"Füllest wieder Busch und Tal..."

Eine Annäherung an Goethes "An den Mond"


Hausarbeit, 2008

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1 An den Mond, Entstehungsgeschichte und werkgeschichtliche Einordnung

2 Deutungsansätze

3 Das Volkslied und Herders Dichtungstheorie

4 Werksanalyse zu An den Mond

Schluss

Literaturverzeichnis…

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

Goethes literarisches Schaffen hat durch seine semantische Intensität und Dichte dazu geführt, dass sich eine auf ihn selbst zurückführende Epoche konstituiert hat: die Goethezeit (1770 -1830). Die zeitlichen Grenzen dieser Epoche müssten – würden sie sich nach dem Geburts- und Todesdatum des Dichters richten – weiter ausgebreitet werden. Und zwar in die Vergangenheit bis 1749 und in die Zukunft bis 1832. Diese Minimierung des Zeitraumes deutet allerdings darauf, dass nicht Goethe selbst unmittelbarer Schöpfer dieser Epoche sein kann, sondern nur sein literarisches Werk, das aufgrund seiner Bedeutungstiefe für die Literaturhistorie paradigmatisch wirkt.

Mit dieser Hausarbeit anhand von Goethes Gedicht An den Mond (2. Fassung) soll versucht werden zu zeigen, was der einzelne literarische Text leisten kann, und zwar über seine biografischen Grenzen hinaus, enthebt man ihn nur seiner direkten Einbettung in Goethes Leben. Denn Ziel der Literaturwissenschaft sollte es nicht sein, lediglich die richtige Autorintention herauszufinden. Dieser Begriff impliziert nämlich „eine sinnlose Zielsetzung (…), die nachweislich bislang nie realisiert worden ist und die heute argumentativ als unrealisierbar nachgewiesen werden kann“.[1] Es soll daher gezeigt werden, was Literatur kann und wie sie menschliche Erfahrung, die sie in sich trägt, auch viel später noch aktualisieren kann.

Denn der einzelne Text „ist in dem Maße bedeutend, in dem er paradigmatisch wirkt, weniger schon, wenn er nur exemplarisch ist, am wenigsten, wenn er bloß illustriert“.[2]

Das Gedicht An den Mond wirkt paradigmatisch. Und zwar nicht für die Klassik, auch nicht für den Sturm und Drang. Es zeigt seine ganze lyrische Potenz in seiner Widerständigkeit, die dazu geführt hat, dass Generationen von Interpretierenden immer wieder auf ihre eigenen Gefühle hinwiesen, die sie beim Lesen dieses Gedichtes haben, sodass, soweit ich sehe, bis jetzt keine befriedigende Werksdeutung zustande kommen konnten.

Im möchte zunächst die Entstehungsgeschichte des Gedichtes beleuchten und eine werkgeschichtliche Einordnung vornehmen. Hierauf soll eine kurze Darstellung der Deutungsansätze dieses Gedichtes folgen.

Daran anschließen soll sich ein Kapitel über das Volkslied – dessen Nähe dieses Gedicht offensichtlich sucht - und Herders Dichtungstheorie dazu, worauf schlussendlich ein eigenes Interpretationsangebot folgt.

1 An den Mond, Entstehungsgeschichte und werkgeschichtliche Einordnung

Schon die genaue Entstehungszeit zu nennen, ist im Falle dieses Mondgedichtes schwierig. Auch bezogen auf die erste Fassung von An den Mond ist man sich nicht sicher, die in Goethes Briefen an Frau von Stein überliefert ist.[3] Sie entstand zwischen 1776 und 1778. Die zweite Fassung steht in den von Goethe selbst herausgegebenen Schriften 1789 „und ging unverändert in die weiteren Ausgaben der Werke über“.[4] Über das genaue Entstehungsdatum wird gestritten. Müller geht davon aus, dass das Gedicht „kurz vor [Anm. d. A.] der Reise nach Italien“[5] entstand. An anderer Stelle hingegen wird behauptet, es sei „vielleicht am Ende der Weimarer Zeit, wahrscheinlich aber nach [Anm. d. A.) der Italienreise bei der Fertigstellung der Gedichte für den Druck“[6] geschrieben worden.

Über das Entstehungsdatum kann sich diesem Gedicht also nicht genähert werden. Interessant ist jedenfalls, dass es häufig zu der Gruppe der Lida-Lyrik gezählt. Auch hier ist ungewiss, welche Dame sich denn hinter Lida versteckt und es gibt auch keinen Grund, hierüber zu spekulieren. Goethe selbst jedenfalls „hat den Schleier, der auf dieser Liebe ruhte, nicht zu lüften gewagt…“[7]. Neben An den Mond finden sich noch weitere Gedichte in der Lida-Lyrik, die ähnliche Motive und Stimmungen behandeln. Besondere Wortstellungen und Beschreibungen aus An den Mond finden sich in Jägers Abendlied, zweite Fassung. Im ersteren heißt es: „Füllest wieder Busch und Tal…“, in Jägers Abendlied (1775/76) „Durchs Feld und liebe Tal…“. Schon hier lässt sich die emotionale Nähe des Dichters zur Natur erkennen, in deren Schutz er Frieden findet. Auch die Bewegung in beiden Gedichten wird in erkennbarer Ähnlichkeit aufgebaut. An den Mond: „Rausche, Fluss, das Tal entlang / ohne Rast und Ruh / Rausche, flüstre meinem Sang / Melodien zu“; Jägers Abendlied: „Und ach, mein schnell verrauschend Bild, / Stellt sich dir´s nicht einmal“. Und die Rastlosigkeit findet auch im Gedicht Rastlose Liebe (1776) ihre Bedeutung: „Immer zu! Immer zu! / Ohne Rast und Ruh!“ Diese Gedichte verbinden in für Goethe beispielhafter Weise „das Motiv der heilenden Wirkung der Geliebten auf den Menschen der Unrast“[8]. Wie es mit dieser heilenden Wirkung in unserem Mondgedicht aber tatsächlich beschaffen ist, soll später genauer untersucht werden. Zunächst möchte ich einen Blick in einige Deutungsversuche werfen, die zu An den Mond entstanden sind.

2 Deutungsansätze

Zunächst das Gedicht:

1 Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;

5 Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz
10 Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud' und Schmerz
In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer werd' ich froh,
15 So verrauschte Scherz und Kuß
Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,
was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
20 Nimmer es vergißt!

Rausche, Fluß, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu,

25 Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst,
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt
30 Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,

Was, von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
35 Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.[9]

Ist es die emotionale Qualität dieser Zeilen? Ist seine Widersprüchlichkeit oder gar seine Widerständigkeit Grund dafür, dass die Interpretationen dieses Gedichtes anmuten, als seien sie des Abends am Lagerfeuer entstanden und somit nicht mehr Resultat wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Hierzu eine Reihe Beispiele:

Walter Hinck beschreibt in seiner Analyse einen Spaziergang während eines Kurzaufenthaltes in Weimar. Er geht durch den Park an der Ilm, vorbei an Goethes Gartenhaus:

Es ist längst dunkel geworden, Feuchtigkeit schlägt auf die Haut, leichte Nebelschleier heben sich aus den Wiesen. Und dann plötzlich taucht aus den treibenden Wolken der Mond auf. Ein unbeschreiblicher Moment, das Wunder des Wiedererkennens von etwas gar nicht Gesehenem. Nie wieder habe ich mich in einer Landschaft so unmittelbar in die Welt eines Gedichts versetzt, nie wieder mit dem Ich eines Gedichts wenigstens für einen Augenblick so identisch gefühlt wie hier. Ein Komet fiel aus der Welt der dichterischen Verse in meine eigene Welt.[10]

[...]


[1] Helmut Hauptmeier; Siegfried J. Schmidt: Einführung in die empirische Literaturwissenschaft. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg 1985, S. 124.

[2] Thomas Althaus: Ursprung in später Zeit: Goethes „Heidenröslein“ und der Volksliedentwurf. In: Werner Besch, Norbert Oellers u.a. (Hrsg.): ZfdPh. 118. Band, zweites Heft 1999, S. 162.

[3] Erich Trunz (Hrsg.): Goethe. Gedichte. München: C.H. Beck. 1981, S. 544.

[4] Ebd.

[5] Joachim Müller: „An den Mond“ und „Dem aufgehenden Vollmonde“. In: Walter Urbanek (Hrsg.): Begegnung mit Gedichten. 66 Interpretationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Bamberg: C.C. Buchners 1977, S. 136.

[6] Trunz: Goethe, S. 544.

[7] Ebd., S. 537.

[8] Ebd., S. 540.

[9] Ebd., S. 129.

[10] Walter Hinck: Stationen der deutschen Lyrik. Von Luther bis in die Gegenwart – 100 Gedichte mit Interpretationen. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2000, S. 54.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
"Füllest wieder Busch und Tal..."
Untertitel
Eine Annäherung an Goethes "An den Mond"
Hochschule
Universität Bremen  (Neuere Deutsche Literatur)
Veranstaltung
Goethes Lyrik
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
23
Katalognummer
V142082
ISBN (eBook)
9783640517077
ISBN (Buch)
9783640516902
Dateigröße
556 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Goethe, Gedichtinterpretation, Lyrikanalyse
Arbeit zitieren
Simon Wordtmann (Autor:in), 2008, "Füllest wieder Busch und Tal...", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142082

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