Anthony Giddens - "Theorie der Strukturierung"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Einführung

1. Das Theorem der Dualität von Struktur
1.1 Der Akteur, Handeln
1.2 Struktur, Strukturierung
1.2.1 Strukturbegriffe
1.3 Dimensionen der Dualität von Struktur
1.4 Zusammenfassung

2. Sozialer Wandel aus Sicht der Theorie der Strukturierung
2.1 Die Strukturierung sozialen Wandels
2.2 Dimensionen des sozialen Wandels
2.3 Die Diskontinuitäten der Moderne

3. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einführung

Anthony Giddens steigt in die sozialwissenschaftliche Theoriediskussion mit der Überzeugung ein, dass eine „Rekonstruktion“ der Sozialtheorie gefordert ist (vgl. Giddens, 1981:89). Er unterscheidet bereits zwischen der Sozialtheorie und Soziologie und während letztere sich allein der Analyse der modernen Gesellschaft widmet, hat die Sozialtheorie für sämtliche Fragen zum menschlichen Handeln sowie zu sozialen Institutionen Relevanz. Seine Theorie der Strukturierung soll die Sozialwissenschaft in einen allgemeinen methodologischen Rahmen neu fundieren. Ausgangspunkt sei dabei die Frage nach Verhältnis von Individuum und Gesellschaft im Zuge der Konstitution einer sozialen Ordnung.

Giddens kritisiert ältere Sozial- und Gesellschaftstheorien, die nicht in der Lage seien, individuelles Handeln angemessen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit zu begreifen. Mit seiner Theorie versucht er die objektivistischen Positionen mit ihrer Ansicht, dass der Mensch ein hilfloses „Opfer“ übermächtiger strukturell-gesellschaftlicher Kräfte oder Mächte sei, und das Subjektivismus, wo der Mensch, der als Schöpfer seiner gesellschaftlichen Lebenszusammenhänge erscheint, im Mittelpunkt steht, zu verbinden. Er schreibt: „Mit der Formulierung der Theorie der Strukturierung möchte ich den Dualismus von Objektivismus und Subjektivismus überwinden“ (Giddens 1988:52).

Dieses überwindet er mit dem Theorem der Dualität von Handlung und Struktur, dem ich mich im ersten Teil dieser Arbeit widme. Dabei stehen vor allem folgende Fragen im Mittelpunkt: Welcher Zusammenhang besteht zwischen individuellen Handlungen und sozialer Struktur? Wie entsteht Struktur aus Handlungen, wenn Handlungen an Strukturen ausgerichtet sind?

Im zweiten Teil befasse ich mich mit dem sozialen Wandel aus der Sicht der Strukturationstheorie. Giddens grenzt sich von aus seiner Sicht in den Sozialwissenschaften vorherrschenden evolutionstheoretisch orientierten Ansätzen sozialen Wandels ab (Gregory 1990:222ff., Sayer 1990: 238ff.). Er lehnt universelle Aussagen oder gar Gesetze über sozialen Wandel in Form einer Bestimmung genereller Trends ab. Dennoch scheint ihm Wandel nicht unanalysierbar, allerdings nur in Form einzelner Episoden, die herausgeschnitten und verglichen werden. Dieses und analytische Kategorien, die er zu sozialem Wandel entwickelt hat, bilden den Inhalt des zweiten Teils der Arbeit.

1. Das Theorem der Dualität von Struktur

„Entscheidend für den Begriff der Strukturierung ist das Theorem der Dualität von Struktur … Konstitution von Handelnden und Strukturen betrifft nicht zwei unabhängig voneinander gegebene Mengen von Phänomenen – einen Dualismus -, sondern beide Momente stellen eine Dualität dar. Gemäß dem Begriff der Dualität von Struktur sind die Strukturmomente sozialer Systeme sowohl Medium wie Ergebnis der Praktiken, die sie rekursiv organisieren.“ (Giddens 1988: 77)

Die Strategie, die Giddens verfolgt, um den erwähnten Dualismus zwischen Handlung und Struktur zu überwinden, besteht darin, beide Aspekte als Facetten ein und desselben Phänomens, nämlich der Strukturierung, zu verstehen. Im Mittelpunkt der Forschung steht dann weder der Akteur, noch die Existenz gesellschaftlicher Totalitäten (Strukturen), sondern über Raum und Zeit wiederkehrende soziale Praktiken und deren Veränderung. Struktur ist nicht unabhängig von den Akteuren zu verstehen, sondern wird sie von diesen durch ständige Bezugnahme auf sie rekursiv reproduziert. „Menschliche soziale Handlungen sind … rekursiv. Das bedeutet, dass sie nicht durch die sozialen Akteure hervorgebracht werden, sondern von ihnen mit Hilfe eben jener Mittel fortwährend reproduziert werden, durch die sie sich als Akteure ausdrücken. In und durch Handlungen reproduzieren die Handelnden die Bedingungen, die ihr Handeln ermöglichen.“ (Giddens 1988:52).

Giddens verbindet so konzeptionell die Akteure und Strukturen, und in den Mittelpunkt stellt er den Prozess der Vermittlung zwischen Handlung und Struktur (Strukturation), der die Hervorbringung von Handlung durch Bezugnahme auf Struktur und die gleichzeitige Reproduktion dieser Struktur meint. „Unter Dualität von Struktur verstehe ich, dass gesellschaftliche Strukturen sowohl durch das menschliche Handeln konstituiert werden, als auch zur gleichen Zeit das Medium dieser Konstitution sind“ (Giddens 1984:148).

1.1 Der Akteur, Handeln

Giddens’ Akteursverständnis kommt im „Stratifikationsmodell des Handelnden“ zum Ausdruck:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Stratifikationsmodell des Handelnden (Giddens 1988:55)

Ein zentraler und integraler Charakterzug des Alltagshandelns ist nach Giddens die reflexive Steuerung des Handelns seitens des Akteurs. Die Akteure haben also Verständnis und Wissen um die sozialen und physischen Bedingungen, die Ziele und die Inhalte ihres Handelns, auch wenn dieses Wissen grundsätzlich begrenzt ist – viele ihrer Handlungsbedingungen und –folgen sind den unbekannt. Viele Handlungen haben unbewusste bzw. nicht ursprünglich angestrebte Folgen. Das Ergebnis ist, dass sich die Struktur ändert und damit wiederum Einfluss auf den einzelnen Menschen nimmt.

Dabei entwickeln die Akteure routinemäßig ein theoretisches Verständnis für die Gründe ihres Handelns und können das, was sie tun auch begründen, erklären (Rationalisierung).

Während sich die reflexive Steuerung und Rationalisierung des Handelns auf die Ursachen des Handelns beziehen, drücken Motive bestimmte Bedürfnisse aus. (Giddens 1988: 56). Die Motive können aber die Akteure nicht immer diskursiv darlegen, da sie oft unbewusst und daher schwer zugänglich sind. Während kompetente Akteure die Absichten ihres Handelns und dessen Gründe fast immer diskursiv darlegen können, ist dieses also bei ihren Motiven nicht immer der Fall.

Giddens unterscheidet daher zwischen dem diskursiven und praktischen Bewusstsein und den unbewussten Motiven:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: (Giddens 1988:57)

Akteure handeln meistens unter Bezugnahme auf ihr praktisches Bewusstsein. In diesem ist Wissen enthalten, dass sie über ihre soziale Zusammenhänge und die Bedingungen ihres eigenen Handelns heben (oder haben glauben), dass sie jedoch nicht ohne weiteres diskursiv ausdrücken können (Giddens 1988: 431). Das praktische Bewusstsein steuert das routinemäßige Handeln der Akteure und ist „das in Begegnungen inkorporierte gemeinsame Wissen“ (Giddens 1988:55) der Akteure. Routinen spielen demnach in der Strukturationstheorie eine wichtige Rolle, da sie auf dem praktischen Bewusstsein der Akteure beruhen. Sie sind ein Grundelement sozialen Handelns (Giddens 1988:36). Praktische Bewusstseinsinhalte können jedoch – im Unterschied zu Motiven – jederzeit relativ einfach verbalisiert und damit in das diskursive Bewusstsein gebracht werden. Die Verbindungen zwischen praktischem und diskursivem Bewusstsein sind also viel flüssiger und durchlässiger, als die zwischen der Bewusstseinsebene und der Motiv- bzw. Wahrnehmungsebene.

Die Akteure reproduzieren, produzieren und verändern die Strukturen (sozialen Praktiken). Nach Giddens ist die Produktion von Gesellschaft immer und überall eine auf Fertigkeiten ihrer Mitglieder beruhende Leistung. Diese Idee der Produktion des gesellschaftlichen Lebens ist aber grundlegend mit der der gesellschaftlichen Reproduktion von Strukturen zu vervollständigen (Giddens 1984:154).

1.2 Struktur, Strukturierung

Der Begriff der Struktur steht bei Giddens selbstverständlich an vorderster Stelle. Er verwendet ihn aber mit einer relativ neuen Bedeutung. Er versteht Struktur nicht als dem Akteur gegenübergestellte Entität oder Wirklichkeit, nicht als externes Diktat oder als „soziale Tatsache“ im Sinne von Durkheim, sondern als Orientierungspunkt des Akteurs und als Bestandteil der Handlung selbst. Ian Craib ist der Meinung es wäre einfacher zu sagen, was Giddens unter Strukturen nicht versteht (Craib 1992:40f):

Strukturen haben keine objektive Existenz außerhalb der Akteure, sondern sie werden immer durch Akteure reproduziert. „Strukturen existieren nirgends anders als in den Köpfen der Akteure“ (Weik 1998:170). Gleichzeitig setzt Struktur jedoch durchaus bestimmte Grenzen für das Handeln der Akteure. Strukturen haben keine gesetzesartigen Regelmäßigkeiten oder Determinismen (New 1994:193). Durch den ermöglichenden und begrenzenden Charakter für das Handeln der Akteure ist es immer möglich, dass Akteure „anders handeln“, als es der Logik der Struktur entsprechen würde, werden können. Strukturen sind keine regelmäßigen, sichtbaren Muster sozialer Interaktion oder sozialen Handelns. Solchen Mustern behält Giddens den Begriff System vor: Soziale Systeme sind „reproduzierte Beziehungen zwischen Akteuren oder Kollektiven, organisiert als regelmäßige soziale Praktiken“ (Giddens 1988:77).

Giddens definiert Struktur als rekursiv organisierte Menge von Regeln und Ressourcen, oder Mengen von Transformationsbeziehungen, organisiert als Momente sozialer Systeme. Struktur schränkt Handeln nicht nur ein, sondern ermöglicht es auch. Die strukturellen Momente sind aber so weit in Raum und Zeit ausgegriffen, dass sie sich der Kontrolle der Akteure entziehen (Giddens 1988:78). Die wichtigsten Aspekte der Struktur sind also die Regeln und Ressourcen, die rekursiv in Institutionen eingelagert sind. Institutionen sind definitionsgemäß die dauerhafteren Merkmale des gesellschaftlichen Lebens. Giddens definiert sie als soziale Praktiken, die über Zeit und Raum ausdauern.

1.2.1 Strukturbegriffe

Giddens unterscheidet zwischen verschiedenen Strukturbegriffen, die ineinander greifen und sich gegenseitig bedingen. Strukturen sind entweder näher (Strukturmomente) oder weiter (Strukturprinzipien) von Akteuren „entfernt“, mehr oder weniger durch Zeit und Raum ausgedehnt. Den Akteuren ist in unterschiedlicher Weise bewusst, inwiefern sie durch ihr eigenes Handeln zur Reproduktion von Strukturen beitragen. Siehe dazu Abbildung 3 (Giddens 1988:243).

Auf der höchsten Abstraktionsebene befinden sich die Strukturprinzipien als „Prinzipien der Organisation gesellschaftlicher Totalitäten“ (Giddens 1988:432), die am weitesten in Raum und Zeit ausgreifen. Strukturprinzipien sind Konstrukte, die Gesellschaftstypen konstituieren. Zum Beispiel für die Klassengesellschaft sind es Privateigentum, Kapital usw. Den Akteuren ist die Reproduktion von Strukturprinzipien am wenigsten bewusst.

Strukturen definiert Giddens als Regel-Ressourcen-Komplexe, die an der institutionellen Vernetzung sozialer Systeme beteiligt sind (Giddens 1988:67f). Es sind gedankliche Logiken, die soziale Systeme und deren Verknüpfungen definieren.

Letztlich Strukturmomente kann man als „institutionalisierte Aspekte sozialer Systeme, die sich über Raum und Zeit hinweg erstrecken“ (Giddens 1988:432) verstehen. Sie sind eher „sichtbaren“ Aspekte ganz bestimmter sozialer Systeme. Strukturmomente werden von Akteuren aufgrund ihrer größeren Sichtbarkeit und ihrer geringeren Raum-Zeit-Ausdehnung leichter erkannt. Sie definieren eher das direkte soziale Umfeld von Akteuren.

[...]

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Details

Titel
Anthony Giddens - "Theorie der Strukturierung"
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Veranstaltung
Transformation von Organisationen
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V128482
ISBN (eBook)
9783640402076
ISBN (Buch)
9783640402465
Dateigröße
397 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anthony, Giddens, Theorie, Strukturierung
Arbeit zitieren
Erika Flegrova (Autor:in), 2006, Anthony Giddens - "Theorie der Strukturierung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128482

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