Wie man im Physikunterricht eine Problemfrage stellt

Ein Vorschlag mit Hilfe der Wissenschaftstheorie


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2007

17 Seiten


Leseprobe


Die Stellung der Problemfrage im problemorientierten Physikunterricht

Problemorientierter Unterricht ist heute eine der methodischen Formen, nach denen Physikunterricht gestaltet werden kann und soll. (Vgl. Mikelskis-Seifert, Rabe 2007 )

Nach Leisen (2007, 82) gibt es zwei Aspekte, unter denen der problemorientierte Physikunterricht zu betrachten ist. Physik ist Wissenschaft und zugleich etwas, das zu unterrichten ist. Entsprechend heisst Physik zu betreiben, Probleme zu bearbeiten, dagegen Physik zu unterrichten, das Lernen von Physik schülergerecht an Problemen der Physik und ihren vielfältigen Bezügen zu orientieren.

Problemorientiert zu unterrichten muss daher die Beantwortung zweier leitender Fragen voraussetzen: (1) zum einen die Frage danach, welche typischen Probleme sich in der Physik stellen und wie sie angegangen werden, (2) zum anderen die Frage danach, welche Form der Physikunterricht annehmen muss, damit sich die physikalischen Probleme lernfördernd entfalten können. (1) Da Physik eine Wissenschaft ist, und Wissenschaften u.a. die Aufgabe haben, Sachverhalte zu erkläreni, ist eins der (allgemeinsten) Probleme der Physik die Erklärung physikalischer Sachverhalte. (2) Problemorientierter Physikunterricht muss entsprechend u.a. Unterricht sein, der lehrt, wie physikalische Sachverhalte erklärt werden, und die speziellen Probleme, die sich stellen, sind Erklärungsaufgaben. Problemorientierung bedeutet also nicht unbedingt die Orientierung an lebensweltlichen Problemen der Schüler, sondern auch an wissenschaftlichen Erklärungsaufgaben. (Vgl. Leisen 2007, 82f.) Von dieser Form der Problemorientierung soll hier ausgegangen werden. Die typische Form des problemorientierten Unterrichts gestaltet sich dabei nach dem Vorbild der Wissenschaft. So werden zunächst zu erklärende Sachverhalte bestimmt und meist den Schülern vom Lehrer in experimenteller oder symbolischer Form demonstriert.ii Dann wird versucht, das spezielle Problem zu analysieren und eine Problemfrage zu formulieren. Hierauf folgt der Rückgriff auf vorhandenes Wissen und die Erarbeitung neuen Wissens, eine Lösung wird entwickelt und erprobt und auf andere Sachverhalte angewandt.

Ein wesentlicher Aspekt filr das Gelingen der lernfördernden Entfaltung des Problems ist dabei die richtige Formulierung der Problemfrage. Das Beherrschen ihrer Formulierung ist filr die Schiller eine wichtige Heuristik filr ihre selbstständige Lösung des physikalischen Problems.iii An die Problemfrage werden dabei unterschiedlichste Forderungen gestellt. So muss sie sinnvoll, klar und präzise sein, möglichst eindeutig, filr die Schiller motivierend sein und keine negativen Reaktionen hervorrufen, und innerhalb einer gegebenen Zeit, häufig nur einer Schulstunde, durch eine sehr begrenzte Zahl möglicher Antworten knapp beantwortbar sein. Darilber hinaus wird häufig gefordert, dass sich die Problemfrage den Schillern von selbst stellt, der Lehrer sie also nicht vorgeben darf und soll. Unsere Aufgabe ist es nun, die Formulierung von Problemfragen mit Hilfe der Wissenschaftstheorie zu rekonstrieren und darauf aufbauend Vorschläge auszuarbeiten, wie man die Problemfrage stellen kann, damit sie die genannten Kriterien erfilllt.

Die Problemfrage als Frage nach physikalischen Erklärungen

Soll im Unterricht die Erklärung eines physikalischen Sachverhalts geleistet werden, muss u.a. vorausgesetzt werden können, dass Schiller zu wissenschaftlichem Denken fähig sind. Nach Inhelder und Piaget (1958) ist dies mit dem Beginn des Jugendalters im 11./12. Lebensjahr gewährleistet. Neuere Studien (Vgl. Oerter, Dreher 2002, 485f.) zeigen, dass sogar Grundschiller die Fähigkeit zu wissenschaftlichem Denken besitzen und dass sie schon systematische Strategien der Hypothesenilberprilfung erlernen können, die sie sonst nicht anwenden. Die grundlegenden kognitiven Fähigkeiten, die das Erklären physikalischer Sachverhalte verlangt, können also spätestens mit dem 12. Lebensjahr vorausgesetzt werden. Sinnvolle Fragen sind nun so gestaltet, dass sie sich auf einen anderen Sachverhalt richten, der erfragt wird. Sie haben eine Antwort. Im problemorientierten Physikunterricht ist es die Antwort auf die Problemfrage, die das Wissen enthält, das von den Schillern gelernt werden soll. Der Erwerb dieses Wissens ist in den Lernzielen des Physikunterrichts enthalten. Die Problemfrage muss eine bestimmte Antwort als Problemlösung erfordern. Ihre Form ist daher von der Form der Antwort abhängig. Um also zu bestimmen, in welcher Form die Problemfrage gestellt werden soll, muss deshalb eruüert werden, welche Form ihre A]ntwort hat. Es muss geklärt werden, wonach eine Problemfrage typischerweise fragt. Da physikalische Problemfragen nach Erklärungen physikalischer Sachverhalte fragen, sollte erörtert werden, welche Elemente eine physikalische Erklärung enthält, die zur Erklärung eines physikalischen Sachverhalt angeführt werden. Hierzu lohnt es sich zunächst einen Blick auf die allgemeiner Form physikalischer Erklärungen zu werfen.

Physikalische Erklärungen gehorchen ihrer Form nach dem von Hempel und Oppenheim aufgestellten Hempel-Oppenheim-Schema, das auch das Deduktiv-Nomologische Modell (D-N-Modell der Erklärung) genannt wird. (Vgl. Hempel, Oppenheim 1948, 138; Hempel 1977, 6ff.; Lauth, Sareiter 2005, 69f.) Danach wird aus allgemeinen GesetzmäBigkeiteniv G1,..., Gm und den Antenzedenzbedingungen A1,..., An auf den zu erklärenden Sachverhalt, das Explanandum E, geschlossen. Die allgemeinen GesetzmäBigkeiten und die Antezendenzbedingungen machen zusammen das Explanans aus, das das Explanandum erklärt. Das D-N-Modell sieht also wie folgt aus:

(1) Allgemeine GesetzmäBigkeiten: G1,...,Gm
(2) Antezendenzbedingungen: A1,..., An

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(3) Explanandum: E

Ein Beispiel soll sein Funktionieren demonstrieren. (Vgl. Lauth, Sareiter 2005, 70)

Zu erklären ist der Sachverhalt, dass sich bei Temperaturerhöhung eines idealen Gases bei konstantem Druck das Volumen des Gases um 10% erhöht. Das Explanandum E lautet also: „Das Gasvolumen hat sich um 10% ausgedehnt". Die allgemeine GesetzmäBigkeit G1, die zur Erklärung herangezogen werden kann, ist eine Kombination aus dem Gesetz von Gay-Lussac und dem Gesetz von Amontons., pV/T=const. , wobei p der Druck ist, V das Volumen und T die Temperatur des Gases.. Die Antezendezbedingung A1, die nun zusammen mit der allgemeinen GesetzmäBigkeit das Explanandum E erklärt, lautet: „Die Temperatur im Behälter ist bei konstantem Druck um 10% erhöht worden". Die Erklärung des Sachverhalts enthält also hier quantitative GesetzmäBigkeiten und physikalische GröBen. Dies ist im Physikunterricht oft der Fall. Physikalische Erklärungen enthalten allgemeine GesetzmäBigkeiten und Antezedenzbedingungen. Die Problemfrage muss sich auf die allgemeinen GesetzmäBigkeiten bzw. die Antezedenzbedingungen richten. Diese sind in der Antwort auf die Problemfrage enthalten und sie sind das Wissen, dass von den Schülern erworben werden soll.

Voraussetzung dafür, die Problemfrage stellen zu können, ist jedoch, dass der zu erklärende Sachverhalt — das Explanandum - bekannt ist. Er muss zunächst (experimentell-anschaulich oder symbolisch) demonstriert werden. Schon Aristoteles schreibt in der Zweiten Analytik, dass ein wissenschaftliches Wissen von einem Sachverhalt zu haben, heiBt zunächst zu wissen, dass es so ist, und dann eine Erklärung für ihn zu kennen. (Zweite Analytik, I, 2; Vgl. van Fraassen 1980, 21 )

Um zu wissen was ist, muss der zu erklärende Sachverhalt jedoch nicht nur demonstriert werden, sondern auch geeignet benannt werden. Um das Beispiel der Ausdehnung eines Gases durch Temperaturerhöhung wiederaufzunehmen: Die Volumenzunahme sollte als solche benannt werden. Einfach von einem Ereignis zu sprechen, ohne es zu benennen, ist für eine präzise und eindeutige Problemlösung nicht ausreichend. Ist das Explanandum bekannt, kann die Problemfrage gestellt werden und nach dem Explanans gefragt werden. Die Problemfrage ist damit eine Frage nach allgemeinen GesetzmäBigkeiten und den Antezedenzbedingungen. Ein solcher problemorientierter Physikunterricht läuft damit darauf hinaus, eine allgemeine GesetzmäBigkeit zu erarbeiten. Soll die GesetzmäBigkeit erarbeitet werden, so müssen vor der Formulierung der Problemfrage mit dem zu erklärenden Sachverhalt auch die Antezedenzbedingungen demonstriert und benannt werden. Um das Beispiel der Ausdehnung eines Gases durch Temperaturerhöhung wiederaufzunehmen: Hier sollte nicht nur der Sachverhalt der Volumenerhöhung, sondern auch der der Temperaturerhöhung nicht nur demonstriert, sondern auch als solcher benannt werden (können). Er muss als „Temperaturerhöhung" benannt werden, einfach von „Erhitzen" oder „Erwärmen" zu sprechen reicht nicht aus. Die Benennung der Antezedenzbedingungen wie des Explanandums muss die physikalischen GröBen enthalten, sollen quantitative Zusammenhänge erarbeitet werden.

Damit wird die Phasierung des Problemorientierten Unterrichts konkretisiert. Nach Knoll (1978, 74ff.) werden nach der Formulierung der Problemfrage von den Schülern unter Rückgriff auf vorhandenes Wissen Hypothesen gebildet und ein Experiment geplant, das dann durchgeführt wird, und mit dem neues Wissen erarbeitet wird. Durch Auswertung der Messergebnisse wird eine Lösung wickelt. Diese enthält die allgemeine GesetzmäBigkeit und die Antezedenzbedingungen des Explanans. SchlieBlich wird die allgemeine GesetzmäBigkeit überprüft und auf andere Fälle angewandt. Alternativ kann jedoch anstatt eines Experiments, das einem induktiven Vorgehen entspricht, eine Deduktion durchgeführt werden, die als Ergebnis das gesuchte Gesetz enthält.

[...]


i Gelegentlich wird diskutiert, ob die Physik nicht nur Sachverhalte beschreibt, anstatt sie zu erklaren. Eine entsprechende These ist von Mach vertreten worden. Dafur fuhrte er die Fouriersche Warmeleitungsgleichung als Paradigma an. (Vgl. Bunge 1987, 85) Diese beschreibt in der Tat nur den Transport der Warme, erklartjedoch nicht warum die Warme sich so verhalt. Das andertjedoch nichts an der Tatsache, dass es auch Aufgabe der Physik ist, das Verhalten der Warme zu erklaren.

ii Dass der zu erklarende Sachverhalt in weitem Sinne demonstriert wird, ist neben seiner Erklarung die zweite wichtige Tatigkeit der Wissenschaft. (Vgl. van Fraassen 1980, 25)

iii Zur Rolle von Heuristiken im Physikunterricht vgl. Leisen 2007, 84

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Details

Titel
Wie man im Physikunterricht eine Problemfrage stellt
Untertitel
Ein Vorschlag mit Hilfe der Wissenschaftstheorie
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V143926
ISBN (eBook)
9783640535002
ISBN (Buch)
9783640535132
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Mit Hilfe der Wissenschaftstheorie werden aus Problemen der physikalischen Erklärung Folgerungen abgeleitet, in welcher Form im problemorientierten Physikunterricht die Problemfrage gestellt werden kann.
Schlagworte
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Arbeit zitieren
Robert Vetter (Autor:in), 2007, Wie man im Physikunterricht eine Problemfrage stellt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143926

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