Minimalistische Architektur von Luis Barragán


Studienarbeit, 2009

57 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Luis Barragán: Leben und Schaffen:
a) Biographische Daten
b) Schaffensperioden
c) Persönlichkeit des Architekten

II. Gestaltungselemente:
a) Geometrie
b) Mauer
c) Farbe
d) Licht
e) Wasser

III. Beispiele:
a) Atelierhaus von Luis Barragán
b) Haus Francisco Gilardi
c) Las Arboledas
d) Stallungen San Cristobal

IV. Fazit

Anhang: Abbildungen

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

I.

a) Biographische Daten

Barragán wurde 1902 in Guadalajara, Mexiko geboren.

1905-1918 verbringt er seine Kindheit und Jugend auf dem Familiengut Corrales. Er lebt mit der ländlichen Umgebung, dem Pferd, der volkstümlichen Architektur und den Volkstraditionen. Die Erinnerung an diese Welt verleiht seinem späteren Werk den poetischen Charakter.

1919-1923 studierte er in der Ingenieurschule von Guadalajara; 1926 fängt seien Karriere als Architekt und Landschaftsarchitekt an.

Seine Umwege zur Architektur waren durch seine persönliche Lebensgeschichte, seine Reisen, seine Lektüre und seine Freunde geprägt. Vielleicht liegt darin der Grund für die Weitschweifigkeit seiner Werke.

Barragáns„Bei meiner Aktivität als Architekt waren die Farben und das Licht stets eine Konstante von wesentlicher Bedeutung. Beides sind Grundelemente bei der Erschaffung eines Raums, da sie dessen Konzepte variieren können.“[1]

ns Schaffen erstreckt sich über fünf Jahrzehnte. Zwischen 1927, als er den Umbau des Hauses Robles Leon in Guadalajara übernahm, und 1981, als er in Mexiko-Stadt das Haus für Barbara Meyer entwarf, (das als sein letztes Projekt gilt) baute der Architekt Ende der zwanziger/Anfang der dreißiger Jahre etwa vierzehn freistehende Villen in seiner Heimatstadt, anschließend, zwischen 1936 und 1940, eine Reihe von Häusern und Wohnblöcken in Mexiko-Stadt. Nach der Gestaltung des Wohnbezirks Pedregal de San Angel baute er in den vierziger Jahren zwei Häuser im Stadtviertel Tacubaya. Diese bilden zusammen mit den landwirtschaftlichen Gehöften und mehreren Häusern, die er ab den fünfziger Jahren in Mexiko-Stadt baute, den Kern seines Schaffens. Daneben gibt es noch mehrere Projekte aus den fünfziger und sechziger Jahren, die nie über das Entwurfsstadium hinauskamen.

Während langer Zeit wurden die Arbeiten Barragans in Mexico nur von einer kleinen Gruppe von Leuten hochgeschätzt. Dagegen fand seine Architekturarbeit als Landschaftsgestalter im Ausland eine gewisse Anerkennung. 1976 organisierte das Museum of Modern Art in New York eine Ausstellung über sein Werk. Im Jahr 1980 wurde ihm zudem der Pritzker Preis zugesprochen; in beiden Fällen war die Unterstützung und Teilnahme von Johnson von großer Wichtigkeit. Erst 1978 wurde ihm in Mexico der Nationalpreis überreicht. Im Museum Tamayo fand 1985 auch eine Ausstellung über seine Arbeiten statt, und in Lateinamerika erhielt er 1987 den Amerika-Preis.

c) Schaffensperioden

Barragans Schaffen lässt sich in drei Perioden gliedern, die sich jeweils durcheine eigene architektonische Sprache auszeichnen.

1. Periode:

Die erste Periode reicht von 1926 bis 1931 und ist mit Barragans Jugendjahren in Guadalajara verknüpft. Die in dieser Zeit erbauten Häuser sind von der mediterranen Kultur beeinflusst, die er während seiner ersten Europareise (1924/1925) in sich aufgenommen hatte.

Am Beginn seiner Entwicklung waren die Elemente der Mittelmeerarchitektur die wichtigsten Elemente seiner Arbeiten. Viele seiner ersten Werke in der Stadt Guadalajara sind praktisch unbekannt, einige davon bestehen nicht mehr. Die markantesten Bauwerke dieser Periode sind die Häuser Cristo, Gonzalez Luna (Abb.47-49) und Aguilar.

2. Periode:

Die zweite Schaffensperiode, in der er eine neue Auffassung seiner Tätigkeit als Architekt entwickelt, wurde nach seiner zweiten Europareise im Jahre 1931/32 eingeleitet. Sie beginnt mit einigen Projekten in Guadalajara und umfasst die ersten Jahre in Mexiko-Stadt bis 1940. In diesen Jahren war Barragán vom Rationalismus stark beeinflusst. Diese Periode besitzt innerhalb seines Gesamtwerkes keinen allzu großen Wert, ohne die hätte Barragán jedoch nie dieses Niveau der minimalistischen Feinheit und Einfachheit seiner späteren Meisterwerke erreicht.

Diese Periode hatte nichts mir der vorhergegangenen zu tun. Die Mauern wurden jetzt absolut flach, das Konzept der Plattform wird radikalisiert, das Flachdach wird als ein weiteres Zimmer geplant, d.h. das Gebäude beginnt als eine einfache Kiste verstanden zu werden. Es handelt sich um gut proportionierte Häuser mit sauberer Linienführung und glatten Texturen, in denen die Werkstoffe nicht mehr die traditionellen sind, sondern Glas, Beton und Eisen.

Die Unterschiede werden nur durch die Texturen und den Glanz markiert. Hier gibt es kein suggestives Spiel mit Licht und Schatten mehr, sondern gelungene plastische Kompositionen.

Es handelt sich um Gebäude, bei denen an Mitteln stark gespart wurde und die eine klare kommerzielle Bestimmung haben. Es sind meistens nichtfreistehende Gebäude mit Apartments und Wohnungen, in denen die Ausnutzug der Fläche, die Wirtschaftlichkeit des Raums und seine Funktionalität im Namen der Rentabilität über allem anderen stehen. Das einzige Element, bei dem der Architekt eine gewisse Freiheit genießt, ist die Fassade. Die Grundrisse sind nicht besonders interessant (Abb. 50).

3. Periode (1943-1981):

1943wurde mit dem Umbau und der Vergrößerung eines ersten, von ihm bewohnten Hauses in der Calle Francisco Ramirez eine lange Reifeperiode eingeleitet, in der er die früheren Einflüsse und seine bisherigen Studien zu einer Synthese zusammenführen konnte.

In dieser Zeit kehrte Barragán zu seinen Wurzeln, seine Ursprüngen zurück und veränderte sein Werk tiefgreifend. Es handelte sich dabei um einen langsamen, schrittweisen Prozess, der ihm das Ausschöpfen verschiedener Quellenermöglichte, so z.B. der Volksarchitektur, des Rationalismus- vor allem desjenigen von Le Corbusier- oder des Neoplastizismus, dem er die Raumplanung und die Farbgegensätze entnahm.

Die freistehenden Häuser, die den Großteil der Aufträge dieser dritten Schaffensperiode ausmachen, wurden in enger Zusammenarbeit mit ihren Bewohnern entworfen. Barragans Auftraggeber waren Kunst- und Architekturliebhaber und gehörten der oberen Gesellschaftsschicht an. Sie ließen dem Architekten große Freiheit bei der Interpretation des Auftrags und zeigten viel Geduld, was die Dauer des Bauprojekts anbelangte. Diese Wohnhäuser sind Ausdruck der typisch mexikanischen Lebensart, d.h. die Räume sind nach innen ausgerichtet, und die für das Gemeinschaftsleben bestimmten Bereiche sind besonders großzügig angelegt.

Reisen, Begegnungen und Bücher haben sein Werk in vielfältiger Weise beeinflusst. Seine mexikanischen Wurzeln liegen in den volkstümlichen Traditionen aus der Welt seiner Kindheit und im Erbe der Ureinwohner aus prähispanischer Zeit, aber auch in mediterraner Kultur, die mit der Eroberung durch die Spanier nach Mexiko gekommen war. Ebenso schöpfte er aus den Quellen der Moderne, deren höchst sinnbildliche Ausprägungen ihn interessierten.

Der Bildhauer Mathias Goeritz, der als erster Barragans Werk als emotional bezeichnete, verglich ihn wiederum in seinen architektonischen, bildhauerischen und malerischen Qualitäten mit Le Corbusier und stellte bei beiden dieselbe Fähigkeit fest, „die Ästhetik und die Funktion spirituellen Werten unterzuordnen“[2].

c) Persönlichkeit von L. Barragán

„Stellen Sie mir keine Fragen zu diesem oder jenem Werk, suchen Sie nicht danach, wie ich es gemacht habe, sondern sehen Sie das, was ich gesehen habe“ (Luis Barragán)[3]

Barragán war ein zurückhaltender, fast verschlossener Mensch mit einer komplexen Persönlichkeit. Die ihm Nahestehenden schildern ihn als nachdenklichen Menschen mit tiefem religiösem Empfinden.

Als äußerst sensibler Charakter hatte Barragán leichten Zugang zu einer imaginären Traumwelt und blieb zugleich offen für die Außenwelt und den Zeitgeist: „Ich werde von allem beeinflusst, was ich sehe“, erklärte er[4]. Gleichzeitig jedoch übte die Einsamkeit große Anziehungskraft auf ihn aus und er strebte nach einer askeseähnlichen Schlichtheit.

Seine zeichnerische Produktion war relativ bescheiden; außer knappen Entwürfen oder rasch hingeworfenen Farbskizzen zeichnete er wenig. Sein völlig intuitives Vorgehen charakterisiert sich durch eine langsame Reifung des Projekts und eine ebenso langwierige Ausführung, die häufig selbst auf der Baustelle noch in Frage gestellt wurde. „Wenn ich mit einem Projekt beginne, leite ich es üblicherweise ein, ohne einen einzigen Stift in die Hand zu nehmen, ohne jegliche Zeichnung, ich setze mich hin und versuche mir, die verrücktesten Dinge vorzustellen…Ich entwerfe nicht am Tisch oder am Zeichenbrett. Ich gebe meine Skizzen einem Zeichner und wir beginnen, die Grund- und Aufrisse zu zeichnen. Fast immer bauen wir Pappmodelle, um sie zu bearbeiten und kontinuierlich Änderungen daran vorzunehmen“[5] - erklärte Barragán selbst.

Es war also ein zum größten Teil von der Intuition geleiteter schöpferischer Prozess, ein langsames Forschen. So entwarf er im Kopf einen Rundgang, den er seinen Auftraggebern und seinen Mitarbeitern beschrieb, die detaillierte Beschreibung seiner inneren Bilder. Mit Hilfe der Modelle konnte der Architekt die Position, Länge, Höhe und Verbindung der Mauern und so entstehende Wirkung auf Menschen ausprobieren. Bis zuletzt wurden die wichtigsten Elemente des Projekts verändert. Die Pappmodelle erlaubten dem Architekten so viele gestalterische Alternativen auszuprobieren, bis er die „ansprechendste“ gefunden hatte; als Ergänzung der Aufrisszeichnung trugen sie auch dazu bei, diese zu präzisieren. So stellte er sich für die Mauer des Futtersilos von San Cristobal neben anderen Varianten eine Reihe hoher, schmaler Durchbrüche vor, um sich schließlich für eine massiver wirkende, fast fensterlose Wand zu entscheiden.

Dieses Streben nach exakten Proportionen und Präzision bis ins Detail zeugt von der intensiven Suche nach der exakt richtigen Raumgestaltung und kennzeichnet Art und Weise, wie das Projekt auf der Baustelle Gestalt annahm.

II. Gestaltungselemente

„Bei meiner Aktivität als Architekt waren die Farben und das Licht stets eine Konstante von wesentlicher Bedeutung. Beides sind Grundelemente bei der Erschaffung eines Raums, da sie dessen Konzepte variieren können.“[6]

Das Werk von Luis Barragán zeichnet sich durch eine einzigartige Ausdrucksstärke und poetische Kraft aus; es bestätigt die Bedeutung des Innerlichen, die verfeinerte Eleganz, die durch minimale und bescheidene Mittel erzeugt wird.

Alle Komponenten, die dem mexikanischen Universum eigen sind, die Kontraste zwischen Licht und Schatten, die plastische Kraft von Material und Farbe, die geometrische Schlichtheit der einheimischen Architektur, die konstruktive und funktionale Strenge der Kolonialbauten, alle diese Elemente müssen in der architektonischen Recherche Barragans Berücksichtigung finden.

Kennzeichnend für die Raumvorstellung Barragáns ist der Wechsel zwischen den Polen Geschlossenheit und Offenheit, Fragmentierung und Ineinanderfließen. Die Räume werden durch Licht und Schatten nach innen gekehrt, unterteilt, rhythmisiert. Ihre Wahrnehmung ist mit den Sinnen und der Bewegung verbunden. Sein räumliches Denken basiert auf der Idee eines Weges, in dessen Verlauf Mauern, Licht, Material, Farbe, Wasser mit der Präzision eines Bühnenbilds eingesetzt werden und in dessen Mittelpunkt der Mensch steht. Diese Gestaltungselemente dienen dazu, die Aufmerksamkeit auf sich zu konzentrieren oder sie sind oft auch dazu da, auf andere Objekte zu verweisen und deren Wirkung zu steigern. Gleichzeitig steigert sich ihr eigener Wert.

a) Geometrie

In seiner Reifeperiode ging Barragán beim architektonischen Entwurf stets vom Inneren zum Äußeren vor. Es entstanden Fassaden, deren Nüchternheit die Komplexität und die Großzügigkeit der Innenräume verbargen. Die zur Strasse gewandten Fassaden sind nahezu geschlossene Mauern, die nur für den Lichteinlass durchbrochen werden (Abb. 21). Sie drücken Zurückhaltung und ein gewisses Streben nach Einfachheit aus, die sei auf natürliche Weise in ihre Umgebung integrieren. Barragans Häuser fügen sich sehr gut in ein Stadtviertel ein, das aus bescheidenen Häusern besteht. Die Fassaden sind oft nur an einer einzigen Öffnung (wie beim Haus Gilardi) oder an der geometrischen Form eines hervorstehenden Fensterrahmens zu erkennen (Häuser in der Calle Francisco Ramirez). Dem Blick der Öffentlichkeit bietet sich fast immer eine lange undurchsichtige Mauer, mal verputzt, mal aus unbehauenen Bruchsteinen, hinter der sich die Wohnung mit ihrem Innenleben und ihren sparsamen Öffnungen verbirgt.

Die Strukturierung der Außenblöcke und der Innenräume basiert auf elementaren Baukörpern und Grundrissen. Die Innenaufteilung zeigt eine Wechselwirkung und ein Ineinandergreifen der kubischen Baukörper.

„Ich habe stets mit rechten Winkeln gearbeitet. In jedem Moment meiner Arbeit habe ich die horizontalen und vertikalen Ebenen und die Schnittwinkel bedacht. Dies erklärt die häufige Verwendung des Kubus in meiner Architektur.“[7]

Alle Konstruktionselemente werden von einer Auffassung von Raum und Form bestimmt, die auf dieser strengen Rechtwinkligkeit basiert. Barragán war überzeugt, dass die traditionellen Bauformen eine einfache räumliche Geometrie erzeugen. Alles unterliegt der Logik des rechten Winkel: Mauern, Pfeiler, Balken, Treppen, Fenster- und Türöffnungen, aber auch Möbel und Einbauten.

Wohnraum wurde von Barragán entsprechend der mexikanischen Lebensart so geplant, dass er eine intime und nach innen gerichtete Atmosphäre vermittelt und dem Bedürfnis nach Umhüllung und Schutz gerecht wird.

Das Haus ist in sich geschlossen, wie bei den um einen Innenhof angelegten Anwesen, bei denen nur das innerste zum Himmel hin offen ist. Bei den Häusern von Barragán gibt es keine Zentralen Innenhof, sondern eine nicht sehr große Einfriedung, die von hohen Mauern umgeben ist. Der Innenhof von Barragán ist nicht der „Verteilungsort“ zu den verschiedenen Räumen, sondern ein Empfänger von Licht und Schatten, eine Art Zimmer im Freien. Die Dachterrassen bieten oft eine Überraschung: kein Blick über die Stadt, sonder eine surreale Perspektive, von Mauern umgeben; es ist ein Ort der Meditation und Ruhe (Abb. 10, Abb.24). Die Wände sind so hoch gezogen, um jeden Gedanken an die dahinter liegende chaotische Metropole auszuschließen. Außerdem bieten geschlossene Höfe und hohe Terrassen im urbanen Umfeld gute Rückzugsmöglichkeiten. Die Mauern erzeugen die Wirkung räumlicher Verdichtung, die das Gefühl von Ungestörtheit bewirkt. Diese nüchternen Orte sind zum blauen Himmel hin offen und werden nur von den durchziehenden Wolken belebt (Abb. 24).

Dabei ist es wichtig zu wissen, dass die für Barragán typische Vorgehensweise, erst auf der Baustelle vom Inneren aus den Raum zu erschaffen, die Grundlage seines Planungsprozesses ist. Dieser Umgang mit dem Raum basiert auf einer räumlichen Vorstellung, bei der die Abfolge der Blickwinkel, Wiederkehrendes, zu Entdeckendes, Verborgenes oder Angedeutetes, Atmosphärisches im Vordergrund stehen. Das war kein methodisches Vorgehen, sondern ein intuitiver Prozess, der darauf ausgerichtet war, die Poesie des Raumes und die Idee des Schönen auszudrücken.

b) Mauer

Das wichtigste bauliche Element der Architektur Barragans ist die Mauer. Mauer als reine Oberfläche, ohne weitere Akzente, asketische Nacktheit, lakonisch.

Bei jedem Projekt bildet die räumliche Anlage eine Einfriedung. Es entsteht ein idealer Ort abseits der geschäftigen Außenwelt. Gleichzeitig kann man die landschaftlichen Anlagen (wie z.B. in Pedregal) wegen ihrer Weitläufigkeit nicht als eingegrenzte Orte bezeichnen. Die farbige Mauer umhüllt und betont sie. Ihre einfache geometrische Form und ihre Proportionen verleihen ihr etwas Monumentales. Sie gliedert die umgebene Natur, bildet eine Trennwand zur Begrenzung oder Verhüllung des Hintergrunds, umrahmt Perspektiven, um die Schatten einzufangen und das räumliche Szenario zu strukturieren. Sie fokussiert den Blick und dient als Wegweiser entlang der verschiedenen Abschnitte, die sie begrenzt. Diese Mauern verbergen die Räume, lassen rätselhaftes erahnen und laden gleichzeitig zur Erkundung ein.

Die Mauer dient aber auch nicht nur zur Begrenzung des Raums, dem sie seine Dimension und seine Umhüllung gibt, sondern ist auch Projektionsfläche für die Spuren der Tageszeit.

Die Stofflichkeit der Mauer tritt durch die Leibungen zutage, die ihre Dicke betonen (wie im Atelierhaus), oder durch Vordächer; betont wird sie außerdem durch ihre Farbgebung.

c) Farbe

„Luis übernahm von den Ureinwohnern zwei Sinneswahrnehmungen, die in seinem Leben große Bedeutung erlangen sollten: die Farbe und die Struktur, die authentische Elemente der Ureinwohner“[8]. Auch die Lektüre der Werke von Josef Albers und von Johannes Itten, der sich mit der physikalischen Gesetzen, der Harmonie, der Kontrasten und der räumlichen Wirkung von Farben beschäftigte, war für Barragán eine Quelle der Erkenntnis.

„Die Farbe ist eine Ergänzung der Architektur, sie dient dazu, einen Raum größer oder kleiner erscheinen zu lassen. Außerdem ist sie nützlich, um die Spur von Magie hinzuzufügen, die ein Ort braucht“[9].

Wesentliche Merkmale der Mauer sind ihr Material und ihre Farbe. Die Farbe definiert die Mauer, gibt ihr mehr Gewicht und in Verbindung mit Licht verwandelt die Räume und mildert die Schatten. Nie wird die Farbe auf einer glatten Oberfläche aufgetragen, sondern immer auf einer dicken Putzschicht, die der Wand Plastizität und Gegenständlichkeit verleiht.

Die Farbgebung vollendet das Projekt. Die Farbtöne suchte Barragán nach der räumlichen Wirkung und der gewünschten Atmosphäre aus. Die im Raum wirkende Farbe überträgt sich auf den Menschen, der ihn bewohnt; so schöpfte Barragán ihre Fähigkeit aus, Empfindungen zu erzeugen. Im Haus Galvez wird beispielsweise der enge Gang zu dem Schlafzimmer in ein warmes Licht getaucht, das von einem einzigen kleinen Fenster mit gelb übermalten Scheiben stammt. So wirkt der Gang größer und scheint sich nach hinten zu diesem hellen Lichtschein zu öffnen. Die ähnliche Wirkung dieser Vorgehensweise ist auch in der Kapelle in Tlalpan zu beobachten (Abb.45).

Barragán bediente sich eines Repertoires an Farbnuancen, die man aus der mexikanischen Volkskunst kennt: Pink, Goldgelb, Ocker, Indigo, Kobaltblau, Mauve. Der Architekt verwendete die intensivsten, heitersten Farben und erzeugte so einen wohltuenden optischen Eindruck, eine Atmosphäre, die ein Gefühl der Ästhetik hinterlässt. Er liebte die direkte Zusammenstellung von Rosa und Gelb auf aneinander grenzenden Flächen (Boden und Wand des Speisezimmers im Atelierhaus) oder auch getöntes Glas (in der Kapelle in Tlalpan) oder auch im Zusammenwirken eines goldenen Gemäldes von Goeritz mit dem magentafarbenen Wandverputz (Treppe im Haus Galvez).

Die Farbe wurde zunächst auf provisorische Platten im Format der Mauern aufgetragen. Diese farbigen Platten wurden dann vor die verschiedenen Mauern gestellt, beobachtet und in Abhängigkeit vom Licht durch andere ersetzt oder verworfen. Barragán erklärte, dass er die Farben festlegt, nachdem der Raum geschaffen wurde[10].

Die Farbe ist also eine wichtige Komponente des Projekts, auch wenn sie erst in der letzten Bauphase ins Spiel kommt. Sie ist verantwortlich für die räumliche Wirkung. Bei diesen Experimenten und Wahlmöglichkeiten ist sie ebenso eng mit der gestrichenen Fläche und deren Abmessungen, mit den angrenzenden Flächen und dem Baukörper verbunden, den sie charakterisiert, wie mit der Intensität und Art des Lichtes, das auf sie projiziert wird.

Oft bedeckt der gleiche Ton einheitlich unterschiedliche Elemente: Türen, Kanten, Rahmen (Abb.11, Abb.38), Sockelleisten, sodass aus der Wand eine einfarbige Fläche entsteht, die mit den anderen Flächen (wie z.B. dem lavaschwarzen Steinfußboden und dem weiß verputzten Treppenhaus im Atelier von Barragán) kontrastiert.

In den Durchgangsräumen stellt die Farbe eine optische und dem Bedürfnis nach Umhüllung und Schutz gerecht wird. Das Haus ist in sich geschlossen, wie bei den Verbindung nach draußen her. In gleichem Ton mit der Wand gestrichene Decke des Wohnzimmers setzt sich im Haus Galvez (Abb.37) in einem gleichfarbigen Vordach fort. Im Eingangbereich entsteht ein Zimmer im Freien. Die Farbe dient hier als Bindeglied zwischen den beiden Räumen und macht aus dem Draußen ein Drinnen.

In den Innenräumen sorgt die Farbe für Metamorphosen und Stimmungen. In den Außenräumen – geschlossenen oder offenen Höfen, Terrassen – stellt sich die Beziehung zum Inneren her, begrenzt die Flächen, individualisiert die Baukörper und harmonisiert die Gesamtkomposition. Im Freien, wo die Mauer als strukturierendes Element des Landschaftsraumes dient, bildet die Farbe starke Kontraste zu den Farben der Natur und geometrisiert die Flächen (Abb.23, Abb.36).

Wichtig ist die Fähigkeit der Farbe, die auf ihren psycho-physiologischen Eigenschaften beruht, im Raum eine gewisse Sensibilität und Sensualität zum Ausdruck zu bringen. Im Zusammenwirken mit dem Licht ist sie entscheidend für den emotionalen Charakter des Ortes.

d) Licht

Die intensive Sonneneinstrahlung motivierte Barragán dazu, nach Lösungen zu suchen, die Halbschatten und frische Kühle erzeugten. Bei den meisten Innenräumen setzte Barragán den Schatten sowohl als Schutz vor dem für Mexiko typischen intensiven Sonnenlicht ein als auch zur Schaffung einer ruhigen Atmosphäre.

Die Gestaltung von Raum mit Licht ist typisch für Barragán. In jedem Haus entwickelt sich ein Weg von einem kleinen Segment zu einem größeren, von einem geschlossenen zu einem offenen Teil, vom Schatten ins Helle. Ausgangspunkt für diese Gestaltung ist ein Szenario, bei dem jede Sequenz von den Maßen der Baukörper und den Variationen des Lichts charakterisiert ist. Der Architekt erzeugt mit verschieden Quellen eine natürliche Beleuchtung und variiert deren Intensität vom punktuell eingesetzten, blendend hellen Licht bis zum tiefsten Schatten. Der Raum erhält dank einer Palette von Lösungen für den Lichteinfall, die mit dem Lauf der Sonne verschiedene Abstufungen von Dämmerlicht bewirken, eine eigene Dynamik.

So reduziert das intensive Licht dreidimensionale Baukörper scheinbar auf nebeneinander liegende Flächen, die lebhaften Farben der verputzten Mauern verblassen. So scheinen zwei im Winkel zueinander stehende Mauern, die eine vom Licht beschienen, die andere in Schatten getaucht, sich zu einer einzigen, nur von einer sauberen, geraden Linie unterteilten Fläche zu verbinden (Abb.41). Die Mauern sind Reflexionsflächen für die Sonne, und die Fassaden werden als glatte Flächen wahrgenommen, und nicht las Baukörper mit räumlicher Tiefe. Die Tiefe ist beschränkt auf die Dicke der nebeneinander liegenden Flächen.

Barragán arbeitete mit dem Licht wie mit einem Werkzeug zur Charakterisierung des Raumes und maß ihm wie der Farbe eine emotionale Bedeutung bei. Licht verleitet zur Bewegung und leitet sie. So wird in der Eingangshalle des Atelierhauses oder bei Barbara Meyer der Blick als erstes auf einen hellen Lichtschein gelenkt, der von der Treppe ausgeht.

Der Architekt versuchte auch, die Lichtintensität durch Mauerndurchbrüche zu Räumen wie Innenhöfen und hohen Terrassen zu regulieren und zu dämpfen. Diese absorbieren das Licht und lenken es von der Seite ins Innere (Abb.43).

Durch das gedämpfte, sanfte Licht, das durch die vor der Fassade angebrachten Filter oder durch mobile Bauelemente eindringt, entsteht das Halbdunkel. (Abb. 45, Abb.46). Es modelliert die Räume und schafft eine Tiefe, in der die Konturen unscharf werden.

Die Suche nach dem Halbdunkel, das lineare Spiel der Schatten auf der Wandfläche und das Flächigwerden der Baukörper, dies sind die wichtigsten Elemente in der Raumkonzeption Barragans.

Während Barragán bestrebt war, die Innenräume vor allzu hellem Licht zu schützen, bemühte er sich, in den nur spärlich beleuchteten Durchgängen den Eindruck von Sonnenlicht zu erwecken. Um Lichteffekte zu erzielen, verwendete er getönte Fensterscheiben in Gelb- und Orangentönen oder übermalte Scheiben, bei denen die Struktur der Pinselstriche dem Licht Substanz und Farbnuancen verleihen.

Das Licht bringt auch die Farben zum Leuchten. So verändert sich der Farbton der Rosa-Mauer (Abb. 40) im Tagesverlauf von einem blendenden Weiß, wenn die Sonne am höchsten steht, bis zu einem ins Violette spielenden Dunkelrosa, wenn sie untergeht. Bläuliche Schatten fallen dann auf diese beiden hohen Senkrechten und schneiden sie schräg ab. Von Moment zu Moment scheinen die Mauern hervor- und zurückzutreten und verändern das Aussehen des Innenhofes vollkommen. Die Plastizität der Farbe und das Spiel der Linien, das der Schatten mit dem Licht auf den Flächen hervorruft, werden so genutzt, um die Mauer und den Raum zu verwandeln.

e) Wasser

Bei allen Projekten von Barragán gehört das Wasser als wesentlicher Bestandteil dazu, sei es der dünne Strahl, der sich in ein Steingefäß ergießt (Garten des Atelierhauses), das Wasser in einem Bassin (Kapelle von Tlalpan), das Wasser auf einem Grund aus kleine behauenen Steinen (Innenhof des Atelierhauses und des Hauses Galvez), ein flaches Becken zum Auffangen des Regenwassers (Haus Prieto Lopez), ein Wasserbecken, das den räumlichen Aufbau verdichtet (Wohnraum des Hauses Gilardi), zuweilen aufgewühlt von einem rauschenden Wasserstrahl (Hof von San Cristobal, Las Arboledas, Los Amantes) oder von den schwarzen Lavafelsen des Terrains verwirbelt (Schwimmbecken im Haus Prieto Lopez).

Das Wasser steht oft im spielerischen Kontrast zum Stein. Es verstärkt noch die dunkle Tönung des Vulkangesteins, das in den Gärten und Innenhöfen häufig zu finden ist.

Wenn es als Wasserfläche in den Becken stehen bleibt, verdoppeln sich durch seine Spiegelung die geometrischen Linien der Mauern. Wenn es in Kaskaden herabstürzt oder als feiner Strahl weiterfliesst, steigert das Glitzern seiner Tropfen die Poesie des Ortes.

An jedem Ort, den Barragán mit dem Element Wasser gestaltete, strebte er danach, durch den Raum Emotionen zu wecken.

III. Beispiele

a) Atelierhaus von Luis Barragán

Mexiko-Stadt, 1947

Einen Höhepunkt architektonischer Arbeit von Barragán stellt in gewisser Weise sein Atelierhaus dar. Die Casa Barragán befindet sich in einer ruhigen Sackgasse in Tacubaya, am Stadtrand von Mexiko-City. Die Front des zweigeschossigen Hauses ist in ihre schlichte Nachbarschaft eingebettet, ohne in besonderer Weise hervorstechen zu wollen; bemerkenswert sind auf der Straßenseite höchstens der weiße Turm und die hohen Lichtfenster.

Das von Barragán geplante Haus, in dem er lebte, stellt eine Synthese dessen dar, was ihm bei seiner Art, Architektur zu entwerfen, wichtig war. Das gesamte Gebäude - einschließlich der Gänge und des Gartens – soll ein Gefühl der Innerlichkeit verstärken. Die Raum Aufteilung entwickelt sich aus dem Zentrum des Hauses, das vom riesigen Wohnraum mit Bibliothek eingenommen wird. Der Rundgang beginnt in der kleinen Eingangsdiele, in der man einen ersten Eindruck von Barragáns ausgewogenem Umgang mit Licht, Raum, Farbe und Material erhält und die wie eine Art „Schleuse“ wirkt. Doch dann öffnet sich das Vestibül und schockt mit dem "lauten" Pink. Am Ende der Treppe des Vestibüls reflektiert eine goldene Leinwand die hereinströmenden Sonnenstrahlen und wirft sie in den rosa Raum. Das Spiel von Licht und Schatten und der weitere Gang durch das Haus ist eine Inszenierung. So läuft man - nachdem sich die Tür an der Stirnseite des Vestibüls öffnet - gegen eine weiße Wand. Links versperrt ein Paravent aus Pergament die Sicht - und erst wenn auch dieser überwunden ist, öffnet sich der Raum zum zentralen Bereich des Hauses - dem Wohnzimmer. Der große, doppelt hohe Raum ist von verschieden hohen Trennwänden unterteilt und muss Stück für Stück erkundet werden. Die einzigartige Raumaufteilung der Casa Barragán lebt insbesondere von den wechselnden Höhen der Teilwände, welche die Imagination über das dahinter Verborgene provozieren, und der Vielzahl spannender, die Aufmerksamkeit des Besuchers immer wieder aufs Neue einfangender Details. Die Halbhohen Zwischenwände ändern nichts an der Einheit des Ganzen, die Durch die Deckenbalken hergestellt wird. Diese Wände bilden mehrere Bereiche, die teilweise einfache Raumfragmente sind, teilweise in mehreren Abstufungen lichtgeschützte Orte, die die Konzentration fördern. Eine Holztür durchbricht die monochrome Fläche der Wohnzimmerwand. Wie ein Bild hängt sie oben in der Wand und die Stufen der geländerlosen Holztreppe verbinden sie mit dem Boden, ein statisches und handwerkliches Meisterwerk.

Während das Fenster zur Straßenseite ausschließlich als natürliche Lichtquelle dient und so die häusliche Privatsphäre wahrt, dienen die Fenster im hinteren Teil des Hauses als maximale Öffnung zu dem verwilderten Garten, der sich dort befindet. So scharf die Trennung von Innen und Außen zur Straße hin gezogen ist, so unmerklich verläuft diese Trennungslinie im hinteren Bereich des Hauses, der trotz aller Offenheit einen hohen Grad an Intimität zu wahren vermag. Eine surrealistisch anmutende Terrasse führt in den Garten, der ganz den Vorstellungen eines Ortes der Besinnung gerecht wird. Vom Wohnzimmer aus blickt man auf den beinahe urwaldähnlichen Garten, dessen Mauern praktisch vollständig mit Efeu zugewachsen sind. Ein Garten , in dem die scheinbare Unordnung einer Absicht gehorcht und der dieselbe Ruhe ausstrahlt wie das Haus; man sieht ihn durch ein großes eingemauertes Fenster mit im Kreuz angeordneten Sprossen, die das Mystische der Architektur noch unterstreichen. Umgeben werden Terrasse und Garten von hohen Mauern aus naturbelassenem Gestein, die den Blick auf nichts als den Himmel freigeben. Seine Privaträume legte Barragán auf die ruhigere Gartenseite. Die umliegende Natur, „limitiert in ihrer Größe, wächst zwischen den Silhouetten der Mauern, Mauern des Zurückdenkens und der Erinnerungen, verdunkelte Labyrinthe, die uns durch ihre Texturen und die Schönheit ihrer Ordnung erfreuen, Perspektiven, die uns zum Entdecken des Raumes anregen“[11].

[...]


[1] Luis Barragan, Raum und Schatten

[2] Raum und schatten

[3] Raum und schatten

[4] Raum und schatten

[5] Raum und schatten

[6] Luis Barragán, Raum und Schatten

[7] Luis Barragan, Raum und Schatten

[8] Diaz Moralez, Raum und schatten

[9] L.BArragn Licht und schatten, mauer und raum

[10] Licht und Schatten s. 000

[11] Alba, Antonio Fernandez: Baumallee und Mauer, in: Barragan. Das Gesamtwerk, Hrsg. Teresa Santiago, Birkhäuser Verlag, S. 37-41

Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Minimalistische Architektur von Luis Barragán
Hochschule
Hochschule München
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
57
Katalognummer
V139994
ISBN (eBook)
9783640502745
ISBN (Buch)
9783640503056
Dateigröße
5859 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Minimalistische, Architektur, Luis, Barragán
Arbeit zitieren
Lidia Iacobenco (Autor:in), 2009, Minimalistische Architektur von Luis Barragán, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139994

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