Implikationen aus der sozialwissenschaftlichen Forschung für den Aufbau von Online Kundenbeziehungen im Retail Banking


Bachelorarbeit, 2009

79 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Gang der Untersuchung

2 Beziehungsaufbau im Internet auf Basis des Relationship Marketings
2.1 Relationship Marketing als neue Denkrichtung im Marketing
2.2 Aufbau von Kundenbeziehungen
2.3 Bindungsstärke von Kundenbeziehungen
2.4 Relationship Management im Online-Kanal bei Retailbanken
2.4.1 Charakteristika und Marketinginstrumente des Internets
2.4.2 Online Services der Retailbanken
2.4.3 Determinanten von Online-Kundenbeziehungen aus Sicht des Relationship Marketings

3 Status Quo der sozialwissenschaftlichen Forschung zu Online­Beziehungen
3.1 Definition der computervermittelten Kommunikation
3.2 Medien der computervermittelten Kommunikation
3.2.1 Synchrone Kommunikationsmedien
3.2.2 Asynchrone Kommunikationsmedien
3.3 Charakteristika von Interaktionen mit Hilfe computervermittelter Kommunikation
3.3.1 Fehlende non-verbale Kommunikation
3.3.2 Anonymität
3.3.3 Die Folgen fehlender non-verbaler Kommunikation und Anonymität
3.4 Theorien zur Beurteilung von Interaktionen in computervermittelter Kommunikation
3.5 Das Internet als Raum für soziale Beziehungen
3.5.1 Vorteile des Internets für den Aufbau sozialer Beziehungen
3.5.2 Arten sozialer Beziehungen im Internet
3.5.3 Sozialer Beziehungsaufbau im Internet

4 Konsequenzen der sozialwissenschaftlichen Forschung für Online­Aktivitäten von Retail-Banken
4.1 Strategische Ausrichtung
4.1.1 Potenziale des Internets für eine neue strategische Ausrichtung der Vertriebskanäle
4.1.2 Einbindung des Online-Kanals in das Kundenbeziehungs­management
4.1.3 Integrationsgrad der Vertriebskanäle
4.2 Operative Umsetzung
4.2.1 Geeignete Kommunikationsmedien für den Aufbau von Online­Kundenbeziehungen
4.2.2 Einsatzmöglichkeiten von Instant Messenger und E-Mail Kommunikation beim Aufbau von Online-Kundenbeziehungen
4.2.3 Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung

5 Conclusio

Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Gestiegene Verhandlungsmacht der Konsumenten

Abbildung 2: Online Sales will increase, Branch Sales will decline

Abbildung 3: Unterscheidung zwischen Transaktionsmarketing und Relationship Marketing VIII

Abbildung 4: Online life cycle economics

Abbildung 5: Exemplarische Darstellung moderierender Faktoren der

Erfolgskette im Relationship Marketing

Abbildung 6: The Relationship Development Process

Abbildung 7: A tridimensional measurement model of relationship strength

Abbildung 8: Die Einflussfaktoren von Bindungskraft in Kundenbeziehungen ...

Abbildung 9: Online Services im Transaktionsmanager

Abbildung 10: Online-Services auf der Website von Banken

Abbildung 11: Das Flow-Konstrukt als Basis von Profitabilität im Internet

Abbildung 12: Einflussfaktoren der Online-Beziehungsstärke nach Eastlick

Abbildung 13: Die Vertrauensarten und ihr Einfluss auf die Online­Beziehungsstärke

Abbildung 14: On the Internet, nobody knows you’re a dog

Abbildung 15: Einflussfaktoren des „Disinhibition-Effects“

Abbildung 16: Social Presence Theory: Soziale Präsenz verschiedener Medien

Abbildung 17: Media Richness Theory: Medienreichtum und Kooperations­aufgabenkomplexität

Abbildung 18: Media Richness Theory: Einflussvariablen der medialen

Reichhaltigkeit

Abbildung 19: Das SIDE- Modell und seine empirische Gültigkeit

Abbildung 20: Das SIP Model

Abbildung 21: Verschmelzung von Internet und „echtem“ Leben

Abbildung 22: Der Aufbauprozess sozialer Online-Beziehungen

Abbildung 23: Klassisches Kundenbeziehungsmanagement off- und online

Abbildung 24: Mögliche Beziehungsverläufe in On- und Offline-Kanal

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Direct Sales Projects

Tabelle 2: CMC-Journals und -Forscher

Tabelle 3: Übersicht der Theorien der computervermittelten Kommunikation

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Die internationale Finanzkrise hat das Bankensystem weltweit grundlegend verändert und konsolidiert. Retailbanken kämpfen seitdem mit dem gesunkenen Vertrauen ihrer Kunden und sinkenden Erträgen[1]. Allerdings befindet sich die Branche schon seit einigen Jahren in einem starken Umbruch und steht vor neuen Herausforderungen. Während die Großbanken das ertragsschwache und kostenintensive Privatkundengeschäft lange Zeit vernachlässigten, nimmt die Bedeutung gegenüber den anderen Geschäftsfeldern wieder zu (Spath et al., 2009, S. 1). Die Neuordnung fordert jedoch eine neue Strategie und verändert den Auftritt der Kreditinstitute am Markt. Die Bankgeschäfte im Mengenkunden­geschäft werden stärker automatisiert und das klassische Bild einer Bankfiliale mit persönlich bekannten Angestellten weicht modernen Selbstbedienungszonen und einer Vielfalt neuer Vertriebswege (Keck und Hahn, 2006, S. 36).

Als wesentliche Marktdeterminanten für die Veränderungen im deutschen Mengenkundengeschäft lassen sich neue Technologien und eine Veränderung des Kundenverhaltens identifizieren (Leichtfuss et al., 2007, S. 6). Während der klassische Mengenkunde tendenziell schlecht informiert war und seine Bankverbindung im Normalfall kaum wechselte, kennt sich der moderne Retail- Kunde am Markt sehr gut aus, erwartet einen exzellenten Service über verschiedene Zugangskanäle und sucht das für sich jeweils günstigste Angebot bei den verschiedenen Anbietern (vgl. Abbildung 1). Die Verhandlungsmacht der Kunden im Retail Banking wächst somit durch die technologischen Möglichkeiten stetig an und erfordert eine Reaktion der Anbieter[2] (Keck und Hahn, 2006, S. 192; Swoboda, 2004, S. 70).

Das Internet nimmt bei diesen Entwicklungen eine zentrale Rolle ein. Während es den Konsumenten neue Transparenz ermöglicht, bemühen sich die Banken das

Internet als neuen günstigen Distributionskanal zu etablieren, der zudem dem veränderten Verhalten der Kunden gerecht wird. Die Bedeutung des Internets nimmt daher in den Multikanal-Konzepten der Banken stetig zu und die des klassischem Filialgeschäfts ab (Leichtfuss et al., 2007, S. 18; Vocke, 2008, S. 72; Abbildung 2). Schon heute nutzen 38% der Deutschen das Online Banking - 10% mehr als noch im letzten Jahr - und die Anzahl der Nutzer wird sich in den nächsten zehn Jahren nochmals verdoppeln. Besonders relevant scheint die Tatsache, dass aktuell rund 90% der Kontakte zwischen Bank und Kunde über den Online-Kanal stattfinden und dieser Kanal somit maßgeblich für die Beziehung zwischen Bank und Kunde ist (Borgmeier, 2009, S. 52; Georgi, 2009, S. 56; Meyer, 2009, S. 1). Dennoch schaffen es die Retailbanken nicht, diese Kontakte zu nutzen und beobachten eine sehr hohe Wechselbereitschaft ihrer Online­Kunden. Laut Untersuchungen von Georgi (2009, S. 58) und Hertweck (2009, S. 19) sind Online-Kunden durch ein überproportional hohes Einkommen, eine deutlich höhere Cross-Selling-Quote und einen um 40% höheren Ertrag sogar besonders attraktiv. 80% der Banken wollen folglich ihr Online-Angebot ausbauen (Spath et al., 2009, S. 1; Tabelle 1).

Entwicklungen im Bereich des Privatlebens der Kunden unterstreichen den aufgezeigten Trend und lassen die Banken eine noch stärkere Verschiebung der Aktivitäten der Menschen in das Internet erwarten. Während soziale Online­Netzwerke und Instrumente wie „Twitter“ bereits im Mittelpunkt des alltäglichen Lebens der Menschen stehen, wird der neue Lebensstil vermutlich im Nachgang die Online-Affinität bei Bankgeschäften deutlich steigern[3] [4]. Wenn die heutigen jungen Internet-Generationen in ein banking-fähiges Alter kommen, wird der Umgang mit dem Internet ein völlig neues Selbstverständnis in den Kunden­beziehungen bei Banken erhalten [5] (Leichtfuss et al., 2007, S. 16 f). Der ehemalige Nestle Deutschland Chef Hans Güldenberg erkannte schon 1997: „Wir müssen dort verkaufen, wo die Konsumenten sind“ (Keck und Hahn, 2006, S. 64).

Die Branche steht folglich vor dem Dilemma, dass die Kundennachfrage, die technologischen Entwicklungen und die eigene Kostensensibilität eine Verschiebung bzw. starke Ausweitung des Geschäfts in das Internet erfordern, die Kundenloyalität jedoch online geringer ist und die Kunden nur schwer zu binden sind. Die Banken versuchen der Entwicklung mit neuen Online-Auftritten zu begegnen und neue Features für die Kunden im Internet bereitzustellen. Jedoch wird den Kunden online nur ein sehr begrenztes, vornehmlich transaktionales, Produktangebot zur Verfügung gestellt und der Informationsfluss verläuft lediglich von der Bank in Richtung des Kunden (Bahlinger, 2009, S. 57; Borgmeier, 2009, S. 54; Leichtfuss et al., 2007, S. 17). Das aktuelle Online-Angebot wird immer noch als wenig personalisiert aus Sicht der Kunden im Vergleich zu anderen Branchen empfunden und der Internetauftritt als „low involvement activity“ betrachtet[6] (Georgi, 2009, S. 60; Meyer, 2009, S. 1; Spietz, 2009, S. 64).

Die Kommunikationsmöglichkeiten im Online-Auftritt der deutschen Retailbanken werden von den Kunden als „unterdurchschnittlich“ bezeichnet (Vocke, 2008, S. 72). So würden laut Georgi (2009, S. 60) 57% der befragten Kunden gerne kleinere Beratungsfragen im Internet mit ihrer Bank klären. Viele Kunden würden sich neben noch umfassenderen Informationen, auch ein umfassenderes Produkt- und Beratungsangebot im Internet wünschen (Leichtfuss et al. 2007, S. 16). Die Banken hingegen fokussieren sich darauf die Kunden online zwar auf ihr Angebot anzusprechen, sie aber für die Beratung und einen Abschluss in ihr Filialgeschäft überzuleiten (Keck und Hahn, 2006, S. 258; Spath et al., 2009, S. 2). Die zahl­reichen Kundenkontakte im Internet und der Kundenwunsch nach einem umfassenderen Online-Angebot werden demnach von den Banken nicht unmittelbar zur Bildung von Kundenbeziehungen genutzt und somit Potenziale einer höheren Kundenloyalität im Internet nicht realisiert (Georgi, 2009, S. 60).

Ziel dieser Arbeit ist es herauszuarbeiten, inwiefern im Internet Beziehungen mit den Kunden aufgebaut werden können und wie das neue online-affine Verhalten der Kunden, aus deren Leben digitale Medien nicht mehr wegzudenken sind, konsequenter durch die Banken genutzt werden kann. Im Bereich der sozialen

Online-Beziehungen scheint die Nutzung des Internets und seine Bedeutung im Leben der Menschen schon deutlich weiter vorangeschritten: „Online social interaction is still the most important use of the internet“ (Cummings et al., 2002, S. 108). Aus dem Bereich der sozialwissenschaftlichen Forschung werden dem­entsprechend Potentiale abgleitet und auf das Geschäft der Retail-Banken übertragen. Es gilt Möglichkeiten zu identifizieren den Online-Kanal zu einem umfassenden und integrierten Kanal mit einer hohen Kundenloyalität auszuweiten und Kunden vollständig über diesen Vertriebsweg bedienen zu können.

Aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit werden die aktuell diskutierten rechtlichen Auswirkungen und potentiellen Gefahren, bei einer stärkeren Verlagerung des Lebens in das Internet, nur vereinzelt angemerkt. Die Problematik scheint jedoch aufgrund der sensiblen Daten für den Banking-Sektor besonders relevant (Kahler und Werner, 2008; Luo, 2002). Eine Betrachtung der Auswirkungen auf die Rentabilität des Bankgeschäfts kann ebenfalls nicht stattfinden. Die in der Arbeit herausgearbeiteten Konzepte bedürfen somit der Validierung anhand finanzieller Kriterien.

1.2 Gang der Untersuchung

In Kapitel zwei werden die Ansätze zum Aufbau von Beziehungen auf Basis des Relationship Marketings dargestellt. Nach der Definition des Relationship Marketings und der Betrachtung von Beziehungsaufbau und -stärke in traditionellen Kundenbeziehungen, werden die Instrumente des Online-Marketings und die Online-Services von deutschen Retailbanken vorgestellt. Abgeschlossen wird das Kapitel mit der Erläuterung eines möglichen Aufbaus von Kunden­beziehungen im Internet anhand des Relationship Marketings und den aktuellen Gegebenheiten der Websites von Banken.

Im Kapitel drei wird der aktuelle Stand der sozialwissenschaftlichen Forschung zu Online-Beziehungen erläutert. Der Begriff der computervermittelten Kommunikation und die einsetzbaren Medien bilden die Basis für das Themen­gebiet. Darauf aufbauend werden die Charakteristika computervermittelter Kommunikation und entsprechende theoretische Modelle vorgestellt. Im letzten Teil des Kapitels werden empirische Studien aufbereitet, die soziale Beziehungen im Internet und deren Aufbau veranschaulichen.

Das vierte Kapitel führt die Erkenntnisse aus der sozialwissenschaftlichen Forschung sowie des Relationship Marketings zusammen und stellt auf strategischer und operativer Ebene ein integratives Konzept vor. Es wird skizziert, wie Banken ihre Online-Aktivitäten verändern sollten und wie sich die Potentiale des Internets mit Hilfe von computervermittelter Kommunikation realisieren lassen. Im letzten Teil der Arbeit werden die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst und mögliche Ansatzpunkte für weitere Forschungsmöglichkeiten genannt.

2 Beziehungsaufbau im Internet auf Basis des Relationship Marketings

2.1 Relationship Marketing als neue Denkrichtung im Marketing

Der Begriff „Relationship Marketing“ stammt aus der Mitte der 80er Jahre und kann als neues Denkmuster innerhalb des Marketings bezeichnet werden (Ryals und Payne, 2001, S. 5). Wohingegen das „klassische“ Marketing auf die Ein­bringung marktorientierter Sichtweisen in Unternehmen und dem Einsatz von Instrumenten wie der Marktsegmentierung und des Marketing-Mixes fokussiert war, entwickelte sich durch das Relationship Marketing eine Abwendung von der reinen Produktbetrachtung hin zu einer klaren Ausrichtung auf die Kunden­beziehung: „the process of attracting, maintaining, and enhancing relationships with customers and stakeholders, pursuing mutual benefits for all related parties through mutual exchange and fulfillment of promises“[7] (Gordon et al., 2008, S. 193).

Da das Produkt und seine Eigenschaften bis zum Paradigmenwechsel im Mittelpunkt des Marketings standen und bei der Ansprache von Kunden kein Unterschied zwischen Neu- und Bestandskunden gemacht wurde, spricht man vom „Transaktionsmarketing“ (Grönroos, 2000, S. 20f). Kritisiert wurde das Konzept aufgrund der reinen Fokussierung auf das Produkt, der fehlenden ganzheitlichen Betrachtung der Kundenbeziehung und der starken kurzfristigen Absatzorientierung. Vor allem die fehlende Berücksichtigung der Interaktionen mit dem Kunden als „wesentlicher Bestandteil der Leistung“ (Bruhn, 2009, S. 10) führte nur zu mäßigem Erfolg und verhinderte den Aufbau von langfristigen Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Kunden.

Wie in Abbildung 3 veranschaulicht, stellt das Relationship Marketing hingegen durch die Kombination von Anspruchsgruppen-, Management-, Zeitraum- und Nutzenorientierung einen integrativen Ansatz dar. Im Kern dieser Betrachtung liegt die Kundenbeziehung. Anders als das Transaktionsmarketing, nimmt das Relationship Marketing, durch z.B. den Einsatz von Hilfsmitteln wie dem Kunden­lebenszyklus und die Steuerung nach dem Customer Lifetime Value (CLV), eine langfristige Perspektive ein und fokussiert sich auf die Phasen nach dem Produkt­absatz bzw. der Kundenakquisition[8]. Der Begriff des Relationship Marketings ist vom Customer Relationship Management (CRM) abzugrenzen, da es sich beim CRM um technologische Programme zur Bearbeitung von Kundeninformationen handelt (Bruhn, 2009, S. 9f).

Der Fokus auf eine langfristige Beziehung mit dem Kunden rechtfertigt sich durch zahlreiche Studien, nach denen Kundenbeziehungen im Laufe der Zeit immer profitabler werden. Wie Abbildung 4 zeigt, verliert ein Unternehmen im Jahr der Akquisition Geld durch die Investition in den Kunden. In den Folgejahren steigt die Profitabilität kontinuierlich an. Problematisch ist, dass viele Kunden verloren werden, bevor sie profitabel für das Unternehmen werden. Die Akquisition eines Neukunden ist ca. fünf mal teurer als die Erhaltung eines Bestandskunden (Reichheld et al., 2000, S. 174; Ryals und Payne, 2001, S. 6). Des Weiteren entsteht durch die Ausrichtung der Marketing-Aktivitäten auf die Kundenbeziehung und die Individualisierung der Leistung eine höhere Kundenzufriedenheit. In Abbildung 5 lässt sich erkennen, dass die Zufriedenheit des Kunden die Basis für eine höhere Loyalität und infolgedessen eines gestiegenen ökonomischen Erfolges ist.

2.2 Aufbau von Kundenbeziehungen

Setzt ein Unternehmen das Konzept des Relationship Marketings um, steht der Aufbau von langfristigen Kundenbeziehungen im Fokus der Marketingaktivitäten. Für den Prozess des Aufbaus von Beziehungen sind vor allem die Interaktionen zwischen den beteiligten Parteien wichtig. Allerdings lässt sich hier nach Dwyer et al. (1987, S. 11f) zwischen „discrete transactions“ und „relational exchange“ unterscheiden. Diskrete Transaktionen im Rahmen des Transaktionsmarketings sind geplante Zusammentreffen, bei denen eine strikte Trennung zwischen der Transaktion und dem Umfeld der Interaktionspartner besteht: „Discrete transactions are characterized by very limited communications and norrow content“ (Dwyer et al., 1987, S. 12). Eine Beziehung im Sinne von „relational exchange“ hingegen entwickelt sich über die Zeit und wird durch Vertrauen sowie eine gemeinsame Zukunft geprägt. Sie findet folglich verstärkt auf einem sozio- emotionalen Niveau statt: „Relational exchange can be expected to derive complex, personal, noneconomic satisfactions and engage in social exchange“ (Dwyer et al., 1987, S. 12). Durch den Beziehungsaufbau entstehen soziale und emotionale Bindungen zwischen Verkäufer und Käufer, die den Käufer dazu bewegen, alternative Geschäftsbeziehungen und Konkurrenzprodukte herab­zustufen und motivieren, die aktuelle Beziehung aufrecht zu erhalten. Im Gegensatz zum Transaktionsansatz profitieren hier beide Parteien von der Beziehung (Bruhn, 2009, S. 14; Dwyer et al., 1987, S. 14).

Nach Dwyer et al. (1987, S. 15ff) und Lorbeer (2003, S. 58ff) unterteilt sich der Prozess des Beziehungsaufbaus zwischen Verkäufer und Käufer in fünf Phasen (vgl. Abbildung 6): „awereness, exploration, expansion, commitment and dissolution“. Während der „awareness“-Phase bemerkt eine Partei die andere als möglichen Partner. In der „exploration“-Phase lernen sich die Interaktionspartner kennen und es kommt ggf. zu ersten Testkäufen, wobei die Beziehung in diesem Stadium noch wenig gefestigt ist. In der „expansion“-Phase erhöhen sich die Vorteile der Partner aus der Beziehung und das Vertrauen steigt. Die Partner sind nun motiviert die Beziehung zu erhalten und werten mögliche Alternativen ab. In der Phase des „Commitments“ ist die Beziehung an ihrem Höhepunkt und wird durch Kontinuität, Zufriedenheit und Solidarität geprägt. Beide Interaktionspartner investieren zu diesem Zeitpunkt sehr viel in die Beziehung. Die fünfte und letzte Phase „dissolution“ beschreibt eine mögliche Beendigung der Beziehung, die von beiden Seiten aus verschiedensten Gründen initiiert werden kann.

Doney und Cannon (1997, S. 36ff) postulieren, dass Vertrauen einen starken Einfluss auf die Bildung langfristiger Kundenbeziehungen hat. So könne ein Kunde sowohl in ein Unternehmen, als auch in den Verkäufer Vertrauen aufbauen. Infolgedessen verringert sich das empfundene Risiko des Kunden und er empfindet eine stärkere Bindung.

2.3 Bindungsstärke von Kundenbeziehungen

„Most researchers agree that building strong customer relationships is one of the main objectives of relationship marketing” (Shi et al., 2009, S. 659). Problematisch an diesem Ziel ist es, die Stärke und Qualität von Kundenbeziehungen zu definieren und zu messen. Kundenzufriedenheit und Commitment sind mögliche Parameter, die wesentliche Merkmale in Kundenbeziehungen widerspiegeln und auch in Prozessketten wie der „Service Value Chain“ von maßgeblicher Bedeutung sind[9] (Abbildung 5). Jedoch sind beide Parameter nicht adäquat, um die unmittelbare Beziehung zwischen Kundenberater, als Repräsentant des Unternehmens, und Kunde zu evaluieren. In der Literatur (Bruhn und Georgi, 2006, S. 31ff; Hadwich, 2003, S. 4) wird unterstellt, dass zufriedene Kunden ihre Beziehung mit einem Unternehmen eher fortführen und dadurch erkenntlich wird, ob Beziehungen stark oder schwach sind. Commitment ist definiert als die „innere Verpflichtung eines Kunden gegenüber dem Unternehmen oder seinem Angebot mit dem Ziel, die Geschäftsbeziehung dauerhaft aufrecht zu erhalten“ (Müller, 2005, S. 212) . Shi et al. (2009, S. 665) postulieren, dass diese Möglich-keiten zur Beurteilung der Bindungsstärke von Kundenbeziehungen nicht angemessen sind und definieren die Bindungsstärke als den Grad der Gebunden-heit der Interaktionspartner und die Widerstandsfähigkeit gegenüber internen und externen Störungen.

Shi et al. (2009, S. 666ff) sehen die drei Dimensionen „affective strength“, „cognitive strength“ und „conative strength“ als maßgeblich für die Bindungsstärke einer Kundenbeziehung an (vgl. Abbildung 7). „Affective strength“ ist definiert als die Sympathie der Interaktionspartner und die emotionale Verbindung. Die affektive Stärke basiert somit primär auf den Eigenschaften des Vertrauens- objektes[10]. „Cognitive strength“ beschreibt die Sichtweise des Kunden, dass es aus ökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll ist, die Beziehung fortzuführen. Als „connative strength“ wird die Resistenzfähigkeit der Beziehung gegenüber

Störungen beschrieben. Alle drei Faktoren beeinflussen direkt die Bindungsstärke der Kundenbeziehung und sind daher maßgeblich für deren Fortbestand. Das Modell vereint indirekt alle für eine zwischenmenschliche Kundenbeziehung wichtigen Merkmale wie Commitment, Zufriedenheit und Vertrauen. Laut Shi et al. (2009, S. 676) existieren drei Faktoren, die die beschriebenen Dimensionen beeinflussen (vgl. Abbildung 8). Der Wert der Beziehung („relationship value“) bezeichnet das Verhältnis von Kosten und Nutzen in der Beziehung. Ein höheres Nutzen-Niveau beeinflusst vor allem die kognitive Stärke der Beziehung positiv. Die Beliebtheit des Beraters („salesperson likability“) spiegelt sich durch eine gestiegene affektive Stärke in der Beziehungsstärke wider. Ein beziehungs­orientiertes Verkaufsverhalten („relational selling behaviour“) wirkt sich durch einen angenehmen zwischenmenschlichen Austausch und eine Reduzierung des empfundenen Risikos positiv auf die Bindungsstärke aus.

Die Person des Beraters, als Repräsentant des Unternehmens, scheint für die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunde überaus wichtig. So fördert Vertrauen zum Berater seine „likeability“ und die ihm entgegen gebrachte Sympathie beeinflusst direkt die Bindungsstärke der Kundenbeziehung. Durch den Umgang mit den Kunden in den jeweiligen Interaktionen kommt ihm darüber hinaus auch beim Verkaufsverhalten eine maßgebliche Bedeutung zu. Der Einfluss eines Menschen, in diesem Fall des Beraters, scheint demnach über die affektive Beziehungskomponente starken Einfluss auf die Beziehungsbildung zu haben und sollte einen hohen Stellenwert im Aufbau von Beziehungen eingeräumt bekommen. Unternehmen und besonders Finanzdienstleister, die hochsensible Daten ihrer Kunden verarbeiten und eine langfristige Bindung in einigen Produkten forcieren, sollten daher bei der Besetzung ihrer Kundenschnittstellen auf soziale und emotionale Intelligenz der Berater achten, um den Vertrauensaufbau zu fördern. Darüber sollten Unternehmen versuchen, möglichst oft zwischen­menschliche Interaktionen zu ermöglichen, wenn ein Kundenkontakt zu Stande kommt (Eisengerich und Bell, 2007, S. 262; Shi et al., 2009, S. 677).

2.4 Relationship Management im Online-Kanal bei Retailbanken

2.4.1 Charakteristika und Marketinginstrumente des Internets

Der Online-Kanal nimmt als innovativer und vergleichsweise günstiger

Vertriebskanal eine immer wichtigere Rolle in den Multikanal-Vertriebskonzepten von Unternehmen ein. Während die Unternehmen am Online-Kanal vor allem die günstigeren Ansprachemöglichkeiten von Kunden und die einfache Speicherung von deren Daten schätzen, nutzen die Kunden im Internet die bequeme Möglichkeit zum Vergleichen von Anbietern und sind sich ihrer geringen „Switching-Costs“ bewusst: „Managers in the online services industry are with one major challenge: how to transfer switchers to stayers...”(Lian et al., 2008, S. 780). Als Resultat haben die Unternehmen reagiert und legen ihren Fokus verstärkt auf die Bindung von ihren Online-Kunden, da gerade im Internet die Gefahr noch größer ist, Kunden zu verlieren bevor sie für das Unternehmen profitabel werden. Als Konsequenz kommt im Online-Vertrieb der Kundenbindung und -loyalität eine besondere Bedeutung bei der Steuerung der Marketingaktivitäten und der Messung ihres Erfolgs zu (Bauer und Hammerschmidt, 2004, S. 190f).

Online-Marketing hebt sich aufgrund der einzigartigen Merkmale des Internets vom klassischen Marketing ab und bietet den Unternehmen völlig neue Möglich­keiten im Outbound[11]. Die Internettechnologie lässt sich durch Interaktivität, d.h. zeitgleiche oder zeitversetzte Dialoge, Multimedialität, d.h. verschiedene Dienste und Anwendungen, Multifunktionalität, d.h. Vertrieb und Kommunikation, Übermittlungsfähigkeit, d.h. schnelle Überlieferung von Informationen und Produkten und Grenzenlosigkeit, d.h. zeitliche und räumliche Ungebundenheit, charakterisieren (Lorbeer, 2003, S. 69; Rapp und Giehler, 1999, S. 279).

Das Internet bietet nach Kollmann (2007, S. 175ff) auf Basis der genannten Charakteristika in den Bereichen Kundengewinnung, Kundenbewertung und Kundenbindung neue innovative Möglichkeiten für das Marketing und die Kommunikation mit dem Kunden.

Instrumente zur Kundengewinnung

Unter Kundengewinnung versteht man die Akquisition von neuen Kunden, die bisher noch keinen Kontakt zum Unternehmen hatten (Kollmann, 2007, S. 175). Bauer und Grether (2004, S. 235) sehen das Internet bei der Kundengewinnung als „Pull-Medium“ im Gegensatz zu Offline-Kanälen, die sie als „Push-Medien“ bezeichnen. Der potentielle Kunde muss im Normalfall erst auf die Homepage des Unternehmens „gezogen“ werden und wird nicht wie bei konventioneller Werbung passiv mit den Informationen konfrontiert. Daneben bietet das Internet jedoch durch z.B. Viral-Marketing auch die Möglichkeit Informationen aktiv in den Markt zu bringen[12] (Kollmann, 2007, S. 175). Kollmann (2007, S. 176ff) nennt als Instrumente der Kundengewinnung im Internet Suchmaschinen-Marketing, Banner-Marketing, E-Mail-Marketing, Viral-Marketing, Affiliate-Marketing und Permission-Marketing[13]. Das E-Mail-Marketing soll hier aufgrund der direkten „one-to-one“-Kundenansprache als einziges nähere Betrachtung finden. Es bietet so Möglichkeiten zum Aufbau von persönlichen Beziehungen. Diese dem Dialog­Marketing zuzuordnende persönliche Ansprache des Kunden führt im Allgemeinen zu höheren Response-Quoten als bei Briefen und ist zudem deutlich günstiger[14]. Die Bestätigung den Newsletter per E-Mail empfangen zu wünschen, erhöht im weiteren Verlauf zusätzlich die Wahrnehmung der Kommunikation (Kollmann, 2007, S. 184). Trotz der Personalisierung von E-Mails finden im Stadium der Kundenakquisition nur Interaktionen zwischen dem Kunden und einer „Maschine“ statt, da die E-Mails zentral an selektierte Listen versendet werden. Eine zwischenmenschliche Kommunikation mit der Absicht einer unmittelbaren persönlichen Interaktion, die hier möglich wäre, findet nicht statt (Varadarajan und Yadar, 2009, S. 16; Novak et al., 2000, S. 39).

Instrumente zur Kundenbewertung

Die elektronische Basis des Online-Marketings erlaubt eine einfache und effiziente Speicherung und Verarbeitung von Kunden- und Transaktionsdaten mit der Hilfe von Data-Warehouse-Systemen und Data-Mining[15]. Hinzu kommen kosten­günstige und effiziente Möglichkeiten zur Marktforschung im Internet. Durch sogenanntes „Online-Profiling“ werden auf Basis der gesammelten und bewerteten Kundendaten individuelle Kundenprofile erstellet. Den Kunden können anhand dieser Profile personalisierte Angebote generiert werden. Die Personalisierung des Angebots soll die Verkaufswahrscheinlichkeit erhöhen (Kollmann, 2007, S. 197ff).

[...]


[1] Als Retail Banking wird das standardisierte Privatkundengeschäft. d. h. das Mengenkundengeschäft, verstanden, das einfachen Produkte wie den Konsumentenkredit beinhaltetet (Keck und Hahn, 2006, S. 26)

[2] Basierend auf „Porter’s Five Forces“ gilt die Verhandlungsmacht der Konsumenten als eine der fünf Wettbewerbskräfte, die auf ein Unternehmen wirken und erfordert somit eine detaillierte Analyse (Moormann et al., 2006, S. 32)

[3] Populäre Beispiele in Deutschland sind Facebook, StudiVZ und Xing

[4] Twitter ist ein „micro-blogging“ Service durch den bis zu 140 Zeichen lange Nachrichten über das Internet versendet werden können (Richardson, 2008, S. 86)

[5] Als Internet Generationen sind die Geburtsjahrjahrgänge (>1990) zu verstehen, die mit dem Internet aufgewachsen sind und die Nutzung als selbstverständlich empfinden (Leichtfuss et al., 2007, S. 16)

[6] Die Kunden fühlen sich wenig integriert in den Dienstleistungsprozess und das statisch wirkende Angebot auf den Websites der Deutschen Banken (Georgi, 2009, S. 60). Eine detailierte Analyse des Involvement- Konstrukts im Allgemeinen bietet Laaksonen (1994).

[7] Der Marketing-Mix dient der Planung des Produktabsatzes und orientiert sich an dem vier „P“ Product, Place, Price und Promotion (Grönroos, 2000, S. 20)

[8] Der CLV beschreibt den Wert eines Kunden auf die gesamte Geschäftsbeziehung bezogen. Neben den Barwerten quantitativer Größen fließen auch qualitative Merkmale in die Berechnung ein (Swoboda, 2004, S. 93)

[9] Für eine detaillierte Betrachtung wird an dieser Stelle auf Bruhn und Georgi (2006) verwiesen.

[10] Das Vertrauensobjekt ist in diesem Fall der Verkäufer bzw. Kundenberater.

[11] Das Unternehmen spricht eigeninitiativ und gezielt einzelne Kunden an (Keutzer, 2009, S. 140)

[12] Beim Viral-Marketing wird versucht Menschen im Internet dazu zu bringen, kostenlos die eigenen Kommunikationsbotschaften zu verbreiten (Kollmann, 2007, S. 185)

[13] Das Affiliate-Marketing beschreibt ein Konzept, nachdem Unternehmen gegenseitig Produkte des Kooperationspartners auf der eigenen Seite bewerben. Permission-Marketing beschreibt die Versendung von Werbebotschaften nach Erlaubnis durch den Empfänger (Kollmann, 2007, S. 11487ff)

Dialog-Marketing beschreibt die direkte und persönliche Ansprache der Zielgruppe mit der Aufforderung zu einer Reaktion (Kollmann, 2007, S. 183; Keutzer, 2009)

[15] In einem Data-Warehouse können die vom Kunden gesammelten Daten abgelegt und gespeichert werden. Durch Data-Mining werden die im Data-Warehouse abgelegten Kundendaten aufbereitet und nach verschiedenen Kundenmerkmalen selektiert (Kollmann, 2007, S. 197ff).

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Details

Titel
Implikationen aus der sozialwissenschaftlichen Forschung für den Aufbau von Online Kundenbeziehungen im Retail Banking
Hochschule
Frankfurt School of Finance & Management
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
79
Katalognummer
V150744
ISBN (eBook)
9783640626403
ISBN (Buch)
9783640627011
Dateigröße
2552 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
CVK, Computervermittelte Kommunikation, CMC, computer mediated communication, Online marketing, web 2.0, relationship marketing
Arbeit zitieren
Christian Schaab (Autor:in), 2009, Implikationen aus der sozialwissenschaftlichen Forschung für den Aufbau von Online Kundenbeziehungen im Retail Banking, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150744

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