Räumliche Auswirkungen des Betriebsformenwandels im Lebensmitteleinzelhandel


Quellenexegese, 2009

61 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Theorien zur Erklärung des Betriebformenwandels im Einzelhandel
2.1 Umwelttheorien
2.2 Zyklische Theorien
2.3 Konflikttheorien

3. Betriebsformenwandel und weitere Merkmale des Strukturwandels im Lebensmitteleinzelhandel
3.1 Betriebsformenwandel im Lebensmitteleinzelhandel
3.1.1 Kleine Lebensmittelgeschäfte
3.1.2 Supermärkte
3.1.3 SB-Warenhäuser und Verbrauchermärkte
3.1.4 Discounter
3.2 Sinkende Betriebszahlen und Verkaufsflächenexpansion
3.3. Konzentration und Internationalisierung
3.3.1 Konzentrationsprozesse
3.3.2 Internationalisierung
3.4 Handelsexogene Faktoren
3.4.1 Konsumenten
3.4.1.1 Einkommen
3.4.1.2 Bevölkerungsentwicklung
3.4.1.3 Altersstruktur
3.4.1.4 Erwerbstätigkeit und Bildungsstand
3.4.1.5 Anzahl und Größe der Privathaushalte und Familienstrukturen
3.4.1.6 Werte, Einstellungen und Einkaufsmotive
3.4.1.7 Prägung des Einkaufverhaltens durch technischen Fortschritt, höhere Mobilität und veränderte Siedlungstrukturen
3.4.2 Planung
3.4.2.1 Planungsrechtliche Einflussmöglichkeiten der Gemeinden
3.4.2.2 Planungsrechtliche Einflussmöglichkeiten übergeordneter Ebenen

4. Auswirkungen des Betriebsformenwandels auf die Standortstrukturen des Lebensmitteleinzelhandels, das Zentrensystem und die Versorgungssituation der Bevölkerung
4.1 Veränderungen der Standortstrukturen im Lebensmitteleinzelhandel
4.1.1 Standortstrukturen im (Lebensmittel-)Einzelhandel bis in die 1960er Jahre
4.1.2 Standortstrukturen im Lebensmitteleinzelhandel seit den 1960ern
4.1.3 Standortstrukturen in Ostdeutschland
4.2 Räumliche Auswirkungen auf das Zentrensystem
4.2.1 City/Innenstadt
4.2.2 Sub- und Nebenzentren
4.2.3 Nicht integrierte Lagen
4.2.4 Ländlicher Raum
4.3 Auswirkungen auf die Versorgungssituation der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs
4.3.1 Auswirkungen auf die Versorgungssituation in den Städten
4.3.2 Auswirkungen auf die Versorgungssituation im ländlichen Raum
4.3.3 Sicherung und Verbesserung der Nahversorgung

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis:

Abbildung 1: Umsatzanteile im Lebensmitteleinzelhandel nach Betriebsformen in % seit 1970

Abbildung 2: Anteile der Betriebsformen im Lebensmitteleinzelhandel an den Verkaufsstellen und am Umsatz in % im Jahr 2007

Abbildung 3: Durchschnittliche Verkaufsfläche im Lebensmitteleinzelhandel in m2 seit 1970

Abbildung 4: Durchschnittliche Verkaufsfläche im Lebensmitteleinzelhandel nach Betriebsform in m seit 1970

Abbildung 5: Reale Umsatzentwicklung im Einzelhandel seit 1995 in %

Tabelle 1: Leistungs- und Kennziffern von Discountern und Supermärkten 2006

Tabelle 2: Anzahl der Verkaufsstellen von Lebensmitteldiscountern in Deutschland 2006

Tabelle 3: Entwicklung der Sortimentsgröße nach Betriebsformen

Tabelle 4: Unternehmen mit den fünf höchsten Jahresumsätzen im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland 2007 in Mrd. €

Tabelle 5: Standortanforderungen von Lebensmittelfilialisten

Tabelle 6: Kleinflächenkonzepte und deren Standortanforderungen

1. Einleitung

Seit den 1960er Jahren hat sich in Deutschland ein tief greifender Strukturwandel im Einzelhandel vollzogen, der die Standortstrukturen nachhaltig verändert hat. Richteten sich die Standorte bis dahin am zentralörtlichen System und nach der räumlichen Verteilung der Nachfrage aus, entstanden zunehmend Verkaufsstellen und Einzelhandelsagglomerationen in stra1enverkehrsgünstigen Lagen au1erhalb der Zentren. Im Lebensmitteleinzelhandel ist der Strukturwandel besonders weit fortgeschritten. Er ist gekennzeichnet durch das Auftreten neuer (gro1flächiger) Betriebsformen. Damit einher gingen eine Verkaufsflächenausweitung bei gleich-zeitigem Rückgang der Verkaufsstellen und Konzentrationsprozesse auf der Angebotsseite. Der Betriebsformenwandel kann dabei als Motor der Entwicklung angesehen werden (Heinritz et al. 2003: 46). Daher beginnt diese Arbeit mit theoretischen Konzepten zur Erklärung und dem Verlauf des Betriebsformenwandels sowie der Beschreibung der weiteren handelsendogenen Veränderungen. Da aber auch handelsexogene Einflüsse auf den Einzelhandel wirken, werden die Veränderungen auf der Konsumentenseite und die Einflussnahme durch planungsrechtliche Vorgaben thematisiert.

Räumliche Auswirkungen des ablaufenden Strukturwandels sind weit reichende Veränderungen in den Standortstrukturen des (Lebensmittel-)Einzelhandels. Insbesondere die Entstehung von Geschäften in nicht integrierten Lagen sowie die Ausdünnung des Versorgungsnetzes sind hier zu nennen. Diese Veränderungen im Standortsystem wirken sich wiederum auf das Zentrensystem und die Versorgungs-situation der Bevölkerung aus. Vor allem die städtischen Subzentren erfuhren dabei einen Bedeutungsverlust, gleichzeitig sind die Distanzen zwischen Versorgungs-einrichtungen und Wohnorten im Mittel angewachsen, was die Sicherung der Nahversorgung verschlechtert und teilweise sogar gefährdet.

Gleichwohl ist aber nicht davon auszugehen, dass der Wandlungsprozess des Einzelhandels abgeschlossen ist.

2. Theorien zur Erklärung des Betriebformenwandels im Einzelhandel

Zur Erklärung des Betriebsformenwandels wurden verschiedene Erklärungsansätze und Modelle entworfen. Dabei können drei Gruppen von theoretischen Ansätzen unterschieden werden (Heinritz et al. 2003: 48).

2.1 Umwelttheorien

Eine erste Gruppe von Erklärungsansätzen hebt die Einflussnahme handelsexogener Faktoren auf den Einzelhandel hervor. Dementsprechend sind neue Betriebsformen nur marktfähig, wenn sie den Anforderungen der Umwelt entsprechen und sie sich den wandelnden Bedingungen anpassen.

Ein Beispiel dieser Gruppe ist der anpassungstheoretische Ansatz, bei dem der Einzelhandel als lern- und anpassungsfähiges System betrachtet wird. Äußere Einflüsse bestimmen die Einzelhandelsentwicklung. Kommt es zu Einschränkungen, reagiert der Einzelhandel mit einer Anpassung durch Weiterentwicklung. Als Bestätigung für diesen Ansatz lassen sich etwa die Anpassungsreaktionen des Einzelhandels auf die Verschärfung des Bau- und Planungsrechtes mit Einführung der Baunutzungsverordnung von 1968 anführen. So führte die Begrenzung der Verkaufsflächen von SB-Warenhäusern zur Entstehung und raschen Ausbreitung von Fachmärkten, die mit Verkaufsflächen unterhalb der Schwelle zur Großflächigkeit erbaut wurden.

Ein schwerwiegender Nachteil der umwelttheoretischen Erklärungsansätze liegt jedoch in der gänzlichen Ausblendung der handelsendogenen Faktoren des Betriebsformenwandels (Heinritz et al. 2003: 48f).

2.2 Zyklische Theorien

Eine weitere Gruppe von Erklärungsansätzen bilden zyklische Theorien. Dabei ist zwischen dem verdrängungstheoretischen Ansatz, dem Lebenszyklusansatz und dem Marktlückenansatz zu unterscheiden.

Im erstgenannten Ansatz wird davon ausgegangen, dass den Handelsparametern im Laufe der Entwicklung der Betriebsformen unterschiedlich starke Gewichtung zukommt. Über eine preisorientierte Strategie mit der Konzentration auf ein Sortiment mit hohem Lagerumschlag und einem geringem Serviceangebot können neue Betriebsformen in den Markt eingeführt werden. In der Aufstiegsphase kann der neue Betriebstyp aufgrund der attraktiven Preise erhebliche Marktanteile gewinnen. In der nachfolgenden Reifephase wird eine Schwerpunktverschiebung der Handlungs-parameter vom Preis zu einer Vergrößerung und qualitativen Aufwertung des Waren-und Serviceangebots vollzogen, da die Expansionsmöglichkeiten bei einem zunehmenden intraformalen Wettbewerb abnehmen. Durch dieses „trading up“, das mit höheren Kosten und folglich auch mit höheren Preisen einhergeht, nähert sich die neue Betriebsform den traditionellen Betriebsformen an. Dieser Prozess kann sich bis zur völligen Assimilation fortsetzen, wodurch wieder die Bedingungen für das Auftreten einer neuen preisaggressiven Betriebsform geschaffen werden. Mc Nair entwickelte diese Theorie und bezeichnete diesen Prozess der Betriebs-formendynamik als „wheel of retailing“ (Tietz 1992: 1321f). In Deutschland konzipierte Nieschlag einen ähnlichen Ansatz (Lademann 2008: 73ff). Gegen diese Erklärungsansätze wurde insbesondere die Tatsache angeführt, dass Markteintrittsstrategien neuer Betriebsformen keineswegs preisorientiert sein müssen, wie das Beispiel der Fachmärkte zeigt. Des Weiteren erscheint auch der trading-up-Prozess keineswegs zwingend, wie etwa die Entwicklung einiger Warenhäuser bestätigt (Heinritz et al. 2003: 49f).

Ähnlich wie die Verdrängungstheorie argumentiert der Lebenszyklusansatz, der ursprünglich für Produkte entwickelt und dann später auch zur Erklärung des Betriebsformenwandels herangezogen wurde. Ausgangspunkt dieser Theorie ist die Einordnung jedes Produktes innerhalb des Lebenszyklus. Entsprechend durchläuft auch die zugehörige Betriebsform einen Reifeprozess, der im Niedergang der Betriebsform endet (Tietz 1992: 1322). Allerdings wird der Niedergang nicht als zwangsläufig angesehen, da der Reifeprozess durch die Sortimentsgestaltung beeinflusst werden kann (Klein 1995: 39). Mit dem Lebenszyklusansatz werden auch Aussagen zum Verhältnis von Generalisten und Spezialisten möglich, denn mit „den Einzelartikeln durchläuft auch die Auswahltiefe und -breite einen Entwicklungsprozess“ (Heinritz et al. 2003: 51). Demnach folgt dem Aufkommen einer Betriebsform mit breitem und flachem Sortiment eine Schwächung der Betriebsformen mit engem und tiefem Sortiment und umgekehrt. Entsprechend dieser Abfolge versucht Tietz das Auftreten der Betriebsformen in zeitlicher Abfolge zu erklären: Gemischtwarengeschäft, Fachgeschäft, Warenhaus, Spezialgeschäft, Verbrauchermarkt, SB-Warenhaus und Fachmarkt (Tietz 1992: 1322). Klein kritisiert hierbei, dass weitere Handlungsparameter wie Preis oder Serviceangebot außer Acht gelassen werden. Zudem müssten auch Größe und Organisationsgrad der Einzel-handelsunternehmen mitberücksichtigt werden, um Entwicklungen der Betriebs-formen erklären zu können (Klein 1995: 40).

Auch der Marktlückenansatz wird zu den zyklischen Ansätzen gezählt. Danach entwickeln sich neue Betriebsformen in erster Linie als Ergebnis des interformalen Wettbewerbs durch Rationalisierungsprozesse, wenn die bestehenden Betriebsformen die Nachfrage nicht vollständig abdecken können. Entstehende Marktlücken können von Unternehmen genutzt werden, wenn es ihnen gelingt, neue auf die Kundenbedürfnisse abgestimmte Betriebsformen am Markt zu etablieren (Tietz 1992: 1323, Heinritz et al. 2003: 51). Dadurch kommt es langfristig zu einer Angebotsdifferenzierung und einer Marktsegmentierung (Klein 1995: 40).

Heinritz und Mitautoren heben als Vorteile der zyklischen Theorien hervor, dass sie im Gegensatz zu den Umwelttheorien das Aufkommen neuer Betriebsformen zu erklären in der Lage sind. Allerdings finden exogene Einflüsse weitestgehend keine Beachtung. Zudem werden Entscheidungen von Unternehmen auf veränderte Rahmenbedingungen zu wenig berücksichtigt (Heinritz et al. 2003: 52).

2.3 Konflikttheorien

Im Mittelpunkt der Konflikttheorien stehen die Reaktionen bestehender Betriebsformen auf Neuerungen im Marktgeschehen.

Bei der zu den Konflikttheorien zählenden crisis-response-Theorie werden Neuerungen in Form von neuen Betriebsformen als Auslöser für die Ausbildung neuer Betriebsformen bzw. für Differenzierung bestehender Betriebsformen angesehen. Nur durch Anpassungsreaktionen können bedrängte Betriebsformen ihre Wettbewerbsposition sichern, wodurch die Auflösung des Konfliktes und das Herstellen eines neuen (wenn auch instabilen) Gleichgewichts erreicht werden kann. Die Vorteile dieses Ansatzes bestehen darin, dass er ein Nebeneinander von verschiedenen Betriebsformen erklären kann und auch die Unternehmer-entscheidungen im Marktgeschehen Berücksichtigung finden. Kritisch wird zu den Konflikttheorien hingegen angemerkt, dass die Ursachen von Neuerungen durch Umwelteinflüsse wenig beachtet werden und dass der Ablauf der Anpassungs-prozesse als deterministisch angesehen wird (Heinritz et al. 2003: 52ff).

Zur Gruppe der Konflikttheorien zählt auch der polarisierungstheoretische Ansatz. Diesem Ansatz wird wesentliche Bedeutung für die Erklärung des Betriebs-formenwandels beigemessen. „Auslöser für die Differenzierung von Betriebsformen sowohl innerhalb von Branchen als auch branchenübergreifend ist die zunehmende Polarisierung des Nachfrageverhaltens bei Waren des Grundnutzens und solchen des Zusatznutzens“ (Heinritz et al. 2003: 53). Die Einzelhandelsunternehmen mit grundnutzenorientierten Betriebsformen verfolgen aufgrund des preisorientierten Kaufverhaltens eine Kostensenkungsstrategie, die neben der konsequenten Anwendung des SB-Prinzips auch eine Reduzierung der Bedienungs- und Beratungskosten, die Beschäftigung von Teilzeitkräften sowie geringer qualifiziertem Personal zur Reduktion der Personalkosten beinhaltet. Ferner wirkt sich die Kostensenkungsstrategie auch in der Standortwahl aus (Pütz 1998: 18). Zusatznutzenorientierte Betriebsformen verfolgen hingegen eine Strategie der Leistungsoptimierung, die, wegen des Einsatzes von qualifiziertem Personal, eines umfassenden Sortiments von Gütern mit Erlebniseigenschaften und Status-komponenten sowie einer attraktiven und aufwendigen Ladengestaltung, mit hohen Kosten verbunden ist (Pütz 1998: 19). Folge der Polarisierung ist demnach eine Ausdifferenzierung von Betriebsformen.

Als großer Vorteil der Polarisierungstheorie wird die Verknüpfung und Berücksichtigung sowohl von externen als auch endogenen Faktoren gesehen (Heinritz et al. 2003: 54). Zudem kann mit diesem Ansatz die Koexistenz verschiedener Betriebsformen in der gleichen Branche erklärt werden. Des Weiteren lassen sich auch Auswirkungen auf Standortbedingungen und -anforderungen sowie die Standortattraktivität ableiten (Klein 1995: 43).

3. Betriebsformenwandel und weitere Merkmale des Strukturwandels im Lebensmitteleinzelhandel

Der Betriebsformenwandel ist maßgeblich für den Strukturwandel im Einzelhandel. Aus diesem Grund wird im Folgenden zunächst der Wandel und die Entwicklung der heute wichtigsten Betriebsformen im Lebensmitteleinzelhandel dargestellt[1], um anschließend auf weitere damit verbundene Merkmale des Strukturwandels einzugehen.

3.1 Betriebsformenwandel im Lebensmitteleinzelhandel

Durch den seit den 1960er Jahren fortlaufenden Betriebsformenwandel hat sich die Marktstruktur des Lebensmitteleinzelhandels nachhaltig verändert. Die auf die Nahversorgung der Bevölkerung ausgerichteten Betriebsformen (kleinere SB-Geschäfte, Supermärkte) haben an Bedeutung verloren, während die vorwiegend an Pkw-orientierten Standorten entstandenen neueren Betriebsformen (SB-Warenhäuser/Verbrauchermärkte, Discounter) deutliche Umsatzzuwächse verzeich-nen konnten, wie aus Abbildung 1 deutlich wird.

Abbildung 1: Umsatzanteile im Lebensmitteleinzelhandel nach Betriebsformen in % seit 1970

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: EHI Retail Institute 2007a: 208, eigene Darstellung

3.1.1 Kleine Lebensmittelgeschäfte

Bis in die 1960er Jahre waren kleinflächige Lebensmittelgeschäfte mit einer Verkaufsfläche unterhalb von 400 m2 (SB-Läden, SB-Märkte, „Tante-Emma-Läden“) die vorherrschende Betriebsform. Sie sind gekennzeichnet durch ein begrenztes Sortiment an Lebensmitteln und anderen Gütern des kurzfristigen Bedarfs (EHI 2008: 396). Dabei dominierten noch zunächst kleine Bedienungsläden, die allerdings angesichts der Ausbreitung des Selbstbedienungsprinzips von kleineren SB-Geschäften verdrängt wurden (Miosga 2002:78). Die kleinen Lebensmittelgeschäfte gehören zu den Verlierern des Strukturwandels, da das Ladensterben zum überwiegenden Teil diese Betriebsform betraf (Theis 2007: 36). Zwischen 1970 und 2007 hat sich ihre Anzahl von 124.778 auf 28.900 um annähernd 90 % reduziert. Im gleichen Zeitraum sank der Marktanteil von 63,6 % auf 9 %. Dennoch sind mit 24.770 Geschäften heute immer noch fast die Hälfe aller Lebensmittelgeschäfte dieser Betriebsform zuzurechnen (EHI Retail Institute 2008: 194).

3.1.2 Supermärkte

Der Abstieg der kleinflächigen SB-Geschäfte ist eng verbunden mit dem Aufkommen der Supermärkte, das mit der flächendeckenden Einführung des Selbstbedienungsprinzips einherging. Supermärkte führen überwiegend Lebensmittel, zudem aber auch Non-Food-Artikel des täglichen Bedarfs. Sie verfügen über eine Verkaufsfläche von mindestens 400 m2, auf der ein breites und in Abhängigkeit von der Größe unterschiedlich tiefes Sortiment angeboten wird (Eichholz-Klein 1995: 107, EHI Retail Institute 2008: 396). Der erste Supermarkt wurde 1957 in Köln eröffnet und war durch eine im Vergleich zu anderen SB-Geschäften größere Fläche, weniger Personal und ein geringeres Preisniveau gekennzeichnet (Lingenfelder/Lauer 1999: 42). Insbesondere in den 1970er Jahren verlief das Wachstum dieser Betriebsform rasant. Ihre Anzahl wuchs von 2.045 Verkaufsstellen 1970 auf 5.190 im Jahr 1980. Bis zur Mitte der 1990er Jahre stieg die Anzahl der Supermärkte kontinuierlich an. Seitdem fällt die Gesamtzahl der Verkaufsstätten wieder. Von über 9.500 Supermärkten Mitte der 1990er sind heute noch 8.170 am Markt tätig (EHI Retail Institute 2007a: 209). Die Entwicklung der Marktanteile zeigt einen ähnlichen Verlauf. Nach starken Zuwächsen in den 1970er und 1980er Jahren stieg ihr Umsatzanteil auf einen Höchstwert zu Beginn der 1990er von 35 %, entwickelte sich seitdem aber rückläufig und liegt heute bei 22,5 % (Lingenfelder/Lauer 1999: 42; EHI Retail Institute 2007a: 209). Diese Zahlen spiegeln den erhöhten Wettbewerbsdruck wider und verdeutlichen, dass Supermärkte einem erheblichen Anpassungsdruck unterliegen, der neben zahlreichen Betriebsaufgaben von überwiegend flächenmäßig kleinen Supermärkten auch die Weiterentwicklung der Betriebsform verursachte. Dies äußert sich zum einen in der Vergrößerung der Verkaufsflächen und Sortimentserweiterungen, zum anderen in einer Schwerpunktsetzung im Bereich der Frischewaren (Lingenfelder/Lauer 1999: 42). Durch eine oder mehrere Bedienungsabteilungen mit Frischetheken, gehobenes Ladenlayout und ein umfassendes Frischesortiment soll eine Abgrenzung zu den stärker preisorientierten Betriebsformen SB-Warenhaus und Discounter erreicht werden. Weitere Anpassungsstrategien der Supermärkte liegen in der Einführung von Handelsmarken mit niedrigem Preisniveau oder einer Spezialisierung und Serviceorientierung (Eichholz-Klein 1995: 107, Lademann 2008: 86).

Dabei gelingt es insbesondere den flexibleren inhabergeführten Supermärkten besser, den regionalen und lokalen Erfordernissen durch eine gezielte Sortiments-politik nachzukommen. Dies kann neben einem verstärkten Serviceangebot und der Aufnahme von regionalen oder neuen Produkten ins Sortiment auch eine in Eigenregie betriebene Veredelung von Produkten beinhalten (KPMG 2006: 25).

Entsprechend sind die Flächenanforderungen für neue Supermärkte deutlich verändert. Neueröffnete Supermärkte überschreiten heute oftmals die Marke von 1.000 m2 Verkaufsfläche (Winkler/ Küssner 2002: 92).

3.1.3 SB-Warenhäuser und Verbrauchermärkte

Auch die Ausbreitung der SB-Warenhäuser und Verbrauchermärkte war für den Lebensmitteleinzelhandel mit erheblichen Auswirkungen verbunden. Hierbei handelt es sich um Betriebsformen mit äußerst breitem und tiefem Lebensmittelsortiment, die darüber hinaus über ein umfangreiches Sortiment an Non-Food-Artikeln verfügen (EHI Retail Institute 2008: 396).

Waren zu Beginn der 1970er Jahre erst 528 SB-Warenhäuser/Verbrauchermärkte am Markt, erhöhte sich ihre Zahl bis 1980 auf 1.314 und bis 1990 auf 1.656. Nach der Wiedervereinigung konnten sich die SB-Warenhäuser/Verbrauchermärkte insbesondere in Ostdeutschland weiter verbreiten, sodass ihre Gesamtzahl bis zum Jahr 2000 auf 2.363 kletterte. Bis zum heutigen Tage lässt sich ein anhaltendes Wachstum feststellen. Im Jahr 2007 wurden erstmals über 3.000 Verkaufsstellen gezählt (3.150). Parallel zur Verbreitung dieser Betriebsform erhöhten sich auch die Marktanteile im Lebensmitteleinzelhandel sukzessive von 9,5 % 1970 über 20,2 % bzw. 23,5 % in den Jahren 1980 und 1990 auf 26,0 % im Jahr 2006 (EHI Retail Institute 2007a: 208). Gleichwohl scheinen für die Verbrauchermärkte weitere Wachstumspotentiale begrenzt zu sein. Gründe hierfür bestehen in einer zunehmend restriktiven Genehmigungspraxis, in der demographischen Entwicklung mit kleineren Haushalten und einem relativ steigenden Anteil der älteren Bevölkerung sowie veränderten Konsummustern (KPMG 2006: 23, Lademann 2008: 89f).

3.1.4 Discounter

Die Betriebsform der Discounter hat die Einzelhandelslandschaft in Deutschland seit 1960 nachhaltig verändert. Noch nie in der Entwicklung des Handels gab es eine Betriebsform, die über einen so langen Zeitraum und mit einer ähnlichen Dynamik wuchs (Diller 1999: 352).

Schmalen und Schachtner charakterisieren das Discountprinzip anhand der drei Dimensionen Sortimentsumfang, Serviceumfang und Preissetzung (Schmalen/ Schachtner 1999: 126). Hauptmerkmal der Discounter ist eine aggressive Preispolitik. Durch die Beschränkung des Sortiments auf Artikel mit hoher Umschlagsgeschwindigkeit und hohen Umsätzen können die niedrigen Gewinnspannen kompensiert werden. Weiteres Kernmerkmal der Discountstrategie ist die Kostenführerschaft, also die konsequente Vereinfachung der Unternehmensstrukturen und -prozesse. Die Betriebskosten werden möglichst gering gehalten. Dies beinhaltet etwa den Einsatz von vergleichsweise wenig und gering qualifiziertem Personal in den Geschäften, ein geringes Serviceangebot, eine einfache Ladenausstattung, problemlose Waren und eine begrenzte Auswahl an frischen, verderblichen Waren (Blotevogel 2003: 8; Schmalen/Schachtner 1999: 126).

Tabelle 1: Leistungs- und Kennziffern von Discountern und Supermärkten 2006

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: EHI Retail Institute 2007a: 341f, 345, 361, 363, eigene Darstellung

Besonders im Lebensmitteleinzelhandel sind Discounter erfolgreich. In dieser Branche traten ab 1960 auch die ersten Geschäfte dieser Betriebsform auf. Die Discounter konnten seitdem ein anhaltendes Wachstum verzeichnen. Entsprechend stiegen ihre Marktanteile am Lebensmittelmarkt bis Anfang der 1980er Jahre auf knapp 12 % und auf 23,7 % im Jahre 1990 (Schenk 1999: 460; EHI Retail Institute 2007a: 208). Im Jahr 2000 lag der Marktanteil der Discounter bereits bei 33,5 %, 2005 wurde erstmals die 40 %-Schwelle überschritten (EHI Retail Institute 2007a: 208). Heute gibt es in Deutschland annährend 15.000 Verkaufsstellen von Discountern, 1990 waren es lediglich 6.980, 1975 erst 1.492 (KPMG 2006: 21; EHI Retail Institute 2007a: 208; Eichholz-Klein 1995: 109). Dementsprechend stark wuchs das Filialnetz der Discounter im Lebensmittelmarkt.

Tabelle 2: Anzahl der Verkaufsstellen von Lebensmitteldiscountern in Deutschland 2006

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quellen: KPMG 2006: 21; Schmalen/Schachtner 1999: 128, eigene Darstellung

Allerdings haben die Lebensmitteldiscounter mittlerweile in Deutschland mit einem Marktanteil von 41,9 % im Jahr 2006 die Sättigungsgrenze erreicht. Allenfalls ein moderater Anstieg auf 43 % bis 45 % wird prognostiziert. Gründe hierfür liegen in der flächendeckenden Ausbreitung im gesamten Land, sodass kaum noch Gebiete zu finden sind, in denen Discounter noch nicht am Markt tätig sind. Zudem deuten sich im Lebensmittelbereich Werteveränderungen an, die dem Discount-Prinzip abträglich sind (KPMG 2006: 22). Allerdings wird sich die Umstrukturierung des Filialnetzes weiter fortsetzen, da die Discounter mit Verkaufsflächen unterhalb der Schwelle zur Großflächigkeit nur wenig von planungsrechtlichen Restriktionen betroffen sind (Lademann 2008: 82).

Das Resultat des Betriebsformenwandels im Lebensmitteleinzelhandel stellt Abbildung 2 dar. Obwohl die kleinflächigen Lebensmittelgeschäfte noch den größten Anteil an allen Verkaufsflächen ausmachen, ist ihr Umsatzanteil auf unter 10 % gefallen. Die dominierende Betriebsform des Lebensmitteleinzelhandels ist der Discounter. Mit knapp 30 % der Verkaufsstellen erzielten die Discounter im Jahr 2007 42,2 % des Gesamtumsatzes. SB-Warenhäuser und Supermärkte erreichten mit 6,3 % bzw. 15,8 % der Verkaufsstellen 26,2 % bzw. 22,6 % des Umsatzes.

Abbildung 2: Anteile der Betriebsformen im Lebensmitteleinzelhandel an den Verkaufsstellen und am Umsatz in % im Jahr 2007

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: EHI Retail Institute 2008: 192-194, eigene Darstellung

3.2 Sinkende Betriebszahlen und Verkaufsflächenexpansion

Eng verbunden mit dem Betriebsformenwandel ist die Ausweitung der Verkaufsfläche bei gleichzeitiger Abnahme der Verkaufsstellen.

Wird der gesamte Einzelhandel betrachtet, ging infolge der steigenden Einkommen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und der ansteigenden Konsummöglichkeiten der Bevölkerung die Anzahl der Geschäfte insbesondere in den 1950er Jahren deutlich nach oben. Die Anzahl der Betriebsstätten wuchs von 475.476 1950 auf den Höchstwert von 607.974 im Jahr 1961 (Thomi 1998: 8). Doch bereits zu Beginn der 1960er Jahre wurden erste Auswirkungen der zunehmenden Konkurrenz im Handel bemerkbar. Filialisten und Konsumgenossenschaften gewannen an Bedeutung, gleichzeitig erfolgten Investitionen in technische Neuerungen, wodurch der Wettbewerbsdruck erhöht wurde und sich die Gesamtzahl der am Markt tätigen Unternehmen verringerte. Belief sich die absolute Zahl der Einzelhandelsunternehmen im Jahr 1962 noch auf etwa 450.000, reduzierte sie sich bis 1976 auf 330.000 (Hatzfeld 1988: 5).

Nach der Wiedervereinigung vollzog sich in Ostdeutschland ein Gründungsboom im Einzelhandel, wodurch die Gesamtzahl der Einzelhandelsgeschäfte kurzzeitig wieder zunahm. Allerdings waren viele der Neugründungen langfristig nicht wettbewerbsfähig, sodass die Gesamtzahl schnell wieder deutlich abnahm und sich der generelle Trend rückläufiger Geschäftzahlen weiter fortsetzte.

Im Jahr 2004 waren in Deutschland 444.779 Unternehmen mit über 585.000 Betriebsstätten am Markt tätig (EHI Retail Institute 2007a: 186).

Allerdings sind nicht alle Branchen des Einzelhandels in gleicher Weise vom Betriebsrückgang betroffen (Schenk 1999: 449). Besonders drastisch verlief der Rückgang im Lebensmitteleinzelhandel. Hier sank die Zahl der Lebensmittel-geschäfte zwischen 1966 und 1990 in Westdeutschland von 153.999 auf 60.361 (EHI 1993 bzw. Kulke 1996: 8). Nach dem Anstieg in Folge der Wiedervereinigung auf über 70.000 belief sich die Gesamtzahl der Geschäfte im Lebensmitteleinzelhandel im Jahr 2007 auf nur noch 55.026 (EHI Retail Institute 2007a: 209).

Gegenteilig zur Reduzierung der Anzahl der Betriebsstätten verlief die Entwicklung der Verkaufsflächen im deutschen Einzelhandel. Insbesondere seit den 1960er Jahren stieg die Verkaufsfläche deutlich an. Wurden 1960 rund 26 Mio. m2 Verkaufs-fläche gezählt, erhöhte sich der Wert bis 1993 in Westdeutschland auf knapp 78 Mio. m2 (Lademann 1999: 530).

Nach der Wiedervereinigung erhöhte sich die Geschwindigkeit der Verkaufs-flächenexpansion nochmals. In den neuen Bundesländern vervielfältige sich die Verkaufsfläche schlagartig von 5,2 Mio. m2 1989 auf etwa 12 Mio. m2 im Jahr 1993 (Spannagel 1995a: 222).

Auch wenn die Wachstumsraten seit Mitte der 1990er Jahre abgenommen haben, läßt sich bis heute ein Wachstum der gesamten Verkaufsfläche in Deutschland feststellen. Im Jahr 2000 gab es Deutschland bereits 109 Mio. m2 Verkaufsfläche (91 Mio. m2 in West-, 18 Mio. m2 in Ostdeutschland), 2006 117. Mio. m2 (97 Mio. m2 in West-, 20 Mio. m2 in Ostdeutschland). Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels prognostiziert bis zum Jahr 2010 ein weiteres Anwachsen auf insgesamt 122 Mio. m2, wobei 101 Mio. m2 auf Westdeutschland und 21 Mio. m2 auf die neuen Bundesländer entfallen (HDE 2007: 18).

Das Flächenwachstum ist hauptsächlich dem Aufkommen neuer Betriebsformen geschuldet, da seit den 1960er Jahren insbesondere die Betriebsformen Supermarkt, SB-Warenhaus bzw. Verbrauchermarkt und Discounter wuchsen, während überwiegend kleinflächige Ladengeschäfte von Schließungen betroffen waren. Entsprechend stieg die durchschnittliche Verkaufsfläche pro Geschäft im Lebensmitteleinzelhandel deutlich an, wie Abbildung 3 wiedergibt.

Abbildung 3: Durchschnittliche Verkaufsfläche im Lebensmitteleinzelhandel in m2 seit 1970

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: EHI Retail Institute 2007a: 209f, eigene Darstellung

Abbildung 4 macht anschaulich, dass darüber hinaus im Zeitverlauf die Flächen-anforderungen bei Neueröffnungen von Discountern und Supermärkten gestiegen sind (EDEKA 2008, Winkler/ Küssner 2002: 92).

[...]


[1] Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf den räumlichen Auswirkungen des Betriebsformenwandels im Lebensmitteleinzelhandel liegt, wird auf eine Beschreibung des Wandels für Betriebsformen mit überwiegendem Non-Food-Sortiment verzichtet. Hierzu sind in der Fachliteratur umfangreiche Publikationen erschienen: Hatzfeld (1988), Klein (1995, 1997), Kulke (1992), Thomi (1998). Zu neueren Entwicklungen wie Urban Entertain Centern und Factory Outlet Centern sind die Veröffentlichungen von Pangels (2002), Kleine und Offermanns (2000), Priebs (1998) zu empfehlen.

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Details

Titel
Räumliche Auswirkungen des Betriebsformenwandels im Lebensmitteleinzelhandel
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
61
Katalognummer
V135539
ISBN (eBook)
9783640441433
ISBN (Buch)
9783640441600
Dateigröße
641 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lebensmitteleinzelhandel, Einzelhandel, Strukturwandel, Betriebsformenwandel, Flächenexpansion, Konzentration, Internationalisierung, Nahversorgung, Ladensterben, Flächenproduktivität, Versorgung, Versorgungssicherheit, kurzfristiger Bedarf, Standort, Standortstrukturen, Innenstadt, Subzentren, Unterzentren, Zentren, Zentrenstruktur, Ostdeutschland, Discounter, Supermarkt, Lebensmittel, Kleinflächenkonzepte, Planung, Planungsrecht
Arbeit zitieren
Klemens Bock-Wendlandt (Autor:in), 2009, Räumliche Auswirkungen des Betriebsformenwandels im Lebensmitteleinzelhandel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135539

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