Marco Polo kam nicht bis China?

Die Fundamentalkritik von Frances Wood


Seminararbeit, 2009

15 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Frances Woods Argumente
2.1 Die Architektur des fernen Asiens
2.2 Die chinesische Gesellschaft und ihre Kultur
2.3 Die Große Mauer
2.4 Weitere Unstimmigkeiten
2.5 Historische Überlieferung
2.6 Fazit Frances Woods

3. Die Kritik

4. Zusammenfassung

5. Anhang
5.1 Literaturverzeichnis
5.2 Quellenverzeichnis

Marco Polo kam nicht bis China?
Die Fundamentalkritik von Frances Wood

1. Einleitung

Die Frage „ Did Marco Polo Go to China?1 stellte Frances Wood, Sinologin und Leiterin der China-Abteilung der British Library, 1995 nicht nur in den Raum hinein, sie beantwortet diese auch mit einem deutlich negativen Bescheid. Sollte an diesem auf den ersten Blick schier unglaublich wirkenden Gedanken etwas Wahres dran sein? Marco Polo, einer der bekanntesten europäischen Entdecker noch weit vor Christoph Kolumbus, ein zum Helden stilisierter Hochstapler? Die Sinologin Wood hinterfragt aus vielerlei Blickwinkeln die Reise des Venezianers und kommt für sich zu dem Ergebnis, dass Marco Polo es wohl nie über das Schwarze Meer hinaus geschafft hat. Was insbesondere durch den Titel der deutschen Ausgabe „ Marco Polo kam nicht bis China2 nicht mehr nur als Fragestellung, sondern gleich als Aussage formuliert wird.

Igor de Rachewiltz, ein ausgewiesener Experte der Mongolistik und derzeit an der Australian National University in Canberra tätig, kommt dagegen in einer Rezension o.g. Werkes zu dem Schluss: „ Marco Polo was in China3. Obgleich er auch konstatiert, dass es durchaus offene und weiterhin ungeklärte Fragenkomplexe in der Marco-Polo-Forschung gibt, scheinen sich beide Autorenpositionen doch recht unversöhnlich gegenüberzustehen. Im Rahmen dieser Seminararbeit möchte ich daher die Standpunkte, insbesondere der beiden angeführten Autoren, erläutern und die strittigsten Argumente im Ringen um das Für und Wider der Frage, ob Marco Polo wirklich in China gewesen sei, vorstellen.

2. Frances Wood’s Argumente

2.1 Die Architektur des fernen Asiens

Die Beschreibung der Städte in China bezeichnet Wood als „ vielleicht seinen beständigsten Beitrag zu unserer Kenntnis des Orients im 13.Jahrundert “. Begründet wird dies mit der erstmalig überlieferten Schilderung, insbesondere aber durch die Beschreibung heute z.T. nicht mehr existenter Orte wie auch im Rahmen wechselnder Städtebaumoden umgestaltete Bauwerke.4 Weiter geben z.B. die Festungswälle wie auch das quadratische Straßenmuster gute Referenzobjekte ab, deren „ Beschreibung stimmt exakt mit der traditionellen chinesischen Stadtplanung überein und trifft auch auf die Anlage der späteren Stadt Peking zu “.5 Doch schon die geradezu märchenhafte Beschreibung des Khanspalastes lässt zwischen den Zeilen Zweifel ihrerseits erkennen6, welche bei der Diskussion mit der nicht nur bei Touristen unter diesem Namen bekannten „Marco-Polo-Brücke“ umso deutlicher artikuliert werden. Südwestlich von Peking gelegen den Fluß Yongding überspannend, urteilt Wood über die Vergleichbarkeit dieser Brücke mit der historisch-literarischen Polo-Brücke über den Fluß Pulisanghin: „ Wenn man die Zahl der Bögen nicht wörtlich nimmt, über die Nichterwähnung der Elefanten und die offensichtliche Verwechslung von pfeilertragenden Schildkröten mit Löwen hinwegsieht, die Anzahl der kleinen Löwen beträchtlich verringert (und diejenigen an der Basis der Pfeiler nicht beachtet, denn sie entsprechen nicht dem chinesischen Stil des Brückenbaus), dem persischen Namen für dieses Bauwerk keine Beachtung schenkt und [...] die Beschreibung aus einer Vielzahl von Handschriften in verschiedenen Sprachen destilliert, dann, ja dann ist Marco Polos Darstellung annehmbar.7

2.2 Die chinesische Gesellschaft und ihre Kultur

Positive wie negative Indizien für die Glaubwürdigkeit von Marco Polos Werk betrafen in den meisten Fällen die spezifischen und für uns heutzutage allseits bekannten kulturellen chinesischen Eigenheiten. So beispielsweise nicht nur die Erwähnung des bis dato in Europa weitestgehend unbekannten Porzellans, als auch Hinweise auf dessen Herstellung8. Weiterhin Kohle, die unter „ Steine, die wie Holzscheite brennen9 firmieren, wie auch insbesondere natürlich die Begegnung mit dem ebenfalls in Europ]a noch weitgehend unbekannten Zahlungsmittel des Papiergelds. Zählt es mit zu den am häufigsten erwähnten Eigenheiten verschiedenster Provinzen in Marco Polos Bericht, zeugt die Beschreibung der Papiergeldfabrikation großkhanscher Prägung geradezu von Begeisterung über dieses Zahlungsmittel10. Obgleich die fiskalischen Probleme einer ungehemmten Papiergeldpresse sowohl im Original wie auch bei Wood völlig außen vorgelassen werden, weist sie immerhin auf die technischen Unzulänglichkeiten der Beschreibung des Venezianers hin. So wird „ die komplizierte Methode des Blockdrucks (über 100 Jahre vor Gutenberg) [...] nicht erklärt, statt dessen heißt es nur, dass die Scheine geprägt werden “. Das bei der technischen Beschreibung des Papiergeldes etwas zu fehlen scheint, wird auch durch die zeitlich vor Marco Polos Reise datierte Überlieferung des Franziskanermönchs Wilhelm von Rubruk deutlich, der über seine Erfahrungen am Hofe des Großkhans ausführt: „ Die gewöhnliche Währung in Cataia ist aus Papier [...], auf das Zeilen gedruckt sind [...]11. Weiterhin hätten nach Woods Meinung „ die Märkte der von Marco Polo beschrieben Städte voll gewesen sein müssen mit kleinen Bücherständen, auf denen billig gedruckte populäre Handbucher und fiktionale Werke, viele davon mit Illustrationen, feilgeboten wurden12. Vor diesem Hintergrund erscheint ihr die fehlende Erwähnung der Technik des Blockdrucks und der damit einhergehenden Buchkultur umso unverständlicher.

Offensichtlich unvollständig ist der Bericht Marco Polos allerdings bei der Darstellung des chinesischen Schriftsystems, da sich hierzu nur eine recht neutrale Aussage finden lässt: „ Allerdings ist zu beachten, in ganz Mangi wird eine einzige Sprache gesprochen und ist eine einzige Schrift gebräuchlich13. Ausführlicher berichtet uns Rubruk durch eine Anregung der seiner Beobachtung nach ebenfalls auf den Banknoten aufgedruckten chinesischen Schriftzeichen: „ Sie schreiben mit einem Pinsel, wie ihn Maler benutzen und durch ein einziges Schriftzeichen stellen sie mehrere Buchstaben dar, die zusammen ein Wort ergeben14. Wood führt dazu die Bedeutung der Kalligraphie für die chinesische Gesellschaft aus, sei es im administrativen Sinne in Verwaltung und Steuerermittlung, insbesondere aber in Literatur und Architektur und kommt zu dem Schluss: „ Es lässt sich kaum vorstellen, dass in dem Land, in dem das Papier erfunden und dem geschriebenen Wort mehr Ehrerbietung erwiesen wurde als je irgendwo sonst, eine Person – und sei es auch ein Ausländer – behaupten konnte, zwar in der Staatsverwaltung gewirkt zu haben, aber das mongolische und chinesische Schriftsystem nicht bemerkt oder als wenig interessant erachtet zu haben15.

Marco Polos Bericht zeugt von der Beobachtung vielerlei Märkte und hat auch immer einen Blick auf die verzehrten Lebensmittel übrig, seien es Reis, verschiedenste Sorten von Fleisch oder auch alkoholische Getränke. Wood vermisst allerdings dabei eine Beschreibung des Konsums von Tee und der sich daran angliedernden Teehauskultur. Dabei wäre Tee in China seit dem späten 8. Jahrhundert ein übliches Getränk gewesen und nicht nur Porzellantassen zeugen davon.16 Folgerichtig werden daher nicht nur Zweifel an der gehobenen Stellung der Venezianer gestreut, weil diese „ mit ziemlicher Sicherheit in die solche Teehäuser eingeladen worden [wären], denn die Chinesen empfingen ihre Gäste nicht zu Hause “, sondern es auch insgesamt „ nur schwer vorstellbar [ist], dass sich jemand 17 Jahre lang in China aufgehalten hat, ohne die Beliebtheit dieses Getränks zu registrieren “.17

Weiterhin vermisst Wood einen „ exotischen weiblichen Brauch, nämlich das Einschnüren der Füße “ und meint, dass „ vergleichsweise selten von Frauen die Rede18 wäre. Letzterer allgemeiner Aussage lässt sich allerdings auf sachlicher Basis schwer folgen. Schließlich wird z.B. über die Rolle der Hofdamen19 und Freudenmädchen20 in und um den Khanspalast in Canbaluc erzählt, von der vorbildlich bescheidenen und sittsamen Verhaltensweise der Mädchen von Catai berichtet21, wie auch allgemein die Relevanz des Hymens bei Cataierinnen und Mongolinnen verglichen22. Ebenso erfahren wir aus der Kapitale Quinsai, dass die Frauen „ zarte, engelsgleiche Wesen23 wären.

Als realen Tatsachenbeweis für diesen Brauch führt Wood z.B. den Bericht von Odorich von Pordenone an, der China etwa von 1320 an bereiste und in modetechnischer Hinsicht u.a. geschnürte Füße erwähnte.24 Im Bericht lässt sich dazu folgende Textstelle finden: „ Zur Bewahrung ihrer Jungfräulichkeit haben sich die Mädchen einen sehr zierlichen Gang angewöhnt. Sie setzen einen Fuß nie mehr als einen Fingerbreit vor den andern. [...] Merkt euch wohl, diese strengen Sitten werden in ganz Catai befolgt.25 Auch wenn dies keine eindeutige Zuordnung zulässt, könnte Marco Polo auch den wirklichen Grund für diese Gangart verkannt haben. Was nun der nichterwähnte Brauch des Füßeeinschnürens nach Frances Wood betrifft, so liefert sie neben der technischen Anwendung und einer Erklärung des zu erzielenden Effekts mehrere Thesen. Einerseits könnte die Mongolenherrschaft diesen chinesischen Brauch aus dem Alltag zurückgedrängt haben, was in Kombination mit der Frage der Zugänglichkeit von Ausländern zu dieser Oberklassen-Mode bei Frauen nicht gänzlich unplausibel erscheint, speziell da „ im späteren traditionellen China [...] kaum ein Außenstehender jemals eine ehrbare Frau zu Gesicht “ bekam.26 Was zu der Aussage des Berichts passen würde, der über bereits o.g. Mädchen von Catai besagt: „ Sie halten sich in ihren Kammern auf und beschäftigen sich dort. Ihren Vätern, den Brüdern und andern Familienmitgliedern zeigen sie sich selten und einem Freier schenken sie kein Gehör.27 Was damit nicht zwangsläufig auch auf verheiratete Frauen zutreffen muss. Wood ergänzt selbst, dass die Durchsetzung der Geschlechtertrennung innerhalb der Gesellschaft nicht eindeutig in Bezug auf die z.T. deutlich sich unterscheidenden Dynastien festgelegt werden kann und kommt zu dem Schluss, dass es „sehr wohl möglich [ist], dass Marco Polo während der moralisch nicht so strengen Zeit der Mongolenherrschaft in den Straßen chinesischer Städte Frauen gesehen hat und zwar solche ohne geschnürte Füße“.28 Mit dieser Schlussfolgerung relativiert sich allerdings Polos vermeintlicher Fauxpas.

[...]


1 Frances Wood, Did Marco Polo Go to China?, London 1995.

2 Frances Wood, Marco Polo kam nicht bis China. München 1996. Diese Ausgabe soll auch im Folgenden als Referenzwerk dienen.

3 Igor de Rachewiltz, Marco Polo Went to China. Zentralasiatische Studien 27 (1997), S.34–92, hier S.90.

4 Wood, Polo, S.114.

5 Ebd., S.117; im Original Marco Polo, Il Milione. Die Wunder der Welt, Übersetzung aus altfranzösischen und lateinischen Quellen und Nachwort von Elise Guignard, Zürich 1983, hier S.134.

6 Ebd., S.121; im Original siehe Guignard, S.130-133.

7 Ebd., S.124, im Original siehe Guignard, S.169.

8 Guignard, S.270f.

9 Ebd., S.163f.

10 Guignard, S.154-156, siehe hierzu auch die Bemerkung im Anmerkungsapparat ebd., S.460.

11 Wilhelm von Rubruk, The Mission of Friar William of Rubruck, hg. und komm. von P. Jackson/D. Morgan (Hakluyt Society Ser. 2.173), London 1990, S.203.

12 Wood, Polo, S.100; Beispielhafte Abbildung eines Geldscheines aus der Ming-Dynastie siehe Albert Pick, Papiergeld. Ein Handbuch für Sammler und Liebhaber, Braunschweig 1967, speziell das Kapitel über die „Papiergeldgeschichte Chinas“ S.86-98, hier S.93.

13 Guignard, S.271.

14 Rubruk, S.203.

15 Wood, Polo, S.99.

16 Wood, Polo, S.100f.

17 Ebd., S.101.

18 Ebd., S.102.

19 Guignard, S.128.

20 Ebd., S.152f.

21 Ebd., S.218.

22 Ebd., S.219f.

23 Ebd., S.246.

24 Colonel Sir Henry Yule, Cathay and the Way Thither. Being a Collection of Medieval Notices of China. London 1916, S.112.

25 Guignard, S.219f.

26 Wood, Polo, S.102f.

27 Guignard, S.218.

28 Wood, Polo, S.104.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Marco Polo kam nicht bis China?
Untertitel
Die Fundamentalkritik von Frances Wood
Hochschule
Universität Mannheim  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Proseminar: Marco Polo und seine Zeit
Note
1,5
Autor
Jahr
2009
Seiten
15
Katalognummer
V131282
ISBN (eBook)
9783640410804
ISBN (Buch)
9783640410859
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Marco, Polo, China, Fundamentalkritik, Frances, Wood
Arbeit zitieren
Sebastian Hoffmann (Autor:in), 2009, Marco Polo kam nicht bis China?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131282

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