Kambodscha. Der lange Weg zur Gerechtigkeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

27 Seiten, Note: 2,4


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1979 – 1989: Besetztes Land
Die Volkstribunale und ihre Rezeption im Ausland
Die Zeit der Vietnamesischen Besatzung
Die Aufnahme des kambodschanischen Umsturzes in der Welt
Prinz Sihanouks Exilregierung
Friedenspläne
Erstes Umdenken
Die Pariser Friedenskonferenz und der Durchbruch

1990 – 1998: UNTAC und der Bürgerkrieg
UNTAC
Der Wille zur Gerechtigkeit

1998 bis heute: Die Unabhängigkeit
Der Weg zu den Prozessen

Resümee

Literatur

Einleitung

Als die vietnamesische Armee am 7. Januar 1979 in Phnom Penh einmarschierte und damit der seit drei Jahren, acht Monaten und zwanzig Tagen andauernden Schreckensherrschaft der Roten Khmer ein Ende setzte, fanden die Soldaten eine Geisterstadt vor, deren desolater Zustand beispielhaft für den Zustand des gesamten Landes war.

Die Städte, allen voran die Hauptstadt Phnom Penh, waren unter den Roten Khmer entvölkert worden, die in dem Versuch die Bevölkerung gleich zu schalten die Bewohner zur Internierung in Zwangsarbeitslagern auf das Land getrieben hatten. Es gab weder fließendes Wasser noch Strom und die nahezu überhaupt nicht funktionierende Infrastruktur stellte die Besatzer bei der Versorgung der hungernden Bevölkerung vor eine schwierige Aufgabe. Erschwerend hinzu kam, dass das Regime Bildungseinrichtungen geschlossen und vor allem die Bildungselite des Landes, von Studenten über Lehrer bis zum Universitätslehrkörper aber auch gut ausgebildete Fachleute wie Apotheker, Techniker, Journalisten oder Ingenieure, gejagt und vernichtet oder aber zumindest ins Exil getrieben hatte. Schulen und Universitäten waren geschlossen und manchmal in andere Einrichtungen umfunktioniert wurden, wie die frühere Tuol Sleng High School, die unter dem Regime in das berüchtigte Geheimgefängnis und Folterzentrum S-21 umfunktioniert worden war. Wen sollten die Vietnamesen nun einsetzen, um drängende Verwaltungsaufgaben zu erledigen und das Land wieder aufzubauen, wenn es kaum Menschen gab, die diese Aufgabe erfüllen konnten? Zumal der Krieg eigentlich noch gar nicht zu Ende war. Die Roten Khmer waren zwar aus der Hauptstadt und damit aus ihrem Verwaltungszentrum vertrieben worden, doch in vielen abgelegenen Provinzen des Landes waren sie zum Teil auf Jahre hinaus immer noch die kontrollierende Macht. Von verstecken Camps im Dschungel aus sollten die Roten Khmer noch lange einen Guerillakrieg gegen die vietnamesischen Besatzer und die von diesen eingesetzte Regierung unter Staatschef Heng Samrin führen.

1983 veröffentlichte eben jene Regierung das erste Mal Zahlen über die Opfer der Herrschaft der Roten Khmer. Demnach hatte das Land in den drei Jahren unter Pol Pots Regierung mit 2,7 Mio. Menschenleben etwa ein Drittel seiner Bevölkerung verloren. Die Schätzungen verschiedener Historiker und Humanitärer Organisationen reichen immerhin von 740.000 bis zu 3,3 Mio. Opfern. Die neuste demografisch berechnete Zahl bewegt sich mit 1,8 Mio. Opfern in der Mitte der Schätzungen. Wie viele Opfer es tatsächlich gegeben hat, wird nie gänzlich geklärt werden. Fast die Hälfte der Opfer geht mit ca. 40% auf das Konto von Exekutionen und Massakern an Bevölkerungsteilen, die das Regime vernichten wollte – die vietnamesische Minderheit, die Chem, aber auch buddhistische Mönche und die intellektuelle Elite des Landes. Fast noch einmal so viele Menschenleben, nämlich etwa 36% der Opfer, wurden auf den „Killing Fields“, jenen zum Synonym für die Schreckensherrschaft gewordenen Reisfeldern, ausgelöscht, auf denen die Menschen sich systematisch zu Tode schuften mussten. Unterernährung. menschenunwürdige Behandlung, unbehandelte Krankheiten und Verletzungen und Übergriffe durch die Wachmannschaften sorgten dafür, dass hier niemand lange überlebte. Nur 10% der Todesfälle in der Zeit zwischen 1975 und 1979 dürften natürliche Ursachen gehabt haben.[1]

Am meisten hatte die vietnamesische Minderheit in der Zeit der Regierung Pol Pots und seiner Roten Khmer unter dem Terror zu leiden. Und nicht nur die im Land lebenden Vietnamesen hatten um ihr Leben zu fürchten, die Roten Khmer unternahmen immer wieder Streifzüge durch das vietnamesische Grenzland, bei denen sie regelmäßig die Grenze überschritten und Dörfer in Vietnam nieder brannten. Mit 150.000 Soldaten fielen die Vietnamesen schließlich in Kambodscha ein[2], um das Regime zu beseitigen und fanden Internierungscamps, verhungernde Menschen in ihren einheitlichen blauen Pyjamas, zerstörte buddhistische Tempel und Massengräber vor.

Obwohl man meinen sollte, dass dies alles schon Grund und Anlass genug sei, die verantwortlichen für derartige Gräueltaten so schnell wie möglich zur Rechenschaft zu ziehen, werden noch fast 30 Jahre vergehen, bis im August 2007 der erste Angeklagte vor einem Gericht Rede und Antwort stehen wird. In dieser Arbeit soll zusammenfassend Kambodschas fast 30 Jährige Odyssee durch die machtpolitischen Wirren der internationalen Staatengemeinschaft geschildert werden. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Frage, wie die politischen Interessen der in Ost und West geteilten Blöcke, aber auch der Vereinten Nationen und der asiatischen Nachbarstaaten Kambodschas dazu beigetragen haben, dass erst heute, mit fast 30 jähriger Verspätung, die Opfer der Roten Khmer in Form eines außerordentlichen Gerichtshofes ihre Gerechtigkeit erfahren. Auf Kambodscha selbst soll dabei nur am Rande eingegangen werden, nämlich dort, wo es für das Verständnis der internationalen Interessen notwendig ist.

1979 – 1989: Besetztes Land

Die Volkstribunale und ihre Rezeption im Ausland

Bereits am 19. August 1979, nur ein halbes Jahr nachdem die vietnamesische Armee in Phnom Penh einmarschiert war und die Roten Khmer in den Dschungel getrieben hatte, fanden die so genannten Volkstribunale (Peoples Tribunals) gegen die Hauptverantwortlichen für die Massaker, welche die Roten Khmer während ihrer dreijährigen Herrschaft verübt hatten, statt. Angeklagt waren Pol Pot selbst und Ieng Sary, der Außenminister der Demokratischen Volksrepublik Kampuchea, der in der Hirarchie der Roten Khmer als „Bruder Nr. 3“ bezeichnet wurde. Beider war man leider nicht habhaft geworden und so fanden die Prozesse in Abwesenheit der Angeklagten statt. Es waren internationale Beobachte geladen, Vertreter der Weltpresse, Juristen, Beamte und Politiker, doch nur die wenigsten erschienen auch. Juristen aus Algerien, Kuba, Indien, Japan, Laos, Syrien, der UdSSR und den USA sowie Vertreter internationaler Menschenrechts- und Hilfsorganisationen nahmen an den Prozessen als Beobachter teil.[3] Westliche Medien hingegen nahmen die Prozesse kaum wahr. Das Interesse im westlichen Ausland war eher gering, denn die meisten Menschen hatten von Kambodscha kaum jemals gehört. Die Berichterstatter, die dort waren, berichteten voreingenommen und verurteilten die Tribunale als Schauprozesse, in denen es nur darum ging, Rache am Feind des neuen Regimes zu üben.[4] Und so ganz unrecht hatten die Medien mit ihren Anschuldigungen nicht, denn es handelte sich tatsächlich um Schauprozesse. Die Urteile standen von vornherein fest. Die Verteidigung war keine Verteidigung, denn sie war weniger darauf aus die Angeklagten zu entlasten, als vielmehr die Mitschuld der Gegner Vietnams, vor allem Chinas und der USA, festzustellen.[5]

Interessant jedoch ist die Tatsache, dass die Prozesse zwar komplett nach kambodschanischen Recht verhandelt wurden, die Urteile sich jedoch explizit auf die UN-Resolution 260 von 1948 (Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide) bezog. Das Volkstribunal stellten damit den ersten Prozess dar, in dem die bereits damals mehr als 30 Jahre alte Resolution Anwendung fand.[6] Die Urteile für Pol Pot und Ieng Sary lauteten selbstverständlich auf Tod. Verurteilt wurden sie nach einem fünftägigen Prozess, in dem 39 Zeugen angehört und jede Menge Beweise aufgenommen wurden, wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.[7] Vollstreckt wurden die Urteile jedoch nie. Die Protokolle des Tribunals wurden anschließend an die UNO nach New York gesendet, stießen dort jedoch auf wenig Interesse.[8]

Die Zeit der Vietnamesischen Besatzung

Die Aufnahme des kambodschanischen Umsturzes in der Welt

Schon 1978 hatte die UNO-Menschenrechtskommission mit dem Algerier Abdelwahab Boudhiba einen Inspektor nach Kambodscha geschickt, der die Lage im Land in Augenschein nehmen sollte. Sein Bericht fiel im Februar 1979, inzwischen hatten die Vietnamesen mit logistischer Unterstützung der Sowjets Pol Pot gestürzt, sehr negativ aus. Leider hatte der sowjetische UN-Botschafter noch keine neuen Instruktionen aus Moskau bekommen, so dass sämtliche Ostblockstaaten in der Kommission dafür stimmten, dem Bericht keine Beachtung zu schenken. Gerade diesen Bericht jedoch führte Vietnam immer wieder als Rechtfertigung für seine Intervention in Kambodscha an. Leider wurde seine Beachtung die gesamten Achtziger Jahre über immer wieder verhindert, denn immer wieder stimmten vor allem die Staaten des westlichen Blocks gegen seine Lesung.[9] Damit war eine wichtige Möglichkeit vertan, die Roten Khmer der Vertretung Kambodschas in der UN-Vollversammlung bzw. ihres Sitzes in der UN-Menschenrechtskommission zu entheben.

Nachdem die Roten Khmer in den Dschungel vertrieben und von den vietnamesischen Besatzern eine provisorische Regierung unter dem Premierminister Heng Samrin eingesetzt worden war, hielten sich die westlichen Nationen lange Zeit zurück, Vertreter nach Phnom Penh zu schicken. Möglicherweise geschah dies, um dem Eindruck vorzubeugen, ein Dialog mit der ganz sicher nicht demokratischen, provisorischen Regierung würde einer Anerkennung gleich kommen. Genaues über die Motive lässt sich jedoch nur spekulieren. Einzig von der britischen Regierung weiß man heute, dass bis weit in die achtziger Jahre hinein nie ernsthaft in Erwägung gezogen worden ist, mit der kambodschanischen Regierung ins Gespräch zu kommen.[10]

Am 14. Januar 1979, nur sieben Tage nach dem Einmarsch der vietnamesischen Soldaten in Phnom Penh, treffen sich die Außenminister der Volksrepublik China und Thailands. Hinter verschlossen Türen handeln sie die Abmachung aus, der gestürzten Regierung der Roten Khmer gemeinsam Unterstützung gegen die vietnamesischen „Aggressoren“ zukommen zu lassen. Die Unterstützung soll in Form von Rückzugsorten und Schutz hinter der kambodschanisch-thailändischen Grenze gewährt werden. Ebenfalls über Thailand sollen Hilfslieferungen, Waffen und Vorräte für die Guerillas der Roten Khmer herbei gebracht werden. Große Lagerhäuser werden zu diesem Zweck an der Grenze errichtet. Den Transport übernimmt die thailändische Armee mit Militärlastwagen. Organisiert wird der Nachschub durch die chinesische Botschaft in Bangkok.[11]

Für die Menschen in Kambodscha jedoch gibt es keine Hilfslieferungen. Keine der westlichen Regierungen plant humanitäre Operationen in dem durch die Schreckensherrschaft der Roten Khmer wirtschaftlich wie menschlich ausgeblutetem Land. Die britische Regierung warnt sogar zivile Organisationen vor derartigen Plänen. So erhielt die internationale Hilfsorganisation Oxfam auf Anfrage die Empfehlung, keine Hilfsflüge in die kambodschanische Hauptstadt durchzuführen, da die Lage im Land zu unsicher sei und jedes Flugzeug aus einem westlichen Land mit Beschuss durch die vietnamesischen Truppen zu rechnen habe.[12]

Die Hilfslieferungen an die Roten Khmer hingegen beschränken sich nicht nur auf Waffen und Ausrüstung. Noch im Januar 1979 hatte Ieng Sary in seiner Funktion als Außenminister der demokratischen Volksrepublik Kampuchea bei einem Besuch in Beijing die Zusage über finanzielle Zuwendungen der chinesischen Regierung erhalten, die auch nun nicht abbrechen sollten, nachdem das Regime nicht mehr an der Macht war. Über unterschiedliche Kanäle wurden in den folgenden zehn Jahren US$ 80 - 100 Mio. auf verschiedene Konten thailändischer Banken, auf welche die Führung der Roten Khmer Zugriff erhielt, ausgezahlt.[13] Und auch militärisch bietet China dem kleinen Bruder Schützenhilfe. Wahrscheinlich um eine Forcierung der vietnamesischen Kräfte auf die sich im Rückzug befindlichen Einheiten der Roten Khmer zu verhindern und um Vietnams militärische Streitmacht anderweitig zu binden, greift China am 17. Februar 1979 mit 170.000 Soldaten, 700 Kampfflugzeugen und 300 Panzern Vietnam an. Zwar werden die chinesischen Einheiten relativ schnell zurückgeschlagen, dennoch gelingt es den Chinesen, ihren Schützlingen, den Roten Khmer in Kambodscha, genügend Luft zu verschaffen, damit diese sich vor der Besatzungsmacht in die Dschungel zurückziehen können.

[...]


[1] vgl. Fawthrop, S. 3f.

[2] ebd. S. 9.

[3] vgl. Fawthrop, S. 43.

[4] ebd. S. 47.

[5] Stanton, S. 147.

[6] vgl. Fawthrop, S. 44.

[7] ebd. S. 47.

[8] vgl. Fawthrop, S. 37.

[9] ebd. S. 35f.

[10] vgl. Fawthrop, S. 24.

[11] ebd. S. 57ff.

[12] ebd. S.64.

[13] vgl. Kiernan: Cambodia’s Twisted Path to Justice.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Kambodscha. Der lange Weg zur Gerechtigkeit
Hochschule
Universität Hamburg  (Fachbereich Geschichte)
Veranstaltung
Genozid im 20. Jahrhundert – eine Auseinandersetzung
Note
2,4
Autor
Jahr
2007
Seiten
27
Katalognummer
V142345
ISBN (eBook)
9783640514687
ISBN (Buch)
9783640512805
Dateigröße
494 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vietnam, Pol Pot, Rote Khmer, Vereinte Nationen, UNTAC
Arbeit zitieren
Marc Drozella (Autor:in), 2007, Kambodscha. Der lange Weg zur Gerechtigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142345

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