Gerda von Rinnlingen - eine "femme fatale"?

Ein Frauenbild im Frühwerk Thomas Manns


Hausarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Fin de siecle – die Decadenceliteratur der Jahrhundertwende

3. Gerda von Rinnlingen – eine „femme fatale“?
3.1 Die „femme fatale“ – Merkmale und ausgewählte Beispiele aus der Literatur
3.2 Beschreibung der Gerda von Rinnlingen
3.3 Was macht Gerda zur „femme fatale“?

4. Exkurs: Die „femme fragile“ - Gabriele Klöterjahn

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Frauenbilder bei Thomas Mann sind zahlreich. In seinen Werken findet man das Bild der blonden, blauäugigen Schönen (Inge Holm in „Tonio Kröger“) ebenso wie das der betrügerischen, boshaften Ehefrau (Amra in „Luischen“), es gibt den Typus des weiblichen Kameraden (Lisaweta Iwanowna in „Tonio Kröger“) und noch viele weitere.

Ein Weiblichkeitsbild fiel mir bei der Lektüre der Mannschen Erzählungen und der anschließenden Diskussion im Seminar ganz besonders auf: die „femme fatale“, verkörpert durch Gerda von Rinnlingen in „Der kleine Herr Friedemann“.

In dieser Hausarbeit soll dargelegt werden, was den Typus der „femme fatale“ ausmacht und welche Merkmale davon auf Gerda von Rinnlingen zutreffen – ist es richtig, sie gänzlich als „femme fatale“ zu bezeichnen?

Meiner Arbeit voranstellen möchte ich zunächst ein kurzes Kapitel über die Decadenceliteratur, da die frühen Werke Manns dieser Literaturepoche zugeordnet werden können und das Frauenbild der „femme fatale“ in dieser Zeit eine bedeutende Rolle gespielt hat.

Im anschließenden Hauptteil erfolgt die Klärung des Begriffes „femme fatale“ unter Zuhilfenahme von zwei bedeutenden literarischen Beispielen - Lulu von Frank Wedekind und Salome von Oscar Wilde. Nach einer ausführliche Betrachtung der Gerda von Rinnlingen soll die Frage geklärt werden, was sie eventuell zur „femme fatale“ machen könnte.

Um Gegensätze darzulegen, erfolgt im Anschluss ein kurzer Exkurs zur „femme fragile“ Gabriele Klöterjahn als komplementärer Gegentypus zur „femme fatale“.

Abschließend möchte ich ein Fazit aus den vorangegangenen Betrachtungen ziehen.

Ein Blick auf die Literaturlage zum gewählten Thema zeigt, dass über das Leben und Wirken Thomas Manns in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Publikationen veröffentlicht wurden. Jedoch gibt es nur eine vergleichsweise geringe Anzahl von Untersuchungen zum Thema „Die femme fatale bei Thomas Mann“. Wegweisend ist hier das Werk von Carola Hilmes, die sich ausführlich mit der „femme fatale“ in der nachromantischen Literatur beschäftigt hat.

2. Fin de siècle – die Decadenceliteratur der Jahrhundertwende

Zur Zeit der Jahrhundertwende um 1900 lässt sich in der Literatur ein Stilpluralismus feststellen[1]. Man unterscheidet beispielsweise den Naturalismus, den Impressionismus, den Symbolismus, die Neuromantik oder die Dekadenzdichtung[2].

Der frühe Thomas Mann wird der „Decadence – und Ästhetiszismus-Literatur“[3] zugeordnet. Definiert wird der Begriff der Dekadenzdichtung in der Literaturwissenschaft folgendermaßen:

„Dekadenzdichtung (frz. decadence = Verfall), Sammelbez. für eine vielschichtige Tendenz innerhalb der europäischen Literatur gegen Ende des 19. Jh.s.; entstanden aus dem Bewusstsein einer Überfeinerung als Zeichen einer späten Stufe kulturellen Verfalls; gilt als letzte Übersteigerung der subjektiv-individualist. Dichtung des 19. Jh.s.; sie verabsolutiert die Welt des Sinnlich-Schönen, das moral. freie Kunsthafte gegenüber einer Welt normierter bürgerl. Moral- und Wertvorstellungen, das Seelische, das traumhaft Unbestimmte, die Sensibilität und das morbid Rauschhafte“[4].

Die Dichter der Decadence äußerten, „in der Endphase einer überreifen Kulturepoche zu leben“[5]. Diese Endphase fiel zeitlich mit der Jahrhundertwende zusammen. Der Begriff „fin de siècle“ ist eine negativ konnotierte Bezeichnung für die Jahrhundertwende, laut Marie Herzfeld drückt er ein „ ,Gefühl des Fertigseins, des Zu-Ende-Gehens`“[6] aus.

„Fin de siècle (frz. = Ende des Jh.s), literatur- und kunsthistor. Epochenbegriff nach einem Lustspieltitel von F. de Jouvenot und H. Micard ((1888), in dem sich das Selbstgefühl der Decadence des ausgehenden 19. Jh.s ausgedrückt fand [...]“[7].

In der Literatur des „fin de siècle“ tritt ein Frauentypus sehr häufig auf: der der männerverderbenden Frau[8]. Laut Barbara Becker-Cantarino ist die „femme fatale“ sogar der „dominierende[] Frauentyp des Fin de Siècle“, aber auch der Antitypus der „femme fragile“ spielt in der Decadenceliteratur eine wichtige Rolle[9]. Ariane Thomalla führt aus, dass die Frauentypen „femme fatale“ und „femme fragile“ eng mit „der sexuellen Nervosität“ zusammenhängen, die die „Kehrseite der enggeschnürten Sexualmoral des 19. Jahrhunderts ausmacht“[10]. Beide Frauentypen stellen den Versuch dar, „mit Hilfe der Literatur eine sexuelle Unruhe zu bewältigen“[11], doch dies erfolgt auf eine unterschiedliche Weise.

Laut Carola Hilmes hat das Bild der männerverderbenden Frau „in Zeiten entsprechender Verunsicherung und Orientierungslosigkeit [..] Konjunktur“ und dies „trifft zweifellos für das allgemeine Krisenbewußtsein um 1900 zu“[12]. Für die Menschen dieser Zeit hatte die rasante Entwicklung in allen Lebensbereichen Auswirkungen. Die politische Landschaft in Deutschland war geprägt durch ein Wettrüsten der Großmächte, im naturwissenschaftlichen Bereich brachten die Entdeckungen Rutherfords neue Erkenntnisse, Freuds Forschung prägte die Psychologie nachhaltig und viele weitere Personen, Ereignisse und Entdeckungen könnten an dieser Stelle genannt werden. Ende des 19. Jahrhunderts waren viele Forscher an dem Phänomen der Sexualität interessiert. Freud war jedoch der Einflussreichste unter ihnen. Seine Ideen fanden nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Öffentlichkeit großen Anklang. Als Resultat beschäftigte sich ein breit gefächertes Bevölkerungsspektrum mit Sexualität und Psyche[13]. Auch in der Literatur spiegeln sich die einzelnen subjektiven Theorien zu diesem Thema wieder. Auch Thomas Mann beschäftigte sich intensiv mit Freuds Forschungsergebnissen, was seine Publikationen beeinflusste[14].

Des Weiteren führt Carola Hilmes aus, dass im Zeitalter des „fin de siècle“ die „Hysterisierung des Weiblichen und Dämonisierung der Sinnlichkeit“ charakteristisch sei – und dies findet Ausdruck in der „femme fatale“[15].

3. Gerda von Rinnlingen – eine „femme fatale“?

Im folgenden Hauptteil der Arbeit soll auf die Figur der Gerda von Rinnlingen näher eingegangen werden. Sie wird in der Literatur oft als „femme fatale“ bezeichnet – warum dies möglich ist, soll in dieser Hausarbeit untersucht werden.

3.1 Die „femme fatale“ – Merkmale und ausgewählte Beispiele aus der Literatur

„Femme fatale“ (französisch) bedeutet in der Übersetzung „verhängnisvolle Frau“. Sie wird auch „dämonische Verführerin“[16] oder „La Belle Dame sans Merci“[17] genannt und spielte bereits in der Literatur vergangener Epochen eine wichtige Rolle. Eine gute Aufarbeitung der Geschichte dieses Frauentypus bietet Elisabeth Frenzel in „Motive der Weltliteratur“ (Abschnitt „Die dämonische Verführerin“)[18].

Ein berühmtes Beispiel in der modernen Literatur ist die „Lulu“ von Frank Wedekind (1864 -1918) in den Werken „Der Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“, sie ist „Abglanz der griechischen Urverführerin und zugleich Prototyp des modernen Vamps“[19]. Lulu stellt eine „Projektion der ,Urgestalt des Weibes' “ dar, laut Leo Berg ist sie ein „ ,dämonisches Überweib' , deren faszinierende Macht nicht etwa in ihrer Intelligenz [liegt] sondern in ihren ,sphinxartigen Reizen' “[20]. Die Männer, die „in Lulu lediglich die Spiegelbilder ihrer Weiblichkeitsvorstellungen wahrnehmen“[21], verfallen ihr dennoch, sie geraten in die „zerstörerische Kraft weiblicher Sexualität“[22]. Doch endet diese Verehrung Lulus für ihre Liebhaber meist tödlich, sie richtet die Männer, die ihr verfallen, zugrunde. Doch auch Lulu selbst stirbt einen gewaltsamen Tod, sie wird von Jack the Ripper erstochen (als sie schließlich als Prostituierte auf der Straße endet). Ihr Lebensstil kostet also nicht nur ihre Verehrer, sondern auch sie selbst das Leben.

Als weiteres Beispiel soll die „Salome“ bei Oscar Wilde (1854 -1900) dienen. Salome wirbt um den Propheten Jochanaan und möchte einen Kuss von ihm. Doch er weist dies zurück, denn er sieht „in der Frau diejenige, durch die das Böse in die Welt gekommen ist“[23]. Von dieser Zurückweisung gekränkt, lässt sie sich auf ein Versprechen des König Herodes ein: Die schöne Salome soll für ihn tanzen und im Gegenzug wird er ihr jeden Wunsch erfüllen. Salome „weiß sehr genau, was sie will, und vermag es auch geschickt durchzusetzen“[24]. Sie tanzt für Herodes und fordert als Gegenleistung Jochanaans Kopf. Herodes ist entsetzt, da er den Propheten mag und an ihn glaubt, aber er steht zu seinem Versprechen und Jochanaan stirbt. Als Salome aber den abgeschlagenen Kopf des Propheten nimmt und küsst, lässt Herodes sie ebenfalls töten. Jochanaan musste also sterben, weil er Salome abgelehnt hat, Herodes erfüllt ihren Wunsch nach dem Tod des Propheten, obwohl er sich innerlich dagegen sträubt und für die schöne Verführerin endet ihr Spiel tödlich.

[...]


[1] Kanz 2001, S. 355.

[2] Schlosser 2006, S. 221.

[3] Kanz 2001, S. 355.

[4] Döhl 1990, S. 94.

[5] Schlosser 2006, S. 221.

[6] Kanz 2001, S. 355.

[7] Delbrück 1990, S. 157.

[8] Frenzel 1988, S. 786.

[9] Becker-Cantarino 1983, S. 61.

[10] Thomalla 1972, S. 60.

[11] Thomalla 1972, S. 60.

[12] Hilmes 1990, S. XIV (Vorwort).

[13] Storr 2004, S. 150.

[14] Koopmann 2005, S. 285.

[15] Hilmes 1990, S. 2.

[16] Frenzel 1988, S. 774.

[17] Hilmes 1990, S. 14.

[18] Eine ausführliche Beschreibung der Entwicklungsgeschichte der „femme fatale“ ist aufgrund der vorgegebenen Seitenanzahl leider nicht möglich.

[19] Frenzel 1988, S. 787.

[20] Becker-Cantarino 1983, S. 68.

[21] Becker-Cantarino 1983, S. 68.

[22] Becker-Cantarino 1983, S. 69.

[23] Hilmes 1990, S. 116.

[24] Hilmes 1990, S. 118.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Gerda von Rinnlingen - eine "femme fatale"?
Untertitel
Ein Frauenbild im Frühwerk Thomas Manns
Hochschule
Universität Leipzig  (Germanistik)
Veranstaltung
Thomas Mann: Erzählungen
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V132647
ISBN (eBook)
9783640388875
ISBN (Buch)
9783640388967
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gerda, Rinnlingen, Frauenbild, Frühwerk, Thomas, Manns
Arbeit zitieren
Anna-Maria Lang (Autor:in), 2007, Gerda von Rinnlingen - eine "femme fatale"?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132647

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