Balzac - Le père Goriot

Die Lesbarkeit der Stadt Paris


Hausarbeit, 2008

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Begriff des Raumes

3. Der Realraum Paris im „le père Goriot“

4. Die Stadt Paris als semantischer Raum -> Inhaltsangabe ?
4.1. Teilräume
4.1.1. Paris vs. Provinz
4.1.2. Faubourg St. Marceau vs. Faubourg St. Germain
4.1.3. Pension Vauquer vs. Hotel Madame de Beauséant Schnittpunkte
4.2. Ereignis
4.2.1. Grenzüberschreitungen

5. Metaphorik von Paris

1. Einleitung

Die Metropole Paris ist immer wieder aufs neue faszinierend. Ob Reisende, Flaneure oder Künstler, die Diversität der Stadt zieht sie in den Bann und lässt sie nicht mehr los. Diese Faszination spiegelt sich ebenso in der Literatur wider. Auch in der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts ist Paris zahlreich vertreten.

In der Epoche des Realismus bediente man sich verschiedener literarischer Techniken, um ein Abbild sozialer Milieus und deren Charakteristiken und um eine „Analyse zwischenmenschlicher Aktion“ zu schaffen.2

Als Mittel der Beschreibung gilt in der Literatur die Sprache. Literatur kann zwar über die Sprache erlebt werden, doch muss sich diese gewisser Bedeutungen bedienen, welche in der Vorstellungskraft der Menschheit verankert sind. Diese Bedeutungen und auch Sinneserfahrungen, wie Töne, Farben und Gerüche könnten zwar direkt beschrieben werden, doch sind diese Bedeutungen in übergeordneten Begriffen des kulturellen Verständnis befestigt. Und diese übergeordneten mit Bedeutung gefüllten Begriffe können topologischen Eigenschaften zugeordnet werden. Mit Hilfe des realen Raumes und seinen Merkmalen kann demzufolge ein literarischer Raum erstellt werden. So werden dem Raum der Stadt bestimmte Bedeutungen zugeschrieben oder sie sind gar schon vorhanden, welche das Fundament der Erzählung signifizieren. Dabei ist die Struktur des Raumes genauso von Bedeutung, wie soziale und historische Hintergründe.

Diese Semantisierung eines Raumes, werde ich im folgenden anhand des Romans „le père Goriot“ darlegen, welcher 1834/35 in La Revue de Paris publiziert wurde und 1835 im Gesamtwerk La Comédie humaine erschienen ist. Der Roman wird als „vollkommenste Aneignung der Stadt mit den Mitteln der Beschreibung und Imagination“3 beschrieben.

Doch nicht nur der Gesamtraum Paris, sondern auch die sich darin befindenden Viertel, Plätze, Straßen und Gebäude, welche im Roman eine gewisse Relevanz erlangen, sollen hier dargestellt und anhand ihrer Eigenschaften und damit verbundenen Bedeutungen, erläutert werden. Dabei werde ich mich auf die Funktion der Räume und ihren Einfluss auf den Handlungsverlauf, und auf die Entwicklung der Figuren konzentrieren und das umfassende Gesamtbild der Gesellschaft präsentieren, welches Balzac geschaffen hat.

In diesem Zusammenhang werde ich auch die Bedeutung der Distanz und der Begrenzung des Raumes, wie auch deren Überschreitungen der Figuren darlegen, die eine bedeutende Rolle im literarischen Realismus spielen.4

Ebenso relevant für die Erschließung des Raumes ist die metaphorische Darstellung der Stadt, die ich anschließend darlegen werde.

2. Die Bedeutung des Raumes für die narrative Struktur

Kulturelle Aspekte sind Teil der Literaturbetrachtung. Folglich vefügt der Raum über eine Relevanz, die ihn zum Bedeutungsträger transformieren.3

Um sich der Bedeutung des Raumes bewusst zu werden, ist es notwendig diesen zu charakterisieren. So ist ein Raum durch topologische Merkmale wie Länge, Breite und Höhe gekennzeichnet, welcher mit der Zeit eine Einheit bildet. Raum ist somit „die Gesamtheit homogener Objekte (Erscheinungen, Zustände, Funktionen, Figuren, Werte von Variablen u. dgl.), zwischen denen Relationen bestehen, die den gewöhnlichen räumlichen Relationen gleichen (...).“6

Demnach stellt ein literarischer Text mit Hilfe der Eigenschaften eines Raumes die Wirklichkeit auf abstrakte Weise dar und ist als ein formendes Gebilde zu verstehen. Nach Lotman benötigt eine narrative Struktur solch einen Raum und er schildert diesen als ein semantisches Feld, das in zwei komplementäre Untermengen aufgeteilt ist. Ebenso existiert eine Grenze zwischen diesen beiden komplementären Untermengen, die unter normalen Umständen nicht überschreitbar ist, wie auch eine Figur, die diese Grenze dennoch überschreitet und damit ein Ereignis auslöst.9

Der Begriff des semantischen Raums umfasst bei Lotman verschiedene Sachverhalte, wie verschiedene Teilräume, die innerhalb der dargestellten Welt koexistieren können, die durch Zuordnung nicht-räumlicher Merkmale semantisiert werden oder Räumen Bewohner mit oppositionellen Merkmalen zugeordnet werden. Zusätzlich können nach Lotman topologische Merkmale der Charakterisierung der Räume dienen.7

2.1. Der Realraum der Stadt Paris im Roman „le père Goriot“

Durch persönliche und kulturelle Erlebnisse ist „die Stadt ein fiktiver Ort, der unterschiedlich gelesen, interpretiert und verstanden wird.“8, wie auch im Roman „le père Goriot“. Geographische Eigenschaften innerhalb der Stadt bilden einen Teil der Erzählung, wie die Höhe des Friedhofs Père Lachaise „vers le haut du cimetière“6 und ebenso die Tiefe des Faubourg Saint Marceau7. Doch auch die Seine, welche die Stadt in die Uferhälften „rive gauche“ und „rive droite“ spaltet, ist hier ein wichtiger Faktor der Lebensbedingungen und Schicksale. Beide Stadtteile werden zwar von der Brücke Pont Neuf verbunden, sind dennoch voneinander isoliert. Auf der linken Seite der Seine befindet sich östlich der Faubourg Saint Marceau, westlich der Faubourg Saint-Germain und auf der rechten Seite der Seine, die Wohnorte der Töchter Goriots und Orte der Unterhaltung und des Vergnügens, mit der Oper und dem Palais Royal.

Die Gebäude innerhalb dieser Stadtteile, werden über bestimmte Toponyme genau lokalisiert, wie z.B. die Pension Vauquer, in der Rue Neuve-Sainte-Geneviève, das Hotel de Beauséant, in der Rue de Grenelle oder das Hotel de Nucingen, in der Rue de Lazare.

Durch die detaillierte Lokalisierung erhält der Leser eine konkrete Vorstellung der Komposition der Stadt Paris, deren räumliche Merkmale nach und nach mit Bedeutungen verknüpft werden.

3. Der semantische Raum und dessen Teilräume

Nach der Grundlage des Realraumes schafft Balzac ein fiktives Paris, das keinesfalls als neutral auszumachen ist. Denn die Stadt kann als Text gelesen werden, da die verschiedenen Räume innerhalb der Stadt, doch auch Paris an sich, als Bedeutungsträger genutzt werden. Die topologischen Merkmale sind nicht nur ein Mittel, den Raum für die Vorstellung des Lesers visuell darzustellen, sondern ein Mittel, den Raum mit Bedeutung zu füllen. Denn gerade durch diese Eigenschaften, wie durch die Charakteristiken hoch oder tief, doch auch der Begrenzungen, erhält er bestimmte Bedeutungen, welche für die Entwicklung der Figuren von Bedeutung ist. Damit verwendet Balzac topologische Merkmale, um den Raum zu kennzeichnen, und setzt farbliche Merkmale oder Geruchsklassifizierungen ein, welche das Milieu der Figuren beschreiben.6 Diese Bedeutungen, aber auch die Figuren, die einem Raum wohnhaft sind und ihre Charakteristiken, stellen Paris als Raum dar, der durch komplementäre Teilräume geteilt ist.8

3.1. Teilräume Paris vs. Provinz

Der übergreifende Gesamtraum Paris, überwiegend durch Empfindungen Rastignacs beschrieben, wird als Raum der Ungerechtigkeit, der Betrügerei und der Korruption charakterisiert. „La corruption est en force, le talent est rare. Ainsi, la corruption est l'arme de la médiocrité qui abonde, et vous en sentirez partout la pointe.“18

Diese Empfindungen, zu Beginn des Romans von einem kindlichen Ehrgeiz geprägt, mit Hilfe dieser Stadt gesellschaftlich aufzusteigen, um kein unsicheres Leben in der Einöde der Provinz führen zu müssen „L'aspect de cette constante détresse qui lui était généreusement cachée, [...] enfin une foule de circonstances inutiles à consigner ici, décuplèrent son désir de parvenir et lui donnèrent soif des distinctions.“13, schwanken schließlich zwischen enormer Faszination und Abscheu der Stadt. Einerseits möchte er die Stadt erobern, andererseits sehnt er sich nach der Idylle seiner Heimat, die den Kontrast zu Paris darstellt. Denn die Provinz, hier der Ort Angoulême, verfügt über Werte, welche in der Großstadt nicht zu finden sind. Allein die Unschuld und Ehrlichkeit, wie auch die Wärme, die durch die Briefe der Schwestern vermittelt werden „Oh! cher frère, nous t'aimons bien, voilà tout en deux mots“15, stellen den Unterschied zur Gefühlskälte und Anonymität der Stadt dar. Diese Anonymität wird speziell durch die Gleichgültigkeit der Pensionsbewohner gegenüber dem Tod Goriots „Un des privilèges de la bonne ville de Paris, c'est qu'on peut y naître, y vivre, y mourir sans que personne fasse attention à vous.“15 zum Ausdruck gebracht.

Die Charakteristiken der Personen, welche in Paris wohnhaft sind, stellen einen Gegensatz zu den Figuren der Provinz dar. Die meisten Bewohner der Stadt, zeichnen sich durch Merkmale aus, die in ganz Paris wahrzunehmen sind, denn der moralische Verfall, die Geldgier und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid des Nächsten ist nicht nur im Raum der Hochgesellschaft, sondern selbst den Figuren eigen, die in der Pension Vauquer wohnhaft sind, wie Madame Vauquer, die nicht fähig ist, beim Anblick des Leides der anderen, ihre Profitgier zu unterdrücken.

Die Familie Rastignacs dagegen zeichnet sich mit schlichter Einfachheit aus. Es sind Figuren, welche noch Werte der Moral verkörpern und der Heimat eine Bedeutung von kindlicher Reinheit zuschreiben. Laure, die Schwester Rastignacs und Figur der Provinz, wird im Roman selbst mit einem Himmelswesen von unschuldiger Reinheit verglichen „[...] elle est comme l'ange du ciel qui pardonne les fautes de la terre sans les comprendre.“16

Folglich verkörpert die Stadt Paris menschliche Leiden, den allgemein sittlichen Verfall und den Widerspruch von Sein und Schein, das in der Exposition wiedergegeben wird: „vallée remplie de souffrances réelles, de joies souvent fausses, et si terriblement agitée qu'il faut je ne sais quoi d'exorbitant pour y produire une sensation de quelque durée.“16. Paris steht im Gegensatz zur idyllischen Provinz, zu welcher schlechte Einflüsse noch nicht vordringen konnten.

Dieser Gegensatz der beiden Teilräume stellen jedoch nur den Rahmen der narrativen Struktur dar, denn von größerer Bedeutung sind die gegensätzlichen Teilräume innerhalb der Stadt.

3.2. Faubourg Saint-Marceau vs. Faubourg Saint-Germain

Die Metropole Paris wird durch gegensätzliche Teilräume gespalten. Der Faubourg Saint- Germain auf der einen Seite, der Inbegriff der elegantesten, vornehmsten und prestigereichsten Stadtviertel von Paris, mit der Funktion die Elite der Gesellschaft zu bilden, stellt den Kontrast zum Faubourg Saint-Marceau, welches den Raum des sozial und finanziell niedrigsten Standes verkörpert, dar.

3.2.1. Der Faubourg Saint-Marceau

Der Leser wird schon zu Beginn des Romans in die elende Welt der unteren Gesellschaftsschicht und in das dunkelste Viertel von Paris hineingezogen und mit dem Verfall und der entsetzlichen Not, der sich darin befindenden Gesellschaft konfrontiert. „Les maisons y sont mornes, les murailles y sentent la prison. Un Parisien égaré ne verrait là que des pensions bourgeoises ou des institutions, de la misère ou de l'ennui, de la vieillesse qui meurt, de la joyeuse jeunesse contrainte à travailler. Nul quartier de Paris n'est plus horrible, ni, disons-le, plus inconnu.“15

Die Pension Vauquer befindet sich in diesem Viertel und wird von Balzac in der Exposition genau lokalisiert. Sie befindet sich in der Rue Neuve-Sainte-Geneviève „à l'endroit où le terrain s'abaisse vers la rue de l'Arbalète par une pente si brusque et si rude.“5, das räumlich tiefer und damit ungünstiger als andere Viertel gelegen ist.

[...]


2Wanning 1998, S. 39 - 41.

3Stierle 1993, S. 480.

4Wanning 1998, S. 41.

3Brodowski 2005, S. 133.

6Lotman S, 312.

9Lotman S. 311 - 339.

7Lotman S. 313.

8Brodowski S. 134.

6Balzac S. 312.

7Balzac S. 44.

6Wanning S. 52.

8Lotman S. 327.

18Balzac S. 144.

13Balzac S. 71 - 72.

15Balzac S. 132.

15Balzac S. 309.

16Balzac S. 133- 134.

16Balzac S. 44.

15Balzac S. 45.

5Balzac 1995, S. 43.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Balzac - Le père Goriot
Untertitel
Die Lesbarkeit der Stadt Paris
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Paris in der Literatur des 19. Jahrhunderts
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V92206
ISBN (eBook)
9783638060554
ISBN (Buch)
9783640469543
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Balzac, Goriot, Paris, Literatur, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
Janine Beltrame (Autor:in), 2008, Balzac - Le père Goriot, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92206

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