe geht, nämlich um die schon vor Hunderten von Jahren um 1800 von Johann Friedrich Herbart so genannte „Verschiedenheit der Köpfe“, die er als das Hauptproblem des Unterrichts bezeichnete[9] – also darum wie Lehren und Lernen in einer Gruppe unterschiedlicher Individuen gelingen kann.

"Die Verschiedenheit der Köpfe ist das große Hindernis aller Schulbildung. Darauf nicht zu achten, ist der Grundfehler aller Schulgesetze, die den Despotismus der Schulmänner begünstigen und alle nach einer Schnur zu hobeln veranlassen. (zitiert aus: ‚Schemata zu Vorlesungen über Pädagogik in Göttingen' aus den Jahren 1807-1809)"[10] . So könnte Herbart als Vordenker oder Initiator erst viel später entwickelter Unterrichtsformen wie „Offenes Lernen“, Projektunterricht u,a. sog. „moderner“ Unterrichtssettings gesehen werden. Methoden, die auf die Unterschiede zwischen Lernenden eingehen, gibt es mittlerweile in verschiedenster Ausprägung, dennoch ist in den meisten Klassenzimmern vorrangig die aus dem 17. Jahrhundert stammende Methode des Frontalunterrichts zu finden.

[...]


[1] Meister, Hans: Differenzierung von A – Z. eine praktische Anleitung für die Sekundarstufe I. Schülerkompetenzen erkennen, unterstützen und ausbauen. – Berlin: Cornelsen 2008.

[2] Gavalda, Anna: 35 kg Hoffnung. – Berlin: Bloomsbury Kinderbücher & Jugendbücher. 3. Aufl. 2007.

[3] Prengel, Annedore: Pädagogik der vielfalt. Verschieenheit und Gleichberechtigung in interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik. Schule und Gesellschaft Band 2. – Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.3. Auflage 2006. s. 18.

[4] Prengel, ebd., S. 28.

[5] Nicht unerwähnt soll bleiben, dass auch im Bereich der Volksschule bei Schuleintritt etwa ein Drittel dem Lehrstoff weit voraus ist (20 % VielkönnerInnen mit ca. 6 Monaten Vorsprung und 10 % AlleskönnerInnen mit etwa einem Lernjahr Vorsprung). Diesen Unterforderten stehen ebenso viele überforderte Kinder gegenüber, für die der auf einen fiktiven Durchschnitt abgestimmte Lehrstoff zu anspruchsvoll oder das Tempo zu hoch ist. (Vgl. news & science. Begabtenförderung und Begabungsforschung. özbf Nr. 17/Ausgabe 3, 2007, S. 27f.)

[6] Rundschreiben 2007-09 zur Individualisierung des Unterrichts. Abt. I/3b. – Wien: bm:ukk.2007.

[7] Das ISH (Institut für Schule und Heterogenität) an der PH Zentralschweiz wurde 2006 gegründet.

[8] www.anne-katrin-schmidt.de/Objekte/objekte.html

[9] Vgl. Tillmann, Klaus-Jürgen: Lehren und Lernen in heterogenen Schülergruppen: Forschungsstand und Perspektiven. Universität Bielefeld. Vortrag vom 8.6.2006. http://www.reformzeit.de/fileadmin/reformzeit/ dokumente/pdf/heterogenitaet_tillmann.pdf . S. 1. – 20.9.2008.

[10] Aus: Meyer, Hilbert: Schulpädagogik 1. Für Anfänger. – Berlin: Cornelsen 1997, S.324.

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Alle unter ein(em) Dach!
Untertitel
Heterogenität in der Schule. Vielfalt als Chance und Herausforderung
Veranstaltung
Vortrag auf Einladung des Stadtschulrates für Wien anlässlich des LeiterInnentages 2008
Autor
Jahr
2008
Seiten
44
Katalognummer
V169598
ISBN (eBook)
9783640879748
ISBN (Buch)
9783640879991
Dateigröße
717 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pädagogik, Vielfalt, Heterogenität, Individualität, Unterrichtsstile, Schullaufbahn, Chancengleichheit, Sekundarstufe
Arbeit zitieren
Mag. Monika Blecher (Autor:in), 2008, Alle unter ein(em) Dach!, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169598

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