12 Jahre Europäischer Binnenmarkt

Eine makroökonomische Bilanz


Diplomarbeit, 2005

88 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

II. Abkürzungsverzeichnis

III. Tabellenverzeichnis

IV. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen
2.1 Begriffliche Abgrenzungen
2.2 Historische Betrachtung des europäischen Binnenmarktes
2.3 Charakteristika des gemeinsamen Binnenmarktes
2.4 Makroökonomische Größen

3. Ausgangslage: Der Cecchini-Bericht - Die Kosten der europäischen Marktfragmentierung
3.1 Entstehungskontext
3.2 Wirtschaftliche Marktintegration als Ausgangspunkt
3.3 Kernbereiche
3.3.1 Bürokratie und Grenzformalitäten
3.3.2 Protektionismus im öffentlichen Auftragswesen
3.3.3 Liberalisierung der Finanzdienstleistungen
3.3.4 Angebotsseitige Effekte
3.3.5 Abweichende technische Vorschriften und Normen
3.3.6 Barrieren für grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeit

4. Makroökonomische Auswirkungen
4.1 Schaffung binnenmarktrelevanter Rahmenbedingungen
4.2 Wachstum und Beschäftigung
4.2.1 Arbeitslosenquote, Beschäftigungsquote und BIP
4.2.2 Europäischer Arbeitsmarkt: Beschäftigungsstrategie, Lohnpolitik und Migration
4.3 Preisniveau
4.3.1 Preisentwicklung und Inflationsrate
4.3.2 Die Rolle der Europäischen Währungsunion
4.3.3 Geldpolitik
4.3.4 Die Eignung der Geldpolitik zur Bekämpfung globaler Schocks
4.4 Entlastung der öffentlichen Haushalte
4.4.1 Haushaltsdefizite
4.4.2 Fiskalpolitik
4.4.3 Steuern: Wirkungen der Binnenmarktmaßnahmen und Handlungsbedarf
4.5 Die Rolle einer koordinierten Makropolitik
4.6 Leistungsbilanz
4.7 Stand der wirtschaftlichen Integration
4.8 Ungenutzte Potenziale: Die Schlüsselrolle des Dienstleistungssektors
4.9 Kritik am Cecchini-Bericht
4.10 Abschlussbetrachtung

5. Entwicklungstendenzen: ein Blick in die Zukunft
5.1 Bestehende und zukünftige Herausforderungen
5.2 Lissabon-Strategie: Fortsetzung des Cecchini-Berichts?

6. Fazit

V. Literaturverzeichnis

II. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

III. Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Mittelfristige makroökonomische Wirkungen der Marktintegration für die EG

Tabelle 2: Jährliche Veränderung des BIP (in %)

IV. Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Binnenmarkt - Der Idealfall

Abbildung 2: Stärkere Öffnung des Auftragswesens in der EU-15

Abbildung 3: Umsetzung der Richtlinien in der EU-15

Abbildung 4: Entwicklung der Arbeitslosenquote

Abbildung 5: Arbeitslosenquote der weiblichen Bevölkerung in der EU-15

Abbildung 6: Beschäftigungsquote der älteren Arbeitnehmer (55-64 Jahre)

Abbildung 7: Preisentwicklung in ausgewählten Ländern (jährliche

Abbildung 8: Entwicklung der Inflationsrate in der EU-15

Abbildung 9: Entwicklung des öffentlichen Schuldenstandes in der EU-15

Abbildung 10: Allgemeine Mehrwertsteuersätze 2003 in den Staaten der EU

Abbildung 11: Entwicklung des Intra-EU-Handels

Abbildung 12: Entwicklung der EU-Exporte in Drittländer (in % des BIP)

Abbildung 13: Patentzulassungen pro Mio. Einwohner in den USA und der EU

1. Einleitung

Der europäische Binnenmarkt verkörpert eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union. Neben politischen Motiven wie dem der Friedenssicherung sind es vor allem wirtschaftliche Beweggründe, die die europäische Integration immer wieder vorangetrieben haben.

Der im Jahre 1988 veröffentlichte Cecchini-Bericht, welcher dieser Arbeit als Grundlage dient, gab zum damaligen Zeitpunkt einen ausschlaggebenden Anstoß, die Integration weiter voranzutreiben. Er prognostizierte erhebliche Wachstums- und Beschäftigungseffekte, die ein vollkommen umgesetzter Binnenmarkt zur Folge haben würde. Ob und in welchem Ausmaß diese Effekte seit 1993 Wirklichkeit geworden sind, soll Gegenstand dieser Arbeit sein. Des Weiteren soll ein Bogen gespannt werden zwischen den Aufbruchsjahren, in denen die ersten Schritte in Richtung eines Gemeinsamen Marktes unternommen wurden und der heutigen Situation.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile, wobei Kapitel 4 im Zentrum der zu untersuchenden Problematik steht. Einleitend wird mit einem kurzen Abriss über die Definition und die Entstehungsgründe des Binnenmarktes sowie einer Klärung der in dieser Arbeit verwendeten volkswirtschaftlichen Größen begonnen. In Kapitel 3.1 werden sowohl der Cecchini-Bericht und die darin prognostizierten Auswirkungen als auch der wissenschaftliche Hintergrund der für diesen Bericht verwendeten makroökonomischen Modelle dargestellt. Im Anschluss daran erfolgt anhand makroökonomischer Variablen und Politikbereiche die Effizienzanalyse des Binnenmarktes seit seiner Verwirklichung im Jahre 1993 bis heute. In einem weiteren Schritt soll ein Blick in die Zukunft Aufschluss über kommende Herausforderungen geben, denen der Binnenmarkt ausgesetzt sein wird. In diesem Zusammenhang wird auch die im Jahre 2000 formulierte Lissabon-Strategie fokussiert. Das sich anschließende Fazit fasst die gewonnenen Erkenntnisse zusammen und gibt eine abschließende Bewertung über die Wirkungsweise des europäischen Binnenmarktes.

Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit besteht darin, die makroökonomischen Auswirkungen zu untersuchen und zu klären, wie es zu diesen im Verlauf der Zeit kommen konnte. Gleichzeitig sollen diejenigen Schwierigkeiten und Versäumnisse aufgezeigt werden, welche der vollständigen Verwirklichung des Binnenmarktes immer noch im Wege stehen. In diesem Zusammenhang soll auch geklärt werden, ob der Binnenmarkt isoliert betrachtet werden kann oder ob es zu bestimmten Interaktionen kommt. Dabei spielen Aspekte wie z.B. die Globalisierung oder auch die Entstehung und Verbreitung von neuen Medien eine nicht zu verachtende Rolle. Die einander gegenübergestellten Daten beziehen sich auf die EU-15-Länder, so dass ein einheitlicher Vergleich der Auswirkungen stattfinden kann. Um die tatsächlichen Auswirkungen des Binnenmarktes besser evaluieren und bewerten zu können, wird an einigen Stellen ein Vergleich zu den USA oder auch Japan angestellt. Obwohl der Fokus dieser Arbeit auf der Analyse der makroökonomischen Auswirkungen liegt, werden dann einzelwirtschaftliche Aspekte hinzugezogen, wenn diese als Erklärung für bestimmte Effekte hilfreich sind.

2. Grundlagen

2.1 Begriffliche Abgrenzungen

Ein Binnenmarkt (früher auch als gemeinsamer Markt definiert) liegt immer dann vor, wenn zusätzlich zur Zollunion Freizügigkeit bezüglich Arbeit und Kapital existiert. Man spricht dabei sowohl von nationalen Binnenmärkten einzelner Länder als auch von gemeinsamen Märkten supranationaler Gebilde wie der EU. Der Binnenmarkt geht also noch einen Schritt weiter als die Zollunion, da nicht nur ohne Beschränkungen Waren zwischen den Mitgliedstaaten transferiert werden können, sondern es zusätzlich zu einer Liberalisierung der Arbeitskräfte- und Kapitalströme kommt. Somit erfolgt durch einen Binnenmarkt ein wesentlicher Schritt in Richtung umfassender wirtschaftlicher Kooperation (Daxhammer 2003, S.10). Zugleich ist die Idee einer Vereinheitlichung der Märkte im Zusammenhang mit dem Ziel einer ökonomischen und politischen Integration zu sehen. Der Europäische Binnenmarkt stellt somit die am 1.1. 1993 verwirklichte Fortentwicklung der Zollunion und gleichzeitig eine wichtige Etappe auf dem Weg zur EWWU dar (Knies 2000, S.279). Der bis zur Entstehung des Weißbuchs verwendete Begriff des „Gemeinsamen Marktes“ deckt sich im Wesentlichen mit dem Begriff Binnenmarkt (Weindl/Woyke 1999, S. 91). Rechtlich gesehen fungiert der Binnenmarkt bzw. der Gemeinsame Markt als ein Regelungssystem (Seidel 2002, S.3). Die begriffliche Definition des Binnenmarktes findet sich in Artikel 7a Abs. 2 EGV, wo er wie folgt erklärt wird: „Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen des Vertrages gewährleistet ist.“ Heute besteht der Binnenmarkt aus 25 Ländern, wobei er auch die drei EFTA-Länder umfasst, die dem EWR- Abkommen beigetreten sind, nämlich Island, Norwegen und Liechtenstein (Europäische Kommission[2] 2003a, S.4).

Die Makroökonomik analysiert, im Gegensatz zur Mikroökonomik, welche die einzelwirtschaftlichen Entscheidungen von Haushalten und Unternehmen untersucht, die Gesamtwirtschaft. Sie umfasst Aspekte wie wirtschaftliches Wachstum, Preisstabilität und Beschäftigung. Die Makroökonomik versucht, sowohl das gesamtwirtschaftliche Geschehen zu erklären als auch geeignete Modelle und Instrumente für dessen Analyse und Darstellung zu entwickeln (Mankiw 2000, S. 15). Gesamtwirtschaftliche Größen, welche nach institutionellen Gesichtspunkten wie Wirtschaftssektoren (z.B. dem Haushalts- oder dem Staatssektor) oder nach funktionellen Aggregaten (z.B. dem BIP) gebildet werden, stehen im Mittelpunkt der Makroanalyse. Diese besteht zudem überwiegend aus einer Totalanalyse (Kuhbier 2000, S. 45). Als komplementäre Methoden sollten sich Mikro- und Makroökonomik gegenseitig in ihren Aussagen bekräftigen. Der erste Ansatz beschreibt den zu erwartenden Nutzen als einen kollektiven Wohlstandszuwachs, wohingegen der zweite ihn in Aggregate, wie z.B. einem Wachstum des BIP oder Preisinflation, transformiert (Kommission 1988, S.187).

Mikro- und Makroökonomik können nicht immer voneinander getrennt werden, da zwischen beiden Bereichen eine gewisse Interaktion vorliegt. So kann eine makroökonomische Politik keine stabilen Ergebnisse liefern, wenn von den mikroökonomischen Variablen die falschen Anreize ausgehen. Auf der anderen Seite kann eine mikroökonomische Politik nicht erfolgreich sein, wenn die makroökonomischen Bedingungen keine Expansion oder Flexibilität erlauben (Europäisches Parlament 2000b, S.6f.). Die Makroökonomik stellt sich immer mehr als Abbild eines Subsystems des sehr viel umfassenderen politisch-ökonomischen Systems heraus (Geigant 2000e, S. 617), so dass eine Zuordnung in den Kontext der Wirtschaftspolitik oftmals hilfreich sein kann. Zur Erklärung einzelner gesamtwirtschaftlicher Variablen soll an dieser Stelle auf Kapitel 2.4 verwiesen werden, in dem die für diese Arbeit relevanten Komponenten definiert werden.

2.2 Historische Betrachtung des europäischen Binnenmarktes

Die Gründung eines Binnenmarktes ohne nationale Grenzen im Inneren gehört zu den Kernzielen der europäischen Integration seit den Römischen Verträgen (Gründungsvertrag der EWG) von 1957 (Heinemann/Schmuck 2005, S.32). Das Binnenmarktprogramm von 1993 geht zurück auf eine Erklärung des so genannten Roundtable of European Industrials (ERT), die eine Reihe von konkreten Maßnahmen enthielt, wie die Nachteile abgebaut werden könnten, denen europäische Unternehmen immer wieder begegneten. Diese Vorschläge bildeten das Kernstück für die inhaltliche Gestaltung des Weißbuchs über die Vollendung des Binnenmarktes (Ziltener 2003, S. 221). Nur wenige Tage nach seiner Amtsübernahme 1985 kündigte der damalige Kommissionspräsident Jaques Delores seine Bestrebungen an, bis Ende 1992 alle innergemeinschaftlichen Grenzen aufzuheben (Nienhaus 2003a, S.560). Im selben Jahr gab die Europäische Kommission, das Exekutivorgan der Europäischen Union, daher ein Weißbuch mit nahezu 300 Vorschlägen zur Vollendung des Binnenmarktes heraus. Dort heißt es: „Unzweideutiges Ziel des Vertrages (EG-Vertrages, Anm. der Verfasserin) war von Anfang an die Schaffung eines einheitlichen integrierten Binnenmarktes ohne Beschränkung des Warenverkehrs, die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, die Einführung eines Systems zur Verhinderung der Wettbewerbsverzerrungen im Gemeinsamen Markt, die für das störungsfreie Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderliche Angleichung der Rechtsvorschriften und die Angleichung der indirekten Besteuerung…“ (Kommission 1985, S. 4).

Kernanliegen dabei war folglich, dass bis Ende 1992 sämtliche innereuropäischen Beschränkungen des Handels, des Kapitalverkehrs sowie der Arbeitsmigration aufgehoben sein sollten. Dieses Projekt ging über den bisherigen Gemeinsamen Markt hinaus. Zudem kam es dahingehend zu einem Wechsel, dass eine weitergehende Schaffung europäischer Standards mittels Harmonisierung durch das Prinzip gegenseitiger Anerkennung nationaler Standards abgelöst wurde (Ziltener 2002, S.6). Im Zuge der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahre 1986 unternahm die Europäische Gemeinschaft[3] schließlich die maßgeblichen politischen Schritte, um das Weißbuch bis zum Zieljahr 1992 in die Tat umzusetzen (Jarchow/Rühmann 2002, S. 315). Der darauf folgende Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum, welcher am 1.1.1994 in Kraft getreten ist, erweiterte das ursprüngliche Binnenmarktkonzept (Knies 2000, S. 279).

Die zu Beginn der achtziger Jahre geführte Diskussion, wie der sog. „Eurosklerose“[4] zu begegnen sei, hatte den Liberalisierungsbemühungen im Zuge eines Gemeinsamen Marktes neuen Auftrieb gebracht (Geigant 2000d, S. 549). Die Umsetzung des Binnenmarktprogramms machte damit der bis zu diesem Zeitpunkt im europäischen Raum vorherrschenden Lethargie ein Ende (Jovanovic 2005, S. 23). War die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Folge des Zweiten Weltkrieges (Muschg 2005, S.22), reagierte die Europäische Gemeinschaft mit dem Projekt des Binnenmarktes auf die Krise der 1970/80er Jahre. Motivationen zu tief greifenden Veränderungen rührten aus der Tatsache, dass die Europäische Gemeinschaft sich von der Weltwirtschaftskrise langsamer erholte als andere Länder der Welt wie z.B. Japan oder die USA. Offizielle Kommissionsberichte beklagten permanent die bestehende Marktfragmentierung und propagierten ein liberales Integrationskonzept, nach dem offene Grenzen den Wettbewerb intensivieren, den effizientesten Einsatz aller Ressourcen gewährleisten, ein vielfältiges und preisgünstiges Angebot für Verbraucher sichern, zu Skaleneffekten führen, Innovationen auslösen und nicht nur einmalige, sondern dauerhafte Wachstumsimpulse zur Folge haben würden (Ambrosius 2003, S.10).

Zu Beginn der neunziger Jahre ließen die deutsche Wiedervereinigung, der Umbruch in Mittel- und Osteuropa sowie der beginnende Zerfall der ehemaligen Sowjetunion die politische Dimension der europäischen Integration wieder in den Vordergrund treten (Nienhaus 2003a, S. 247). Der Prozess der Vertiefung der Integration, der mit der Übertragung weiterer wirtschaftspolitischer Kompetenzen von der nationalen auf die zentrale Ebene der EU verbunden ist, wurde gleichzeitig durch diverse Erweiterungen begleitet; so zuletzt im Jahre 2004, als der EU zehn neue Länder beitraten (Heiduk 2005, S. 304).

An dieser Stelle wird bereits deutlich, wie früh der Wunsch nach einem Zusammenwachsen der Märkte aufkam. Das Streben nach einem Gemeinsamen Markt hatte folglich sowohl politische, der Sehnsucht nach einem friedlichem Zusammenleben nachkommende, als auch wirtschaftliche Hintergründe (Arnold 2005, S. 4ff. Kok 2003, S. 15).

2.3 Charakteristika des gemeinsamen Binnenmarktes

Sein volles wirtschaftliches Potenzial kann der Binnenmarkt erst dann entfalten, wenn ein umfassender Rechtsrahmen gegeben ist. Der rechtliche Binnenmarkt besteht einmal aus den Vorschriften des EG-Vertrags und der Rechtssprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften. Ergänzt werden diese durch das Sekundärrecht, welches vor allen Dingen Richtlinien umfasst, die erst in nationales Recht umgesetzt werden müssen, bevor sie rechtsgültig werden (Kommission, 2003a, S.10). Die Verwirklichung des Binnenmarktes dient, wie bereits erwähnt, insgesamt einem weiteren, übergeordneten Ziel, und zwar neben der wirtschaftlichen und politischen Stärkung nach außen der Schaffung einer politischen Union (Weindl/Woyke 1999, S.91). So sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den europäischen Binnenmarkt vornehmlich dem 1985 formulierten Weißbuch zu entnehmen (Cecchini 1988, S. 129). Bereits aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Weißbuchs ist erkenntlich, dass unter einem Binnenmarkt ein Raum verstanden wird, in dem es erstens keine materiellen, zweitens keine technischen und drittens keine steuerlichen Schranken mehr gibt. Unter dem erstgenannten Punkt versteht man dabei die Kontrollen an den Binnengrenzen, denen sowohl Waren als auch Personen unterliegen. Eine Binnengrenze stellt dabei die Grenze zwischen zwei Mitgliedstaaten der EG dar. Zu den technischen Schranken gehören alle in den Mitgliedstaaten bestehenden Vorschriften und Regelungen, einschließlich technischer Normen und Prüfverfahren, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr einzuschränken oder zu behindern. Schließlich sind mit den steuerlichen Schranken insbesondere die indirekten Steuern gemeint, mit denen Güter und Dienstleistungen in den einzelnen Mitgliedstaaten zum Teil sehr unterschiedlich belastet werden. Aber auch die direkten Steuern können zu Störungen und Behinderungen des innergemeinschaftlichen Verkehrs beitragen. Durch Beseitigung dieser genannten Schranken sollte nun der Binnenmarkt geschaffen werden (Weindl/Woyke 1999, S.92).

Die beiden zentralen Elemente des Binnenmarktprogramms zur Überwindung der Marktfragmentierung und des innereuropäischen nicht-tarifären Handelsprotektionismus waren dabei die Einführung von Mehrheitsentscheidungen im Zusammenhang mit Binnenmarktangelegenheiten und die breite Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung von Normen und technischen Standards im Güterverkehr sowie von Qualifikationsnachweisen und ähnlichen marktzutrittsregulierenden Zertifikaten im Bereich der Dienstleistungen (Nienhaus 2003b, S.118f.). Durch die Umsetzung des Binnenmarktes wurden neben den eben genannten Punkten noch vier weitere Grundfreiheiten erreicht, die im Folgenden näher erläutert werden.

Der freie Warenaustausch innerhalb der Staaten der EU wird im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit gesichert. Sowohl Zölle als auch mengenmäßige Beschränkungen wurden in der EG bis 1968 abgeschafft, d.h. tarifäre und teilweise auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse wurden untersagt (Bundeszentrale für politische Bildung 2002, S. 244). Gleichzeitig fielen Grenzkontrollen weg und es erfolgte eine Standardisierung von Gesetzen, Regulierungen und Normen, welche ebenfalls den technischen Handelshemmnissen zugeordnet werden können (Heiduk 2005, S. 308). Ziel eines freien Warenverkehrs war es ferner, durch die Öffnung der nationalen Märkte das Produktangebot auf allen Märkten zu verbessern, zu erweitern und knappe Güter zu verbilligen (Bundeszentrale für politische Bildung 2002, S. 244).

Der freie Personenverkehr ermöglicht den Arbeitskräften der Mitgliedsländer gem. Artikel 18 EG-Vertrag ein weitgehendes Aufenthaltsrecht in anderen europäischen Ländern zur Berufsausübung oder auch zur Stellensuche (Heinemann/Schmuck 2005, S.34). Der Vertrag von Amsterdam markiert dabei eine wichtige Etappe. Er integriert die Rechtsvorschriften des Übereinkommens von Schengen[5] (den so genannten Schengener Besitzstand) in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union und sieht die Schaffung eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ vor, in dem alle Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Union ungeachtet der Staatsangehörigkeit der Personen aufgehoben sind (Kok 2003, S. 45).

Durch den freien Dienstleistungsverkehr sollen eine Liberalisierung der Finanzmärkte sowie eine Harmonisierung der Banken- und Versicherungsaufsicht gewährleistet werden (Heiduk 2005, S.308). Die Begriffe des freien Dienstleistungsverkehrs und des Niederlassungsrechts sind eng miteinander verbunden (Padoa-Schioppa 1988, S. 37). In beiden Fällen muss der Bürger bzw. das Unternehmen aus der Gemeinschaft genauso wie ein Inländer bzw. ein inländisches Unternehmen behandelt werden, d. h. diejenigen Voraussetzungen, die der Bürger oder das Unternehmen erfüllen sollen, müssen die gleichen sein, die auch für einen inländischen Dienstleistungserbringer bzw. ein inländisches Dienstleistungsunternehmen gelten (Weindl/Woyke 1999, S. 186). Dienstleistungsunternehmen ist es also erlaubt, grenzüberschreitend tätig zu werden (Heinemann/Schmuck 2005, S. 34).

Wenn die Grenzen für Personen, Waren und Dienstleistungen fallen, müssen als Konsequenz auch alle Beschränkungen für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr aufgehoben sein (Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung 2003, S.40). Der EG-Vertrag verbietet jegliche Einschränkungen des freien Kapitalverkehrs und des Zahlungsverkehrs. So wird den EU-Bürgern und Unternehmen ermöglicht, unbeschränkt Kredite im europäischen Ausland aufzunehmen oder Geld in anderen Ländern zu investieren (Heiduk 2005, S. 34). Wie im Folgenden jedoch zu sehen sein wird, existiert an dieser Stelle noch eine große Diskrepanz zwischen dem Wunsch eines freien Kapitalmarktes und dessen tatsächlicher Umsetzung.

Im Zuge der weiteren Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarktes gelang mit der Einführung des Euro als Buchgeld 1999 und schließlich als Bargeld 2002 ein zusätzlicher Durchbruch. Die europäische Gemeinschaftswährung beseitigte von nun an Hindernisse der nationalen Währungen, die zuvor das Staaten übergreifende Wirtschaften im Binnenmarkt belastet hatten (Heinemann/Schmuck 2005, S. 34). Durch den Wegfall der Wechselkurse und der damit einhergehenden einheitlichen Geldpolitik ist die EU zu einer großen Volkswirtschaft geworden, die sich durch einen ausgedehnten Binnenmarkt, einem geringen Maß an Öffnung der Gütermärkte gegenüber Drittländern sowie einer geringeren Außenhandelsabhängigkeit kennzeichnet (Deutscher Bundestag 2002, S.233). Mit der Errichtung der Europäischen Währungsunion änderten sich ferner die Rahmenbedingungen für die Wirtschaftspolitik. Während es nun nur noch eine einheitliche Geldpolitik gibt, bleiben die Fiskal- und Lohnpolitik weitgehend in nationaler Verantwortlichkeit (Boss u.a. 2004, S.1). Auf die Bedeutung der Währungsunion für eine Weiterentwicklung des Binnenmarktes wird in Kapitel 4.3.2 noch einmal ausführlicher eingegangen.

Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass insbesondere die in den Römischen Verträgen vorgeschriebene Einstimmigkeit in Bezug auf fast alle Maßnahmen zur Einführung des Binnenmarktes im Jahre 1993 abgeschafft wurde. So wurde mehr Flexibilität dahingehend geschaffen, dass nicht länger einzelne Mitgliedstaaten aus eigennützigen Erwägungen heraus Bestimmungen zur Liberalisierung des Außenhandels blockieren können (Krugmann/Obstfeld 2004, S.783). Für die Steuerpolitik hingegen bleibt das nationale Vetorecht erhalten (Heiduk 2005, S.307).

2.4 Makroökonomische Größen

Unter Makropolitik können jene Politikfelder subsumiert werden, die direkt oder indirekt Einfluss auf gesamtwirtschaftliche Größen wie das reale Bruttoinlandsprodukt, das Preisniveau sowie den Beschäftigungsgrad nehmen (Deutscher Bundestag 2002, S. 232).

Im Folgenden soll nun auf die einzelnen makroökonomischen Größen eingegangen werden, welche für den Analyseteil dieser Arbeit relevant sind und durch die eine Darstellung gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge möglich wird.

Das Bruttoinlandsprodukt[6] stellt ein Maß für die wirtschaftliche Tätigkeit in einer Volkswirtschaft dar. Es ist definiert als der Wert aller neu geschaffenen Waren und Dienstleistungen, abzüglich des Wertes aller dabei als Vorleistungen verbrauchten Güter und Dienstleistungen (Blanchard/Illing 2004, S. 42). Wachstum stellt dabei die Zunahme des BIP dar, die auf einen vermehrten Einsatz von Kapital und Arbeit sowie technischem Fortschritt zurückgeführt wird (Schöpf 2000, S. 1045). Die Arbeitslosenquote ergibt sich aus dem Verhältnis der registrierten Arbeitslosen zur Zahl der abhängigen Erwerbspersonen; sie gilt allgemein als Maßzahl für die Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials (Gerlach/Lorenz 2000, S. 59). Die Beschäftigungsquote hingegen wird dadurch abgegrenzt, dass sie die Inanspruchnahme des Arbeitskräftepotenzials einer Volkwirtschaft darstellt (Dietrich 2000a, S. 108). Zwischen Veränderungen der Beschäftigung und der registrierten Arbeitslosenquote gibt es aufgrund ungünstiger Anreizstrukturen der Sozialsysteme und einer stillen Arbeitsmarktreserve keinen festen Zusammenhang (Neumann 2002, S. 2).

Eine anhaltende Abnahme des Geldwertes bzw. Zunahme des Preisniveaus auf Güter- und Faktormärkten wird als Inflation bezeichnet. Als Indikatoren werden i.d.R. ausgesuchte Preisindizes herangezogen (Sobotka 2000, S. 434). In der EU dient der sog. Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) als Index für die Preise und die Teuerungsrate (Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute[7] 2005, S. 22).

Die Leistungsbilanz versteht sich als Teilbilanz der Zahlungsbilanz, welche die laufenden Leistungstransaktionen einer Volkswirtschaft mit dem Rest der Welt verzeichnet (Kremski/Geigant 2000, S. 578f.). Es können unerwünschte außenwirtschaftliche Effekte auftreten, wenn die Inflationsrate im Inland die des Auslands übersteigt; durch Defizite in der Leistungsbilanz kommt es zu einem Abwertungsdruck auf den Wechselkurs und/oder zu einem Schwinden der Währungsreserven. Leistungsbilanzdefizite wirken zudem kontraktiv auf das BIP und die Beschäftigung, so dass dadurch auch das gesamtwirtschaftliche Ziel der Vollbeschäftigung gefährdet werden kann (Sobotka 2000, S. 435). Den Saldo zwischen Exporten und Importen bezeichnet man als Außenbeitrag; ein Überschuss der Exporte über die Importe erhöht das BIP, wohingegen ein Importüberschuss dieses vermindert (Altmann 2000, S. 209).

Der langfristige Realzins, welcher für die Investitionstätigkeit von Bedeutung ist, bestimmt sich insbesondere durch die gesamtwirtschaftliche Sparquote, welche die Zukunftspräferenz der Wirtschaftssubjekte abbildet (Priewe 2002, S. 275). Das reale Zinsniveau bewegt sich mittelfristig zudem in Abhängigkeit von der Belastung des Kapitalmarktes durch Staatsverschuldung. Die zunehmende Belastung des Kapitalmarktes, die mit einer steigenden Schuldenquote des Staates einhergeht, hebt den realen Kapitalzins (Neumann 2002, S. 4). Die Gesamtfaktorproduktivität wird vor allem durch das Technologieniveau des Sachkapitals und durch die Effizienz, mit der die Verbesserungen der Fähigkeiten der Arbeitskräfte für die Organisation der Produktion nutzbar gemacht werden, bestimmt (Kommission 2004e, S.5f.).

3. Ausgangslage: Der Cecchini-Bericht - Die Kosten der europäischen Marktfragmentierung

3.1 Entstehungskontext

Im Folgenden sollen die Motive sowie die Entstehungsgeschichte des Cecchini-Berichts dargestellt werden. Bei der Charakterisierung der prognostizierten Auswirkungen liegt der Fokus auf globalen Tendenzen. Die Darstellung quantitativer Effekte erfolgt im sich anschließenden Kapitel.

Nachdem die politische Entscheidung über das Binnenmarktprogramm auf der Grundlage des Weißbuchs gefallen und die Einheitliche Europäische Akte unterzeichnet worden war, wurde von der Europäischen Kommission ein großes Forschungsprogramm über die „Kosten der Nichtverwirklichung Europas“ gestartet, dessen Ziel eine Illustration der noch bestehenden Marktzersplitterung und eine quantitative Abschätzung der Wirkungen des Binnenmarktprogramms war. Unter der Koordination von Paolo Cecchini wurden über 20 Einzeluntersuchungen durchgeführt, die 1988 abgeschlossen waren und im Cecchini-Bericht zusammengefasst worden sind (Nienhaus 2003a, S. 578). Dieser kurze Bericht hatte die Intention, die Daten einem breiten europäischen Publikum zugänglich zu machen (Hölscher 1992, S. 27). Anfang der neunziger Jahre war die Europadebatte von Optimismus geprägt; ganz im Gegensatz zur ersten Hälfte der achtziger Jahre, als eine pessimistische Stimmung den Euroraum beherrschte. Im Zuge dieses aufkommenden Optimismus sollten nun die Symptome der bereits erwähnten Eurosklerose, nämlich niedrige Wachstumsraten, hohe Arbeitslosigkeit und Konkurrenzängste gegenüber den USA und Japan, überwunden werden (Rode 1992, S. 71). Der von Cecchini verfasste Bericht verfolgte somit auch das Ziel, diesen Stimmungswandel zu unterstützen und die Öffentlichkeit für den erhofften positiven Wandel affin zu machen.

Die voneinander unabhängigen Studien wurden von verschiedenen Autoren durchgeführt und branchenspezifisch strukturiert. Der Bericht gliedert sich in einen ersten Teil, der die Kosten der europäischen Marktfragmentierung auflistet und einen zweiten Teil, in dem die Chancen des Binnenmarktes aufgezeigt werden (Hölscher 1992, S. 27). Er beruht zum einen auf dem ökonomischen Modell und den Berechnungen von Emerson u.a. (Ziltener 2003, S. 222f.), zum anderen stützt er sich auf einen Bericht der Europäischen Kommission aus dem Jahre 1988. Die makroökonomische Bewertung des Binnenmarktes beruht auf Simulationen und Szenarien, die mit Hilfe verschiedener makroökonomischer Modelle („Hermes“ - ein Multisektor-Makro-Weltmodell der Kommission und das „Interlink-Modell“ der OECD) durchgeführt wurden. Die in den Ergebnissen dargestellten Auswirkungen sind in vollem Umfang abhängig von den im Vorfeld der Modelle quantifizierten externen Schocks. Bei den Simulationen per se geht es um die makroökonomischen Rückwirkungen, insbesondere aber um die Entlastung bei bestimmten gesamtwirtschaftlichen Rahmenwerten (z.B. einem Rückgang der Haushaltsdefizite oder einem Nachlassen der Inflationsgefahren). Trotz der angewandten Methodik wird jedoch unterstellt, dass die zur Analyse herangezogenen Erfahrungswerte der Vergangenheit sich auch zukünftig nicht ändern würden. Gleichzeitig werden strukturelle Erscheinungen dahingehend ausgeklammert, dass sie als ceteris-paribus interpretiert werden (Kommission 1988, S.178). Da der Binnenmarkt als Teil eines wirtschaftlichen Integrationsprozesses angesehen werden kann, werden die Auswirkungen auf statische und dynamische Effekte im Zuge einer ökonomischen Integrationsanalyse untersucht. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Effekte sich auf die Gesamtwohlfahrt des Integrationsraumes ergeben (Häring 2000b, S. 451).

Konkret geht die Untersuchung von Cecchini so vor, dass zunächst die Kosten der noch bestehenden Handelsbarrieren geschätzt werden. Dies sind diejenigen Kosten, welche den Unternehmen durch Zölle, Grenzkontrollen, unterschiedliche Standards und Normen, differierende Steuersysteme u.s.w. entstehen. Der Abbau dieser Hindernisse und diskriminierenden Praktiken hat zur Folge, dass die mit ihnen verbundenen Kosten zukünftig entfallen. Die wegfallenden Kosten werden schließlich in einen direkten Nutzenzuwachs umgerechnet (Schlieper 1992, S. 239). Ausgangspunkt der im Cecchini-Bericht geschätzten makroökonomischen Effekte war der Abbau der nicht-tarifären Grenzhindernisse, woraus sich unter zunehmendem Wettbewerbsdruck ein Rückgang sowohl der Produktionskosten als auch der Preise ergeben sollte. Diese Senkung der Preise würde auf die Entwicklung der volkswirtschaftlichen Grundindikatoren durchschlagen (Cecchini 1988, S.101). Dadurch würde es zu folgender „Kettenreaktion“ (Cecchini 1988, S. 131) kommen:

- Höhere Kaufkraft belebt die Nachfrage
- Gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit wirkt wachstumsfördernd und verbessert die Außenhandelsposition
- Preissenkungen bändigen nicht nur Inflationskräfte, sondern führen sogar zu Deflation
- Liberalisierung der Beschaffungsmärkte und wirtschaftlicher Aufschwung entlasten die öffentlichen Haushalte

Aufgrund dieser Kettenreaktion sollte im Idealfall folglich ein positiver Prozess in Gang gesetzt werden, den Monti (1997, S. 89) wie folgt beschreibt: „Die Binnenmarktmaßnahmen bescheren den Unternehmen niedrigere Anschaffungskosten und damit mehr Effizienz und Produktivität. Dies führt zu Absatzsteigerungen, was wiederum höhere Gewinne zur Folge hat. Die Gewinne werden in neue Kapitalanlagen und Arbeitsplätze investiert. Investitionen bedeuten mehr Aufträge für die Investitionsgüterindustrie, während eine bessere Beschäftigungslage den Verbrauch von Konsumgütern stimuliert, weil mehr Menschen mehr Geld ausgeben können. Höheres Wachstum und steigende Nachfrage lassen wiederum den Absatz in die Höhe schießen…“. Abb. 1 skizziert diese Zusammenhänge noch einmal:

Abb. 1: Binnenmarkt - Der Idealfall

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Monti, M. (1997): Der Binnenmarkt und das Europa von morgen,

Luxemburg, S. 90.

Die Studie kommt zu dem globalen Ergebnis, dass der einheitliche Binnenmarkt enorme Möglichkeiten für die künftige wirtschaftliche Entwicklung in Europa eröffnen würde. Mehr Wachstum, neue Arbeitsplätze, Ausnutzung von Skalenerträgen, höhere Produktivität und Rentabilität, mehr Wettbewerb, stabile Preise sowie mehr Auswahl für die Verbraucher - dies sind Auswirkungen, deren Zukunft Cecchini äußerst positiv prognostiziert. Weiterhin seien eine erhöhte Kaufkraft und veränderte Wettbewerbspositionen der Mitgliedstaaten im Verhältnis zueinander sowie auch der Gemeinschaft auf dem Weltmarkt entscheidende Voraussetzungen für neue europäische Wachstumsperspektiven (Nienhaus 2002a, S. 579).

Vollständig betrachtet würde die reine Vollendung des Binnenmarktes auch ohne Änderung der makroökonomischen Politik das wirtschaftliche Geschehen ankurbeln, die Arbeitsmarktlage verbessern und in gleichem Zuge für eine mehrfache Entlastung der makroökonomischen Rahmenbedingungen der Europäischen Gemeinschaft, primär bei den Haushaltsdefiziten, aber auch bezüglich Problemen der Außenwirtschaftsbilanz oder inflationärer Tendenzen sorgen (Cecchini 1988, S. 131f.).

Neben den positiv prognostizierten Auswirkungen wird aber kurzfristig von Anpassungskosten dahingehend ausgegangen, dass es im Anfangsstadium des Gesamtprozesses u.U. zu einem Rückgang der Beschäftigung kommen würde (Tietz 1991, S. 578). Dabei fällt der Liberalisierung der Finanzdienstleistungen eine besondere Rolle zu, da es zu einer Substitution von Arbeit durch Kapital kommt (Kommission 1988, S. 184).

In seinen Ausführungen fokussiert Cecchini sowohl makro- als auch mikroökonomische Auswirkungen. Im Zuge dieser Arbeit steht allerdings die gesamtwirtschaftliche Betrachtung im Vordergrund, wobei, wie an früherer Stelle bereits festgestellt, diese oftmals nicht isoliert erfolgen kann, sondern mikroökonomischer Variablen bedarf.

Die in den vorangehenden Abschnitten genannten Faktoren und Auswirkungen sollen nun im Folgenden der Ausgangspunkt der Analyse sein und im Laufe der nächsten Kapitel näher untersucht und beleuchtet werden.

3.2 Wirtschaftliche Marktintegration als Ausgangspunkt

Grundlage der Vorhersagen Cecchini´s war die Wandlung einer bestehenden Marktzersplitterung unter den europäischen Mitgliedstaaten zu einer vollständigen Marktintegration (Cecchini 1988, S. 16). Unter wirtschaftlicher Integration kann dabei ein Prozess verstanden werden, durch den ökonomische Barrieren zwischen den Produkt- und Faktormärkten unabhängiger Volkswirtschaften innerhalb eines Integrationsraumes schrittweise abgebaut werden, um die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt der beteiligten Länder zu steigern (Kösters/Beckman/Hebler 2001, S. 35). Integration erhöht die Interdependenzen der nationalen Volkswirtschaften und führt dazu, dass die Substitutionselastizität zwischen heimischen und fremden Produkten zunimmt, so dass mit einer Intensivierung des Handels zu rechnen ist (Balassa 1962, S. 268). Verstärkte Integration kann unter gewissen Umständen die makroökonomische Leistung einer Wirtschaft reduzieren. Der Grund dafür ist in dem Umstand zu sehen, dass verstärkte Integration auch verstärkte makroökonomische Verflechtung bedeutet. Dies ist an sich nichts Negatives, ein Blick auf die USA zeigt, dass dort eine Koordination zwischen verschiedenen Bundesstaaten keine besonderen Probleme für die amerikanische Geld- und Steuerpolitik aufwirft. Hinsichtlich der europäischen Länder gestaltet sich die Sachlage jedoch anders, da die Politiken der einzelnen Länder nicht vollständig koordiniert sind, wie Padoa-Schioppa (1988, S. 130) bereits Ende der achtziger Jahre festgestellt hatte.

[...]


[1] Die Abkürzungen entsprechen den Länderkürzeln des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat)

[2] Nachfolgend wird an dieser Stelle „Europäische Kommission“ durch „Kommission“ abgekürzt.

[3] Bis zum Jahre 1992 galt der Begriff der Europäischen Gemeinschaft; dieser wurde durch den Vertrag von Maastricht durch den Oberbegriff der Europäischen Union ersetzt und gleichzeitig zu einer der Säulen des Vertrages (Daxhammer 2003, S. 47).

[4] Der Begriff beschreibt die Tatsache, dass der europäische Integrationsprozess zur damaligen Zeit als Folge der zwei Wirtschaftskrisen stagnierte und starre Bürokratie zu einer unflexiblen Union geführt hatte (Schlieper 1992, S. 237).

[5] Das Schengener Abkommen schaffte 1993 die Kontrollen an den Binnengrenzen ab und schuf eine einzige Außengrenze. Gleichzeitig wurden eine verschärfte Personenkontrolle an den Außengrenzen, eine Harmonisierung der Asylpolitik und eine intensivere Zusammenarbeit der Polizei vorgesehen. Unterzeichnet haben die damaligen 15 Mitgliedstaaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands; hinzu kommen aber Norwegen und Irland. Der Vertrag von Amsterdam fasste diese Entwicklungen in einen rechtlichen und institutionellen Rahmen der EU (Nienhaus 2003a, S. 561).

[6] Beim Vergleich des Pro-Kopf-BIP zwischen verschiedenen Jahren ist insofern Vorsicht geboten, als sich Konsum- und Investitionsverhalten von Jahr zu Jahr ändern. Im Folgenden werden daher diejenigen Daten zur Analyse herangezogen, die Preisveränderungen berücksichtigen und die prozentuale Entwicklung des BIP zum Vorjahr angeben (Kommission, 2004d, S. 25).

[7] Nachfolgend wird an dieser Stelle „Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute“ durch „Arbeitsgemeinschaft“ ersetzt.

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
12 Jahre Europäischer Binnenmarkt
Untertitel
Eine makroökonomische Bilanz
Hochschule
Universität des Saarlandes
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
88
Katalognummer
V133627
ISBN (eBook)
9783640401116
ISBN (Buch)
9783640400744
Dateigröße
775 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jahre, Europäischer, Binnenmarkt, Eine, Bilanz
Arbeit zitieren
Christine Müller (Autor:in), 2005, 12 Jahre Europäischer Binnenmarkt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133627

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