Eine kurze Einführung in die deutsche Rechtsgeschichte


Forschungsarbeit, 2010

68 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

DIE ANFÄNGE
Jäger und Sammler - Gesellschaften ohne Recht
Die segmentären Gesellschaften
Proto-Staaten - die Anfänge des Rechts

RECHTSENTWICKLUNG IN ROM
Die XII Tafel Gesetze
Die Hochzeiten Roms
Das Recht im Byzantinischen Reich
Das Vulgarrecht

DAS RECHT DER GERMANEN

DAS RECHT IM REICH DER FRANKEN

DAS RECHT IM ALTEN REICH BIS ZUR AUFKLÄRUNG
Der Machtkampf zwischen Kaiser und Papst
Das Erstarken der Landesfürsten
Das Aufkommender Städte
Das Strafrecht und das Gewaltmonopol des Staates entstehen
Strafrecht und Hexenwahn
Die Rezeption im Zivilrecht

DAS RECHT IN DER AUFKLÄRUNG
Die Vordenker
Kant und Der deutsche Michel
Die Kodifikationsbewegung

RECHTSENTWICKLUNG IN DEUTSCHLAND NACH DEN BEFREIUNGSKRIEGEN
Die Entwicklung im Staatsrecht
Die Entwicklung im Zivilrecht
Die Entwicklung im Strafrecht
Die Entwicklung im Verwaltungsrecht

DER ERSTE WELTKRIEG UND DIE WEIMAR REPUBLIK
Der Kriegssozialismus als Motor von Reformen
Weimar - Demokratie ohne Demokraten
Die Weimarer Reichsverfassung
Rechtsverständnis in der Weimarer Republik

DAS DRITTE REICH
Die Reichstagsbrandverordnung
Die Entwicklung im Staatsrecht
Die Entwicklung im Zivilrecht
Die Entwicklung im Verwaltungsrecht
Die Entwicklung im Strafrecht

DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
Nach der „Stunde Null“
Die deutsche Teilung
Das Grundgesetz
Die Entwicklung im Bürgerlichen Recht
Die Entwicklung im Strafrecht
Die Entwicklung im Verwaltungsrecht

DEUTSCHLANDS INTEGRATION IN DIE EU

DIE DEUTSCHE DEMOKRATISCHE REPUBLIK

Die Anfänge

Jäger und Sammler - Gesellschaften ohne Recht

Wie man aus übereinstimmenden Beobachtung bei den jetzt immer noch einigermaßen zahlreich existierenden Naturgesellschaften (z.B. Eskimo, Schoschonen Indianer, Pygmäen Stämme usw.) weiß, gab es in der Zeit, als die Menschen Jäger und Sammler waren und in Horden zusammenlebten noch nichts, was wir heute als „Recht“ bezeichnen würden. Die Gesellschaft war akephal, als ohne „Kopf“ organisiert. Es gab in der Regel weder Führer noch andere Autoritäten, und wenn es sie gab, verfügten sie nur über geringen Einfluss. Jäger lebten anarchisch und herrschaftsfrei. Solche Strukturen waren auch nicht weiter erforderlich, denn es fehlte an dem Gegenstand, von dem Recht heute zumeist in irgendeiner Form handelt, nämlich an „Eigentum“ im weitesten Sinne des Wortes. Die Beute und die gesammelten Früchte waren verderblich. Das „Eigentumsrecht“ eines Jägers bestand deshalb allenfalls darin, zu bestimmen, wer die besten Stücke haben sollte. Unsere Vorfahren jener Zeit konnten nichts akkumulieren, also keinen Besitz und kein Vermögen anhäufen. Es gab keinen Grundbesitz oder andere wie auch immer geartete Rechtspositionen, deren man sich hätte erwehren müssten. Neben ihrem Leben hatten die Menschen allenfalls eine sehr bescheidene persönliche Habe, die in einem Speer oder einem Werkzeug bestand. Die Auflösung einer Gemeinschaft war deshalb nicht - wie heute - mit der Frage nach einer „Vermögensauseinandersetzung“ behaftet. Wem es nicht passte, der konnte gehen oder er wurde fortgejagt. Konflikte wurden im Weg des Palavers geklärt. Es wurde solange geredet, bis man zu einer Lösung kam. Ansonsten galt wohl das Recht des Stärkeren. Die Vorstellung von Zeit und damit von Zukunft war noch nicht ausgeprägt. Die Menschen lebten in den Tag hinein ohne zu planen und so konnten viele Konflikte, die wir heute kennen, erst gar nicht entstehen.

Die segmentären Gesellschaften

Das änderte sich, als die Horden in der Jungsteinzeit, also ca. 10.000 Jahre v. Chr. allmählich sesshaft wurden und damit begangen, Ackerbau und Kleinviehzucht zu betreiben. Die Horden verbanden sich insbesondere durch vielfache Heiratsbeziehungen zu Stämmen, in denen die Familien, also die Sippen, zusammenlebten. Sie bildeten abgeschlossene (segmentäre) Gesellschaften. Indem sie damit begannen, Nahrungsmittel zu konservieren, konnten sie durch deren Akkumulation Produktionsüberschüsse erzielen. Die Landwirtschaft machte die Produktion von Nahrungsmitteln planbar. Dies alles verlangte zwar nach gewissen Ordnungsstrukturen. Fürsten (der Erste) oder Herzöge (der vor den anderen her zog), also Anführer gab es jedoch noch nicht.

Vielmehr bestand eine Identität zwischen der verwandtschaftlichen und der „politischen“ Ordnung. Die Hierarchie in der Sippe entsprach der Stellung in der Familie. Das Sippenoberhaupt zwar zugleich auch politisch der Boss.

Der Wechsel in der Nahrungsmittelproduktion brachte ein spezielles Problem mit sich. Jäger und Sammler hatte nie zu wenige Kinder, eher zu viel, und bei Nahrungsknappheit wurde sie teilweise sogar getötet, um das Überleben der Horde zu sichern. Die Ackerbaugesellschaften waren dagegen auf Arbeitskräfte angewiesen und Sippenmitglieder, zumal die jungen und gesunden, wurden als potentielle Arbeitskräfte angesehen. Die Frage, wie sich die Verwandtschaftsverhältnisse gestalten sollten, wurde deshalb vor allem unter dem Aspekt betrachtet, welche Sippe die Nachkommenschaft für sich reklamieren durfte. Nach unserem heutigen Modell sind die Kinder mit beiden Familien der Elternteile verwandt. In den segmentären Gesellschaften der Ackerbauern und Hirten war jedoch die Zuordnung zu einer Sippe, also entweder der des Mannes oder der der Frau, eine wohl zweckmäßigere Lösung. In diesen Modellen bestand die Verwandtschaft der Kinder nur mit dieser einen Familie. Beide Varianten gab es und je nach dem spricht man heute von patriliniaren oder materiliniaren Verwandtschaftsverhältnissen. Die vorgefundenen Verwandtschaftsordnungen entwickelten sich zumeist aus der Situation bei der Arbeitsteilung der Geschlechter. War - je nach Nahrungsmittelproduktion - die Frauenarbeit wichtiger als die der Männer, ergab sich ein Matriarchat und umgekehrt. In den meisten Fällen war für den Verlust an Arbeitskraft und an potentiellen Nachkommen von der aufnehmenden Sippe eine Kompensation zu erbringen. Das „Brautgeld“ hatte damit keine Kaufpreisfunktion, sondern diente dazu, die abgebende Sippe für tatsächliche materielle Verluste zu entschädigen. Je nach Rechtsstellung der Frau in diesen Gesellschaften erhielt sie im Heiratsfalle eine Mitgift. Diese Mitgift war der vorgezogene Erbanteil und damit ein Zeichen dafür, dass ihr eine eigene Vermögenspositionen zuerkannt wurden. Von Rechten kann man gleichwohl noch nicht reden. Vielmehr waren es Riten und Gebräuche, nach denen die Menschen handelten und die sie regelmäßig auf ihre Götter zurückführten.

Recht wie wir es heute verstehen, also im Sinne von vorgedachten abstrakt generellen Regelungen zur Verhaltenssteuer und damit zur Verhütung oder Lösung von Streitfällen, gab es nicht. Vielmehr stoßen wir oftmals auf die Eigentümlichkeit, dass Konflikte schon in einem viel früheren, aus unserer heutigen Sicht im vorrechtlichen Entstehungsstadium, zu vermeiden versucht wurden, weil Streitigkeiten durch das Aufeinander-angewiesen-sein in der Gruppe schnell zu einer existenziellen Bedrohung für alle führen konnten.

Wird zum Beispiel jemand krank, dann liegt dies darin, dass ein anderer - ein Hexer - böse Gedanken wie Rache, Neid oder Eifersucht gegen unseren Kranken hegt. Der Hexer muss dabei nicht mit Vorsatz handeln. Oft ist ihm der Vorgang nicht einmal bewusst. Als Gegenmittel sucht der Kranke nun bei einem Magier Rat oder befragt ein Orakel, um den Hexer, der die Krankheit verursacht hat, zu ermitteln. Ist der Hexer ausfindig gemacht, lässt man ihn von der Angelegenheit wissen. Er entschuldigt sich in aller Regel höflich und wünscht dem Kranken gute Besserung. Wenn er es ehrlich meint, ist die Sache erledigt und der Kranke wird gesund.

Auf diese Weise wird schon im frühestmöglichen Stadium der Konfliktentstehung interveniert. Um Schwierigkeiten zu vermeiden, muss sich jedermann ständig bemühen, keine bösen Gedanken gegenüber seinen Nebenleuten zu hegen.

PROTO-STAATEN - DIE ANFÄNGE DES RECHTS

Recht in unserem heutigen Sinne ist unmittelbar verbunden mit dem Entstehen von Gemeinschaften, die über den familiären Verbund der Sippe hinausgingen, nämlich mit den „Vor- oder Proto-Staaten“. Zum Vollstaat fehlte diesen Staaten sowohl eine vollständige Staatsgewalt, insbesondere das Gewaltmonopol, aber auch eine abgeschlossenes Staatsgebiet. Die ersten dieser Staaten sind in der sogenannten Schwellenzeit, dem 3. Jahrtausend v. Chr. in Mesopotamien, Ägypten und China entstanden. Ein Jahrtausend später kommen Indien, Griechenland, Kreta, Mexiko und Peru dazu.

Wie sich diese Staaten entwickelt haben bzw. was den Anstoß dazu gegeben hat, ist noch nicht abschließend erforscht. Manche behaupten, dass übergeordnete Projekte, wie der Bau von Bewässerungsanlagen und ähnlichem im Nahen und Mittleren Ost (Mesopotamien) ausschlaggebend gewesen sein dürften. Durch den damit verbundenen Zwang zur Arbeitsteilung konnte an Schlüsselstellen Macht akkumuliert werden, wodurch sich ein „starker Mann“ herausbildete. Andere behaupten, dies sei allenfalls die Folge, aber nicht die Ursache der Staaten gewesen. Sie führen das Aufkommen von Herrschaftsmodellen mit einem übergeordneten Anführer vielmehr darauf zurück, dass umherziehende Hirtenstämme (wohl in der Absicht, leistungslose Gewinne zu erzielen) friedliche Bauern unterworfen haben, wie wir es auch in Europa in einigen Fällen kennen. Das machte ein Herrschaftssystem erforderlich und zur Etablierung solcher Herrschaftssysteme war es notwendig, die Strukturen der segmentären Gesellschaften zu zerstören, um damit direkten Zugriff auf das Individuum zu nehmen. Eines der letzten Beispiele für diesen Prozess dürfte wohl die Unterwerfung der Sachsen durch Karl den Großen am Ende des 8. Jahrhunderts sein, die bis dahin ohne Fürst und nur mit einem schwachen Adel in segmentären Strukturen lebten. Die Protostaaten fassten die verwandtschaftsmäßig ausgerichteten Sippen mithin nicht zu größeren Einheiten zusammen, sondern zerstörten sie.

Je komplexer ihre Strukturen wurden, desto dringlicher wurde ein Rechtssystem. Dem kam die Entwicklung von Schriftzeichen ca. 3000 v. Chr. durch die Sumerer in Mesopotamien zugute, die, eng damit zusammenhängend, für Handel, Wirtschaft und die Steuererhebung entwickelt wurden. Zeugen eines solchen Systems sind die in Tontafeln gebrannten Aufzeichnungen der Schreiber, die uns erhalten geblieben sind. Der älteste uns in seinen Wortlaut bekannte Gesetzestext ist der Codex Urnammu aus dem Jahr 2100 v. Chr. Ebenfalls sehr bekannt ist der Codex Hammurabi, der vom babylonischen König gleichen Namens 400 Jahre später erlassen wurde.

Seine erste Hochblüte entwickelte das Recht im den Stadtstaaten des klassischen Griechenlands. Griechenland zerfiel in viele solcher Stadtstaaten, die sich oftmals gegenseitig bekriegten, dann aber zuweilen, in der Gefahr durch die Perser, im hellenistischen Bund zusammenstanden. Die Zwangsvereinigung erfolgte später durch Philipp von Makedonien, dem Vater Alexanders des Großen. So zahlreich wie die Städte, so zahlreich war auch ihr Recht. Jede dieser Städte hatte eine eigene Verfassung, sofern sie nicht gerade wieder einmal von einer anderen besiegt und beherrscht war, wie es den Athenern unter den Spartanern mit dem Regime der dreißig Despoten nach 403 v. Chr. erging.

Durch Platons Überlieferung berühmt geworden ist der Prozess, der Sokrates gemacht wurde und von dem wir seither wissen, wie das Gerichtswesen in Athen gestaltet war. Es gab einen Gerichtshof bestehend aus 580 Bürgern der Stadt und es war von einem privaten Kläger öffentlich Klage zu führen. Wer sich der Klage nicht stellte, wurde verurteilt. Das Verfahren war zweigeteilt. Zuerst entschied man mit einfacher Mehrheit über die Schuld des Angeklagten und, bejahendenfalls, sodann über die Höhe der Strafe. Aber die Klage war nicht ohne Risiko für den Kläger. Konnte er nicht mindestens ein Viertel der Richter von der Schuld des Angeklagten überzeugen, ging er für die nächsten zehn Jahre seines Klagerechts verlustig.

Auch sonst lebte man im Großen und Ganzen vergleichsweise demokratisch zusammen, was allerdings nur die Bürger von Athen betraf. Die Bauern aus dem Umland und Sklaven, die es zur Genüge gab, hatte solche Rechte freilich nicht.

Rechtsentwicklung in Rom

Die XII Tafel Gesetze

Nach den Diadochenkämpfen in der Nachfolge von Alexander des Großen übernahm das Imperium Romanum die Herrschaft nicht nur in Griechenland, sondern im gesamten Mittelmeerraum. Daran sollte sich bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr., also über einen Zeitraum von fast fünfhundert Jahre, wenig ändern. Es versteht sich von selbst, dass auch das Rechtssystem bedeutenden Einfluss auf die geschichtliche Entwicklung hatte. In seiner Blütezeit war Rom ein hochentwickelter Staat, dessen ökonomische Struktur ein höchst ausdifferenziertes Rechtssystem erforderlich gemacht und hervorgerufen hatte. Die dort entwickelten Prinzipien haben sich als so fortschrittlich erwiesen, dass sie über den Niedergang des römischen Reiches hinaus fortwirkten und das Rechtsdenken noch bis in unsere Zeit hinein deutlich beeinflussen.

Aber fangen wir von vorne an. Nach der sagenhaften Gründung der Stadt im Jahr 753 v. Chr. durch Romulus und Remus war Rom ein mehr oder weniger unbedeutendes Dorf, das zunächst unter der Herrschaft der etruskischen Könige stand. Diese wurden erst 510 v. Chr. vertrieben und Rom entwickelte sich zum Stadtstaat, der seine Macht zunächst in Italien ausdehnte. Bis zum Beginn der Zeitrechnung stand der gesamte Mittelmeerraum unter römischen Einfluss. Diese Periode wird auch die Zeit der Republik genannte, in der aber die Patrizier, die Schicht der Wohlhabenden, das Sagen hatte. Die Plebejer mussten als Soldaten an Feldzügen teilnehmen statt sich um ihre Höfe zu kümmern, während die Patrizier dadurch Vermögen akkumulieren konnten. Dies führte zu Standeskämpfen und die Macht wurde nach und nach geteilt, insbesondere durch Einführung von Volkstribunen und der Bewilligung des Zugangs zum Priesteramt für Plebejer.

Eine wesentliche Errungenschaft war die schriftliche Fixierung des Rechts auf zwölf Steintafeln, die auf dem Forum (also dem wichtigsten Platz) aufgestellt waren, aber leider nicht mehr erhalten sind (XII Tafel Gesetze). Bis dahin hatten nur die Priester Rechtskenntnisse, ein Amt, das den Plebejern anfänglich ja verwehrt geblieben war. Damit erhob sich die Forderung der Plebejer, zumindest die Gesetze selbst nachlesen zu können.

Eine geschriebene Verfassung hatten die Römer nicht, gleichwohl gab es eine Rechtsübung, die ihr in nichts nachstand. Die unmittelbare Vertretung des Volkes war die Zenturien Versammlung, die der militärischen Gliederung des Volkes entsprach und den Zenturien (Hundertschaften), denen die Bürger gemäß ihrem Vermögen zugeordnet waren. Es gab 193 Zenturien, aber die zwei ersten, nämlich die der Patrizier, hatten bereits 98 Stimmen und damit immer die Mehrheit. Diese Versammlung wählte die Beamten (Magistrate) und entschied über Krieg und Frieden.

Die Hochzeiten Roms

Während der Zeit der Republik, also bis zu Cäsar und Augustus, standen zwei Konsuln an der Spitze des Staates, die für ein Jahr gewählt wurden und ihr Imperium, also ihre Befehlsgewalt, ausübten. Als auf zwei Jahre gewählte Beamte, sogenannte Magistrate, gab es die Quästoren, die für die Verwaltung und Steuererhebung zuständig waren, die Ädilen, die die Marktaufsicht ausübten und die Polizeigewalt inne hatten und die Prätoren, die für Sitte und Moral und vor allem für die Rechtssprechung verantwortlich waren.

Die wohl mächtigste Einrichtung neben den Konsuln war der Senat. Er bestand aus Beamten auf Lebenszeit. Ihm gehörten die ehemaligen Wahlbeamten an, weshalb der Senat immer größer wurde. Eigentlich hatte er keine rechtlichen Befugnisse, er konnte nur Ratschläge geben. Da im Senat jedoch die Mächtigsten der Stadt versammelt waren, wagte wohl kaum ein Beamter, von diesen Ratschlägen abzuweichen. Als Vertretung der Plebejer gab es ab 494 v. Chr. die schon erwähnten Volkstribune, die ein Vetorecht gegenüber Gesetzen besaßen und Eingriffe gegen Bürger unterbinden konnten. Die berühmtesten unter ihnen waren Tiberius und Gracchus. Zu Zeiten der Prinzipaten, also der Kaiser, blieb diese Ordnung formal weiterbestehen. Augustus und seine Nachfolger ließen sich aber die wichtigsten Ämter übertragen. Augustus beanspruchte für sich nur der erste Bürger Roms zu sein. Er übernahm das Imperium, also die Befugnisse des Konsuls, war Prätor und damit persönlich sakrosankt. Im Senat wurden seinen Entscheidungen per Akklamation zugestimmt. Ab dem 2. Jhdt. galten sie als Gesetz.

Da Recht am Anfang Sache der Priester und damit eher eine religiöse Angelegenheit war, wurde es in hohem Maße von der Einhaltung von mehr oder weniger rituellen Verfahrensvorschriften geprägt. Die Trennung von formalem und materiellem Recht war dem Rechtsdenken fremd. Die Klage bestand aus einer Klageformel, mit der das jeweilige materielle Begehren in einer bestimmten Form vorgetragen werden musste. Für jeden Anspruch gab es also quasi eine besondere Klageart. Mit der Zeit bildete sich ein zweigestuftes Verfahren heraus, das der Denkweise heutiger Richter aber nicht unähnlich ist (Relationstechnik). Erst gelangte der Fall zum Prätor. Der prüfte zunächst, ob sich aus der Klage überhaupt der begehrte Anspruch des Klägers ableiten lässt, wenn man unterstellt, dass der Vortrag des Klägers wahr sei. In diesem Fall erteilte er dem Kläger eine „actio“. Die Einwendungen des Beklagten gegen die Klage wurden in gleicher Weise geprüft und der Prätor erteilte dem Beklagten gegebenenfalls eine „exeptio“. Damit waren die Rechtsfragen vorab geklärt und das Beweisverfahren wurde vor einem Laienrichter durchgeführt, der dann das Urteil fällte. Mit der Zeit wurden die Verfahren freier und Prätor bekam mehr Spielräume. Schließlich war es üblich geworden, dass die Magistraten vor Amtsantritt in Edikten die Grundsätze ihrer Amtsführung bekannt machten. Bei den Prätoren ergab sich daraus, welche Klageformeln sie zulassen werden und damit, welche Rechtsansprüche sie anerkennen. Weil man das nicht jedes Jahr ändern wollte, entwickelten sich Grundsätze, die aufgezeichnet wurden. 130 n. Chr. entstand eine Abschlussredaktion Prätorischer Edikte, also eine Endfassung, die quasi einer Gesetzessammlung glich.

Für die Bürger von Rom galt römisches Recht (ius civile) und jeder Römer hatte Anspruch darauf, nur von einem römischen Gericht abgeurteilt zu werden. Deshalb wurde auch der wegen Verbreitung des Christentums verfolgte Paulus, der das römische Staatsbürgerrecht innehatte, von Palästina nach Rom verbracht. In den Provinzen (z.B. in Ägypten) galt das dortige lokale Recht weiter. Allerdings war man der Auffassung, dass es bestimmte, der (römischen) Vernunft entspringende Regeln gab, die überall gelten (ius honorarium) und damit das lokale Recht überlagerten. Heute würde man wohl vom ordre public sprechen. Als Quellen für das römische Recht wurden die Entscheidungen aller dafür berufenen Organe (Volksbeschlüsse, Senatsbeschlüsse, kaiserliche Erlasse, Edikte und Auskünfte der Rechtsgelehrten) angesehen. Wer formal etwas zu sagen hatte, konnte damit im Rahmen seiner Befugnisse auch Recht setzen.

Auskünfte der Rechtsgelehrten gab es, als sich ein Berufsstand der Juristen herausgebildet und damit begonnen hatte, Rechtsgutachten zu schreiben. Augustus schränkte diese Tätigkeit ein und gestattete nur noch bestimmten Personen in seinem Namen Gutachten abzufassen. Nach der erwähnten Schlussredaktion der prätorischen Edikte 190 n. Chr. lag der Schwerpunkt auf der Kommentierung dieser Edikte, in denen der Rechtsstoff ihrer Zeit zusammengefasst und methodisch bearbeitet wurde. Dabei entwickelten sich unterschiedliche Rechtsschulen. Diese gesammelten Gutachten und Kommentare, die wir Digesten nennen, sind nicht nur Rechtsquellen geworden. Sie wurden im 12. Jhdt. die Grundlage für die Revitalisierung des römischen Rechts (zunächst) an den Universitäten in Bologna und Pavia und bereiteten so den Weg vor für die spätere Rezeption in Deutschland.

Das Recht im Byzantinischen Reich

Im dritten Jhdt. hatte das römische Reich sein Zenit überschritten. Die politischen Schwierigkeiten mehrten sich. Kaiser Konstantin versuchte das Reich durch sein Bekenntnis zum Christentum zu stabilisieren, jedoch ohne größeren Erfolg. Er verlegte die Hauptstadt des Reichs nach Byzanz, das den Namen Konstantinopel erhielt. Ostrom entstand. Dort sprach man zwar griechisch, am Recht änderte sich inhaltlich allerdings wenig.

Es kam noch einer große Zivilrechtskodifizierung unter Kaiser Justitian zur Mitte des 6. Jhdt. (codex iuris civiles), der auch versuchte, das römische Reich wieder zu vereinen und die Goten aus Italien vertrieb. Seine Kodifikation bestand einerseits aus den sogenannten Instituten. Dabei handelte es sich quasi um ein amtliches Elementarlehrbuch auf der Basis der Schriften des römischen Rechtsgelehrten Gaius aus dem Jahr 160 n. Chr. Dem Ganzen fügte man zum anderen die Digesten oder Pandekten hinzu, die in 50 Büchern Auszüge aus den klassischen Juristenschriften, insbesondere von Ulpian, Papinian und Paulus, enthielten. Diese Schriften sind im Mittelalter wieder zu Ehren gekommen und haben über die sogenannte Rezeption großen Einfluss auf das Recht in Deutschland ausgeübt. Leider sind die im 6. Jhdt. verwandten Originale nicht mehr erhalten, sodass sich die Interpolationenforschung heute damit beschäftigt, herauszufinden, was zu den Ursprungstexten gehört und wo es sich um die Einschübe aus den Zeiten Justitians handelt. Dieses Recht existierte bis zum Ende des byzantinischen Reichs weiter, also bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahr 1453.

Das Vulgarrecht

In Westrom kam es dagegen zum Niedergang der Hochkultur. Neben inneren Schwächen Roms war die Völkerwanderung der Auslöser. Die germanischen Stämme drängte es nach Süden. Zunächst erlaubte man den Ostgoten als Legaten (Verbündete) auf römischem Gebiet zu siedeln. 410 n. Chr. eroberten die Westgoten Rom. Die Vandalen zogen über Sizilien bis nach Nordafrika und begründeten dort ihre Herrschaft. Ende des 5. Jhdt. hatten die Goten und Franken die Kontrolle über die weströmischen Teile (in Italien die Ostgoten, in Gallien die Franken und in Spanien die Westgoten) übernommen. Mit dem politischen Niedergang war auch ein Niedergang der Wirtschaft und Kultur in diesen Gebieten verbunden. Die hochentwickelte Verkehrswirtschaft war bereits vor dem Zusammenbruch auf Formen der reinen Naturwirtschaft zurückgefallen. Dann vermischte sich das ausdifferenzierte römische Recht mit dem überlieferten Stammesrecht der Eroberer. Durch all die Rückschritte kam man wieder mit schlichteren rechtlichen Regelungen zurecht, dem sogenannte Vulgarrecht.

Das Recht der Germanen

ber das Recht der Germanen wissen wir nicht viel. Was wir über sie wissen, stammt vor allem aus der Schrift „Germania“ (98 n. Chr.) des römischen Schriftsteller Tacitus, der aber selbst nie in Germanien war. Zumal er die Völkerwanderung schon vorauszusehen schien und seine Landsleute offensichtlich vor der drohenden Gefahr aus dem Norden warnen wollte, sind Ungenauigkeiten, Übertreibungen und Idealisierungen in seiner Darstellung nicht auszuschließen. Die Germanen lebten an der Schwelle zwischen segmentären Gesellschaften und Protostaaten in Verbänden zusammen, denen zwischen einigen hundert und mehreren tausend Menschen angehörten. Es gab zwar Anführer, ihre Macht war aber begrenzt. Wichtige Entscheidungen wurden von der Versammlung der Krieger im Thing getroffen, einer Versammlung die in regelmäßigen Abständen stattfand. Vorschläge wurden durch das Zusammenschlagen der Speere (oder was man sonst so an Waffen hatte) angenommen oder durch „Murren“ abgelehnt. Wahrscheinlich hat man dort auch das bestimmt, was wir heute Gerichtsentscheidungen nennen würden. Mit der Zeit bildeten sich für die Rechtssprechung spezielle „Organe“ heraus. Es gab einen Vorsitzenden, der die Versammlung leitete, Schöffen, die einen Urteilsvorschlag machten und die übrigen Versammlungsmitglieder, der sogenannte „Umstand“, der die Entscheidung bestätigte oder ablehnte. Die Wahrheit wurde nicht von Amtswegen erforscht. Es wurde nur über das verhandelt, was die Parteien vorgetragen hatten. Was uns heute fremd erscheint, ist der Umstand, dass sich der Beschuldige vom Vorwurf reinigen musste. Skurril war auch das Beweisverfahren. Die Richtigkeit des Vorbringens der Gerichtsgenossen wurde nicht durch Zeugenbefragung oder etwas Vergleichbares erforscht. Vielmehr gab es Eide und Reinigungseide. Bei besonders schweren Anschuldigungen wurde ein Gottesurteil, ein sogenanntes Ordal angeordnet. Dazu gehörte der Zweikampf, das Kesselfangen (einen Stein aus kochenden Wasser holen), die sogenannte Bahrprobe (Schwur an den Wunden des Leichnams des Getöteten) und ähnliche magische Handlungen.

Doch darf dabei der Zusammenhang nicht übersehen werden, dass es vorwiegend nur Privatstrafrecht gab. Tötung und Körperverletzung wurde als Privatsache der Sippe angesehen, weshalb man Blutrache nehmen konnte. Man konnte das Thing anrufen, das aber wahrscheinlich eher eine Schlichterrolle einnahm. Und wahrscheinlich hat man sich in vielen Fällen mit oder ohne Thing auf eine Buße geeinigt, um die Angelegenheit zu sühnen und die Freundschaft zwischen den Familien wieder herzustellen. In diesem Fall war die Sache für alle erledigt. Die Bußen, für die es später regelrechte Kataloge gab, bestanden in einer Kompensation in Gestalt von Vieh. Die ganze Sippe haftete dafür. Öffentliche Strafen im heutigen Sinne gab es aber auch, nämlich wenn man Rechte der Gemeinschaft verletzte. Verräter und Überläufer wurden zur Abschreckung an den Bäumen aufgehängt, Feiglinge und Kriegsversager zur Verdeckung der Schande im Moor versenkt.

Die Stammesmitglieder produzierten gemeinsam und versorgten sich selbst. Darum gab es keinen Handel und auch nichts, was wir heute Schuldrecht nennen würden. Testierfreiheit gab es ebenfalls nicht. Zumeist erbten die Söhne. Grundstücke galten als Familienbesitz und waren praktisch nicht veräußerbar. Land wurde durch Rodung und nicht durch Kauf erworben. Die ersten Kaufverträge haben die Germanen wohl mit den Römern über Sklaven gemacht. Man traf sich zu diesem Zweck in Gaststätten im Grenzgebiet, den sogenannten „Caupos“, woraus sich heute der Begriff „Kauf“ ableitet.

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Eine kurze Einführung in die deutsche Rechtsgeschichte
Autor
Jahr
2010
Seiten
68
Katalognummer
V164918
ISBN (eBook)
9783640802111
ISBN (Buch)
9783640802678
Dateigröße
920 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eine, einführung, rechtsgeschichte
Arbeit zitieren
Peter Becker (Autor:in), 2010, Eine kurze Einführung in die deutsche Rechtsgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164918

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