Der Einfluss von Geschützten Werten und Emotionen auf Reaktionen im Ultimatum Spiel


Lizentiatsarbeit, 2010

87 Seiten, Note: 1 (CH: 6)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Theorie
2.1. Definition von Fairness
2.2. Fairness als Geschützter Wert
2.3. Emotionale Reaktionen auf die Verletzung von Geschützten Werten
2.4. Das Konzept des Primings
2.5. Das ökonomische Verhaltensmodell (Homo Oeconomicus)
2.6. Die Spieltheorie und das Ultimatum-Spiel
2.6.1. Gründe für die Ablehnung von Angeboten
2.7. Soziale Distanz

3. Integration der theoretischen Aspekte

4. Hypothesen
4.1. Reaktionen im Ultimatum-Spiel
4.2. Soziale Distanz

5. Methoden
5.1. Design
5.2. Coverstory
5.3. TeilnehmerInnen
5.4. Vorgehen
5.5. Ablauf der Onlineuntersuchung
5.6. Ablauf des Laborexperiments

6. Resultate
6.1. Verteilung des Geschützten Wertes
6.2. Deskriptive Statistik
6.2.1. Angebote
6.2.2. Soziale Distanz
6.3. Hypothesentestung
6.3.1. Angebote
6.3.1.1. Manipulationscheck
6.3.1.2. Verfahren
6.3.1.3. Lineare Regression
6.3.1.4. ANOVA mit Messwiederholung
6.3.2. Soziale Distanz
6.3.2.1. Reliabilitätsanalyse der Sozialen Distanz - Skala
6.3.2.2. Verfahren
6.3.2.3. ANOVA mit Messwiederholung

7. Diskussion

8. Literaturverzeichnis

Appendixverzeichnis

Appendix A: Fragebogen

Fragebogen (Bedingung neutral)

Fragebogen (Bedingung Wut)

Der Einfluss von Geschützten Werten und Emotionen auf Reaktionen im Ultimatum-Spiel

Andrea Edith Steiger Kathrin Derungs1

Psychologisches Institut, Universität Zürich

Abstract

Eine exakte Definition von Fairness existiert in der bisherigen sozialpsychologischen Forschung nicht. Wir begegnen der Bedeutungsflexibilität dieses Begriffes mit dem Konzept der Geschützten Werte (z.B., Tanner, 2008; Tetlock, Kristel, Elson, Lerner, & Green, 2000) und anerkennen, dass der Wert Fairness für verschiedene Personen unterschiedlich flexibel anwendbar ist. Während einige Personen diesen Wert als unantastbar und absolut ansehen, empfinden andere Fairness alsüber Situationen hinweg variabel. Anhand dieser Unterscheidung massen wir in einem Online-Experiment die Ausprägung des Wertes Fairness bei 108 Personen und unterschieden dann Personen mit einem hohen Geschützten Wert in Fairness von Personen mit einem tiefen Geschützten Wert in Fairness. In einem anschliessenden Laborexperiment untersuchten wir Reaktionen dieser beiden Personengruppen auf faire beziehungsweise unfaire Angebote einer spezifischen Verhandlungssituation. Bisherige Forschung (Tetlock et al., 2000) hat gezeigt, dass Personen, die einen hohen Geschützten Wert in einem Bereich haben, starke emotionale Begleiterscheinungen bei Verletzung ihres Geschützten Wertes haben. Um emotionale Komponenten von Entscheidungen zu extrahieren, setzten wir diese beiden Gruppen von Personen entweder einer neutralen oder einer wütenden Stimmung aus.

Unsere Hypothese bestand darin, dass Personen, die einen tiefen Geschützten Wert in Fairness besitzen, sich von der Emotionsinduktion in ihrem Entscheidungsverhalten beeinflussen lassen, während dies bei Personen mit einem hohen Geschützten Wert nicht der Fall ist. Ausserdem untersuchten wir die Akzeptanz dieser beiden Gruppen in Hinblick auf divergierende Wertemassstäbe in anderen Personen. In Anlehnung an die Soziale Distanz- Skala von Bogardus (1932) erfragten wir die Akzeptanz bezüglich Personen, die sich unfair verhalten hatten, in drei verschiedenen sozialen Kontexten (Akzeptanz bezüglich Mitgliedschaft im eigenen Freundeskreis, in der eigenen Wohngemeinschaft oder in einem gemeinsamen Seminar). Auch hier bestand unsere Hypothese darin, dass sich Unterschiede in Abhängigkeit der Ausprägung des Geschützten Wertes in Fairness sowie der Emotionsmanipulation zeigten.

Unsere Untersuchung zeigt, dass eineüberwiegende Mehrheit an Personen sehr unfaire Verhandlungsergebnisse ablehnt, obwohl sie dadurch reales Geld verliert. Hypothesenkonforme Resultate zeigen sich im Interaktionseffekt zwischen dem Geschützten Wert und der Fairness von Angeboten in Bezug auf die Akzeptanz für Personen, welche die Angebote getätigt hatten. Personen mit einem hohen Geschützten Wert in Fairness legen signifikant weniger Akzeptanz für Personen, welche sehr unfair handeln, an den Tag als Personen mit einem tiefen Geschützten Wert. Des Weiteren beurteilen Probanden mit einem hohen Geschützten Wert Personen, die fair gehandelt hatten, signifikant besser als dies Probanden mit einem tiefen Geschützten Wert tun. Entgegen unserer Hypothesen hat die Ausprägung des Geschützten Wertes Fairness keinen Einfluss auf die eigentliche Angebotsannahme beziehungsweise -ablehnung. Auch zeigt sich durch die Emotionsinduktion keine Veränderung im Entscheidungsverhalten, was durch eine erfolglose Manipulation der Primingbedingung erklärt werden kann. Genaue Analysen unserer Resultate zeigen, dass ein Deckeneffekt in der Ausprägung des Geschützten Wertes Fairness für gewisse fehlende Effekte verantwortlich sein könnte.

1. Einleitung

Fairness nimmt in unserem Alltag einen wichtigen Platz ein. Zeitungen aller Couleur thematisieren Fairness explizit oder implizit täglich, zum Beispiel, indem sieüber Bonusauszahlungen im Finanzsektor, Strafausmasse bei delinquenten Jugendlichen oderüber fairen oder unfairen Handel mit Entwicklungsländern berichten. Aktuell wird in den Medien sehr emotionalüber - die tatsächliche oder scheinbare - Abzocke in den Chefetagen der Banken berichtet, denn die Auszahlungen an Bankmitarbeitende in Millionenhöhe empört viele Menschen - nicht zuletzt, weil in den Bankern die Hauptschuldigen an der noch immer anhaltenden Wirtschaftskrise gesehen werden. Fairness ist aber auch in alltäglichen Handlungen von zentraler Bedeutung. Gebe ich einem Kind dieselbe Strafe wie einem anderen, wenn es denselben Streich gespielt hat? Tue ich es nicht, werde ich von den Kindern als unfair erlebt und dementsprechend lautstark angeklagt. Bringe ich ein verlorenes Portemonnaie zum Fundbüro oder behalte ich die darin gefundene Hunderternote, die nicht mein Eigentum ist? Wahrscheinlich würde ich es als fair erleben, wenn mein Portemonnaie zurückgebracht würde, denn es handelt sich dabei um mein Eigentum. Schöpfe ich gleich grosse Portionen für alle Gäste? Mit Sicherheit, denn selbst in dieser kleinen Geste möchte ich ausdrücken, dass ich alle Gäste gleich behandle. Unsere Handlungen werden oft nach Prinzipien der Fairness beurteilt und werden wir selbst nicht fair behandelt, reagieren wir häufig mit starken Emotionen wie Wut oder Empörung.

Bisherige Forschung zeigt jedoch keine einheitliche Definition des Begriffes Fairness (z.B., Pillutla & Murnighan, 2003). Um der Bedeutungsflexibilität dieses Begriffes zu begegnen, zeigen wir in Anlehnung an Tanner (2008) und Tetlock et al. (2000) auf, dass der Wert Fairness für verschiedene Personen unterschiedlich variabel anwendbar ist. Wir unterscheiden in unserer Studie Personen, die den Wert Fairness als absolut und unantastbar betrachten von Personen, die diesen Wert alsüber Situationen hinweg verhandelbar empfinden. Unter Berücksichtigung dieser Unterscheidung untersuchen wir in der vorliegenden Lizentiatsarbeit Reaktionen auf faire beziehungsweise unfaire Angebote in Verhandlungssituationen.

Da wir aufgrund des aktuellen Forschungsstandes (z.B., Tetlock et al., 2000; Mullen & Skitka, 2006; Pillutla & Murnighan, 1996; Haidt & Graham, 2007) eine emotionale Komponente bei Entscheidungsfindungen, die den Wert Fairness thematisieren, vermuten, berücksichtigen wir zusätzlich das emotionale Setting, in dem sich die Probanden befinden. Eine Gruppe unserer Testpersonen wird in eine neutrale Stimmung versetzt, während eine zweite Gruppe von Testpersonen der Emotion Wut ausgesetzt wird. Dabei interessiert uns, ob und wie diese Emotionen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten in Verhandlungssituationen ausüben.

Des Weiteren soll untersucht werden, wie Personen, die faire Angebote im Vergleich zu Personen, die unfaire Angebote unterbreiten, auf verschiedenen sozialen Dimensionen beurteilt werden. Werden auch Letztere als potentielle Freunde oder als Wohngemeinschaftspartner akzeptiert? Diese und weitere Fragen sollen im Rahmen der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit geklärt werden.

In einem ersten Teil werden die theoretischen Aspekte der zu untersuchenden Konzepte behandelt. Zunächst wird der Begriff Fairness in seiner Bedeutungsvariabilität vorgestellt und in einem zweiten Schritt anhand der oben erwähnten Unterscheidung als absoluten beziehungsweise variablen Wert thematisiert. Im Anschluss daran werden emotionale Aspekte, die mit dem Wert Fairness in Verbindung stehen, vorgestellt. Ausserdem wird eine bewährte Methode der Emotionsinduktion i]n Experimenten dargelegt.

Das der Spieltheorie entstammende Ultimatum-Spiel, welches als geeignetes Instrument zur Untersuchung des Wertes Fairness dient, verwenden wir in der vorliegenden Lizentiatsarbeit als experimentelle Verhandlungssituation. Daher werden der Beginn der Erforschung von Verhandlungssituationen anhand des Ultimatum-Spiels und der genaue Ablauf dieses Spiels in einem nächsten Schritt erläutert.

Schliesslich stellen wir soziale Dimensionen, auf denen Menschen beurteilt werden können, vor. Abschluss des theoretischen Teils bildet die Integration der theoretischen Aspekte, welche in den daraus abgeleiteten Hypothesen resultiert.

Im Methodenteil werden die verwendeten Instrumente, das Design der Lizentiatsarbeit sowie der genaue Ablauf des Experimentes vorgestellt. In einem weiteren Abschnitt wird eine detaillierteübersichtüber die erhaltenen Resultate dargelegt. Dabei liegt der Fokus auf der Hypothesenprüfung, zusätzlich werden aber auch weiterführende Auswertungen dargestellt.

Die Lizentiatsarbeit wird mit einer ausführlichen Diskussion zur Theorie, zu den verwendeten Methoden und erhaltenen Resultaten und einem möglichen Forschungsausblick abgeschlossen.

2. Theorie

2.1. Definition von Fairness

Der englische Begriff Fairness hängt sehr eng mit dem deutschen Begriff Gerechtigkeit zusammen. Diverse Wörterbücher verstehen die beiden Ausdrücke als Synonyme. In der Literatur besteht jedoch eine Vielzahl an Definitionen, was Gerechtigkeit oder Fairness bedeutet. Deutsch (1975) unterscheidet drei Normen von Verteilungsgerechtigkeit. Gemäss dem Forscher gilt es zwischen der Gleichheitsnorm, der Beitragsnorm und der Bedürfnisnorm zu differenzieren. Fairness oder Gerechtigkeit ist bei der Gleichheitsnorm dergestalt definiert, dass jedem Beteiligten eines bestimmten Systems der gleiche Anteil zuteil kommt. Bei der Beitragsnorm hingegen geht es darum, dass jeder soviel erhält, wie er selbst dazu beigetragen hat. Bei letzterer - der Bedürfnisnorm - bekommt jeder soviel, wie er braucht. Für diese drei verschiedenen Formen von Verteilungsgerechtigkeit dienen als Beispiel wiederum Lohnauszahlungssysteme. So würde gemäss der Gleichheitsnorm jedem Mitarbeitenden unabhängig vom Berufsfeld gleich viel ausgezahlt werden, wie es die ursprüngliche Form kommunistischer Regimes vorgesehen hat. Die Bedürfnisnorm sähe vor, jedem Menschen so viel Lohn auszuzahlen, wie die- /derjenige benötigte. Ein Faktor zur Messung der Bedürfnisse könnte beispielsweise die Anzahl und das Alter der Kinder sein. Die Beitragsnorm kommt unserem heutigen Lohnsystem - trotz offensichtlicher Abweichungen - wohl am nächsten, mit einer Auszahlung des Lohnes in Abhängigkeit der Leistung.

Auch Adams (1965) beschreibt in seiner Gerechtigkeits-Theorie (engl. Equity-Theory) den Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit, welcher der Beitragsnorm von Deutsch (1975) entspricht. In seiner prozessorientierten Theorie beschreibt Adams das Zustandekommen von wahrgenommener Gerechtigkeit, beziehungsweise Ungerechtigkeit. Im Fokus steht dabei immer der Vergleich des Verhältnisses eines geleisteten Inputs zum erhaltenen Output einer Person zum geleisteten Input und erhaltenem Output einer anderen Person. Damit eine Person eine Handlung als fair erlebt, muss ein distributives Gleichgewicht vorhanden sein. Erlebt ein Akteur beispielsweise sowohl seinen Beitrag als auch das Ergebnis seiner Handlung als gering, den Beitrag einer anderen Person als gering, dessen Ergebnis jedoch als gross, entsteht das Gefühl von Ungerechtigkeit. Dabei lässt sich die Komponente des Inputs nicht nur auf die Leistung reduzieren, sondern kann unterschiedliche Inhalte, wie beispielsweise Erfahrung, Talent oder aufgewendete Zeit aufweisen. Ebenso kann auch der Output aus anderen Komponenten als die einer finanziellen Entschädigung bestehen. So kann der subjektive Wert einer Entlöhnung auch anhand des resultierenden Spasses oder des Prestiges beurteilt werden.

Auch Pillutla und Murnighan (2003) verweisen darauf, dass in der Literatur keine einheitliche Definition zu Fairness vorliegt. Die Forscher anerkennen zwar die Relevanz der Verteilungsgerechtigkeit - wie sie Adams (1965) und Deutsch (1975) ausführen - für eine Definition von Fairness, schliessen aber einen weiteren wichtigen Aspekt in ihrer eigenen Definition ein und betonen, dass die Basis eines fairen Ertrages darin liegt, wenn „ [ … ] individuals receive outcomes equal to their deservingness irrespective of their identity. Our definition implies, that, rather than being equal, fairness must be cross-personal ” (Pillutla & Murnighan, 2003, p. 245). Mit dieser Aussage verweisen Pillutla und Murnighan darauf, dass nur die Aufgaben relevanten, nicht aber die Aufgaben irrelevanten Attribute einer Person, in deren Ertrag einfliessen sollten:

That is, a person’s task relevant attributes, not their identity, should determine their outcomes. Thus, whether people are short or tall should not influence their salaries if height is irrelevant to their jobs; neither should their race, religion, or sexual preferences. (p. 245) Dieser Ansatz beruht darauf, dass Menschen, welcheüber die gleichen relevanten Fähigkeiten für eine Aufgabe verfügen, dieselbe Auszahlung erhalten sollten.

Aus der Definition von Fairness von Pillutla und Murnighan (2003) leiten wir ab, dass faires Verhalten darin besteht, den eigenen Nutzen - sollte er bei der Anwendung des Fairnessprinzips bedroht sein - zu Gunsten eines fairen Ertrags zurück zu stellen. Ein Beispiel aus der Personalselektion verdeutlicht dies. Für eine anspruchsvolle Projektleitungsposition hat ein Arbeitgeber eine junge Bewerberin und einen jungen Bewerber zur Auswahl. Die junge Bewerberin hat dieselben Qualitäten und Fähigkeiten aufzuweisen wie der junge Bewerber. Der Arbeitgeber müsste sich bei dieser Entscheidung eigentlich schwer tun, denn die Aufgaben relevanten Charakteristika liegen bei beiden Bewerbern gleichermassen vor. Möglicherweise zieht der Arbeitgeber aber ein weiteres - Aufgaben irrelevantes Kriterium - für seine Entscheidung herbei: das Geschlecht. Es ist denkbar, dass er eine in näherer Zukunft mögliche Schwangerschaft bei der jungen Frau vermutet und damit verbundene Mehrkosten im Mutterschaftsurlaub als Grund dafür sieht, den männlichen Bewerber vorzuziehen.

Im Zusammenhang mit Fairness bei Prozessabläufen - wie das eben erwähnte Negativbeispiel einer Personalselektion verdeutlichte - gehen Thibaut und Walker (1975) auf einen weiteren Aspekt von Gerechtigkeit ein und führen den Begriff der sogenannten Verfahrensgerechtigkeit ein. Bei der Verfahrensgerechtigkeit spielen faire Verfahrensabläufe die entscheidende Rolle. Prozesse sollten idealerweise konsistent und objektiv gleich ablaufen. Angewandt auf den wirtschaftlichen Kontext heisst dies beispielsweise, dass sich Führungskräfte konsistent und transparent in Hinblick auf den gleichen Sachverhalt bei unterschiedlichen Mitarbeitenden verhalten sollten oder dass ein Personalauswahlverfahren bei allen potentiellen Mitarbeitenden in der gleichen Weise stattfinden sollte.

Für die vorliegende Arbeit ist vor allem die Verteilungsgerechtigkeit von Interesse, die prozedurale Gerechtigkeit spielt in diesem Kontext eine weitaus weniger wichtige Rolle.

2.2. Fairness als Geschützter Wert

In der sozialpsychologischen Forschung wird Fairness auch als sogenannter Geschützter Wert thematisiert. Mit dem Konzept der Geschützten Werte (engl. protected values, sacred values) werden Werte bezeichnet, die explizit oder implizit als absolut oder unantastbar angesehen werden und deshalb nicht verhandelbar sind (Tanner, 2009). Geschützte Werte existieren in den verschiedensten Bereichen des täglichen Lebens und sindüber Personen hinweg unterschiedlich verteilt. Häufig betreffen Geschützte Werte interpersonelle Beziehungen wie Menschenrechte, Ehrlichkeit, Treue oder eben Fairness. Geschützte Werte können aber auch Themen wie Tierhaltung, Umweltschutz oder Organhandel tangieren.

Situationen, die den Austausch eines Geschützten Wertes gegen einen anderen, nicht Geschützten Wert betreffen, werden in der Literatur auch als Taboo Trade-Offs bezeichnet (Tetlock et al., 2000). Solche Austauschbeziehungen sind deswegen tabu, weil Geschützte Werte für viele Menschen nicht substituierbar sind und deshalb „ gar nicht oder nur eingeschränkt offen für den Austausch gegen andere Werte (insbesondere gegen Geld) “

(Tanner, 2009, S. 6) sind. Lehnt eine Person das Antasten eines Wertes grundsätzlich ab, verfügt diese Personüber einen Geschützten Wert bei diesem Thema. Menschen unterscheiden sich jedoch in Hinblick auf die Ausprägung von Geschützten Werten. So gibt es durchaus Menschen, die bestimmte Werte zwar als wichtig, in bestimmten Situationen und unter Berücksichtigung anderer Interessen jedoch als verhandelbar betrachten. Zur klaren sprachlichen Abgrenzung dieser beiden Personengruppen wird im folgenden von Personen mit einem hohen Geschützten Wert und von Personen mit einem tiefen Geschützten Wert in einem bestimmten Bereich gesprochen.

Inübereinstimmung mit Tanner (2009) betonen Fiske und Tetlock (1997), dass es nicht möglich ist, alle Werte in einen gemeingültigen Bewertungsmassstab umzuwandeln und damit verhandlungstauglich zu machen. Viele Menschen empfinden beispielsweise die Anwendung von Folter unter keinen Umständen zulässig, selbst wenn durch den Einsatz von Folter möglicherweise Menschenleben gerettet werden könnten. Es ist ein Wert, der für diese Menschen absolut ist. Auch gibt es Werte, die für viele Menschen schlicht nicht ökonomisierbar sind. Ein Beispiel aus dem Bereich des Umweltschutzes verdeutlicht, inwiefern Geschützte Werte im Widerspruch zur wirtschaftlichen Rationalität stehen: Käme eine Person mit einem Geschützten Wert für Umweltschutz in die Lage, ein Stück Naturschutzgebiet gegen ein monetäres Angebot abzuwägen, wäre diese Person nicht bereit, dieses Angebot anzunehmen, selbst wenn der finanzielle Anreiz ausserordentlich hoch ausfiele. Es ist sogar davon auszugehen, dass diese Person bereits die eigentliche Verhandlung als moralisch verwerflich betrachten und sich daher der Verhandlungssituation verweigern würde. Personen jedoch, die Umweltschutz als weniger wichtig ansehen, empfinden eine solche Verhandlung als legitim.

Wie im Beispiel des Umweltschutzes oder der Folter kann man auch beim Geschützten Wert Fairness Personen mit einem hohen Geschützten Wert in Fairness von Personen mit einem tiefen Geschützten Wert in Fairness unterscheiden. Erstere empfinden Fairness alsüber Situationen hinweg absolut und unantastbar, während Letztere den Wert Fairness als variabel und verhandelbar betrachten. Ein aktuelles Beispiel betrifft die Diskussion um die Lohnauszahlungen in Bankunternehmungen. Für viele Menschen sind die hohen Managerlöhne inakzeptabel, während andere diese als gerechtfertigt betrachten, auch wenn sie anerkennen, dass sich die tatsächliche Leistung nicht zwingend in den Löhnen widerspiegelt.2 Letztere ziehen weitere Argumente - zum Beispiel die internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit verbundene teure Personalfluktuationen - als Begründung für die ungleiche Lohnstruktur herbei, während Erstere dieses Argument nicht als zulässige Rechtfertigung für die ungleiche Lohnauszahlung akzeptieren. Hier wird deutlich, dass für gewisse Personen der Wert Fairness nicht verhandlungstauglich ist, während für andere die Dehnung des Begriffes durchaus legitim ist.

Auch angewandt auf die Definition von Pillutla und Murnighan (2003) findet dieses Beispiel seine praktische Relevanz. Der Umstand, dass Banken international wettbewerbsfähig sein wollen und aus diesem Grund ihre Lohnzahlungen massiv in die Höhe treiben um Personalfluktuationen zu verhindern, ist eine Aufgaben irrelevante Begleiterscheinung zu Gunsten gewisser Bankmitarbeitenden und daher unfair gegenüber jenen Angestellten, die sehr ähnliche Aufgaben erledigen, sehr ähnliche Fähigkeiten haben, aber einen sehr viel geringeren Lohn erhalten.

Essentiell für die vorliegende Lizentiatsarbeit ist der Umstand, dass Personen mit einem hohen Geschützten Wert in Fairness diesen Wert als absolut betrachten, während dies Personen mit einem tiefen Geschützten Wert nicht tun. Wir haben oben gesehen, dass in der Literatur keine einheitliche Definition zu Fairness oder Gerechtigkeit vorliegt. Einerseits gibt es die Unterscheidung von Verteilungsgerechtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit. Zusätzlich gilt es, die Verteilungsgerechtigkeit nach verschiedenen Normen zu betrachten. So wichtig diese Aspekte bei der Definition dieser Begriffe sind, werden sie dennoch nicht der subjektiven Komponente, welche in einer individuellen Verhandlungssituation von zentraler Bedeutung ist, gerecht. Möglicherweise begegnet das Konzept der Geschützten Werte mit seiner Unterscheidung in einen hohen Geschützten Wert (Fairness als nicht verhandelbaren, absoluten Wert) und einen tiefen Geschützten Wert (Fairness als verhandelbaren, nicht absoluten Wert) der Uneinheitlichkeit in der Definition von Fairness, indem sie die Subjektivität in der Wahrnehmung des Wertes Fairness berücksichtigt.

2.3. Emotionale Reaktionen auf die Verletzung von Geschützten Werten

Was empfinden Personen mit einem hohen Geschützten Wert, wenn der Absolutheit ihres Wertes nicht Rechnung getragen und dieser Wert für einen anderen Wert geopfert wird? Wie einleitend erwähnt, ist die Bedrohung eines Geschützten Wertes mit starken emotionalen Reaktionen verbunden (Tetlock et al., 2000). Gemäss Tetlock et al. werden rein rationale, Gewinn maximierendeüberlegungen in solchen Situationen abgelehnt und führen zu starken Reaktionen moralischer Empörung, sollte dieser Grundsatz dennoch verletzt werden. Die Autoren untersuchten in einem Experiment, wie Versuchspersonen auf den vermeintlichen Spitaldirektor Robert reagierten, der als Entscheidungsträger in einer Taboo Trade-Off Situation fungierte. Der fiktive Spitaldirektor Robert musste entscheiden, ob er Johnny, einen Knaben, operieren, oder die Million Dollar, die die Operation kostete, lieber in die dringend benötigte Infrastruktur des Spitals investieren sollte. Diese Situation stellt ein Taboo Trade- Off Szenario dar, weil der Geschützte Wert Menschenleben der Infrastrukturverbesserung gegenüber steht. Im Experiment wurde zusätzlich manipuliert, wie schnell und wie leicht sich Robert für eine der beiden Handlungsalternativen entscheiden konnte. Die abhängige Variable stellte unter anderem die moralische Empörung dar. Konnte sich Robert lange nicht entscheiden oder entschied er sich für die Infrastrukturverbesserung des Spitals, löste dies bei Personen mit einem hohen Geschützten Wert im Bereich Menschenleben heftige Reaktionen der moralischen Empörung aus. War sich Robert jedoch schnell im Klaren darüber, dass er den Knaben Johnny retten und die Million Dollar in dessen Operation investieren wollte, reagierten die Personen nicht mit Empörung, da keine Verletzung des Geschützten Wertes stattfand.

Auch Haidt (2001) vermutet schnelle, automatische und stark emotionsgeladene Reaktionen auf den Inhalt moralischer Themen. Das „Social Intuitionist Model“ von Haidt und Haidt und Graham (2007) postuliert, dass Wut, Ekel und Verachtung als moralische Emotionen fungieren und deshalb Einfluss auf Entscheidungen nehmen können. Weiterführend betonen die Forscher Mullen und Skitka (2006), dass moralischeüberzeugungen mit Emotionen wie Wut oder Ekel zusammenhängen.

Aufgrund dieser Forschungsergebnisse gehen wir von emotionalen Begleiterscheinungen bei Personen mit einem hohen Geschützten Wert in Fairness aus, sollte dieser Wert bedroht sein. Um untersuchen zu können, ob und wie emotionale Komponenten Einfluss auf Entscheidungen nehmen, müssen Emotionen experimentell induziert werden. Nur so können emotionale Faktoren von anderen Prozessen extrahiert werden. In der vorliegenden Lizentiatsarbeit wird deshalb eine Hälfte unserer Probanden einer spezifischen Emotion ausgesetzt, während die zweite Hälfte der Testpersonen in eine neutrale Stimmung versetzt wird. Damit lassen sich Vergleiche zwischen diesen beiden Gruppen ziehen und zusätzlich Unterschiede des Emotionseinflusses zwischen Personen mit einem hohen beziehungsweise tiefen Geschützten Wert in Fairness feststellen. Eine Möglichkeit, wie man Versuchspersonen in eine bestimmte emotionale Situation versetzen kann, ist durch ein Priming. Dieses Konzept wird im folgenden Abschnitt erläutert.

2.4. Das Konzept des Primings

In der Literatur (z.B. Pendry, 2007) wird der Begriff Priming als Reaktionsbahnung definiert, da ein Stimulus X (Prime) Einfluss auf einen nachfolgenden Stimulus Y (Target) nimmt. Fazio, Sanbonmatsu, Powell und Kardes (1986) waren an der Erforschung dieses Konzeptes massgeblich beteiligt. Die Forscher konnten in einem Experiment nachweisen, dass - in einem ersten Schritt gezeigte - negativ konnotierte Primes (z.B. eindeutig negative Wörter) nachfolgende Aufgaben erleichterten, sofern diese ebenfalls negativ konnotiert waren. Der Effekt bestand darin, dass durchschnittlich wesentlich schneller reagiert werden konnte, wenn eineübereinstimmung zwischen Prime und Aufgabe vorhanden war. Damit konnten sie belegen, dass Personen von der emotionalen Färbung eines bestimmten Materials, mit dem sie sich beschäftigen, beeinflusst werden. Diese affektive Konnotation nimmt dann Einfluss auf die Bearbeitung neuen Materials.

Dieselben Resultate erhielten die Forscher Fazio, Jackson, Dunton und Williams (1995) mit einstellungsrelevantem Stimulusmaterial. Ziel ihres Experimentes war festzustellen, welche impliziten Einstellungen bei Schwarzen und Weissen gegenüber anderen Schwarzen und Weissen vorhanden waren. In mehreren Durchläufen zeigten die Forscher den Probanden Bilder von Personen dieser beiden Gruppen zusammen mit negativen und positiven Adjektiven und konnten anhand von Reaktionszeiten auf die Einstellung gegenüber den verschiedenen Personengruppen schliessen.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist jedoch nicht, bereits vorhandene negative oder positive Einstellungen zu messen, sondern durch die Wirkung von emotional gefärbten Primes Einfluss auf nachfolgende Reaktionen zu nehmen. Im nächsten Abschnitt wird daher aufgezeigt, welche Möglichkeiten der Emotionsinduktion bisher experimentell erfolgreich angewandt wurden. Ausserdem werden die wichtigsten Resultate dieser Studien dargelegt.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, in einem experimentellen Setting Emotionen zu induzieren. Bargh, Chen und Burrows (1996) haben eine erfolgreiche Methode des Primings entwickelt, welche sich auf die verschiedensten Kontexte anwenden lässt. Ein weiterer grosser Vorteil dieser Primingmethode besteht darin, dass es für Probanden schwierig ist, die Absicht des Primings zu durchschauen. Um den genauen Ablauf eines solchen Primings zu verdeutlichen, wird eines der Experimente der Forscher im Folgenden vorgestellt.

Bargh et al. (1996) gaben 34 Probanden der New York University einen vermeintlichen Sprachtest zur Bearbeitung vor. Die Sprachtests enthielten 30 sogenannte Scrambled Sentences bestehend aus jeweils fünf Wörtern. Diese fünf Wörter standen in willkürlicher Reihenfolge auf einer Zeile. Die Aufgabe bestand darin, aus diesen fünf Wörtern einen syntaktisch und semantisch logischen Satz bestehend aus vier Wörtern zu bilden. Das fünfte Wort wird weggelassen. Die vermeintlichen Sprachtests existierten in drei verschiedenen Versionen, wobei jeder Proband nur eine Version zu lösen hatte. In einer ersten Version ging es darum, das Konstrukt „höflich“ zu induzieren. In der zweiten Bedingung sollte das Konstrukt „unhöflich“ geprimt werden und in der dritten Bedingung wollte man eine neutrale Situation schaffen; die Sätze bestanden aus Landschaftsbeschreibungen und emotional neutralen Wörtern. Bei den ersten beiden Bedingungen enthielten 20 der 30 zu bildenden Sätze ein Wort, welches das entsprechende Konstrukt induzieren sollte. So wurden Probanden, die der ersten (höflichen) Bedingung zugeteilt waren, mit Wörtern wie „diskret“, „geduldig“ oder „sensibel“ konfrontiert, während Probanden der zweiten (unhöflichen) Bedingung Wörter wie „schnell“, „forsch“ oder „ermutigt“ vorgelegt bekamen (Bsp. sind respektieren normalerweise sie ihn = Sie respektieren ihn normalerweise).

Den Probanden wurde gesagt, dass sie in einem separaten Raum die Aufgabe alleine und in aller Ruhe lösen dürfen und dass sie bei Beendigung der Aufgabe in den nahe gelegenen Raum des Versuchsleiters kommen sollen, um ihm die Lösungen zuübergeben. Nachdem die Versuchspersonen mit der Aufgabe fertig waren, näherten sie sich dem Raum, in dem sich der Versuchsleiter befand. In diesem Raum befand sich jedoch ein Konfident des Versuchsleiters, der mit dem Versuchsleiter in ein Gespräch verwickelt war. Dieses Gespräch war allerdings nur gespielt und diente dazu, herauszufinden, ob das Priming, welches durch den vermeintlichen Sprachtest angewandt worden war, funktioniert hatte. Die Hypothese der Autoren besagte, dass Versuchspersonen, die auf das Konzept „höflich“ geprimt worden waren im Vergleich zu Personen, die auf das Konzept „unhöflich“ geprimt worden waren, signifikant länger warten würden, bis sie das Gespräch unterbrechen. Sobald die Versuchsperson näher kam, starteten die Versuchsleiter eine versteckte Stoppuhr und massen die Zeit, bis sich der Proband beispielsweise anhand von „Entschuldigung, ich….“ oder „Ich würde gerne….“ äusserte. Sollte sich eine Versuchsperson während zehn Minuten nicht äussern, wurde das Gespräch vom Versuchsleiter selbst unterbrochen. Wie vorhergesagt unterbrachen von den auf Unhöflichkeit geprimten Personenüber 60 Prozent während der zehn Minuten das Gespräch, während sich Personen, die auf Höflichkeit geprimt waren, nur 15 Prozent äusserten.

In einem ähnlichen Experiment konnten die Forscher zusätzlich nachweisen, dass Personen, die auf das Konzept „alt“ geprimt wurden, wesentlich langsamer vom Versuchsraum zum Lift gingen als Personen, die nicht auf dieses Konzept geprimt worden waren.

Das Konzept des Primings im Zusammenhang mit moralischer Entscheidungsfindung nutzten die Forscher Schnall, Haidt, Clore und Jordan (2008). Sie konnten zeigen, dass Menschen, die auf Ekel geprimt wurden, signifikant moralischere Entscheidungen trafen als Personen, die nicht auf Ekel geprimt wurden. Wie im letzten Abschnitt dargelegt, gehört die Emotion Ekel genau wie Wut und Verachtung gemäss Haidt (2001) und Haidt und Graham (2007) zu den sogenannt moralischen Emotionen. Die Forscher Schnall et al. liessen 127 Studierende der Stanford University verschiedene moralische Themen beurteilen (z.B. Befürwortung oder Ablehnung der Heiratsmöglichkeit zwischen Cousins). Ein Teil der Studierenden wurde, während sie die Beurteilungen vornahmen, einem strengen Duft eines kommerziell erhältlichen Stinksprays ausgesetzt, während der Rest der Studierenden keinem unangenehmen Geruch exponiert wurde. Interessanterweise reagierten die Personen, die dem strengen Geruch ausgesetzt waren, auf die verschiedenen Szenarien mit signifikant stärkerer Ablehnung auf die verschiedenen Szenarien als Personen, die dem Geruch nicht ausgesetzt waren.

Die Resultate der hier dargelegten Studien sprechen dafür, dass experimentell induzierte Emotionen Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Unter Einbezug der Erkenntnisse aus der Forschung der Geschützten Werte schlussfolgern wir, dass Personen mit einem hohen Geschützten Wert in einem Bereich, unter anderem aufgrund der inhärenten emotionalen Komponente, moralisch entscheiden. Sie empfinden auch ohne experimentelle Emotionsinduktion Wut und empören sich bei Bedrohung ihres Geschützten Wertes. Uns interessiert nun, ob bei Personen, dieüber einen tiefen Geschützten Wert in einem bestimmten Bereich verfügen, durch eine Emotionsinduktion moralischere Entscheidungsfindung herbeigeführt werden kann und damit eine Annäherung ihres Verhaltens an dasjenige der Personen mit einem hohen Geschützten Wert zu beobachten ist.

Für die vorliegende wissenschaftliche Untersuchung induzieren wir die Emotion Wut, da sie eng mit dem Wert Fairness assoziiert ist. Eine enge Verknüpfung der Emotion (Wut) und des Themas (Fairness) führt gemäss Tangney, Stuewig und Mashek (2007) zu stärkeren Veränderungen in den Entscheidungen, da moralische Emotionen auf bestimmte Themenfelder beschränkt sind. Mikula, Scherer und Athenstaedt (1998) betonen, dass Wut als wichtigste Emotion bei Ereignissen, die als unfair betrachtet werden, fungiert.

Eine experimentelle Verhandlungssituation, bei welcher Probanden sowohl fairen wie auch unfairen Angeboten ausgesetzt sind, stellt das aus der Spieltheorie bekannte UltimatumSpiel dar. Die Anfänge der Spieltheorie basieren auf dem Prinzip des homo oeconomicus - ihm und vor allem seinen Schwächen ist der folgende Abschnitt gewidmet.

2.5. Das ökonomische Verhaltensmodell (Homo Oeconomicus)

Ursprünglich wurde das Verhaltensmodell des Homo Oeconomicus für die Analyse menschlichen Verhaltens auf Märkten entwickelt, kann jedoch auf alle Bereiche menschlichen Handelnsübertragen werden (Frey & Benz, 2007). Das ökonomische Verhaltensmodell besagt, dass menschliches Handeln nach dem reinen Kosten-Nutzen-Prinzip funktioniert. Auf der Basis dieses Prinzips glaubten Ökonomen lange, Verhalten lasse sich alleine durch Präferenzen und rationaleüberlegungen erklären. Die zugrunde liegendeüberzeugung ist, dass jeder Mensch stets im Sinne eigener Nutzenmaximierung handelt. In diesem Modell gibt es keine Uneigennützigkeit, keine pro-sozialen Aktivitäten, aber ebenso auch keinen Neid und Hass. Das Modell postuliert einen konsequentialistischen Entscheidungsprozess, bei welchem Entscheidungen allein aufgrund der Konsequenzen und dem daraus resultierenden Nutzen getroffen werden. Andere „ergebnis-irrelevante“ Faktoren sollten demnach bei rationalen Entscheidungen keine massgebliche Rolle spielen. Aus diesen Annahmen resultiert das Prinzip der deskriptiven Invarianz (vgl. Tversky & Kahneman, 1986), welches besagt, dass Entscheidungen unbeeinflusst von der Art der Beschreibung des Problems sein sollten.

Das Modell des Homo Oeconomicus und die Annahme der deskriptiven Invarianz werden jedoch zunehmend kritisch betrachtet. Das wohl bekannteste Experiment, welches den Annahmen des Modells widerspricht ist das sogenannte Asian Disease Problem von Tversky und Kahneman (1981). Die Autoren zeigen in ihrer Studie auf, dass Entscheidungen durch die Art der Formulierung der Konsequenzen jeweils anders getroffen werden. Dieses Phänomen wird in der Forschung auch als Framing-Effekt bezeichnet. In ihrer Studie mussten sich die Probanden in die Lage eines Gesundheitsministers beziehungsweise einer Gesundheitsministerin versetzen. Des Weiteren mussten sich die Probanden vorstellen, dass eine bisher unbekannte asiatische Krankheit ihr Land heimsuchen wird und dass hierbei genau 600 Menschen in Gefahr sind. Daraufhin hatten die Probanden die Möglichkeit sich für eines von zwei Präventionsprogrammen zu entscheiden. Der einzige Unterschied der beiden Präventionsprogramme lag dabei in der Formulierung der Konsequenzen. Bei positiver Formulierung der Konsequenzen wurde den Probanden gesagt, dass bei Anwendung des Programms A 200 Menschen gerettet werden könnten und bei Einsatz des Programms B, mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 alle 600 Menschen gerettet werden könnten und mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 niemand gerettet werden könnte. Bei einer negativen Formulierung der Konsequenzen wurde den Probanden gesagt, dass bei Einsatz des Programms A 400 Menschen sterben müssten und bei Programm B mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 niemand sterben, und mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 alle sterben würden. Die Resultate zeigten auf, dass - obwohl alle Alternativen äquivalent sind - beim einem positiven Frame (Rettung), die Probanden das Programm A dem Programm B vorziehen und bei einem negativen Frame (Sterben), die Probanden das Programm B dem Programm A vorziehen. Tversky und Kahneman (1981) erklären die Befunde dahingehend, dass je nach Formulierung, ob Personen gerettet werden können oder sterben müssen, unterschiedliche Referenzpunkte gebildet werden, wodurch die Konsequenzen der Entscheidung bei einer positiven Formulierung als Gewinn und bei einer negativen Formulierung als Verlust interpretiert wird. Demzufolge wird bei einem positiven Framing der Konsequenzen risiko-aversiv entschieden, also diejenige Alternative gewählt, welche die Personen sicher „rettet“ und bei einem negativen Framing risiko-suchend entschieden, also diejeniege Alternative gewählt, bei welchem die Personen nicht sicher sterben müssen.

Auch neuere Forschung zeigt auf, dass menschliches Verhalten selten rein rational erfolgt. So legen beispielsweise Kahneman, Knetsch und Thaler (1990) in einer Studie dar, wie Personen ein Gut höher bewerten, sobald sie dieses als ihr Eigentum betrachten. In ihrer Studie erhielt eine Gruppe von Probanden eine Kaffeetasse. Den Probanden wurden daraufhin verschiedene Geldbeträge angeboten, zu welchen sie ihre Tasse verkaufen konnten. Einer anderen Gruppe von Probanden wurde dieselbe Tasse zum Kauf angeboten. Sie sollten angeben, welchen Preis sie maximal für den Erwerb der Tasse ausgeben würden. Es zeigte sich, dass die Verkäufer der Tasse einen höheren Preis verlangten als die potentiellen Käufer. Der subjektive Wert war für diejenigen Probanden, welche eine Tasse besassen, höher als für diejenigen, welche keine Tasse besassen. Dieser Effekt wird als Besitztumseffekt (engl. endowment-effect) bezeichnet und wird von Kahneman et al. anhand der neuen Erwartungstheorie (engl. prospect theory; Kahneman & Tversky, 1979) erklärt. Der Theorie zufolge ist es für Personen wichtiger, Verluste zu vermeiden als Gewinne zu erzielen. Auch dieses Beispiel zeigt, dass rein rationaleüberlegungen, wie sie die Kosten-Nutzentheorie macht, zu kurz greifen, um menschliches Verhalten in seiner Komplexität zu erklären. Faktoren, wie beispielsweise das Gefühl, ein Gut zu besitzen, nehmen Einfluss auf Entscheidungen, die nicht rational erklärbar sind.

Tanner (2008) beleuchtet die Schwächen der Kosten-Nutzen-Theorie von einer neuen Seite, indem sie den Einfluss von Geschützten Werten auf Entscheidungen untersucht. Sie zeigt in ihrer Forschung auf, dass Personen nicht bereit sind, gewisse Werte gegen andere Werte auszutauschen, egal wie hoch der daraus resultierende Nutzen für sie wäre. Das oben erwähnte Beispiel der als unfair erlebten Lohnauszahlungen zeigt die praktische Relevanz dieses Konzeptes auf: Geschützte Werte nehmen Einfluss auf Entscheidungen, weil diese Werte für gewisse Personen gar nicht erst als verhandelbar betrachtet werden. Wenn nicht jedes Gut gegen ein anderes Gut austauschbar ist, dann nehmen sehr viele Verhandlungen einen anderen Ausgang als durch ökonomische Verhaltensmodelle vorausgesagt wird.

Auch in Bezug auf den oben beschriebenen Framing-Effekt konnten Tanner und Medin (2004) in einer spannenden Studie nachweisen, dass Personen mit hohen Geschützten Werten weniger anfällig für die Art der Formulierung eines Sachverhaltes sind als Personen mit tiefen Geschützten Werten. Probanden lasen vier verschiedene Szenarien zu unterschiedlichen Themen, wie beispielsweise Genmanipulation, CO2-Ausstoss oder Trinkwasserkontamination. Auch hier wurden die Szenarien - analog zu der Studie von Tversky und Kahneman (1981) - unterschiedlich geframt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Framing-Effekte nur bei Personen mit tiefen Geschützten Werten auftreten. Personen mit hohen Geschützten Werten sind weniger sensitiv für die Art der Formulierung der Konsequenzen und unterscheiden sich in den beiden Bedingung nicht. Vorstellbar ist, dass Personen mit hohen Geschützten Werten deontologisch - also aufgrund der guten Handlung an sich - und nicht konsequentialistisch handeln.

Das aus der Spieltheorie entstammende Ultimatum-Spiel stellt ein geeignetes Instrument für eine experimentelle Verhandlungssituation dar, bei welcher der Austausch des Wertes Fairness gegen Geld in kontrolliertem Rahmen untersucht werden kann. Der folgende Abschnitt zeigt auf, wie ein Ultimatum-Spiel in einem Experiment angewandt wird.

2.6. Die Spieltheorie und das Ultimatum-Spiel

Wie im vorhergehenden Abschnitt erläutert, zeigt sich, dass rationaleüberlegungen wie sie das ökonomische Verhaltensmodell postuliert, zu kurz greifen, um menschliches Verhalten erklären zu können. Viele dieser Erkenntnisse erlangen Forscherinnen und Forscher aus Vergleichen zwischen den Vorhersagen der Spieltheorie und den tatsächlich gefundenen Ergebnissen, wobei sich oft zeigt, dass diese voneinander abweichen. Dabei liegt der Fokus vieler Untersuchungen auf Fairness- und Dilemmaspielen, welche der Spieltheorie entstammen (z.B., Fehr & Schmidt, 1999; Camerer, Loewenstein, & Prelec, 2005). Von Relevanz für die vorliegende Lizentiatsarbeit ist das ebenfalls aus der Spieltheorie stammende Ultimatum-Spiel, welches sich als geeignetes Szenario erweist, um Aspekte von Fairness auf Entscheidungsverhalten untersuchen zu können. Ultimatumscharakter bei Verhandlungen liegt dann vor, wenn von zwei Parteien eine die möglichen Verhandlungsergebnisse beschränken kann, während die zweite Partei ein Angebot entweder annehmen oder ablehnen kann.

Den Beginn der Erforschung von Verhandlungen mit Ultimatumscharakter markiert die empirische Forschung durch Güth, Schmittberger und Schwarze (1982). In verschiedenen Studien demonstrierten die Autoren den Ablauf eines sogenannten Ultimatum-Spiels. Eine Person A erhält von der Versuchsleitung einen bestimmten Betrag X, den es unter Wahrung der Anonymität zwischen sich selbst (Person A) und einer Person B aufzuteilen gilt. Person A ist es freigestellt, wie sie den Betrag X aufteilen möchte. Person B verfügtüber die Möglichkeit, das Aufteilungsangebot entweder anzunehmen oder abzulehnen. Nimmt Person B das Angebot an, wird der Betrag X wie von Person A vorgeschlagen aufgeteilt. Lehnt Person B jedoch das Angebot ab, gehen beide Personen leer aus. Demzufolge entsteht zwischen den beiden Parteien ein Abhängigkeitsverhältnis, wobei die Person A in der Rolle des „Verteilers“ tendenziell mehr Macht ausüben kann und frei entscheiden kann, wie viel sie der anderen Person anbietet. Die Person B in der Empfängersituation entscheidet jedoch, ob sie das Angebot annimmt oder ablehnt und kann somitüber den Ausgang der Verhandlungssituation bestimmen.

Gemäss den Annahmen der Kosten-Nutzen-Theorie müsste jedes Angebot, unabhängig davon, wie gross oder klein es ist, angenommen werden, denn dieses Verhalten dient der eigenen Nutzenmaximierung. Lehnt man das Angebot nämlich ab, geht man leer aus. Straub und Murnighan (1995) können in ihren Studien zum Ultimatum-Spiel jedoch aufzeigen, dass Personen Angebote, welche kleiner als 20 Prozent des Gesamtbetrages sind, häufig ablehnen. Dabei hat sich gezeigt, dass die relative Höhe des aufzuteilenden Betrages keinen Einfluss auf die Entscheidung, ein Angebot anzunehmen beziehungsweise abzulehnen, ausübt. So zeigen Hoffman, McCabe und Smith (1996) in ihrer Studie auf, dass es keinen Unterschied macht, ob hundert oder zehn Dollar aufgeteilt werden. Die Verteilung bezüglich Annahme und Ablehnung eines Angebots fällt in beiden Gruppen ähnlich aus. Diese Resultate erweisen sich in vielen Studien als relativ robust. In einem gross angelegten kulturellen Vergleich fanden Henrich et al. (2001) dass die Variabilität in den Ergebnissen in verschiedenen Ländern jedoch sehr hoch ist und oft unterschätzt wurde. In ihrer Studie untersuchten sie das Verhalten von fünfzehn Naturvölkern rund um den Globus. Ihr Anliegen war, interkulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen aufzuzeigen, da die bisherige Forschung zum Verhalten im Ultimatum-Spiel vorwiegend an studentischen Stichproben durchgeführt wurde. Zusätzlich wollten die Autoren untersuchen, wie stark demografische Variablen für das Verhalten im Ultimatum-Spiel verantwortlich gemacht werden können. Die Resultate zeigen, dass insbesondere interkulturelle Unterschiede, also die spezifischen Begebenheiten innerhalb einer Gruppe das Verhalten erklären können. In ihrer Studie konnten die Autoren aufzeigen, dass sowohl die ökonomische Organisation einer ethnischen Gruppe als auch deren marktwirtschaftliche Integration einen Teil der Varianz im Verhalten im Ultimatum-Spiel erklären können. Je grösser nämlich die marktwirtschaftliche Integration einer Gruppe und je grösser die Abhängigkeit einer Gruppe zur wirtschaftlichen Kooperation mit anderen (nicht-verwandten) Gruppen ist, desto kooperativer verhielten sich die Teilnehmer am Ultimatum-Spiel. In ihrer Studie hatten die demografischen Variablen keinen Einfluss auf das Verhalten. Des Weiteren zeigte sich eine hohe Variabilität in den Angeboten der Verteiler. So lag die Spannbreite der im Mittel getätigten Angebote zwischen 28 und 58 Prozent des Gesamtbetrages, wobei in Industriegesellschaften der Mittelwert der Angebote bei ungefähr 44 Prozent des Gesamtbetrages liegt. Die Autoren erklären die Unterschiede dahingehend, dass den einzelnen Kulturen unterschiedliche Fairnesskonzepte zu Grunde liegen könnten.

Interessante Befunde in Bezug auf Entscheidungen im Ultimatum-Spiel können auch Kahneman, Knetsch und Thaler (1986) in ihrer Studie aufzeigen. Die Autoren stellten sich die Frage, ob Personen unfaires Verhalten bestrafen beziehungsweise faires Verhalten im Ultimatum-Spiel belohnen. In ihrer Studie verwendeten die Autoren das Diktator-Spiel, welches eine abgeänderte Form des Ultimatum-Spiels darstellt.

[...]


1 An dieser Stelle möchten wir für die hervorragende Begleitung von Frau Prof. Dr. C. Tanner und lic. phil. M. Hanselmann danken. Ihre wertvollen Diskussionspunkte und ihre professionelle und gleichzeitig ermutigende Unterstützung haben uns geholfen, Forschungsideen bestmöglich umzusetzen. Nicolas Berkowitsch gilt in Hinblick auf die Unterstützung bei der Auswertung besonderer Dank. Für die Umsetzung unseres Experimentes durften wir die Räumlichkeiten des Institutes für Schweizerisches Bankenwesen nutzen. Besonderer Dank gilt daher Andreas Tupak, der uns dies ermöglichte. Jacqueline Mutter möchten wir für das Korrekturlesen danken.

2 Kaspar Villiger, Alt-Bundesrat und Verwaltungsratpräsident der UBS, in seiner Rede an der Generalversammlung der UBS vom 14. 04. 2010: „Wenn wir international wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir diese (…) Löhne zahlen - ob es uns passt oder nicht.“

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss von Geschützten Werten und Emotionen auf Reaktionen im Ultimatum Spiel
Hochschule
Universität Zürich
Note
1 (CH: 6)
Autoren
Jahr
2010
Seiten
87
Katalognummer
V166886
ISBN (eBook)
9783640832484
ISBN (Buch)
9783640832880
Dateigröße
751 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
einfluss, geschützten, werten, emotionen, reaktionen, ultimatum, spiel
Arbeit zitieren
Andrea Steiger (Autor:in)Kathrin Derungs (Autor:in), 2010, Der Einfluss von Geschützten Werten und Emotionen auf Reaktionen im Ultimatum Spiel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/166886

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