Gedichtanalyse zu Paul Flemings "An Sich"


Hausarbeit, 2010

12 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Aufbau des Textes

3. Aussageinstanz

4. Metrum, Reimschema und Kadenzen

5. Vers- und Satzstruktur
5.1. Syntaktische Struktur
5.2. Syntaktische Figuren

6. Rhetorische Techniken
6.1. Klangfiguren
6.2. Wiederholungsfiguren
6.3. Hinzufügungsfiguren
6.4. Gedankenfiguren
6.5. Substitutionsfiguren

7. Schlussbemerkung

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Nichts Böses kann dem guten Menschen zustoßen: Gegensätze lassen sich nicht verschmelzen. [...] so ändert der Ansturm widriger Ereignisse nicht eines tapferen Mannes Charakter; er verharrt in seiner Haltung, und was immer geschieht, paßt er seinem persönlichen Wesen an; er ist nämlich mächtiger als alle Geschehnisse von außen.“1

So schreibt es Seneca in seinen Philosophischen Schriften aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Die stoische Philosophie kennzeichnet sich vor allem durch eine „freie Selbstbestimmung zu einem natur- und daher vernunftgemäßen Leben.“2 Dem Stoizismus der Antike folgt im 17. Jahrhundert mit Justus Lipsius der sogenannte >Neustoizismus<, dessen Philosophie sich auch auf die neuere deutsche Literatur auswirkt.3

So zeigen sich Elemente der stoischen Ethik, wie beispielsweise die gleichgültige Annahme von Schicksalsschlägen, Eigenverantwortlichkeit und Selbstbeherrschung, auch in Paul Flemings Gedicht An Sich. Das Barocksonett wurde erstmalig im Jahr 1642 in Flemings Gedichtsammlung Teütsche Poemata veröffentlicht. Es soll im Folgenden einer genauen formalen und sprachlichen Analyse unterzogen werden. Ich werde den Text dabei anhand von Aufbau, Struktur und Rhetorik analysieren und mögliche Deutungsansätze mit einbeziehen. Auf die Thematik der >Selbstbeherrschung< wird dabei besonders Wert gelegt.

2. Aufbau des Textes

Paul Flemings Gedicht An Sich folgt den Regeln der Sonettdichtung des 17. Jahrhunderts. Das Schriftbild zeigt vierzehn aneinandergereihte Verse, die zwar formal nicht in Strophen unterteilt, inhaltlich jedoch in jeweils zwei Quartette und zwei Terzette gegliedert sind. Diese heben sich semantisch wie strukturell voneinander ab. Während das artikulierende Ich innerhalb der beiden Quartette eine Ausgangssituation reflektiert, wird diese daraufhin innerhalb der Terzette zu einer Schlussfolgerung geführt.

Das Gedicht beginnt im ersten Quartett mit dem scheinbar aus dem Zusammenhang gerissenen Ausruf „Sey dennoch unverzagt“ (V.1)4 . Hier wird gleich zu Anfang eine negative Grundsituation suggeriert, die allerdings nicht weiter beschrieben wird. Anhand weiterer Imperative werden in den folgenden Versen etliche Aufforderungen erteilt, wie mit der vorgeblich schlechten Situation umzugehen sei. Das persönliche Verhängnis bzw. Schicksal soll, unabhängig von jeglichen Geschehnissen, angenommen werden und unbereut bleiben (vgl. V.6). Es soll aus eigenen Stücken getan werden, was eben getan werden muss, ehe ein Anderer den Befehl dazu erteilt (vgl. V.7).

Im ersten Terzett liegt der Schwerpunkt dann auf der Eigenverantwortlichkeit des Menschen. Da jeder für sein Schicksal selbst bürge, sei ebenso jegliches Klagen und Loben unnötig (vgl. V.9-10). Die Annahme des dritten Abschnitts führt schließlich zu der im letzten Teil verdeutlichten These, dass die Selbstbeherrschung eine bedeutende Voraussetzung, wenn nicht gar die wichtigste Bedingung, für ein frei bestimmtes Leben sei (vgl. V.13-14).

3. Aussageinstanz

Da das Ich an keiner Stelle weder benannt noch näher charakterisiert wird, bleibt unklar, wer in dem Gedicht zu wem spricht bzw. welche Redesituation im Text geschaffen wird. Es ergeben sich daher zunächst zwei Möglichkeiten, die bedacht werden müssen: Entweder spricht das Ich in einem reflektierenden Selbstgespräch zu sich selbst oder aber es spricht in Apellen zu einem Gegenüber, einem Du. Trotz dieser Unklarheit, wird im Text der überlegene Charakter des artikulierenden Ichs deutlich. Das Ich erscheint als ein rationaler, vielleicht sogar philosophischer Sprecher, der den Überblick über die „weite Welt“ (V.14) hat und dazu in der Lage ist Anweisungen zu erteilen. Seine Aussagen wirken selbstbewusst und selbstbestimmt und darum für den >Empfänger< auch authentisch und plausibel.

An wen richtet sich aber nun der Text genau? Unter Einbeziehung des Titels ergibt sich auf den ersten Blick die Tendenz, das Gedicht als einen Monolog zu lesen, in dem das Ich seine reflektierenden Gedanken >an sich selbst< richtet. Dieser Eindruck wird dem Leser vor allem durch die auffordernde Sprechweise des artikulierenden Ichs vermittelt. Beispielsweise richten sich die Imperative (z.B.:„Vergnüge dich an dir“ (V.3); „Dies alles ist in dir“ (V.11)) ausschließlich an ein einzelnes >Du<.

Die Möglichkeit aber, den Titel auf zweierlei Arten zu lesen, führt zu einer zweiten plausiblen Annahme: Das Gedicht beschreibt eine allgemeine Weltanschauung, die nicht an das artikulierende Ich gebunden ist. Mit dieser Deutung lässt sich der Text auch auf den Menschen >an sich< übertragen. Die Aussagen des Ichs erhalten allgemeine Gültigkeit und beziehen sich folglich nicht nur auf ein einzelnes Schicksal, sondern auf die gesamte Menschheit. Das Ich spräche damit nicht nur für sich selbst bzw. an sich selbst und damit über seine eigene Situation, sondern es spräche für alle Menschen bzw. den Menschen >an sich< als indirektes Gegenüber. Allgemeingültigkeit und Beispielhaftigkeit des Textes werden dadurch bestärkt, dass auch unpersönliche Aussagen getroffen werden (z.B.: „Wer sein selbst Meister ist“ (V.13)), die sich verallgemeinernd an den Menschen richten.

4. Metrum, Reimschema und Kadenzen

Mit seiner Versreform stellt Opitz „eine Richtschnur auf, an der sich die künftige Dichtung orientieren soll [...]“5: die strikte Alternation. Die Verwendung dieses Normensystems6 ist auch in Flemings Gedicht An Sich zu erkennen. Die gesamte Metrik des Gedichts kennzeichnet sich durch eine auffallende Regelmäßigkeit. Nicht nur das Metrum, sondern auch Reimschema und Kadenzen legen einen gleichmäßigen Rhythmus fest, der nur durch wenige Ausnahmen unterbrochen wird.

Das aus Alexandrinern bestehende Sonett, weist die typische Zäsur nach der dritten Hebung auf, wobei in den Versen sieben und neun je eine weitere Zäsur gesetzt wird. Vor allem der siebte Vers sticht dem Leser durch die zusätzliche Zäsur und die gleichzeitige Unterbrechung des Metrums besonders ins Auge. Während sich das Versmaß ansonsten aus sechshebigen Jamben zusammensetzt, wird die Alternation in Vers sieben durch einen Daktylus unterbrochen. Durch den daktylischen Versfuß am Versanfang fällt die Betonung vollends auf den Imperativ „Thu“ (V.7). Besonders hervorgehoben wird dadurch die Aufforderung etwas zu tun, bevor ein Dritter dies „gebeut“ (V.7), sprich befehlen kann.

Das Reimschema weist auf den ersten Blick keinerlei Unregelmäßigkeiten auf. Neben den umarmenden Reimen der Quartette (abba acca), wird in den Terzetten die für italienische Dichtung typische Reimfolge (def def) verwendet. Die Kadenzen sind ebenfalls regelmäßig und entsprechen ganz dem Reimschema. Auf den zweiten Blick ergibt sich allerdings eine weitere Möglichkeit die Reimpaare in den Terzetten anzuordnen. Den Quartetten würde sich ein weiterer umarmender Reim anschließen, gefolgt von einem abschließenden Paarreim. Das letzte Verspaar wäre dann besonders vom Rest des Textes zu unterscheiden. Gleich drei Merkmale unterstützen die Annahme, diesen beiden Versen eine gesonderte Stellung zuzuschreiben: erstens der unreine Reim, zweitens die männliche Endung und drittens die Silbenanzahl. Der Eindruck einer auffallenden Verbundenheit des abschließenden Verspaares entsteht also nicht nur durch das Reimschema und die korrelierender Silbenzahl, sondern auch durch die Verwendung männlicher Kadenzen, welche der Aussage besonderen Nachdruck verleihen. So können die letzten beiden Verse auch gesondert als Aphorismus und damit als eigentliche Moral des gesamten Gedichts gelesen werden. Denn sie bringen auf den Punkt, worauf in den vorausgehenden Versen hingearbeitet wird: Das eigentliche Ziel stellt die Selbstbeherrschung des Menschen dar (vgl. V.13-14).

Obwohl der Text mit einer solchen gesteigerten Aussage endet, verlieren die restlichen Aufforderungen des artikulierenden Ichs dadurch nicht ihren Gehalt. Wenn man von einem selbstreflektierenden Ich ausgeht, entsteht der Eindruck, dass die deutlichen Formulierungen ihren Nutzen auch in einer inneren Beruhigung des Ichs haben. Das Ich hat mit einer offenbar schwierigen Problematik umzugehen und reflektiert den richtigen Umgang mit der Situation. Die beruhigende Wirkung wird dabei zum einen durch das alternierende Metrum erzielt, zum anderen aber auch durch die allgemeine äußere Ordnung und Regelmäßigkeit des Sonetts. Womöglich verdeutlichen diese Mittel den Ausdruck einer Suche des Ichs nach Halt in der besagten schwierigen Situation, welche durch die anfängliche Wiederholung von „dennoch“ (V.1) suggeriert wird.

5. Vers- und Satzstruktur

Das Sonett ist laut Burdorf durch die „Tendenz [...] zur Abgeschlossenheit“7 gekennzeichnet. In Flemings Gedicht wird diese geschlossene Form vor allem durch die geordnete Vers- und Satzstruktur realisiert, die nur an wenigen Stellen durch Inversionen unterbrochen ist.

5.1. Syntaktische Struktur

Wie die Metrik ist auch die syntaktische Struktur des Gedichts regelmäßig und klar aufgebaut. Der Text ist überwiegend im Zeilenstil gehalten. Während in den Quartetten besonders viele einzelne und prägnante Apelle ausgesprochen werden, sind die Sätze in den Terzetten jeweils paarweise miteinander verbunden. Im ersten Abschnitt geht dagegen nur ein Satz über die Versgrenze hinaus (vgl. V.3-4). Die Interpunktion verweist auf eine geordnete Satzstruktur. Die Gedanken des artikulierenden Ichs werden zu Ende geführt und jeweils durch einen Punkt am Satzende abgeschlossen. Verschachtelte Sätze werden vermieden, so dass sich insgesamt ein geordnetes Textbild ergibt.

[...]


1 Seneca L. Annaeus: De providentia. Über die Vorsehung, in Ders.: Philosophische Schriften. Lateinisch und Deutsch (Sonderausgabe), hrsg. u. übers. v. Manfred Rosenbach, Darmstadt 1995, Bd. 1 (Dialoge I-VI), S. 1-41, hier S. 7.

2 Knaurs Lexikon, München 1976, Bd. 17, S. 5759.

3 Vgl.: Jochen Schmidt: Petrarkismus und Stoizismus: Die Kreuzung konträrer Diskurse in Paul Flemings Liebeslyrik, in: Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur, Kunst und Politik. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Moderne, hrsg. v. Barbara Neymeyr u.a., Berlin u.a. 2008, Bd. 2, S. 771-786, hier S. 772.

4 Versangaben in runden Klammern beziehen sich auf Paul Flemings Gedicht „An Sich“ [in: Fleming Paul: Teütsche Poemata, Hildesheim 1969 (Nachdruck der Ausgabe Lübeck 1642), S. 576.]

5 Vgl.: Dieter Burdorf: Einführung in die Gedichtanalyse, 2., überarb. u. akt. Aufl., Stuttgart u. Weimar 1997, S. 84f.

6 Ebd.

7 Vgl.: Burdorf, Einführung in die Gedichtanalyse, S. 120.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Gedichtanalyse zu Paul Flemings "An Sich"
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
12
Katalognummer
V147622
ISBN (eBook)
9783640584178
ISBN (Buch)
9783640584338
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Paul Fleming, An Sich, Stoizismus, Lyrik, Gedichtanalyse, Selbstbeherrschung
Arbeit zitieren
Linda Lau (Autor:in), 2010, Gedichtanalyse zu Paul Flemings "An Sich", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147622

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