Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie


Hausarbeit (Hauptseminar), 1997

21 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Menschenbild und die Persönlichkeitstheorie von Rogers

3. Therapeutisches Verhalten in der Gesprächspsychotherapie
3.1 Echtheit
3.2 Positive Wertschätzung
3.3 Einfühlendes Verstehen

4. Experiencing und Focusing

5. Schlusswort

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie (Client-centered Therapy) wurde 1942 von dem amerikanischen Psychologen Carl Rogers begründet und theoretisch und praktisch u.a. von Bommert (1976), Pavel (1978) und dem Ehepaar Tausch (1979) weiterentwickelt.1 Das Hauptziel der klienten- zentrierten Therapie, die im deutschsprachigen Raum auch als personenzentrierte Psychotherapie bezeichnet wird, ist „ die Förderung des gesunden psychischen Wachstums des Individuums."2 Der Ansatz, der der Humanistischen Psychologie zuzuordnen ist, geht davon aus, dass „ allen Menschen das grundlegende Streben der menschlichen Natur nach Selbst- verwirklichung - nach der Verwirklichung des eigenen Potentials - gemeinsam ist"3. Hinzu kommt die Annahme, dass der Mensch von Natur aus gut ist, dieses positive Selbstbild jedoch durch negative Kritiken von au- ßen, z.B. durch fehlerhafte Lernmuster, gestört werden kann. Die Folgen können Angst und ein geringes Selbstwertgefühl sein. „ Nach Rogers besteht die Aufgabe des Therapeuten darin, eine therapeutische Umgebung zu schaffen, die es dem Klienten gestattet, die F ä higkeit zur Selbstbewertung neu zu erwerben. Er lernt von neuem zu beurteilen, wie er sich am besten verh ä lt, um die eigene Entwicklung und die Selbstverwirklichung zu f ö rdern. [...] Es ist die grundlegende Strategie des Therapeuten, die Gefühle des Klienten anzuerkennen, anzunehmen und zu kl ä ren."4 Im Gegensatz zu an- deren Therapieformen, etwa der Psychoanalyse, in der der Therapeut interpretiert und mögliche Antworten bzw. Anweisungen gibt, ist er in der klientenzentrierten Therapie ‘nur’ ein unterstützender Zuhörer, der die Ge- fühle und Behauptungen des Klienten reflektiert und sie gelegentlich wiederholt. „ Rogers glaubt, dass Menschen, wenn sie einmal dazu befreit sind, sich anderen zu ö ffnen und sich selbst zu akzeptieren, das Potential haben, selbst zur psychischen Gesundheit zurückzufinden."5 Da der Klient, laut Rogers, die Fähigkeit besitzt, sich konstruktiv zu entwickeln (Selbst- aktualisierungstendenz), liegt die Aufgabe des Therapeuten darin, dieses Entwicklungspotential zu aktivieren. Dazu muss er eine Beziehung zum Klienten herstellen, die er dadurch erreicht, indem er die wesentlichen Therapeutenmerkmale der Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie verwirklicht. Diese Charakteristika der Klientenzentrierten Psychotherapie wurden von Rogers mit: ‘empathy’ oder ‘accurate empathic understanding’, ‘positive regard’ und ‘congruence’ bezeichnet. Im deutschen Sprachgebrauch wurden die Begriffe 1973 durch Tausch mit: ‘Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte’, ‘Positive Wertschätzung und emotionale Wärme’ und ‘Echtheit und Selbstkongruenz’ übersetzt.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, diese Charakteristika zu er- klären und anhand von Praxisbeispielen zu verdeutlichen. Ich stütze mich dabei vor allem auf die Ergebnisse von Dr. Sabine Weinberger, die seit 1978 Lehrbeauftragte für Klientenzentrierte Gesprächsführung und Spieltherapie an der Universität Bamberg ist und eine Praxisanleitung für klientenzentrierte Gesprächsführung erstellt hat. 6 Vorweg soll mit einer kurzen Darstellung des Persönlichkeitsmodells von Rogers Einblick in sein Menschenbild gegeben werden. Auf die Entwicklung der Gesprächstherapie, angefangen von der nichtdirektiven Phase (40er Jahre) über die gefühlsverbalisierende Phase (50er - Mitte der 60er Jahre) und die Phase der Erlebniszentrierung (ab den 60er Jahren) bis hin zur Phase der Erweiterung und Integration (ab den 70er Jahren) soll nicht näher eingegangen werden.7

2. Das Menschenbild und die Persönlichkeitstheorie von Rogers

Rogers hat 1951 seine Gedanken zur Persönlichkeitstheorie anhand von 19 Thesen erläutert. Darin heißt es unter anderem:8

I. Jedes Individuum existiert in einer ständig sich ändernden Welt der Erfahrung, deren Mittelpunkt es ist.
IV. Der Organismus hat eine grundlegende Tendenz, den Erfahrungen machenden Organismus zu aktualisieren, zu erhalten und zu erhöhen.
V. Verhalten ist grundsätzlich der zielgerichtete Versuch des Organis- mus, seine Bedürfnisse, wie sie in dem so wahrgenommenen Feld erfahren wurden, zu befriedigen.
VII. Der beste Ausgangspunkt zum Verständnis des Verhaltens ist das innere Bezugssystem des Individuums selbst.
VIII. Ein Teil des gesamten Wahrnehmungsfeldes entwickelt sich nach und nach zum Selbst.
XIII. Verhalten kann in manchen Fällen durch organische Bedürfnisse und Erfahrungen verursacht werden, die nicht symbolisiert wurden. Sol- ches Verhalten kann im Widerspruch zur Struktur des Selbst stehen, aber in diesen Fällen ist das Verhalten dem Individuum nicht ‘zu ei- gen’.
XVI. Jede Erfahrung, die nicht mit der Organisation oder der Struktur des Selbst übereinstimmt, kann als Bedrohung wahrgenommen werden, und je häufiger diese Wahrnehmungen sind, desto starrer wird die Selbst-Struktur organisiert, um sich zu erhalten.
XVIII. Wenn das Individuum all seine Körper- und Sinneserfahrungen wahr- und in ein konsistentes und integriertes System aufnimmt, dann hat es notwendigerweise mehr Verständnis für andere und verhält sich ge- genüber anderen als Individuen akzeptierender.

Wolf-Rüdiger Minsel, ein Schüler von Reinhard Tausch, teilt die 19 Thesen in fünf Bereiche ein:9

1. Auseinandersetzung zwischen dem Individuum und der Umwelt (Thesen I-III, VII);
2. Selbstwahrnehmung der Personen (VIII-XI);
3. Psychische Anpassung versus Fehlanpassung (IV, XIV-XVI);
4. Verhalten und seine Ursachen (V-VI, XII-XIII);
5. Psychotherapeutische Möglichkeit zur Veränderung (VII, XVII-XIX).

1. Auseinandersetzung zwischen dem Individuum und der Umwelt

Jedes Individuum reagiert immer nur auf die Umgebungsreize, die mit ihm selbst in Beziehung stehen; Es wählt aus, d.h. bestimmte Reize werden ihm bewusster. So könnte z.B. der Vater auf seinen sonst sehr schüchternen und zurückhaltenden Sohn stolz sein, wenn dieser mal eine Scheibe einschlägt. Die Mutter hingegen könnte ganz anders reagieren, weil sie sich über evtl. Konsequenzen Gedanken macht. „ Beide werden sich entsprechend ihrer Erlebnisweisen verhalten. Die Mutter wird vielleicht schimpfen, der Vater versuchen, auszugleichen und zu beschwichtigen.10

In allen anamnestischen Verfahren bemühen sich die Therapeuten, den wei- ten Bereich der Deutungen und Bewertungen der Klienten zu verstehen. An dieser Stelle geht Rogers jedoch einen Schritt weiter, indem er fordert, „ sich in jedem Augenblick der Auseinandersetzung mit einer anderen Person de- ren Bezugsrahmen erl ä utern zu lassen. Nur darin sieht er eine M ö glichkeit, dem innerpsychischen Geschehen einer Person nahe zu kommen.11

2. Selbstwahrnehmung der Personen

In diesen Thesen versucht Rogers nachzuvollziehen, wie sich das Indivi- duum selbst erlebt. Im Laufe ihrer Entwicklung erkennt eine Person, welche Eigenschaften sie hat. Sie erstellt sich ein Profil von sich selbst, und entwi- ckelt die Erkenntnis eines: ‘So bin ich’. Dazu sind zum einen die Bedürfnisse des Individuums verantwortlich und die Erfahrungen, die sie im Umgang mit ihnen macht. Zum anderen sind es die Erfahrungen, die ein Individuum wäh- rend seiner Sozialisation macht. Jeder Entwicklungsprozess unterliegt gewissen Normen, Wertungen und Erwartungen, die teilweise übernommen werden und einen prägen. Ein Kind, dessen Eltern nicht gerne Fragen be- antwortet haben und dem Kind zu verstehen gaben, dass es nicht so viel fragen sollte, kann so die Erfahrung machen, dass es besser ist, ruhig und nicht wissbegierig zu sein. Diese Erziehung kann schließlich dazu führen, dass das Kind sich irgendwann als nicht neugierig bezeichnet. Es übernimmt Wertungen, „ als h ä tte es sich selbst direkt in dieser Weise erfahren.12

[...]


1 Vgl.: Kemper, Franz: Klientenzentrierte Familientherapie. In: Lotzmann, G. (Hg.): Elternbe- ratung und Familientherapie bei Sprach-, Sprech- und H ö rst ö rungen. Fink, München 1981, S. 113.

2 Zimbardo, Philip: Psychologie. 5. Aufl., Berlin; Heidelberg; New York; London; Paris; To- kyo; Hongkong; B]arcelona; Budapest: Springer 1992, S. 556.

3 Zimbardo, Philip, a.a.O., S. 556.

4 Zimbardo, Philip, a.a.O., S. 556.

5 Zimbardo, Philip, a.a.O., S. 557.

6 Weinberger, Sabine: Klientenzentrierte Gespr ä chsführung. Eine Lern- und Praxisanleitung für helfende Berufe. 5. Aufl., Beltz, Weinheim; Basel 1992.

7 Vgl.: Kriz, Jürgen: Grundkonzepte der Psychotherapie: Eine Einführung. Psychologie Ver- lags Union, München 1989, S. 198ff.

8 Vgl.: Rogers, Carl: Die klientenbezogene Gespr ä chstherapie. Kindler, München 1973, S. 418ff.

9 Vgl.: Minsel, Wolf-Rüdiger: Praxis der Gespr ä chspsychotherapie. Grundlagen - Forschung - Auswertung. 3. Aufl., Böhlaus Wissenschaftliche Bibliothek, Graz 1975, S. 17.

10 Minsel, Wolf-Rüdiger, a.a.O., S. 18.

11 Minsel, Wolf-Rüdiger, a.a.O., S. 18.

12 Minsel, Wolf-Rüdiger, a.a.O., S. 19.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1
Autor
Jahr
1997
Seiten
21
Katalognummer
V143458
ISBN (eBook)
9783640547067
ISBN (Buch)
9783656521129
Dateigröße
476 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Klientenzentrierte, Gesprächspsychotherapie
Arbeit zitieren
Marcus Grützner (Autor:in), 1997, Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143458

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