Die Wandlung der Behandlungsmethoden und Deutungssysteme der Krankheit Hysterie


Hausarbeit, 2008

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitende Worte

2... Hysterie - medizinisches Phänomen
2.1 Vorhang auf!
2.2 Von der „Königin“ zum „entarteten Individuum“
2.3 Psychoanalytischer Ausweg

3. Hysterie - sozialgeschichtliches Phänomen
3.1 Zielscheibe Geschlecht
3.2 Zielscheibe Sex
3.3 Zielscheibe Distinktion

4. Abschließende Worte

5 Literaturverzeichnis

„Die Hysterie ist ein caput mortuum, in welchem alles, was fremd erscheint, alles, was sich der Geist nicht erklären kann, zusammengefaßt wird. Besonders (...) wenn es sich um „psychisch“ Kranke handelt. Hat eine Kranke ein etwas fremdes Wesen, ist sie leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, ist ihr Auftreten mehr oder weniger kokett und fanatisch, so heißt es gleich, das ist eine Hysterische, und damit scheint dann alles gesagt. Sehr häufig weiß man gar nicht, was das ist, die Hysterie, aber das Wort ist da, magisch und für große Massen unverständlich, und es erklärt alles.“[1]

1. Einleitende Worte

Vagabundierendes, samensuchendes Tier, Paradiesvogel, Chamäleon, ärtzliches Kunstprodukt, Modellneurose, moralische Erkrankung, Kollektivsymbol der Degeneration... die Bezeichnungen fur die „Königin der Neurosen“ gestalten sich so vielseitig wie ihre Symptome. Seit ihrem ersten Auftauchen innerhalb eines Kapitels über die Erkrankung des Uterus in altägyptischen Fragmenten des Kahun-Papyrus (1900 v.Chr.), ziehen sich ihre Metamorphosen wie ein roter Faden quer durch die Geschichte. Der Begriff Hysterie (von hystera, griech. Gebärmutter), welcher künftig in der Geschichte als Konstrukt und Sammlung umher schwirrender, uneindeutiger Symptome fungiert, wird von Hippokrates in seiner Abhandlung „Über die Erkrankung der Frauen“ als eine an die Wanderung der Gebärmutter gebundene Störung eingeführt.[2] Spuren der Raubzüge des samensuchenden Uterus offenbarten sich in Atemnot, Nachtschweiß, Stöhnen, Ohnmachtsanfällen oder ekstatischen Zuckungen. Das pathologische Konzept des weiblichen Geschlechts war geboren, ebenso wie dessen Rezept zur Heilung: Eheschließung und Schwangerschaft.[3] Als die fortschreitende Wissenschaft der Anatomie schließlich im 18. Jahrhundert den umher wandernden Uterus ad absurdum führte, wurden die Zentren der Hysterie in das Nervensystem verlagert und die Frau als das „nervöse Geschlecht“ betitelt.[4] Das Rezept zur Heilung in Form von Schwangerschaft und Eheschließung erfuhr im Laufe des 18. Jahrhunderts ein besonderes Interesse außerhalb der privaten Räume. Die Bevölkerung trat als Wirtschaftsfaktor ins Blickfeld des öffentlichen Interesses und ihre Reproduktionsfähigkeit avancierte zusehends zur Staatsaffäre. Eine gesunde, qualitative und vor allem arbeitsfähige Bevölkerung wurde zum Garant für das gute Gedeihen des Gemeinwesens,[5] welches seinen vermeintlichen Höhepunkt im Zuge der eugenischen Theorien um den gesunden Volkskörper findet. Innerhalb dieses Rahmens diskutierte man besonders die Sexualität der Frau und ihre Physiologie wurde zum Fokus der Medizin, so dass der Diskurs der Hysterie vor allem einer medizinischen Prägung und „Inszenierung“ unterlag. Im Zuge der vorliegenden Arbeit sollen zum einen die ärztlichen Diskursivierungen und die Deutungssysteme, welche den Diskurs im Falle der Hysterie und der als widernatürlich und bevölkerungsschädlich deklarierten Sexualität der hysterischen Frau durchziehen, nähere Betrachtung finden. Welche Metamorphosen durchlief das Krankheitsverständnis der Hysterie, bis es im Zuge der einsetzenden Evolutions- und Degenerationstheorien[6] größtenteils im

Kollektivsymbol der Degeneration aufging?

Ein weiterer Aspekt der Betrachtung ergibt sich aus der sich stark verändernden Lebenswelt des modernen Menschen. Diese stellt vor allem eine sich im Umbruch und Neuorientierung befindende Gesellschaft dar, nachdem sich im Zuge der Aufklärung das feudalständische Gesellschaftsgefüge auflöste und die Industrialisierung unaufhaltsam fortschritt.[7] [8] Michel Foucault zufolge zog das Sexualdispositiv, d.h. die Diskurse und Technologie des Sexes „immer weitere Bereiche des menschlichen Lebens in den Bannkreis des Sexuellen und sexualisierte so die Wahrheit- und Identitätssuche des modernen Menschen.[9] In Anbetracht dieser Sexualisierung und des „normalitätsverletzenden“ Charakters der Hystrie, soll die Frage nach den Auswirkungen der Hysterie als soziales, gesellschaftliches und geschlechterspezifisches Phänomen gestellt werden. Welche Rolle spielte sie innerhalb der Krise der männlichen Identität, oder, im Kontext der Konstruktion einer geschlechtsspezifischen bürgerlichen Sexualität, in Abgrenzung zum adligen Kunstkörper[10] und „triebhaften“ Proletariat?

Der zeitliche Rahmen der Betrachtung wird sich verstärkt auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts mit abschließendem Blick auf das frühe 20. Jahrhundert beschränken und den Fokus auf die weibliche Variante der Hysterie legen.

2. Hysterie - medizinisches Phänomen

Foucault zufolge konzentrieren sich Diskurse im Wirkungsbereich der Macht. Dabei geht es weniger um eine direkte Machtausübung im Sinne von Verurteilung und Verbot, sondern primär „um die Regulierung von Sexualität durch die Initiierung eines öffentlichen Sprechens über sie Anlass zur Öffentlichmachung gab spätestens seit dem 18. Jahrhundert die Bevölkerungsbewegung, die als ökonomisches und politisches Problem auf den Plan trat und die Fortpflanzung zur Staatssache werden ließ. Die Jahrzehnte um 1800 sind durch eine Vielzahl von wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Publikationen gekennzeichnet, wobei sich der aufkommende Terminus Sexualität „als Verbindungsglied zwischen der Bevölkerung und der Lebenswelt des Subjekts etabliert.“[11] [12] Die Erforschung und Pflege des „Bevölkerungs-Körpers“ wurde zum wichtigsten Anliegen des Staates. Gleichzeitig wurden unproduktive und bevölkerungsschädliche Begierden - widernatürliche Sexualitäten - nicht mehr nur mittels religiöser und moralischer Normen sanktioniert, sondern rückten ins Zentrum eines breit angelegten wissenschaftlichen Diskurses.[13] In diesem Kontext steht Foucaults Terminus der „Biopolitik“, welche im Rahmen der Bevölkerungsregulierung Fortpflanzung, Geburtenrate, Gesundheitsniveau, Lebensdauer etc. zum Gegenstand regulierender Kontrolle und eingreifender Maßnahmen werden lässt.[14] Damit wird Sexualität zum „Ausstrahlungspunkt von Diskursen und verstärkt das Bewusstsein einer ständigen Gefahr, die wiederum erneuten Anreiz zum Sprechen liefert.“[15] Der Sex wurde eine „Sache der Verwaltung (...) der öffentlichen Gewalt, er fordert(e) Verwaltungsprozeduren, er muss(te) analytischen Diskursen anvertraut werden.“[16] Diese „Besorgtheit um den Sex“[17] greift im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weiter um sich und rückt die hysterische Frau als Negativbild der Mutter zusammen mit den perversen Erwachsenen, dem masturbierenden Kind und dem familienplanenden Paar in den Fokus der Überwachung.[18] Die Reproduktionsfunktion des weiblichen Körpers wird zur Zielscheibe der Demographie und zum zentralen Element des staatlichen Zugriffs.[19] Der Hysterie-Begriff rotierte um die Achse der Mutterschaft, so dass die Verantwortung der Frau für die Geburt gesunder Kinder, den Bestand der Familie und dem Heil der Gesellschaft zu einer massiven Medizinierung ihres Körpers und Sexes führte.

[...]


[1] Colin zitiert nach Lamott, Franziska: Die vermessene Frau. Hysterien um 1900. München 2001. Seite 81.

[2] Vgl. www.psychatriegespräch.de/texte/hysterie.php#geschichte2

[3] Vgl. Weickmann, Dorion: Rebellion der Sinne. Hysterie - ein Krankheitsbild als Spiegel der Geschlechterordnung. (1880-1920). Hamburg 1993. Seite 22.

[4] Vgl. Showalter, Elaine: Hystorien. Berlin 1997. Seite 28.

[5] Vgl. Eder, Franz X.: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität. München 2002. Seite 137.

[6] Vgl. Ebd. Seite 145.

[7] Weickmann, Dorion: Rebellion der Sinne. Hysterie - ein Krankheitsbild als Spiegel der Geschlechterordnung. (1880-1920). a.a.O. Seite 66.

[8] Eder, Franz X.: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität. a.a.O. Seite 13.

[9] Vgl. Ebd. Seite 13.

[10] Vgl. Ebd. Seite 139.

[11] Lamott, Franziska: Die vermessene Frau. Hysterien um 1900. München 2001. Seite 25.

[12] Eder, Franz X.: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität. a.a.O. Seite 138.

[13] Vgl. Eder, Franz X.: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität. a.a.O. Seite 138.

[14] Vgl. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Bd. 1: Sexualität und Wahrheit. Frankfurt a.M. 1983. Seite 135.

[15] Lamott, Franziska: Die vermessene Frau. Hysterien um 1900. a.a.O. Seite 26.

[16] Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Bd. 1: Sexualität und Wahrheit. a.a.O. Seite 36.

[17] Ebd. Seite 104.

[18] Vgl. Ebd. Seite 104.

[19] Vgl. Lamott, Franziska: Die vermessene Frau. Hysterien um 1900. a.a.O. Seite 26.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Wandlung der Behandlungsmethoden und Deutungssysteme der Krankheit Hysterie
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Veranstaltung
Diskursanalyse
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V137240
ISBN (eBook)
9783640458264
ISBN (Buch)
9783640458554
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hysterie
Arbeit zitieren
Sabrina Schreyer (Autor:in), 2008, Die Wandlung der Behandlungsmethoden und Deutungssysteme der Krankheit Hysterie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137240

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