La raison und les passions im Vergleich bei Descartes und La Rochefoucauld

Über die Dekonstruktion des Verstandes und die Affektenkontrolle


Hausarbeit, 2009

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A Zur Einführung

B La raison und les passions bei La Rochefoucauld
1. Darstellung der Leidenschaften in den Maximen
1.1. Diskontinuität der Leidenschaften
2. Darstellung des Verstandes in den Maximen
2.1. Funktion des amour-propre
2.2. Dekonstruktion des Verstandes

C La raison und les passions bei Descartes
3. La raison als Universalinstrument – die Methode
4. Verstand als Instrument der Affektenkontrolle

D Vergleich der Rolle des Verstandes bei Descartes und La Rochefoucauld

E Schlussbetrachtung

F Literaturverzeichnis
1. Primärliteratur
2. Sekundärliteratur

A Zur Einführung

Der Verstand ist die « faculté propre à l’homme par laquelle il peut penser »[1] oder zu Deutsch « die menschliche Fähigkeit des analytischen Denkens bzw. des richtigen Erkennens und Beurteilen »[2]. Diese Definitionen haben zunächst gemeinsam, dass sie beide dem Menschen die Fähigkeit des Denkens zuschreiben. Die Definition aus "Meyers großem Taschenlexikon" bestimmt im Vergleich zu der Definition aus dem "Petit Larousse" diese Fähigkeit noch etwas näher und beschreibt das Denken als ein analytisches und fügt hinzu, dass es zugleich auch die Fähigkeit des richtigen Erkennens und Beurteilen ist. Da wohl jeder Mensch einen mehr oder weniger gut ausgeprägten Verstand besitzt, scheint er also laut Definition die Möglichkeit zu haben, durch die Aufgliederung von Problemen oder Aussagen in ihre Einzelteile und durch logische Schlussfolgerungen, ihren Wahrheitsgehalt überprüfen und beurteilen zu können und somit eine vernünftige Lösung zu finden bzw. Entscheidung zu treffen. Nun kann man sich die Frage stellen, ob dies wirklich der Fall ist und der Mensch, allein durch seinen Verstand geleitet und unbeeinflusst von seinen Sinnen und Leidenschaften, in jeder Situation des Lebens vernünftig urteilen und entscheiden kann. Schon bei der aufmerksamen Beobachtung seines eigenen Verhaltens muss man misstrauisch werden und sich eingestehen, dass unser Verstand nur allzu oft durch unsere persönlichen Neigungen und von den Leidenschaften zu unvernünftigen Urteilen und Entschlüssen verleitet wird.

In der nun folgenden Arbeit möchte ich mich mit dem französischen Philosophen und Schriftsteller René Descartes und dem französischen Moralisten François de La Rochefoucauld beschäftigen, die auch schon dieser Frage nach der Rolle und Beeinflussbarkeit des Verstandes nachgegangen sind. Zunächst werde ich darauf eingehen, wie La Rochefoucauld den Verstand und die Leidenschaften in seinen Maximen und Reflexionen darstellt und werde in diesem Zusammenhang die Diskontinuität der Leidenschaften, die Funktion des amour-propre und die Dekonstruktion des Verstandes behandeln sowie den Verstand als Instrument der Affektenkontrolle prüfen. In einem zweiten Teil werde ich untersuchen welche Rolle der Verstand in der cartesianischen Philosophie einnimmt und die Methode vorstellen, anhand derer der Verstand angewendet werden soll. Auch hier werde ich den Verstand als Instrument der Affektenkontrolle prüfen und zu diesem Zweck auf die Trennung von Körper und Seele sowie die Entstehung und Definition der Leidenschaften bei Descartes zu sprechen kommen. Im letzten Teil dieser Arbeit werde ich versuchen die Rolle des Verstandes bei Descartes und La Rochefoucauld zu vergleichen.

B La raison und les passions bei La Rochefoucauld

1. Darstellung der Leidenschaften in den Maximen und Reflexionen

Wenn La Rochefoucauld von den Leidenschaften spricht, meint er unter anderem l’ambition, l’envie, la paresse, la colère, la peur, la vanité, l’avarice, la tristesse, la cruauté, la calomnie, la jalousie, la disgrâce, les dettes, l’ennui du mariage, la lassitude, l’amour und natürlich l’amour propre. Diese Leidenschaften und in besonderer Weise die Selbstliebe bestimmen den Menschen und sein Handeln. Sie sind ambivalent, haben eine eigene Gesetzmäßigkeit, ein eigenes Interesse und werden somit unberechenbar, dynamisch und folglich gefährlich für den Menschen. « Les passions ont une injustice et un propre intérêt qui fait qu’il est dangereux de les suivre, et que s’en doit défier lors mêmes qu’elles paraissent les plus raisonnables. »[3] Selbst wenn dem Menschen seine Leidenschaften vernünftig erscheinen, soll er sich vor ihnen in Acht nehmen und ihnen stets misstrauen. Hinzu kommt, dass er weder die Kontrolle über ihre Entstehung noch über ihre Dauer hat, was La Rochefoucauld in den Maximen fünf und zehn zum Ausdruck bringt: « Il y a dans le cœur humain une génération perpétuelle de passions, en sorte que la ruine de l’une est presque toujours l’établissement d’une autre. »[4], « La durée de nos passions ne dépend pas plus de nous que la durée de notre vie. »[5] Die Leidenschaften entstehen selbstständig und unverhofft und ihre Dauer kann der Mensch ebenso wenig beeinflussen wie die Dauer seines eigenen Lebens. Jean Starobinski geht sogar soweit, dass er den Menschen nur noch für ein fremdbestimmtes Wesen hält und lässt die Leidenschaften zu unabhängigen Akteuren im Menschen werden: « Ce sont de petits personnages, qui en prennent à leur aise et qui font irruption comme des envahisseurs dans la personne. »[6]. Die Leidenschaften werden hier mit Angreifern verglichen, die es sich im Menschen bequem machen und ihn zu ihren Zwecken missbrauchen. Der Mensch wird demnach seiner Leidenschaften und Wünsche enteignet, d.h. sie wohnen zwar in ihm, unterstehen aber nicht seiner Kontrolle, sondern einem fremden Willen. Daraus kann man schließen, dass die Laster des Menschen, die auf den Leidenschaften beruhen, nicht vom Menschen selbst gewollt sind, sondern von einem fremden, in den Menschen eingenisteten Willen, der nicht kontrollierbar ist, ausgehen. Roland Barthes hat dazu den treffenden Vergleich gemacht, dass der Mensch nur noch ein Skelett seiner Leidenschaften ist.[7] Und dies ist wirklich mit den Maximen von La Rochefoucauld zu belegen. In der sechsten Maxime heißt es zum Beispiel « La passion fait souvent un fou du plus habile homme, et rend souvent les plus sots habiles. »[8]. Die Leidenschaften machen mit dem Menschen was sie wollen: Sie machen aus dem Geschicktesten einen Narr und aus einem dummen Menschen einen geschickten. Der Mensch wird quasi seiner Persönlichkeit beraubt und agiert nur noch als Marionette seiner Leidenschaften, die ihn dazu benutzen ihre Ziele zu erreichen. Diese Ziele sind dem Menschen zwar unbekannt er wird aber unbewusst durch seine Leidenschaften in deren Richtung getrieben und muss natürlich die daraus entstehenden Konsequenzen, Leiden und Rügen ertragen: « L’homme est si misérable que, tournant toutes ses conduites à satisfaire ses passions, il gémit incessamment sous leur tyrannie; il ne peut supporter ni leur violence ni celle qu’il faut qu’il se fasse pour s’affranchir de leur joug; il trouve du dégoût non seulement dans ses vices, mais encore dans leurs remèdes, et ne peut s’accommoder ni des chagrins de ses maladies ni du travail de sa guérison. »[9] Der Mensch tut alles um seine Leidenschaften zu befriedigen und zerbricht unter dieser Last. Er wird wie schon oben erwähnt zu einem fremdbestimmten Wesen, er wird von seinen Leidenschaften dirigiert, er ist ihnen ausgeliefert und wird von ihnen oftmals enttäuscht und betrogen: « L’homme croit souvent se conduire lorsqu’il est conduit ; et pendant que par son esprit il tend à un but, son cœur l’entraîne insensiblement à un autre. »[10] Auch kann er seine Leidenschaften nicht verstecken oder gar besiegen. Die Leidenschaften treten hinter jeder Maske der Tugend hervor wie sehr der Mensch sich auch bemüht: « Quelque soin que l’on prenne de couvrir ses passions par des apparences de piété et d’honneur, elles paraissent toujours au travers de ces voiles. »[11] Und wenn der Mensch einmal einer Leidenschaft widersteht, ist es eher aufgrund ihrer Schwäche, als der Stärke des Menschen: « Si nous résistons à nos passions, c’est plus par leur faiblesse que par notre force. »[12]

Neben der Selbstliebe, die den Menschen in ganz besonderer Weise beeinflusst, spielt auch die Faulheit eine sehr bedeutende Rolle: « C’est se tromper que de croire qu’il n’y ait que les violentes passions comme l’ambition et l’amour, qui puissent triompher des autres. La paresse, toute languissante qu’elle est, ne laisse pas d’en être souvent la maîtresse; elle usurpe sur tous les desseins et sur toutes les actions de la vie; elle y détruit et y consume insensiblement les passions et les vertus. »[13] Die Faulheit ist nämlich die größte Schwäche des Menschen, denn sie zerstört nicht nur seine Tugenden und alle damit verbundenen Absichten, sondern auch die anderen Leidenschaften.

La Rochefoucauld zeichnet in den Maximen in Bezug auf die Leidenschaften ein sehr negatives Menschenbild. Er beschreibt den Menschen als fremdbestimmtes, schwankendes Wesen, das seinen Leidenschaften hilflos ausgesetzt ist.

1.1. Diskontinuität der Leidenschaften

La Rochefoucauld möchte seinem Leser einen Einblick in die Diskontinuität, die Unstetheit und Vergänglichkeit der Leidenschaften geben. Dazu zeigt er zunächst, dass es unzählig viele Leidenschaften gibt: « Il y a dans le cœur humain une génération perpétuelle de passions, en sorte que la ruine de l’une est presque toujours l’établissement d’une autre. »[14] Der Ruin einer Leidenschaft ist die Geburt einer anderen. Es entseht damit ein Eindruck der Unendlichkeit aber auch der Unkontrollierbarkeit der Leidenschaften. Ein zweiter Aspekt der Diskontinuität der Leidenschaften ist deren Verhalten untereinander. Die verschiedenen Leidenschaften agieren untereinander so, als könne zwischen ihnen keine Relation bestehen als eine rein äußerliche (sie sind alle Leidenschaften). Somit kann man feststellen, dass die Psyche des Menschen zweifach diskontinuierlich ist. Zum einen ist das moi des Menschen verschieden von dem moi der Leidenschaften. Zum anderen verkennen die Leidenschaften sich gegenseitig und bekämpfen sich. Jede von ihnen ist eine egoistische und eroberungslustige Macht, die versucht das moi des Menschen in seine Richtung zu lenken.[15] Unter ihnen herrscht Rivalität und Misstrauen, so dass jede Leidenschaft versucht die größte und wichtigste zu sein, vergisst dabei allerdings ihre eigenen Schwächen. Die Leidenschaften rufen also durch ihre Diskontinuität eine innere Zerrissenheit und Unruhe im Menschen hervor. Der einzige andauernde Faktor im Leben der Leidenschaften und auch im Leben des Menschen ist die Passivität des Menschen. Er ist nur Gastgeber seiner diskontinuierlichen Leidenschaften und hat die Aufgabe ihnen seine Seele zu überlassen und nach außen den Schein von Kontinuität zu wahren. Die Diskontinuität wirkt sich jedoch noch in anderer Weise schädlich auf den Zustand des Menschen aus. Sie verdunkelt nämlich die Kenntnis seiner selbst, da die Leidenschaften immer nur einen Teil von sich preisgeben und vieles von sich verstecken. Der Mensch wird so niemals seine inneren Vorgänge vollkommen verstehen können und immer an sich zweifeln müssen.

[...]


[1] Maubourguet, Patrice (Hrsg.): "Le Petit Larousse". 1994. 852

[2] Grill, Gerd (Hrsg.): "Meyers großes Taschenlexikon in 24 Bänden". 1992. Bd. 23. 160

[3] La Rochefoucauld, François de: "Maximes et Réflexions diverses". 1977. 46 (M9)

[4] AaO. (M10)

[5] Ebd. 45 (M5)

[6] Starobinski, Jean: "La Rochefoucauld et les morales substitutives". In NRF. 1966. 16-34, 211-229. 16

[7] http://www.fabula.org/forum/barthes/24.php (überprüft am 8. April 2009)

[8] La Rochefoucauld, François de. 1977. 45 (M6)

[9] Ebd. 103 (MP21)

[10] La Rochefoucauld, François de. 1977. 49 (M43)

[11] Ebd. 46 (M12)

[12] Ebd. 55 (M122)

[13] Ebd. 69 (M266)

[14] Ebd. 46 (M10)

[15] Vgl. La Rochefoucauld, François de. 1977. 69 (M266)

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
La raison und les passions im Vergleich bei Descartes und La Rochefoucauld
Untertitel
Über die Dekonstruktion des Verstandes und die Affektenkontrolle
Hochschule
Universität Trier
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V130624
ISBN (eBook)
9783640414307
ISBN (Buch)
9783640411757
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vergleich, Descartes, Rochefoucauld, Dekonstruktion, Verstandes, Affektenkontrolle
Arbeit zitieren
Isabell Hedtrich (Autor:in), 2009, La raison und les passions im Vergleich bei Descartes und La Rochefoucauld, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130624

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