Eduard Rhein alias Claude Borell

Ein homoerotischer/homosexueller Schriftsteller?


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2008

38 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Eduard Rhein

2 Die geschichtliche Entwicklung der Homosexualität in Verbindung mit Eduard Rheins Lebenslauf
2.1 Kaiserreich
2.2 Weimarer Republik - erste Homosexuellenbewegung und Eduard Rhein
2.3 NS-Zeit und Eduard Rhein
2.4 Nachkriegszeit - zweite Homosexuellenbewegung und Eduard Rhein
2.5 Aufbruch nach 1969 – Schwulenbewegung und Eduard Rhein
2.6 AIDS
2.7 Entwicklung seit 1990

3 Der § 175

4 Die homoerotischen Schriften Rheins
4.1 „Romeo und Julius“
4.2 „Das gestohlene Abitur“
4.3 „Die Dame sah durchs Schlüsselloch“
4.4 „Landgang“
4.5 „Liebe hinter Gittern“
4.6 „Nichts als Schwindeleien“

5 Interessante Fakten
5.1 Springer-Hetze
5.2 Mann-Wedekind-Clique
5.3 Eduard Rhein als heimlicher Autor?
5.3.1 Verhältnis Balz – Rhein
5.3.2 Friedrich Radszuweit
5.3.3 Rosa von Praunheim
5.3.4 Evelyn Künneke
5.3.5 Zusammenfassung

6 Quellen

1 Eduard Rhein

Eduard Rhein, geboren am 23.08.1900 in Königswinter, gestorben am 15.04.1993 in Cannes wurde bekannt als Erfinder, Publizist und Schriftsteller. Er erfand

- den Schnellstarter fürs Radio,
- das Radargerät FK1 und
- das Füllschriftverfahren für die Langspielplatte.

Unter den Pseudonymen Hans Ulrich Horster, Klaus Hellborn und Adrian Hülsen veröffentlichte er Romane wie

- „Ein Herz spielt falsch“,
- „Verlorene Träume“,
- „Ein Student ging vorbei“ oder
- „Briefe aus dem Jenseits“[1]

Im Mittelpunkt dieser Ausarbeitung steht jedoch das vierte Pseudonym von Eduard Rhein: Claude Borell. Claude Borell steht für einen Autor, der homoerotische Geschichten niederschrieb. Geschichten über die gleichgeschlechtliche Liebe von Männern. Lassen sich damit Gerüchte untermauern, dass auch Rhein alias Borell Männer liebte und seine Gefühle, Ängste und Sorgen über diese Werkte zum Ausdruck brachte? Im Folgenden soll genau dieser Fragestellung nachgegangen werden. Betont wird, dass es sich um eine Sammlung von Fakten handelt. Der Leser selbst ist gefragt, sich am Ende ein Urteil zu bilden. Rhein äußerte sich niemals direkt über eine mögliche Homosexualität. Es können nur Aussagen von Zeitzeugen, sein Zusammenleben mit Will Theden, Auszüge aus seiner Biografie und bestimmte Geschehnisse gedeutet und interpretiert werden.

Bernhard Rosenkranz und Dr. Gottfried Lorenz gehen in ihrem Werk „Hamburg auf anderen Wegen, Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt“ sehr eindeutig davon aus, dass Eduard Rhein homosexuell war. Im Gegensatz dazu behandelt das Siebengebirgsmuseum in Königswinter, welches ein Eduard-Rhein-Zimmer beinhaltet, diese Thematik als ungeklärt und spekulativ. Allerdings spricht auch das Museum davon, dass es zahlreiche ziemlich eindeutige Hinwiese auf Rheins Homosexualität gibt.[2]

Ein Zeitzeuge, der anonym bleiben möchte, äußerte sich in einem Interview mit Bernhard Rosenkranz zwar nur kurz, aber eindeutig[3]:

„In dem Haus von Eduard Rhein gingen viele Tunten aus und ein“[4].

Neben diesen Berichten findet man auch interessante Passagen in Rheins Autobiografie: „Der Jahrhundertmann“.

Dort berichtet Rhein über seinen Umzug 1923 nach Berlin:

„In diesen Monaten war ich restlos glücklich, obwohl ich mir darüber klar war, dass es nur eine Übergangszeit sein konnte und durfte. Eine Art Urlaub von der Karriere. Ich war in der Stadt meiner Träume und fühlte mich frei wie die Spatzen am Wittenbergplatz. Kunst bringt Gunst: Kaum ein Abend, an dem ich nicht die eine oder andere Einladung zu einer „näheren Bekanntschaft“ ablehnen musste. Diese menschlichen Beziehungen reizten mich nicht; einige wirkten in ihrer Eindeutigkeit fast verletzend. Ich war nach Berlin gekommen, um zu arbeiten, Karriere zu machen… Was denn sonst? Oder? Machte ich mir da nicht selber etwas vor? War da nicht doch in einer Ecke meines blitzhellen Verstandes auch das Wissen um eine sehr geheime Sehnsucht…? Nach was denn? Hatte mich da nicht auch noch etwas anderes getrieben? Eine noch ungewisse, noch unbestimmte Sache nach Liebe, nach Freundschaft? Nach dem Zusammensein mit Menschen aus Fleisch und Blut? Hatte ich nicht genau gewusst, weshalb ich nur in einer Weltstadt glücklich werden würde? Ein Unbekannter unter Millionen? Ja, ich habe es schon sehr früh gewusst. Ich war gebildet, in mancher Hinsicht begabter und interessanter als die meisten. Ein Typ, der nicht nur maßlos neugierig war, sondern auch neugierig machte. Ich war kein Keuschheitsapostel und kein Kirchengänger, kein Sittlichkeitsfex und kein Astlochgucker, kein Bettschnüffler und Heuchler. Und ich hatte schon sehr früh gelesen, was Ibsen seine Hedda Gabler sagen lässt: „Was immer auch geschehen mag, lass es in Schönheit geschehen“. Ich war ein lebensmutiger Sohn meines leichtblütigen Vaters, aber ich wusste auch, dass ich gefährdet war. Das mag genügen…“[5]

Nicht nur ein beruflicher Hintergrund hat ihn also in die Großstadt verschlagen. Als „ein Unbekannter unter Millionen“ konnte er hier abtauchen und sich ausleben: „Kaum ein Abend, an dem ich nicht die eine oder andere Einladung zu einer näheren Bekanntschaft ablehnen musste.“. Rhein spricht von „einer sehr geheimen Sehnsucht“, die er in einer Großstadt zu befriedigen versuchte.

Und gerade die Großstädte waren es zu seiner Zeit, in denen sich die homosexuelle Szene entwickelte. Ob Berlin, Hamburg oder München, alle zusammen waren sie Hochburgen der Homosexuellen und Rhein war sesshaft in jeder dieser Städte. Reiste er der Entwicklung hinterher oder war es Zufall, dass er sich gerade in diesen Städten beheimatete?

„Rhein gehörte zu der Generation Homosexueller, die ständig in Angst vor Entdeckung ihrer Homosexualität lebten.“[6]

Flüchtete er also von Stadt zu Stadt? Sei dahingestellt, was der Grund für seine Unruhe war, begleitet wurde er immer von Will Theden, seinem Lebensgefährten?! Nach dessen Tod zog sich Rhein auffällig aus dem öffentlichen Leben zurück. Misstrauen ist zu seiner zweiten Natur geworden.

Die Angst vor der Entdeckung homosexueller Liebe ist oft Inhalt in seinen homoerotischen Romanen. Seine Gedanken in Bezug auf Homosexualität verarbeitete er erst sehr spät in seinem Leben, denn seine homoerotischen Schriften wurden erst seit 1979 unter seinem Pseudonym Claude Borell veröffentlicht. Und auch dieses Pseudonym wurde wie die gesamte Thematik tot geschwiegen.

2 Die geschichtliche Entwicklung der Homosexualität in Verbindung mit Eduard Rheins Lebenslauf

Folgender Abriss über die geschichtliche Entwicklung der Homosexualität dient als Überblick, um den Schriftsteller Eduard Rhein alias Claude Borell besser verstehen zu können und eventuell Verbindungen zu seinem Lebenslauf herzustellen. Grundlage für diese Abhandlung war die Veröffentlichung von Dr. Gottfried Lorenz und Bernd Rosenkranz „Hamburg auf anderen Wegen“ sowie die Internetplattform „GayStation“, auf der der Verantwortliche Oliver Reihmann, unter der Rubrik „GayHistory“, einen Überblick der Homosexuellenbewegung von 1897 bis 2005 auflistet.

2.1 Kaiserreich

Homosexualität begann natürlich nicht erst im Kaiserreich ab 1871 unter Bismarck. Jedoch wurde damals der § 175 im Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) eingeführt, der die Unzucht unter Männern untersagte. 1897 gründete Magnus Hirschfeld das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (Whk) und wollte durch sichergestellte Forschungsergebnisse Klarheit über die „Liebe zu Personen gleichen Geschlechts“ schaffen. Ein weiteres Ziel Hirschfelds war die Abschaffung des § 175. So reichte er im Dezember 1897 eine Petition des WhK gegen den Anti-Homosexuellen-Paragrafen 175 im Reichstag und Bundestag ein. Dieser wurde jedoch nicht stattgegeben.

2.2 Weimarer Republik - erste Homosexuellenbewegung und Eduard Rhein

Zur Zeit der Weimarer Republik erblühte die erste Homosexuellenbewegung. Um 1919 gründeten sich die ersten Freundschaftsverbände durch Homosexuelle in Berlin und anderen deutschen Städten. Neben dem WhK gründete sich 1913 eine ebenso eher elitäre Bewegung, die Gemeinschaft der Eigenen (GdE). Ziele dieser Verbände und Bewegungen waren vor allem der politische Kampf gegen Strafverfolgung und gesellschaftliche Diskriminierung, aber sie wollten auch Freizeitangebote für homosexuelle Männer und Frauen anbieten.

Magnus Hirschfeld eröffnete sein Institut für Sexualwissenschaft in Berlin und arbeitete an einem Homosexuellenfilm von Richard Oswald mit, der da hieß „Anders als die Anderen“. Der Film war der erste homosexuelle Emanzipationsfilm und übte Kritik am § 175. Daher wurde er 1920, nach Widereinführung der Filmzensur, verboten. Jedoch durfte er noch in bestimmten Personenkreisen, wie unter Ärzten, in Lehranstalten oder wissenschaftlichen Instituten gezeigt werden. Dafür nutzte Magnus Hirschfeld sein wissenschaftliches Institut für Sexualforschung.

Weiterhin kam es zur Gründung von Zeitschriften, wie 1919 „Die Freundschaft - Mitteilungsblatt des Klubs der Freunde und Freundinnen“ oder 1921 „Die Sonne“. 1920 entstanden auch weitere Freundschaftsbünde, der Verband der Freunde und Freundinnen Groß-Hamburgs und die Hamburger Gesellschaft für Sexualforschung (HGfS). Sie wollten für politische, juristische und ärztliche Beratung der Homosexuellen sorgen und Freizeitangebote organisieren. Währenddessen öffneten zahlreiche Lokale für Homosexuelle.

Besonders bekannt war das „Eldorado[7] “ in Berlin, was dazu beitrug, dass Berlin in der Zeit der Weimarer Republik als Eldorado der Homosexuellenbewegung galt.

In Berlin gründete sich 1920 der Deutsche Freundschaftsverbund (DFV) aus dem HGfS als Dachverband der Freundschaftsbünde. Zu seinen Aufgaben zählten:

- Stellungnahmen zu allen Fragen der Homoerotik
- Pflege der Solidarität
- Austausch von Erfahrungen und Ratschlägen
- Aufklärung der Mitglieder
- Aufklärung in anderen Kreisen
- Rat und Hilfe bei Konflikten der Mitglieder mit Gesellschaft und Gesetz
- Schaffung von Unterstützungseinrichtungen
- Bekämpfung des Erpressertums
- Bekämpfung der Prostitution

1921 entstand das Berliner „Theater des Eros“, welches von den Mitgliedern des DFV gegründet wurde. Denn nach der Abschaffung der Theaterzensur 1918 durften nun auch wieder homosexuelle Stücke gespielt werden. Weiterhin mietete sich eine Gruppe intelligenter Homosexueller bis 1924 Räume, in denen sie homosexuelle Theaterstücke aufführten.

Der DFV änderte 1923 seinen Namen in „Bund für Menschenrechte“ (BfM), da der Verein in erster Linie als Verein für Freizeitveranstaltungen galt und nicht, wie es das eigentliche Ziel war, für politische Emanzipation. Unter dem Vorsitzenden Friedrich Radszuweit brachte der Verein nun die „Blätter für Menschenrechte“ heraus und erreichte die Eintragung ins Vereinsregister. Hauptziel war immernoch die Streichung des § 175.

Mit dem „Schwarzen Freitag“ an der New Yorker Börse 1924 entstand auch eine Arbeitslosenkrise in Deutschland. Diese wirkte sich jedoch nicht nur auf die Wirtschaft aus, sondern auch auf die Kultur. Die Regierung führte das „Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schmutz- und Schundliteratur“ ein, welches den Autoren von homosexuellen Werken die Textveröffentlichungen erschwerte.

Bereits 1932 beantragte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) das Verbot von „Bühnenstücken [mit] sittlich destruktiver Tendenz zur Aufführung zu bringen“[8]. Dies hatte zur Folge, dass bereits zum Ende der Weimarer Republik Homosexualität auf deutschen Theaterbühnen keine Rolle mehr spielte.

Nach seinem Studium in Mittweida, zog Eduard Rhein 1923 nach Berlin. Wie schon in der Einführung genannt, wusste er, dass er „nur in einer Weltstadt glücklich werden würde“. Er bekam eine Anstellung bei der Ziegenberg AG für elektrische Kleinbeleuchtung in der Abteilung der Öffentlichkeitsarbeit. Nachdem die AG ein Jahr später schließen musste, hielt sich Rhein als Musiker über Wasser, genauer gesagt, als Geiger in einer Band, bis er eine Assistenzstelle beim Zentralverband der Deutschen Elektronischen Industrie erhielt.

Rhein erlebte so die erste Homosexuellenbewegung in der Hauptstadt mit. Wieso zog es ihn gerade hierher? Wusste er, dass die Hochburg für Homosexuelle damals gerade Berlin war? Warum ging er nicht zurück ins Rheinland oder nach München? Diese Fragen lassen Platz für Spekulationen. Während seiner Tätigkeit als Musiker war er in vielen Bars und Gaststätten unterwegs. Er muss sich also mit der „Kneipenszene“ in Berlin gut ausgekannt haben und es kann vermutet werden, dass er auch in homosexuellen Lokalen eingekehrt ist. Ebenso spricht seine Begeisterung für Musik, Theater und Literatur dafür, dass er auch Theater und Opernhäuser besucht hat. Ob er auch Gast im „Theater des Eros“ war und sich homosexuelle Stücke angeschaut hat, ist nicht belegt, aber möglich. Als Medienmann, welcher er später geworden ist, könnte man annehmen, dass er auch die Zeitschriften der homosexuellen Verbände gelesen hat. Fest steht, dass Rhein die Bewegung der Homosexuellen in Berlin zu dieser Zeit sicher verfolgte. Gerade in der Zeit, bevor er durch „Hörzu“ zu großer Bekanntheit gelangt ist, liegt es nahe, dass er unentdeckt an der einen oder anderen Veranstaltung teilgenommen hat.

2.3 NS-Zeit und Eduard Rhein

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 endete auch die Arbeit des BfM und 1934 wurde er aus dem Vereinsregister gestrichen. Die NSDAP forderte die Todesstrafe für Homosexuelle und die „Blätter für Menschenrechte“ wurden eingestellt. Generell wurde die Presse gleichgeschaltet und Homosexuelle als Verbrecher und Perverse dargestellt. Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichkanzler endete die Emanzipationsbewegung der Homosexuellen, denn diese entsprachen nicht dem Bild der arischen Deutschen. Schlimmer noch: die Homosexuellen, Transvestiten und Stricherjungen wurden verfolgt, diffamiert und ausgegrenzt. Ab November 1933 wurden sie als Schutzhäftlinge in Konzentrationslager deportiert.

Im Februar 1933 wurden bereits die Freundschaftslokale in deutschen Großstädten geschlossen, Verbände stellten ihre Aktivitäten ein und im März stellten die Freundschaftszeitschriften ihre Veröffentlichung ebenfalls ein. Im Juli 1934 erfolgte der Röhm-Putsch. SA-Führer Ernst Röhm wurde von den Nationalsozialisten verhaftet und ermordet. Hitler beschrieb die Tat als präventive Maßnahme zum Schutz vor einem Putschversuch von Seiten Röhms, denn dieser übte Druck auf Hitler aus und hatte es innerhalb der SA auf mehr Macht abgesehen. Um die Tat zu erklären, wurde Röhms bekannte Homosexualität offen gelegt und davon das Signal abgeleitet, die eigenen Reihen der NSDAP sollen von Homosexuellen gesäubert werden.

Im September 1935 wurde der § 175 verschärft und zusätzlich der § 175a eingeführt. Weiterhin entstanden die §§ 183 „Erregung öffentlichen Ärgernis“ und 185 „Beleidigung/tatsächliche Beleidigung“ sowie zahlreiche gerichtliche Strafen für Homosexuelle, wie Sicherungsverwahrung, Einweisung in Pflege- und Heilanstalten, Nötigung zur „freiwilligen“ Kastration und Deportation in Konzentrationslager. Ziel dieser Maßnahmen war die Ausrottung der Seuche Homosexualität. 1936 wurde ein Teil des Berliner Gestapo Sonderkommandos zur „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“. Unter Heinrich Himmler begann nun die massive Verfolgung der Homosexuellen. Fünf Jahre später wurde die Unzucht mit einem Mann in der Hitlerjugend, in der SS und in der Polizei unter Todesstrafe gestellt.

Zirka 100.000 Männer standen auf der so genannten „Rosa Liste“. 17.000 von ihnen wurden vorgeladen und verhört. 50.000 wurden zu Haftstrafen verurteilt. In den Konzentrationslagern kamen 5.000 bis 10.000 Homosexuelle ums Leben. Nachdem Magnus Hirschfeld 1935 gestorben war, forschte der amerikanische Zoologe Alfred C. Kinsey weiter über die menschliche Sexualität. 1948 veröffentlichte er sein erstes Buch „Das sexuelle Verhalten des Mannes“.

1929 begann Eduard Rhein für die Programmzeitschrift „Sieben Tage“ des Ullstein-Verlages als Redakteur zu arbeiten. Er lebte also immer noch in einer Villa in Berlin, die er von Fritz Lang und Thea von Harbou gekauft hatte[9]. Zirka 1931 fing Wilhelm Theden als Volontär im selben Verlag an. Rhein äußert sich in seiner Biografie:

„Der >Richtige< sah sehr gut aus, war ein waschechter Berliner und sprach als solcher alle I als Ü aus. (…) und ich dachte im stillen: Den Hübschen lache ich mir an, den kriegt der Decken niemals wieder…“[10]

Will, wie ihn Rhein zu nennen pflegte, wurde später Rheins Stellvertreter und enger Vertrauter. Verschiedene Quellen belegen, dass er auch Rheins Lebensgefährte war, was er jedoch nie öffentlich zugab. So schreibt Bernd-Ullrich Hergemöller in seinem biografischen Lexikon „Mann für Mann“ ebenso vom „Lebensgefährte[n] Will Theden“[11].

1934 wurde der Ullstein-Verlag, nach erzwungenem Verkauf, Teil des NSDAP-Verlagskonzerns und in „Deutscher Verlag“ umbenannt[12]. Eduard Rhein arbeitete also unter den Nazis. Was, wie seine Homosexualität nicht öffentlich genannt wird, ist seine Arbeit ab 1941 für die nationalsozialistische Zeitschrift „Signal“. Jedoch beschränkten sich seine Arbeiten lediglich auf technische Artikel.[13]

Eduard Rhein, der sich nie öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hatte, musste nun fürchten, dass sein mögliches Geheimnis nicht nur entdeckt, sondern dass er auch immens bestraft, wenn nicht sogar umgebracht werden würde. Es ist anzunehmen, dass er sich in dieser Zeit, wenn überhaupt, wenig oder gar nicht im homosexuellen Milieu bewegt hat. Hergemöller schreibt, dass Rhein mit seiner Mutter in der Villa gelebt hat[14], was für ihn möglicherweise als ein Alibi diente. Rhein muss wohl große Ängste ausgestanden, nicht entdeckt zu werden. Dies hat ihn möglicherweise für den Rest des Lebens geprägt, nie mit seinem Geheimnis an die Öffentlichkeit zu gehen.

2.4 Nachkriegszeit - zweite Homosexuellenbewegung und Eduard Rhein

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hatten viele Homosexuelle die Hoffnung, dass die Verfolgungen endlich ein Ende haben. Jedoch galt der § 175 sowohl in den westlichen Besatzungszonen als auch in der DDR weiter.

Hamburg war zwar zum einen die Stadt Deutschlands mit den meisten Straftaten nach § 175, aber auch die neue liberale Hochburg für die Schwulenbewegung. Es öffneten wieder Freundschaftslokale, es entstanden Gruppen, die an die Vorbilder der Homosexuellenbewegung von 1920 anknüpften und ab 1950 kamen auch wieder Homosexuellenzeitschriften, wie „Die Freunde“ oder „Der Weg“, heraus. Überhaupt war Hamburg die homosexuelle Pressehauptstadt Deutschlands. Jedoch stellten die meisten homosexuellen Zeitschriften ihr Erscheinen nach kurzer Zeit wieder ein. Ab 1952 spielten auch erstmals wieder Dramen über Homosexualität im Theater der Hamburger Kammerspiele.

Ziele der zweiten Homosexuellenbewegung waren nun vorerst die Liberalisierung des § 175 und die Wiedergutmachung für KZ-Opfer. Jedoch kam es ab den 1960er Jahren wieder zu einem Anstieg der Verurteilten. Alle Homosexuellenorganisationen wurden aufgelöst und Zeitschriften, bis auf „Der Weg“, wurden eingestellt. Trotzdem konnten weiterhin viele intellektuelle Homosexuelle unangetastet und öffentlich schwul in Hamburg leben.

Nachdem Eduard Rhein sich, seine Mutter und seine Schwester, die zu Besuch in Berlin waren, aus der zerstörten Hauptstadt retten konnte, wohnte er eine zeitlang wieder in Königswinter. Die Rettung war möglich durch seine guten Kontakte zu den deutschen Soldaten, die er während seiner Arbeit am Radargerät FK1 für die Armee aufbaute[15]. Sein Freund Will Theden suchte ihn in Königswinter auf und wohnte eine zeitlang bei Rhein und seiner Familie. Auch hier liegt der Verdacht nahe, dass beide mehr als nur durch eine Freundschaft verbunden waren, denn fraglich bleibt, warum Theden ausgerechnet bei Rhein Unterschlupf suchte.

1946 erledigte Rhein erste Aufträge für den Norddeutschen Rundfunk. Als er jedoch ein Angebot von Axel Springer bekam, in Hamburg eine neue Programmzeitschrift als Chefredakteur zu übernehmen, zog er in die Hafenstadt. Sein Freund Will Theden war abermals dabei und fing als sein Stellvertreter im Axel Springer Verlag an. Auch wenn das Angebot Springers verlockender und lukrativer war, als das des Norddeutschen Rundfunks, so war Rhein möglicherweise aber auch nicht abgeneigt, erneut in eine Großstadt zu ziehen, deren Homosexuellenszene gerade wieder im Aufblühen schien. Nach Berlin war dies nun die zweite Hochburg der Schwulenszene, die sich Rhein als Heimat aussuchte. Abermals erlebte er genau die Zeit mit, in der sich das homosexuelle Leben entfaltete und erneut lässt dies vermuten, dass er auch in Hamburg an der einen oder anderen homosexuellen Veranstaltung teilgenommen hat.

Die neuen Einschränkungen und das Bestehen von § 175 konnte ihn jedoch auch vorsichtig gemacht haben. Er hätte schließlich nicht gewollt, dass sein neuer Job durch seine Homosexualität gefährdet würde. Hierfür spricht, dass auch aus dieser Zeit kaum Hinweise über sein homosexuelles Leben gefunden werden können.

2.5 Aufbruch nach 1969 – Schwulenbewegung und Eduard Rhein

Ab Mitte der 1960er Jahre setzte die Schwulenbewegung ein. Diese ist keine Nachfolgebewegung der ersten und zweiten Homosexuellenbewegung. Es bildeten sich Schwulengruppen, die das Bewusstsein entwickelten, anders zu sein und dieses auch ausleben wollten. Die Homosexuellen wollten nun nicht einfach nur akzeptiert werden, währenddessen sie sich der Gesellschaft anzupassen versuchten, sondern sie wollten so akzeptiert werden, wie sie sind.

[...]


[1] Eduard-Rhein-Stiftung

[2] Scheuren, Elmar, Leiter des Siebengebirgsmuseum

[3] Rosenkranz, Bernhard, Autor: „Hamburg auf anderen Wegen“

[4] Lorenz, Rosenkranz, „Hamburg auf anderen Wegen“, 2006, S. 270 mit Quellverweis auf ein Gespräch zwischen Bernhard Rosenkranz und dem Zeitzeugen C. am 24.09.2004, der anonym bleiben möchte

[5] Rhein, „Ein Jahrhundertmann“, 1992, S. 96; Lorenz, Rosenkranz, „Hamburg auf anderen Wegen“, 2006, S. 270

[6] Vgl. Lorenz, Rosenkranz, „Hamburg auf anderen Wegen“, 2006, S. 271

[7] Eldorado bedeutet im übertragenen Sinn „Paradies“, „Schlaraffen-, Traumland“.
Quelle: http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/ressorts/bildung/index,page=1090852.html

[8] Lorenz, Rosenkranz, „Hamburg auf anderen Wegen“, 2006

[9] Vgl. Hergemöller, „Mann für Mann“, 2001, S. 584

[10] Rhein, „Ein Jahrhundertmann“, 1992, S. 199

[11] Hergemöller, „Mann für Mann“, 2001, S. 584

[12] Vgl. http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullsteinhc/verlag.php

[13] Kader, „Eduard Rhein und Signal“, 2008

[14] Vgl. Hergemöller, „Mann für Mann“, 2001, S. 584

[15] Rhein, „Ein Jahrhundertmann“, 1992

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Eduard Rhein alias Claude Borell
Untertitel
Ein homoerotischer/homosexueller Schriftsteller?
Hochschule
Hochschule Mittweida (FH)
Veranstaltung
Archive & Datenbanken - Historische Recherche
Note
1
Autoren
Jahr
2008
Seiten
38
Katalognummer
V136960
ISBN (eBook)
9783640455065
ISBN (Buch)
9783640454839
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eduard, Rhein, Claude, Borell, Schriftsteller
Arbeit zitieren
Master of Arts Janet Beier (Autor:in)Katina Scholz (Autor:in), 2008, Eduard Rhein alias Claude Borell, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136960

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