Mauern statt Menschen? – Zur geschlossenen Unterbringung am Beispiel „Feuerbergstraße Hamburg“


Studienarbeit, 2008

28 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition „geschlossene Unterbringung“

3. Geschichte der geschlossenen Unterbringung
3.1 Unterschiede in der geschlossenen Unterbringung von früher zu heute

4. Verfahrensrechtliche Rahmenbedingungen der geschlossenen Unterbringung
4.1 Gesetzliche Grundlagen
4.1.1 § 42 KJHG
4.1.2 § 1631 b BGB
4.2 Der Verfahrensweg

5. „Feuerbergstraße Hamburg“
5.1 Konzeptionelle und methodische Grundlagen
5.1.1 Theoretische Grundlagen
5.2 Umsetzung der geschlossenen Unterbringung in der Feuerbergstraße
5.2.1 Regeln
5.3 Das Phasenmodell
5.3.1 Eingewöhnung- und Orientierungsphase
5.3.2 Konsolidierungsphase
5.3.3 Erprobungs- und Reintegrationsphase
5.4 Tagesablauf
5.5 Anschlussmaßnahmen

6. Kritik an der geschlossenen Unterbringung
6.1 Kritik aus pädagogischer Sicht
6.2 Kritik am Verfahren
6.3 Kritik aus rechtlicher Sicht
6.4 Kritik an der „Feuerbergstraße Hamburg“

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Spätestens seit dem 11. Kinder- und Jugendhilfebericht aus dem Jahre 2002 kam eine neue Dynamik in die Debatten über das Für und Wider der geschlossenen Unterbringung bzw. dem Freiheitsentzug in der Jugendhilfe (vgl. Stadler, 2004). Was Hamburg 1981 unter dem Motto „Menschen statt Mauern“ abschaffte, ist nun seit 2002 wieder in Form der geschlossenen Unterbringung in der „Feuerbergstraße“ vorhanden und ruft heftigste Diskussionen hervor. Über die Missstände im Heim bis hin zu der Frage, ob die geschlossene Unterbringung überhaupt rechtmäßig ist melden sich viele kritische Stimmen.

In der vorliegenden Studienarbeit zu dem Thema „Mauern statt Menschen ? – zur geschlossenen Unterbringung in der Feuerbergstraße Hamburg“ soll die geschlossene Unterbringung am Beispiel der Hamburger Einrichtung vorgestellt werden. Um die Chancen und Grenzen dieser „Hilfeform“ aufzuzeigen, beginnt die Arbeit mit einem Definitionsversuch des Begriffes „geschlossene Unterbringung“. Aufbauend auf die Definition der geschlossenen Unterbringung im ersten Teil der Arbeit wird im zweiten Teil auf den Ursprung und die Geschichte der geschlossenen Heimerziehung eingegangen. Im Hauptteil der Arbeit wird das, der geschlossenen Unterbringung zugrunde liegende Verfahren mit seinen Rahmenbedingungen und rechtlichen Regelungen, am Beispiel des Konzeptes der Feuerbergstraße in Hamburg-Alsterdorf aufgezeigt. Anschließend wird die Kritik zur geschlossenen Unterbringung und auch speziell die Kritik gegenüber dem Hamburger Modell erläutert. Abschließend folgt ein Fazit.

2. Definition „geschlossene Unterbringung“

Die Definition des Begriffs „geschlossene Unterbringung“ ist in der Literatur nicht eindeutig. Nach Wolffersdorff (2006) handelt es sich um eine Beschränkung oder auch um einen Freiheitsentzug für hilfebedürftige Kinder und Jugendliche und zwar als letzten Schritt, bevor strafrechtliche Maßnahmen ergriffen werden. Als entscheidend bei der Klärung des Begriffs „geschlossene Unterbringung“ benennt er die vorhandenen baulichen Maßnahmen und Gebäudesicherungen der jeweiligen Einrichtung. Darunter fallen:

- die Geländesicherung durch (Stacheldraht-) Zäune
- verschiedene Schlüsselsysteme
- Gebäudesicherungen wie Sicherheitsglas, vergitterte Fenster sowie verschlossene Türen
- Verschluss der einzelnen Zimmer oder Isolierräume (vgl. v. Wolffersdorff, 1996; 304)
Es gibt neben Einrichtungen mit bewusst minimalen baulichen Sicherungen auch solche mit hervorstechender Sicherheitstechnologie. Dies zeigen deutlich die drei Grundformen der geschlossenen Unterbringung:
- das geschlossene Heim
- die völlig geschlossene Gruppe in einem offenen Heim
- die individuell geschlossene Gruppe

I. Das geschlossene Heim ist durch den absoluten Einschluss der Kinder und Jugendlichen gekennzeichnet.

II. Die völlig geschlossene Gruppe in einem offenen Heim zeichnet sich dadurch aus, dass die Jugendlichen das Gefühl bekommen, in einem offenen Heim gefördert zu werden und ein Übergang in die offene Gruppe möglich ist.

III. Bei der individuell geschlossenen Gruppe wird für jeden Jugendlichen einzeln die Art der Sicherung geregelt. Es kann in dieser Gruppe vom sehr geringem bis hin zum großen Freiraum alles möglich sein (vgl. Stadler, 2004).

„Anders als es der suggestive Gehalt des Begriffes nahelegt, stellt sich die geschlossene Heimerziehung in der Praxis also keineswegs als klar umrissene Maßnahme mit eindeutigen Definitionskriterien dar“ (v. Wolffersdorff, 1996; 58). Eine mögliche Definition könnte zum Beispiel von Stadler (2004) sein. Er bezeichnet die geschlossene Unterbringung als eine „ pädagogische Intensivmaßnahm, in der auf Grund einer hochspezifischen Problemlage verlaufsabhängig des Spektrum von freiheitsentziehenden und freiheitserprobenden Strukturen flexibel gehandhabt wird“ (Stadler, 2004).

3. Geschichte der geschlossenen Unterbringung

Schon im deutschen Kaiserreich gab es die Anstaltserziehung ohne Begrenzung. 1933 wurde das im Gesetz verankerte „ persönliche Recht des Kindes auf Erziehung“ in das „Recht des Staates auf Erziehung der Jugend“ geändert, und viele Kinder aus Heimen wurden geschlossen untergebracht. In den 50er Jahren wurden verwahrloste Jugendliche in abgeschiedene Heime im Rahmen der Fürsorgeerziehung weggesperrt (vgl. Hansen, 2007). Bis zu der, von der linken Studentenbewegung getragenen, Heimkampagne der 70er Jahre, wurde die geschlossene Unterbringung sowohl öffentlich als auch fachlich nicht hinterfragt. Durch die Heimkampagne wurden große Einrichtungen in Heim, Wohngruppen u.a. differenziert, viele geschlossenen Heime wurden geöffnet, die Anzahl der geschlossenen Plätze verringert oder ganz abgebaut. 1981 wurde in Hamburg die geschlossene Unterbringung abgeschafft. Auch andere Bundesländer folgten der Hamburger Devise „Menschen statt Mauern“ und ersetzten die geschlossene Unterbringung durch Einzelbetreuung, erlebnispädagogische Auslandsmaßnahmen und intensiv-pädagogische Gruppen. Trotz dieser Entwicklung blieben zum Beispiel die „Jugendwerkhöfe“ der DDR bis zur Wende bestehen.

Nach Wolffersdorff (1996) gab es 1986 insgesamt 400 GU-Plätze, 1989 noch 372 und sieben Jahre später nur 122. Im Jahre 2004 gab es nach den Recherchen des Deutschen Jugend Institutes (DJI) 13 GU-Heime mit insgesamt 185 Plätzen und 66 weiteren geplanten (vgl. Hoops, 2004; 21). Allerdings wurden durch die Untersuchungen des DJI weitere Heime gefunden, die freiheitsentziehend unterbringen, aber nie in Zählungen auftauchten. Somit ist nicht ersichtlich, ob die Anzahl der Plätze gestiegen ist. Auch könnten noch zusätzliche Heime bestehen in denen „... zwar faktisch geschlossen untergebracht wurde (und wird), allerdings ohne dies explizit herauszuheben und auch ohne die erforderlichen Genehmigungen und Verfahrenswege, was in vielerlei Hinsicht, v.a. juristisch und pädagogisch, hoch bedenklich ist“ (Pankofer, 2006; 83). Der Studie des DJI „Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen von Kinder- und Jugendhilfe, Psychiatrie und Justiz“ nach brachte man in den 70er Jahren weit über 1000 Jugendliche allein auf Grund der Entscheidung der Erziehungsberechtigten geschlossen unter. Erst 1979 wurde zum Schutz der Jugendlichen eine richterliche Mitwirkungspflicht eingeführt. Laut Fischer sollten Jugendliche nicht mehr durch willkürliche Entscheidungen von überforderten Erziehungsberechtigten ihrer Freiheit beraubt werden (vgl. Fischer, 2006; 32). In dem alten Jugendwohlfahrtsgesetz, das von 1922 bis 1990 gültig war, gab es zwei wichtige Regelungen, nämlich die „Freiwillige Erziehungshilfe“ nach §§ 62 und 63 JWG und die „Fürsorgeerziehung“ nach §§ 64-68 JWG. Die „Freiwillige Erziehungshilfe“ griff aufgrund eines Antrages des/der Erziehungsberechtigten, und die „Fürsorgeerziehung“ konnte durch das Jugendamt beantragt werden. Das 1990/91 in Kraft getretene Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) sieht keine längerfristige geschlossene Unterbringung mehr vor. Eine zeitweilige Inobhutnahme, die vom Familiengericht genehmigt werden muss, bleibt aber bestehen (vgl. Permien, 2004). Die geschlossene Unterbringung wird im BGB geregelt.

3.1 Unterschiede in der geschlossenen Unterbringung von früher zu heute

Die Heime von frühe und heute sind kaum vergleichbar. Laut Hanna Permien (2004) waren die Zustände in den Einrichtungen, in welchen teilweise bis zu 30 Jugendliche untergebracht wurden, so dramatisch, dass man bestenfalls von Wegsperren und schlimmstenfalls von Folter sprechen konnte, was in der DDR sogar bis zur Wende galt. „Bis in die späten 60er Jahre waren alle Jugendhilfeheime im der Bundesrepublik Deutschland faktisch geschlossene Heime, geprägt von einer >>Abwesenheit von Pädagogik<<“ (Pankofer, 2006; 82).

Hinterfragt wurden die Heime erst seit der Heimkampagne der 70er Jahre. Man bemängelte dann die ungleichen Bildungschancen, fehlende Ausbildungsmöglichkeiten sowie ungerechte Arbeitsentlohnung, Isolation durch abgelegene Standorte, die Nichtbeachtung der Rechte, das schlecht ausgebildete Personal sowie den autoritären und repressiven Erziehungsstil (vgl. Stadler, 2004). Die Konzepte der Heime, die heute geschlossen unterbringen, versprechen, dass es keine Gemeinsamkeiten mit den ursprünglichen Heimen und deren schlimmen Zuständen mehr gibt. Beispielsweise existieren keine Einrichtungen mehr, die ausschließlich geschlossen unterbringen. In den Konzepten ist die Rede von intensivtherapeutischen Gruppen mit individueller Öffnung oder von teiloffenen Gruppen (vgl. Permien, 2004). „Inhaltlich haben sich die Konzepte der bundesdeutschen geschlossen arbeitenden Heime in den letzten 20 Jahren weiterentwickelt, meist in Richtung therapeutischer Angebote und/oder mit dem Ansatz des therapeutischen Milieus. Die Kinder und Jugendlichen durchlaufen während der Maßnahme hinsichtlich der Öffnung nach außen spezifische Stufenpläne, die ihnen jeweils einen immer höheren Grad an Ausgang und Freiheiten ermöglichen, man spricht daher von einer >>individuell-temporären Geschlossenheit<<“ (Pankofer, 2006; 82).

Die Diskussion um die geschlossene Unterbringung reißt aber bisher dennoch nicht ab.

4. Verfahrensrechtliche Rahmenbedingungen der geschlossenen Unterbringung

In diesem Teil der Arbeit sollen die rechtlichen Grundlagen sowie der Verfahrensweg der geschlossenen Unterbringung aufgezeigt werden. Der Begriff „geschlossene Unterbringung“ existiert allerdings in keinem der beiden dafür relevanten Gesetze. Die Begriffsbezeichnung „geschlossene Unterbringung“ ist weder im Bundesgesetzbuch noch im Kinder-und Jugendhilfegesetz zu finden. Sie stammt aus der Heimerziehung (vgl. Stadler, 2004).

4.1 Gesetzliche Grundlagen

Das 1991 in Kraft getretene KJHG ist ein präventionsorientiertes Gesetz, das Ansprüche auf Hilfen zur Erziehung festlegt. Eine dieser Hilfeformen ist die Heimerziehung. Wie bereits im vorherigen Punkt der Arbeit, der Geschichte der geschlossenen Unterbringung, erwähnt, sieht das Kinder- und Jugendhilfegesetz aber keine geschlossene Unterbringung mehr vor.

Nur eine kurzweilige Inobhutnahme, die vom Familiengericht genehmigt werden muss, bleibt bestehen (vgl. Stadler, 2004).

4.1.1 § 42 KJHG

Die Inobhutnahme wird in § 42 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes geregelt. Berechtigt dazu ist das Jugendamt nach § 42, auf dreifacher Grundlage, nämlich wenn

- Erstens ein Kind oder Jugendlicher darum bittet oder
- zweitens eine Gefahr für das Kindeswohl vorliegt und die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder die familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann oder wenn
- drittens ein ausländisches Kind unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Land aufhalten.

Die Unterbringung erfolgt entweder bei einer geeigneten Person oder Einrichtung oder einer sonstigen betreuten Wohnform. Der Jugendliche darf eine Person seines Vertrauens benachrichtigen. Während der Inobhutnahme ist das Jugendamt für das Wohl des Kindes, den nötigen Unterhalt und Krankenhilfe zuständig. Auch ist es berechtigt, alle Rechtshandlungen, die dem Kindeswohl dienen, vorzunehmen. Personensorge- oder Erziehungsberechtigte müssen benachrichtigt werden. Sollten diese der Inobhutnahme widersprechen, so muss das Kind wieder übergeben oder eine Entscheidung des Familiengerichtes herbeigeführt werden. Liegt jedoch ihr Einverständnis vor, dann ist das Hilfeplanverfahren einzuleiten. Weiterhin besagt der § 42, dass die Freiheitsentziehung ohne richterliche Entscheidung spätestens einen Tag nach Beginn zu enden hat, und dass berechtigte Stellen hinzuzuziehen sind, falls Zwang angewendet werden muss (vgl. Marburger, 2008; 54).

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Details

Titel
Mauern statt Menschen? – Zur geschlossenen Unterbringung am Beispiel „Feuerbergstraße Hamburg“
Hochschule
Universität Kassel
Note
2
Autor
Jahr
2008
Seiten
28
Katalognummer
V133471
ISBN (eBook)
9783640403080
ISBN (Buch)
9783640403516
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
geschlossene Unterbringung, GU, Feuerbergstraße Hamburg
Arbeit zitieren
Anne Peter (Autor:in), 2008, Mauern statt Menschen? – Zur geschlossenen Unterbringung am Beispiel „Feuerbergstraße Hamburg“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133471

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