Essstörungen bei Männern


Diplomarbeit, 2009

117 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Abbildungsverzeichnis

II Tabellenverzeichnis

III Abkurzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen zu Essstorungen bei Mannern
2.1 Historie der Essstorungen bei Mannern
2.2 Diagnostische Klassifikation von Essstorungen
2.2.1 Uberblick
2.2.2 Anorexia nervosa
2.2.3 Bulimia nervosa
2.2.4 Nicht Naher Bezeichnete Essstorungen
2.3 Differentialdiagnostik von Essstorungen
2.4 Body-Mass-Index
2.5 Korperbild und Korperschemastorung
2.5.1 Korperbild und Korperschema
2.5.2 Das ideale mannliche Korperbild
2.5.3 Entwicklung eines Korperschemas
2.5.4 Korperschemastorung
2.6 Klinisches Erscheinungsbild von Essstorungen bei Mannern
2.6.1 Gemeinsamkeiten mit essgestorten Frauen
2.6.2 Unterschiede zu essgestorten Frauen
2.6.3 Die ideale Korperform bei Mannern
2.6.5 Auspragung der endokrinen Storung bei Mannern
2.6.6 Zusammenfassung des klinischen Erscheinungsbildes
2.7 Methodische Probleme bei der Erforschung von Essstorungen bei Mannern
2.7.1 Erforschung in der Vergangenheit
2.7.2 Publizierung von Essstorungen als Frauenkrankheit
2.7.3 Probleme bei der Erhebung und Auswertung von Daten
2.7.4 Diagnostische Probleme
2.7.5 Zusammenfassung der methodischen Probleme
2.8 Epidemiologie
2.8.1 Pravalenz von Essstorungen bei Mannern
2.8.2 Inzidenz von Essstorungen bei Mannern
2.8.3 Entwicklung der Fallzahlen
2.9 Komorbiditat
2.9.1 Allgemeine Komorbiditat bei Essstorungen
2.9.2 Essstorungsspezifische Komorbiditaten
2.9.3 Substanzmissbrauch und Essstorungen
2.10 Verlaufsergebnisse (und Prognose)
2.10.1 Beginn und Verlauf der Erkrankung
2.10.2 Langzeitverlauf
2.10.3 Prognose
2.10.4 Mortalitat bei Mannern mit einer Essstorung
2.10.5 Zusammenfassung der Verlaufsergebnisse

3. Atiologie von Essstorungen bei Mannern auf Grundlage der mehrfaktoriellen Modelle nach Biedert
3.1 Einfuhrung zur Atiologie von Essstorungen bei Mannern
3.2 Pradisponierende Faktoren
3.2.1 Biologische Faktoren
3.2.2 Personlichkeitsfaktoren
3.2.3 Familiare Faktoren
3.2.4 Soziokulturelle Faktoren
3.2.5 Zusammenfassung der pradisponierenden Faktoren
3.3 Auslosende Faktoren
3.3.1 Kritische Lebensereignisse
3.3.2 Psychosoziale Faktoren
3.3.3 Zusammenfassung der auslosenden Faktoren
3.4 Aufrechterhaltende Faktoren
3.4.1 Biobehaviorale Faktoren
3.4.2 Psychosoziale Faktoren
3.4.3 Kognitive Faktoren
3.4.4 Zusammenfassung der aufrechterhaltenden Faktoren
3.5 Bewertung und Probleme des mehrfaktoriellen Atiologie-modells

4. Diskussion
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
4.2 Interpretation der Ergebnisse und Einordnung
4.2.1 Subtypen von Essstorungen bei Mannern
4.2.2 Bewertung der Forschungsliteratur
4.2.3 Implikationen fur die Forschung
4.2.4 Diagnostik und Fruherkennung
4.2.5 Behandlung von essgestorten Mannern
4.2.6 Aufklarung und Pravention
4.3 Ausblick

V Literaturverzeichnis

I Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.1: Formel fur Body-Mass-Index

Abb. 2.2: Perzentile fur den Body-Mass-Index fur Jungen von 0-18 Jahre

Abb. 2 3: Einzeldiagnosen von Essstorungen zwischen 1994-1999

Abb. 3 1: Atiologisches Modell der Anorexia nervosa

Abb. 3 2: Atiologisches Modell der Bulimia nervosa

Abb. 3 3: Atiologisches Modell der Essstorungen bei Mannern

II Tabellenverzeichnis

Tab. 2 1: Klassifikation von Essstorungen im ICD-10 und DSM-IV-TR

Tab. 2 2: Diagnostische Kriterien der Anorexia nervosa nach ICD-10

Tab. 2 3: Diagnostische Kriterien der Anorexia nervosa nach DSM-IV-TR

Tab. 2 4: Diagnostische Kriterien der Bulimia nervosa nach ICD-10

Tab. 2 5: Diagnostische Kriterien der Bulimia nervosa nach DSM-IV-TR

Tab. 2 6: Diagnostische Kriterien der Nicht Naher Bezeichneten Essstorungen nach DSM-IV-TR

Tab. 2 7: Einteilung der BMI-Werte fur Erwachsene beider Geschlechter

Tab. 2 8: Beratungs- und Behandlungsverlauf von Essstorungen bei Mannern

Tab. 2 9: Ergebnisse der Behandlungen von Essstorungen bei Mannern

III Abkurzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die Medien berichteten in den letzten Jahren immer wieder uber die dramatische Zunah- me von Ubergewicht und Adipositas in der Bevolkerung. Deutsche sind laut einer Studie die dicksten Europaer und im globalen Vergleich mit den USA fast gleichauf (vgl. de Zwaan & Herpertz, 2007). Dass es neben den „Bierbauchen" auch mannliche „Hungerha- ken" gibt, ist den wenigsten Menschen bewusst. Diese andere Seite der hochindustriali- sierten westlichen Lander bringt ebenso dieses Extrem hervor. In diesen Landern, mit ihrer unglaublichen Vielfalt an Nahrungsmitteln, gehoren Essstorungen zu den haufigsten psychosomatischen Erkrankungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (vgl. De- chene, 2008).

Relativ unbekannt war bisher, dass sich nicht nur Frauen sondern auch Jungen und junge Manner krankhaft Sorgen um ihr Aussehen und Gewicht machen konnen. Jeder achte Mann zeigt inzwischen Auffalligkeiten im Essverhalten (Aschenbrenner, K., Aschenbren- ner, F., Kirchmann & StrauB, 2004). Trotzdem ist im Allgemeinen noch wenig bekannt, dass auch Manner eine Essstorung entwickeln konnen. Zahlreiche TV-Film-Produktionen machten es sich in der Vergangenheit bereits zum Thema, Geschichten von Essstorun- gen darzustellen - allerdings nur bei Frauen. Es gibt ebenso Reportagen und verschiede- ne Beitrage zu Essstorungen bei Frauen, jedoch werden auch diese relativ selten im TV- Programm gezeigt, besonders wenn es um Themen wie Magersucht geht. Sendungen wie ..Germany’s biggest Looser", in der stark ubergewichtige Menschen gegen ihre Pfun- de kampfen, scheinen dabei weitaus interessanter fur die breite Offentlichkeit zu sein und mehr Medienaufmerksamkeit sowie Einschaltquoten zu bekommen. Dabei ware es wich- tig, auch uber das andere Extrem zu berichten und aufzuklaren. In Italien beispielsweise warb im Jahr 2007 der Fotograf Oliviero Toscani auf groBflachigen Plakaten mit einem weiblichen, in der Branche gut bezahlten, anorektischen Modell mit der klaren Botschaft „Nein zur Magersucht". Die Medien schrien auf, die Menschen waren schockiert aufgrund der ausgemergelten Figur der Frau. Aber Ergebnis der Aktion war, dass die Anorexie wie­der zum Gesprachsthema wurde und bewusst machte, dass die Erkrankung immer noch weit verbreitet in den Kreisen der Modeindustrie ist. Was ware, wenn es solche Kampag- nen auch fur Manner gabe?

Die Unwissenheit uber Essstorungen bei Mannern wird noch unterstutzt, indem vor allem in Deutschland das Angebot von, der Offentlichkeit zuganglichen, deutschsprachigen Ratgebern oder Sachbuchern zu Essstorungen bei Mannern sehr sparlich ist. Lediglich einige diverse Web-Seiten befassen sich explizit mit der Erkrankung bei Mannern, wie www.magersucht.de. Dies zeigt deutlich, wie sehr das Thema immer noch in der Literatur vernachlassigt wird, obwohl Studien inzwischen belegt haben, dass es sich bei Anorexie und Bulimie nicht um reine Frauenkrankheiten handelt. Trotzdem fehlt bisher deutsch- sprachige Fachliteratur, welche die Thematik nicht nur in einem einzelnen Kapitel eines Gesamtwerks uber Essstorungen erwahnt.

Diese Diplomarbeit wurde mit der Intention verfasst, den aktuellen Stand der Wissen- schaft und somit die einzelnen vorhandenen Studien zum Thema Essstorungen bei Man- nern in einem umfassenden Gesamtuberblick zusammenzutragen. Obwohl am Rand auch sozialkritisch orientierte Punkte angesprochen werden, wie die Rolle der Medien bei der Entwicklung einer Essstorung, soll diese Arbeit vielmehr eine Zusammenstellung ver- schiedenster Fakten zum Thema darstellen. Dabei wird der Hauptfokus auf den klassi- schen Essstorungen Anorexia nervosa und Bulimia nervosa liegen. Auf die „Nicht Naher Bezeichneten Essstorungen" (ESNNB) soll in dieser Arbeit ebenfalls eingegangen wer­den, jedoch spielen sie aufgrund mangelnder Literatur eher eine untergeordnete Rolle.

Der erste Teil dieser Diplomarbeit vermittelt ausfuhrliche Grundlagen zu Essstorungen bei Mannern, wobei auch methodische Probleme bei der Erforschung angesprochen werden. Im zweiten Teil dieser Arbeit steht die Atiologie von Essstorungen bei Mannern im Mittel- punkt, die auf der Grundlage der mehrfaktoriellen Atiologiemodelle nach Biedert (2008) so umfassend wie moglich erklart wird. Dabei stehen die Beantwortung verschiedener Fra- gen im Vordergrund wie beispielsweise warum einige wenige Manner an Essstorungen erkranken wahrend andere gesund bleiben? Warum halten die einen] eine Diat und/oder treiben viel und regelma&ig Sport und werden nicht essgestort? Konnen Diaten zu Esssto- rungen fuhren? Wie auch bei Frauen handelt es sich bei Essstorungen des mannlichen Geschlechts um ein komplexes Gebilde aus Faktoren, die fur die Erkrankung anfallig ma- chen, die Ausloser aber auch aufrechterhaltend fur die Essstorung sein konnen. Um die- sen Erklarungsansatz zu verdeutlichen, dient ein modifiziertes schematisches Gesamt- konzept, in dem die genannten Faktoren zusammengefuhrt werden.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, uber Essstorungen bei Mannern im Allgemeinen und ihre Entstehung so ausfuhrlich wie moglich aufzuklaren und darauf aufbauend in einer ab- schlie&enden Diskussion vor allem Moglichkeiten der Behandlung und Pravention aufzu- zeigen.

2 Grundlagen zu Essstorungen bei Mannern

2.1 Historie der Essstorungen bei Mannern

Als ersten jemals offiziell dokumentierten und veroffentlichten Fall von einer Essstorung bei einem Mann berichtete im Jahr 1689 Dr. Richard Morton (zit. nach Scott, 1986, S. 799). Er beschrieb eine, den Symptomen nach der Magersucht gleichende, Erkrankung eines 16jahrigen (ebd.). Morton war der Meinung, dass der Junge, geboren als Sohn ei- nes Ministers, zu hart studierte und die Symptome durch die starke geistige Erregung entstanden seien (ebd.). Deswegen habe er ihm damals eine Erholungskur verschrieben und ihm geraten, sich eine Weile aus seinem Studium zuruckzuziehen (zit. nach Carlat, Camargo & Herzog, 1997, S.1127). In seinem Werk „Phthisiologia“ lieferte Morton im Jahr 1691 eine ausfuhrliche Beschreibung dieser Erkrankung (zit. nach Silverman, 1988, S. 439). Er charakterisierte sie als „Nervous Consumption", verursacht durch „Sadness and anxious Cares" (ebd.), was bedeutet, dass er Traurigkeit und angstliche Sorge fur die ner- vose Auszehrung verantwortlich machte (zit. nach Herpertz & de Zwaan, 2007, S. 502).

Dokumentierte Fallbeispiele uber Essstorungen bei Mannern waren in der Vergangenheit jedoch eine Seltenheit. Neben dem bereits erwahnten Fall beschrieb Silverman (1990) nur noch zwei weitere schriftlich belegte Falle: Zum einen berichtete Whytt (zit. nach Silver­man, 1990, S. 4f) im Jahr 1764 uber einen Fall von Magersucht bei einem 14jahrigen Jungen, welchem schlie&lich eine Spontanheilung widerfuhr. Zum anderen dokumentierte Willan (zit. nach Silverman, 1990, S. 5f) im Jahr 1790 einen Fall extremen Fastens bei einem jungen Mann, an dessen Folgen dieser schlie&lich nach 78 Tagen verstarb.

Herpertz und de Zwaan (2007) sehen in den Erzahlungen „Die Verwandlung" von 1915 und „Der Hungerkunstler" aus dem Jahr 1924 von Franz Kafka (1883-1924) sehr beein- druckende literarische Schilderungen der Essstorung Anorexia nervosa. Fichter (1987) geht sogar soweit zu behaupten, dass Kafka selbst hochstwahrscheinlich an einer Sub­form der Magersucht, der atypischen Anorexia nervosa, litt. Er sei sein ganzes Leben sehr dunn und untergewichtig gewesen. Zudem habe er eine sehr asketische Einstellung ge- habt und jeglichen physischen Freuden, Genussen und Vergnugen entsagt, d.h. er faste- te, war Vegetarier, lebte sexuell abstinent und legte viel Wert auf physische Fitness. Er sei Leistungsorientiert gewesen und habe eine anankastische, d.h. eine zwanghafte, depres­sive Personlichkeit gehabt.

Heute, uber 200 Jahre spater, basieren die Informationen uber Essstorungen bei Mannern weitgehend auf einigen wenigen Fallbeschreibungen und meist sehr kleinen kontrollierten Fallstudien (Carlat et al., 1997). Auch Kinzl, Traweger, Trefalt, Mangweth und Biebl (1998) sprechen in ihrer Studie von einem deutlich selteneren Vorkommen von Essstorungen und essgestortem Verhalten bei Mannern und bemangeln die geringe Anzahl von vorlie- genden Studien besonders in nichtklinischen Bevolkerungsgruppen. Ausfuhrliche Berichte uber das Auftreten von Bulimia nervosa bei Mannern, verbunden mit Schilderungen uber die Psychopathologie fanden sogar erst in den 1970iger und 1980iger Jahren langsam ihren Weg in die Forschungsliteratur (Andersen, 1986); wesentlich spater als die Anorexia nervosa. Deswegen sind Essstorungen bei Mannern in der Bevolkerung noch wenig be- kannt. Ganz zu schweigen von Schatzungen der Dunkelziffer von anorektischen Esssto­rungen bei Mannern (Fichter, 1985). Essstorungen sind bei Mannern aber nicht zu unter- schatzen, wie die folgenden Kapitel zeigen werden.

2.2 Diagnostische Klassifikation von Essstorungen

Die folgenden Abschnitte sollen dazu dienen, einen Uberblick uber die Essstorungen nach den gangigen Klassifikationsschemata zu bekommen, wobei insbesondere die Anorexia nervosa, die Bulimia nervosa sowie die „Nicht Naher Bezeichneten Essstorungen" aus- fuhrlich beschrieben werden.

2.2.1 Uberblick

In den meisten Fallen erwartet man am Anfang eines Kapitels oder Buches zu einem be- stimmten Thema eine Definition des solchen. In Bezug auf Essstorungen meist vernach- lassigt, soll diesem an dieser Stelle entgegengewirkt werden. Im Klinischen Worterbuch von Pschyrembel (2002, S. 491) werden Essstorungen z. B. wie folgt definiert:

Essstorungen, psychogene:

„(engl.) psychogenic eating disorder; Storungen der Nahrungsaufnahme (Dysore- xie) bzw. des Korpergewichts (Dysponderosis) ohne org. Ursachen, die sich in versch. klin. Bildern manifestieren u. ineinander ubergehen konnen [...].“

Im Diagnosesystem fur psychische Erkrankungen, der internationalen Klassifikation psy- chischer Storungen (ICD-10) der World Health Organization (WHO), werden Essstorun­gen dem Kapitel F5 „Verhaltensauffalligkeiten mit korperlichen Storungen und Faktoren" zugeordnet (Dilling & Freyberger, 2006). In einem weiteren Diagnosesystem psychischer Erkrankungen, dem aktuellen ..Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (DSM-IV-TR) der American Psychiatric Association (APA), sind die Essstorungen unter einem eigenen gleichnamigen Kapitel aufgefuhrt (SaB, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003).

Die unterschiedlichen Typen von Essstorungen, klassifiziert nach ICD-10 und DSM-IV-TR, sind in Tabelle 2.1 gegenubergestellt. Deutlich wird in dieser Gegenuberstellung, dass die Anorexia nervosa und Bulimia nervosa, auf welche in dieser Arbeit hauptsachlich einge- gangen wird, in beiden Diagnosesystemen vorkommen. Wahrend im DSM-IV-TR nur noch eine weitere Gruppe, die der „Nicht Naher Bezeichnete Essstorungen" (ESNNB) Beruck- sichtigung findet, wird im ICD-10 eine differenziertere Auflistung dargeboten. Unterschie- den werden hierbei zwischen atypischer Bulimia nervosa, atypischer Anorexia nervosa sowie Essattacken bzw. Erbrechen bei sonstigen psychischen Storungen. AuBerdem gibt es noch die Kategorien „Sonstige Essstorungen" und „Nicht Naher Bezeichnete Esssto- rung". Welche Probleme bei dieser spezifischen Einteilung entstehen, wird unter Gliede- rungspunkt 2.2.4.3 erlautert.

Tab. 2 1: Klassifikation von Essstorungen im ICD-10 und DSM-IV-TR (eigene Darstellung) (vgl. Dilling & Freyberger, 2006; SaB et al., 2003)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine Beschreibung der unter Tabelle 1.1 gegenubergestellten Essstorungen nach ICD-10 und DSM-IV-TR erfolgt unter den Gliederungspunkten 2.2.2 bis 2.2.4. Im Folgenden soll dabei genauer auf die klinischen Storungsbilder der Anorexia nervosa, der Bulimia nervosa sowie der „Nicht Naher Bezeichneten Essstorungen" eingegangen werden. Da die Klassifikation nach den Diagnosesystemen fur psychische Storungen geschlechteru- nabhangig erfolgt, wird unter den Gliederungspunkten 2.2.2 bis 2.2.4 nicht explizit Bezug auf das klinische Erscheinungsbild bei Mannern genommen, sondern erst unter Gliede- rungspunkt 2.6.

2.2.2 Anorexia nervosa

2.2.2.1 Historische Entwicklung der Anorexia nervosa

Laut Herpertz und de Zwaan (2007) tauchten schon im 17. Jahrhundert die ersten Fall- beschreibungen zur Magersucht auf. Im Jahr 1667 wurde erstmals offiziell eine 18jahrige Englanderin mit der Erkrankung beschrieben, worauf hin das Interesse der medizinischen Fachkreise geweckt und eine ausfuhrliche Beschreibung dieses Krankheitsbildes angefer- tigt wurde. Wie unter Gliederungspunkt 2.1 bereits beschrieben, befasste sich auch Mor­ton im Jahr 1691 in seinem Werk „Phthisiologia" eingehend mit den Symptomen des selbstinduzierten Hungerns. Dennoch fuhrte erst 1888 der englische Arzt Sir Gull die Krankheitsbezeichnung „Anorexia nervosa" ein (Herpertz & de Zwaan, 2007). Bis Mitte des letzten Jahrhunderts fokussierte die Behandlung der Anorexie auf den somatischen Anteil der Storung, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon klar war, dass es auch eine psychi­sche Komponente gab (ebd.). Erste Therapieplatze wurden erst in den 1960iger Jahren in Abteilungen fur Kinder- und Jugendpsychiatrie oder in psychosomatischen Fachkliniken eingerichtet, wobei hier der Schwerpunkt uberwiegend auf einer tiefenpsychologischen Behandlung lag (ebd.). Parallel zu dieser Entwicklung wurde mit der systematischen Er- forschung der Anorexia nervosa begonnen, deren Ziel in erster Linie die Entwicklung ei- nes Therapiekonzepts war (ebd.). Hier hatte Bruch (1991) einen groBen Einfluss, indem sie 1972, in der Erstausgabe ihres Buches, erstmals die Defizite im Selbstwertgefuhl der anorektischen Patientinnen und deren Korperschemastorung beschrieb. Zudem wurden erstmalig Diagnosekriterien fur die Anorexia nervosa durch Feighner et al. (1972) festge- legt.

2.2.2.2 Klassifikation der Anorexia nervosa

„Anorexia" kann im Sinne von Appetitlosigkeit und Herabsetzung des Triebs zur Nah- rungsaufnahme ubersetzt werden (vgl. Pschyrembel, 2002) und „nervosa" weiBt auf seeli- sche Belastungen (vgl. Bruch, 1991) bzw. auf emotionale Ursachen (vgl. Davison & Nea­le, 2002) hin.

In den Diagnosesystemen psychischer Erkrankungen ICD-10 (Dilling & Freyberger, 2006) und dem aktuellen DSM-IV-TR (SaB et al., 2003) stimmen die Kriterien zur Diagnostik einer Anorexia nervosa weitgehend uberein. Es lassen sich nach ICD-10 (Dilling & Frey- berger, 2006) zwei Typen unterscheiden: die Anorexie ohne und mit aktiven MaBnahmen zur Gewichtsabnahme. Diese beiden Erscheinungsformen der Magersucht sind Equiva­lent den beiden Formen des DSM-IV-TR (SaB et al., 2003), welche in diesem Diagnose- system als restriktiver Typus, auch klassische Magersucht genannt, und bulimische Ma­gersucht, auch als „Binge-Eating/Purging-Typus" bezeichnet, angefuhrt werden. Die Be- zeichnung „Binge-Eating/Purging" bedeutet, dass nach einem „Fressgelage" (binge-eating oder binging) die Nahrungsmenge wieder abgefuhrt bzw. der Korper gereinigt oder ent- leert wird (purging).

2.2.2.3 Erscheinungsbild und diagnostische Kriterien der Anorexia nervosa

Laut Herpertz & de Zwaan (2007) ist die restriktive Magersucht bzw. Anorexie ohne aktive MaBnahmen zur Gewichtsabnahme durch eine mit Unterbrechungen auftretende Nah- rungsverweigerung oder extrem kalorienarme Ernahrung gekennzeichnet. Oft geht diese Form der Magersucht auch mit einem deutlich gesteigerten Bewegungsdrang einher (Bie- dert, 2008). Patienten mit einer bulimischen Magersucht bzw. Anorexie mit aktiven MaB- nahmen zur Gewichtsabnahme wenden zusatzlich noch MaBnahmen zur Gewichtsreduk- tion an. Dabei kann es neben dem Erbrechen der zuvor aufgenommenen Nahrung auch zur Einnahme von Laxanzien, also Abfuhrmittel, harntreibenden Mittel, so genannte Diure- tika, Appetitzuglern oder Schilddrusenhormonen kommen (Biedert, 2008).

Das Kernsymptom der Anorexie umfasst nach Herpertz & de Zwaan (2007) bei beiden Formen eine selbst induzierte Mangelernahrung einhergehend mit einem rapiden Ge- wichtsverlust. Das ausgepragte Untergewicht stellt dabei ein diagnostisches Kriterium dar (Dilling & Freyberger, 2006). Der Body-Mass-Index (BMI) betragt dabei weniger als 17,5kg/m2 bzw. fuhrt der Gewichtsverlust „zu einem Korpergewicht von mindestens 15% unter dem normalen oder dem fur das Alter und die KorpergroBe erwarteten Gewicht" (Dilling & Freyberger, 2006, S. 193).

Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die tief greifende Angst vor einer Gewichtszunahme und ein Zielgewicht, dass, trotz fortschreitender Abmagerung, vom Erkrankten immer wei- ter nach unten korrigiert wird (Biedert, 2008). Hier wird die ausgepragte Korperschema- storung deutlich, da die Betroffenen ihren gesamten Korper oder zumindest bestimmte Korperteile wie Bauch oder Huftpartien als zu dick einschatzen, obwohl ihr Gewicht weit unter der medizinisch gesunden Norm liegt (Herpertz & de Zwaan, 2007; Biedert, 2008). Die Gewichtsreduzierung wird durch die Vermeidung von hoch kalorischen Nahrungsmit- teln erreicht (ebd.). Es kommt zu einer standigen gedanklichen Beschaftigung mit Essen sowie dessen Beschaffung und Zubereitung, womit Nahrung und Essen einen groBen Platz im alltaglichen Leben der Betroffenen einnehmen (Biedert, 2008). Die Kriterien, die nach ICD-10 und DSM-IV-TR alle erfullt sein mussen, um die Diagnose Anorexia nervosa vergeben zu konnen, sind in den Tabellen 2.2 und 2.3 dargestellt.

Tab. 2 2: Diagnostische Kriterien der Anorexia nervosa nach ICD-10

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2 3: Diagnostische Kriterien der Anorexia nervosa nach DSM-IV-TR

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2.2.4 Folgeerscheinungen der Anorexia nervosa

Bei fast alien magersuchtigen Patienten ist trotz des Untergewichts ein exzessiver Bewe- gungsdrang beobachtbar, wobei sie versuchen, fit und widerstandsfahig zu erscheinen (vgl. Biedert, 2008). In den Bereichen des taglichen Lebens, wie Schule, Studium oder Beruf, versuchen sie so lange es ihr ausgezehrter korperlicher Zustand zulasst, uber- durchschnittliche Leistungen zu erbringen (ebd.). Dem gegenuber stehen aber die zu- nehmende Isolation von Mitmenschen und die Reduzierung des Freundeskreises auf ei- nige wenige soziale Kontakte als soziale Folgeerscheinungen der Erkrankung. Au&erdem vermeiden sie es, an Mahlzeiten mit anderen Menschen teilzunehmen (ebd.). Auf ihren Zustand angesprochen, werden die charakteristischen Verleugnungstendenzen deutlich, wobei die Betroffenen oft aggressiv oder ablehnend reagieren und das offensichtliche Problem verharmlosen (Herpertz & de Zwaan, 2007).

Durch die extreme Unterernahrung kommt es haufig zu charakteristischen korperlichen Folgeerscheinungen. Um Energie zu sparen verlangsamt der Korper die Herzfrequenz und senkt die Hauttemperatur, weshalb Anorektiker haufig selbst bei warmer Umgebungs- temperatur anfangen zu frieren (Biedert, 2008). Osteoporose sowie Hirnatrophie konnen in Folge der korperlichen Auszehrung ebenso auftreten (Mangweth-Matzek, 2008), wie Austrocknung der Haut, sprode Fingernagel, niedriger Blutdruck sowie Nieren- und Ma- gen-Darm-Problemen (Davison & Neale, 2002). Durch die Erkrankung kann sich der E- lektrolytspiegel senken, was zur Folge hat, dass sich magersuchtige Patienten oft mude und schwach fuhlen, Herzrhythmusstorungen auftreten oder Patienten plotzlich den Tod finden (ebd.).

Besonders typisch und vor allem diagnostisch relevant ist die bei weiblichen Patienten einsetzende Amenorrhoe, d. h. mindestens drei aufeinander folgende Menstruationszyk- len bleiben aus. Bei mannlichen Patienten hingegen kommt es zu Potenz- und Libidover- lust. Charakteristisch ist bei fortschreitendem karektischem Zustand, d.h. bei andauernder Auszehrung, die Ausbildung einer so genannte Lanugobehaarung, eine Art zarter Flaum, der sich am ganzen Korper bildet und dem ausgezehrten Korper zum Schutz vor Warme- und somit Energieverlust dienen soll (Biedert, 2008).

2.2.3 Bulimia nervosa

2.2.3.1 Historische Entwicklung der Bulimia nervosa

Die erste Falldarstellung nach heutigen diagnostischen Kriterien lieferte bereits Wulff im Jahr 1932 (zit. nach Herpertz & de Zwaan, 2007, S. 515). Ende der 1940iger Jahre schloss sich dann Bruch (1991) mit ihren ersten Beobachtungen von Patientinnen mit Bulimia nervosa an. Jedoch bedurfte es weiterer 40 Jahre bis 1980 Russel das Krank- heitsbild der Bulimia nervosa beschrieb und dieses letztendlich in das amerikanische Klassifikationsschema DSM-III aufgenommen wurde (vgl. Herpertz & de Zwaan, 2007).

Nach dieser ersten Aufnahme in das DSM-III wurde daraufhin intensiv diskutiert, welche Terminologie der diagnostischen Kriterien die Richtige sei. Deswegen kam es erst 1987 zur Einigung auf eine einheitliche Definition der Bulimia nervosa im ICD-10 und im DSM- III-R. Neben der zunehmenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Krank- heitsbild der Bulimia nervosa und den ersten Publikationen von Studien zur Thematik, begannen auch die Medien, vor allem in Frauen- und Madchenzeitschriften, dieses The- ma aufzugreifen. Diese Entwicklung bewirkte, dass die Erkrankung vor rund 20 Jahren noch relativ unbekannt war, nun aber Beachtung in der Bevolkerung findet und in erster Linie als Frauenkrankheit wahrgenommen wird (vgl. Herpertz & de Zwaan, 2007).

2.2.3.2 Klassifikation der Bulimia nervosa

Die Bezeichnung „Bulimia" wird mit HeiBhunger, Esssucht oder auch Fresssucht ubersetzt (Pschyrembel, 2002). Der Begriff „Nervosa" stellt auch hier einen Hinweis auf psychische Ursachen der Erkrankung dar (Davison & Neale, 2002). Im Wesentlichen unterscheiden sich die diagnostischen Kriterien der Bulimia nervosa im ICD-10 (Dilling & Freyberger, 2006) und DSM-IV-TR (SaB et al., 2003) nicht. Jedoch werden im DSM-IV-TR (ebd.) zu- satzlich zwei Subtypen der Bulimie unterschieden, der „Purging-Typus" und der „Nicht- Purging-Typus".

Beim „Purging-Typus" des DSM-IV-TR kommt es zu Laxanzien- und/oder Diuretika- missbrauch sowie regelmaBigem selbstinduziertem Erbrechen nach „Fressanfallen", um die aufgenommene Nahrungsmenge wieder abzufuhren. Hingegen fuhren die Patienten beim „Nicht-Purging-Typus" die eben genannten MaBnahmen zur Gewichtsreduktion nicht durch, sondern versuchen durch Fasten und ubertriebene korperliche Betatigung einer moglichen Gewichtszunahme verursacht durch die Fressanfalle entgegenzuwirken (Her­pertz & de Zwaan, 2007).

2.2.3.3 Erscheinungsbild und diagnostische Kriterien der Bulimia nervosa

Ein charakteristisches diagnostisches Kriterium fur die Bulimia nervosa in beiden Diagno- sesystemen sind regelmaBige Essattacken verbunden mit gegensteuernden MaBnahmen zur Gewichtsreduktion aus Angst vor einer Gewichtszunahme (Dilling & Freyberger, 2006; SaB et al., 2003). Wahrend eines solchen „Fressanfalls" verlieren die Betroffenen oft die Kontrolle uber die Nahrungsaufnahme und konsumieren innerhalb kurzester Zeit mehrere tausend Kilokalorien ohne sich dabei selbst Einhalt gebieten zu konnen (Biedert, 2008). Die Folgen sind stark ausgepragte Schuld- und Schamgefuhle verbunden mit dem Drang, die extreme und unkontrollierte Nahrungszufuhr ungeschehen zu machen (ebd.). Dies gelingt dann, zumindest fur den Moment, durch das Erbrechen der zuvor aufgenommenen Lebensmittel (Herpertz & de Zwaan, 2007). Als gewichtsgegensteuernde MaBnahmen werden zusatzlich auch verschiedenste andere Arten der unangemessenen Gewichtskon- trolle angewandt (ebd.). Neben der missbrauchlichen Einnahme von Laxanzien und Diure- tika gehoren hierzu auch eine ubermaBige korperliche Betatigung sowie zeitweise strenge Diaten und Fasten (Herpertz & de Zwaan, 2007; Biedert, 2008). Eine andere Form der Bulimia nervosa stellt auBerdem das Abwechseln von Ess-Brech-Anfallen mit Phasen extremen Hungerns dar (Herpertz & de Zwaan, 2007). Eine genaue Ubersicht der Krite­rien nach ICD-10 und DSM-IV-TR, die fur die Diagnose der Bulimia nervosa erfullt sein mussen, sind in den Tabellen 2.4 und 2.5 aufgezeigt.

Tab. 2 4: Diagnostische Kriterien der Bulimia nervosa nach ICD-10 (eigene Darstellung) (vgl. Dilling & Freyberger, 2006)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2 5: Diagnostische Kriterien der Bulimia nervosa nach DSM-IV-TR

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2.3.4 Folgeerscheinungen der Bulimia nervosa

Psychische Folgeerscheinungen der Bulimia nervosa konnen u. a. sein, dass die Gedan- ken der Betroffenen uberwiegend von der Angst, dick zu werden, beherrscht sind (Her- pertz & de Zwaan, 2007). Die eigene Figur und das eigene Gewicht stehen im Mittelpunkt und beeinflussen die Selbstbewertung im hohen MaRe (Biedert, 2008). Die standige Be- schaftigung mit der Nahrungsaufnahme und den damit verbundenen Lebensmitteln nimmt immer mehr zu und gemeinsame Mahlzeiten, als Element des taglichen gesellschaftlichen Lebens und demzufolge als soziales Kommunikationsmittel, verlieren an Bedeutung (Her- pertz & de Zwaan, 2007).

Oft haben die bereits beschriebenen Fressanfalle auch psychische Folgen. Alpers & Tu- schen-Caffier (2001) sind der Meinung, dass bei den Betroffenen depressive Stimmungen und psychische Belastungen, durch die Attacken entstehen. Sie vermuten auRerdem, dass Empfindungen, wie ausgepragte Schamgefuhle oder Ekel vor sich selbst, zu weite- ren Ess-Brech-Anfallen fuhren konnen und diese dann als Mittel zur Stimmungs- und Spannungsregulierung dienen. Auch die korperlichen Veranderungen bei einer ausge- pragten Bulimia nervosa sind nicht zu unterschatzen. Das wiederholte Erbrechen nach den Essanfallen kann zu Kaliummangel fuhren (Davison & Neale, 2002) oder Elektrolyt- storungen (Biedert, 2008) hervorrufen. Nach Davison & Neale (2002) kann die Elektrolyt- storung jedoch auch durch Diarrhoe, verursacht durch den Laxanzienmissbrauch, hervor- gerufen werden, was wiederum Herzrhythmusstorungen zu Folge haben kann. Charakte- ristisch fur langjahrige Bulimiker sind auch sehr schlechte Zahne, da durch das Erbrechen immer wieder Magensaure in den Mundraum gelangt (ebd.). Folglich wird der Zahn- schmelz zerstort und die Zahne werden regelrecht zerfressen (ebd.). Weitere typische Symptome sind Funktionsstorungen der Speicheldrusen, Verstopfungen sowie Gewebe- verletzungen in Magen und Rachen durch wiederholtes Erbrechen (Davison & Neale, 2002; Mangweth-Matzek, 2008).

2.2.4 Nicht Naher Bezeichnete Essstorungen

2.2.4.1 Klassifikation der ESNNB

Neben den zwei bekanntesten Essstorungen Anorexia nervosa und Bulimia nervosa gibt es noch eine dritte Gruppe, die „Nicht Naher Bezeichnete Essstorungen" (ESNNB), wel- che sowohl im ICD-10 (Dilling & Freyberger, 2006) als auch im DSM-IV-TR (SaB et al, 2003) zu finden sind. Laut Biedert (2008) handelt es sich im Vergleich zu Anorexia nervo­sa und Bulimia nervosa um eine „sehr heterogene und wenig spezifizierte" (Biedert, 2008, S. 71) Diagnosekategorie.

Wie bereits unter dem Gliederungspunkt 2.2.1 aufgefuhrt, weisen das ICD-10 sowie das DSM-IV-TR Unterschiede in der Einteilung und Zuordnung von Essstorungen auf. Speziell fur die ESNNB werden in den Diagnosesystemen unterschiedliche Storungsbilder be- schrieben, die anschlieBend kurz dargestellt werden. Im Gegensatz zum ICD-10 nimmt das DSM-IV-TR keine spezifische Unterteilung der ESNNB vor (Dilling & Freyberger, 2006; SaB et al., 2003). Die Kategorie der „Nicht Naher Bezeichneten Essstorungen" dient der Einordnung von Essstorungen, welche die Kriterien fur eine spezifische Essstorung nicht erfullen. Dabei muss ein Kriterium erfullt werden, um die Diagnose „Nicht Naher Be­zeichnete Essstorung" zu stellen (vgl. Tabelle 1.6).

Tab. 2 6: Diagnostische Kriterien der Nicht Naher Bezeichneten Essstorungen nach DSM-IV-TR (eigene Darstellung) (vgl. SaR et al., 2003)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im ICD-10 wird, wie unter Gliederungspunkt 2.2.1 bereits erwahnt, neben der ESNNB noch zwischen der „Atypischen Bulimia nervosa", der „Atypischen Anorexia nervosa" so- wie den „Essattacken bei sonstigen psychischen Storungen" und dem „Erbrechen bei sonstigen psychischen Storungen" unterschieden (Dilling & Freyberger, 2006). Dem schlieRt sich die Kategorie „Sonstige Essstorungen" an (ebd.). Alle Ausfuhrungen unter der Abkurzung ESNNB in dieser Arbeit beziehen sich nach DSM-IV auf alle Essstorun- gen, welche nicht die diagnostisch relevanten Kriterien fur eine klinisch manifeste Anore­xia nervosa oder Bulimia nervosa erfullen.

Obwohl weniger bekannt, haben Untersuchungen in mehreren Landern ergeben, dass die ESNNB zu den haufigsten Essstorungen uberhaupt zahlen (Biedert, 2008, Mangweth- Matzek, 2008). Kinzl et al. (1998) bestatigen in ihrer Zufallsstichprobe, das ESNNB bei Mannern in einer nichtklinischen Bevolkerungsgruppe viel haufiger vorkommen als aus- gepragte Vollbilder von Essstorungen.

Zwischen einer ESNNB und einer klinisch manifesten Essstorung liegt ein schmaler Grat. Doch wie unterscheidet man diese voneinander? In erster Linie kann diese Frage durch das Abgleichen mit den diagnostischen Kriterien fur Anorexia nervosa und Bulimia nervo­sa beantwortet werden. Als Vorformen oder so genannte subklinische Essstorungen be- zeichnet man hingegen die Storungen, welche nicht alle diagnostisch relevanten Kriterien erfullen und ordnet diese nach DSM-IV-TR den „Nicht Naher Bezeichneten Essstorungen" bzw. nach ICD-10 der „atypischen Anorexie" und „atypischen Bulimie" zu (vgl. Aschen- brenner, K., Aschenbrenner, F., Kirchmann & StrauB, 2004). Sie sind oftmals Variationen von Anorexie oder Bulimie oder aber stellen eine Mischung von Merkmalen aus beiden Essstorungen dar (Biedert, 2008). Deswegen konnen die ESNNB laut Biedert (2008) in zwei Subgruppen eingeteilt werden. Bei der ersten Gruppe zeigen die Betroffenen die charakteristischen Merkmale einer Anorexia nervosa oder einer Bulimia nervosa, im ICD- 10 als „Atypische Anorexia nervosa" und „Atypische Bulimia nervosa" bezeichnet. Die zweite Subgruppe der ESNNB umfasst eine Art Kombination der charakteristischen Merkmale von Anorexia und Bulimia (Biedert, 2008). Jedoch werden bei beiden Gruppen nicht alle diagnostischen Kriterien fur eine Anorexie oder Bulimie erfullt (ebd.).

Neben den beiden Subgruppen wird noch eine dritte Gruppe unterschieden. Die „Binge- Eating" Storung oder „Binge-Eating-Disorder" (BED), welche durch Essanfalle ohne ge- wichtsregulierende MaBnahmen gekennzeichnet ist, wird ebenfalls den ESNNB zugeord- net, stellt jedoch im Grunde eine separat zu betrachtende spezifische Unterkategorie dar (vgl- Biedert, 2008). Hierzu gibt es bereits vorlaufige explizit ausformulierte Forschungskri- terien (vgl. Jacobi, Thiel & Paul, 2004). Durch die Aufnahme der BED als eigenstandige Diagnose in die nachsten Ausgaben der Klassifikationssysteme ICD und DSM wurde sich der Vorteil ergeben, dass Betroffene, die nicht die Kriterien fur eine Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa erfullen, endlich eine eindeutige Diagnose erhalten wurden ohne der he- terogenen ESNNB-Kategorie zugeordnet zu werden (vgl. Davison & Neale, 2002).

2.2.4.2 Erscheinungsbild und diagnostische Kriterien der ESNNB

Laut Biedert (2008) lies sich anhand von Untersuchungen feststellen, dass Betroffene mit einer „Nicht Naher Bezeichneten Essstorung" meist mehrere Jahre unter ihrer Erkrankung litten, bevor sie sich in Behandlung begaben. Hier ahnelt der Krankheitsverlauf dem der voll ausgepragten Anorexia nervosa und Bulimia nervosa. Hinsichtlich der typischen ess- storungsspezifischen Psychopathologie gibt es auch viele Gemeinsamkeiten zur Anorexia nervosa und Bulimia nervosa (Biedert, 2008). Die ESNNB kann sich als gestortes Essver- halten, eine standige gedankliche Beschaftigung mit Figur und Gewicht, Anwendung ge- wichtsregulierender MaBnahmen sowie chronisches oder zeitweise unterbrochenes Diat- halten auBern (vgl. Buddeberg-Fischer, 2000).

Bei der ersten Subgruppe der ESNNB zeigen die Betroffenen die charakteristischen Merkmale einer Anorexia nervosa oder einer Bulimia nervosa, jedoch liegen diese dia­gnostischen Kriterien noch unterhalb der Schwelle zur jeweiligen Diagnosekategorie. So kann bei den Betroffenen ein sehr geringes Gewicht vorliegen, jedoch liegt der BMI leicht uber 17,5 bzw. das Gewicht nicht mindestens 15% unter dem Normalgewicht. In gleicher Weise verhalt es sich mit der Bulimia nervosa. Die Betroffenen konnen Essanfalle mit anschlieBendem Erbrechen aufweisen, jedoch ist die Haufigkeit der Anfalle zu gering um die Diagnosekriterien zu erfullen. Die zweite Subgruppe der ESNNB umfasst eine Art Kombination der charakteristischen Merkmale von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa und ahnelt deshalb einer Mischung aus den beiden bekanntesten Essstorungen (vgl. Bie- dert, 2008).

Trotz von diagnostischer Seite zu schwach ausgepragten Merkmalen um einer voll aus- gepragten Anorexie und Bulimie zugeordnet zu werden, konnte bei Patienten mit einer ESNNB wie schon erwahnt ebenfalls eine ubermaBige Bewertung von Essen, Figur und Gewicht festgestellt werden (vgl. Biedert, 2008). Dies lasst die Vermutung zu, dass die ESNNB vom klinischen Standpunkt aus offensichtlich nicht weniger schwerwiegend sind als Anorexie und Bulimie (ebd.) und die Nichterfullung der essstorungsspezifischen Krite- rien keine Auswirkungen auf die Behandlungsnotwendigkeit haben muss (Jacobi et al., 2004).

Die dritte Subgruppe umfasst die bereits erwahnte „Binge-Eating-Disorder" (BED). Dabei handelt es sich definitionsgemaB um eine „Form der psychogenen Essstorungen, bei der subjektiv unkontrollierbare Essanfalle mindestens zweimal pro Woche uber 6 Monate Auf- treten" (Pschyrembel, 2002, S. 187). Dabei essen die Betroffenen viel und wahllos in kur- zer Zeit bis sich ein unangenehmes Vollegefuhl einstellt (ebd.). Dies ist dann von Schuld- und Schamgefuhlen begleitet. (ebd.). Im Gegensatz zur Bulimia nervosa erfolgt bei der BED jedoch keine regelmaBige Kompensation der Fressanfalle durch unangemessene gewichtsregulierende MaBnahmen, wie Erbrechen (vgl. Biedert, 2008).

Zusammengefasst bedeutet dies fur die ESNNB, dass sie eine Residualkategorie darstel- len (vgl. Biedert, 2008). Unter die Diagnose einer ESNNB fallen derzeit alle Essstorungen, welche die Kriterien fur eine spezifische Essstorung nicht erfullen (ebd.). Demzufolge mussen auch keine Positivkriterien erfullt werden und die ESNNB nimmt somit die Rolle einer Ausschlussdiagnose ein (Biedert, 2008). Um eine ESNNB zu diagnostizieren bedarf es lediglich der Abklarung zweier Komponenten: Erstens „muss eine Essstorungen mit klinischer Relevanz bzw. klinischer Auspragung vorhanden sein" und zweitens durfen „die Diagnosekriterien fur eine Anorexia nervosa und Bulimia nervosa nicht erfullt sein" (Bie­dert, 2008, S. 73).

Zu den Folgeerscheinungen bei „Nicht Naher Bezeichneten Essstorungen" ist bisher we- nig bekannt, da Studien zum Langzeitverlauf weitgehend fehlen.

2.2.4.3 Schwierigkeiten bei der Diagnosekategorie ESNNB

Durch die Zuordnung aller nicht spezifischen Essstorungen zur Gruppe der ESNNB, kann diese laut Biedert (2008) zu Recht als Residuum betrachtet werden. Es ist deshalb sehr auffallig, dass die ESNNB trotz ihrer Bezeichnung als Residualkategorie, in klinischen Stichproben eine durchschnittliche Pravalenzrate von 60% aufweisen (vgl. Biedert, 2008). Sie sind also die haufigste Diagnose unter den Essstorungen, jedoch gibt es trotz der wei- ten Verbreitung dieser Erkrankung bisher nur wenige Untersuchungen, wobei kontrollierte Studien zur Pravalenz komorbider Storungen der ESNNB bisher ganzlich fehlen (ebd.). Da die einzelnen Gruppen der ESNNB eher als Ausschlussdiagnose dienen, besteht auch weitgehend Uneinigkeit uber die spezifischen Diagnosen und die damit verbundenen Kri- terien sowie die Einordnung von „gestortem Essverhalten" in das Klassifikationssystem (Aschenbrenner et al., 2004). Hinzu kommt, dass bisherige Untersuchungen fur die ESNNB eine gro&e Fluktuation zwischen den verschiedenen Essstorungen nachweisen konnten (Biedert, 2008). Die ESNNB stellen deshalb eine der am wenigsten stabilen Di­agnosen unter den Essstorungen dar (ebd.) und bedurfen somit intensiverer Erforschung.

Aschenbrenner et al. (2004) weisen daraufhin, dass eine intensivere Erforschung von subklinischen Formen die Moglichkeit eroffnen konnte, die Frage nach der Atiologie von Essstorungen zu klaren. Auf Grundlage ihrer Vermutung befassen sie sich deshalb unter anderem mit der Frage, welche Risikofaktoren mit subklinischen Essstorungen einherge- hen und was den Ubergang zu einem klinischen Vollbild beeinflusst (s. Kapitel 3).

Im nachsten Gliederungspunkt soll nun auf die Differentialdiagnostik der unter Abschnitt 2.2 aufgefuhrten Essstorungen eingegangen werden.

2.3 Differentialdiagnostik von Essstorungen

Bei der Anorexia nervosa ist es besonders wichtig, andere Erkrankungen als Ursache fur die extreme Gewichtsreduktion auszuschlieBen (Biedert, 2008). Um die Diagnose der Anorexia nervosa zweifelsfrei stellen zu konnen, sollte eine umfassende medizinische Untersuchung durchgefuhrt werden, um mogliche somatische Ursachen aufdecken zu konnen (ebd.). Manche Patienten klagen z. B. uber Schmerzen oder Ubelkeit, weshalb u. a. Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, chronische Infektionen sowie Tumorerkran- kungen, ausgeschlossen werden mussen (ebd.). Diese konnen das Essverhalten und den Appetit beeinflussen oder auch zu ungewolltem Gewichtsverlust fuhren (ebd.). Andere psychische Erkrankungen sollten als mogliche Ursache der Abmagerung ebenfalls in Be- tracht gezogen und differentialdiagnostisch abgeklart werden (Jacobi et al., 2004).

Fur einen geubten Diagnostiker stellt diese Abgrenzung meist kein Problem dar, da die ubermaBige Bewertung von Figur und Gewicht und die damit verbundene Selbstbewer- tung zusammen mit dem Wunsch abzunehmen sehr spezifisch fur die Diagnose einer Essstorung sind (Jacobi et al., 2004). Patienten, deren Leiden moglicherweise korperliche Ursachen hat, berichten im Gegensatz dazu oft davon, dass sie gern essen wollen, aber nicht konnen und deswegen ungewollt an Gewicht verlieren (vgl. Jacobi et al., 2004). So kann Appetitverlust gepaart mit Gewichtsverlust ein Symptom einer akuten depressiven Episode (Davison & Neale, 2002) oder aber auch einer anorektischen Reaktion im Rah- men einer Belastungs- und Anpassungsstorung (vgl. Jacobi et al., 2004) sein. Bei Zwangsstorungen kann es vorkommen, dass die Betroffenen unter nahrungsbezogenen Zwangsgedanken und -handlungen leiden und deshalb ihre Nahrung nur unter der Durch- fuhrung von bestimmten Ritualen zubereiten konnen. Weitere psychische Erkrankungen, welche differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden sollten, sind auch u. a. das Vor- liegen einer sozialen Phobie oder aber auch einer schizophrenen Psychose (vgl. Biedert, 2008). AuBerdem kann bei einer korperdysmorphen Storung ebenfalls, wenn auch selten, die unrealistische Angst, zu dick zu werden, bestehen (vgl. Jacobi et al., 2004).

Da sich Symptome der Anorexia nervosa mit aktiven MaBnahmen zur Gewichtsreduktion bzw. der „Binge-Eating/Purging-Typus" mit denen der Bulimia nervosa uberschneiden, ist es wichtig, auch hier eine Differentialdiagnostik durchzufuhren um eine eindeutige Diag­nose stellen zu konnen. Dies gilt ebenfalls fur die Abgrenzung der Bulimia nervosa von der „Binge-Eating-Disorder" (vgl. Biedert, 2008).

Laut Biedert (2008) ist eine umfassende medizinische Untersuchung bei der Diagnose- stellung zur Bulimia nervosa unumganglich, da somatische Ursachen fur die Veranderung des Essverhaltens ausgeschlossen werden mussen. Jedoch gehen diese nicht mit den fur die Krankheit charakteristischen Sorgen um Aussehen und Gewicht einher, was die Diffe- rentialdiagnostik erleichtert. Bei den psychischen Erkrankungen ist differentialdiagnostisch darauf zu achten, dass es sich nicht um eine depressive Episode handelt, da es hier vor- kommen kann, dass die Patienten ubermaBig viel Nahrung zu sich nehmen (vgl. Davison & Neale, 2002), jedoch werden keine gewichtsgegensteuernden MaBnahmen durchge- fuhrt und die Sorge um das eigene Aussehen ist gering ausgepragt. Auch sollte eine Ab- grenzung zur Borderline-Personlichkeitsstorung erfolgen, da Essanfalle als impulsives Verhalten eingestuft werden, welches ein diagnostisches Kriterium ist (vgl. Biedert, 2008).

2.4 Body-Mass-Index

Um vor allem die Anorexia nervosa und das damit verbundene Untergewicht diagnostizie- ren zu konnen, stellt die Berechnung des Body-Mass-Index (BMI) ein geeignetes Hilfsmit- tel dar. Nach Schweiger, Peters und Sipos (2003) wird der BMI als BewertungsmaBstab zur Beurteilung des Korpergewichts angewandt. Wie in Tabelle 2.2 (s. S. 17) schon kurz erklart, handelt es sich beim BMI oder Quelet-Index um einen Wert, der ab dem 16. Le- bensjahr aus dem Gewicht in Kilogramm geteilt durch die ins Quadrat genommene Kor- pergroBe in Metern gebildet wird (s. Abbildung 2.1) (vgl. Dilling & Freyberger, 2006).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2.1: Formel fur Body-Mass-Index (eigene Darstellung) (vgl. Dilling & Freyberger, 2006)

Schweiger et al. (2003) haben in folgender Tabelle (2.7) dargestellte Einteilung der BMI- Werte fur Erwachsene beider Geschlechter vorgeschlagen, um zwischen hochgradigem Untergewicht und hochgradigem Ubergewicht genau differenzieren zu konnen.

Tab. 2 7: Einteilung der BMI-Werte fur Erwachsene beider Geschlechter (eigene Darstellung) (vgl. Schweiger et al., 2003)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine klinisch manifeste Essstorung wird bereits bei leichtgradigem Untergewicht diagnos- tiziert, d. h. wenn der BMI weniger als 17,5kg/m2 unter dem normalen oder dem fur das Alter und die KorpergroBe erwarteten Gewichts liegt (vgl. Dilling & Freyberger, 2006). Weiterhin raten Schweiger et al. (2003) an, im Falle der Diagnostik von Essstorungen bei Kindern und Jugendlichen BMI-Perzentiltabellen zu verwenden, die in Lehrbucher der Padiatrie zu finden sind, um sogenannte Perzentilkurven erstellen zu konnen. Um dies zu verdeutlich, werden in der Abbildung 2.2 die Perzentilkurven fur den BMI bei Jungen zwi- schen 0-18 Jahre dargestellt. Kromeyer-Hauschild, Wabitsch, Kunze et al. (2001) nutzen hierzu eine deutsche Stichprobe (n=34000) um Referenzwerte fur Kinder und Jugendliche jeden Alters und Geschlechts aufstellen und den BMI fur das Kindes- und Jugendalter festlegen zu konnen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2.2: Perzentile fur den Body-Mass-Index fur Jungen von 0-18 Jahre (vgl. Kromeyer-Hauschild et al., 2001)

Schweiger et al. (2003) weisen auBerdem auf die Internet-Website www.myBMI.de der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) hin. Hier besteht fur Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Moglichkeit anhand der Eingabe von GroBe, Gewicht und Alter eine BMI-Messung durchzufuhren. Diese Daten konnen anschlieBend gespeichert werden um eine Verlaufskurve zu erstellen. Zusatzlich erfolgt fur Kinder eine Bewertung des BMI anhand von Perzentilgrenzen und es wird eine prospektive Risiko- auswertung durchgefuhrt. Dadurch entsteht gegebenenfalls die Moglichkeit, neben Uber- gewicht auch tendenzielles Untergewicht schon fruh zu erkennen und darauf reagieren zu konnen, d. h. wenn durch die Erstellung der Grafik deutlich wird, seit wann und wie viel ein z. B. ein mannlicher Pubertierender an Gewicht abgenommen hat.

2.5 Korperbild und Korperschemastorung

2.5.1 Korperbild und Korperschema

Blicken wir in einen Spiegel, so sehen wir ein Abbild unseres eigenen Korpers (vgl. Le- genbauer & Vocks, 2005). Sehen wir uns im Spiegel an und nehmen unseren Korper auch wahr, dann spricht man von Korperwahrnehmung (ebd.). Was jedoch ist ein Korper­bild bzw. ein Korperschema?

Die Bezeichnung „Korperbild" und das Konzept dahinter ist dabei auBerst vage (Bruch, 1991). Zwar wurden zahlreiche Untersuchungen und Experimente zur Definition und Mes- sung des Korperbildes angestellt, die Ergebnisse sind jedoch weder theoretisch noch em- pirisch zufrieden stellend. Weiterhin herrscht Uneinigkeit, inwieweit Korperbild und Kor­perschema von einander abgrenzbar sind (Daszkowski, 2003). Im englischen Sprachraum werden beide Begriffe unter „body image" zusammengefasst (ebd.). Im deutschsprachi- gen Raum werden die Begriffe unter Korpererfahrungen eingeordnet und sind hinsichtlich des Korperschemas eher wahrnehmungspsychologisch und in Bezug auf das Korperbild eher personlichkeitspsychologisch orientiert (ebd.). Trotzdem fehlt eine klare Definition und Abgrenzung der beiden Begriffe. Da in der deutschen wie englischen Literatur, die dieser Arbeit zu Grunde liegt, oft beide Begriffe benutzt wurden und aufgrund der zwei- deutigen Ubersetzung des „body image" aus dem Englischen, wird in dieser Arbeit das Korperbild mit dem Korperschema gleichgesetzt.

Im Folgenden soll versucht werden zu klaren, was ein Korperbild eigentlich ist. „Das ge- samte Verhaltnis, das ein Mensch zu seinem Korper hat, inklusive aller positiven und ne- gativen Aspekte, spiegelt sich in seinem Korperbild wieder, welches ein wichtiger Aspekt des Selbstkonzepts ist" (Daszkowski, 2003, S. 11). Nach Daszkowski (2003) herrscht in der Literatur im Allgemeinen groBe Ubereinstimmung bezuglich der Annahme, dass das Korperbild das gesamte Verhaltnis zum eigenen Korper umfasst und als Teil der Identitat eines Menschen angesehen werden kann. Es beinhaltet eine innere Reprasentanz der eigenen Figur, d. h. ein mental vorgestelltes Bild, das jeder Mensch von seiner eigenen physischen Erscheinung hat (Bruch, 1991). Das Korperbild muss dabei aber nicht iden- tisch mit der objektiven bzw. der tatsachlichen Korperform sein, sondern es ist vielmehr der eigene Korper bzw. die eigene Korperform in der subjektiven Vorstellung (Dasz­kowski, 2003; Legenbauer & Vocks, 2005).

2.5.2 Das ideale mannliche Korperbild

Wie definiert man den idealen Mannerkorper? Die neusten Forschungen zu Korperbildern bei Mannern ergaben, dass sich das Ideal und somit auch seine Attraktivitat im 20. Jahr- hundert bis zum heutigen Zeitpunkt sehr verandert hat (vgl. Benninghoven et al., 2007). In der heutigen Zeit ist der ideale mannliche Korper durch wenig Fett und viel Muskelmasse gekennzeichnet (Andersen & DiDomenica, 1992). Dieses Bild bzw. dessen Veranderung uber die Jahre konnte mittels verschiedenster Medien nachgewiesen werden (ebd.). In Mannermagazinen werden vor allem die starke Muskelauspragung des mannlichen Kor- pers und die Ausdefinierung der Muskeln in Werbeanzeigen und Artikel in den Vorder- grund gestellt (ebd.). Untersuchungen zu den KorpermaBen von Actionfiguren zwischen den 60er und 90er Jahren ergaben ebenfalls einen deutlichen Muskelzuwachs (Pope, Olivardia, Gruber & Borowiecki, 1999). Letztendlich wird die Veranderung auch an den immer muskuloser werdenden mannlichen Titelmodells von Zeitschriften wie „Playgirl" sichtbar (Leit, Pope & Gray, 2001). Es gibt also auch bei Jungen und jungen Mannern bestimmte Identifikationsobjekte, die, ahnlich wie bei Madchen und jungen Frauen, einer kulturell determinierten Veranderung unterliegen (vgl. Benninghoven et al., 2007). Streben Jungen bzw. junge Manner nun dieses schlanke und muskulose wie auch unrealistische Korperideal an, bedeutet dies nach Pope et al. (2001) oft sehr viel Zeitaufwand um das eigene Gewicht zu kontrollieren und somit den Korper zu trainieren. Um der Korperun- zufriedenheit entgegenzuwirken werden dabei der Missbrauch von Steroiden und somit korperschadigende Substanzen ebenso in Kauf genommen wie Schonheitsoperationen. Inwieweit unter diesen Gegebenheiten eine Korperschemastorung entstehen und deren Resultat eine Essstorung sein kann, soll Inhalt des nachsten Abschnitts sein.

[...]

Ende der Leseprobe aus 117 Seiten

Details

Titel
Essstörungen bei Männern
Hochschule
Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Stendal
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
117
Katalognummer
V148166
ISBN (eBook)
9783640579952
ISBN (Buch)
9783640580316
Dateigröße
847 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Essstörungen, Männern
Arbeit zitieren
Anne Thieme (Autor:in), 2009, Essstörungen bei Männern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148166

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