Zweite Gutehoffnungshütte-Entscheidung

Im Rahmen des Seminars "Große" Entscheidungen des Reichsgerichts


Seminararbeit, 2006

23 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


Gliederung

I. Kurzzusammenfassung des "Zweite Gutehoffnungshütte-Urteils"

II. Grundlegende Fragestellungen zum Urteil

III. Wichtige gesetzliche Grundlagen
1. Wortlaut des § 906 BGB
2. Wortlaut des § 148 AGB (Preußisches Allgemeines Berggesetz)
3. Wortlaut des § 26 GewO
IV. Geschichtliche Hintergründe zur Formulierung des § 906 BGB
V. Entwicklung der Rechtsprechung anhand ausgewählter Urteile
1. 1910: Eisenhüttenwerk-Thale-Urteil (RG Gruch 55, 105)
a) Streitgegenstand
b) Stellungnahme des Reichsgerichts
aa) Überblick über das Urteil
bb) Besonderheiten des Urteils im Einzelnen
2. 1932: "Erstes Gutehoffnungshütte-Urteil" (RGZ 139, 29)
a) Streitgegenstand
b) Stellungnahme des Reichsgerichts
aa) Überblick über das Urteil
3. 1937: "Zweites Gutehoffnungshütte-Urteil" (RGZ 154, 161)
a) Streitgegenstand
b) Stellungnahme des Reichsgerichts
aa) Überblick über das Urteil
bb) Besonderheiten des Urteils im Einzelnen
4. Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis und § 241 BGB

VI. Die Rahmenbedingungen der Urteile von 1932 und 1937
1. Besetzung des V. Zivilsenats
2. Die Faktische Situation der Landwirtschaft zur Zeit um 1932
3. Faktische Situation der Landwirtschaft zur Zeit um 1937
4. Rolle der Landwirtschaft in der Politik der Nationalsozialisten
5. Begriff der "Volkgemeinschaft"

VII. Schlussfolgerungen
1. Vorbemerkung
2. Das Urteil betrachtet im Zeitfenster der 1930er Jahre bis 1940er Jahre
3. Das Urteil betrachtet im Zeitfenster Ende 1900 bis in die 1940er Jahre
4. Vorläufiges Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Kurzzusammenfassung des "Zweite Gutehoffnungshütte-Urteils"

In dem Urteil vom 19.03.1937[1] befasste sich der V. Zivilsenat des Reichsgerichts mit der Klage eines Landwirts aus Oberhausen gegen die Betreiberin der Gutehoffnungshütte. Der Landwirt verlangte für immissionsbedingte Produktionsausfälle Schadensersatz. Entgegen der Rechtsprechungslinie des Reichsgerichts bei ähnlichen Fällen in den Jahren zuvor bejahte das Reichsgericht erstmals eine Ausgleichspflicht der Emittentin infolge der durch sie verursachten landwirtschaftsbetrieblichen Beeinträchtigungen.

II. Grundlegende Fragestellungen zum Urteil

Das dieser Arbeit thematisch zugrunde liegende Urteil wirft zunächst zwei wesentliche Fragestellungen auf.

Zum einen ist dies - über eine größere zeitliche Distanz betrachtet - die Frage, welche Bedeutung die industrielle Entwicklung, die in Deutschland durch verschiedene Ereignisse (wie der Zollverein 1833/34 und der geeinigte Deutsche Staat 1871) v. a. seit dem 19. Jhd. stark vorangetrieben wurde, für das Urteil hatte. Zum anderen tritt zu diesem großen Zeitabschnitt von mehr als einem Jahrhundert bis zum Urteil 1937 in Konkurrenz die Frage nach der Bedeutung der konkreten gesellschaftlich-politischen Umstände im Dritten Reich und der Zeit unmittelbar davor.

Mit diesen Fragen einhergehen muss aber auch die Betrachtung der juristischen Aspekte dieses Urteils. Hierbei ist auch ein Blick auf frühere Urteile notwendig, um die Tragweite und Bedeutung des Urteils besser nachvollziehen zu können. Dabei wird sich zeigen, dass insbesondere der § 906 BGB in seiner unveränderten Fassung der Einführung des BGBs eine besondere Stellung einnimmt.

III. Wichtige gesetzliche Grundlagen

1. Wortlaut des § 906 BGB

"Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt oder durch Benutzung des anderen Grundstück herbeigeführt wird, die nach den örtlichen Verhältnissen bei Grundstücken dieser Lage gewöhnlich ist. Die Zuführung durch eine besondere Leitung ist unzulässig."

2. Wortlaut des § 148 AGB (Preußisches Allgemeines Berggesetz)

"(1) Der Bergwerksbesitzer ist verpflichtet, für allen Schaden, welcher dem Grundeigentume oder dessen Zubehörungen durch den unterirdisch oder mittels Tagebaues geführten Betrieb des Bergwerks zugeführt wird, vollständig Entschädigung zu leisten, ohne Unterschied, ob der Betrieb unter dem beschädigten Grundstücke stattgefunden hat oder nicht, ob die Beschädigung von dem Bergwerksbesitzer verschuldet ist, und ob sie vorausgesehen werden konnte oder nicht.
(2) Den Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenschuldgläubigern wird eine besondere Entschädigung nicht gewährt."

3. Wortlaut des § 26 GewO

"Soweit die bestehenden Rechte zur Abwehr benachteiligender Einwirkungen, welche von einem Grundstück aus auf ein benachbartes Grundstück geübt werden, dem Eigentümer oder Besitzer des letzteren eine Privatklage gewähren, kann diese Klage einer mit obrigkeitlicher Genehmigung errichteten gewerblichen Anlage gegenüber niemals auf Einstellung des Gewerbebetriebs, sondern nur auf Herstellung von Einrichtungen, welche die benachteiligende Einwirkung ausschließen, oder, wo solche Einrichtungen untunlich oder mit einem gehörigen Betriebe unvereinbar sind, auf Schadloshaltung gerichtet werden."

IV. Geschichtliche Hintergründe zur Formulierung des § 906 BGB

Vor der industriellen Revolution in Deutschland hatte Immissionschutz im Nachbarschaftsverhältnis aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte kaum Relevanz. Größere Relevanz hatten derartige Regelungen lediglich in den Städten, die aber üblicherweise durch Verordnungen erfolgten.[2] Durch die zunehmende Industrialisierung und der damit einhergehenden Verstädterung erfolgte auch eine Zurückdrängung der Agrarwirtschaft, sowohl faktisch hinsichtlich der Produktionsbedingungen als auch politisch, wo die Agrarlobby an Einfluss verlor.[3] Bei den Entwicklungsarbeiten zum BGB wurde zunächst von einer absoluten Beeinträchtigungsfreiheit des Eigentums ausgegangen. Immisionen von Gewerbebetrieben waren demnach nicht zu dulden.[4] Diese Auffassung war jedoch aus faktischen Gründen - die Immissionsbelastungen waren bereits da - als auch aus wirtschaftspolitischen Gründen nicht haltbar. Die industrielle Entwicklung sollte nicht gebremst werden.[5] Die Beschränkung der Individualinteressen zugunsten der Allgemeininteressen äußerte sich letztlich auch in der ersten gültigen Fassung des § 906 BGB.

V. Entwicklung der Rechtsprechung anhand ausgewählter Urteile

1. 1910: Eisenhüttenwerk-Thale-Urteil (RG Gruch 55, 105)

a) Streitgegenstand

In dieser Entscheidung befasste sich das Reichsgericht mit der Klage eines Gastwirts aus dem thüringischen Thale gegen das unweit von seinem Gasthof liegende Eisenhüttenwerk. Das Eisenhüttenwerk war das einzige Industriewerk am Ort und beschäftigte 5000 Mitarbeiter. Thale selbst hatte 15000 Einwohner. Der Gastwirt klagte auf Unterlassung der ihn wesentlich beeinträchtigenden Immissionen von einem Teil des Industriewerks, desweiteren auf Schutzvorkehrungen der von der gesamten Anlage ihn seiner Meinung nach beeinträchtigenden Immissionen. Das Reichsgericht hob das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg auf, welches die Berufung des Klägers gegen die Abweisung der Klage am Landgericht zurückgewiesen hatte.

b) Stellungnahme des Reichsgerichts

aa) Überblick über das Urteil

Das Reichsgericht leitet die Begründung mit den vom Oberlandesgericht zusammengetragenen Daten zur Ortschaft Thale ein. Im Anschluss bespricht das Reichsgericht die Auslegung des § 906 I Alt. 2 BGB durch das Oberlandesgericht. Am Ende der Begründung beanstandet das Gericht noch - ohne weitere Relevanz für die Auswirkungen der Revision - eine Stellungnahme des Oberlandesgericht hinsichtlich eines Einwands der Revision des Klägers.

bb) Besonderheiten des Urteils im Einzelnen

Zunächst bestätigt das Reichsgericht die Ausführungen des Oberlandesgerichts, welches in seiner Begründung trotz der Alleinstellung des Eisenhüttenwerks am Ort, diesem zugesteht, dem betrieblich belegten Teil im Ort den "Charakter eines Industrieviertels" zukommen zu lassen, ohne dass hierfür weitere Industriebetriebe im gleichen Ortsbezirk als Vergleichsobjekte notwendig wären.[6] Widerspruch erfährt die Begründung des Oberlandesgerichts jedoch hinsichtlich seiner Auslegung des § 906 I Alt. 2 BGB. Das Oberlandesgericht argumentiert, dass sich die Ortsüblichkeit der durch das des Eisenhüttenwerk erzeugten Immissionen mit der vom Eisenhüttenwerk wirtschaftlich abhängigen Mehrheit der Bevölkerung begründen lasse.[7] Das Reichsgericht lässt diesen vom Oberlandesgericht gewählten Ausweg des Rückgriffs auf die Bevölkerung als Maßstab der Ortsüblichkeit mangels industrieller Vergleichsobjekte nicht ausreichen. Das Reichsgericht wählt zur Rechtfertigung stattdessen einen eigenen Ausweg, der aber wie das Oberlandesgericht ebenfalls darauf ausgerichtet ist, das Eisenhüttenwerk schützen. Mangels geeigneter industrieller Vergleichsobjekte am Ort soll es legitim sein, die Worte "dieser Lage" des ersten Absatzes in § 906 BGB nicht nur auf den betroffenen Ortsbezirk zu beziehen. Stattdessen soll ein vergleichbar agierender Gewerbebetrieb im näheren oder weiteren Umkreis gesucht werden, gleich ob dieser an seinem Ort ebenfalls nur der einzige Betrieb dieser Art ist.[8] Im Anschluss an diese Korrektur der Auslegung des Oberlandesgerichts gesteht das Reichsgericht dem Oberlandesgericht dann aber zu, dass auch die Haltung der Mehrheit der Bevölkerung ein Aspekt der Beurteilung der Ortsüblichkeit des Industriebetriebs sein dürfe. Im konkreten Fall billigt das Reichsgericht die vom Oberlandesgericht angeführten Aussagen von vernommenen Einwohnern Thales, die angeblich das Eisenhüttenwerk in seiner aktuellen Schädlichkeit widerspruchslos akzeptierten. Darunter seien auch Einwohner gewesen, die in ähnlicher Lage wie der klagende Gastwirt wohnten.[9]

[...]


[1] RGZ 154, 161.

[2] Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch, S. 26, m. w. N.

[3] Gies, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, S. 145, m w. N.

[4] Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch, S. 30 f., m. w. N.

[5] Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch, S. 31, m. w. N..

[6] RG Gruch 55, 105, 107.

[7] RG Gruch 55, 105, 108.

[8] RG Gruch 55, 105, 109; Siehe auch bezogen auf frühere Urteile: Dernburg, Das Sachenrecht des Deutschen Reichs und Preußens, S. 274, Fn. 18.

[9] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Zweite Gutehoffnungshütte-Entscheidung
Untertitel
Im Rahmen des Seminars "Große" Entscheidungen des Reichsgerichts
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2006
Seiten
23
Katalognummer
V130355
ISBN (eBook)
9783640387755
ISBN (Buch)
9783640388134
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zweite, Gutehoffnungshütte-Entscheidung, Rahmen, Seminars, Große, Entscheidungen, Reichsgerichts, Punkte
Arbeit zitieren
Helge Kraak (Autor:in), 2006, Zweite Gutehoffnungshütte-Entscheidung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130355

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