Schwester-Freund und Faserliebe

Rahel Levin Varnhagens Beziehung zu ihrem Bruder Ludwig Robert – deutlich gemacht anhand ausgewählter Briefe


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung:

2. Das Verhältnis des Geschwisterpaares
2.1 Das Bild in der Literatur
2.1.1 Hannah Arendt: Rahel Varnhagen – eine Lebensgeschichte
2.1.2 Carola Stern: Der Text meines Herzens –
Das Leben der Rahel Varnhagen
2.1.3 Heidi Thomann Tewarson: Rahel Varnhagen
2.1.4 Consolina Vigliero: „Mein lieber Schwester-Freund“
Rahel und Ludwig in ihren Briefen/
Nachwort zu: Briefwechsel mit Ludwig Robert
2.2 Neubeurteilung des Verhältnisses anhand ausgewählter Briefe
2.2.1 Brief 76. An Rahel Levin Varnhagen in Frankfurt
Berlin, den 27. Januar 1816
2.2.2 Brief 77. An Ludwig Robert in Berlin
Frankfurt am Main, den 5. Februar 1816
2.2.3 Brief 176. An Ludwig Robert in Karlsruhe
Berlin, den 12., 23. und 25 Juni 1821
2.2.4 Brief 177. An Rahel Levin Varnhagen in Berlin
Karlsruhe, den 4. Juli 1821

Schlussbetrachtungen

Literaturverzeichnis
Primärliteratur:
Sekundärliteratur:

1. Einleitung:

„Such alle meine Briefe ...“[1] ; Dieser Aufforderung Rahels musste zweimal nachgekommen werden. Zunächst von ihrem Mann, Karl August Varnhagen von Ense, der ihrer Bitte, wie allgemein bekannt ist, gerne und sehr akribisch nachkam und die gesammelten und geordneten Briefe schließlich der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin vermachte. Im zweiten Weltkrieg aber wurden, nach schweren Luftangriffen auf Berlin, Teile der Bibliothek, darunter die Sammlung Varnhagens mit den Briefen Rahels, in ein Benediktinerkloster im damaligen Grüssau in Niederschlesien ausgelagert. Aus Grüssau, nach dem Krieg an Polen gefallen und Kreszow genannt, wurden die ausgelagerten Bestände nach Warschau transportiert und von den polnischen Behörden, als Ersatz für eigene schwere Verluste, zum Staatseigentum erklärt. Erst 1977 aber wird diese Tatsache von der polnischen Regierung öffentlich gemacht und noch einige Jahre vergehen, bis sie die freie Nutzung zulässt. Die gesammelten Briefe Rahel Varnhagens sind also erst seit gut 20 Jahren wieder zugänglich und damit auch neuere Forschung, die über die im „Buch des Andenkens“ abgedruckten Briefe hinausgeht, möglich.

Dies gilt auch und insbesondere für den Briefwechsel mit Rahels Bruder Liepmann alias Ludwig Robert. Die frühere Forschung hat sich ihm kaum gewidmet, im Buch des Andenkens sind nur 27 Briefen Rahels an ihren Bruder vertreten, und auch in aktuellen Biographien Rahel Varnhagens wird Ludwig kaum Raum zugestanden. Näheres hierzu unter Punkt 2.1.

Erst 2001 kam der gesamte auffindbare Briefwechsel, editiert und herausgegeben von Consolina Vigliero, auf den Buchmarkt. Zum ersten Mal liegt seitdem ein annähernd vollständiger Briefwechsel des Geschwisterpaares dem interessierten Leser vor und erlaubt eingehende Untersuchungen ohne dafür nach Krakau, wo die Briefe lagern, reisen und sich durch Zettelkästen mit den handschriftlichen Briefen arbeiten zu müssen. Obwohl immer noch unvollständig[2], macht er eine andere, sehr viel differenziertere, wahrscheinlich auch viel positivere Sicht auf das Verhältnis der Geschwister möglich, als sie bisher in der Forschung besteht.

2. Das Verhältnis des Geschwisterpaares

2.1 Das Bild in der Literatur

Im Buch des Andenkens ist die Korrespondenz mit Ludwig Robert nur äußerst spärlich vertreten (s. o.), außerdem enthalten andere darin abgedruckte Briefe Rahels, wenn von Ludwig die Rede ist, fast nur negative Äußerungen über ihn. „Es sieht so aus, als ob der Herausgeber Varnhagen eine Art Zensur hätte ausüben wollen, um Rahels treue Liebe zu Ludwig zu verdrängen.“[3] In die Druckvorlage der dritten Edition nahm Varnhagen zwar fast alle Briefe Rahels an ihren Bruder auf, diese wurde aber nie gedruckt.

2.1.1 Hannah Arendt: Rahel Varnhagen – eine Lebensgeschichte

Hannah Arendts bekannte Rahel Biographie erschien 1959, zu einem Zeitpunkt also, als das Varnhagen-Archiv schon als verschollen galt. Geschrieben wurde sie dagegen schon 1933- 1939, als dieses noch in Berlin lagerte. Somit war Arendt zwar für die Briefe im Anhang auf ihre Abschriften angewiesen, nicht aber für die Biographie selbst. Trotzdem tritt Ludwig Robert darin kaum in Erscheinung. Bezeichnend hierfür ist, dass Arendt schon im Vorwort explizit den Verlust von Briefen Gentzs und Pauline Wiesels bedauert, der letztere Briefwechsel sei kaum je genutzt worden, weil Varnhagen davon nur 17 kopierte[4]. Dass Ähnliches für den Briefwechsel mit Ludwig Robert gilt, wird mit keinem Wort erwähnt, er kommt im ganzen Buch so gut wie nicht vor.

Einmal wird erwähnt, dass „neben diesem Leben mit den Freunden (...) ein anderes, inoffizielles weiter (laufe), dessen Details sie vor den Freunden verbirgt, dessen Misere sie nur den Brüdern gegenüber offen ausspricht. Es hält die Kontinuität der ersten Rückschläge durch, ja vermerkt aufmerksam mit einer >boshaften Freude< jede Bestätigung des Schlemihlseins: nicht reich, nicht schön und jüdisch.“[5] Ein anderes Mal kommt zur Sprache, dass Rahel bestimmte politische, Napoleon bejahende, „ketzerische“ Meinungen nur noch den Brüdern gegenüber äußert.[6] Hier wird zwar deutlich, dass Rahel bestimmte Probleme nur mit ihrer Familie bespricht, aber nicht, dass sie gerade mit Robert sehr ähnliche Ansichten zum Juden- und Christentum wie zur Weltpolitik hat, die sich deutlich von denen der anderen Geschwister unterscheiden. Später erwähnt Arendt, dass Rahel Ludwigs Beispiel folgt und den Nachnamen Robert annimmt.[7]

Als sie auf Fichte zu sprechen kommt, dessen Vorlesungen Rahel gemeinsam mit Ludwig besuchte und dessen Philosophie beide oft und ausführlich in ihren Briefen behandeln, schreibt sie nur „‘Der Jude’, so schreibt sie an den Bruder, ‘muss aus uns ausgerottet werden; das ist heilig wahr, und sollte das Leben mitgehen.“’[8] Kein Wort der gemeinsamen Bewunderung für den Philosophen. Wieder im Zusammenhang mit Pauline Wiesel schreibt Arendt vom „einzigen kontinuierlichen Briefwechsel bis zu ihrem (Rahels) Tode“[9] und unterschlägt hierbei erneut den Briefwechsel mit Ludwig Robert, dessen ersten Brief Rahel 1794 erhielt, als Ludwig, damals noch Liepmann, gerade 15 war und dem Rahel noch 1832 den letzten Brief schreibt, einige Tage, nachdem dieser bereits gestorben war.

2.1.2 Carola Stern: Der Text meines Herzens –
Das Leben der Rahel Varnhagen

In Carola Sterns Biographie taucht Ludwig Robert zwar relativ oft auf, allerdings selten als zentrale Figur. Eingangs wird zunächst die Liebe zu seiner Schwester betont. „Der achtzehnjährige Liepmann (...) schreibt an Rahel ihm kämen alle Leute unglücklich vor, die nicht eine solche Freundin, eine solche Schwester hätten. Nur von ihr fühle er sich gebildet und geliebt.“[10] Später wird seine Tätigkeit als Theaterautor[11], als mittelmäßiger Dichter, „der im Glanz der Begabteren mit überauerte“[12], mitgeteilt. Öfter noch kommt er ungenannt als einer der Brüder vor, was verwirrt, da nie ganz klar ist, von welchen der drei Brüder gerade die Rede ist, und Ludwig oft eher die Meinung und Ansichten der Schwester teilt, als die der Brüder.[13] Zur Bewunderung Rahels für Fichte und dessen Philosophie, zitiert Stern zwar einen Brief, wiederum an alle Brüder, in dem Rahel diese auffordert jenen zu verehren, lässt aber, wie Arendt, unerwähnt, dass Ludwig gemeinsam mit ihr Fichtes Vorlesungen besuchte und dessen Lehre einen nicht geringen Teil der ausführlichen Korrespondenz des Geschwisterpaares ausmacht.[14] Wenige Seiten später wird zumindest der Brief Ludwigs, in dem er Gründe schildert, warum er sich nicht freiwillig zum Krieg meldet, als eindrucksvoll anerkannt.[15] Auch auf den Briefwechsel zur Zeit der Hep-hep-Unruhen geht Stern ein.[16] Relativ am Ende des Buches kommt sie auf die Abneigung Varnhagens gegen Ludwig zu sprechen, dieser werde von Varnhagen als „schwach, träge und selbstsüchtig“ beschrieben, aber auch darauf, dass Rahel mit großer Liebe zu ihm und den anderen Geschwistern stehe und darauf bestehe, „daß alle Stellen in ihren Briefen, in denen sie sich abfällig über Ludwig äußert, bei einer späteren Veröffentlichung gestrichen werden.“[17] Am Schluss der Biographie werden noch Ludwigs Tod vermerkt[18] und ein Brief Rahels zitiert, indem sie ihm schreibt: „Wenn ich sterben muss, denke: sie hat alles gewusst; weil sie alles kannte; nie etwas war, nichts beabsichtigte, und alles durch Nachdenken siebte, und in Zusammenhang brachte; sie verstand Fichte; liebte Grünes, Kinder; verstand Künste, der Menschen Behelf. Wollte Gott helfen in seinen Kreaturen. Immerdar; ununterbrochen; und dankte ihm für diese ihre Beschaffenheit. ‘das war dem alten Drachen seine Gute Seite.’“[19] Immerhin schrieb Rahel diese, ihr wichtige Selbstdarstellung an Ludwig.

2.1.3 Heidi Thomann Tewarson: Rahel Varnhagen

In Heidi Thomann Tewarsons Biographie wird der Rolle Ludwigs deutlich mehr Platz gegeben. Bereits am Anfang des Buches werden die Geburtsdaten der Geschwister genannt und erwähnt, dass Rahel ihr ganzes Leben eng mit ihnen verbunden bleiben würde.[20] Einige Seiten später wird Ludwig gemeinsam mit David Veit als Beispiel der Generation von Juden genannt, für die, allerdings nur wenn sie männlich waren, Gymnasien und Universitäten beinahe schon selbstverständlich wurden.[21] Später wird Ludwigs Anwesenheit in Rahels Salon erwähnt, wo er sich mit Friedrich Schlegel unterhielt und sich als „‘ächte(s) Gesellschaftskind(..) erwies.’“[22] Auch geht Thomann Tewarson explizit auf die noch offenere Briefsprache Rahels innerhalb der Familie ein. „Die Familienbriefe zeigen eine noch größere Spontaneität als diejenigen an die Freunde. In ihnen springt Rahel noch unbesorgter von einem Thema zum andern, drückt noch ungehemmter ihre Stimmungen und Stimmungswechsel aus. Die Sprache ist manchmal Berlinerisch schnoddrig oder scherzend, dann wieder anhänglich und besorgt, oft auch ernsthaft aufgebracht.“ „Eine vorläufige Überprüfung und partielle Rekonstruktion zeigt, daß diese Korrespondenz außerordentlich aufschlussreich ist, vor allem in Bezug auf drei bis heute ungeklärte Aspekte: die Beziehungen der einzelnen Geschwister zueinander und zur Mutter, die finanzielle Situation und die Stellungnahme zum Judentum und zur Zeitgeschichte. Sehr wichtig ist, daß bei allen Spannungen und zeitweiligen Zerwürfnissen die Familie bei allen Geschwistern immer den Vorrang behielt.“[23]

[...]


[1] Brief an Wilhelmine Boye vom Juli 1800. GW 1, S. 208, zit. nach: Hahn, Barbara, Antworten Sie mir, S. 18

[2] Nach Berechnungen Consolina Viglieros muss der Briefwechsel noch um ein Drittel umfangreicher gewesen sein. Dieses Drittel oder zumindest Teile davon sind eventuell noch ungeordnet in anderen Zettelkästen der Sammlung vorhanden.

[3] Vigliero, Consolina, in: Vigliero, Consolina (Hrsg.), S. 912

[4] Arendt, Hannah, S. 8

[5] Arendt, Hannah, S. 34

[6] Arendt, Hannah, S. 121

[7] Arendt, Hannah, S. 117

[8] Arendt, Hannah, S. 126

[9] Arendt, Hannah, S. 193

[10] Stern, Carola, S. 39

[11] Stern, Carola, S. 58

[12] Stern, Carola, S. 171

[13] Stern, Carola, S. 103ff, 108ff, 112ff

[14] Stern, Carola, S. 56

[15] Stern, Carola, S. 182

[16] Stern, Carola, S. 230

[17] Stern, Carola, S. 238f.

[18] Stern, Carola, S. 275

[19] zit. nach: Stern, Carola, S. 277

[20] Thomann Tewarson, Heidi, S. 11

[21] Thomann Tewarson, Heidi, S. 21

[22] Thomann Tewarson, Heidi, S. 30, 33

[23] Thomann Tewarson, Heidi, S. 69ff.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Schwester-Freund und Faserliebe
Untertitel
Rahel Levin Varnhagens Beziehung zu ihrem Bruder Ludwig Robert – deutlich gemacht anhand ausgewählter Briefe
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V138186
ISBN (eBook)
9783640478767
ISBN (Buch)
9783640478453
Dateigröße
555 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schwester-Freund, Faserliebe, Rahel, Levin, Varnhagens, Beziehung, Bruder, Ludwig, Robert, Briefe
Arbeit zitieren
Malte Gärtner (Autor:in), 2005, Schwester-Freund und Faserliebe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138186

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