Hannah Arendt und die deutsche Literatur

„Ich selber wirken? Nein, ich will verstehen“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

25 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Hannah Arendt und die Literatur
2.1. Hannah Arendts Literatur Rezeption
2.2. Hannah Arendts Literaturverständnis
2.2.1 “Die Dichtkunst […] ist […] dem Denken […] am nächsten“
2.2.2. Zitierbarkeit anstelle von Tradierbarkeit
2.2.3. Von den Dichtern wird Wahrheit erwartet
2.3. Hannah Arendt und der Literaturbetrieb

3. Hannah Arendts Einfluss auf deutschsprachige Schriftsteller
3.1. „Wir waren einmal Nachbarn am Riverside Drive von New York.“ Hannah Arendts Einfluss auf Uwe Johnson

4. Wirken wider Willen

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Allein schon die Anzahl ist Überwältigend.“[1] Die Rede ist von Gedichtbänden, zu finden in Hannah Arendts Bibliothek. Allerdings: englischsprachig. Die meisten von ihnen mit handschriftlicher oder gedruckter Widmung versehen. Die Schriftsteller widmeten ihr aber nicht nur eigene Bände, sie rezensierten auch fleißig Hannah Arendts Veröffentlichungen – die englischsprachigen.

Doch auch die Anzahl der deutschsprachigen Literatur ist beachtlich. Und auch hier finden sich gewidmete Exemplare. Noch wesentlich beeindruckender als ihre „materielle“ Bibliothek ist in Bezug auf die deutsche Literatur Hannah Arendts „geistige“ Bibliothek. In ihrem Gedächtnis hatte Hannah Arendt unzählige Verse in der Muttersprache gespeichert. Zitate aus den Werken von Brecht, Hölderlin, Goethe und Rilke (um nur einige zu nennen) finden sich immer wieder in Hannah Arendts Ausführungen. Oft stellt sie ihren Essays ein Gedicht als Motto voran.

Hannah Arendts Verständnis von Literatur lässt sich am besten so zusammenfassen:

The “lively and lasting sense of filial duty is more effectually impressed on a son or daughter by reading King Lear, than by all the dry volumes of ethics and divinity that ever were written.”[2]

Hannah Arendt ist mit vielen Schriftstellern freundschaftlich verbunden. Das trifft schon auf ihre Studienzeit zu, als sie den Expressionisten Erwin Loewensohn kennenlernt, und das zieht sich fort bis zu Uwe Johnson, der in den 60er Jahren sogar einige Wochen zu Gast in ihrer Wohnung ist. Freundschaft, das heißt in Bezug auf Hannah Arendt und ihre Schriftsteller-Bekannten vor allem auch: produktive Freundschaft. In zahlreichen Briefen tauscht sie sich mit ihnen über aktuelle politische Ereignisse aus, kommentiert oft leidenschaftlich ihr literarisches Schaffen.

Schriftsteller sind für Hannah Arendt keine „schicken ‚society’ – Bekanntschaften, sondern Partner ihrer intellektuellen Arbeit“[3].

Während die Freundschaften im Studium möglicherweise mehr oder weniger zufällig zustande kamen, sorgt ihre Arbeit als Lektorin in einem New Yorker Verlag schon „von Berufs wegen“ für interessante Bekanntschaften.

Die vielen freundschaftlichen Kontakte zu Autoren und die Kontakte zu Verlagen scheinen die ideale Ausgangssituation für eine breite Wirkung auf die Literatur zu sein. Das Problem ist freilich, dass diese Ausgangsbasis sich in Amerika befindet, und nicht in Deutschland.

Trotzdem ist Hannah Arendt nicht aus Deutschland verschwunden, zumindest nicht aus dem westlichen Teil. Ihre Essays erscheinen in einflussreichen Zeitungen, ihre Bücher werden gedruckt und die Eichmannkontroverse wird natürlich auch in Deutschland geführt. Und schließlich gibt es auch eine Reihe von deutschsprachigen Autoren, die sich, wie sie selbst, im Exil befinden. Viele davon in Amerika.

Ist es also möglich, dass die politische Theoretikerin aus dem amerikanischen Exil deutschsprachige Schriftsteller beeinflusste?

Wenn ja, wie zeigt sich ihre Wirkung und wie kam es zustande?

Welche Bedeutung maß Hannah Arendt selbst der Literatur zu? Und welches Interesse hatte die Literatur an politischer Theorie?

Dass Anregungen aus Hannah Arendts Denken sich sehr positiv auf Literatur auswirken können, zeigt Uwe Johnsons hochgelobte Tetralogie „Jahrestage“.

Mit dem Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Uwe Johnson[4], der 2004 erschien und einigen Aufsätzen von Bernd Neumann[5] ist diese Konstellation am intensivsten beforscht. Auch die Herausgabe des Briefwechsels zwischen Hermann Broch und Hannah Arendt[6] liefert interessante Informationen zum Thema Literatur und Hannah Arendt.

Informationen zu weiteren Schriftstellern, die mehr oder weniger stark von Hannah Arendt beeinflusst sind, sind schwieriger zu finden. Eine Zusammenstellung einiger solcher Schriftsteller enthält das Ausstellungsbuch „Von den Dichtern erwarten wir Wahrheit“[7]. weitere Informationen, wenn auch meist sehr knapp und verstreut, finden sich in den unterschiedlichen Biographien über Hannah Arendt. Dieser Zustand wird sich wohl bald ändern, wenn das Buch „nach dem Geschichtsbruch“[8] erscheint. In diesem Buch soll „anhand umfangreicher Archiv- und Nachlassbestände“[9] Hannah Arendts Einfluss auf deutsche Schriftsteller seit den Sechzigern beleuchtet werden. Die Arbeit mit umfangreichen Archiv- und Nachlassbeständen war mir im Rahmen der Hausarbeit nicht möglich. Meine Arbeit wird sich vor allem auf die genannten Briefwechsel und auf Biographien über Hannah Arendt und über die Schriftsteller stützen. Ebenso Texte von Hannah Arendt und den Schriftstellern und die dazugehörigen Interpretationen und Erläuterungen.

Der erste Teil widmet sich den Voraussetzungen auf Seite Hannah Arendts. Ihrem Interesse an und ihrem Verständnis von Geschichten und ihrem Verhältnis zu den Literaten und dem Literaturbetrieb. Der zweite Teil soll aufzeigen, wie stark Hannah Arendt auf Grund dieser Vorrausetzungen deutschsprachige Schriftsteller geprägt hat.

2. Hannah Arendt und die Literatur

2.1. Hannah Arendts Literatur Rezeption

Hannah Arendts Interesse an Literatur bzw. „Geschichten“ wurde früh geweckt. Als Kind lauschte sie fasziniert ihrem Großvater: „Seine Fähigkeit des Geschichtenerzählens hinterließ bei ihr einen bleibenden Eindruck.“[10]

Hannah Arendt erzählte auch selbst gerne Geschichten und trug vor Freunden und Verwandten Gedichte vor. Als junges Mädchen liest sie, ganz und gar unangemessen, Bücher von Thomas Mann.

Im Studium beschäftigt sich Hannah Arendt, beeinflusst von Heidegger, mit der „Nähe zwischen Dichtung, Sprache und Philosophie“.[11]

Zu ihren Freunden zählen schon zu dieser Zeit Schriftsteller, zum Beispiel Erwin Loewenson, den sie in ihrer Heidelberger Zeit kennen lernt.

Loewenson ist Essayist und Schriftsteller. „[…] eine der Triebkräfte bei den Berliner Expressionisten“..

Von ihm erhält Hannah Arendt Hinweise für ihr Dissertationsthema und sein kunstvoller Schreibstil inspiriert sie.[12].

Auch mit dem Germanisten Benno von Wiese ist Hannah Arendt bekannt.

Ihr erster Mann, Günther Stern, den sie 1929 heiratet, lebt als Journalist ebenfalls vom Schreiben.

Nach ihrer Promotion beginnt Hannah Arendt mit ihrem Buch über Rahel Vernhagen und die deutsche Romantik. Obwohl Rahel Vernhagen selbst schrieb und in ihrem Salon jede Menge namhafter Schriftsteller ein und aus gingen, legt Hannah Arendt den Schwerpunkt ihrer Studie nicht in den literarischen Bereich. Im Mittelpunkt steht Rahel Vernhagens persönliche Biografie und die Problematik der assimilierten Juden im Allgemeinen.

1934 hört Hannah Arendt im Exil in Frankreich Walter Benjamins Vortrag: „der Autor als Produzent“[13]. Walter Benjamin wird ihr Freund. Über ihn lernt sie ihren zweiten Mann, Hermann Blücher, kennen. Blücher ist Journalist und schrieb gemeinsam mit dem Schriftsteller Robert Gilbert Texte für Filme, Operetten und Kabarett. Hannah Arendt fasziniert vor allem „seine packende Art zu reden“[14]

1940 heiraten die beiden in Frankreich und müssen noch im selben Jahr in unterschiedliche Internierungslager. Doch selbst dieser Ort ist nicht literaturverlassen: Die Internierten tauschen mündlich Gedichte aus.

Hannah Arendt und Hermann Blücher emigrieren 1941 nach New York. In New York arbeitet Hannah Arendt 4 Jahre im Schocken-Verlag, wo sie sich intensiv mit Kafka beschäftigt.

1946 lernt sie über ihre Freundin Annemarie Meier-Graefe den Schriftsteller Hermann Broch kennen. Von dessen Roman „Der Tod des Vergil“ ist sie begeistert.[15]

Im Auftrag der „Jewish Cultural Reconstruction Institution“ reist Hannah Arendt 1949/50 in das zerstörte Nachkriegsdeutschland. Sie ist schockiert über die Sprachlosigkeit der Deutschen angesichts dessen, was geschehen ist. In Ernst Jüngers Buch „Strahlungen“ glaubt sie, wenigstens Versuche zu reflektieren zu finden.[16]

In Deutschland trifft sie Heidegger wieder, ihren früheren Lehrer, mit dem sie als Studentin eine kurze Liebesaffäre gehabt hatte. Er schenkt ihr Gedichte und ist nicht der Einzige: Auch als sie sich viele Jahre später, im Sommer 1975 noch einmal in Deutschland aufhält, um den Nachlass ihres Lehrers und Freundes, Karl Jaspers, zu ordnen, bekommt sie ein Gedicht gewidmet. Zwischen Ludwig Grewe, dem Leiter der Handschriftenabteilung vor Ort und Arendt entsteht „ein Gespräch in Gedichten, »auf Zuruf«, wie Greve später schreiben wird.“[17] Sie beeindruckt ihn so stark, dass er ihr in einem neunstrophigen Gedicht ein Denkmal setzt. Die beiden sind sicherlich nicht die Einzigen, die Hannah Arendt in Gedichtform würdigen. Hannah Arendt selbst verfasst ebenfalls Gedichte für bzw. über ihre Freunde. Zum Beispiel nach Walter Benjamins Tod. Zur Publikation sind ihre Gedichte nicht bestimmt.

Hannah Arendt werden nicht nur Gedichte gewidmet. Ihr wird auch, mehr oder weniger verschlüsselt, in Prosaform gehuldigt. Zum Beispiel von dem mecklenburgischen Schriftsteller Uwe Johnson, der seit 1966 zu Hannah Arendts engerem Freundeskreis gehört.

1989 erscheint ihr Buch „Menschen in finsteren Zeiten“, eine Sammlung von Porträts von Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Porträtiert werden auch Dichter und Schriftsteller wie Walter Benjamin, Hermann Broch und Bertolt Brecht.

Deutschsprachige Literatur und Schriftsteller scheinen von Anfang an Hannah Arendts Begleiter zu sein. Die Verbindung zu den Gedichten und Geschichten in der Muttersprache unterbricht weder im französischen Internierungslager, noch in der neuen Heimat Amerika. Das Besondere an Hannah Arendts Literatur Rezeption ist wohl der persönliche Kontakt, oder vielmehr die Freundschaft zu vielen Autoren. Wenn Hannah Arendt einen neuen „literarischen Bekannten“ machte, las sie stets alle seine Texte.[18] Mit einigen Autoren steht sie infolgedessen in regem Gedankenaustausch. In gewisser Weise auch mit denen, die schon lange nur noch durch ihre unsterblichen Werke sprechen können. Auf ihre Verse greift Hannah Arendt häufig und selbstverständlich zurück, um sie zu diskutieren oder um die eigenen Ansichten zu unterstreichen.

Optimale Voraussetzung für einen weitreichenden Einfluss?

[...]


[1] Hannah Arendt - Von den Dichtern erwarten wir Wahrheit. Hg. v. Barbara Hahn u. Marie Luise Knott. Ausstellung Literaturhaus Berlin. Berlin: Matthes und Seitz 2007. S. 15.

[2] Arendt, Hannah: Responsibility and Judgment. Hg. V. Jerome Kohn. New York: Schocken Books, 2003. S. 145. Zitiert nach: Assy, Bethania: Hannah Arendt – An Ethics of Personal Responsibility. Hannah Arendt-Studies 3. Frankfurt am Main: Peter Lang 2008. S. 1.

[3] Wild, Thomas: A propos deutsche Schriftsteller… Zwischenbericht eines Dissertationsprojekts zur Wirkung von Person und Werk Hannah Arendts auf das literarisch-intellektuelle Feld der Bundesrepublik seit den sechziger Jahre. Auf: http://hannaharendt.net/research/Wild.html vom 20.01.09.

[4] Hannah Arendt – Uwe Johnson. Der Briefwechsel. 1967-1975. Hg. v. Eberhard Falke u. Thomas Wild. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2004.

[5] Neumann, Bernd: Uwe Johnson und Hannah Arendt. – Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung. In: „Treue als Zeichen der Wahrheit“.

Essen: Klartext Verlag 1997. u. Neumann, Bernd: Wiederholte Spiegelungen, Metamorphosen, Correspondances – Zuordnungsprinzipien im Werk Uwe Johnsons. S. 17-31. In: Gansel, Carsten u. Nicolai Riedel, Hg.: Uwe Johnson zwischen Vormoderne und Postmoderne. Internationales Uwe-Johnson-Symposium, 22. – 24. 9. 1994. Berlin; New York: De Gruyter, 1995.

[6] Hannah Arendt und Hermann Broch. Briefwechsel 1946-1951. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 1996.

[7] Hannah Arendt - Von den Dichtern erwarten wir Wahrheit. Hg. v. Barbara Hahn u. Marie Luise Knott. Ausstellung Literaturhaus Berlin. Berlin: Matthes & Seitz 2007.

[8] Wild, Thomas: Nach dem Geschichtsbruch. Deutsche Schriftsteller um Hannah Arendt. Berlin: Matthes & Seitz, Erscheinungsdatum vorraussichtl. März 2009. Vgl.: https://portal.d-nb.de/opac.htm?method=showFullRecord&currentResultId=thomas%2Bwild%2526any&currentPosition=0 vom 20.02.09.

[9] Vgl. Ebd.

[10] Heuer, Wolfgang: Hannah Arendt. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 1987. S. 11.

[11] Ebd.: S. 20.

[12] Vgl. Ebd.: S. 114.

[13] Young-Bruehl, Elisabeth: Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit. Frankfurt am Main, 1991. S. 236.

[14] Heuer, W.: Hannah Arendt. S. 31.

[15] Vgl.: Hannah Arendt / Hermann Broch. Hg. v. Paul Michael Lützeler. S. 10.

[16] Von den Dichtern erwarten wir Wahrheit. Hg. v. B. Hahn u. M. Knott. S. 55.

[17] Ebd.: S. 191.

[18] Vgl.Young-Bruehl, E.: Hannah Arendt. S. 272.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Hannah Arendt und die deutsche Literatur
Untertitel
„Ich selber wirken? Nein, ich will verstehen“
Hochschule
Universität Rostock
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
25
Katalognummer
V137742
ISBN (eBook)
9783640469116
ISBN (Buch)
9783640469017
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hannah, Arendts, Literatur, Nein
Arbeit zitieren
Johanna Lauber (Autor:in), 2009, Hannah Arendt und die deutsche Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137742

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