'Satz' und 'Periode' in den Beethovenschen Klaviersonaten

Zur Janusköpfigkeit zweier Begriffe der musikalischen Syntax


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

13 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Definition des Themenbegriffs bzw. Motivs nach Martin Wehnert

Martin Wehnert hat in der alten Fassung der Musikenzyklopädie ‚Musik in Geschichte und Gegenwart’[1] einige für unsere Thematik erhellende Erläuterungen bezüglich des Themenbegriffs vorgenommen: Der Themenbegriff leitet sich etymologisch von dem griechischen Begriff ‚To Thema’ ab, was soviel wie das Gesetzte, Aufgestellte oder auch der Satz bedeutet. So definiert Quintilian beispielsweise in seinem ‚institutio oratoria’[2] das ‚Thema’ als Sentenz oder aufgestellte Behauptung. Das ‚Thema’ bildet eine begriffliche Gegenüberstellung zu dem sogenannten ‚propositum’- das Vorgestellte bzw. Verheißene. Die Analogie zur Rhetorik wird hierbei deutlich ersichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der „Hauptsatz“ die begriffliche Übertragung des Themenbegriffs ins Deutsche darstellt. So bleiben die Begriffe ‚Thema’ und ‚Hauptsatz’ in der zweiten Hälfte des 18. und 19. Jahrhunderts Synonyme.

Das Thema ist ein konstitutiver Faktor in einer Komposition und hat als solches eine formale und inhaltliche Bedeutung für ein musikalisches Ganzes. „Die konstitutive Aufgabe des Themas besteht in erster Linie darin, funktionales Zentrum im Beziehungsgeflecht einer Komposition zu sein. Alle Formglieder hängen in ihrem Sinngehalt und in ihrer Sinnhaftigkeit vom Thema bzw. von den Themen ab“[3], schreibt Wehnert in dem Artikel des MGG. Das Thema ist in diesem Sinne also das erste Ergebnis eines musikalischen Formungsprozesses. Im 18. Jahrhundert jedoch erfährt das Thema schließlich eine Wandlung. Es ist nicht mehr allein ein „formauslösendes Moment“[4], sondern bereits selbst ein Geformtes. Die Themen werden nunmehr selbst zur ‚zentralen Aufgabe’ einer Komposition. Ein interessanter Zusammenhang zur Periode stellt der Umstand dar, dass die ersten 4 Takte einer 8-taktigen Periode als Thema bzw. Hauptsatz bezeichnet werden, was auch unter der sogenannten ‚viertaktigen Satznorm’ bekannt ist. Johann Christian Lobe bestimmt 4 Takte als Satz, und 8 Takte als Periode.[5]

Nach dieser kurzen ‚Begriffsabsteckung’ wollen wir uns nun im Folgenden intensiv mit der musikalischen Periode und dem musikalischen Satz auseinandersetzen. Die Primärquelle soll hierfür die ‚Einführung in die musikalische Formenlehre’ von Erwin Ratz sein. Wir wollen näher betrachten, wie Erwin Ratz diese Begriffe in seinem Buch versteht und für seine Überlegungen verwendet. Dabei soll ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet sein, wie Ratz diese Begriffe auf die Beethovenschen Sonaten anwendet. Auch andere Autoren, welche zu der Thematik Satz und Periode interessante Überlegungen angestellt haben, werden hierbei ausführlich zu Wort kommen.

‚Periode’ und ‚Satz’ in Erwin Ratz „Einführung in die musikalische Formenlehre“- Diskussion

Das Anliegen dieses äußerst lesenswerten Buches macht Ratz bereits in seinem Vorwort deutlich. Sich auf Goethe stützend verdeutlicht er die Bedeutsamkeit der Form eines (musikalischen) Kunstwerkes, deren Erfassen die „höchste Stufe“[6] in der Auseinandersetzung mit Kunst darstellt und einem das „Wesen des Kunstwerkes“[7] erst vollends erschließen vermag. Diese Suche nach der Form ist es, die das gesamte Buch gleichsam wie ein roter Faden durchzieht und worin sich Ratz Vorhaben zeigt. Er will darlegen, dass den Bachschen und den Beethovenschen Kompositionen gemeinsame Formprinzipien zugrunde liegen. So spricht Ratz in Bezug auf Beethovens kompositorischen Schaffensprozess von einer „direkten Weiterführung des Bachschen Erbes“[8]. Seine Grundmethodik, musikalische Formprinzipien Beethovens gewissermaßen rückwirkend mit jenen Bachs in Beziehung zu setzen, erklärt Ratz in einer interessanten Bemerkung: “Es zeigt sich immer wieder, dass wir in vielen Fällen leichter in der Lage sind, den Sinn einer Erscheinung zu begreifen, wenn wir sie unter dem Gesichtspunkt dessen betrachten, was als weitere Entwicklung aus ihr hervorgegangen ist.“[9]

Eine der grundlegenden Formprinzipien bzw. typischen Formstrukturen sieht Ratz vor allem in der ‚Periode’ und in dem ‚Satz’ der Beethovensonaten. Periode und Satz sind die „Grundformen geschlossener syntaktischer Bildungen im Zeitalter der Klassik“, finden wir bei Carl Dahlhaus.[10] Die Unterscheidung zwischen Satz und Periode reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. In den Kompositionslehren der damaligen Zeit, sowie auch in zahlreichen musikwissenschaftlichen Publikationen wurden und werden diese beiden Begriffe und wie sie auseinander zu halten sind durchaus kontrovers diskutiert. So geht die Unterscheidung zwischen Periode und Satz ursprünglich auf Abbé Marx zurück, der im zweiten Teil seiner ‚Lehre von der musikalischen Komposition’ zum einen von der „Liedkomposition in Satzform“ und zum anderen von dem „Liedsatz in Periodenform“ spricht[11]. Hugo Riemann hat hingegen in seiner ‚Großen Kompositionslehre’ die Unterscheidung zwischen Periode und Satz verworfen. Sie findet sich darin nicht mehr.[12]

Ohne diese Kontroverse an dieser Stelle erschöpfend nachzeichnen zu können, soll an dieser Stelle noch gesagt sein, dass verschiedene Vorstellungen von diesen beiden Begriffen und bisweilen sogar verwirrende Begriffsgleichsetzungen existieren: So kann der Satz beispielsweise nicht nur Gegenbegriff zur Periode sein, sondern auch Ober- bzw. Unterbegriff. Auch scheint es sehr schwierig zu sein eine adäquate Definition zu finden, die aus logischer, sowie empirischer Sicht der Komplexität der musikalischen Syntax klassischer Kompositionen hinreichend Rechnung trägt. Dies liegt an der Ambiguität mancher musikalischer Strukturen, wodurch ihrerseits die Zwiespältigkeit der Begriffe Satz und Periode offengelegt wird. Diese Begriffe und die Frage nach ihrer angemessenen Unterscheidung stehen jedes Mal vor einer Konsistenzprüfung, wenn eines ihrer Bestimmungsmerkmale ausfällt und trotzdem entschieden werden muss, ob es sich in einer Komposition nun um eine Periode oder einen Satz handelt. So scheint es, dass eine eindeutige logische Relation zwischen Satz und Periode nicht klar zu bestimmen ist.

[...]


[1] Martin Wehnert, Art. Thema und Motiv, MGG XIII, Kassel 1966

[2] Marcus Fabius Quintilianus, institutio oratoria IV 2, 28. Dort heißt es wörtlich : “scholarum consuetudo, in quibus certa quaedam ponnutur, quae themata dicimus.“

[3] Martin Wehnert, Art. Thema und Motiv, MGG XIII, Kassel 1966

[4] Ebd.

[5] Johann Christian Lobe, Compositions-Lehre oder umfassende Theorie von der thematischen Arbeit und den modernen Instrumentalformen, Georg Olms Verlag: 1988, S.5 (Auflage: Reprint der Ausgabe Weimar 1844)

[6] Erwin Ratz, Einführung in die musikalische Formenlehre, Wien: Universal Edition 1973, S.7

[7] Ebd.

[8] Ebd., S.21

[9] Ebd.

[10] Carl Dahlhaus, Satz und Periode. Zur Theorie der musikalischen Syntax, in: ZfMth 9, 1978, H. 2, S.26

[11] Adolf Bernhard Marx, Die Lehre von der musikalischen Komposition, praktisch-theoretisch, Zweiter Theil: Die freie Komposition. Siebente Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1890, S.17ff und S.37ff.

Vgl. auch: Erster Theil, (9. Auflage, 1887), S.30 bzw. S.62ff., sowie Dritter Theil, S.256ff.

[12] Vgl. Hugo Riemann, Große Kompositionslehre, in 3 Bänden, Berlin & Stuttgart: Verlag von W. Spemann 1902, 1903, 1913

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
'Satz' und 'Periode' in den Beethovenschen Klaviersonaten
Untertitel
Zur Janusköpfigkeit zweier Begriffe der musikalischen Syntax
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Musikwissenschaftliches Seminar der Freien Universität Berlin)
Veranstaltung
Die Klaviersonaten Ludwig van Beethovens
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
13
Katalognummer
V147914
ISBN (eBook)
9783640586882
ISBN (Buch)
9783640587452
Dateigröße
500 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Prof. Bodo Bischoff: Die inhaltliche und gestaltpsychologische Definition des Themenbegriffs in ihrer geschichtlichen Ausdifferenzierung gehört zu den grundlegenden Problemen musiktheoretischer und analytischer Überlegungen. In diesem Kontext kommt der Unterscheidung zwischen den Gestaltungsprinzipien von Satz und Periode eine wichtige ästhetische Bedeutung zu. Die Arbeit von Herrn Mandal widmet sich dieser Problemstellung unter Einbeziehung einschlägiger Quellen und musikwissenschaftlicher Literatur, die differenziert diskutiert, zueinander in Beziehung gesetzt und kritisch reflektiert wird.
Schlagworte
Beethoven, Sonaten, Satz, Periode, Musik
Arbeit zitieren
Nathaniel Mandal (Autor:in), 2009, 'Satz' und 'Periode' in den Beethovenschen Klaviersonaten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147914

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