Québec und die „Révolution tranquille“: die frankokanadische Gesellschaft und ihre Sprache auf dem Weg zur Emanzipation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

17 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichte Québecs
2.1. Die Entdeckung
2.2. Die Kolonialisierung
2.3. Die Eroberung durch die Engländer
2.4. Das Verhältnis Engländer-Franzosen nach der Eroberung
2.5. „La Révolution tranquille“

3. Sprachliche Besonderheiten des „français québecois“
3.1. Kontinuität der Sprache während der Französischen Revolution
3.2. „Joual“ und „bon usage“
3.3. Phonologische Merkmale des „français québecois“
3.4. Lexikalische Besonderheiten „français québecois“

4. Schluss

5. Literaturangaben.

1. Einleitung

Im Rahmen des Proseminars „Das Französische in Québec: Herkunft, Besonderheiten und Dynamik dieser Varietät“ beschäftige ich mich mit den gesellschaftlichen Umwälzungsvorgängen von der Besiedlung bis in die Gegenwart. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die Sprache der Québecer, das „français québecois“, weil sie eng mit den Umwälzungsprozessen verbunden ist. Ich stelle dabei dar, wie sich die Sprache von der ersten Besiedlung durch die Franzosen bis in unsere heutige Zeit verändert hat und welche Rolle sie für das Bewusstsein der Frankokanadier spielt in Bezug auf die ständige Bedrohung der Sprache durch den dominanten anglophonen Sprachraum.

Im zweiten Kapitel dieser Arbeit beleuchte ich die Geschichte Québecs näher. Zuerst erkläre ich wie es zur Entdeckung Québecs kommt und warum die Entdeckung lange Zeit für Frankreich von geringer Bedeutung bleibt. Es folgt die genauere Betrachtung der Kolonialisierungsgeschichte. Warum kommen erst einhundert Jahre nach der Entdeckung Siedler in die neue Welt? Woher kommen diese Siedler und wie sind ihre sozialen Hintergründe? Welchen Bildungsgrad weisen diese auf. Dann komm ich auf eine Zäsur in der Geschichte Québecs zu sprechen, der Eroberung Québecs durch die Engländer. Um diesen Einschnitt, welcher noch heute von Aktualität ist, da die Québecer den Franzosen vorwerfen sie damals allein gelassen zu haben, verstehen zu können, erläutere ich die entstehenden Folgen des Endes des französischen Regimes, die sich bis ins 20. Jahrhundert bemerkbar machten. An diesem Punkt knüpft das nächste Unterkapitel an, welches vom Verhältnis zwischen Engländern und Franzosen in der Zeit nach der Eroberung handelt. Was passiert mit den Franzosen unter der englischen Vorherrschaft und was passiert mit deren Sprache? Erste soziale Ungleichgewichtungen zwischen Engländern und Franzosen deuten sich bereits an. Am Ende des Kapitels bearbeite ich die nächste große Zäsur der Québecer Geschichte, die „Révolution tranquille“. In ihr entsteht ein sozialer Umwälzungsprozess, welcher die sozialen Ungleichgewichtungen zwischen beiden Kulturgemeinschaften zugunsten der Frankokanadier beseitigt. Ich kläre zunächst, welche Bevölkerungsteile Antriebsmotor dieser Bewegung sind und wie die Regierung der Liberalen versucht gegen die Ungleichgewichtungen vorzugehen.

Das dritte Kapitel ist der Sprache der Québecer gewidmet, dem „français québecois“. Bei ihr handelt es sich um eine archaische Varietät des Französischen, welche vor der Französischen Révolution in Frankreich weit verbreitet ist. Bei ihr haben sich aufgrund des archaischen Charakters einige Besonderheiten im Vergleich zum Französisch, wie es heute in Frankreich gesprochen wird, herausgebildet. Im Laufe der Jahre hat sich eine Umgangssprache, das „joual“ und eine Hochsprache, der „bon usage“, herausgebildet. Diese beiden Sprachniveaus erfahren von der frankokanadischen Bevölkerung unterschiedliche Wertungen. Im Anschluss hebe ich die Aussprachebesonderheiten des „français québecois“ im Unterschied zum „français de France“ hervor. Zuletzt nehme ich mir den Bereich der Sprache vor, der die auffälligsten Unterschiede zum hexagonalen Französisch aufweist, nämlich die Lexik. Welche Faktoren dazu geführt haben, dass heute solche krassen Unterschiede zwischen den beiden Varietäten existieren, soll im Verlauf dieser Hausarbeit geklärt werden.

2. Geschichte Québecs

2.1. Die Entdeckung

Die Entdeckung Québecs ist in der französischen Geschichtsschreibung mit den Namen Giovanni di Verrazzano (ca. 1485-1528) und Jacques Cartier (1494-1554) verbunden. Beide handeln im Auftrag des französischen Königs François Ι. und suchen nach Alternativen zu der von Magellan entdeckten Route nach Asien. Es ist Jacques Cartier der im Jahre 1534 bei einer Entdeckungsfahrt auf den nordamerikanischen Kontinent stößt, genauer genommen auf Québec, und dieses Land für den französischen König in Besitz nimmt. Der Name Quebec, welcher der Sprache der Algonkin-Indianer entstammt, bedeutet so viel wie, „wo der Fluss enger wird“. Gemeint war damit die Stelle am nördlichen Ufer des Sankt-Lorenz-Stroms, an der auch 70 Jahre später Samuel de Champlain, der Gründer der Siedlung Quebecs, anlegen sollte.

Die Entdeckungen bleiben jedoch zunächst für Frankreich von geringer Bedeutung, weil die Route nach Asien nicht gefunden wird und es scheint, dass der entdeckte Kontinent keine Reichtümer, wie Gold und Diamanten, besitze. Aus diesem Grund werden erstmal weitere Explorationen nicht mehr vom König gefördert. Dennoch bleiben Franzosen auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Region präsent. Diese sind zum größten Teil Fischer, die von den reichen Fischerbänken vor der Küste Nordamerikas, angezogen wurden. Ende des 16. Jahrhunderts kommt dann ein weiterer Erwerbszweig mit dem Pelzhandel hinzu. Jedoch kommt es zu der wirklichen dauerhaften Kolonialisierung Québecs oder der „Nouvelle- France“, wie das Gebiet damals noch genannt wird, erst ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts. Vorherige Versuche das Land dauerhaft zu besiedeln, scheiterten an der schlechten Planung, dem fehlenden Know-How, dem harten Klima und am Wiederstand der Indianer.

2.2. Die Kolonialisierung

Die dauerhafte Kolonialisierung beginnt unter Samuel de Champlain im Jahre 1608 mit der Gründung der Stadt Québec an der schon besagten Stelle nördlich des Sankt-Lorenz-Strom. Circa 30 Jahre später kommt es zu weiteren Koloniegründungen stromaufwärts. 1634 wird Trois-Rivières errichtet und kurz darauf im Jahre 1642 schlägt die Geburtsstunde Montreals.

Das Interesse an der „Nouvelle-France“ von Seiten der französischen Krone wächst, da auch die Bedeutung des Pelzhandels und der Fischerei zunehmen. Die ursprüngliche Kolonisierung erfolgt im Gebiet zwischen den drei ersten französischen Siedlungsstädten. Verwaltet wird die Kolonie zunächst von einer Monopolkompanie, welche feudalartig Grund und Boden an die Siedler abtritt. 1663 übernimmt dann der französische König die Administration der „Neuen Welt“. Zuvor kamen nur relativ wenige Auswanderer aus dem Mutterland Frankreich unter anderem, weil die „Nouvelle-France“ oder „Canada“, wie sie ab dem 17. Jahrhundert genannt wird, „im Unterschied zu den englischen Kolonien – wegen der starken Präsenz der katholischen Kirche [Jesuiten] auch kein Hoffnungsgebiet für die Protestanten“[1] ist.

Ab 1663 werden vom französischen König verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um dieses Problem zu lösen. Er schickt circa 1000 Soldaten in die Kolonie, die die französischen Siedler vor den Irokesen schützen sollen. Die Hälfte von ihnen bleibt später als Siedler in der Kolonie. Zudem sendet er rund 800 Waisenmädchen, welche als „Filles du Roi“ bezeichnet werden, in die neue Welt, um das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen auszugleichen. Zuletzt wird der Zugang zu den Handwerken erleichtert. Zwischen Anfang des 17. Jahrhunderts bis zum Jahre 1760 kommen etwa 10.000 Einwanderer aus Frankreich. Aufgrund der für damalige Verhältnisse hohen Geburtenrate zählt Québec bis 1760 insgesamt bereits 70.000 Bewohner. Diese Pioniere, die aus dem Mutterland auswandern, kommen oft aus den westnördlichen Städten Frankreichs. 6 von 10 Pionieren kommen aus Regionen nördlich der Loire. Es sind hauptsächlich Bauern, Tagelöhner, Handwerker, Soldaten und die schon erwähnten „Fille du Roi“, welche den weitaus größten Teil der Bevölkerung stellen. Nur eine geringe Minderheit unter ihnen sind Offiziere, Großbürgerliche oder gar Adlige.

Obwohl die Einwanderer hauptsächlich aus den unteren Schichten kommen, besitzen sie für damalige Verhältnisse einen relativ hohen Bildungsstand. Circa 40 % der Siedler sind Analphabeten, während zur gleichen Zeit in Frankreich eine Analphabetenquote von circa 80 % herrscht. Das bedeutet, dass die meisten Siedler Lesen und Schreiben können, und somit zur Verbreitung der französischen Sprache beitragen können. Das hohe Bildungsniveau lässt sich auf den Ausbau des damaligen Schulwesen Nordfrankreichs zurückführen, sowie auf den Ausbau des eigenen Schulwesens in den Kolonien. Einen wichtigen Beitrag leisten die „Filles du Roi“, welche durchweg über eine gute Schulbildung verfügen und als Mütter das französische Sprach- und Kulturgut an anderen Generationen weitergeben.[2]

2.3. Die Eroberung durch die Engländer

Seit dem Bestehen der französischen Kolonie stellen die englischen Kolonisten, welche die Vereinigten Staaten besiedeln, eine militärische Bedrohung für Québec dar. In der Folge kommt es zu mehreren militärischen Auseinandersetzungen zwischen den sich feindlich gesinnten Parteien. Bereits in den Jahren 1629 bis 1632 geht Québec kurzzeitig an England. Im Laufe des 17. und 18. Jahrhundert entstehen zahlreiche militärische Konflikte zwischen den benachbarten französischen und englischen Siedlern. Den Höhepunkt dieser Machtkämpfe bildet der Siebenjährige Krieg, währenddem die englischen Armeen unter General Wolfe Québec belagern. Die Niederlage der Franzosen in der „bataille de la pleine d’Abraham“ am 13. September 1759, die Eroberung Montreals ein Jahr später, die Kapitulation und der Vertrag von Paris im Jahre 1763 bedeuten das Ende der französischen Kolonien in Nordamerika.

Die Eroberung durch die Engländer und das Ende des „Régime français“ haben tiefgreifende Folgen für die Gesellschaftsstruktur in Québec. Die Armee und die Oberschicht kehren nach Frankreich zurück. Die Geschäftsleute, die zurückbleiben, sehen sich ruiniert. Das entstehende wirtschaftliche und politische Vakuum wird sofort von den Anglophonen gefüllt, die sich in den Städten konzentrierten[3].

Nach dem Abzug des französischen Verwaltungs- und Militärpersonals breitet sich bei den französischen Siedlern ein Gefühl des Verlassenseins und der Isolation aus, wodurch bei ihnen die Kirche mehr und mehr in die Führungssituation Französisch-Kanadas hineinwächst[4]. Die Siedler sind zudem vom französischen Mutterland tief enttäuscht. Die Kapitulation von Paris löste bei vielen Siedlern heftige Gegenreaktionen aus. „Mit Trauer, Zerknirschung und Verständnislosigkeit wurde in Kanada das Ergebnis des Pariser Vertrages aufgenommen, in dem Frankreich seine Besitzungen auf dem nordamerikanischen Kontinent an Großbritannien abtrat. Die Frankokanadier fühlten sich verraten und im Stich gelassen und suchten vergeblich nach einer Erklärung für das Verhalten ihres Herkunftslandes.“[5] Das Gefühl des Verratenseins durch den Pariser Vertrag von 1763 lässt sich selbst noch bis in die Gegenwart bei den Québecern feststellen. So liest man heute auf allen Autoschildern in Québec das „Je me souviens“, was eine Anspielung auf den Rückzug der Franzosen aus Québec ist und welches die Erinnerung an die eigene Geschichte wach halten soll.[6]

[...]


[1] Pöll, Bernhard: Französisch außerhalb Frankreichs: Geschichte, Status und Profil regionaler und nationaler Varietäten. Tübingen 1998, S. 62.

[2] Vgl.: Hoerkens, Waltraud: Die Renaissance der französischen Sprache in Québec. Frankfurt am Main 2003, S. 10.

[3] Vgl.: [3] Pöll, Bernhard: Französisch außerhalb Frankreichs: Geschichte, Status und Profil regionaler und nationaler Varietäten. Tübingen 1998, S. 62.

[4] Vgl.: Hoerkens, Waltraud: Die Renaissance der französischen Sprache in Québec. Frankfurt am Main 2003, S. 6.

[5] Sarcher, Walburga Christine: Über Ideal und Wirklichkeit der Frankophonie. Eine Untersuchung zum Verhältnis und zur sprachlichen Zusammenarbeit zwischen Québec und Frankreich. Bochum 1994, S. 41.

[6] Vgl.: Ebenda S. 42.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Québec und die „Révolution tranquille“: die frankokanadische Gesellschaft und ihre Sprache auf dem Weg zur Emanzipation
Hochschule
Technische Universität Berlin
Note
1,7
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V140714
ISBN (eBook)
9783640495078
ISBN (Buch)
9783640495184
Dateigröße
484 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Québec, Gesellschaft, Sprache, Emanzipation
Arbeit zitieren
Anonym, 2007, Québec und die „Révolution tranquille“: die frankokanadische Gesellschaft und ihre Sprache auf dem Weg zur Emanzipation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140714

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Québec und die „Révolution tranquille“: die frankokanadische Gesellschaft und ihre Sprache auf dem Weg zur Emanzipation



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden