Die Weltdeutung im "Silmarillion" von J. R. R. Tolkien


Examensarbeit, 2004

208 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Darstellung des Untersuchungsvorhabens
2.1. Tolkien in der Geschichte der Literatur
2.2. Untersuchungsgegenstände und der Forschungsstand
2.2.1. Zu untersuchende Texte
2.2.1.1. Tolkien’sche Werke
2.2.1.2. Altnordische Mythen
2.2.2. Zum Forschungsstand
2.3. Mythentheorie
2.3.1. Zur Mythosforschung
2.3.2. Begriffsbestimmung
2.3.3. Funktionen und Strukturen des Mythos
2.3.4. Mythos und Literatur
2.4. ‘Werkzeuge’ der Untersuchung
2.4.1. Das systemische Lesen
2.4.1.1. Zum Rhythmus-Begriff
2.4.1.2. Das Textsystem und die Werte
2.4.1.3. Wirkungsweise oder semantische Performativität
2.4.2. Intertextuelles und applizierendes Lesen

3. Tolkiens Mythenpoetik
3.1. Zur fairy-story - mehr als ein Märchen
3.2. Die ‘Fairy-Funktionen’
3.2.1. Phantasie
3.2.2. Wiederherstellung
3.2.3. Flucht
3.2.4. Trost (Eukatastrophe)
3.3. Tolkiens Strategie: Sprache und Mythos
3.4. Zwischenfazit I

4. Die Mythenpoetik des Silmarillions
4.1. Kernthema: der Kampf des Guten gegen das Böse
4.1.1. Die Entstehung von Gut und Böse
4.1.2. Vor dem Untergang
4.1.2.1. Signifikanten von Gut und Böse
4.1.2.2. Feanors Silmaril und Mandos’ Spruch
4.1.3. Das Schicksal der Noldor
4.1.3.1. Morgoth: „Meister aller Geschicke von Arda“
4.1.3.2. Beren und der Untergang Doriaths
4.1.3.3. Túrin und das Ende Nargothronds
4.1.3.4. Tuor und die Vernichtung Gondolins
4.1.3.5. Earendil und die Rettung nach dem Fall
4.1.4. Das Zweite und das Dritte Zeitalter
4.1.4.1. Ragnarök auf Númenor?
4.1.4.2. Der Bericht über das Dritte Zeitalter
4.2. Analyse ausgewählter Erzählmotive nebst Erörterung stilistischer Aspekte
4.2.1. Drachentöter: Túrin und Sigurd
4.2.1.1. Text von Tolkien
4.2.1.2. Altnordischer Text
4.2.1.3. Vergleich der Texte
4.2.2. Sonne und Mond: Arien und Tilion - Sol und Mani
4.2.2.1. Text von Tolkien
4.2.2.2. Altnordischer Text
4.2.2.3. Vergleich der Texte
4.2.3. Schätze: Die Silmaril und der Nibelungenhort
4.2.3.1. Text von Tolkien
4.2.3.2. Mittelhochdeutscher Text/p> 4.2.3.3. Vergleich der Texte
4.2.4. Erörterung einzelner stilistischer Aspekte
4.3. Subthemen
4.3.1. Schaffen und Macht
4.3.1.1. Das Erschaffen von Lebendigem
4.3.1.2. Das Schaffen von Dingen
4.3.2. Tod und Unsterblichkeit
4.3.3. Schicksal und freier Wille
4.3.4. Weitere Subthemen: Rache, Niedergang
4.4. Zusammenfassung: Silmarillische Performativität mit altnordisch mythischer Dimension
4.5. Zwischenfazit II

5. Exkurs: Silmarillische Funktionsweise im Kontext der weiteren Mittelerde-Erzählungen
5.1. Interaktion der Wert-Systeme
5.1.1. Silmarillische Elemente in Der kleine Hobbit und Der Herr der Ringe
5.1.2. Homogene Wertigkeit: unterstützend, fortführend
5.1.2.1. Die Gut-Böse-Dichotomie
5.1.2.2. Umweltethik
5.1.2.3. Vergänglichkeit und Wandel
5.1.2.4. Schicksal und freier Wille
5.1.2.5. Aragorns Tod
5.1.3. Heterogene Wertigkeit: oppositionell, umwertend
5.1.3.1. Psychologisierung des Bösen
5.1.3.2. Ethik des Verzichts
5.1.3.3. Heldentum
5.1.4. Zu den paraphrasierenden Textteilen
5.1.5. Ragnarök versus Eukatastrophe
5.1.6. Überlegungen zur Rezeption der Edda, des Silmarillions und des Herrn der Ringe
5.2. Zwischenfazit III

6. Schluss

7. Statt eines Nachwortes

8. Literatur

VORBEMERKUNG

Dieses Buch basiert auf meiner Examensarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen, die von Juli bis Oktober 2003 angefertigt wurde. Das mit der Film-Trilogie vom Herrn der Ringe von Peter Jackson (wieder-) erwachte starke Interesse an Tolkiens Werk sowie die sehr gute Beurteilung meiner Arbeit führten dazu, dass ich über eine Publikation nachdachte. Dies ist das Ergebnis.

Titel von Werken werden kursiv geschrieben; Geschichten- bzw. Liedertitel werden mit Anführungszeichen versehen.

Folgende Siglen kommen im Fußnotentext zur Verwendung:

DS = Das Silmarillion

TS = The Silmarillion

LR = The Lord of the Rings

HR = Der Herr der Ringe (Krege-Übersetzung)

DG = Der Herr der Ringe: Die Gefährten (Carroux-Übersetzung)

ZT = Der Herr der Ringe: Die zwei Türme (Carroux-Übersetzung)

RK = Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs (Carroux-Übersetzung) HO = Der kleine Hobbit

BB = Baum und Blatt LE = Lieder-Edda PE = Prosa-Edda

NI = Der Nibelunge Nôt (Das Nibelungenlied)

Januar 2005,

Holger Vos

1. Einleitung

„Uns ist in alten mæren wunders vil geseit

von helden lobebæren, von grôzer arebeit,

von fröuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,

von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen.“1

Diese erste Strophe des Nibelungenliedes könnte auch für die Geschichten des Silmarillions gelten, die im vergangenen Jahrhundert von J. R. R. Tolkien verfasst wurden. Die meisten Menschen werden von ihm jedoch nicht dieses Werk, sondern Der Herr der Ringe oder Der kleine Hobbit kennen. Diese drei Werke spielen auf dem Kontinent Mittelerde, welches eine alte Bezeichnung für unsere (mittlere) Welt (nämlich Midgard) ist. Der große Erfolg des Herrn der Ringe - das Buch wurde von über 100 Millionen Menschen gelesen2 - führte dazu, dass man von Tolkien als dem Autor des Jahrhunderts sprach.3

Der Herr der Ringe jedoch ist nur ein Teil der Geschichten, die sich um Mittelerde ranken, stellt lediglich die bedeutsamen Geschehnisse einer vergehenden Epoche der großen Historie Mittelerdes dar, und für Tolkien stand das Silmarillion, welches von dieser Historie berichtet, im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit: Es „war das Werk, das ihm am Herzen lag, und es hat ihn weitaus länger beschäftigt als Der Hobbit oder Der Herr der Ringe. Die beiden bekannteren Werke sind gewissermaßen nur Schößlinge, Ableger der riesigen Sammlung [...], die das ‘Silmarillion’ darstellt.“4

Die vorliegende Arbeit wird also dieses Werk in den Mittelpunkt der Untersu- chung stellen, auf Grund der Ansicht, dass, wenn man einen ganzen Baum (das Werk Tolkiens) betrachten will, man den Stamm und die größten, tragenden Äste (Das Silmarillion) zuerst sehen muss, und erst dann kommen die kleineren Äste, die Blätter und die Blüten (Der kleine Hobbit und Der Herr der Ringe) des Baumes richtig und unverzerrt - in ihren Relationen zueinander und zu anderen Werken - zur Geltung. (J. R. R. T. selbst vergleicht in der Erzählung Blatt von Tüftler sein Werk mit einem Baum.) Tolkien schreibt in einem Brief an Kilby:

„Das Silmarillion nun ist ganz anders [als Der Herr der Ringe], und wenn es überhaupt etwas taugt, dann auf eine ganz andere Weise; & ich weißeigentlich gar nicht, was ich davon halten soll.“5

In Anlehnung an diese Zeilen wollen wir uns fragen, was dieses Werk ‚taugt‘und was wir davon halten können: Warum schuf Tolkien das Silmarillion? Was macht es? Stellt man diese Fragen, forscht man gleichsam auch nach der Funktion dieses Textes, denn eine Frage nach dem Sinn besitzt inhärent die Reflexion über die Funktion.

Welche F u n k t i o n e n hat das Silmarillion also? Dies ist die Hauptfragestellung, und sie lässt sich auf verschiedenen Ebenen stellen:

- Welche Funktionen schrieb Tolkien dieser Sammlung von Geschichten zu?
- Welche Funktionen hat das Silmarillion als eigenständiger Text? Diese Fragestellung wird im Zentrum dieser Arbeit stehen. Weiter können wir fragen:
- Welche Funktionen erfüllt das Silmarillion im Kontext der beiden anderen Mittelerde-Erzählungen Der kleine Hobbit und Der Herr der Ringe?

Die Beantwortung der gestellten Fragen erfolgt ebenfalls auf unterschiedlichen Ebenen: Wenn wir uns mit dem befassen, was Tolkien zu seinem Werk geschrieben hat - zu nennen wären hier seine Briefe, der Aufsatz Über Märchen und der Text Blatt von Tüftler -, werden die Funktionen offenkundig, die Tolkien seinem Werk zuschrieb; sie stellen Maßstäbe seiner ‘Poetik’ dar, und ich möchte sie im Folgenden, wegen des zuerst genannten Aufsatzes, ‘Fairy-Funktionen’ nennen. Den Funktionen des Silmarillions nähern wir uns auf dem Wege der Mythentheorie, denn es wird und wurde in der Sekundärliteratur sowie von Tolkien selbst als eine Sammlung von Sagen und Legenden bzw. Mythen bezeichnet.6 Wenn wir das Wesen und die Funktionen der Mythen ermittelt haben, dann können wir möglicherweise auf Grund dessen die Funktionen des Silmarillions bestimmen - ich werde sie die ‘Mythos-Funktionen’ nennen.

Es soll betont werden, dass damit noch nichts über seine realisierten Funktionen ausgesagt ist: Ob der Tolkien’sche Text definitiv ‘Fairy- Funktionen’ und/oder ‘Mythos-Funktionen’ besitzt, wird sich im Laufe der Untersuchung zeigen.

Bevor diese jedoch unternommen wird, müssen wir zentrale Begriffe und die Texte, die untersucht werden sollen, sowie die Methoden der Untersuchung (allen voran das systemische Lesen), näher erläutern - dies wird im folgenden Kapitel dieser Arbeit geschehen. Dann folgt das dritte Kapitel, in welchem die Dimensionen der Tolkien’schen Mythenpoetik erörtert werden. Dem schließt sich ein erstes Zwischenfazit an. Die Untersuchung bildet den Hauptteil der Arbeit. In einem ersten Teil - Kapitel 4 - wollen wir die Funktionen des Silmarillions (als Einzeltext) ermitteln, indem wir intratextuelle Beziehungen aufzeigen. Hierbei werden wir sehen, dass ein Großteil dieses Textes von altnordischen Mythen beeinflusst ist.

Die Untersuchung gründet auf der Methode des systemischen Lesens. Im Paradigma dieser Methode stellt jeder Text ein Wert-System dar - dies ist das Moment des subjektiven Sinns in einem Text. Haben wir ermittelt, wie das Silmarillion und die dazu in Beziehung zu setzenden Texte (die altnordischen Mythen) ihren Sinn gestalten, können wir auf Grund dessen die intratextuellen Funktionen bestimmen; im Nachhinein können sich diese als die oben genannten Funktionen erweisen.

Im zweiten Teil der Untersuchung - Kapitel 5 - sollen die intertextuellen Funktionen des Silmarillions ermittelt werden. Diese Fragestellung wird (in Form eines Exkurses) kurz und prägnant beantwortet; dazu betrachten wir die Interaktion der Wert-Systeme des Silmarillions auf der einen und des Kleinen Hobbits und des Herrn der Ringe auf der anderen Seite: Wir beobachten, welcher Art die Beziehungen zwischen diesen Texten sind. Die Frage nach der intratextuellen Funktionsweise steht jedoch im Vordergrund, was am Umfang der jeweiligen Untersuchungsteile zu ersehen ist.

Im Rahmen dieser Untersuchung gilt, dass die intra- und intertextuellen Funktionen des Silmarillions nicht nur genannt werden sollen; hinzu kommt, dass wir erörtern, wie diese Funktionen erfüllt werden. Zwei weitere Zwischenfazits - jeweils nach dem ersten und dem zweiten Untersuchungsteil - sollen die erbrachten Ergebnisse prägnant zusammenfassen und ggf. im Hinblick auf die Sekundärliteratur diskutieren. Die zentralen Untersuchungsergebnisse werden im Schluss zusammengetragen.

Tolkien hielt nicht viel von wissenschaftlichen Untersuchungen seiner Werke. In einem Brief an einen Leser zitiert er diesbezüglich die Worte Gandalfs: „‘Derjenige, der etwas zerbricht, um herauszufinden, was es ist, hat den Pfad der Weisheit verlassen.’“(Die Vorgehensweise Tolkiens, zu Zwecken der Verdeutlichung eines anderen Sachverhalts aus seinem Werk zu zitieren, ist interessant im Hinblick auf den Begriff der applicability, wie zu erörtern sein wird [siehe unter 2.4.2.].)7 Nachvollziehbar wird diese Haltung, wenn man bedenkt, dass Tolkien immer wieder falsche Interpretationen seines Werks richtig stellen musste, z.B. die Deutung des Einen Rings als Atombombe.8

Versuchen wir also, auf dem zitierten Pfad zu bleiben.

Der altnordische Mythos berichtet in einer Geschichte/einem Lied von Odin, dem höchsten der germanischen Götter, der den Dichtermet raubt.9 Der Gott verwandelt sich nach dem Raub in einen Adler und fliegt nach Asgard, wo die anderen Götter auf ihn warten. Im Zuge der Verfolgung durch die Riesen muss „der Flüchtende [...] einen Teil des Metes nach hinten [...] fahren lassen.“10 Den Rest des Mets kommt in bereit gestellte Schüsseln. Letzteres gibt man Menschen, die Gelehrte oder Dichter werden; der mindere Teil ist für Dichterlinge und Schwätzer bestimmt.11

Ich hoffe, dass ich mich im Rahmen der folgenden Ausführungen als jemand erweisen werde, der den guten Met getrunken hat.

2. Darstellung des Untersuchungsvorhabens

„Lassen wir uns zu den Alten hinab, holen sie uns ein? Gleichviel. Es genügt ein Händereichen. Leichthin wechseln sie zu uns über, fremde Gäste, uns gleich. Wir besitzen den Schlüssel, der alle Epochen aufschließt, manchmal benutzen wir ihn schamlos, werfen einen eiligen Blick durch den Türspalt, erpicht auf schnellfertige Urteile, doch sollte es auch möglich sein, uns schrittweis zu nähern, mit Scheu vor dem Tabu, gewillt, den Toten ihr Geheimnis nicht ohne Not zu entreißen. Das Eingeständnis unserer Not, damit müßten wir anfangen.“12

(Christa Wolf: Medea. Stimmen)

Um die Untersuchung des Silmarillions hinsichtlich seiner Funktionen unter- nehmen zu können, sollen in diesem Kapitel alle dafür erforderlichen Aspekte thematisiert werden: Begriffe (Mythos, Sage, Legende, Märchen, Religion usw.) werden definiert und voneinander abgegrenzt sowie ‘Werkzeuge’ der Untersuchung (systemisches Lesen, intertextuelles und applizierendes Lesen) erörtert. Zunächst jedoch wollen wir uns den Untersuchungsgegenständen und der diesbezüglichen Forschungslage zuwenden. Außerdem werden wir Tolkien in einen größeren literaturgeschichtlichen Zusammenhang bringen.

2.1. Tolkien in der Geschichte der Literatur

Zahlreiche wundersame Dinge werden berichtet in den alten Sagen, Legenden und Mythen. Dort ist die Rede von einer Welt, in der es Drachen gibt, und Helden, die sie bekämpfen; Götter und Elben gibt es da, und die Menschen können mit ihnen in Kontakt treten. Im Laufe der Menschheitsgeschichte wurde immer wieder davon erzählt, aber nicht nur das: Ein Blick in die Geschichte der Literatur erlaubt den Schluss, dass mythische Erzählungen bzw. mythische Elemente in den meisten (nicht nur literarischen) Epochen adaptiert wurden, und jede Adaption geschah im Rahmen der jeweiligen epochalen Vorstellungen, bezogen auf die Mythen, auf die Normen und Werte, auf das Bild vom Menschen und seiner Welt - die Gegenwart macht diesbezüglich freilich keine Ausnahme.

Werfen wir nun einen kurzen Blick auf die Literaturgeschichte:

Der anonyme Nibelungendichter, welcher uns vom fast unbesiegbaren Sieg- fried und von vielem mehr berichtet, schrieb das mittelhochdeutsche Epos auf der Grundlage älterer Quellen und durchsetzte es mit christlichen Elementen, was, wie anzunehmen ist, von den altnordischen Quellen abweicht. Im 19. Jahrhundert strebten die Romantiker einen Wandel des Bewusstseins und der Gesellschaft an; eine Voraussetzung dafür war ihrer Auffassung nach, dass die Dichtung alle Lebensbereiche durchdringen solle, und sie verherrlichten die Phantasie, die poetische Schöpferkraft und den Geist, der der Wirklichkeit überlegen sei.13 Sie reagierten mit Verklärung auf zeitgenössische Verhältnisse; beispielsweise war eine verherrlichende und idealisierte Walddarstellung, so wird vermutet, eine Reaktion auf den düsteren Zustand der Waldungen bereits zu jener Zeit.14 Hin zum Unbekannten, Unendlichen sollte die Dichtung schreiten, und im Sinne dieses Ziels wurden die alten, mythischen Schriften wiederentdeckt.15 Hier, im Mythos (und auch im Märchen), gewahrten die Romantiker das archaische Unbekannte und die Unendlichkeit der Heroen und Götter. Hinter dieser Symbolik sah man „eine tiefe religiöse Wahrheit [...], die, nachdem die heidnischen Religionen sie mannigfach entstellt, endlich im Christentum in ihrer Reinheit offenbar geworden sei.“16 Mythische Stoffe wurden bewahrt und neu geschaffen, aber auch entsprechend den Bedürfnissen umgestaltet: Wilhelm und Jakob Grimm, Verfasser des Deutschen Wörterbuchs und Wegbereiter der Germanistik, sammelten Märchen nicht nur, sondern veränderten sie für die Klientel, welches ihrer Ansicht nach die Märchen las: Kinder.17

In Die Leiden des jungen Werther nutzte Goethe düstere, pagane Heldenschriften, um auf das Ende von Werther hinzudeuten.18

Kleist, der zwischen den Epochen Klassik und Romantik eingeordnet wird, integrierte mythische Elemente in seine Dichtung, um die Unsicherheit des Menschen in einer unberechenbaren und nicht mittels Vernunft erfassbaren Welt zu veranschaulichen:19 Der Himmelsgott Jupiter täuscht Alkmene, die ihn für ihren Ehemann Amphitryon hält.20

Richard Wagner erzählt im großenRing des Nibelungen von Siegfried und Brünnhilde, deren Liebe im Tode die Götter überwindet:

„Verging wie Hauch / der Götter Geschlecht, / lass’ ohne Walter / die Welt ich zurück: / meines heiligsten Wissens Hort / weis’ ich der Welt nun zu. - / Nicht Gut, nicht Gold, / noch göttliche Pracht; / nicht Haus, nicht Hof, / noch herrischer Prunk: / nicht trüber Verträge / trügender Bund, / noch heuchelnder Sitte / hartes Gesetz: / selig in Lust und Leid / lässt - die L i e b e nur sein! -“21

Zur Zeit des Nationalismus und des Ersten Weltkrieges bediente man sich vermeintlicher Ideale aus dem Nibelungenlied (Beispiel: „Nibelungentreue“). Missbraucht und mit einer menschenverachtenden, unhaltbaren Ideologie vermengt wurden altnordische resp. germanische Mythenstoffe von den NS- Verbrechern.22

Thomas Mann beruft sich in seinen Werken auf Mythisches, um sein Verständnis von Humanität und von einer traditionsbewussten Lebensweise zu vermitteln; der Mensch wird in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt.23

Ähnlich Anthropozentrisches bei Christa Wolf: Die Inhalte der tragisch- mythischen Stoffe wurden in ihren Erzählungen so umgewandelt, dass eine Reflexion über den Mythos und sein Hineinwirken in die Gegenwart ermöglicht wird. (Erzählungen, für die das Gesagte gilt, sind: „Medea“ und „Kassandra“.)

Diese wenigen Beispiele aus verschiedenen Epochen der Literaturgeschichte sollen genügen, um zu zeigen, dass Mythen bzw. mythische Elemente immer wieder aufgegriffen wurden, und zwar auf unterschiedliche Weise und unter Zuweisung unterschiedlicher Funktionen.

Unser Augenmerk richtet sich nun auf das England des frühen 20. Jahrhun- derts. Im Oxford der dreißiger und vierziger Jahre kamen einige Schriftsteller unter dem Namen „Inklings“ (deutsch: „Tintenkleckser“ - ein englisches Un- derstatement) zusammen, mit dem Ziel, „Ahnungen einer anderen, einer phan- tastischen Welt [...] literarisch [zu] vermitteln.“24 Ihre unmittelbaren Vorläufer in dieser Hinsicht - also Autoren phantastischer Literatur - waren Chesterton, Haggard, Lord Dunsany, Morris, Shelley und Stoker, um nur einige zu nennen; freilich bedienten sie sich auch älterer (mythischer) Quellen.25 Ihre Zeitge- nossen - z.B. Joyce oder Eliot - ließen sich, wie etwa Th. Mann oder C. Wolf, „von alten Mythen oder Mythensagen anregen [...] zu dem Versuch, ihre Relevanz für den Menschen des 20. Jahrhunderts experimentell zu untersuchen.“26 Für uns bedeutsame Mitglieder der „Inklings“ waren C. S. Lewis und sein von Sprachen begeisterter Freund, dessen Nachname sich vom deutschen Adjektiv „tollkühn“ ableiten soll.27

John Ronald Reuel Tolkien - 1892 als erster von zwei Söhnen von Arthur und Mabel Tolkien in Bloemfontein, Afrika, geboren, verheiratet mit Edith Bratt, Vater von vier Kindern, ab 1918 Philologenkarriere in Leeds und Oxford, überzeugter Katholik, 1973 in Bournemouth, England, gestorben28 - war also, wie das bisher Geschilderte zeigt, nicht der erste und einzige Autor, der sich mythischer Stoffe bedient hat, um eine mitreißende Geschichte zu erzählen. (Die meisten einleitenden Zitate vor jedem Abschnitt sollen nicht nur den Blickwinkel der Betrachtung erweitern, sondern eben dies veranschaulichen. - Überdies: Die Biografie Tolkiens wird im Kontext dieser Arbeit, da es sich bei der systemischen Analyse um einen werkimmanenten Zugang handelt, eine periphere Rolle spielen - daher werden lediglich die zentralen Lebensdaten Tolkiens genannt. Das Setzen selbiger zwischen Gedankenstriche soll jedoch nicht als Herabwürdigung eines reichen Lebens verstanden werden.)

Dennoch wird im Laufe dieser Arbeit deutlich werden, dass Tolkien dabei womöglich Stratgien angewendet hat, auf Grund derer er sich von seinen Mythen adaptierenden Vorgängern und seinen Zeitgenossen sowie seinen Nachfolgern, die Fantasy schreiben - das literarische Genre, welches Tolkien begründete -,29 unterscheidet. Eine dieser Strategien hat etwas mit seiner Profession und Leidenschaft, der Philologie, zu tun; eine andere kann man nachvollziehen, indem man seine Ansichten über Mythen betrachtet. Inwieweit sich dies im Wert-System des Silmarillions und seiner anderen Texte zeigt, bleibe einstweilen dahingestellt.

2.2. Untersuchungsgegenstände und der Forschungsstand

„The Lord of the Rings

is one of those things: if you like you do:

if you don’t, then you boo!“30

Dieses kleine Gedicht Tolkiens ist sein humorvoller Kommentar zur Kritik über sein bekanntestes Werk. Die Werke von Tolkien - insbesondere Der Herr der Ringe und Das Silmarillion - scheinen herauszufordern, dass man extreme Positionen zu ihnen einnimmt:

„W. H. Auden schrieb: ‘Niemand scheint gemäßigter Ansicht zu sein; entwe- der sehen die Leute darin [in Der Herr der Ringe] wie ich selbst ein Meister- werk seiner Gattung, oder sie können es nicht ausstehen.’ Und dabei sollte es bleiben, solange Tolkien lebte: höchstes Lob von der einen Seite, totale Ver- achtung von der anderen.“31

Eine Seite betrachtet das Werk als eine hervorragend erzählte, dynamische Geschichte.32 Die Gegenseite sieht darin ein Kinderbuch, ein „zu groß gewordenes Märchen, eine philologische Kuriosität“.33 Ähnlich gestaltet sich die Kritik beim Silmarillion: Einige betrachten es als ein „elbisches Telefonbuch“34, das „klinge wie ein schwedischer Straßenbahnschaffner mit Erkältung, der die Stationen ausruft.“35 Petzold (1980) bezeichnet einige Passagen des Textes als langweilig.36 (Wir werden im Laufe der Arbeit auf diese Kritik eingehen.) - Kreeft (1984) dagegen bezeichnet es als ein Buch, das Staunen ermöglicht, und er vergleicht es mit Yggdrasil selbst, dem Weltenbaum aus der altnordischen Mythologie.37

2.2.1. Zu untersuchende Texte

Wir werden uns in der Hauptsache mit dem Silmarillion (engl. The Silmarillion) befassen, und zwar zum einen in Bezug zu seinen bedeutsamsten altnordischen Quellen und zum anderen in Bezug zum Kleinen Hobbit (engl. The Hobbit) und zum Herrn der Ringe (engl. The Lord of the Rings). Alter- native Versionen der Geschichten des Silmarillions und Erweiterungen selbiger sind unter dem Titel Nachrichten aus Mittelerde (engl. Unfinished Tales of Númenor and Middle-earth) veröffentlicht. Weiteres dazu findet sich im zweibändigen Werk Das Buch der verschollenen Geschichten (engl. The Book of Lost Tales).

Werke Tolkiens, die mit Mittelerde nichts zu tun haben - beispielsweise Bauer Giles von Ham (engl. Farmer Giles of Ham) oder Roverandom -, werden hier nicht berücksichtigt. Sofern sie einen hilfreichen Beitrag zur Untersuchung der Literatur leisten, werden Tolkiens Illustrationen, Skizzen und Bilder zu seinen Mittelerdegeschichten genutzt. Tolkiens philologisches Spezialgebiet waren die altnordischen Literaturen.38 Wesentliche Motive, Handlungselemente und Themen übernahm er von den altnordischen Mythen und integrierte sie in die Geschichte von Mittelerde. Was er übernommen hat und wie sich der Wert des Übernommenen ändert, ist ein Bestandteil der Untersuchung in dieser Arbeit. Tolkien war fasziniert von der „middeangeard“ des Beowulf und von der düsteren, tragischen Welt, wie sie in der „Völuspá“, einem bedeutsamen Lied aus der Lieder-Edda, beschrieben wird; es ist also durchaus berechtigt, wenn das Silmarillion mit Texten altnordischer Mythologie in Beziehung gesetzt wird, um so etwas über die Funktionen desselben zu erfahren.

2.2.1.1. Tolkien’sche Werke

Was ist Mittelerde (Middle-earth)? So heißt der größte Kontinent einer Welt namens Arda.39 Der Autor stellte immer wieder klar, dass diese Welt kein anderer Planet sei, sondern die Stätte der Menschen, das Land der Sterblichen, vor langer Zeit.40 Dieses Land bezieht sich auf das „nordische Midgard und die gleichbedeutenden Wörter im Frühenglischen“.41 Zwar kann man von Mittel- erde zu unserer Welt Parallelen ziehen und Ähnlichkeiten (zeitlicher und/oder räumlicher Natur) feststellen, doch sollte man sich stets vor Augen führen, dass Mittelerde imaginativ und literarisch ist; Einhaus (1986) betont „die den Hete- rokosmos kennzeichnende raum-zeitliche Abgehobenheit.“42 Tolkien erdachte eine fiktive, voraltertümliche, sechstausend Jahre umfassende Historie für diese heterokosmische Welt.43 Diese gliedert er in vier Zeitalter. Mit diesem Einfall entwickelt Tolkien ein Geschichtsmodell, welches sich als ein zyklisches erweist, in dem dessen Ereignisse regelmäßig wiederkehren.44 Dem muss man nicht zustimmen, wie gezeigt werden wird.

Kommen wir also zu den Tolkien’schen Werken im Einzelnen. Obwohl er seine Mittelerde-Geschichten gerne als ein großes Gesamtwerk betrachtete, „als eine einzige lange Saga von den Edelsteinen und den Ringen“45, und es wünschte, dass sie gemeinsam veröffentlicht würden, so wurden sie dennoch getrennt voneinander publiziert.

Das Silmarillion ist eine Sammlung von Geschichten aus dem Ersten und Zweiten Zeitalter von Arda: Die beiden ersten Geschichten - „Ainulindale“ und „Valaquenta“ - handeln von der Erschaffung der Welt durch Eru, den Einen, und den Ainur, welche ebenfalls von ihm erschaffen wurden. Die „Quenta Silmarillion“ ist die Geschichte von den drei Edelsteinen, den Silmaril; hier wird von der ‘Besiedelung’ Ardas durch die göttlichen Valar berichtet, von der Entstehung des Bösen und der Ankunft der Elben, der Zwerge und der Menschen. Es wird erzählt von Helden, die sich gegen das Böse zu behaupten versuchen: von Feanor, von Beren und von Túrin; und die drei Edelsteine sind tief in den Geschichten verankert. Die Erzählung „Akallabêth“ handelt im Zweiten Zeitalter: Die Númenórer (Menschen) stellen sich gegen Elben und Valar; Saurons Ränke haben daran einen Anteil. Der letzte Abschnitt des Silmarillions mutet wie ein Bericht an; er behandelt kurz und knapp von den Ereignissen des Dritten Zeitalters, wie sie umfassend im Herrn der Ringe erzählt werden. Wir können annehmen, dass dieser Abschnitt nach dem Verfassen des Letztgenannten geschrieben wurde, um die Werke miteinander zu verbinden.46 In den Nachrichten aus Mittelerde gibt es eine rund siebzig Seiten längere Version der Túrin-Geschichte; außerdem werden Verhältnisse des Zweiten und Dritten Zeitalters näher beschrieben bzw. erweitert.

Wie Feanor an den Silmaril, die er geschaffen hatte, hing, so war Tolkiens Leben mit den Geschichten verbunden, die schließlich, nach seinem Tode, im Jahre 1977, unter dem Titel Das Silmarillion von seinem Sohn Christopher Tolkien veröffentlicht wurden. Ursprünglich hatte J. R. R. T. vorgehabt, weil er sich wünschte, die Engländer besäßen mehr mythologische Erzählungen - etwa solche wie das finnische Kalevala47 -, eine Mythologie für England zu verfassen:48

„Es gab aber eine Zeit (seither bin ich längst kleinlauter geworden), da hatte ich vor, eine Sammlung von mehr oder weniger zusammenhängenden Sagen zu schaffen, die von den großen, kosmogonischen bis hin zum romantischen Märchen reichen sollten - die größeren auf den kleineren aufruhend, den Bo- den berührend, die kleineren um den Glanz des weiten Hintergrundes berei chert -, ein Werk, das ich einfach meinem Lande, England, widmen könnte.“49

Wir können ersehen, dass dieses ehrgeizige Ziel in dem von Christopher Tolkien im Jahre 1983 veröffentlichten zweibändigen Werk Das Buch der verschollenen Geschichten (engl. Originaltitel: The Book of Lost Tales) noch verfolgt wurde; allein der Titel einer Geschichte - „Ælfwine aus England“ - zeigt auf, dass eine Verbindung Englands mit der Tolkien’schen Mythologie gesucht wurde.50 Er begann in den Jahren 1916/17 mit der Niederschrift der Verschollenen Geschichten; das Silmarillion nun stellt eine grundlegende Umgestaltung der früheren Fassung, also jener Geschichten der frühen Jahre, dar.51 All das, was Das Silmarillion beinhaltet, findet sich - in mehr oder weniger andersartiger Form - in den Verschollenen Geschichten. Im Silmarillion ist keine Spur mehr von der zwischen Realität und Literatur vermittelnden Ælfwine-Geschichte. Zwar beansprucht der Text somit nicht mehr, eine Mythologie für England zu sein, aber dafür erweist es sich als die Schilderung einer sagenhaften (im wörtlichen Sinne) Zeit Mittelerdes:

„Im Herrn der Ringe waren die großen Ereignisse zu Ende des Dritten Zeitalters berichtet worden; die Geschichten des Silmarillion aber sind Legenden, die aus einer viel früheren Vergangenheit stammen, aus der Zeit, als Morgoth, der erste Dunkle Herrscher, in Mittelerde hauste und die Hochelben Krieg gegen ihn führten, um die Silmaril zurückzugewinnen.“52

Da das Silmarillion nach Tolkiens Tod editiert wurde, liegt keine völlige intratextuelle sowie intertextuelle Kongruenz vor.53 (Im Folgenden sprechen wir von den silmarillischen Geschichten, wenn wir Das Silmarillion, Nachrichten aus Mittelerde und Das Buch der verschollenen Geschichten 1 und 2 meinen.) Dennoch wird hier, im Rahmen der vorliegenden Arbeit, das Silmarillion als Einheit, als Essenz der silmarillischen Geschichten betrachtet - so verfährt auch Christopher Tolkien.54

Der kleine Hobbit ist ein Kinderbuch, das, wie Tolkien beim Schreiben desselben entdeckte, zur Welt Ardas, nach Mittelerde, gehörte:

„Doch allmählich begannen manche Elemente aus seiner Mythologie sich einzuschleichen. Unvermeidlich stifteten die Zwerge eine Verbindung, denn sie kamen auch in dem früheren Werk vor; und wenn der Zauberer im ersten Kapitel den ‘Nekromanten’ erwähnt, so war das ein Hinweis auf die Legende von Beren und Lúthien.“55

Bilbo, der Hobbit, wird vom Zauberer Gandalf und einer Gruppe von Zwergen dazu gebracht, mit ihnen zu gehen, um einen Schatz von einem Drachen zurückzugewinnen. Im Laufe dieses Abenteuers findet er einen Ring. Tolkien schreibt:

„Mr. Baggins [also Der kleine Hobbit] begann als eine komische Erzählung unter herkömmlichen, aber nicht ganz stimmigen Grimmschen Märchen- zwergen, und dann wurde er am Rande da hineingezogen - so daß sogar Sauron der Schreckliche über den Rand lugte. Und was können Hobbits mehr tun?“56

Was Hobbits noch tun können, entdeckte er im Herrn der Ringe.

Dort stellt sich heraus (auch für Tolkien, während er die ersten Kapitel dieses Werkes schrieb57 ), dass jener Ring, den Bilbo gefunden hatte, der Eine Ring der Macht ist. Neun Gefährten - Gandalf und Frodo, der Ringträger, nebst drei Hobbits, zwei Menschen, einem Zwerg und einem Elben - brechen auf, den Ring zu vernichten; und dies ist nur im Orodruin, dem Schicksalsberg inmitten des Landes Mordor, möglich. Die Gemeinschaft wird getrennt, und so verläuft der Fortgang der Handlung auf verschiedenen Ebenen, die immer wieder geschickt miteinander verknüpft werden. Erzählt wird von Schlachten gegen Saruman und Sauron sowie vom Fortkommen von Frodo und Sam auf dem Weg zum Schicksalsberg.58 In diesen beiden ‘Hobbit-Texten’ gibt es zahlreiche Verweise auf die alten (silmarillischen) Geschichten von Mittelerde bzw. Arda, worauf später - im 5. Kapitel - eingegangen wird.

Es existieren zwei deutsche Herr der Ringe-Übersetzungen: eine von Margaret Carroux und die andere von Wolfgang Krege. Ich ziehe die Carroux- Übersetzung der von Krege vor. Jene ältere Version ist in Zusammenarbeit mit Tolkien entstanden; die neue Übersetzung von Krege hat im Jahr 2000 die Carroux-Version abgelöst.59 Die deutsche Leserschaft des Herrn der Ringe ist deshalb in zwei Lager gespalten. Man hat mit der Neuübersetzung das Ziel verfolgt, die Rezeption des Textes für heranwachsende Leser zu erleichtern.60 Doch kann man sich fragen, ob dies überhaupt erwünscht war und ob dem Text damit etwas genommen wurde, was er lieber hätte behalten sollen. Das beliebteste Beispiel für diese Übersetzungskontroverse ist die Anrede von Sam gegenüber Frodo: Bei Carroux ist es „Herr“, bei Krege „Chef“. Freilich ist das nicht die einzige Änderung, die Krege vorgenommen hat - hier einige Beispiele:

Tolkien:

1. „>‘Have you seen Baggins?’“ he asked in a queer voice, and bent down to- wards me.<“61
2. „‘Then he spurred his great horse right at me, and I jumped out of the way only just in time.’“62
3. „‘Where are you, you woolly-footed slowcoach?’“63 Darstellung
4. „‘Here is a nice little parlour!’ he said.“64
5. „‘These are evil tidings,’ said Celeborn, ‘the most evil that have been spoken here in long years full of grievous deeds.’“65
6. „‘Well, have a care!’ said Boromir. ‘I do not feel too sure of this Elvish Lady and her purposes.’“66
7. „‘You are wise and fearless and fair, Lady Galadriel,’ said Frodo. ‘I will give you the One Ring, if you ask for it. It is too great a matter for me.’“67

Carroux:

1. „>‘Habt Ihr Beutlin gesehen?’ fragte er mit seltsamer Stimme und beugte sich zu mir herunter [...]<“68
2. „‘Dann gab er seinem großen Pferd die Sporen und ritt direkt auf mich zu, und ich sprang gerade noch rechtzeitig beiseite.’“69
3. „‘Wo steckst du denn, du wollfüßiges Faultier!’“70
4. „‘Hier ist eine nette kleine Gaststube’, sagte er.“71
5. „‘Das sind schlimme Nachrichten’, sagte Celeborn, ‘die schlimmsten, die hier in langen Jahren voller furchtbarer Taten verkündet worden sind.’“72
6. „‘Na, sei vorsichtig!’ sagte Boromir. ‘Ich bin nicht so sehr überzeugt von die- ser Elben-Herrin und ihren Absichten.’“73
7. „‘Ihr seid weise und furchtlos und schön, Frau Galadriel’, sagte Frodo. ‘Ich will Euch den Einen Ring geben, wenn Ihr ihn verlangt. Er ist eine zu gewichtige Sache für mich.’“74

Krege:

1. „>‘Hast du gesehn Beutlin?’ fragt er mich mit so einer ganz komischen Stimme und beugt sich zu mir runter.<“75
2. „‘Dann hat er seinem großen Gaul die Sporen gegeben, direkt auf mich los; gerade noch konnte ich zur Seite springen.’“76
3. „‘Wo steckst du, Nob, du flaumfüßiger Penner?’“77
4. „‘Hier haben wir ein nettes kleines Klubzimmer’, sagte er.“78
5. „‘Dies ist schlimme Post’, sagte Celeborn, ‘die schlimmste, die wir hier in den langen Jahren voller Schreckenstaten vernommen haben.’“79
6. „‘Na, nimm dich in Acht!’ sagte Boromir. ‘Dieser Elbendame und ihren Absichten trau’ ich nicht so ganz.’“80
7. „‘Klug bist du, Frau Galadriel, schön und furchtlos’, sagte Frodo. ‘Ich gebe dir den Einen Ring, wenn du mich darum bittest. Mir ist er zu schwer.’“81

Darstellung

Bei den unterstrichenen Stellen ergeben sich die größten stilistischen Unter- schiede zwischen den beiden Übersetzungen - allgemein ist zu sagen, dass Carroux sowohl stilistisch als auch inhaltlich näher am englischen Original bleibt. Und einmal davon abgesehen sind die Modifikationen von Krege nicht sonderlich ästhetisch; vielmehr sind sie der Gesamtwirkung des Textes, wie sie Tolkien beabsichtigte, höchst abträglich. Der archaische Sprachstil gehört zum Herrn der Ringe (und ist noch bedeutsamer für das Silmarillion), denn er ge- hört zur Illusion des Alten:

„Tolkien used word-play in promoting the idea that The Lord of the Rings describes an age dimly remembered in historical vocabularies. This helps to arouse the reader’s interest when words from historical contexts are used. For example, he used the Old English words ent and orc [...]“82

Tolkien selbst verteidigt sein stilistisches Vorgehen in einem Aufsatz über das altenglische Gedicht Beowulf:

„Dergleichen - den Aufbau einer poetischen Sprache aus archaischen, mundartlichen oder in einer Sonderbedeutung gebrauchten Wörtern und Formen - mag man bedauern oder mißbilligen. Aber es hat nichtsdestoweniger auch etwas für sich: Die Entwicklung einer Sprachform, deren Bedeutungen vertraut, aber von trivialen Assoziationen entlastet und voller Erinnerungen an Gut und Böse geblieben sind, ist ein Gewinn; und wer eine solche Tradition besitzt, ist reicher als andere, die nichts davon haben.“83

Wird der Sprachstil Tolkiens unbedarft geändert und den vermeintlichen Rezeptionsbedürfnissen einer neuen Generation angepasst, so wirkt sich dies negativ auf die ästhetische und inhaltliche Gesamtwirkung und -aussage des Werkes aus. Ein weiterer bedeutsamer Grund, der für die Carroux-Übersetzung spricht, ist, dass der Sprachstil des Silmarillions mit dem des Herrn der Ringe besser zusammen passt - dabei bin ich mir der ironischen Tatsache bewusst, dass die deutsche Silmarillion-Übersetzung von Krege stammt. Diese Ausführungen mögen genügen, um zu begründen, warum die Carroux- Übersetzung (des Herrn der Ringe) für diese Untersuchung herangezogen wird.

2.2.1.2. Altnordische Mythen

„Brunhild. (...)

Jetzt herrscht das Kreuz und Thor und Odin sitzen Als Teufel in der Hölle.

Frigga. Fürchest du

Sie darum weniger? Sie können uns

Noch immer fluchen, wenn auch nicht mehr segnen“.84 (Hebbel: Die Nibelungen)

Wir werden drei Texte der altnordischen bzw. germanischen Mythologie, die Lieder-Edda, die Prosa-Edda und das Nibelungenlied, zur Ermittlung der - womöglich altnordisch-mythologischen - intratextuellen Funktionsweise des Silmarillions heranziehen. (Der Terminus „altnordisch“ bezeichnet „die volkssprachige Literatur der nordgermanischen Länder von etwa 800 bis 1500“,85 entspricht also einem Zeitraum, der in der deutschen Sprachgeschichte fast drei Epochen - Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch und Frühneuhochdeutsch - umfasst.)

Die Prosa-Edda (auch Snorra Edda oder Jüngere Edda) ist ein Skaldenlehr- buch des isländischen Gelehrten Snorri Sturluson (1178/79-1241) - Skalden waren die altnordischen Dichter. Um 1220 verfasste er seine Poetik,86 mit der Absicht, den Skalden der neuen Generation ein Wissen über die alten mythi- schen Stoffe zu vermitteln und ihnen so eine wichtige Voraussetzung für das Verstehen und Erfinden von skaldischen Kenningen - eine Art von Umschrei- bungen, die mindestens zwei Wörter enthalten - zu geben.87 Im Prolog der Prosa-Edda sowie auch an weiteren Stellen des Textes werden die altnor- dischen Mythen in einen christlichen Zusammenhang eingebettet: Die Asen kommen aus Troja; darüber hinaus werden sie als Menschen mit besonderen Fähigkeiten dargestellt, nicht als Götter - Snorri hat also die Absicht, „den Norden mit seiner Kultur, seiner Sprache, seiner vorchristlichen Religion mit dem christlich-gelehrten Abendland zu verbinden.“88 Hauptsächlich das Kapi- tel „Gylfis Täuschung“ beinhaltet Mythisches, aber auch „Die Sprache der Dichtkunst“. (In „Gylfis Täuschung“ existiert ein ähnlicher Erzählrahmen wie in den Verschollenen Geschichten: Der König Gylfi, der sich Gangleri nennt, kommt zu den Asen, welche ihm berichten von der Erschaffung der Welt und von den Taten der Götter. Tolkien: Eriol, ein Sohn Earendils, gelangt nach Tol Eressea, und die Elben dort erzählen ihm von der Musik der Ainur usw.)89

Sturluson zitierte in seiner Edda zahlreiche Strophen aus Götterliedern, woraus geschlossen wurde, dass er eine größere Sammlung solcher Götterlieder zur Verfügung gehabt haben musste. 1643 glaubte man, selbige gefunden zu haben und schrieb sie dem Priester Sæmundr Sigfússon zu. Bis man diese Annahme als irrig verwarf, wurde diese Handschrift als Sæmundar Edda bezeichnet; danach nannte man sie Lieder-Edda(auch Ältere Edda).90 Bedeutsame Götterlieder heißen z.B. „Der Seherin Gesicht (Völuspá)“, „Das Wafthrudnirlied (Vafþrúðnismál)“, „Das Grimnirlied (Grímnismál)“, „Das Thrymlied (Þrymskviða)“ und „Balders Träume (Baldrs draumar)“; Heldenlie- der erzählen von Sigurd, von Starkad, von Hildibrand und von andern; weitere Lieder thematisieren Sitten und Moral, z.B. „Das alte Sittengedicht (Hávamál)“ oder „Die Heidreksrätsel (Heiðreks gátur)“. Es geht um die Taten der Götter, beispielsweise die Erschaffung der Welt oder um Thors Ostfahrten, auf denen er stets Riesen mit seinem Hammer Mjöllnir tötet, es geht um Helden, die in Walhall warten, bis das Ende der Welt anbricht. Mir liegen jene Lieder in der deutschen Übersetzung von F. Genzmer vor; selbige bleibt nahe am Original und ist im Stande, „etwas von Geist und Atmosphäre der altnordischen Vorlagen lebendig werden zu lassen.“91 Eine Strophe aus der „Kürzesten Seherinnenrede“ zeigt uns dieses altnordische, düstere ‘Flair’:

„Es steigt zum Himmel

im Sturm das Meer, es stürzt aufs Land, die Luft verdorrt;

Schneesturm kommt dann und scharfer Wind:

dann ist das Ende

den Asen gesetzt.“92

Obwohl einige der Edda-Lieder im 9. Jahrhundert entstanden, sind die meisten - wie die Snorra Edda - doch „als Schöpfungen des Hochmittelalters [zu] betrachten“.93 Dennoch: Bei Sturlusons Poetik ist lediglich der Rahmen ein christlicher, und die Lieder-Edda besitzt „nur wenige Spuren christlicher und abendländisch-mittelalterlicher Denkart und Gesittung“.94 Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass Island bzw. seine Gelehrten sich einen großen Teil der altnordisch-heidnischen Dinge bewahrt hatten - auch nach ca. zweihundert Jahren Christentum. So können die Lieder-Edda und auch die Prosa-Edda als Denkmäler der altnordischen bzw. germanischen Kultur betrachtet werden.95

Das Nibelungenlied (mhd. Der Nibelunge Nôt) ist ein Heldenepos in Strophen und wurde von einem uns unbekannten Verfasser um 1200 geschrieben. Es beinhaltet mehr als 2000 Nibelungenstrophen, die 39 Aventiuren bilden. Das Epos gliedert sich in zwei ähnlich große Teile: Der erste schildert Siegfrieds Werbung um Kriemhild, die Heirat der beiden und seine Ermordung durch Hagen; der zweite kündet von Kriemhilds Rache, die schließlich zum Unter- gang der Nibelungen führt.96 Auch einige Lieder der Edda beschreiben Inhalte des Nibelungenliedes, doch da diese hinsichtlich ihrer Datierung differieren und es unter ihnen zudem keine Handlungskongruenz gibt,97 habe ich mich entschlossen, statt der diesbezüglichen Edda-Lieder das Nibelungenlied für die Untersuchung zu nutzen, um einen einheitlichen Text zu haben; die Vorge- schichte aber - Siegfrieds Heldentat, die Tötung des Drachen - wird ausführli- cher in der Lieder- als auch in der Prosa-Edda erzählt. - Wir wissen, dass J. R.

R. Tolkien all diese altnordischen Texte gekannt hat: „Er las die Sagas und die Jüngere Edda oder Prosa-Edda. Er las auch die Ältere oder Lieder-Edda, und so geriet er an die alte Schatzkammer der isländischen Mythen und Sagen.“98 Shippey (2002) sieht seitens der Prosa-Edda einen großen Einfluss für das Silmarillion: „Wenn Tolkien darüber hinaus für Das Silmarillion ein litera-risches Vorbild hatte, so kann es nur Snorri Sturlusons Prosa-Edda gewesen sein“.99

2.2.2. Zum Forschungsstand

Nahezu alle sekundärliterarischen (bedeutsamen) Werke beschäftigen sich mit dem Gesamtwerk Tolkiens, wobei Der Herr der Ringe schwerpunktmäßig behandelt wird. In Carpenters autorisierter Tolkien-Biografie (1977) ist die Entstehungsgeschichte der Werke Tolkiens mit eingebunden. Shippey betont in seinen Büchern The road to Middle-earth (1982) und J. R. R. Tolkien - Autor des Jahrhunderts (2000) die Rolle der Philologie bei der Entstehung der Mittelerde-Erzählungen und versucht in seinem neueren Buch zu begründen, warum Tolkien einer der wichtigsten Autoren des Jahrhunderts genannt werden kann. Carter (1969) referiert die literarische Tradition, in die sich Tolkien mit seinen Werken einfügt. Noel (1977) leitet in ihrer Mythology of Middle-earth die bedeutsamsten Quellen her. Helms interpretiert den Hobbit und den Herrn der Ringe in Tolkiens Welt (1974) ohne Kenntnis des Silmarillions; in Tolkien und die Silmarille (1981) holt er eine Interpretation des Silmarillions in erhellender Weise nach.

Fonstad (1991) hat mit ihrem Historischen Atlas von Mittelerde ein Standardwerk der Sekundärliteratur zu Tolkien geschaffen. Petzold (1980) beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Tolkiens Werk (bzw. Fantasy- Literatur im Allgemeinen) als Wunscherfüllung zu betrachten ist. In den beiden Sammelbänden von Pesch - J. R. R. Tolkien - der Mythenschöpfer (1984) und Das Licht von Mittelerde (1994) - werden verschiedene Aspekte des Tolkien’schen Werkes untersucht, beispielsweise Tolkiens linguistische Ästhetik (Pesch, 1994) oder eine Erörertung (Kreeft, 1984) über das Silmarillion. Gloge (2002) versucht den Weg bis hin zur Fantasy-Literatur nachzuzeichnen, angefangen bei Tolkien. Zahnweh (1989) stellt in ihrem Buch Heldenfiguren bei Tolkien eine Hierarchie des Heldentums auf, betreffend das Silmarillion und den Herrn der Ringe. Purtill (1984) ermittelt Elemente des Moralischen und Religiösen bei Tolkien. In einem von Clark und Timmons (2000) herausgegebenen Sammelband werden zahlreiche Aspekte des Tolkien’schen Werkes untersucht, z.B. Heldentum, Tolkiens Erzählstil oder das Motiv des Drachentötens. Einhaus (1986) beschreibt den Heterokosmos von Mittelerde und untersucht die raum-zeitlichen Relationen des Herrn der Ringe. Hammond und Scull (1995) schließlich richten den Blick auf Tolkien, den Künstler, und bringen seine Bilder und Illustrationen mit seinen Werken in Verbindung und gehen so einen anderen Weg der Interpretation.100

Weitere Sekundärliteratur thematisiert ähnliche Inhalte. Die meisten der genannten Autoren bzw. Werke beschäftigen sich mehr oder weniger ausführ-lich mit den Quellen, die Tolkien zur Verfügung standen. In vertiefender Weise tun dies Noel, Helms, Purtill und Zahnweh, wobei sie sich - wie andere - nicht nur mit dem Nennen von Ähnlichkeiten begnügen, sondern auch mit der Frage, inwieweit der Tolkien’sche Text zu einer Umwertung des Quelleninhaltes führt. In Bezug auf das Silmarillion gilt dies für seine im Zentrum stehenden Geschichten - sicherlich wird im Hinblick auf altnordische Elemente noch mehr zu entdecken sein. Der erste Teil der vorliegenden Untersuchung knüpft in der Weise an die Genannten (Noel, Helms, Purtill und Zahnweh) und andere Autoren an, als er versucht, die differierenden Wertigkeiten von bereits thema- tisierten altnordischen Elementen in den zu Grunde liegenden Texten aufzu- zeigen und darüber hinaus weitere solcher Elemente zu ermitteln. Weiterhin ist zur Sekundärliteratur zu bemerken, dass alle Autoren Tolkiens Abneigung bezüglich der Allegorie kennen; einige von ihnen verfallen jedoch im Verlauf ihrer Untersuchungen auf die Methode, allegorisch zu interpretieren, z.B. Shippey (2000).101 Im Gegensatz dazu werden wir das Silmarillion und die anderen Texte systemisch lesen.102

2.3. Mythentheorie

„Prometheus

Von Prometheus berichten vier Sagen: Nach der ersten wurde er, weil er die Götter an die Menschen verraten hatte, am Kaukasus festgeschmiedet, und die Götter schickten Adler, die von seiner immer wachsenden Leber fraßen.

Nach der zweiten drückte sich Prometheus im Schmerz vor den zuhackenden Schnäbeln immer tiefer in den Felsen, bis er mit ihm eins wurde.

Nach der dritten wurde in den Jahrtausenden sein Verrat vergessen, die Götter vergaßen, die Adler, er selbst.

Nach der vierten wurde man des grundlos Gewordenen müde. Die Götter wurden müde, die Adler wurden müde, die Wunde schloß sich müde.

Blieb das unerklärliche Felsgebirge. - Die Sage versucht das Unerklärliche zu erklären. Da sie aus einem Wahrheitsgrund kommt, muß sie wieder im Unerklärlichen enden.“103

(Kafka: Prometheus)

Nun werden wir uns kurz mit dem Begriff Mythos auseinandersetzen. Hierbei sind besonders zwei Fragen wichtig: Welche Funktionen hat der Mythos? Und: Wie hängen Mythos und Literatur zusammen?

2.3.1. Zur Mythosforschung

Mit Beginn des philosophischen Denkens (im 5. Jh. v. u. Z.) wird der Mythos dem Logos gegenüber gestellt; ersterer wird fortan betrachtet als unwahre Erzählung, die es zu widerlegen gilt - Platon betrachtet Mythen „als ‘lügen- haft’ und ‘kindlich’“.104 Mythen werden allegorisch interpretiert, was die erfolgreichste Interpretationsweise ist. Eine andere ist es, den potentiellen wahren Kern eines Mythos zu identifizieren; auch die Reduktion von Götter- erzählungen auf Menschengeschichten (Euhemerismus) ist eine Art der Mythosinterpretation.105 Bis in die Gegenwart halten sich diese Herangehens- weisen.

Für das aufstrebende Christentum stellt der Mythos zunächst etwas dar, was es zu bekämpfen gilt, dann - nach dem Sieg des Christentums - stellt sich Liberalität gegenüber dem Mythos ein.106 Im Mittelalter sind Mythen Bildungsgut für Gelehrte; zudem bleiben allegorische und euhemeristische Deutungsverfahren bestehen, was zeigt, dass ein Mythos weiterhin als „‘erdichtete Märe’“107 betrachtet wird, aus welcher man eine eventuelle Wahrheit erst extrahieren müsse. Auch in der Epoche der Aufklärung werden Mythen ähnlich betrachtet wie in der Antike: Für den aufklärerischen Rationalismus „ist der Mythos ein Produkt der Einbildung und gehört einer niederen Stufe des geistigen Lebens an.“108 Er muss überwunden werden durch die Vernunft, da Mythen einer „kindlich-wilde[n] Entwicklungsstufe der Menschheit“109 angehören.

Der Mythos wird in der Romantik neu bewertet; er ist der aufklärerischen Kritik entzogen, wenn er als „‘Kunstwerk der Natur’“,110 als Grundlage der Kunst und als „Organ des religiösen Bewusstseins par excellence“111 betrachtet wird. Wie unter 2.1. bereits angesprochen, spielt der Mythos bei der angestrebten Veränderung der Gesellschaft eine Rolle:

„Das Interesse der Romantik an der Mythologie war nicht ein bloß historisches, sondern stand im Kontext der Suche nach einer ‘neuen Mythologie’[...], die der poetisch-ästhetischen Persönlichkeit wie der analog konzipierten Gesellschaft zu einer neuen ‘Originalität’ und ‘Spontaneität’ in Freiheit verhelfen und diese antizipierend ausdrücken sollte.“112

Die romantische Betrachtung des Mythos wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgegeben:

„Aus einem Programmwort der Romantik bei der Suche nach der Urweisheit wird ein Gegenstand nüchterner Forschung, die im Bewußtsein von Evolution und Fortschritt M. nur in den rohen Anfängen der Menschheitsgeschichte vermutet“.113

Mythen sind in dieser Zeit Reaktionen primitiver Naturvölker auf ihre natürliche Umgebung; und Müller sieht im Mythos eine Krankheit der Sprache.114 Im 20. Jahrhundert existiert ein pluralistisches Nebeneinander von Ansichten über den Mythos. Für Eliade ist der Mythos die Schilderung von zeitlosen Dingen, die den Menschen in eine „‘>ewige Gegenwart< der mythischen Zeit’“115 versetzt. Im Zusammenhang mit der Freud’schen Psychoanalyse sind Mythen lediglich Äußerungen des menschlichen Trieblebens.116 Jungs Archetypenlehre hat große Wirkung, beispielsweise auch auf Eliade und Campbell - Archetypen stellen Mythen bildende Strukturelemente dar. Lévi-Strauss sieht im Mythos Strukturen und Sinnelemente, die sich von der Sprache abheben; Mythen sind Versuche, „jene die Gesellschaft bedrängenden Widersprüche [...] theoretisch zu bewältigen“.117 Nestle rekurriert auf die Mythos-Logos-Differenzierung der Antike und bedient sich der Aufklärungsmetaphorik, wenn er sagt, dass der Weg vom Mythos zum Logos gleichsam ein Weg „aus der Unmündigkeit zur Mündigkeit des Geistes“118 sei. Otto dagegen gibt dem Mythos den Vorzug; dieser bzw. seine Sprache bezeichnet ein Ding nicht, sondern ist es.

Im Rahmen eines Skeptizismus gegenüber der Technik und zuweilen der gesamten Moderne finden Ottos Ausführungen Zustimmung.119 Kerényi spricht dem Mythos die Fähigkeit zu, Begründungen und Erklärungen zu liefern; und seine Sprache sei durch keine andere zu ersetzen.120 Nach dem Zweiten Welt- krieg werden Mythos und Aufklärung hinsichtlich ihres Gefahrenpotentials von der Frankfurter Schule nahezu gleichgesetzt.121 Eine Entmythologisierungs- debatte etabliert sich, in welcher über die Bedeutsamkeit des Mythos diskutiert wird.122 Hübner weist Mythos und Wissenschaft den gleichen Rang zu und meint, dass das eine das andere nicht widerlegen könne; der Mythos beruhe auf widerspruchsfreien Denkgesetzen.123 Meier schließlich bezieht sich auf Gebsers Unterscheidung zwischen mythischem und mentalem Bewusstsein und gibt beiden Bewusstseinsarten eine gleich bedeutsame Rolle bei der Entwick- lung der Menschheit.124 Der Mythos wird also nicht mehr als Geschichte voller Lügen, die es mittels der Vernunft zu überwinden gilt, betrachtet, sondern als Bestandteil des menschlichen Bewusstseins, dessen Erkenntniswert noch immer bedeutsam ist. Wir werden uns mit den Ausführungen von Autoren näher beschäftigen, die den Mythos in dieser Weise betrachten: Jung, Eliade, Kerényi und Lévi-Strauss.

2.3.2. Begriffsbestimmung

Versuchen wir nun, uns über einen Mythos-Begriff für diese Arbeit klar zu werden. In einem Band zu Mittelalter-Mythen stoßen wir auf folgende Defini- tion:

„Mythen [...] sind überlieferte oder neu aktualisierte Konkretisationen von Gestalten, Geschehen, Gegenständen und Gegenden, die erzählerisch - gewissermaßen modellhaft - ein Konzept bereitstellen für das Verhältnis des Menschen zu seinen Erfahrungen und zur Welt.“125

Der Ursprung des Mythos liegt im Erfahren einer ungleich mächtigeren Natur:

„Die hauptsächlichste Wurzel der meisten Mythen, auch des germanischen Mythos, ist das Naturerlebnis, und zwar schon im Umkreis des Alltages. Was entscheidend wird für Sein oder Nichtsein, ist sicherlich ein großer Macht- träger.“126

Das Entstehen der mythischen Götter liegt im Naturerleben, wie auch Kerényi (1996) konstatiert; wirkliche Götter beziehen sich auf die real existierende Umwelt des Menschen: „Der antike Mensch fand in der Welt Grund genug, um seine Götter real zu empfinden. Ebenso war es sein Leben, das die Neigung hatte, in die Gebilde seiner Mythologie einzugehen und sie zu verwirk- lichen.“127 Im Hinblick auf das Altnordische untersucht Hansen (1993) die ätiologische Bedeutung der besonderen Landschaft Islands und macht in der aktiven Vulkanzone des Landes zahlreiche Schauplätze der altnordischen Mythen ausfindig, denn dort „war ein Reich der Phantasie und doch eine reale Welt germanischer Kultstätten, ein Wunderland, das es wirklich gab und heute noch gibt, das aber erst entdeckt werden mußte.“128

Mythen werden in erzählerischer Form präsentiert, sind also Sprache, und sie unterscheiden sich von verwandten Genres:

„Der Begriff der ‘Mythus’ ist noch umstrittener und unklarer als der des Märchens. [...] In Sagen, Legenden, Märchen werden die Vorgänge auf den Menschen bezogen, in der Sage auf den vom Außerordentlichen Getroffenen, in der Legende auf den Träger des Sakralen, im Märchen auf die von Wundern getragene handelnde Figur. Im Mythus aber braucht vom Menschen nicht die Rede zu sein; die ihn kennzeichnenden Figuren sind namentlich Götter (die auch in Gestalt von Tieren oder Menschen, im Grenzfall als gott- ähnliche Heroen, erscheinen können). [...] Sagen, Legenden und Märchen blicken vom Irdischen aus auf das Jenseitige, der Mythus liebt es, seinen Standpunkt von Anfang an im ganz Anderen zu wählen; er hebt so das Geschehen aus dem Irdischen und aus der Zeitlichkeit heraus.“129

Das Göttliche, das Überirdische und das Überzeitliche (bzw. Zeitlose) sind bedeutsame Merkmale des Mythos, welche in dieser spezifischen Form und Kombination nicht so in den anderen Genres zu finden sind. So erschaffen die Asen-Götter des altnordischen Mythos am Anfang der Zeit die Welt; in den Sagen um Siegfried stehen Menschen zumeist im Mittelpunkt, und im Märchen haben sie, wie z.B. Jorinde und Joringel oder Hänsel und Gretel, eine zentrale Rolle.

Wie stehen Religion und Mythos zueinander? Nach Fries (1963) ist ein wesentliches Kennzeichen von Religion die Hervorbringung von Ethik, Gemeinschaft und Räumen, in welchen diese Gemeinschaft zusammenkommen kann: Tempel bzw. Kirchen.130 Mythen sind in die alten Religionen einge- bunden; sie gelten als Dokumente einer mytischen Zeit, und die Menschen sind betrebt, mittels der Mythen in diese Zeit zu gelangen bzw. eine religiöse Erfah- rung zu machen.131 Insofern existiert eine Unterscheidbarkeit zwischen der Bibel und Liedern der Edda einzig auf der Grundlage der Anbindung an eine Religion: Die Bibel gilt nicht als Mythos (oder als Sammlung von Mythen), weil sie an eine Religion gebunden ist. Die Lieder der Edda - wie die Bibel von Göttern resp. Gott und einer Urzeit handelnd -, sind nicht mehr an eine (germanische) Religion gebunden, weil selbige nicht mehr existiert, und so gelten sie als Mythen. Der Unterschied zwischen Bibel und Mythos ist also durch die Anbindung an den Glauben/an eine Religion determiniert.

Nach Schweikle (1990) stellen Mythen „Versuche früherer Kulturstufen [dar], Fragen des Ursprungs der Welt (kosmogon. M.), ihres Endes (eschatolog. M.), der Entstehung der Götter (theogon. M.), der Menschen (anthropogon. M.) und bestimmter Naturphänomene (aitiolog. M.) in Bildern, durch Personifikationen (Anthropomorphismus) oder mehr oder weniger ausgeschmückte Geschehnisfolgen zu erfassen. Der M. läßt sich auch als Versuch erklären, Moralisches, Existentielles oder Mystisches in Symbolen zu gestalten.“132

Ersichtlich wurde in diesem Abschnitt, dass es schwer fällt, den Begriff des Mythos zu bestimmen, ohne dabei zumindest in Ansätzen über seine Funktion zu reflektieren. Eine wichtige Aufgabe bzw. Funktion der Mythen - nämlich Weltdeutung oder Welterklärung - soll nun weiter erläutert werden.

2.3.3. Funktionen und Strukturen des Mythos

Die Funktion der W e l t d e u t u n g wird im Mythos anders erfüllt als im Logos: „Im Ggs. zur log. Erkenntnis bildet der M. keine Urteile, sondern will Realitäten darstellen, für die er keine rationalen Beweise zu erbringen braucht.“133 Diese Darstellung der Realität hat (nach Eliade) den Zweck, die Welt als wirklich, sinnvoll und heilig zu begreifen.134 Hierbei - so Kerényi - ist die Weltdeutung bzw. -erklärung lediglich eine sekundäre Funktion, denn zunächst ist der Mythos Selbstzweck:

„Die Mythologie erklärt sich selbst und alles in der Welt. Nicht weil sie zur ‘Erklärung’erfunden, sondern weil sie auch diese Eigenschaft besitzt, erklä- rend zu sein. Wie auch die Poesie oder die Musik manchmal die Welt selbst für den Geist viel durchsichtiger macht als eine wissenschaftliche Erklä- rung.“135

Die Welterklärung im Mythos hat folgende Merkmale: Zunächst ist alles aufeinander bezogen und miteinander in Beziehung gesetzt; mit Schlegel können wir sagen:

„Die Mythologie ist ein solches Kunstwerk der Natur. In ihrem Gewebe ist das Höchste wirklich gebildet; alles ist Beziehung und Verwandlung, ange- bildet und umgebildet, und dieses Anbilden und Umbilden eben ihr eigenthümliches Verfahren, ihr innres Leben, ihre Methode wenn ich so sagen darf.“136

Weiterhin ist das „Zurückgehen auf Ursprung und Urzeit [...] der Grundzug jeder Mythologie.“137 Mythen sind stark mit dem ‘dahinter’ liegenden Denken und einer entsprechenden Lebensweise verbunden. Das mythische Denken ist bestrebt, die Welt total zu erfassen und zu begreifen:

„Es bleibt insofern anders, als es bestrebt ist, auf kürzestem Wege zu einem allgemeinen Verständnis des Universums zu gelangen, und zwar nicht nur zu einem allgemeinen, sondern auch zu einem totalen. Das heißt, es handelt sich um eine Art des Denkens, die beinhaltet, daß man, solange man nicht alles versteht, nichts erklären kann.“138

Ein Mensch, der in solcher Weise denkt, lebt auf eine besondere Weise. Eliade (1987) differenziert zwei menschliche Lebensweisen; die des religiösen und die des areligiösen Menschen. Für den religiösen Menschen - homo religiosus - ist nahezu alles in der Welt mit Göttlichem bzw. Heiligem erfüllt: Raum und Zeit, alltägliche Handlungen, Dinge und Tiere.139 Alles ist gleichsam mit diesem heiligen Element ‘aufgeladen’. Im Mythos finden wir also eine totale Welterklärung vor, die sich darin äußert, dass sämtliche Elemente mit mythischer Bedeutung besetzt sind.

Nach Meier (1990) bestehen Mythen aus zahlreichen Symbolen: „Die Erkenntnis, daß der Mythos die Darstellung eines Symbols - oder einer Reihe von Symbolen - mit den Mitteln der Sprache ist, ist ein Schlüssel des Zugangs zum Mythos, mehr noch: sie ist der Schlüssel.“140 Der Symbol-Begriff wird „verwendet für ein bildhaftes Zeichen, das über sich hinaus auf höhere geist. Zusammenhänge weist, für die Veranschaulichung eines Begriffes, als sinnl. Zeugnis für Ideenhaftes.“141 Es steht im Gegensatz zur Allegorie, welche ratio- nal auflösbar und einschichtig ist - ein Symbol dagegen hat mehrdimensionale Bedeutung und spricht neben Sinn und Gefühl auch Unbewusstes an. Die Verknüpfung zwischen dem benennenden Symbol und dem Benannten ist offenkundig und nicht, wie bei der Allegorie, willkürlich.142 Symbole gründen auf Archetypen.143 Dieses ist ein (von Jung eingeführter) Begriff, der „für archaische Bildvorstellungen der Menschheit verwendet“144 wird, welche aus dem Unbewussten stammen.

Zur Anschauung wollen wir uns einem Archetypus zuwenden: dem des Helden. Die Merkmale einer archetypischen Heldengeschichte sind:

- Austritt aus dem Alltagsleben -
- Kampf -
- Eingehen in eine unbekannte Welt (Reich der Finsternis) -
- Prüfungen -
- Belohnung/Triumph -
- Erweiterung des Bewusstseins -
- Rückkehr -
- ‘Heilung’ der Welt mit einem Gut, das er bringt.145

Ist ein Charakter in einer Erzählung durch diese von Campbell (1973) genannten Merkmale gekennzeichnet, so können wir diesen als mythisch bezeichnen.

Halten wir fest: Mythen sind gekennzeichnet durch eine vollständige Erfassung (Erklärung) physikalischer bzw. natürlicher und moralischer Phänomene, welche mittels einer Aufladung dieser Phänomene mit mythischen Elementen - Göttern, magischen Eigenschaften, Werte des Guten und des Bösen usw. - geschieht. Diese Aufladung der Welt mit Mythischem (mit Eliade könnten wir auch sagen: mit Heiligem) ist das wichtigste Merkmal einer mythischen Welt- deutung.

2.3.4. Mythos und Literatur

Es ist notwendig, mit Bezug auf Kerényi (1996) zwischen „lebendiger“ und ‘lebloser’ Mythologie zu unterscheiden, wobei die Bezeichnung der ‘leblosen’Mythologie von mir stammt:

„Lebendige Mythologie wird gelebt, sie ist eine Ausdrucks-, Denk- und Lebensform - und dennoch ist sie stofflich. Sie ist keine bloße Form oder Art des Vorstellens. Mythologie setzt eine besondere mythologische Denkform oder ‘Weise des Bildens’, oder wie immer sie genannt werden will, wohl voraus, doch setzt sie sie nicht mehr oder nicht weniger voraus als die Poesie eine poetische, die Musik eine musikalische ‘Denkform’.“146

Mit ‘leblos’ möchte ich eine mythische Erzählung bezeichnen, die eben nicht mehr gelebt wird und keine besondere Denkform mehr darstellt. Diese Unter- scheidung bezieht sich auf das, was oben zur Bibel und zur Edda gesagt wurde: Die Bibel besitzt „lebendige“ mythische Elemente; die Edda‘leblose’. Dass dies so ist, wird von Kerényi mit dem Verhältnis, das wir zu diesen Texten einnehmen, erklärt:

„Es zeigt sich hier auf eine bemerkenswerte Weise, wo das Unter- scheidungsmoment zwischen Mythologie im weitesten Sinne (die auch die Heldensage umfaßt) und Märchen liegt: weder im Stoffe noch in der Form, sondern im Verhalten zu ihnen. Geht das Leben in den überlieferten Stoff mit völligem Einsatz seiner Selbst ein und tut es dies in großen zeremoniellen Formen: in Kult oder Krieg (denn auch dieser ist bei archaischen Völkern zeremoniell), so hat man mit Mythologie und Heldensage zu tun. Sind die großen Zeremonien zu einer kaum mehr so zu nennenden: zum Erzählen und Zuhören, zuletzt zum bloßen Lesen geworden, der Einsatz des Lebens zum genießerischen Sichvergessen, so steht ein Märchen, im Falle des bloßen Lesens schon eine Art Roman vor uns.“147

Freilich kann man sich darüber streiten, ob die Bibel als Mythologie zu bezeichnen ist, aber ersichtlich ist, dass Christen die Bibel nicht nur (als Roman) lesen, sondern für ihr Leben aus dem heiligen Text schöpfen und darauf Zeremonien gründen. Dagegen lesen wir, so würde Kerényi sagen, die Edda als Märchen, da selbige nicht mehr Grundlage für Zeremonien ist. Für den modernen Menschen, der den Glauben an die Wahrhaftigkeit des Mythos nicht mehr hat, ist also der Mythos nicht mehr und nicht weniger als Literatur:

„Mythos in der Literatur des 20. Jahrhunderts bedeutet das Vorführen eines Imaginationspotentials, das sich in das Versprechen einer anderen Welt trägt, zugleich aber weiß, daß es nur ein Versprechen ist; im doppelten Sinn von Versprechen: als ferne (und deshalb sich als uneinlöslich erweisende) Verheißung und als ein Sprechen, das ein Anderes, Fremdes, Archaisches mitspricht und weiß, daß es sich dabei notwendig versprechen muß, sobald es sich zu artikulieren beginnt. Und es dennoch tut und begreift, daß‘Wahrheit’ sich, so sieht es Freud, gerade im Versprechen aufhält.“148

Der Mythos ist kein Selbstzweck mehr, sondern besitzt - wie andere Literatur auch - primär die Funktion der Weltdeutung. (Ein Text deutet mit seinem spezifischen Wert-System die Welt - siehe unter 2.4.1.) Damit ist begründet, dass wir Mythen mit literaturwissenschaftlichen Mitteln untersuchen können. Der dennoch bestehende Unterschied zwischen dem Mythos und anderen literarischen Genres liegt zum einen im Gegenstand (Göttliches, Überirdisches, Zeitloses) und zum anderen im Anspruch der absoluten Weltdeutung: In einem Roman ist es vorstellbar, dass nicht alles erklärt wird, im Mythos ist das undenkbar. Wir sollten also l i t e r a r i s c h e und m y t h i s c h e Welt- deutung differenzieren. Neben der Weltdeutung erfüllt Literatur eine weitere mythologische Funktion:

„Selbst die Lektüre hat eine mythologische Funktion: sie ersetzt nicht nur die Mythenerzählung in der archaischen Gesellschaft und die mündlich überlie- ferte Dichtung, die heute noch in den ländlichen Gemeinschaften Europas lebendig ist, sondern sie bietet dem modernen Menschen vor allem die Möglichkeit, ‘aus der Zeit herauszutreten’, ähnlich wie die Mythen es früher taten. Ob man mit einem Kriminalroman die Zeit ‘totschlägt’ oder in das zeitlich fremde Universum eines Romans eindringt, das Lesen trägt den modernen Menschen aus seiner persönlichen Zeit heraus, es fügt ihn anderen Rhythmen ein und läßt ihn in einer anderen ‘Geschichte’ leben.“149

2.4. ‘Werkzeuge’ der Untersuchung

Es sollen nun kurz die Interpretationsweisen bzw. Lesarten, die dieser Arbeit zu Grunde liegen, erörtert werden. Die Hierarchie - zuerst das systemische Lesen, gefolgt vom intertextuellen sowie applizierenden Lesen - ist metho- disch motiviert, da zunächst und in der Hauptsache mit dem Verständnis eines Textes als eines Systems, das eine ihm eigene Wirkungsweise evoziert, inter- pretiert bzw. gelesen wird.

2.4.1. Das systemische Lesen

Wie bereits angesprochen, wollen wir bei der Untersuchung des Silmarillions vermeiden, allegorisch zu interpretieren bzw. Dinge in den Text ‘hinein zu lesen’, die er selbst nicht hergibt. Dieses Lesen wird auch als decodierendes Lesen bezeichnet; der Text wird als Code betrachtet, der, um ihn zu verstehen, übersetzt werden muss, in eine Sprache, die wir vermeintlich sofort verstehen. Man kann daher sagen, dass allegorisches und decodierendes Lesen gleich sind - beide Lesarten unterstellen dem Text seine unzureichende Fähigkeit, Sinn zu machen, so wie er sich darstellt. Um also nicht in Übersetzungen (z.B. ‘Sauron = Hitler’) zu verfallen, bedienen wir uns der Vorstellung, dass ein Text ein bestimmtes, individuelles System von Werten besitzt, das nicht übersetzt werden muss, ja, gar nicht übersetzt werden kann - wohl aber kann man es beschreiben.

Eine Lesart, die den Text als W e r t - S y s t e m betrachtet, ist die des syste- mischen Lesens. Die Auffassung eines Textes als Wert-System stammt von Meschonnic, der sich in seinen Abhandlungen auf Benveniste und Saussure bezieht. Lösener (1999) wendet in seinem Buch „Der Rhythmus in der Rede“ jene systemische Lesart auf deutsche Texte an und erläutert seine Vorge- hensweise. Es gilt nun, die erforderlichen Begriffe dieses Ansatzes - denn das systemische Lesen ist nicht nur eine Lesart oder Methode, sondern ein sprach- theoretisches Programm, welches Linguistik und Literaturwissenschaft zu vereinen und die sog. „Krise der Interpretation“150 zu überwinden versucht - zu erörtern: Rhythmus, Textsystem und Wert, sowie die Wirkungsweise.

2.4.1.1. Zum Rhythmus-Begriff

Jeder Text, ob mündlich oder schriftlich, poetisch oder alltagssprachlich, lyrisch oder prosaisch, besitzt einen ihm eigenen Rhythmus. Doch wird Rhythmus in diesem Paradigma nicht so gedacht, wie man unbedarft erwarten könnte: als etwas Regelmäßiges wie beispielsweise der Takt oder ein Reim- schema. Benveniste entdeckte die Bedeutung des Wortes, die es in vorplatoni- scher Zeit hatte:

„Während nämlich schema eine feste, vergegenständlichte Form bezeichnet, tritt rhythmos in Kontexten auf, in denen es um eine augenblickliche, fließende oder vorübergehende Form geht, wie die Form eines Charakters oder einer Laune.“151

So definiert, ist der Rhythmus nicht mehr nur in Texten mit Metrum zu ent- decken, sondern in allen Texten, in jeder Rede. (Die Bezeichnung ‘Rede’wird hier, wie bei Lösener 1999, für jeden Äußerungskomplex beliebiger Länge gebraucht.) Der Rhythmus gehört nun zum Text, ist sprachlich, keine formale, außersprachliche Kategorie mehr. Die Rede gestaltend, lässt sich der Rhythmus auch nicht vom S i n n dieser Rede trennen; sie gehören zusammen. Der Sinn ergibt sich aus dem Rhythmus der Rede und kann nicht erschlossen werden, wenn man die Rede mit der Sprachstruktur (der langue) in Beziehung setzt: Nicht aus der langue, sondern aus allen Elementen der Rede konstituiert sich ihr Sinn. Mit diesen Überlegungen begibt sich Meschonnic in die Tradition der Sprachphilosophie Humboldts, welche die Tätigkeit des Sprechens betont, denn jeder Sprechakt führt zu einer Aktualisierung der Sprache und des Sinns.152 In der Rede offenbart sich „die Jedesmaligkeit der Sprache, ihre radikale Geschichtlichkeit“153 und das Subjektive dessen, der sich mitteilt. Das sprechende Subjekt zeigt sich im Rhythmus.

2.4.1.2. Das Textsystem und die Werte

Meschonnic knüpft an Saussure an, der von der Beliebigkeit (Arbitrarität) des sprachlichen Zeichens und der Sprache als System von Werten ausgeht. Saussure trennt das Denken und das (lautliche) Sprechen voneinander und konstatiert, dass jedes für sich genommen eine formlose Masse sei. Die Spra- che (nicht zu verwechseln mit dem Sprechen) ist ein Verbindungsglied zwischen Denken und Sprechen; ihr gegenseitiges Beziehen aufeinander ermöglicht eine Abgrenzung bzw. Isolierung von Sprach- und Denk- einheiten.154 Welche Einheiten zusammenkommen und ein sprachliches Zeichen bilden, ist dem (sozialen) Zufall überlassen, und in diesem Sinne ist das sprachliche Zeichen beliebig.155 Unterschieden wird zwischen Bedeutung und Wert eines Zeichens; die Bedeutung realisiert sich auf Grund des Zufalls, der Wert jedoch bildet sich erst, wenn andere Zeichen vorhanden sind:

„Sein [des Wortes] Wert ist also nicht bestimmt, wenn man nur feststellt, daß es ausgewechselt werden kann gegen diese oder jene Vorstellung, d. h. daß es diese oder jene Bedeutung hat; man muß es auch noch vergleichen mit ähnli- chen Werten, mit anderen Wörtern, die man daneben setzen kann; sein Inhalt ist richtig bestimmt nur durch die Mitwirkung dessen, was außerhalb seiner vorhanden ist. Da es Teil eines Systems ist, hat es nicht nur eine Bedeutung, sondern zugleich und hauptsächlich einen Wert, und das ist etwas ganz ande- res.“156

Der Wert entspricht nicht der Bedeutung; er ist ein zentraler Bestandteil von ihr. Werte sind nach Saussure immer gebildet „1. durch etwas Unähnliches, das ausgewechselt werden kann gegen dasjenige, dessen Wert zu bestimmen ist; 2. durch ähnliche Dinge, die man vergleichen kann mit demjenigen, dessen Wert in Rede steht.“157 Der Wert der Bedeutung eines sprachlichen Zeichens „wird vielmehr negativ durch ihre Beziehungen zu den anderen verwandten oder gegensätzlichen Gliedern des Systems definiert.“158 Der Wert des Wortes ‘Zorn’ beispielsweise wird determiniert durch die Werte von Wörtern wie etwa ‘Wut’, ‘Rage’, ‘Grimm’, ‘Ärger’ (ähnlich) oder ‘Milde’, ‘Ausgeglichenheit’, ‘Gleichmut’, ‘Ruhe’ (unähnlich). Würden die synomymen Wörter wegfallen, so fielen ihre Werte dem Wort ‘Zorn’ zu.159 Die (Einzel-) Sprache (langue) ist somit ein System, dessen Glieder ihre Werte auf Grund des Vorhandenseins anderer Glieder bekommen.160

Meschonnic überträgt nun die Vorstellung des Wert-Systems von der langue auf die Rede: Jedes Element eines Textes (Signifikant) kann im jeweiligen System einen besonderen Wert erhalten, der sich auf Grund der anderen Ele- mente ergibt. (Synonym zum Begriff Signifikant benutze ich die Bezeichnung ‘Bedeutungsdeterminante’; synonym zu Wert werden ‘Semem’ und ‘Bedeutung’ [eines sprachlichen Zeichens] gebraucht. Ein ‘Sem’ ist in diesem Zusammenhang als Bausteins eines ‘Semems’ zu betrachten.161 ) Nicht nur Wörter können einen semantischen Wert erhalten, sondern auch Grapheme, Phoneme und beispielsweise Zäsuren im Text. Rhythmus, Subjektivität und Wert-System hängen zusammen:

„Die sprachliche Subjektivität ereignet sich im Wert-System der Rede. Und wenn der Rhythmus als Rhythmus eines Subjekts verstanden werden soll, dann ist er das jedesmalige Wert-System der jeweiligen Rede.“162

So werden wir im Silmarillion ein Wert-System entdecken, welches sich, wegen der ihm eigenen Subjektivität, von den (altnordischen) Quellen unter- scheidet.

2.4.1.3. Wirkungsweise oder semantische Performativität

Das systemische Lesen sucht nach der besonderen Art des Sinnmachens in der Rede - dies nennen wir Wirkungsweise oder semantische Performativität.163 Die Wirkungsweise gründet auf dem Wert-System eines Textes. Wenn wir die Performativität also beschreiben, erläutern wir das Besondere an dem Text, bestimmen, inwieweit der Text Wahrnehmung und Verhalten ändern könnte die Wirkungsweise ist die Qualität bzw. die P o e t i k eines Textes. Es ist zu betonen, dass die Wirkungsweise nicht mit der Textwirkung zu verwechseln ist: Während die Textwirkung sich auf die situative Verfassung eines Rezipienten bezieht, ist die Wirkungsweise eines Textes in seinem WertSystem, in seinem Sinn gestaltenden Rhythmus, festgeschrieben und kann somit objektiv bzw. intersubjektiv beschrieben werden.

So können die Ausführungen von Uyldert (2001) beispielsweise zumeist als Reaktionen auf die Textwirkung des Herrn der Ringe aufgefasst werden; sie sind auf Grund der individuellen Begegnung mit dem Text entstanden, haben aber wenig mit ihm zu tun. Ein Beispiel für solch eine ‘Interpretation’:

„Seine [Saurons] Mitarbeiter sind die zahlreichen Sarumans mit ihren samtenen Zungen, die scheinbar auf der Seite der Guten stehen, jedoch für die schwarzen Mächte arbeiten. Sie geben Kurse für junge Menschen, in denen sie sich in Psychopolitik üben, mit Drogen in Berührung kommen und zu ungehemmter Sexualität verleitet werden.“164

Wir wollen also festhalten, dass wir im Laufe der folgenden Untersuchung davon ausgehen, dass jeder Text ein ihm eigenes System von Werten, einen individuellen Rhythmus, hat, wobei sich diese Werte aus dem Vorhandensein anderer Werte bilden. Haben wir das Wert-System des Silmarillions (sowie der weiteren Texte im Rahmen der Untersuchung) entdeckt, so sind wir im Stande, seine spezifische Art des Sinnmachens sichtbar zu machen und zu beschreiben. Und wenn wir den Sinn beschreiben, dann reflektieren wir gleichsam auch über die Funktion dieses Textes.

2.4.2. Intertextuelles und applizierendes Lesen

Diese beiden Lesarten kommen zum Einsatz, nachdem wir das Wert-System des Textes entdeckt und seine Performativität erläutert haben. Das intertextuelle Lesen dient dem Vergleich mit anderen Texten; das applizierende Lesen der Erörterung der Anwendbarkeit, wie Tolkien es nannte.

Intertextuelles Lesen:

Auf Grund der Tatsache, dass wir es in dieser Arbeit mit Texten aus unter- schiedlichen Zeiten und Nationen zu tun haben, sollten wir den Eigentüm- lichkeiten dieser einzelnen Texte, die aus verschiedenen Literaturen hervor- gingen, Rechnung tragen, dergestalt, dass wir im Sinne der Komparatistik das ihnen Eigentümliche und Gemeinsame erschließen.165 Indem wir die Texte systemisch lesen, entdecken wir ihr Eigentümliches - nämlich ihr Wert- System. Das Gemeinsame, beispielsweise das zwischen dem Silmarillion und der Lieder-Edda, ersehen wir, wenn wir die Texte intertextuell lesen bzw. ihre Wert-Systeme vergleichen. In diesem Zusammenhang fragen wir nach Quellenübernahmen und/oder Vorbildern des Tolkien’schen Textes - so werden Umwertungen bzw. Veränderungen hinsichtlich der Wertigkeit von Signifikanten, die in beiden Texten auftauchen, offenbar.

Applizierendes Lesen:

Das applizierende Lesen wird dem allegorischen Lesen gegenüber gestellt. Mit ‘Allegorie’ bezeichnet man ein „Mittel poet. Darstellung in einem von vornherein als A. geschaffenen, geradezu konstruierten Text“,166 wobei ein Sachverhalt mit einem Bild oder einer Bildfolge gleichgesetzt wird, um ihn (besser) zu veranschaulichen.167 Tolkien lehnte jegliche allegorische Interpre- tation seiner Werke ab, wie er im Vorwort zu Der Herr der Ringe schreibt.“168 Tolkien bevorzugt statt der allegorischen Interpretation das applizierende bzw. anwendende Lesen. Bei dieser Lesart versucht man, den Text bzw. seinen Sinn auf etwas Außertextuelles anzuwenden. Tolkien betont in diesem Zusammen- hang, dass dieses Anwenden dem Leser überlassen ist, während bei der Allego- rie der Transfer des Textsinns auf das Außersprachliche vom Autor des Textes erzwungen wird, da er dies vorher entsprechend konstruiert hat. Die Anwend- barkeit ist also von der Textwirkung abhängig; sie liegt nicht im Text. Wenn dies beachtet wird, kann man den Text auf die eigene Umwelt anwenden. Petzold (1980) vermeidet es, von Anwendbarkeit zu sprechen und braucht stattdessen die englische Bezeichnung applicability, „weil dadurch ein Miß- verständnis entstehen könnte. Tolkien will nicht implizieren, daß seine Bücher Einsichten oder Regeln enthalten, die etwa im täglichen Leben ‘angewandt’ werden sollten; ‘applicability’ meint lediglich die Existenz von Beziehungen zwischen seiner Phantasiewelt und der Wirklichkeit.“169

Wir können Petzold zustimmen, wenn er schreibt, dass Tolkien in seinen Büchern bewusst bzw. geplant keine Regeln integriert hat; dass aber lediglich Beziehungen zwischen Mittelerde und Wirklichkeit existieren, greift nicht ganz das, was Tolkien meinte. Vielmehr können seine Bücher zu Einsichten verhelfen oder zur Entwicklung von Regeln beitragen, aber dies nur, weil dies auf der Grundlage der Textwirkung, die ja dem Leser überlassen ist, geschieht. Die Textwirkung liegt im Leser, die Wirkungsweise liegt im Wert-System des Textes.

Unterscheidet man zwischen Textwirkung und Wirkungsweise, dann kann man die Vorstellung der Anwendbarkeit zulassen und gleichzeitig seinen Büchern das Vorhandensein von allegorischen Inhalten absprechen. Tolkien selbst demonstriert die Anwendbarkeit in seinen Briefen. - Ein Beispiel aus einem Brief an seinen Sohn Christopher:

„Aber alle großartig geplanten großen Dinge sehen aus der Froschperspektive so aus, obwohl sie in allgemeiner Hinsicht doch etwas leisten und ihren Zweck erfüllen - einen bösen Zweck, letzten Endes! Denn wir versuchen, Sauron mit dem Ring zu besiegen. Und (wie es scheint) wird uns das auch gelingen. Aber die Strafe ist, wie Du ja weißt, daß wir neue Saurons heran- ziehen und die Elben und Menschen langsam in Orks verwandeln. Nicht daß im wirklichen Leben alles so klar umrissen wäre wie in einer Erzählung, und wir haben ja auch von Anfang an nicht wenige Orks auf unserer Seite gehabt Jedenfalls, das ist Deine Lage: ein Hobbit unter den Urukhai! Bleib im Herzen ein Hobbit, und denk daran, daß einem alle Geschichten so vorkommen, wenn man darinnen ist.“170

Wir sehen, wie er Inhalte aus dem Herrn der Ringe auf etwas Außersprachliches - den Zweiten Weltkrieg - überträgt. Doch ist er sich im Klaren darüber, dass sich nicht alle Aspekte seiner Geschichte bis ins Detail darauf beziehen lassen. Es ist zu beobachten, wie er geschickt mit den Signifikanten, die ihre semantische Wertigkeit erst durch den Text des Herrn der Ringe erhalten, spielt, um dem Sohn sein moralisches Wertsystem bezüglich der politischen Lage zu vermitteln - freilich ist es notwendig, dass Christopher den Text ebenfalls kennt.

Die applizierende Lesart wird am Ende der Arbeit kurz benötigt. Das intertextuelle Lesen ist bedeutsam im Hinblick auf die Erfassung der differierenden Wert-Systeme der zu untersuchenden Texte. Die zentrale Lesart bei dieser Arbeit ist aber die systemische - von ihr geht das weitere Lesen aus.

[...]


1 NI, S. 6.

2 Vgl. Stiftung Lesen 2001, S. 3.

3 Vgl. Shippey 2002, S. 20.

4 Shippey 2002, S. 279.

5 Carpenter 2002, S. 477.

6 Vgl. Carpenter 2002, S. 194f. Vgl. auch Weinreich 2002, S. 28.

7 Carpenter 2002, S. 539.

8 Vgl. Shippey 2002, S. 213.

9 LE, S. 181.

10 Tetzner 2000, S. 52.

11 Vgl. Tetzner 2000, S. 52.

12 Wolf 1996, S. 9.

13 Vgl. Rothmann 2000, S. 135ff.

14 Vgl. Schriewer 1997, S. 7f.

15 Vgl. Klöckner 1995, S.156.

16 Wundt 1920, S. 11.

17 Vgl. Klöckner 1995, S. 160.

18 Vgl. Goethe 1999a, S. 159.

19 Vgl. Klöckner 1995, S. 148.

20 Vgl. Hohoff 1999, S. 72ff.

21 Vgl. Wagner 2001, S. 346.

22 Vgl. Klöckner 1995, S. 28.

23 Vgl. Tepe/Gerhardus 1996, S. 10.

24 Kranz 1994, S. 147.

25 Vgl. Kranz 1994, S. 147f.

26 Petzold 1980, S. 35.

27 Vgl. Carpenter 2001, S. 30.

28 Vgl. Carpenter 2001, S. 299-302.

29 Vgl. dazu Kindler 1991b, S. 633: „Die Fantasy-Literatur, die in den siebziger und achtziger Jahren an Breitenwirkung gewann [...], verdankt The Lord of the Rings entscheidende Impulse.“ Tolkien mag das Genre „Fantasy“ begründet haben, nicht jedoch die Phantastische Literatur: Diese gibt es, seit Menschen sich schreibend ihrer (Um-) Welt nähern. Vgl. hierzu auch Gloge 2002, S. 118f., sowie Gsellmann 2001, S. 36: HR als „Urknall der Fantasy- Literatur“.

30 Carpenter 2001, S. 254.

31 Carpenter 2001, S. 254.

32 Vgl. Carter 2002, S. 19.

33 Wilson 1984, S. 52f.

34 Shippey 2002, S. 296.

35 Kreeft 1984, S. 167.

36 Vgl. Petzold 1980, S. 39.

37 Vgl. Kreeft 1984, S. 161.

38 Vgl. Petzold 1980, S. 25.

39 Vgl. Day 2001, S. 102.

40 Vgl. Day 2001, S. 102.

41 Carpenter 2001, S. 111. Vgl. dazu Helms 1986, S. 9: Ein frühenglischer Name für Mittelerde ist „‘middeangeard’ [...] des Beowulf“.

42 Einhaus 1986, S. 175.

43 Vgl. Pesch 1994, S. 85.

44 Vgl. Petzold 1980, S. 41.

45 Carpenter 2002, S. 185.

46 Vgl. Petzold 1980, S. 41.

47 Vgl. Carpenter 2001, S. 109.

48 Vgl. Kilby 1977, S. 43f: „He told me that he had comtemplated dedicating The Silmarillion to Queen Elisabeth and saying, ‘The only thing in which your country is not rich is mythology.’ But perhaps no mythology whatever was as rich as Tolkien wanted it to be.“

49 Carpenter 2002, S. 192.

50 Vgl. Tolkien 1999b, S. 396f: „Es war einmal ein Land, genannt England, und es war eine Insel des Westens [...]“.

51 Tolkien 1999a, S. 7.

52 DS, S. 7. Es sei noch einmal betont, dass es sich erst im Laufe dieser Arbeit ermitteln lassen wird, ob das Silmarillion tatsächlich die Wirkungsweise einer Legende bzw. eines Mythos hat.

53 Vgl. Zahnweh 1989, S. 11.

54 Tolkien 2001, S. 12: „[...] habe ich die publizierte Form des Silmarillion in der Tat wie einen festen Bezugspunkt behandelt und ihr den gleichen Stellenwert zugesprochen wie jenen Werken, die mein Vater selbst editiert hat.“

55 Carpenter 2001, S. 204.

56 Carpenter 2002, S. 39.

57 Vgl. Shippey 2002, S. 96: „[...] er hatte noch keine Ahnung, daß es der Ring sei, der Eine, der Herrscherring.“

58 Vgl. Stiftung Lesen 2001, 10ff.

59 Vgl. Gloge 2002, S. 44.

60 Vgl. Kalka 2001, S. 147f.

61 LR, S. 92.

62 LR, S. 92.

63 LR , S. 150.

64 LR, S. 150.

65 LR, S. 346.

66 LR, S. 349.

67 LR, S. 356.

68 DG, S. 122.

69 DG, S. 123.

70 DG, S. 193.

71 DG, S. 193.

72 DG, S. 429.

73 DG, S. 432.

74 DG, S. 441.

75 HR, S. 113.

76 HR, S. 113f.

77 HR, S. 174.

78 HR, S. 175.

79 HR, S. 382.

80 HR, S. 385.

81 HR, S. 393.

82 Noel 1977, S. 32. Vgl. hierzu Krege 1999, S. 126 und 281: „Ent“ bedeutet „Riese“; „Orc“ bedeutet „Dämon“.

83 Vgl. Beowulf 2001, S. 124.

84 Hebbel 1907, V. 5-9.

85 Vgl. See 1981, S. 15. Vgl. auch Wolff 1999, S. 54, S. 75 und S. 103.

86 Vgl. See 1981, S. 253.

87 Vgl. Kindler 1991a, S. 646. - Zum Begriff Kenning vgl. PE, S. 210.

88 PE, S. 260.

89 Vgl. PE, S. 15f. Vgl. Tolkien 1999a, passim.

90 Vgl. Kindler 1991c, S. 513.

91 LE, S. 9. Vgl. dazu auch LE, S. 454.

92 LE, S. 69. Bei Neckel 1962 nicht aufgeführt.

93 LE, S. 10.

94 Kuhn 1996, S. 4.

95 Vgl. Kuhn 1996, S. 4.

96 Vgl. Kindler 1991d, S. 156.

97 Vgl. NI, S. 966f.

98 Carpenter 2001, S. 80. Vgl. auch ebd., S. 232. (Nibelungenlied: Tolkien muss es gekannt haben, denn sonst hätte er die Ringe nicht miteinander vergleichen können.)

99 Shippey 2002, S. 317.

100 Die Jahreszahlen in Klammern beziehen sich jeweils auf das Jahr der ersten Publikation des Werkes; die Angaben hier können also von den Jahreszahlen im Literaturverzeichnis und im Fußnotentext abweichen.

101 Vgl. Shippey 2002, S. 214f.

102 Siehe unter 2.4.1.

103 http://www.lyrikwelt.de/gedichte/kafkag3.htm. Aufruf: 2005-01-04.

104 Ritter/Gründer 1984, S. 281.

105 Vgl. Ritter/Gründer 1984, S. 281.

106 Vgl. Ritter/Gründer 1984, S. 283.

107 Ritter/Gründer 1984, S. 284.

108 Fries 1963, S. 193.

109 Ritter/Gründer 1984, S. 286.

110 Ritter/Gründer 1984, S. 289.

111 Fries 1963, S. 193.

112 Schupp 1976, S. 22.

113 Ritter/Gründer 1984, S. 295.

114 Vgl. Ritter/Gründer 1984, S. 296.

115 Ritter/Gründer 1984, S. 303.

116 Vgl. Ritter/Gründer 1984, S. 303.

117 Ritter/Gründer 1984, S. 304.

118 Nestle 1975, S. 6. Vgl. dazu Ritter/Gründer 1984, S. 306.

119 Vgl. Ritter/Gründer 1984, S. 307.

120 Vgl. Ritter/Gründer 1984, S. 307.

121 Vgl. Ritter/Gründer 1984, S. 312.

122 Vgl. Ritter/Gründer 1984, S. 313f.

123 Vgl. Ritter/Gründer 1984, S. 314f. Vgl. auch Meier 1990, S. 10.

124 Vgl. Meier 1990, S. 11.

125 Müller/Wunderlich 1996, S. X.

126 Nack 1968, S. 270.

127 Kerényi 1996, S. 220.

128 Hansen 1993, S. 18f.

129 Lüthi 1996, S. 11.

130 Vgl. Fries 1963, S. 431.

131 Vgl. Eliade 1987, S. 94.

132 Schweikle 1990, S. 316.

133 Brockhaus 2000, S. 450.

134 Vgl. Eliade 1978, S. 7.

135 Kerényi 1996, S. 230.

136 Schlegel 1996, S. 10.

137 Jung/Kerényi 1999, S. 19.

138 Lévi-Strauss 1980, S. 29.

139 Vgl. Eliade 1987, S. 16f. Vgl. dazu Nack 1968, S. 269: „Alles Seiende, Lebendige ist mit magischer Kraft geladen.“

140 Meier 1990, S. 13.

141 Schweikle 1990, S. 450.

142 Vgl. Schweikle 1990, S. 451.

143 Meier 1990, S. 15.

144 Schweikle 1990, S. 25.

145 Vgl. Campbell 1973, S. 245f.

146 Kerényi 1996, S. 221.

147 Kerényi 1996, S. 222.

148 Grimminger/Hermann 1998, S. 7.

149 Eliade 1987, S. 177.

150 Vgl. Lösener 2001, S. 389. Hier wird zudem das systemische dem decodierenden Lesen gegenüber gestellt.

151 Lösener 1999, S. 16.

152 Vgl. Di Cesare 1996, S. 285.

153 Lösener 1999, S. 39.

154 Vgl. Prechtl 1994, S. 76.

155 Damit formuliert Saussure seine Antwort auf eine der ältesten Fragen der (Sprach- )Philosophie, nämlich die, ob die Bedeutung der Wörter natürlich gegeben oder per menschlicher Konvention bestimmt worden sei - im Platon’schen Kratylos-Dialog wird diese Frage nicht in eindeutiger Weise beantwortet, jedoch wird davon ausgegangen, dass Worte (Benennungen) richtig oder falsch sein können. Im Rahmen der Saussure’schen Sprachauffassung ist dies undenkbar: Das sprachliche Zeichen (das Wort) ist beliebig und gründet weder auf Natürlichkeit noch auf Konventionalität.

156 Saussure 1967, S. 137f.

157 Saussure 1967, S. 137.

158 Prechtl 1994, S. 78.

159 Vgl. Saussure 1967, S. 138. Ein anderes Beispiel in Bezug zur Wertbestimmung eines Zeichens.

160 Vgl. Saussure 1967, S. 136f.

161 Vgl. Kürschner 2003, S. 19.

162 Lösener 1999, S. 37.

163 Vgl. Lösener 2001, S. 389.

164 Vgl. Uyldert 2001, S. 19.

165 Vgl. Zima 1992, S. 12f.

166 Schweikle 1990, S. 9.

167 Vgl. Schweikle 1990, S. 9.

168 Vgl. DG, S. 12:„Aber ich habe eine herzliche Abneigung gegen Allegorie in all ihren Erscheinungen, und zwar immer schon, seit ich alt und wachsam genug war, um ihr Vorhandensein zu entdecken. Wahre oder erfundene Geschichte mit ihrer vielfältigen Anwendbarkeit auf das Denken und die Erfahrung der Leser ist mir sehr viel lieber. Ich glaube, daß viele Leute ‘Anwendbarkeit’ [applicability] mit ‘Allegorie’ verwechseln; aber die eine ist der Freiheit des Lesers überlassen, die andere wird ihm von der Absicht des Verfassers aufgezwungen.“

169 Petzold 1980, S. 64.

170 Vgl. Carpenter 2002, S. 106.

Ende der Leseprobe aus 208 Seiten

Details

Titel
Die Weltdeutung im "Silmarillion" von J. R. R. Tolkien
Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
208
Katalognummer
V164967
ISBN (eBook)
9783640810710
ISBN (Buch)
9783640811069
Dateigröße
25368 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tolkien, Herr der Ringe, Silmarillion, Der kleine Hobbit, altnordische Mythologie, Edda, Nibelungenlied
Arbeit zitieren
Holger Vos (Autor:in), 2004, Die Weltdeutung im "Silmarillion" von J. R. R. Tolkien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164967

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