Ästhetische Erfahrungsbildung als Chance im Inklusionsprozess an Grundschulen


Bachelorarbeit, 2010

80 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Einleitung

1 Inklusive Bildung
1.1 Menschenrecht auf inklusive Bildung
1.2 Begriffsklärung Integration & Inklusion in der Pädagogik
1.3 Konsequenzen für das deutsche Schulsystem
1.3.1 Veränderungsprozesse auf struktureller Ebene
1.3.1.1 Lehramtsstudium NRW
1.3.1.2 (Bildungs-) Räume schaffen
1.3.1.3 Förderdiagnostik im Sinne einer Kind-Umfeld-Analyse
1.3.2 Index für Inklusion
1.3.3 Kompetenzzentren - Ausbau der Förderschulen
1.3.3.1 Gesetzliche Voraussetzungen
1.3.3.2 Aufgaben und Ziele
1.3.3.3 Diskussionsansätze

2 Bildungsstandards und Schlüsselkompetenzen
2.1 Schlüsselkompetenzen aus Sicht des VDW & der OECD
2.2 Bildungsstandards in einer inklusiven Pädagogik
2.3 Kompetenzorientierung an Grundschulen in NRW

3 Lernprozesse ästhetisch und inklusiv gestalten
3.1 Bedeutung von Wahrnehmung und Wahrnehmungsförderung
3.2 Ästhetische Wahrnehmung und ästhetische Erfahrung
3.2.1 Begriffserläuterung Erfahrung
3.2.2 Exkurs: Ästhetik im geschichtlichen Kontext
3.2.3 Ästhetische Bildung nach Klaus Mollenhauer
3.2.4 Ästhetische Erfahrungsbildung nach Gerd Schäfer
3.3 Ästhetische Lernprozesse

4 Didaktische und methodische Vorschläge für inklusiven Unterricht
4.1 Grundvoraussetzungen:
4.1.1 Altersmischung:
4.1.2 Forschendes und entdeckendes Lernen in Projektarbeit
4.1.3 Veränderte Zeitstrukturen
4.1.4 Räume und Material
4.2 Methodische Mittel zur Förderung ästhetischen Verhaltens
4.2.1 Bildungsprozesse durch Spiel
4.2.2 Gestalten als Mittel der Ausdrucksfähigkeit und Kommunikation
4.2.2.1 Malen und Zeichnen
4.2.2.2 Basteln
4.2.2.3 Bauen, Konstruieren, Werken
4.2.2.4 musikalisches Handeln und Gestalten
4.3 Unterrichtsstruktur

5 Zusammenfassung – Fazit

6 Literaturverzeichnis

7 Internetquellen

8 Anhang

0 Einleitung

Weltweit wird über die Verwirklichung von Partizipation aller Bürger an den kulturellen, sozialen und materiellen Gütern einer Gesellschaft nachgedacht. Die folgende Arbeit beschäftigt sich, auf Grundlage des Integralen Ansatzes (Feuser 1995, 173), mit der Inklusionsdebatte im deutschen Bildungssystem. Strukturelle Bedingungen werden aufgezeigt, vorrangig bezogen auf NRW. Georg Feuser beschreibt den Menschen als „Integrum“, eine integrierte Einheit von „Biologischem, Psychischem und Sozialem“ (ebd.). Der integralen Sichtweise liegt ein ganzheitliches Menschenbild zugrunde. Sie reduziert den Menschen nicht auf seine Leistungs- und Produktionsfähigkeit und schafft somit eine neue Qualität von Gesellschaft, in der jeder Mensch als ein Individuum mit eigenen Bedürfnissen und Ressourcen wahrgenommen wird. Diese Sichtweise erübrigt die Notwendigkeit von Integrationsmodellen, da eine solche Gesellschaft ohne Selektion oder Integration auskommt. Jeder Mensch ist vollwertig und gleichberechtigt und hat ein Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe, im gesellschaftlichen, schulischen, beruflichen und privaten Kontext. Anhand folgender Grafik soll verdeutlicht werden, dass Deutschland von dieser Vorstellung jedoch noch weit entfernt ist. Aus dem Blickwinkel historischer Behindertenpädagogik unterscheiden wir international fünf Entwicklungsstufen (vgl. Sander 2004, 243).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung1 Quelle: GEW

Es stellt sich nun die Frage, auf welcher Stufe steht Deutschland im Jahre 2010? Laut Kultusministerkonferenz (KMK 2008, XIII) lassen sich für das Schuljahr 2006 folgende Daten erheben: Von insgesamt 484.300 SchülerInnen mit besonderem Förderbedarf wurden 76.300 SchülerInnen in allgemeinen Schulen integrativ unterrichtet. Dabei wurde jegliche Form von Integration gezählt, auch die Einzelintegration, eventuell ohne zusätzliche personale Ressource, und ebenso die Errichtung von Sonderklassen in einer Regelschule. Das entspricht einem Landesdurchschnitt von 15,7 %. Dieser hat im Vergleich zum Jahre 2003, mit einem Durchschnitt von 12,8 %, leicht zugenommen. Die Zahlen für das Schuljahr 2007/2008 (KMK 2009) sind ebenso leicht angestiegen. Von insgesamt 485.088 wurden 84.689 SchülerInnen integrativ unterrichtet. Das entspricht einem prozentualen Anteil von 17,5 %. Diese Statistik macht deutlich, dass wir uns auch heute noch überwiegend auf der Stufe der Separation befinden, trotz der gemeinsamen Erklärungen der Länder vom 06.05.1994 auf der UNESCO Weltkonferenz in Salamanca, dass Regelschulen mit einer integrativen Orientierung das beste Mittel sind, um diskriminierende Haltungen zu bekämpfen und eine Bildung für Alle zu erreichen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern erfolgt in Deutschland die Zunahme der SchülerInnenzahlen durch integrativen Unterricht eher langsam. Die schulische Integrationsquote lag bereits vor ca. 10 Jahren, z. B. in Norwegen und Italien bei 100 %, in Portugal bei 70 %, in Spanien bei 50 %, in Schweden, Dänemark, und Großbritannien bei 30 % (Eberwein/Knauer 2002, 13). Zur Relativierung dieser Ergebnisse ist zu erwähnen, dass die Qualität der schulischen Integration bei solchen Datenerhebungen nicht berücksichtigt wird.

Alfred Sander beschreibt die inklusive Schule als orientierendes Richtziel für das gesamte Bildungswesen und nicht nur für die Behindertenpädagogik. Er sieht in der Individualisierung eine Chance, die Erziehungs- und Bildungssituation von allen Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Er macht deutlich, dass Pädagogik neben den kurzfristig erreichbaren auch mittel- und langfristige Ziele im Inklusionsprozess benötigt, um die Entwicklungsstufe 6, Vielfalt als Normalität, zu erreichen (vgl. Sander 2004, 243). Der Index für Inklusion ist ein konkretes Instrument zur Überprüfung der Qualitätsfrage des inter-nationalen Ansatzes der Inklusion an Schulen. In den USA und Australien gab es bereits in den 80er Jahren Versuche, über einen Index die integrative Qualität der Situation eines Kindes zu dokumentieren. Auf dieser Grundidee basierend wurde in Großbritannien, in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Eltern, SchulleiterInnen und LehrerInnen, der Index for Inclusion entwickelt, der sich nicht mehr auf die Ebene des einzelnen Kindes bezieht, sondern den Blick auf die gesamte Schulentwicklung richtet (Boban/Hinz 2004, 13). Bildung ist in unserem föderalen System Ländersache. In NRW gibt es unterschiedliche Ansätze zur Umsetzung der inklusiven Bildung. Das Pilotprojekt Ausbau von Förderschulen zu Kompetenzzentren wird in diesem Kapitel kritisch durchleuchtet.

Im weiteren Verlauf meiner Arbeit beschäftige ich mich mit Schlüsselkompetenzen, Bildungsstandards und der neuen Kompetenzorientierung an Grundschulen. Ich betrachte es als Aufgabe aller, sich mit Bildung befassender Menschen, Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, Schlüsselkompetenzen zu erwerben, um den Anforderungen eines eigenständigen und selbstbestimmten Lebens nachkommen zu können. Dies wirft vor allen Dingen Fragen danach auf, welches Bildungsverständnis zugrunde gelegt wurde, um Standards festzulegen und wie es in diesem Rahmen möglich ist, inklusive Strukturen zu etablieren.

Das dritte Kapitel behandelt die Bedeutung von Wahrnehmungsförderung für kindliche Lernprozesse. Dabei steht die ästhetische Erfahrungsbildung, als Basis für das gemeinsame Lernen und Leben in der inklusiven Grundschule, im Vordergrund. Das kindliche System ist ein weiterer Faktor, der die Entwicklung eines Kindes maßgeblich beeinflusst. Uri Bronfenbrenner beschreibt die Entwicklung von Menschen in ökologischen Systemen und betont, dass die Einflussfaktoren des kindlichen Ökosystems die entsprechenden Voraussetzungen für die kindliche Entwicklung schaffen. In beiden Ansätzen sind die Grundlagen für das Konzipieren einer neuen Didaktik enthalten, welche die Heterogenität im gemeinsamen Unterricht berücksichtigt. LehrerInnen sowie Sonder- und HeilpädagogInnen sind durch den Wandlungsprozess im Sonderschulwesen verunsichert. Sie sind jedoch die ausführenden Organe eines neuen Bildungssystems und brauchen neben der integralen Sichtweise auch entsprechende Methodenkompetenzen. Inklusive Bildung impliziert unter anderem neue Unterrichtspraktiken, ohne Kinder zu separieren. Die Klasse lernt nicht mehr im Gleichschritt, sondern zieldifferent. Darauf baut das letzte Kapitel auf, welches zum Ziel hat, die theoretischen Überlegungen zu einer inklusiven Schulkultur in die Praxis umzusetzen. Methodische Vorschläge bauen dabei auf ministerialen Vorgaben auf, die jedoch durch das Konzept der ästhetischen Erfahrungsbildung in einer altersgemischten, inklusiven Klasse erweitert werden. Eine große Chance, die Qualität des inklusiven Unterrichtes zu steigern, kann darin gesehen werden, KindheitspädagogInnen mit dem Schwerpunkt Entwicklungsbegleitung von Kindern mit besonderem Förderbedarf in die Bedarfsplanung von Fachper­sonal einzubeziehen. Sie sind vor allem ExpertInnen in der Gestaltung von elementaren Bildungsprozessen, die sich in der Grundschule gewissermaßen erst wieder fest etablieren müssen.

1 Inklusive Bildung

Vor ca. 30 Jahren begann in Deutschland die Integrationsentwicklung. Diese bezog sich auf die Eingliederung aller Menschen, solcher mit Migrationshintergrund, solcher mit Behinderung und auf Menschen aus gesellschaftlichen Randgruppen. Vielfalt als Chance zu betrachten und ein gemeinsames Leben und Lernen aller Menschen zur Normalität zu erklären, setzt einen grundsätzlichen politischen Willen voraus. Gleichzeitig werden gesellschaftliche Veränderungsprozesse in Gang gesetzt, die entsprechende Denk-, Lebens- und Handlungsweisen aller Menschen beeinflussen können. Demokratische Bestrebungen, Grundrechte für alle Mitglieder einer Gesellschaft umzusetzen, lassen die Aussicht zu, dass durch die gesetzliche Absicherung in Zukunft auch Menschen mit Beeinträchtigungen gleichwertig und gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Dazu gehören beispielsweise das Diskriminierungsverbot Art. 3 GG, von 1994, das von der Bundesregierung erlassene Gleichstellungsgesetz von 2002 sowie das neue Sozialgesetzbuch IX aus dem Jahre 2001. Die Integrationspädagogik stellt eine wichtige Teildisziplin in diesem gesellschaftlichen Veränderungsprozess dar und befindet sich derzeitig im Umbruch. Dies wird unter anderem deutlich dadurch, dass Begrifflichkeiten wie Integration und Inklusion in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung neu diskutiert werden und ihnen vor allem im Bereich der Bildung unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben werden.

1.1 Menschenrecht auf inklusive Bildung

Integration und Inklusion ist ein verfassungsmäßig garantiertes Menschenrecht. Es wurde 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem Recht eines jeden Menschen auf Bildung verankert und 1990 auf der Weltkonferenz mit dem Versprechen bekräftigt, dass dieses Recht unabhängig von individuellen Unterschieden zu sichern ist. 1994 hat die UNESCO- Weltkonferenz "Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität" (Special Needs Education: Access and Quality) in Salamanca alle Länder der Welt aufgerufen, das Prinzip der integrativen Pädagogik anzuerkennen. Es wurde eine Erklärung verfasst, die durch Abstimmung am 10. Juni 1994 angenommen wurde. Diese Konferenz stellte den Inklusionsbegriff in den Mittelpunkt. Es wurde, in englischer Version, von inklusiver Schule und inklusiver Bildung gesprochen, ohne den Begriff genau zu definieren (vgl. Sander 2004, 240). In der deutschen Übersetzung (herausgegeben durch die österreichische UNESCO-Kommission) ersetzte man die Begriffe inclusive und Inclusion durchgängig durch integrativ und Integration (Erklärung von Salamanca im Anhang). Die Vereinten Nationen trafen 2006 ein erneutes Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung.

UN-Behindertenkonvention Artikel 24 – Bildung:

(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel, (…)

(2) Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden; (…) (Bundesgesetzblatt 2008, 1436-1437).

Durch die gegebene Rechtslage ist nun immer häufiger zu erwarten, dass Eltern notfalls ihr Recht auf integrative Erziehung und gemeinsamen Unterricht (GU) gerichtlich einfordern werden. In einigen Schulgesetzen ist jedoch der Zusatz zu finden, dass eine Finanzierbarkeit der Umsetzung gegeben sein muss. In Zeiten finanzieller Knappheit der Kommunen und Länder wird es folglich schwer sein, das Recht auf gemeinsamen Unterricht durchzusetzen.

1.2 Begriffsklärung Integration & Inklusion in der Pädagogik

In der fachlichen Auseinandersetzung werden die Begriffe Integration und Inklusion unterschiedlich angewendet. Ralph Fleischhauer (Schulministerium NRW) bezeichnet Integration als Prozess, als Assimilation des Individuums, welches sich an bestehende Schulstrukturen mit sonderpädagogischer Unterstützung anzupassen hat und Inklusion als Prinzip, als Anpassung des Systems im Umgang mit Heterogenität (Gew. Fachtagung 2009). Eine wichtige Unterscheidung von Integration und Inklusion besteht darin, dass sich Inklusion gegen eine Zwei-Gruppen-Kategorisierung wendet, wie Behinderte und Nicht-Behinderte, Ausländer und Deutsche, Heterosexuelle und Homosexuelle, etc.. Eine Diskussion aus diesem Blickwinkel betrachtet, macht es möglich zu erkennen, welche Grundhaltung und welches pädagogisch-didaktische Konzept hinter der angewandten Begrifflichkeit stehen. Alfred Sander unterscheidet drei Formen von Inklusion (vgl. Sander 2004, 240).

Inklusion 1 meint den reinen Austausch des traditionellen Begriffes Integration durch Inklusion, also die Gleichsetzung, ohne die inhaltlichen Unterschiede der aktuellen Reformgedanken im Bildungssystem zu berücksichtigen. Kinder mit Behinderungen und Beeinträchtigungen werden in Sonderinstitutionen gefördert.

Inklusion 2 bezieht sich auf Konzepte und Modelle, in denen Kinder mit und ohne Behinderung eine gemeinsame Schule besuchen. Ziel dieser Modellprojekte ist die landesweite Anwendung, die Dissemination nach Vollendung der Erprobungs- und Überarbeitungsphase. Diese Form der Inklusion birgt die Gefahr, dass sie auch von Uninteressierten oder Gegnern der Reform gelebt werden muss und somit häufige Fehlformen auftreten können, z. B. wenn die sonderpädagogische Förderung eng auf das behinderte Kind ausgerichtet bleibt und nicht auf die gesamte Klasse übertragen wird. Letztendlich meint jedoch Inklusion 2 „die von allen Fehlformen bereinigte Integration behinderter Kinder“ (ebd.).

Inklusion 3 bezieht sich auf alle Kinder, da alle Kinder einen individuellen Förderbedarf haben, auch die ohne Behinderung und beispielsweise auch die hochbegabten. Inklusion 3 ist die „optimierte und umfassend erweiterte Integration“ (ebd.). Ihr Ziel ist es, den Unterricht und das Klassenleben zu verändern. Die Heterogenität wird zur Ausgangslage und Zielvorstellung pädagogischen Handelns.

Alexander Hinz und Alfred Sander (vgl. Heimlich 2007, 60) machten das Konzept der Inklusion im bundesdeutschen Sprachraum bekannt. Hinz unterscheidet zwischen integrativen und inklusiven Maßnahmen folgendermaßen (vgl. ebd., 62):

Integrative Maßnahmen setzen voraus, dass bei Kindern und Jugendlichen ein Förderbedarf oder eine Behinderung diagnostiziert sein muss, um daraus entsprechende Fördermaßnahmen entwickeln zu können. Dieses Modell orientiert sich an Defiziten mit dem Hintergrund, eine spezielle Förderung durch heil- und sonderpädagogische Unterstützung zu initiieren, die sich in diesem Falle auf der institutionellen Ebene bewegt.

Inklusive Maßnahmen setzen einen Paradigmenwechsel voraus, eine Grundhaltung, die von dem Gedanken ausgeht, auf eine Ausdifferenzierung von unterschiedlichen Gruppen von Kindern und Jugendlichen zu verzichten. Unterstützende Maßnahmen finden sich im System der Kinder wieder. Sonder- und HeilpädagogInnen sind in den jetzigen (Regel-) Schulen angesiedelt und die Aufsplitterung der Zuständigkeiten zwischen ihnen und den LehrerInnen entwickelt sich zu einer gemeinsamen Zuständigkeit. Allen Kindern stehen somit die entsprechenden Ressourcen pauschal zur Verfügung, nicht nur den diagnostizierten mit besonderem Förderbedarf. Es wird von dem Grundgedanken ausgegangen, dass jedes Kind einen individuellen Bedarf hat und diesem wird in individuellen Curricula entsprochen.

Trotz dieser immer üblicher werdenden Unterscheidung der Begrifflichkeiten darf nicht vergessen werden, dass viele IntegrationspädagogInnen weiterhin von Integration sprechen. Feuser stellt die Frage : „Warum attributiert man den Integrationsbegriff mit falsch verstandener, nicht gelungener oder fehlt entwickelter Integration und wertet ihn dadurch ab, unterstellt ihm kontraproduktiv-segregierende Wirkung (…)?“ (Feuser 2006, 29-30). Hans Eberwein und Sabine Knauer beschreiben beispielsweise die integrative Beschulung als gemeinsames Lernen in der allgemeinen Schule und sehen die Existenz der Sonderschulen wissenschaftstheoretisch, pädagogisch und politisch nicht mehr gerechtfertigt, denn „soziale Integration kann nicht durch schulische Separation bewerkstelligt werden“ (Eberwein/Knauer 2002, 27 ). Sie fordern, „den Behinderungsbegriff, die Sonderpädagogisierung von Lernproblemen aufzugeben und pädagogisches Handeln auf das gemeinsame Lernen, die Förderung der Entwicklung, Identität und Autonomie aller Kinder zu richten“ (ebd., 26). Hier wird deutlich, dass nicht die Begriffe Inklusion oder Integration für eine bestimmte Pädagogik oder Sichtweise stehen, sondern die Haltung und die entsprechende Umsetzung. Der Klarheit und Verständlichkeit wegen, wird im weiteren Verlauf der Arbeit von mir vorrangig der Begriff Inklusion im Sinne von Inklusion 3 nach Alfred Sander benutzt.

1.3 Konsequenzen für das deutsche Schulsystem

Die Fachliteratur der angelsächsischen Länder beschäftigt sich schon seit mehr als 20 Jahren mit dem Inklusionsgedanken. Vor allem in Großbritan-nien, den USA und Kanada wird die Effektivitätssteigerung des gesamten Schulsystems als zentrales Argument für die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung benutzt (vgl. Biewer 2005, 101). Gleichzeitig wird integrative Beschulung auf der ethischen Ebene mit dem Grundrecht auf Teilhabe an der Gemeinschaft begründet. Dies impliziert die Annahme, dass jegliche Form von Segregation durch Sondererziehung diesem Recht entgegenläuft. In der Konsequenz würde dies die Aufhebung aller sonderpädagogischen Institutionen bedeuten. „Die Herausbildung von pädagogischen Subsystemen wie Sonderpädagogik und weiterer Parasysteme wie Ambulanzpädagogik mit ihrer Tendenz zur Verselbstständigung, Abgrenzung und Eigenleben verstärken Aussonderungstendenzen und erschweren die Durchsetzung integrativer Einrichtungen“ (Eberwein/Knauer, 2002). In Deutschland hat die kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema später begonnen. Erst in den letzten 10 Jahren wurden Forderungen nach einer Reform des deutschen Bildungssystems deutlich formuliert, nicht zuletzt durch die im internationalen Vergleich erzielten schlechten Ergebnisse der Lernstandserhebungen und der PISA-Studien. Die Diskussionen über die Konsequenzen für das Bildungssystem laufen jedoch stark kontrovers. Während die Gegner von Inklusiven Schulen an der Segregation festhalten, beispielsweise mit der Befürchtung, dass die Qualität der Fördermaßnahmen für SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sinken würde, dazu gehören in einem großen Maße auch die SonderpädagogInnen (vgl. ebd. 18), sehen die BefürworterInnen die Tatsache als erwiesen an, dass Eine Pädagogik für Alle die Antwort auf die Veränderungen aktueller struktureller und politischer Voraussetzungen ist. „Inklusion will die Veränderung bestehender gesellschaftlicher Strukturen, um der Verschiedenheit der Menschen gerecht zu werden“ (Biewer 2005, 102). Im Gegensatz zur Integrationspraxis sieht das Konzept Inklusion vor, dass sich die Institution Schule in Lehr-, Lern- und Organisationsformen umgestalten muss, anstatt die Änderung oder Heilung des jeweiligen Kindes in den Vordergrund zu stellen (ebd.). Das beinhaltet unter anderem eine grundlegende Veränderung des LehrerInnenstudiums. Da die Grenzen zwischen Grund- und Sonderschulen fließend geworden sind, ergibt sich nach Peter Heyer und Richard Meier eine spezielle Aufgabe im Überschneidungsbereich beider Schultypen. Sie sehen die Notwendigkeit gegeben, sich mit Teilaspekten des speziellen pädagogischen Wissens der jeweils anderen LehrerInnengruppe auseinander zu setzen und machen dazu konkrete Vorschläge, wie dies in einem Vier-Stufen Modell umsetzbar wäre (vgl. Heyer/Meier 2002, 450). Ziel der vierten Stufe ist die Zusammenlegung der Studiengänge zur integrationspädagogischen Ausbildung im Grundschul- und Sekundarbereich. In diesem Zusammenhang ist die von der freien Universität Berlin angestoßene Entwicklung hervorzuheben, die seit Sommersemester 2000 eine integrationspädagogische Pflichtveranstaltung für alle Lehrämter verlangt. Alle Bundesländer haben sich mit Reformen der Ausbildung von LehrerInnen in unterschiedlichen Bereichen auseinandergesetzt und entsprechende Änderungen verabschiedet. Das nächste Kapitel bezieht sich vor allem auf die Strukturänderungen in NRW.

1.3.1 Veränderungsprozesse auf struktureller Ebene

1.3.1.1 Lehramtsstudium NRW

Am 26. Mai 2009 trat das Gesetz zur Reform der Lehrerausbildung in Kraft, und entsprechend wird das Lehramtsstudium in NRW bis spätestens zum Beginn des Wintersemesters 2010/2011 umgestellt. Als Voraussetzung für die Zulassung zum Studium ist unter anderem folgender Passus zu finden: „Der Lehrerberuf setzt die Freude an der Zusammenarbeit mit jungen Menschen voraus. Lehrerinnen und Lehrer müssen begeistern können - und sie müssen das Ziel verfolgen, mit großem Engagement zur Persönlichkeitsentwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler beizutragen. Wer andere fördern möchte, muss Interesse an der Entwicklung des eigenen Fähigkeitsprofils haben. Das schließt die Bereitschaft ein, fachliche, kommunikative und soziale Kompetenzen ständig weiterzuentwickeln“ (MSW des Landes NRW, 2009). Die Verantwortung für das Studium wird an die Hochschulen verlegt und das Land übernimmt nur noch die unmittelbare Verantwortung. Diese beinhaltet den Vorbereitungsdienst z. B. in Form von Zielvereinbarungen mit den einzelnen Hochschulen. Neu ist auch die Zielvorgabe : „…Ausbildung und Fortbildung einschließlich des Berufseinstiegs orientieren sich an der Entwicklung der grundlegenden beruflichen Kompetenzen für Erziehung und Unterricht, Beurteilung, Diagnostik, Beratung, Kooperation und Schulentwicklung sowie an den wissenschaftlichen und künstlerischen Anforderungen der Fächer. Dabei ist die Befähigung zur individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern und zum Umgang mit Heterogenität besonders zu berücksichtigen“ (Gesetz zur Reform der Lehrerausbildung §2(2)). Deutlich wird dies auch in der Verteilung der Leistungspunkte. Insgesamt 300 Leistungspunkte sind für das Lehramt an Grund-, Haupt-, Real-, Gesamtschulen und am Gymnasium zu erreichen. Ein Leistungspunkt entspricht 30 Stunden Workload. Im Folgenden werden nur die zu erreichenden Standards erwähnt, die sich unmittelbar auf die Umsetzung des Inklusionsprozesses beziehen könnten.

- Für die Grundschule werden 64 Leistungspunkte in folgenden Bereichen benötigt: - Bildungswissenschaften/Grundschulpädagogik einschließlich Praxiselemente, Konzepte frühen Lernens und Konzepte vorschulischer Bildung, Sonderpädagogik sowie Diagnose und Förderung
- Für das Lehramt an Haupt-, Real-, Gesamtschulen ist ein Workload von 81 Leistungspunkten vorgesehen in den Bereichen Bildungswissenschaften / Entwicklung und Sozialisation im Jugendalter einschließlich Praxiselemente, Sonderpädagogik, Diagnose und Förderung, Lehramtsbezogener Profilbereich
- Im Gymnasium findet der Bereich Sonderpädagogik keine Relevanz mehr. Es ist ein Workload von 41 Stunden im Bereich Bildungswissenschaften & Methoden wissenschaftlichen Arbeitens einschließlich Praxiselementen sowie Diagnose und Förderung vorgesehen.

Die Änderungen der Gesetze zur LehrerInnenausbildung sind vor allem durch den Bologna-Prozess und durch die Aufdeckung der Defizite und Mängel in ergänzenden Gutachten zur OECD-Lehrerstudie von 2003 ausgelöst worden. Die Friedrich Ebert Stiftung beauftragte den Pädagogen Prof. Jürgen Oelkers der Universität Zürich mit der kritischen Analyse der inhaltlichen und juristischen Rahmenvorgaben für die LehrerInnenausbildung in 16 Bundesländern. Er beschreibt die bisherigen Gesetze auf reine Inputsteuerung abzielend, mit einem komplizierten und kleinteiligen System der Leistungsbewertung. In seiner Studie wird das Reformgesetz von NRW besonders hervorgehoben, indem er hier ein Umdenken zur Outputorientierung verzeichnet (vgl. Oelkers 2009, 87). Mit Output im Bildungsbereich sind die Ergebnisse oder der Lernertrag einer Bildungsmaßnahme gemeint.

Zusammenfassend betrachtet ist zu erkennen, dass der Reformprozess in NRW den zieldifferenten Unterricht in heterogenen Klassen zum Gegenstand der reformierten LehrerInnenausbildung macht. Außerdem wird der Bereich Sonderpädagogik Standard des Lehramtsstudiums in Grund- Haupt- und Realschule. Dies entspricht zum Teil der Forderung der IntegrationspädagogInnen nach einer integrierten LehrerInnenbildung (vgl. Heyer/Meier 2002, 454). In ganz Deutschland wird jedoch weiterhin am mehrgliedrigen Schulsystem festgehalten. Eine Schule für Alle ist in keinem Bundesland zu finden. Die Ausrichtung des Studiums nach unterschiedlichen Lehrämtern wird konsequent weiterhin realisiert.

Alle drei Jahre werden die Hochschulen Rechenschaft über die Auswirkungen der Reform ablegen. Die Länder haben sich verpflichtet, die LehrerInnenbildung regelmäßig auf der Grundlage der vereinbarten Standards zu evaluieren und gegebenenfalls weiter zu verändern.

1.3.1.2 (Bildungs-) Räume schaffen

„Die heute üblichen Raumstrukturen sind immer noch weitgehend vom Modell der Kaserne bestimmt und repräsentieren die alte Vermittlungsschule“ (Heyer 2002, 196). Peter Heyer kritisiert, dass Fragen nach der Gestaltung der Unterrichtsräume und des Schulgeländes in den Fachdiskussionen wenig Beachtung finden. Dabei sind entsprechende Raumstrukturen für individuelle Lernprozesse der Kinder eine wichtige Voraussetzung. Die Räume müssen so gebaut und ausgestattet sein, dass Platz für tatsächliches, experimentelles, aktives Lernen möglich wird. Den Kindern muss neben den entsprechenden Räumlichkeiten auch ausreichend Material für vielfältige Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, um ihnen zu ermöglichen, eigenes Wissen zu konstruieren und Schaffungsprozesse in Gang zu setzen. Bezüglich der ästhetischen Erfahrungsbildung sollte ein grundsätzlicher Werkstattcharakter erkennbar sein. Detaillierte Ausführungen hierzu sind im Kapitel 4.1.4 Räume und Material zu finden.

Heyer fordert bei Grundschulneu- und Erweiterungsbauten, dass von Beginn an integrationspädagogische Prinzipien und spezielle behindertenspezifische Erfordernisse berücksichtigt werden (vgl. ebd., 197).

Die außerschulische Lebenswelt gestaltet sich genauso heterogen wie die Klassenzusammenstellung. Die Lebens- und Lernbedingungen der Kinder unterscheiden von daher oftmals gravierend. Ziel sollte sein, diese Unterschiede ein Stück weit auszugleichen. Eine inklusive Schule soll nicht nur Lern-, sondern auch Lebensstätte sein (vgl. ebd, 196). Kinder wie Erwachsene müssen sich gleichermaßen wohl fühlen können. Um Lebenswelt und Schule miteinander verknüpfen zu können, muss die räumliche Nähe gegeben sein sowie die Bereitschaft der Schule zur Öffnung nach außen. Hierdurch erweitern sich die Bildungsräume, da auf den Alltagserfahrungen der Kinder im Unterricht aufgebaut werden kann und die kulturellen Lernräume im eigenen Lebensfeld für alle Familien eine Relevanz finden.

1.3.1.3 Förderdiagnostik im Sinne einer Kind-Umfeld-Analyse

Die traditionelle sonderpädagogische Diagnostik ist geprägt von einer selektiven und typisierenden Ausrichtung (vgl. Mutzeck 2002, 7). Sie stellt das Kind mit seinen Normabweichungen in den Mittelpunkt und orientiert sich in der praktischen Förderung an seinen Defiziten. Diese Sichtweise des zu fördernden Kindes wird schon seit 1979 auf der Arbeitstagung der Dozenten an sonderpädagogischen Studienstätten in deutschsprachigen Ländern in Frage gestellt. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass dieser Diagnostikansatz, der sich seit den 50er Jahren stets auch weiterentwickelt, erst mal grundsätzlich zur Verbesserung der Situationen von Menschen mit Beeinträchtigungen geführt hat.

Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Bundesrepublik Deutschland (KMK) hat in ihren Empfehlungen zur Ordnung des Sonderschulwesens von 1972 zur Verwirklichung des Rechtes auf Bildung für behinderte Kinder beigetragen und den Ausbau eines differenzierten Sonderschulwesens unterstützt. Als Reaktion auf veränderte Lebensbedingungen und gesellschaftliche Umbrüche und auf die Erfahrungen mit Gemeinsamen Unterricht empfiehlt die KMK von 1994: „Die Bildung behinderter junger Menschen ist verstärkt als gemeinsame Aufgabe für grundsätzlich alle Schulen anzustreben. Die Sonderpädagogik versteht sich dabei immer mehr als eine notwendige Ergänzung und Schwerpunktsetzung der allgemeinen Pädagogik“ (KMK, 1994). Dieses deutliche Umdenken impliziert ein verändertes Verständnis im Umgang mit Menschen mit Behinderung. In diesem Zusammenhang wird auch davon gesprochen, die Förderdiagnostik auszuweiten. Die Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs soll im Sinne einer Kind-Umfeld-Analyse erfasst werden, interdisziplinär und unter Mitwirkung der Eltern und all derjenigen, die an der Förderung des Betroffenen beteiligt sind (vgl. KMK, 1998). „Die Kind-Umfeld-Analyse umfasst also möglichst alle relevanten personellen und materiellen Begebenheiten im Umfeld des Kindes“ (Sander 2002, 12). Dieser systemische Ansatz legt die Verflochtenheit der Entwicklung eines Kindes in seinen familiären, schulischen und anderen Umfeldern offen. Er ist ein fortlaufender Prozess und keine einmalige Feststellung und setzt mit der Förderplanung bei jedem Kind individuell an.

Auch wenn die Beschlüsse der KMK nur einen empfehlenden Charakter haben, hatten sie im Bezug auf das Sonderschulwesen bislang eine nachhaltige Wirkung (vgl. Bundschuh 2002, 26). 2008 beschloss die KMK die Empfehlungen fortzuschreiben und betonte , „dass die personenbezogene, individualisierende Sichtweise sonderpädagogischer Förderung und integrativer Bildung Vorrang vor institutionsbezogener Förderung hat“ (KMK, 2010). Die Verantwortung für die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs liegt bei Schule und Schulaufsicht. Wenn diese nicht über sonderpädagogische Kompetenzen verfügen, sollen fachkundige Berater hinzugezogen werden. Eine Kind-Umfeld-Analyse muss von einem Team aus Personen mit Einblick in das Kind-Umfeld-System durchgeführt werden (vgl. Sander 2002, 16) und kostet Zeit und entsprechende Ressourcen.

1.3.2 Index für Inklusion

Der Index for Inclusion wurde von den britischen Pädagogen Mel Ainscow und Tony Booth entwickelt und wird inzwischen international erfolgreich eingesetzt. In England bekam der Index for Inclusion den Untertitel: Developing Learning and Participation in Schools. Damit wird verdeutlicht, dass zum einen die Steigerung des Lernens und zum anderen die Teilhabe in Schulen als konkrete Ziele im Inklusionsprozess zu verfolgen sind. Alexander Hinz kritisiert für Deutschland die häufig fehlende Diskussion über inhaltliche Grundlagen der Inklusion in der methodischen Literatur. Er publiziert den Index für Inklusion als eine Möglichkeit zur Selbstevaluation. Der Index beschreibt eine integrations-inklusionsbezogene Schulqualität, er bezieht inhaltlich alle Dimensionen von Heterogenität ein, alle relevanten Personen und Personengruppen werden demokratisch am Inklusionsprozess beteiligt (vgl. Hinz 2004, 247). Der Index soll Schulen, die sich zu einer Schule für Alle entwickeln wollen, mit einem systematischen Raster von Fragen und Indikatoren eine Hilfe bieten, die eigene Entwicklung kontinuierlich zu überprüfen. Hinz schlägt ein Vorgehen in 5 Phasen vor.

Phase 1: In dieser Phase soll bei allen beteiligten Personen ein grundsätzliches Bewusstsein über den Index geweckt werden. Ein Index-Team wird gebildet, in welchem alle relevanten Gruppen vertreten sind. Es soll ein Austausch über das Konzept stattfinden, in welchem sich mit den ausdifferenzierten Indikatoren und Fragen des Index intensiv beschäftigt werden kann. Die Arbeit mit anderen Gruppen im Umfeld der Schule wird vorbereitet.
Phase 2: Es erfolgt eine Bestandsaufnahme der Schulsituation. Hier wird die Einschätzung von SchülerInnen und Eltern, MitarbeiterInnen und schulischen Gremien und dem Umfeld der Schule deutlich. Im Anschluss daran sollten die Prioritäten für die Entwicklung festgelegt werden.
Phase 3: Der Index soll in das vorhandene Schulprogramm integriert werden, das heißt, es wird kein neues Schulprogramm entwickelt, sondern er soll sinnvoll eingearbeitet werden und die Basis erweitern und „befruchten“ (ebd. 248).
Phase 4: Festgelegte Prioritäten werden umgesetzt und Fortschritte dokumentiert.
Phase 5: Die Reflexionsphase zeigt den Fortschritt des Prozesses. Phase 5 geht dann wieder in Phase 2 über, wie ein stetiger Kreislauf, um die Schulsituation neu zu beleuchten und weitere Schritte zu veranlassen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 : Der Index-Prozess und der Planungskreislauf der Schulentwicklung (Boban/Hinz 2003, 19)

Grundlage für den Rahmen der Analyse bilden drei Dimensionen, die in Bezug zueinander stehen.

Dimension A: Inklusive Kulturen schaffen, beinhaltet das Bilden einer sich gegenseitig schätzenden und respektierenden Gemeinschaft in welcher inklusive Werte verankert werden. „Eine inklusive Schulkultur wird getragen von dem gegenseitigen Vertrauen in die Entwicklungskräfte aller Beteiligter und dem Wunsch, niemanden zu beschämen“ (Boban/Hinz 2003, 15).
Dimension B: Inklusive Strukturen etablieren soll dazu beitragen, dass das Leitbild der Inklusion in allen Bereichen gelebt wird. Dabei haben alle schulischen Aktivitäten eine wichtige Bedeutung, die dazu beitragen, den Aussonderungsdruck zu verringern und auf die Vielfalt der SchülerInnen einzugehen. Selbst die freundliche morgendliche Begrüßung aller gehört dazu.
In der Dimension C: Inklusive Praktiken entwickeln werden alle Beteiligten dazu angeregt, auf alle Aspekte ihrer Bildung und Erziehung Einfluss zu nehmen. Der Unterricht spiegelt die Vielfalt der SchülerInnen wieder, baut auf Alltagserlebnisse auf und bezieht den Lebensraum, die örtliche Gemeinde mit ein. Materielle Ressourcen werden durch die Öffnung mobilisiert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Die drei Dimensionen des Index (Boban/Hinz 2003, 15).

Der Index setzt sich mit der Qualitätsfrage in Bezug auf Schule generell auseinander. Eltern erhalten die Möglichkeit, sich in die Schulentwicklung einzumischen und Einfluss auf die Profilentwicklung zu nehmen. In einer Schule für Alle muss sich kein Kind oder Jugendlicher durch Mindestfähigkeiten qualifizieren, sondern jeder Mensch hat automatisch den Anspruch darauf , „als vollwertiges Wesen anerkannt und als wertvoller Teil der Gesellschaft willkommen geheißen zu werden“ (Boban/Hinz 2004, 11). Um die Gefahr zu vermeiden, Kindern mit sonderpädagogischem und besonderem Förderbedarf Zugangsmöglichkeiten zur Bildung vorzuenthalten, sollten die allgemeinen Curricula für alle gelten und entsprechend individualisiert werden.

Die Haltung in einer solchen Schule ist geprägt dadurch, dass sie nicht mehr an einer Zwei-Gruppen-Theorie festhält, sondern Heterogenität als Normalität betrachtet. Um zu verdeutlichen, dass es nicht nur um Menschen mit Behinderungen geht, also mit sonderpädagogischen Förderbedarf, sollen an dieser Stelle einige Dimensionen von Heterogenität erwähnt werden. In einer inklusiven Gesellschaft werden Menschen nicht mehr unterschieden nach: Erstsprachen, verschiedenen Geschlechterrollen, kulturellen Hintergründen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen, sexuellen Orientierungen, Familienstrukturen, sozialen Lagen oder nach ihren Fähigkeiten und Einschränkungen.

1.3.3 Kompetenzzentren - Ausbau der Förderschulen

In Schleswig-Holstein wurden bereits 1985 die ersten Förderzentren errichtet und ab 1990 wurden alle Sonderschulen beauftragt, als Förderzentren die Integration in den anderen Schulformen zu unterstützen (§ 25 SchulG Schleswig-Holstein). Die Pilotphase zum Ausbau von Förderschulen zu Kompetenzzentren in NRW begann erst mit dem Schuljahr 2008/2009 in 10 Regionen. Insgesamt nehmen inzwischen 30 Regionen teil und weitere Anträge sind gestellt, sodass sich die Zahl der Pilotregionen zum Schuljahr 2010/2011 auf über 50 ausweiten kann. Schulministerin Barbara Sommer sieht mit der Einrichtung von Kompetenzzentren einen guten Weg, den Eltern von Kindern mit Behinderungen eine wohnortnahe Förderung zu bieten. Da die Förderschulen weiterhin Unterricht erteilen, entspricht dieses Modell dem Wahlrecht der Eltern, den Förderort für ihr Kind zu bestimmen. Sommer ist der Überzeugung, dass viele Eltern ganz bewusst eine Förderschule wünschen und wählen (Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, 2009).

1.3.3.1 Gesetzliche Voraussetzungen

(5) Der Schulträger kann Förderschulen unterschiedlicher Förderschwerpunkte im Verbund als eine Schule in kooperativer oder integrativer Form führen. Der Schulträger kann Förderschulen zu Kompetenzzentren für die sonderpädagogische Förderung ausbauen. Sie dienen der schulischen Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und Angeboten zur Diagnose, Beratung und ortsnahen präventiven Förderung. Das Ministerium wird ermächtigt, die Voraussetzungen zur Errichtung und die Aufgaben im Einzelnen durch Rechtsverordnung näher zu regeln (§20 Abs. 5 Schulgesetz (NRW, zuletzt geändert Juni 2006)).

Durch diese Gesetzesverabschiedung reagiert der Landesgesetzgeber auf die deutlich veränderte Ausgangslage und die Zunahme der Anzahl von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die in NRW deutlich über dem Landesdurchschnitt liegt (vgl. KMK 2007/08). Grundgedanke zum Ausbau einer Förderschule zu einem Kompetenzzentrum ist, die unterschiedlichen Organisationsformen von sonderpädagogischer Förderung zu einem System auszubauen. „Es geht nicht darum, eine neue Säule der sonderpädagogischen Förderung einzurichten, (…). Es geht darum, ein Gesamtkonzept pädagogischer Förderung unter Einschluss sonderpädagogischer Förderung in den jeweiligen Einzugsbereichen zu entwickeln“ (Ministerium für Schule und Weiterbildung 2007, 2). Voraussetzung für den Ausbau ist eine Vernetzungsstruktur mit Schulen in Wohnortnähe, mit den Trägern der Jugendhilfe, mit außerschulischen und medizinischen Einrichtungen und mit Beratungsstellen unterschiedlicher Zielrichtungen. Eine Antragstellung erfolgt durch den Schulträger über die Bezirksregierung an das Ministerium für Schule und Weiterbildung.

[...]

Ende der Leseprobe aus 80 Seiten

Details

Titel
Ästhetische Erfahrungsbildung als Chance im Inklusionsprozess an Grundschulen
Hochschule
Katholische Hochschule NRW; ehem. Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Aachen
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
80
Katalognummer
V157103
ISBN (eBook)
9783640706327
ISBN (Buch)
9783640706266
Dateigröße
752 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inklusion ästhetische Bildung Grundschule integativer Unterricht, lebensweltorientierter Ansatz, Georg Feuser
Arbeit zitieren
Sylvia Wilbrink (Autor:in), 2010, Ästhetische Erfahrungsbildung als Chance im Inklusionsprozess an Grundschulen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/157103

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