Gerechtigkeitstheorien des 20. Jahrhunderts

Zwei Ansätze im Vergleich John Rawls und Michael Walzer


Hausarbeit, 2008

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt:

Einleitung

2 Anliegen, Vorgehensweise, Begründungsansatz
2.1 John Rawls
2.2 Michael Walzer

3 Inhalt der Gerechtigkeitstheorien
3.1 Die Gerechtigkeitsprinzipien
3.2 Der Gleichheitsbegriff
3.3 Der Güterbegriff

4 Schluss

5. Literatur

Einleitung

Der Begriff der Gerechtigkeit ist genau so schillernd wie uneindeutig. Was Gerechtigkeit bedeutet, dass ist, ohne einen Kontextbezug, nicht sinnvoll zu beantworten. Demzufolge ist der Gerechtigkeitsbegriff stets an eine bestimmte Situation gebunden, in der er verhandelt wird. Ganz theoretisch lässt sich der Begriff der Gerechtigkeit zunächst nach formaler und materieller Gerechtigkeit unterscheiden. Die formale Gerechtigkeit erzeugt auf der Grundlage unwillkürlicher, personenunabhängiger, nicht-parteilicher Prinzipien Vorgaben für die materielle Gerechtigkeit, die dann besteht, wenn die von der formalen Gerechtigkeit geforderten Prinzipien bestimmten inhaltlichen Standards genügen. Die materielle Gerechtigkeit lässt sich ihrerseits noch einmal unterteilen, in ideale und korrektive Gerechtigkeit, die unter sich eine Vielzahl von Gerechtigkeitsarten subsummieren. Festzuhalten bleibt, dass verschiedene Gerechtigkeitsarten auf verschiedenen Grundprinzipien beruhen. Diese Grundprinzipien gilt es in Diskursen über Gerechtigkeit zu begründen, da die Gerechtigkeit als Gegenstand ethisch-moralischer Betrachtungen auch handlungsanweisenden, also normativen Charakter hat. Ziel muss es sein, entweder neue Gerechtigkeitsprinzipien zu entwickeln, die man durch objektive Kriterien begründen kann, oder bereits bestehende Gerechtigkeitsprinzipien an objektiven Kriterien zu messen. Die Kriterien wiederum erschließen sich inhaltlich aus den entsprechenden Kontexten in denen Gerechtigkeitsprinzipien zur Anwendung kommen sollen. In der Praxis menschlicher Interaktion wird der enge Zusammenhang zwischen Begriff der Gerechtigkeit und Kontextbezug offenkundig. So formiert sich z.B. juristische Gerechtigkeit im Kontext von Recht und Gesetz, ökonomische Gerechtigkeit im Kontext wirtschaftlicher Verteilung oder göttliche Gerechtigkeit im Kontext nicht-irdischer Phänomene. Jeder dieser drei Formen von Gerechtigkeit basiert auf verschiedenen Gerechtigkeitsprinzipien und Begründungen dieser Prinzipien, die dann im jeweiligen Kontext, bestimmte Gerechtigkeitsmaßstäbe für diesen Kontext erzeugen. So können die Prinzipien der ökonomischen Gerechtigkeit nicht einfach auf die juristische Gerechtigkeit übertragen werden, da sich jede Form der Gerechtigkeit durch ein ihr eigentümliches System verschiedener Prinzipien konstituiert.

Gleiches trifft auch auf die soziale Gerechtigkeit zu. Als eine Form von Gerechtigkeit wird sie im Kontext gesellschaftlicher Strukturen thematisiert. Auch die soziale Gerechtigkeit erzeugt Gerechtigkeitsmaßstäbe, die begründet werden müssen. Und wie andere Gerechtigkeitsformen basiert auch die soziale Gerechtigkeit auf bestimmten Gerechtigkeitsprinzipien.

Das die Auffassungen innerhalb einer Gerechtigkeitsform darüber, was die Gerechtigkeitsprinzipien und deren Begründung beinhalten sollen, divergieren, soll diese Arbeit anhand eines Vergleiches aufzeigen.

Gegenstand des Vergleichs werden zwei Theorien des 20. Jahrhunderts sein, die im politisch-philosophischen Gerechtigkeitsdiskurs gegenwärtig eine tragende Rolle spielen. Zum einen ist dies die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls, die er durch seine „Gerechtigkeit als Fairness“[1] zu Papier gebracht hat und zum anderen Michael Walzers Auffassung in „Sphären der Gerechtigkeit“[2].

Im Mittelpunkt des Vergleiches sollen zunächst die unterschiedlichen Anliegen, der beiden Autoren stehen, die sie mit ihren Theorien verfolgen (2.). Dabei wird auch auf deren Vorgehensweise bei der Herleitung und den Begründungsansatz der Theorien sowie auf die Einbettung in einen speziellen Kontext einzugehen sein. Im zweiten Teil wende ich mich dann einem inhaltlichen Vergleich der beiden Gerechtigkeitstheorien zu, um die jeweils zu Grunde liegenden Gerechtigkeitsprinzipien und deren Rahmenbedingungen zu bestimmen. Da ich mit meiner Arbeit auf einen Vergleich der Theorien Rawls' und Walzers abziele beschränke ich mich bei der inhaltlichen Betrachtung auf die Gerechtigkeitsprinzipien (3.1), den Güterbegriff (3.2) und den Gleichheitsbegriff (3.3). Im Schlussteil (4.) sollen die Ergebnisse noch einmal resümierend zusammengefasst werden. Da ich mich in den Teilen (2.)-(3.3) ausführlich mit den Unterschieden beide Theorien auseinander gesetzt habe, es mir im Schlussteil wichtig, vordergründig auf die Gemeinsamkeiten einzugehen. Letztlich möchte ich als Folgerung aus meinem Resümee, eine der beiden Theorien favorisieren.

2 Anliegen, Vorgehensweise, Begründungsansatz

Im Mittelpunkt des nun anstehenden Vergleiches sollen zunächst die unterschiedlichen Anliegen der beiden Autoren stehen, die sie mit ihren Theorien verfolgen. Dabei wird auch auf deren Vorgehensweise bei der Herleitung und den Begründungsansatz der Theorien sowie auf die Einbettung in einen speziellen Kontext einzugehen sein. Zuerst werde ich mich dem Ansatz der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls widmen, um dann den Ansatz von Michael Walzer daran vergleichend erörtern.

2.1 John Rawls

Der „Leitgedanke [und somit Anliegen von Rawls Theorie der Gerechtigkeit] ist die Entwicklung einer Gerechtigkeitstheorie [mit dem Verständnis von Gerechtigkeit als Fairness[3] ], die eine brauchbare Alternative zu jenen Anschauungen bildet, die die politische Tradition lange beherrscht haben.“[4] Rawls formuliert seine Theorie sogar ausdrücklich als Alternative zur utilitaristischen Tradition.[5] Es gilt jene Theorie so zu begründen, dass sie von allen Gesellschaftsmitgliedern gleichermaßen akzeptiert werden kann. Rawls versteht GaF somit als eine politische Gerechtigkeitskonzeption, die er „im Hinblick auf die [...] Grundstruktur eines modernen demokratischen Verfassungsstaates“[6] konzipierte. Unter der Grundstruktur einer Gesellschaft ist das System der Institutionen einer Gesellschaft zu verstehen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie Lebenschancen verteilen. „Diese “Grundstruktur der Gesellschaft“ besteht in dem Zusammenspiel von denjenigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Basisinstitutionen, die für das gesellschaftliche Leben im Ganzen konstitutiv sind.“[7] Der Verweis auf den modernen Verfassungsstaat schränkt den Geltungsbereich auf westliche Demokratien ein. Rawls thematisiert Gerechtigkeit dann nicht als Individualtugend, sondern im Kontext sozialer Gemeinschaft als „erste Tugend sozialer Institutionen“[8]. Eine Gerechtigkeitskonzeption ist aufgrund der Struktur einer Gesellschaft, die von Rawls als Verteilungsgemeinschaft aufgefasst wird, notwendig. In einer Gesellschaft, werden zum einen Rechte und Pflichten durch Institutionen zugewiesen und zum anderen die Früchte und Lasten der gesellschaftlichen Zusammenarbeit verteilt. Daraus folgt, dass Gerechtigkeit, verstanden als soziale Gerechtigkeit, mit Verteilungsproblematiken verbunden ist. Aber welche Grundsätze liegen den Verteilungsregeln zu Grunde, wie können sie erzeugt werden und welchen Geltungsanspruch haben sie?

Diese Fragen versucht Rawls in seiner Theorie der GaF zu beantworten. In seiner Betrachtung nimmt er dabei einige Einschränkungen und Konkretisierungen vor. Eine grundlegende Voraussetzung für ein gemeinsames Gerechtigkeitsverständnis ist für ihn die Konsensbildung. Sein Gerechtigkeitsbegriff soll zunächst nur für die Grundstruktur einer geschlossenen Gesellschaft und wohl geordneten Gesellschaft gelten. Und schließlich hält Rawls eine „vollkommen gerechte Gesellschaft“ für einen Grundbestandteil seiner Gerechtigkeitstheorie der GaF. Er geht also beim Entwurf seiner Theorie von einem Ideal aus. „Rawls möchte die Gerechtigkeitsprinzipien, die die Grundstruktur einer gerechten Gesellschaft bestimmen sollen, mittels eines Verfahrens auffinden und rechtfertigen, das als ein Modell der Sozialvertragsidee zu sehen ist.[9] Die Vorstellung von GaF situiert sich durch das Ideal der Vertragstheorie, die mit einem weiteren Ideal, der anfänglichen Situation der Gleichheit, durch das Bild des Urzustandes dargestellt wird. Die anfängliche Situation der Gleichheit, präsentiert im Naturzustand, wird „nicht als ein wirklicher geschichtlicher Zustand vorgestellt, noch weniger als primitives Stadium der Kultur. Er wird als rein theoretische Situation aufgefasst [...].[10] Diese künstliche Situation ist durch den Schleier des Nichtwissens gekennzeichnet, d.h. die Vertragsteilnehmer befinden sich „in Unkenntnis ihrer künftigen sozialen Stellung, ihrer Lebensumstände, ihres Geschlechts, ihrer Herkunftsidentität, ihrer Interessen, Einstellungen, Begabungen usw.[11] Rawls sieht im Bezug auf einen Urzustand als Ausgangssituation für eine Konsensbildung über Gerechtigkeitsgrundsätze die Rechtfertigung seiner Theorie als GaF, da die Rahmenbedingungen des Urzustandes Bevorteilungen und Benachteiligungen dadurch verhindern, dass sie faire Bedingungen für die Konsensbildung schaffen. Der Urzustand dient ihm als Mittel zur Letztbegründung der Gerechtigkeitsgrundsätze. „Somit gibt [der Naturzustand] und [sein] Ergebnis einen absoluten Konsenspunkt ab.[12] Rawls ist der Meinung, dass im Urzustand zwei ganz bestimmte, und keine anderen, Grundsätze gewählt würden, nämlich „einmal die Gleichheit der Grundrechte und -pflichten; zum anderen den Grundsatz, daß soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, [...], nur dann gerecht sind, wenn sich aus ihnen Vorteile für jedermann ergeben, insbesondere für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft.“[13] Die Wahl der Gerechtigkeitsgrundsätze ist jedoch von Einschränkungen begleitet, d.h. dass sie nur unter eingeschränkten situativen Bedingungen zustande kommen können, durch die sich der Urzustand auszeichnet. „Ziel ist, Grundsätze auszuschließen, die man vernünftigerweise nur dann [...] vorschlagen kann, wenn man bestimmte für die Frage der Gerechtigkeit unerhebliche Tatsachen kennt.[14]

Zur Darstellung der Einschränkungen bedient sich Rawls der Vorstellung vom Schleier des Nichtwissens, indem die situativen Einschränkungen münden, die notwendig sind, um Gerechtigkeitsgrundsätze entstehen zu lassen. Dabei ist der Urzustand nicht als statisches System zu verstehen. Er befindet sich in wechselseitigem Verhältnis zu unseren gegenwärtig festen Überzeugungen. Jede Seite dient der anderen als Fixpunkt und kann revidiert werden. Im wechselseitigem Angleichen von Konstruktion des Urzustandes und unseren festen Überzeugungen entsteht ein Zustand den Rawls das Überlegungsgleichgewicht nennt. „Es ist ein Gleichgewicht, weil schließlich unsere Grundsätze und unsere Urteile übereinstimmen; und es ist ein Gleichgewicht der Überlegung, weil wir wissen, welchen Grundsätzen unsere Urteile entsprechen, und aus welchen Voraussetzungen diese abgeleitet sind.[15] Seibert fasst es in Folgende Worte „Es geht Rawls folglich um die Begründung einer gemeinsamen Gerechtigkeitskonzeption sowie um die Beschreibung einer dadurch effektiv regulierten Gesellschaft.[16] Dabei nimmt er eine Position außerhalb des Systems ein, einen „moral point of view“. „Wir brauchen eine Vorstellung, die uns unser Ziel aus der Ferne sehen läßt; das soll für uns die intuitive Vorstellung vom Urzustand leisten.“[17]

[...]


[1] In: Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit; 6. Auflage; Frankfurt/Main; Suhrkamp Verlag; 1991

[2] Walzer, Michael; Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit; Frankfurt/Main; Campus Verlag; 1992

[3] Im weiteren Fortgang meiner Arbeit werde ich den Werktitel „Gerechtigkeit als Fairness“ mit GaF abkürzen.

[4] Rawls, 1991; S. 19

[5] So im Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1991; S. 12

[6] Rawls, John: Gerechtigkeit als Fairneß: politisch und nicht metaphysisch; In: Fischer, P. (Hg.): Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften; Frankfurt/Main; 1994, S. 38

[7] Seibert, Christoph: Politische Ethik und Menschenbild; Stuttgart; Kohlhammer Verlag; 2004: S. 36

[8] Rawls, 1991; S. 19

[9] von Manz; Hans Georg: Fairness und Vernunftrecht; Hildesheim; Georg Olms Verlag; 1992; S. 18

[10] Rawls, 1991; S. 28/29

[11] Horn, Christoph: Einführung in die Politische Philosophie; Darmstadt; Wissenschaftliche Buchgesellschaft; 2003; S.94

[12] von Manz, 1992; S. 19

[13] Rawls 1991; S. 31/32

[14] Rawls 1991; S. 36

[15] Ebd. S. 38

[16] Seibert, 2004; S. 190

[17] Rawls, 1991; S. 39

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Gerechtigkeitstheorien des 20. Jahrhunderts
Untertitel
Zwei Ansätze im Vergleich John Rawls und Michael Walzer
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Philosophie)
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V130441
ISBN (eBook)
9783640365388
ISBN (Buch)
9783640365098
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gerechtigkeitstheorien, jahrhunderts, zwei, ansätze, vergleich, john, rawls, michael, walzer
Arbeit zitieren
Sebastian Langer (Autor:in), 2008, Gerechtigkeitstheorien des 20. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130441

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