E.T.A. Hoffmann - Das Fräulein von Scuderi: Zwischen Detektivgeschichte und Künstlerroman


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Fräulein von Scuderi als Detektivgeschichte
2.1 Der Mord
2.2 Die Detektivin
2.3 Der unverdächtige Schuldige
2.4 Der verdächtige Unschuldige

3. Das Fräulein von Scuderi als Künstlerroman am Beispiel Cardillacs
3.1 Cardillacs Verhältnis zur Kunst
3.2 Cardillacs pränatales Trauma
3.3 Die Scuderi als Mutterfigur

4. Schlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Als Gegenposition zum geläufigen Verständnis der Scuderi - Erzählung als einer Kriminal- bzw. Detektivgeschichte hat die Forschung die Auffassung des Werkes als Künstlerroman entwickelt“[1]. Mit dieser Aussage weckt Burkhard Dohm das Interesse zur Auseinandersetzung mit E.T.A. Hoffmanns Erzählung aus dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten unter verschiedenen Gesichtspunkten.

Es stellt sich die Frage, ob „Das Fräulein von Scuderi“ nach Alewyn den Ursprung des Detektivromans darstellt: „Damit sind die literarische Herkunft und die geistige Heimat des Detektivromans gesichert. Er ist ein Kind nicht des Rationalismus und des Realismus sondern der Romantik“[2] oder dem Genre des Künstlerromans zuzuordnen ist:

„Die Geschichte von Cardillac ist auch als Künstlererzählung gedeutet worden. Im Lichte moderner Anschauungen, (…) die einen Zusammenhang zwischen Kunst und Verbrechen sehen und auf die existenzielle Verfallenheit des Künstlers an das Schaffen und das geschaffene Werk anspielen, kann man den Goldschmied in der Tat einerseits als eine antizipierende Version dieser Art von Künstlertum betrachten“[3].

Im Folgenden soll nun eine Analyse des „Fräuleins von Scuderi“, anhand kennzeichnender Aspekte der beiden Genres, Aufschluss über dessen Zuordnung geben.

Nach einer kurzen Darstellung des Genres erfolgt zunächst die Analyse des „Fräulein von Scuderi“ aufgrund der Elemente, die sie als Detektivgeschichte auszeichnen. Dabei werden der Mord, die Detektivin, der unverdächtige Schuldige und der verdächtige Unschuldige im Fokus der Betrachtung stehen.

Im Anschluss erfolgt die Betrachtungsweise als Künstlerroman in Bezug auf René Cardillac, indem auf sein Verhältnis zur Kunst und sein pränatales Trauma näher eingegangen wird. Bevor es dann in der Schlussbetrachtung um die Klärung der Eingangsfrage nach der Einordnung der Erzählung in eines der beiden Genre geht, wird die Rolle der Scuderi, als Mutterfigur für Cardillac, diskutiert.

2. Das Fräulein von Scuderi als Detektivgeschichte

Die Detektivgeschichte beschäftigt sich mit einem Verbrechen, dessen Täter durch methodische Anwendung von Deduktion und Intuition ermittelt wird und bietet dem Leser die Möglichkeit zum Mitdenken. Das Thema und das Schema der Geschichte liegen fest, wobei es dem Detektiv durch Sammeln und Auswerten von Tatsachen gelingt, alle Geheimnisse zu erklären: „Er symbolisiert den Glauben einer Epoche und Gesellschaftsschicht, alles mit Vernunft und Wissenschaft erklären, aufklären zu können“[4]. Zu berücksichtigen bei der Entstehung des Detektivromans ist die Tatsache, dass die lückenlosen Indizienbeweise nunmehr die Folter ablösen. Dennoch besteht auch hier noch die Gefahr eines Fehlurteils, welches der Detektiv verhindern muss, indem er die Lücke im Indizienbeweis findet. Es gelingt ihm also immer den Mordfall zu lösen, wobei das Motiv des Täters selten außergewöhnlicher Art ist und somit jeder verdächtig erscheint[5].

Mit kritischem Eifer beschäftigt sich die Literaturwissenschaft mit der Frage, ob es sich bei Hoffmanns Erzählung um eine Detektivgeschichte handelt. Entzündet wurde diese Diskussion nicht zuletzt durch den von Richard Alewyn 1974 veröffentlichten Aufsatz, in dem er die These aufstellte, dass Hoffmann etwa ein viertel Jahrhundert von Edgar Allen Poe mit dem „Fräulein von Scuderi“ die erste Detektivgeschichte geschaffen habe[6]. Er begründet seine Aussage wie folgt:

„In dieser Geschichte finden wir, (…) die drei Elemente zusammen, die den Detektivroman konstituieren: Erstens den Mord, (…) am Anfang und dessen Aufklärung am Ende, zweitens den verdächtigen Unschuldigen und den unverdächtigen Schuldigen, und drittens die Detektion, (…) durch einen Außenseiter, ein altes Fräulein und eine Dichterin“[7].

Alewyn unterscheidet streng zwischen den Genres Detektivgeschichte und Kriminalroman. Nach ihm erzählt der Kriminalroman die Geschichte eines Verbrechens, während die Detektivgeschichte sich mit der Aufklärung eines bereits begangenen Verbrechens auseinandersetzt[8]. Seine traditionelle Unterscheidung soll in der folgenden Analyse beibehalten werden.

Wichtig ist dabei das bereits erwähnte feste Schema, das der Detektivgeschichte zugrunde liegt. Die nun zu klärende Frage besteht also darin, welche Merkmale die Einordnung des „Fräulein von Scuderi“ als Detektivgeschichte begründen, und welche ihr widersprechen.

2.1 Der Mord

„Eine Leiche wird gefunden. Die Umstände erlauben keine andere Diagnose als Mord. Aber wer ist der Täter? (…) Spuren werden gefunden, verfolgt und wieder verloren“[9]. Während bei der Schilderung der Pariser Giftmorde nachvollziehbare Motive, wie Rache, Reichtum und Geldgier, angegeben werden, bleibt das Motiv für die Juwelenmorde unerklärlich[10]: „Rätselhaft bleibt auch die genaue Kenntnis die der jeweilige Täter von Ort und Stunde des Rendezvous’ seines Opfers hat, sowie seine Fähigkeit, spurlos zu verschwinden“[11]. Dies veranlasst Degrais sogar zu dem Fehlurteil: „ Der Teufel selbst ist es, der uns foppt“[12].

Mit dem Geständnis Oliviers wird das Rätsel um die Morde schließlich gelöst, aber nicht durch den Detektiv, sondern durch den verdächtigen Unschuldigen. Auch erfolgt diese Aufklärung nicht am Ende, sondern etwa in der Mitte der Erzählung, was gegen die Einordnung der Erzählung als Detektivgeschichte spricht[13].

2.2 Die Detektivin

Obwohl Richard Alewyn die Scuderi als Detektivin betrachtet, entspricht sie wohl kaum seiner Vorstellung von der Gleichsetzung des Detektivs mit einem Künstler[14]:

„Sie werden „Künstler“ genannt, weniger weil sie irgendeine Kunst ausübten, als weil ihr exzentrischer Charakter und ihre extravagante Lebensführung sie aus der Gesellschaft der gewöhnlichen Menschen ausschließen und für das alltägliche Leben untauglich machen. Ohne Familie und ohne Beruf, ohne Wohnsitz und ohne Besitz, liegen sie mit Gesellschaft und Staat im Krieg. (…) aber diese Ausgewanderten (…) sind es, die die Spuren lesen und die Zeichen zu deuten verstehen, die den normalen Menschen unsichtbar oder unverständlich bleiben (…) Zu diesem Menschenschlag gehört das Fräulein von Scuderi“[15].

Die Scuderi trägt zwar einiges zur detektivischen Auflösung des Falls bei, ist aber meines Erachtens vom romantischen Künstlertum nach Alewyn weit entfernt. Bereits im ersten Satz wird erwähnt, dass sie sehr wohl einen Wohnsitz hat, und diesen sogar aufgrund eines guten Verhältnisses mit der hohen Gesellschaft: „In der Straße St. Honoree war das kleine Haus gelegen, welches Magdaleine von Scuderi (…) durch die Gunst Ludwig des XIV. und der Maintenon, bewohnte“[16].

Marion Bönninghausen und Klaus Kanzog sind sich einig, dass die Scuderi nicht als Detektiv angesehen werden kann, jedoch leitmotivische Züge eines solchen aufweist, die im Folgenden erläutert werden.

Ein typisch rationales Vorgehen eines Detektivs zeigt sich in ihrem Verhalten nach Madelons Bericht[17]: „(…) zog Erkundigungen ein (…) Immer und immer wieder ließ sich die Scuderi die kleinsten Umstände des schrecklichen Ereignisses wiederholen. Sie forschte genau (…) fand die Scuderi im Reich der Möglichkeiten keinen Beweggrund zu der entsetzlichen Tat“[18]. Auch die Tatsache, dass sie bei der Rettung Oliviers von ihrem Gerechtigkeitssinn geprägt ist, ist typisch für das Genre der Detektivgeschichte: „Mit der festen Überzeugung von Oliviers Unschuld fasste die Scuderi den Entschluss, den unschuldigen Jüngling zu retten, koste es, was es wolle“[19]. Ein weiteres typisches Element, das auch zum Repertoire des Detektivs gehört ist das Motiv der Ahnung[20]. Nach dem Erscheinen Cardillacs bei der Maintenon ist die Scuderi sehr aufgebracht: „Nicht erwehren kann ich mich einer dunklen Ahnung, dass hinter diesem allem irgend ein grauenvolles, entsetzliches Geheimnis verborgen“[21].

Das sonstige Vorgehen der Scuderi verstößt gegen alle detektivischen Verhaltensregeln. Sie tritt nicht von außen an den Fall heran, sondern wird unter anderem durch ihre Rolle als Künstlerin in ihn hineingezogen. Außerdem ist ihre Herangehensweise nicht rational kombinatorisch, sondern eher intuitiv und emotional, worauf im Text mehrmals verwiesen wird[22]: „Ganz zerrissen im Innern, entzweit mit allem Irdischen wünscht die Scuderi, nicht mehr in einer Welt voll höllischen Truges zu leben“[23]. Auch ihre Beweisführung vor La Regnie gestaltet sich sehr emotional: „(…) die Betheurungen, die von häufigen Tränen begleiteten Ermahnungen (…) Als das Fräulein nun endlich ganz erschöpft , die Thränen von den Augen wegtrocknend, schwieg“[24].

[...]


[1] Dohm, Burkhard: Das unwahrscheinliche Wahrscheinliche. Zur Plausibilisierung des Wunderbaren in E.T.A. Hoffmanns „Das Fräulein von Scuderi“. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, ?????1999, S. 293.

[2] Alewyn, Richard: Das Rätsel des Detektivromans. In: Frisé, Adolf (Hrsg.): Definitionen. Essays zur Literatur, Frankfurt am Main 1963, S. 136.

[3] Pikulik, Lothar : Das Verbrechen aus Obsession. E.T.A. Hoffmann: „Das Fräulein von Scuderi“ (1819). In: Freund, Winfried (Hrsg.): Deutsche Novellen. Von der Klassik bis zur Gegenwart, München 1998, S. 56.

[4] Gorski, Gisela: Das Fräulein von Scuderi als Detektivgeschichte. In: Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft, 27. heft, Bamberg 1981, o.S..

[5] Gorski, Gisela (1981), o.S..

[6] Feldges, Brigitte / Stadler, Ulrich: E.T.A. Hoffmann. Epoche – Werk – Wirkung, München 1986, S. 139.

[7] Alewyn, Richard (1963), S. 130.

[8] Alewyn, Richard (1963), S. 119.

[9] Alewyn, Richard (1963), S. 117.

[10] Herwig, Henriette: Das Fräulein von Scuderi. Zum Verhältnis von Gattungspoetik, Medizingeschichte und Rechtshistorie in Hoffmanns Erzählung. In: Saße, Günter: E.T.A. Hoffmann. Romane und Erzählungen, Stuttgart 2004, S. 201.

[11] Ebd. S. 202.

[12] Kiermeier-Debre, Joseph (Hrsg.): E.T.A. Hoffmann (1820): Das Fräulein von Scuderi. Erzählung aus dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten, München 1998, S. 23.

[13] Naumann, Dietrich: Zur Typologie des Kriminalromans. In: Lindken, Hans Ulrich: E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. Erläuterungen und Dokumente, Stuttgart 1978, S. 93.

[14] Gorski, Gisela (1981), o.S..

[15] Alewyn, Richard (1963), S. 135.

[16] Hoffmann, E.T.A. (1820), S. 7.

[17] Bönninghausen, Marion: E.T.A. Hoffmann. Der Sandmann / Das Fräulein von Scuderi. In: Bogdal, Klaus-Michael / Kammler, Clemens (Hrsg.): Oldenbourg Interpretationen, Band 93, 1999 Oldenbourg, S. 77.

[18] Hoffmann, E.T.A. (1820)., S. 46-47.

[19] Ebd., S. 47.

[20] Kanzog, Klaus: E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ als Kriminalgeschichte. In: Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft, 11. Heft, Bamberg 1964, S. 4.

[21] Hoffman, E.T.A. (1820), S. 38.

[22] Bönninghausen, Marion (1999), S. 78

[23] Hoffmann, E.T.A. (1820)., S. 54.

[24] Ebd., S. 48.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
E.T.A. Hoffmann - Das Fräulein von Scuderi: Zwischen Detektivgeschichte und Künstlerroman
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Seminar: E.T.A. Hoffmann - Romane und Erzählungen
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V130961
ISBN (eBook)
9783640401888
ISBN (Buch)
9783640401932
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Proseminarbeit
Schlagworte
Hoffmann, Fräulein, Scuderi, Zwischen, Detektivgeschichte, Künstlerroman, Thema: Das Fräulein von Scuderi
Arbeit zitieren
Sonja Deges (Autor:in), 2007, E.T.A. Hoffmann - Das Fräulein von Scuderi: Zwischen Detektivgeschichte und Künstlerroman, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130961

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