Streifzüge durch das Leben von Bertha Pappenheim


Studienarbeit, 1998

16 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Bertha Pappenheims Kinder- und Jugendzeit

2. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt
a) Im Kampf gegen den Mädchenhandel
b) Das Heim in Neu-Isenburg

3. Ethische und religiöse Grundlagen ihrer Arbeit

4. Bertha Pappenheims letzte Lebensphase

Literaturverzeichnis

Einleitung

Rahel Straus, eine Mitarbeiterin von Bertha Pappenheim, schrieb einst in ihrer Biographie (1961).

"Sie [Bertha Pappenheim] war eine Fanatikerin der Wahrheit, und sie hatte den Mut, der ganzen Welt gegenüber eine Wahrheit zu bekennen, wenn sie sich auch noch so viele Gegner oder Feinde damit schuf. Sie hatte etwas von der Kraft und dem ethischen Willen der Propheten in sich: sie erfüllte eine Aufgabe, die Gott ihr gegeben, wenn sie auch dafür gesteinigt wurde."[1]

Bertha Pappenheim, eine mutige und wahrheitsliebende Frau, eine Frau, die in ihrem Leben Bedeutendes geleistet hat. Als engagierte Sozialarbeiterin und jüdische Frauenrechtlerin gründete sie 1904 den Jüdischen Frauenbund in Deutschland. Sie widmete ihr Leben und ihr Können dem Kampf gegen die soziale Ungerechtigkeit. Insbesondere setzte sie sich gegen den weltweiten Mädchenhandel und für die soziale und rechtliche Gleichstellung der jüdischen Frau ein. Bertha Pappenheim blieb bis an ihr Lebensende unverheiratet und kinderlos, und doch ist sie vielen Mädchen und jungen Frauen eine Mutter geworden. Bertha Pappenheim war eine tief religiöse Frau. Ihr war es wichtig, Jüdinnen zu den Wurzeln ihrer jüdischen Religion, Tradition und Lebensweise zurückzuführen. Aber Bertha Pappenheim war auch die junge, an Hysterie erkrankte Frau, die als "Anna O." in die psychoanalytische Literatur eingegangen ist.[2]

Schon an dieser Stelle wird deutlich, Bertha Pappenheim war eine Persönlichkeit mit vielen überraschenden Facetten. Es ist unmöglich, sie mit nur wenigen Worten zu charakterisieren. Lassen Sie uns deshalb heute einige Streifzüge durch ihr Leben machen, um diese bedeutende und doch recht unbekannt gebliebene Frau ein wenig näher kennen zu lernen.

Dabei möchte ich vor allem auf folgende Fragen eingehen:

- Was motivierte Bertha Pappenheim, zahlreiche soziale Einrichtungen ins Leben zu rufen?
- Woher nahm sie die Kraft für ihren sozialen Einsatz?
- Was motivierte sie, selbstbewusst und mutig ihre Ziele zu verfolgen?

1. Bertha Pappenheims Kinder- und Jugendzeit

Bertha Pappenheim wurde am 27. Februar 1859 in Wien geboren. Sie wuchs in einem bürgerlichen, jüdisch-orthodoxen Hause auf.[3] Ihr Vater, Siegmund Pappenheim, stammte aus Pressburg (Ungarn), ihre Mutter, Recha Goldschmidt, aus einer angesehenen Familie in Frankfurt am Main. Bertha Pappenheim blieb - wie andere jüdische und christliche Mädchen des Bürgertums auch - nach einer acht- bis neunjährigen Schulbildung zu Hause und verbrachte ihre Zeit mit Handarbeiten, Musik und Geselligkeiten.[4] Ferner können wir vermuten, dass sie als Tochter eines jüdisch-orthodoxen Hauses die Führung eines koscheren Haushaltes lernte, d. h. dass sie in die religiösen Speisegesetze, deren Bedeutung und Ausführung eingeführt worden ist.[5] Auch können wir davon ausgehen, dass sie mit dem jüdischen Festkalender, dessen Feiertage, Bedeutung und Besonderheiten vertraut war.

Im Alter von 21 Jahren erkrankte Bertha Pappenheim an physischen und psychischen Störungen. Ihre Beschwerden waren während der täglichen, intensiven Pflege ihres Vaters aufgetreten. Nach dessen Tod verschlimmerte sich Bertha Pappenheims gesundheitlicher Zustand. Sie litt an Sprachstörungen, Lähmungserscheinungen und Halluzinationen. Die Familie zog den Wiener Arzt Josef Breuer, einen Freund von Sigmund Freud, zu Rat. Da er keine physischen Ursachen bei Bertha Pappenheim feststellen konnte, vermutete er Hysterie. Er wendete Hypnose an, um seine Patientin zu den auslösenden Momenten ihres Leidens zurückzuführen. Zu Breuers Erstaunen war Bertha Pappenheim auch im wachen, bewussten Zustand in der Lage, von jenen wichtigen Momenten in ihrem Leben zu erzählen. Die Gespräche zwischen Arzt und Patientin zeigten eine heilende Wirkung; Bertha Pappenheims Krankheitssymptome verschwanden nach und nach. Doch im Juni 1882 brach Breuer die Behandlung plötzlich ab. Was war geschehen? Bertha Pappenheim fantasierte plötzlich, ein Kind von Breuer zu erwarten. Völlig entsetzt nahm er Stock und Hut und verschwand für immer aus dem Hause Pappenheim. Im selben Jahr erzählte er seinem Freund Sigmund Freud von diesem Fall. Und einige Jahre später veröffentlichten beide Ärzte gemeinsam die Krankengeschichte von Bertha Pappenheim und nannten sie den "Fall der Anna O".[6]

Nach 1882 verbrachte Bertha Pappenheim ein halbes Jahr in Kreuzlingen in einem Sanatorium. Drei längere Sanatoriumsaufenthalte in der Nähe von Wien folgten. Dann um 1888 zog sie gemeinsam mit ihrer Mutter nach Frankfurt am Main; dort hatten sie Verwandte mütterlicherseits. Für Bertha Pappenheim begann nun ein ganz neuer Lebensabschnitt.[7]

2. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt

a) Im Kampf gegen den Mädchenhandel

In Frankfurt am Main erhielt Bertha Pappenheim vermutlich aus dem Kreis ihrer Verwandtschaft die ersten Kontakte und Anregungen für ein soziales Engagement in der jüdischen Gemeinde.[8] Sie gründete einen jüdischen Kindergarten. Sie gab Schulmädchen und berufstätigen Frauen kostenlosen Unterricht im Nähen. 1895 übernahm sie die Stellung der Heimleiterin eines jüdischen Mädchenwaisenhauses. Auch arbeitete sie im städtischen Armenamt mit.[9] Hier und auch bei ihrer Mitarbeit in einer jüdischen Suppenküche wurde sie zunehmend mit der Notlage osteuropäischer Juden und Jüdinnen konfrontiert.

Aufgrund zaristischer Pogrome am Ende des 19. Jahrhunderts und aufgrund wachsender Armut unter den Juden Galiziens und Weißrusslands flüchteten viele Juden nach Deutschland und suchten Hilfe bei den jüdischen Wohltätigkeitsorganisationen. Mit diesem Flüchtlingsstrom hatte zugleich auch ein florierender Mädchenhandel eingesetzt, der von jüdischen und christlichen Händlern betrieben wurde. So genannte Agenten vermittelten junge Frauen – oft mit dem Versprechen einer Heirat und einer besseren Zukunft im Ausland – an Bordelle in Deutschland, Westeuropa und Amerika.[10] Als Bertha Pappenheim zum ersten Mal von der Existenz des Mädchenhandels hörte, reagierte sie mit Entsetzen. Ihre Eindrücke und Gedanken formulierte sie viele Jahre später (1910) auf einem Kongress in London wie folgt:

"Ich erinnere mich noch der Zeit, da – trotzdem ich schon einige Jahre in sozialer Hilfsarbeit tätig war – zum erstenmal das Wort Mädchenhandel an mein Ohr klang. Es war mir fremd, und ich wußte nicht, was es bedeutete und konnte gar nicht fassen, daß es Menschen geben sollte, die Menschen, Mädchen und Kinder, kaufen und verkaufen zu Zwecken, die meinem damaligen Erfahrungskreise auch so fern lagen wie vielleicht heute noch manchen von Ihnen. Und die grauenhafte Tatsache der Existenz eines Mädchenhandels, sie bedrückte und verfolgte mich. Ich forschte, hörte, ließ mich belehren, und ich erfuhr zu dem an sich Schrecklichen noch das tief Beschämende: viele Juden sind Händler, viele jüdische Mädchen sind Ware. Man sagte es nicht laut, man flüsterte, sowohl von jüdischer wie von christlicher Seite; die Juden, sogar solche, die an der Spitze philanthropischer Institutionen standen, glaubten die Angaben nicht und sprachen von Verleumdung! Die Christen sprachen davon, wie von etwas längst Gewußtem, Selbstverständlichem. Mir kam es unglaublich vor. In unserem Volke, dessen Ethik so einfach und logisch Sittlichkeit bedeutet, in unserem Volke, dessen Familienleben vorbildlich rein genannt wird, Juden sollten Händler, Ware, Konsumenten sein?"[11]

[...]


[1] Straus 1961: 258.

[2] Heubach 1992: 303.

[3] Blätter des Jüdischen Frauenbundes (= BJFB), Juli/August 1936: 11.

[4] BJFB, Juli/August 1936: 11; Kaplan 1981: 57, 59ff.

[5] Vgl. Pappenheim 1926: 25f.

[6] Colin 1993: 199ff.

[7] Jensen 1984: 40; Kaplan 1981: 82

[8] Duda 1992: 137.

[9] Heubach 1986: 11.

[10] Wawrzyn 1996: 71f; Heubach 1992: 291f.

[11] Pappenheim 1924: 221f.

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Details

Titel
Streifzüge durch das Leben von Bertha Pappenheim
Veranstaltung
Vortrag über Bertha Pappenheim
Autor
Jahr
1998
Seiten
16
Katalognummer
V132460
ISBN (eBook)
9783640385997
ISBN (Buch)
9783640385683
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bertha Pappenheim, Mädchenhandel, Frauenrechtlerin, Jüdischer Frauenbund, Heim Neu-Isenburg, Mütterlichkeit, Wohltätigkeit, Sigmund Freud, Anna O.
Arbeit zitieren
Dr. Heidemarie Wawrzyn (Autor:in), 1998, Streifzüge durch das Leben von Bertha Pappenheim, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132460

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