Auswirkungen von Psychiatrieaufenthalte auf das Verhalten von Erstpatienten


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2009

18 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Totale Institutionen

3 Die erzwungene Umformung des Selbst während des Psychiatrieaufenthaltes
3.1. Rollenverlust
3.2. Unnatürliche Rolle
3.3. Physische Verunreinigung
3.4. Privatleben und Krankenakte
3.5. Autonomieverlust
3.6. Diagnose
3.7. Selbsterfüllende Prophezeiung
3.8. Medikation

4. Anpassung an die totale Institutionen (Psychiatrie)

5. Folgen des Psychiatrieaufenthaltes

6. Fazit

7. Quellenangaben

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit dem Thema „Auswirkungen von Psychiatrieaufenthalte auf das Verhalten von Erstpatienten“. Entscheidend für die Themenwahl ist die hohe Anzahl psychisch kranker Menschen in Deutschland. Spiegel online veröffentlichte vor wenigen Jahren erschreckende Zahlen. 2004 wurden 993732 Menschen aufgrund psychischer Störungen in Krankenhäuser eingewiesen, weil sie mit ihrer Arbeit und Privatleben überfordert waren. Die Bundespsychotherapeutenkammer schätzen die Anzahl der behandlungsbedürftigen psychisch und seelisch erkrankten Menschen in Deutschland auf acht Millionen, Tendenz steigend (www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,438647,00.html, vom 26.08.2009). Im speziellen geht diese Arbeit der Frage nach, welchen Einfluss der Aufenthalt in der Psychiatrie auf das Verhalten von Erstpatienten hat. Asmus Finzen spricht in seinem Werk „Hospitalisierungsschäden in psychiatrischen Krankenhäusern“ von einer möglicherweise entstehenden Anstaltsneurose. Diese kann verschiedene Ursachen haben und meist spielen mehrere Faktoren zusammen. Finzen hat die verschiedenen Gründe in sieben Punkte zusammengefasst. Er unterteilt sie in:

1. Abgeschiedenheit von der Außenwelt
2. Entstehender Verlust von Freunden und Familie
3. Erzwungene Untätigkeit
4. Autoritäres Verhalten von Ärzten und Stationspersonal
5. Medikamentöse Therapie
6. Bedrückende Anstaltsatmosphäre
7. Mangelnde Zukunftsaussicht nach der stationären Behandlung (vgl. Finzen, 1974, S.16).

In der Hausarbeit wird im weiteren Verlauf auf einzelne Punkte anhand verschiedener Literatur näher eingehen. Dabei wird besonders auf Goffmans Werk „Asyle- Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen“ Bezug genommen. Goffman steht der Psychiatrie und ihren Behandlungsmethoden sehr kritisch gegenüber. Es wird versucht seinen Standpunkt näher zu erläutern und seine Ansicht über das Verhalten von Insassen totaler Institutionen zu beschreiben. Zu Beginn wird definiert, was Goffman unter totalen Institutionen versteht. Anschließend wird dargelegt, wie sich das Verhalten der Mitglieder an die totale Institution anpasst und wie sich die Identität der Mitglieder verändert. Zum Schluss wird auf die Folgen eines Psychiatrieaufenthaltes eingegangen.

2. Totale Institutionen

Goffman definiert eine totale Institution als „Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen […], die für längere Zeit von der Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen“ (Goffman, 1973, S.11). Des weiteren schreibt er diesen Einrichtungen einen allumfassenden Charakter zu. Der Insasse lebt in der Institution und es besteht kaum Kontakt zur Außenwelt. Dies kann durch verschiedene Komponenten wie verschlossene Tore bzw. Türen, hohe Mauern, Stacheldraht oder ähnliches unterstützt werden. In seinem Werk geht Goffman auf fünf Formen totaler Institutionen ein (vgl. Goffman, 1973, S. 16).

Als erstes beschreibt er Einrichtungen für unselbstständige und hilfebedürftige Menschen, die er als harmlos einstuft. Als Beispiele nennt er die Blinden- und Altersheime.

Die zweite Gruppe umfasst die Personen, die nicht mehr allein leben können und auf Hilfe anderer angewiesen sind. Außerdem werden sie als eine Bedrohung ihrer Umgebung angesehen. Ein Beispiel hierfür sind die Psychiatrien. Diese Gruppe ist prägnant für die vorliegende Hausarbeit im weiteren Verlauf wird immer wieder auf diese Gruppe Bezug genommen.

Als dritte Art der totalen Institutionen nennt Goffman Gefängnisse. Diese wurden für Menschen eingerichtet, die eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Hierzu ist zu erwähnen, dass er diese Bedrohung, im Gegensatz zu der zweiten Gruppe, als beabsichtig einstuft.

Die vierte Gruppe dient scheinbar der besseren Durchführung von „arbeit-ähnlichen“

Aufgaben. An dieser Stelle sind Internate und Arbeitslager zu nennen.

Die letzte Institution weist einen religiösen Hintergrund auf. Goffman sieht diese Institution als Zufluchtstätte, wie Abteien und Klöster.

Laut Goffman unterteilt sich die soziale Ordnung der Gesellschaft in drei Bereiche: schlafen, spielen und arbeiten. Dies kann in unterschiedlichen Gegenden und mit verschiedenen Menschen stattfinden. Meist sind diese drei Bereiche aber von einander getrennt (vgl. Goffman, 1973, S. 17). Goffman sieht das zentrale Merkmal totaler Institutionen darin, „daß die Schranken, die normalerweise diese drei Lebensbereiche voneinander trennen, aufgehoben sind“ (Goffman 1973, S. 17). Das bedeutet für die Insassen, dass die gesamten Aktivitäten an einem Ort und unter einer Autorität stattfinden. Sie gehen gemeinsam ein und derselben Arbeit nach und erfahren auch die gleiche Behandlung. Die Arbeitsabfolge und -zeiten sind genau durchgeplant und werden von dem Personalstab überwacht. Angeblich sollen durch diese Arbeiten offizielle Ziele der Einrichtung erreicht werden.

Die totale Institution teilt sie grundsätzlich in zwei Gruppen auf. Auf der einen Seite die zahlenmäßig überlegenere Gruppe der Insassen und auf der anderen Seite das Personal, welches trotz Unterzahl die Insassen kontrolliert und überwacht. Das Aufsichtspersonal sorgt dafür, dass die Insassen die Anordnungen des Personals sowie die Regeln der Institution einhalten. Nichteinhalten dieser vorgegebenen Regeln kann durch das Aufsichtspersonal sanktioniert werden. Durch diese Maßnahmen versuchen die Institutionen ein Auflehnen und Rebellieren der Insassen zu unterbinden. Die beiden Gruppen haben jeweils ein unterschiedliches Bild des Anderen entwickelt. Die Insassen fühlen sich von dem Personal häufig herablassend und abwertend behandelt, wodurch bei ihnen ein Gefühl der Schuld und Unterlegenheit entsteht. Auf beiden Seiten entsteht ein gegenseitiges Misstrauen. Das Personal betrachtet die Insassen als labil, unzufrieden und verstört, während die Insassen das Personal für respektlos und voreingenommen halten. Diese beidseitige Etikettierung führt dazu, dass „die soziale Mobilität zwischen den beiden Schichten (…) sehr gering (ist)“ (Goffman, 1973, S. 19).

Innerhalb der Einrichtung wird den Insassen häufig der Kontakt zu höheren Instanzen verwehrt oder nur selten gewährleistet. Speziell in der Psychiatrie hat der Patient meist nur zu den Visiten die Gelegenheit mit den Ärzten zu sprechen. Allerdings nimmt häufig interdisziplinäres Psychiatriepersonal an der Visite teil, sodass das Patient Angst hat, vor so vielen Menschen mit dem Arzt über seine Probleme zu sprechen.

Goffman kritisiert, dass oftmals Entscheidungen über Insassen durch das Personal getroffen werden, ohne diese mit einzubeziehen oder ihre Erlaubnis einzuholen. Gerade in der Psychiatrie kann es vorkommen, dass den Patienten die Diagnosen verheimlicht werden oder sie nicht über den weiteren Behandlungsplan in Kenntnis gesetzt werden (vgl. Goffman, 1973, S. 20). Das hat auch zur Folge, dass die Patienten nicht über Medikamenteinstellung bzw. -umstellung und dessen Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Darauf wird im späteren Verlauf dieser Hausarbeit noch einmal eingegangen.

Goffman beschreibt die totalen Institutionen wie folgt: „Sie sind die Treibhäuser, in denen unsere Gesellschaft versucht, den Charakter von Menschen zu verändern. Jede dieser Anstalten ist ein natürliches Experiment, welches beweist, was mit dem Ich des Menschen angestellt werden kann“ (Goffman, 1973, S. 23).

3. Die erzwungene Umformung des Selbst während des Psychiatrieaufenthaltes

Richard Münch fasst in seinem Buch zusammen, dass die Umformung des Selbst mit der vorklinische Phase beginnt (vgl. Münch, 2003, S. 297). Diese Phase beinhaltet hauptsächlich, dass eine Person in seinem vertrauten Umfeld oder auch an öffentlichen Plätzen gegen bestimmte Regeln verstößt. Sein Verhalten ist unangebracht, so dass dieses Benehmen für ein weiteres zusammenleben oder arbeiten als untragbar angesehen wird (vgl. Goffman, 1973, S. 133). Goffman beschreibt, dass für einige Patienten die Selbsteinweisung befreiend wirken kann. Sie fühlen sich in der Psychiatrie verstanden und erhoffen sich eine Lösung für ihre Probleme und Ängste. Doch der Großteil der Insassen befinden sich entweder aufgrund einer Zwangseinweisung durch einen richterlichen Beschluss in der Einrichtung, werden von ihren Familieangehörigen und Freunden zu einer Einweisung gedrängt oder sie haben ein falschen Bild von der stationären Behandlung.

Nach Eintritt in die geschlossene Anstalt tritt bei den meisten Patienten das Gefühl des Verlassenseins und des Unverständnisses ein. „Die Karriere des vorklinischen Patienten kann als ein Modell des Ausschlusses aufgefasst werden; anfangs hat er Beziehungen und Rechte, und schließlich, zu Beginn seinen Klinik-Aufenthaltes, verfügt er kaum noch über das eine oder das andere“ (Goffman, 1973, S.133). Sie fühlen sich von ihren Angehörigen und Freunden verraten und alleingelassen und müssen sich in einem von ihrem vertrauten Umfeld abgeschotteten Bereich neu orientieren.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Auswirkungen von Psychiatrieaufenthalte auf das Verhalten von Erstpatienten
Hochschule
Evangelische Hochschule Darmstadt, ehem. Evangelische Fachhochschule Darmstadt
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V136215
ISBN (eBook)
9783640432721
ISBN (Buch)
9783640432783
Dateigröße
460 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Auswirkungen, Psychiatrieaufenthalte, Verhalten, Erstpatienten, Goffman
Arbeit zitieren
Stefanie Schulz (Autor:in), 2009, Auswirkungen von Psychiatrieaufenthalte auf das Verhalten von Erstpatienten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136215

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