Bohlen sucht den Superstar

Fallstudie zum Starbegriff


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsangabe:

1. Einleitung

2. Star-, Image- und Fankonstrukte: ein Umriss
2.1. Stars
2.2. Images
2.3. Fans

3. Dieter Bohlen
3.1. Modern Talking
3.2. Vom Pop-Titan zu DSDS
3.3. Bohlens Fans
3.4. Bohlens Image im Überblick

4. Fazit

5. Quellenangabe

6. Anhang: Netzwerk-Tabelle

1. Einleitung

Dieter Bohlen ist einer der erfolgreichsten deutschen Musikproduzenten und Mitglied einer der erfolgreichsten deutschen Popbands aller Zeiten. Seine Medienpräsenz ist überragend: Werbung für die Deutsche Bahn, Margarine und Versicherungen , Juror in Deutschland sucht den Superstar oder wahlweise Das Supertalent, die Mitgliedschaft bei Modern Talking sowie nicht zuletzt die sorgsam gepflegte Inszenierung seines Privatlebens sorgen für ständige Aufmerksamkeit in der heutigen Medienlandschaft.

Bohlens herausragende Prominenz ist aber nur eine Kehrseite der Medaille. Schließlich bildet er ja selbst angeblich „Stars“ aus, wenn sie auch aus wissenschaftlicher Sicht nur eine Defizienz des ursprünglichen Begriffs abbilden (selbst wenn sie ähnlich viel Profit abwerfen). Vor allem aber vermarktet der „Pop-Titan“ , wie sich zeigen wird, etwas völlig anderes, als man gemeinhin von einem Star erwartet.

Insofern ist Dieter Bohlen sehr gut geeignet, um in einer Fallstudie das Starphänomen aus populärmusikalischer Sicht zu betrachten. Und gerade weil der Starbegriff, den er sowohl aktiv als auch passiv vertritt, einigen gängigen Parameteren zuwider läuft, ist eine Analyse seiner Person für die Konstituierung dieses ohnehin schimmernden Terminus höchst relevant. Dazu soll zunächst in einem Einleitungskapitel ein Umriss des popkulturellen Phänomens zwischen den Star, seinem Image und seinen Fans gezeichnet werden. Im Hauptteil wird natürlich die Rolle bei Modern Talking sowie sein bereits erwähntes jahrelanges Wirken in der Musik- und Medienlandschaft mit der Kulmination zu Deutschland sucht den Superstar eine zentrale Stellung einnehmen. Dabei ist die Frage, wie denn nun genau seine künstlerische Leistung aussah, auch wenn sie in der publizistischen wie öffentlichen Diskussion bei Bohlen offenbar ganz besonders schwelt, für das Starphänomen an sich zwar prinzipiell irrelevant - die Frage beim Star ist nicht die, ob das, was wir sehen, hören und fühlen der Wahrheit entspricht, sondern ob es als zusammenhängendes und sowohl faktisch als auch emotional plausibles Ganzes rezipiert wird. Allerdings dringt man besonders beim gewieften Strippenzieher Bohlen über die Herausarbeitung des künstlerisch- marktwirtschaftlichen Zusammenhangs sehr klar zum Kern eines sehr zentralen Aspekts für die Anwendung des Starbegriffs aus: der Ausbildung eines zwar glaubhaften, aber auch physikalisch dingfesten Produktes. In der Analyse der einzigartigen Erfolgsstory von Dieter Bohlen tritt daher für den Starbegriff höchst Interessantes heraus.

2. Star-, Image- und Fankonstrukte: ein Umriss

Was meint man, wenn man von „Stars“ spricht? Was bedeuten sie für die Gesellschaft, für das kulturelle Leben, für den Markt? Weshalb gibt es sie überhaupt?

Die Forschungslage zum Starbegriff ist noch recht dünn. Die meisten Untersuchungen dazu gibt es innerhalb der Filmwissenschaft, kommt der Begriff doch ursprünglich auch aus der Filmindustrie: 1909 erschienen in Filmzeitschriften erstmals „Fotos der Darsteller und Informationen zu ihren schauspielerischen Fähigkeiten“.1 Zu diesem Zeitpunkt galt ein Star allerdings noch als hoffnungsvolle Besetzung, nicht als bereits etablierter Schauspieler. Diese „Picture Personalities“ sind daher nicht mit Stars im heutigen Sinne vergleichbar; erst ab 1910, verstärkt ab 1914, traten die Stars „sowohl in Bezug auf ihre schauspielerische Tätigkeit als auch durch Informationen über ihr Privatleben in Erscheinung.“2 Der Star als jemand, der den Aufstieg bereits hinter sich gebracht hatte, war geboren.

Die historische Entwicklung im Einzelnen aufzuzeigen - von den Wurzeln im Personenkult des individualistischen 18. Jahrhunderts, über ein zunehmend die Nachfrage übersteigendes Angebot in der Unterhaltungsindustrie des beginnenden 20. Jahrhunderts und die rasant steigende individuelle Massennachfrage nach dem zweiten Weltkrieg, bis hin zur wahnwitzigen Granulation und Beschleunigung der Verwertungszyklen heutzutage - erweist sich zum Verständnis des Starmechanismus als sekundär.3 Wichtig ist aber zunächst zu verstehen, wieso die Industrie, also die Produktionsseite, überhaupt mit so großem Aufwand an der Ausbildung eines Star-Systems mitgewirkt hat.

2.1. Stars

Dreh- und Angelpunkt des Star-Systems ist die sog. Ökonomie der Aufmerksamkeit, deren Bedeutung ab Mitte der 1950er Jahre immer weiter zunimmt. Wenn das Angebot die Nachfrage extrem übersteigt, muss das zu verkaufende Produkt dem Konsument überhaupt erst wahrnehmbar und dann in einem zweiten Schritt auch gegenüber anderen präferierbar gemacht werden: so weit, so bekannt aus Marketing und Werbung. „Im Zuge wirtschaftlichen Aufschwungs, erweiterter ökonomischer Vernetzungen und ihren Auswirkungen auf gesellschaftliche Strukturen ging es nicht mehr schwerpunktmäßig um die Optimierung des Produktionsbereiches. Vielmehr rückte der Absatzbereich […] ins Zentrum“.4 Ab Mitte der 1970er Jahre wird zudem „hohe konstante Qualität als Leistungsanspruch vom Konsumenten vorausgesetzt und stellt keine zentrale Profilierungsstrategie mehr dar.“5 Infolge dessen steht nicht mehr die (am Produkt ablesbare) objektive Qualität eines Produktes im Vordergrund, sondern, da diese nun als konstant hoch vorausgesetzt wird, die (vom Konsumenten attribuierten) „subjektiven Ansichten und Vorstellungen von einem Gegenstand“6, zu denen „sowohl das subjektive Wissen über den Gegenstand als auch gefühlsmäßige Wertungen“7 gehören. In anderen Worten: wichtig ist nicht mehr, um ein banales Beispiel herauszugreifen, ob eine Creme gegen Falten hilft, denn das tun sie nun mehr oder minder alle - wichtig ist , dass sie vom Konsumenten z. B. als „sexy“ oder „natürlich“ empfunden wird. Insofern stellt „nicht die objektive Beschaffenheit einer Ware, sondern einzig die Verbrauchervorstellung die Realität“8 dar. Hier ist nicht der Ort, um das Verhältnis zwischen objektiver Produktqualität und subjektivem Mehrwert aus werbepsychologischer Perspektive zu diskutieren; jedenfalls entsteht eine nachhaltig wirksame „Repräsentation im Sinne eines kohärenten Eindrucks […] durch den Passungscharakter zwischen objektiven und subjektiven Erkenntnisstrukturen. Dieser Passungscharakter ließe sich […] als Markenwert bzw. -stärke deuten, da er die Übereinstimmung von intendiertem und wahrgenommenen Bild impliziert“.9

Mit Tom Parker - als Geschäftsmann und nicht etwa Musiker -, der bei der Betreuung von Elvis Presley in den 1950er Jahren die wirtschaftliche Seite professionellen Musizierens ebenfalls nicht mehr nur als existentiell notwendige Nebensache, sondern als zentralen Aspekt begriff und mit professionellen Marketingexperten (anstatt mit Personen aus dem Umfeld von Musikern oder gar Musikern selbst, die eben mehr oder weniger davon verstanden) zusammenarbeitete, hielt dieses Prinzip auch in der Musikvermarktung Einzug - wenn es auch zunächst vor allem um die reine Genereriung von Aufmerksamkeit („Promotion“) ging und die gestalterischen Elemente erst sukzessive entwickelt wurden, wobei die Beatles unter George Martin den Startschuss einer prozessualen Steuerung der Beziehung zwischen Star und Publikum markierte.

Nun besitzt aber Musik die zusätzliche Schwierigkeit, dass sie von vornherein nicht anhand herkömmlicher Leistungskriterien bewertbar ist. Als ästhetisch und kulturell ausgehandeltes Gebilde ist die Qualität, der Mehrwert eines musikalischen Produkts generell nicht objektiv messbar. Das Problem wird durch einen Vergleich auf außermusikalische Stars deutlich: Ein Fußballer schießt Tore (oder verhindert sie); ein Politiker senkt die Arbeitslosigkeit; eine Creme hilft gegen Falten. Ob ein Musiker jedoch - musikalisch wie außermusikalisch - „gefällt“ oder „gut ist“, steht eben in den Sternen. Diese symbolische Offenheit, die ein theoretisch unendliches Einschreibungspotential bietet, ist in kunstkulturellen Prozessen generell gegeben; in der Musik ist sie allerdings besonders hoch, da Musik nicht - wie etwa Literatur oder bildende Kunst - repräsentativ ist.

Die ästhetisch-qualitative Leistung ist aber nicht nur nicht bewertbar, sondern folglich auch nicht optimierbar. Da die Bewertungsparameter, die auf Seiten der Rezipienten verortet werden können, wie etwa „Zeitgeist“ oder „Musikgeschmack“ ebenso diffuse und ergebnisoffen aushandelbare Größen wie die „ästhetische Qualität“ auf Seiten der Produktion darstellen, hieße das aber in letzter Konsequenz, dass die Musikindustrie ihre wirtschaftlichen Bemühungen eigentlich komplett dem Zufall überlassen müsste - angesichts der Geldmengen, mit denen sie hantiert, eine geradezu groteske Vorstellung.

Und hier kommen nun die Stars ins Spiel. Als mediale Figuren verkörpern sie ein ganzes Netz abstrakter kultureller Werte,10 die als Symbole sichtbar werden, welche „im medialen Vermittlungsprozess als Botschaft enkodiert und von den Rezipienten dekodiert“11 werden. „Dabei sind Symbole nicht nur rein stellvertretende Zeichen für fest umrissene Bedeutungen und Werte, sondern auch ein Vehikel, das übergeordnete - auch eigene projektive - Vorstellungen überhaupt erst möglich macht.“12 Dabei ist es natürlich im Zusammenhang mit der Ökonomie der Aufmerksamkeit von großem Vorteil, wenn sich die „Symbolstruktur“ von anderen abhebt, also ein sog. Alleinstellungmerkmal bestitzt.

Stars wirken folglich als diskursiv ausgehandelte Platzhalter für „ points of intersection of […] textual, intertextual, institutional, cultural or subcultural, psychological, and semiotic processes“,13 die durch ihre Bündelungsfunktion und ihre konkrete Fassbarkeit als Person sehr viel besser observierbar, formbar und kontrollierbar sind als diffuse ästhetische oder kulturelle Qualitäten. Ihr Erfolg (oder Misserfolg) ist in Form von Marktanteilen messbar, Korrekturen an der Person können relativ rasch und zielgerichtet vorgenommen werden. Diese Personalisierung ist aber noch aus einem weiteren Grund sehr entscheidend: Aktanten neigen im Allgemeinen zu personalen Fokussierungen in Kommunikationssituationen sowie zur Ausblendung kontextueller bzw. situativer Gegebenheiten […]: 'Soziale Systeme reduzieren Kommunikation auf Mitteilung und rechnen diese dann als Handlung einzelnen Personen zu; auf diese Weise sichern sich soziale Systeme Identifikationspunkte, auf die sie sich im fortlaufenden Kommunikationsprozeß beziehen können.'“14 Wahrnehmung und Erinnern sind also „primär personenbezogene Prozesse […], wobei personalen Schemata als standardisierte Formen der Informationsverarbeitung eine wirklichkeitsstrukturierende Funktion zukommt.“15

Diese Personalisierung beinhaltet zugleich den Faktor der Emotionalisierung, denn die Beziehung zu Personen ist nie rein kognitiv, sondern auch (und sogar meist überwiegend) affektiv besetzt. Stars bilden folglich eine personale Kommunikationssituation aus, die Vertrauen fingiert: „Stars machen Kultur und ihre Anwendungen medial personalisiert beobachtbar und visualisieren kulturelle Vertrautheit so in medialen Kontexten qua personaler Vertrautheit.“16 Diese Kommunikationssituation ist zwar nur scheinbar, da mit dem Star (bis auf einige wenige, sehr genau kontrollierte Ausnahmen) ja nicht wirklich kommuniziert werden kann. Dennoch ist dieser Prozess der sog. parasozialen Interaktion17 selbst dann, wenn man ihn durchschaut hat, so gut wie untentrinnbar: „Die Zuschauer sind sich zwar der medialen Inszenierung einer öffentlichen Person bewusst, sie suchen aber trotzdem immer wieder nach der Authentizität dieser Person bzw. haben die Neigung, diese Selbstinszenierung als authentisch wahrzunehmen.“18 Individuen, die an der „Wahlpflichtveranstaltung“ Popkultur teilnehmen, sind offenbar tendenziell stets um „den Aufbau und die Aufrechterhaltung einer Illusion von Interaktion und einer imaginären Verringerung von sozialer Distanz“19 bemüht. Dass diese illusionäre, bewusst-unbewusst aufrecht gehaltene „Beziehung“ hoch emotional aufgeladen ist und das umso mehr wird, je besser man „seinen“ Star „kennen (und lieben oder auch hassen) lernt“, ist auf einer menschlichen Ebene geradezu selbstverständlich.

Außerdem schaffen Stars Bilder. Einerseits werden die die o.g. Symbole überwiegend in Form von optischen Codes ausgebildet: Kleidung, Frisur, Körperbau usw. Vor allem aber besitzt die personalisierte und emotionalisierte öffentlich-mediale Inszenierung einen stark ikonischen Charakter: vom für die spätere Beurteilung immens wichtigen ersten Eindruck über die ständig wiederholte mediale Präsentation bis hin zum zunehmenden „Einnisten“ des Stars in unserem popkulturell-geistigen Horizont werden Wahrnehmungs- und Memorierungsprozessse vor allem über die „Bilder in unserem Kopf“ bestimmt. Sie wirken daher nicht nur komplexitätsentlastend, sondern geradezu wirklichkeitskonturierend.20 Gerade in der Populären Musik, in der objektive Leistungs- und Bewertungskriterien wie oben beschrieben ganz besonders fehlen, ist somit die Rolle von stark affektiv aufgeladenen, kognitiv entlastenden und emotional-motivationalen „Bilderwelten“ überaus entscheidend. Diese Prinzipien werden in einem aktuellen Beispiel klar bestätigt (es handelt sich dabei zwar um die bevorstehende Bundestagswahl und nicht um Popkultur, doch gerade das zeigt die Wichtigkeit der genannten Parameter für „die Erlangung und Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit in einer kurzlebig und stark visuell geprägten Umwelt“):21

[Roland Koch:] Am Ende geht es um eine zentrale Person, die das Land in Verantwortung des Kanzlers führen soll. Und deshalb werden wir wiele Mitstreiter haben in einem Wahlkampf, aber nur eine Kandidatin für das Amt des Bundeskanzlers - und das wird jeder auf jedem Bild sehen.

[Off-Kommentar:] Bilder - darum geht es an diesem Montag [an dem das Wahlprogramm der CDU vorgestellt wird], denn entschieden wird gar nichts mehr. Das Wahlprogramm - l ä ngst verabschiedet. Bilder sind jetzt wichtig.22

2.2. Images

Allerdings dürfen diese Bilder trotz der linguistischen Verwandtschaft nicht mit dem Image verwechselt werden: vielmehr konstituiert sich das Image aus der Schnittmenge einer Vielzahl medial distribuierter Bilder, die wiederum von den Rezipienten nicht einfach „geschluckt“, sondern durch Selektion und Inferenz23 moduliert werden - wobei die Bilder wiederum nur ein Chiffre für darunter liegende, durch sie transportierte, aber auch konfigurierte und transformierte Werte und Bedeutungen sind.24 Dabei ist das Image aber nicht nur als „kumulative[r] Effekt zahlreicher Einzelbotschaften“ zu verstehen, sondern als „strukturierte Polysemie“, die ein „mehrdimensionales, semantisches Netzwerk“ ausbildet.25 Ebensowenig sind natürlich die Stars selbst mit ihrem Image identisch. So interessieren sich vor allem die Fans, aber auch emotional weniger stark involvierte Rezipienten vor allem dafür, wie der Star denn „privat“ so ist. Dabei ist jedoch das Privatleben der Stars (etwa in Formaten wie „MTV Cribs“ oder „Paris Hilton's My New BFF“) ebenfalls inszeniert. „Auch Informationen über den privaten Star erreichen seine Nutzer stets via Medien […], so dass sich Star-Nutzer mit dem medial-privaten Star und Spekulationen darüber begnügen müssen, wie dieser außerhalb medialer Beobachtungskontexte handelt.“26

Eine genaue Trennung der beruflichen und privaten Rolle oder, wie Keller das nennt, zwischen Star-Star und Star-Mensch ist aber besonders im Musikgeschäft, in welchem „der Musiker-Star sich selbst zu performen [scheint], indem er sich Musik als ursprünglicher form der Emotion-Kommunikation bedient, um - scheinbar - sein Innerstes coram publico und im Dienste desselbigen nach außen zu kehren“,27 gar nicht möglich. „Dass auch im Falle des Musiker-Stars der medial-private Star-Mensch die Grenze der möglichen Nutzer- Privatisierungen des Stars darstellt, wird im Sinne parasozialer Inauthentizitäts-Prophylaxe bereitwillig ausgeblendet“.28 Das kann natürlich tatsächlich auf die Privatsphäre der Stars ausschlagen: „Ähnlich wie Ärzte auch außerhalb ihrer Dienstzeiten in der Pflicht des Hippokratischen Eides stehen, legen auch Stars ihre berufliche Rolle nicht mit Drehschluss oder nach Ende eines öffentlichen Auftritts ab, sondern leben alltäglich im Wissen um ihre potentielle mediale Beobachtbarkeit.“29 Idealiter wird das Image daher als Einheit dieser Differenz zwischen Star-Star und Star-Mensch wirksam.30 So darf das Bild, das man sich vom Star-Star in seiner beruflichen Rolle macht, nicht allzu stark vom Star-Mensch, wie man ihn sich privat vorstellt, differieren, da sonst ein Glaubwürdigkeitsproblem eintritt (welches sich in den Versuchen der Yellow Press abbildet, „den privat-privaten Star medial zu dokumentieren und diesen so außerhalb seiner bewussten medialen privaten Selbst- Darstellungen für sein Publikum beobachtbar zu machen“.)31 Dieses Authentizitätsprimat liegt darin begründet, dass eine Person als selbst- und nicht als fremd- oder rollenbestimmt wirken muss, um als parasozialer „Beziehungspartner“ ernst genommen und damit wirksam werden zu können.

So ist es folglich genauer der privat-private Mensch-Mensch, welcher hinter dem Star steht, der vom Image, dass dieser im Star verkörpert, getrennt werden muss. Dies dient einerseits dem Selbstschutz des Stars, dem psychopathologische Folgen drohen, wenn er sein tatsächliches Ich nicht mehr hinreichend von der Schimäre des medial und kulturell diskursiv konstruierten Images zu trennen vermag (was die immer gleichen Reaktionen wie Abkapselung, Psychosen, Drogenkonsum und vereinzelt sogar Selbstmord verursacht). Andererseits macht sich aber vor allem die Industrie diesen Substitutionstrick zu Nutze: so kann sich bei zunehmender Bekanntheit der Star-Aspiranten, über welche die Indsutrie wie oben beschrieben meist weitaus zielgerichteter verfügen kann als über diffuse, da im kulturellen Prozess stetig neu ausgehandelte ästhetische Qualitäten, das Machtverhältnis deutlich zu Gunsten des nun berühmt gewordenen Stars verschieben, der jetzt ob seiner kulturellen Vormachtstellung die Regeln diktiert. Nun ist das Image zwar wie gezeigt mit der Person des Stars verbunden. Jedoch kann die Industrie über ein - letzlich künstlich erzeugtes - Image, das sie meist maßgeblich mitbestimmt hat, eine weitaus größere Deutungshoheit durchsetzen bzw. bewahren und folglich so kanalisieren, dass es für sie am einträglichsten ist, als über die Person, die dieses Image im Star verkörpert.

Ein Label zu kreieren, also eine Wortmarke, mit deren Nennung sofort alle je individuell wie überindividuell dazu assoziierten Merkmale ins Bewusstsein gerückt werden, bildet dazu die letzte Konsequenz: Madonna mit den dazugehörigen Assoziationen ist ja beispielsweise in Wendungen wie „X macht einen auf Madonna“ fast schon in die Alltagssprache eingegangen. Mit dem Album Confessions on a Dance Floor wurde 2005 überdies ein schönes Beispiel für eine Lifestyle-Marketing-Kuvertüre kreiert, die dem gesamten künstlerischen Prozess zugrunde gelegt ist (in diesem Fall das „Discofieber“ der 70er Jahre).

Insofern zielt die Ausbildung eines Images inklusive der maßgeblichen Faktoren Personalisierung, Emotionalisierung und Ikonisierung auf eine möglichst griffige, kognitiv entlastende und affektiv aufgeladene Formel, die zahlreiche Einzelfaktoren - den Inszenierungscharakter, die offenen Zuschreibungen, die Diversität und Vielschichtigkeit der Agenten - invisibilisiert. Durch diesen Effekt der quasi natürlich erscheinenden „Passung“ zwischen „ Star-Star “ und „ Star-Mensch “, zwischen dem, was ein Star sagt (oder singt), und dem, wie er sich verhält, zwischen Biographie und - menschlicher und künstlerischer - Entwicklung entsteht der Eindruck der Unmittelbarkeit, welcher durch scheinbar mangelnde Steuerbarkeit Authentizität suggeriert - und die ist bei der Bewertung der Stars durch die Fans im Sinne einer selbstbestimmten Handlung sehr entscheidend.

[...]


1 Silke Borgstedt: Der Musik-Star, Bielefeld 2008, S. 37.

2 Ebd.

3 Vgl. hierzu etwa ebd., Kapitel 1.

4 Ebd., S. 86.

5 Ebd., S. 87.

6 Zit. n. ebd., S. 88.

7 Zit. n. ebd.

8 Borgstedt, S. 87.

9 Ebd., S. 119.

10 Diese Wertematrizen sind wegen ihrer metakulturellen Abstraktheit und ihrer steten Anpassung bzw. Wandlung nur äußerst schematisiert darstellbar, etwa das berühmte „Sex, Drugs and Rock'n'Roll“ oder neuerdings „Life of Health and Sustainability“ (kurz LOHAS). Vgl. a. Borgstedt, S. 99 f.

11 Borgstedt, S. 121.

12 Ebd.

13 Zit. n. Katrin Keller: Der Star und seine Nutzer, Bielefeld 2008, S. 139.

14 Ebd., S. 142.

15 Ebd.; vgl. a. Borgstedt, S. 111 ff.

16 Keller., S. 127.

17 Vgl. a. ebd., Kap. 6.1.

18 Zit. n. Keller, S. 141.

19 Borgstedt, S. 69

20 Vgl. a. Borgstedt S. 119 f., in der von Images als „Erfahrungsstanzen“ die Rede ist, welche „das Fehlen unmittelbarer Erfahrungen durch die Konstruktion von Vorwissen und Vorbewertung auffangen.“

21 Borgstedt, S. 35.

22 Die Kanzlerin - Angela Merkel, Ein Film von Christian Thiels und Thomas Michel, ausgestrahlt am 10.09.09 um 21:45h auf ARD,7:12-7:35; bis 10.12.09 verfügbar unter http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/ 2970728;jsessionid=263B0BA0C2214C20527B32D4597EAD08

23 Zu Selektion und Inferenz vgl. Borgstedt, S. 103.

24 Vgl. a. ebd., S. 135.

25 Ebd., S. 63.

26 Keller, S. 134.

27 Ebd., S. 220.

28 Keller, S. 220.

29 Ebd., S. 146.

30 Vgl. a. Keller, Kap. 5.4.

31 Keller, S. 146.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Bohlen sucht den Superstar
Untertitel
Fallstudie zum Starbegriff
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Stars und Starkult
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
24
Katalognummer
V144083
ISBN (eBook)
9783640530564
ISBN (Buch)
9783640530243
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bohlen, Superstar, Fallstudie, Starbegriff
Arbeit zitieren
B. A. Bruno Desse (Autor:in), 2009, Bohlen sucht den Superstar, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144083

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