Weiblichkeit und Schuldbegriff im bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jhs.


Hausarbeit, 2006

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das bürgerliche Trauerspiel
2.1. Der Aspekt der Weiblichkeit
2.2 Der Aspekt der Schuld

3. Konfliktmodell und Schuld
3.1 Konfliktmodell des bürgerlichen Dramas
3.2 Wie wird Emilia Galotti schuldig?

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Zeit des 18. Jahrhunderts ist geprägt vom aufkommenden Wohlstand des Bürgertums, von der industriellen Revolution und der bürgerlichen Kultur, die von Werten, Praktiken und Verhaltensmustern des Bürgertums bestimmt ist.[1] So distanziert sich die bürgerliche Familie, nach Peter Lundgreen, von der Außengesellschaft, wobei eine innere Homogenität entsteht, in der verinnerlichte Normen die Sexualmoral und das Familienleben regulieren. Da der Mann im 18. Jahrhundert als „vernunftsorientiert, aktiv und stürmisch“ galt, stand er im öffentlichen Leben, wohingegen die Frau, welche als „emotionsgeleitet, passiv und sanft“ galt, den privaten Raum der Familie regelte und dafür verantwortlich war.[2] Demnach ist das damalige Erziehungsideal geprägt von einem temperierten Charakter, der sich von extremen Affekten, wie Wut und Leidenschaft, zu distanzieren versucht. Da im Zeitalter der Aufklärung Mitte des 18. Jahrhunderts der extreme Affekt als irrationales Moment definiert wurde und somit im Gegensatz zu der aufklärerischen Lehre der Vernunft stand, galt es diesen durch Erziehung zu vermeiden, wodurch tugendhaftes Handeln gewährleistet wurde.[3] Tugendhaftes Handeln, in der bürgerlichen Familie des 18. Jahrhunderts, liegt also in „der Vermeidung von Extremen bzw. der Beherrschung des rechten Maßes, nicht aber im gänzlichen Freisein von Affekten“.[4]

Derjenige, der sich extremen Affekten, wie Leidenschaft, hingibt, handelt entgegen dem bürgerlichen Moralkodex, nicht tugendhaft und macht sich somit schuldig. Abgesehen von dem Wertekanon, herrscht in der bürgerlichen Familie des 18. Jahrhunderts ein Kommunikationsimperativ, der darin besteht, dass die Familie sich nichts zu verheimlichen hat –wenn, dann passiert ein Unglück. Dieser bürgerliche Kommunikationsimperativ ist bezeichnend für die familiäre Intimität und das gegenseitige Vertrauensverhältnis zwischen den engsten Familienmitgliedern.[5] Aufgrund dessen führt das Verschweigen eines Vorfalls eines oder mehrerer Familienmitglieder dazu, dass man sich schuldig macht.

Im Verlauf meiner Hausarbeit werde ich verdeutlichen, dass Schuld als moralische Emotion und zentraler Aspekt des bürgerlichen Trauerspiels zu interpretieren ist, der in Lessings Emilia Galotti aus dem Verstoß gegen die bürgerlichen Normen entsteht und mangels Kommunikation zum tragischen Ende der Handlung führt.[6] Des Weiteren reflektiert die bürgerliche Trauerspielthematik, die von Shakespeare begründet wurde und dann von Lessing 1755 für sein erstes bürgerliches Trauerspiel Miss Sara Sampson übernommen worden war, die gesellschaftlichen Veränderungen dieser Zeit, als das Bürgertum den 3. Stand repräsentiert. Somit ist die Ständeklausel charakteristisch für die damalige Gesellschaftsstruktur des 18. Jahrhunderts, die Adel und Bürgertum voneinander trennt. Das Motiv des bürgerlichen Trauerspiels, das den gemischten Charakter mit Fehlern anstatt heroischer Gestalten darstellt und den Schauplatz der Tragik in die Familie verlegt, wurde auch von Schiller in seinem dritten Drama 1783-84 Kabale und Liebe übernommen.[7] Hinzu kommt der Kontrast der damaligen Gesellschaftsstruktur des 18 Jahrhunderts zwischen dem dekadenten Adel, der in den bürgerlichen Dramen Lessings und Schillers als unselbständig und intrigant dargestellt wird, und der bürgerlichen Familie, die durch ihr Tugendhaftigkeit und Selbständigkeit charakterisiert wird.[8] In meiner Hausarbeit werde ich mich jedoch, anhand von Lessings Emilia Galotti und Sara Sampson wie auch Schillers Kabale und Liebe , mit der Problematik der Weiblichkeit im bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jahrhunderts befassen und den Aspekt der Schuld im juristischen, psychologischen, theologischen, philosophisch-moralischen und literarischen Sinn erläutern. Für meine Hausarbeit ist besonders der philosophisch-moralische Aspekt relevant. Folglich werde ich das Konfliktmodell in Lessings 1772 uraufgeführtem bürgerlichem Drama Emilia Galotti darstellen, das den Schuldaspekt im Drama bedingt. Anhand dessen werde ich erläutern wie sich Emilia schuldig macht, indem ich ihre Schuldfähigkeit für den tragischen Handlungsablauf des Dramas analysiere. Abschließend werde ich mich mit dem Opfertod der Protagonistinnen des bürgerlichen Trauerspiels in Lessings Emilia Galotti und Sara Sampson wie auch in Schillers Kabale und Liebe , als Möglichkeit, von Schuld freigesprochen zu werden, befassen.

2 Das bürgerliche Trauerspiel

Der Held des bürgerlichen Trauerspiels ist, im Gegensatz zur klassischen Tragödie, die Tochter der bürgerlichen Familie.[9] Sie repräsentiert die Tugend und Moral der bürgerlichen Familie. Der Held der klassischen Tragödie hingegen ist ein Fürst oder ein Mitglied des Hochadels, wobei der Bürger vor dem bürgerlichen Trauerspiel nur in Komödien vorkommt. Das im 18. Jahrhundert neu aufkommende bürgerliche Trauerspiel kann also als „Prozeβ der Einebnung gesellschaftlicher Unterschiede durch Anhebung des Bürgertums verstanden werden“.[10] Im Folgenden werde ich anhand der Tragödientheorie, die als eine Wirkungsästhetik, um Emotionen beim Zuschauer hervorzurufen, definiert wird, auf den zentralen Aspekt der Weiblichkeit im bürgerlichen Trauerspiel eingehen.[11] Den Aspekt der Schuld werde ich zunächst im Hinblick auf die Schuld im juristischen, psychologischen, theologischen, philosophisch-moralischen und literarischen Sinn erklären, bevor ich auf den Schuldaspekt im moralisch-philosophischen Sinne bezüglich der Relevanz für das bürgerliche Trauerspiel eingehe.

2.1 Der Aspekt der Weiblichkeit

Der Aspekt der Weiblichkeit im bürgerlichen Trauerspiel ist, nach Birgit Wägenbaur, durch Tugendhaftigkeit und Empfindsamkeit charakterisiert.[12] Diese tugendhafte Weiblichkeit, die sich im privaten Bereich der Familie entfaltet, repräsentieren die Töchter Emilia, Sara und Luise des bürgerlichen Trauerspiels bei Lessing und Schiller. Dieses tugendhafte Weiblichkeitsideal ist, nach Wägenbaur, explizit bürgerlicher Natur, wodurch das Ethos des Erduldens von Leid vertreten wird. Die Heldin des bürgerlichen Trauerspiels, so Wägenbaur, kann somit nur ihr Rolle ausfüllen, wenn sie „eine geradezu absurde Aktivität und Ausdauer im Leiden“[13] entwickelt, was sich mit einer leidenschaftlichen, selbständigen und hochgebildeten Heldin nicht vereinbaren lässt. Somit wird der Weiblichkeitsentwurf im bürgerlichen Trauerspiel zu einem Versuch, die Wertungskategorien zu vertauschen, wie Wägenbauer schreibt, das heißt, Schwäche in Stärke umzuwandeln.[14] Daher, so Wägenbaur, beruht die weibliche Identität im bürgerlichen Trauerspiel auf dem Geschlechterunterschied und entsteht aus dem Gefühl der Schwäche. Das Gefühl der Schwäche resultiert demnach aus einer anderen Machtkonstellation, die beinhaltet, dass die Tochter der bürgerlichen Familie, wie im Trauerspiel, nur das Beistück für eine andere Familie ist, da sie den väterlichen Namen nicht weitergeben kann. Durch das Weiblichkeitsideal des bürgerlichen Trauerspiels ist die Tochter, in diesem Fall Emilia Galotti, der Willkür feudaler Gewalt sowie den restriktiven Moralvorstellungen ihrer Klasse ausgesetzt und ist somit, als Tochter und zukünftige Ehefrau der Macht des Vaters und ihres Verlobten unterworfen.[15] Deshalb, so Anna Marx, ist Emilia nicht nur wehrloses Objekt absolutistischer Willkür und bürgerlichen Ethik, sondern auch Opfer des männlichen Begehrens. Damit lässt sie das männliche Begehren unschuldig schuldig werden und ihre „sexuelle Reinheit“ einbüßen.[16]

[...]


[1] LUNDGREEN, Peter: Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Göttingen 2000, S. 319.

[2] Ebd. S. 250.

[3] MEYER-SICKENDIEK, Burkhard: Affektpoetik. Würzburg 2005, S. 13.

[4] Ebd. S. 14.

[5] KAISER, Gerhard: Krise der Familie. In: Recherches Germaniques. Strasbourg 1984, S. 7.

[6] MEYER-SICKENDIEK, Burkhard: Affektpoetik. Würzburg 2005, S. 41.

[7] MARTINO, Alberto: Geschichte der dramatischen Theorien. Tübingen 1972, S. 363.

[8] LUNDGREEN, Peter: Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Göttingen 2000, S. 195.

[9] MEYER-SICKENDIEK, Burkhard: Affektpoetik. Würzburg 2005, S. 188.

[10] MARTINO, Alberto: Geschichte der dramatischen Theorien. Tübingen 1972, S. 373.

[11] Ebd. S. 362.

[12] WÄGENBAUR, Birgit: Die Pathologie der Liebe. Berlin 1996, S. 161.

[13] Ebd. S. 162.

[14] Ebd. S. 162.

[15] MARX, Anna: Das Begehren der Unschuld. Freiburg im Breisgau 1999, S. 312.

[16] MEYER-SICKENDIEK, Burkhard: Affektpoetik. Würzburg 2005, S. 191.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Weiblichkeit und Schuldbegriff im bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jhs.
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V62124
ISBN (eBook)
9783638554299
ISBN (Buch)
9783640506248
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit diskutiert die Schuld der Frau in Lessings Emilia Galotti und Sara Sampson so wie den Schuldbegriff der Frau in Schillers Kabale und Liebe, hinsichtlich dem Konflikt zwischen den höfischen und bürgerlichen Moralvorstellungen.
Schlagworte
Weiblichkeit, Schuldbegriff, Trauerspiel
Arbeit zitieren
Hildegard Schnell (Autor:in), 2006, Weiblichkeit und Schuldbegriff im bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jhs., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62124

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