Heinrich von Morungen

Betrachtungen zur Minnekanzone 'Vil süeziu senftiu toeterinne'


Hausarbeit, 2008

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. A Einleitung

2. Lied und Übersetzung

3. Inhaltsangabe und Erläuterung zur Übersetzung
3.1 Verse 1 – 4
3.2 Verse 5 – 8
3.3 Verse 9 – 12 8

4. Dichotomien und Doppeldeutigkeiten
4.1 Lexikalische Dichotomien
4.2 Strukturelle Dichotomien
4.3 Doppeldeutigkeiten

5. Aporie und joie de la cour
5.1 Liedimmanente Aspekte
5.2 Aspekte des Minnesangs als Modell
5.3 Aspekte der Dame

6. Resümee

7. Bibliographie
7.1 Primärwerke
7.2 Sekundärliteratur

8. Appendix
A Ingrid Kasten
B Helmut Tervooren
C Manfred Stange

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit wird Heinrichs von Morungen Minnekanzone Vil süeziu senftiu toeterinne einer detaillierten Betrachtung unterzogen und ausführlich interpretiert werden. Dabei sollen strukturelle und sprachliche Mittel herausgearbeitet und auf ihre inhaltliche Aussagekraft hin untersucht werden. Die Intention des Liedes ist vornehmlich die Klage über das erfahrene Minneleid des lyrischen Ichs. Das Preisen einer namenlosen Dame spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Ob und welche weiteren Absichten in der Kanzone noch festzustellen sind, soll sich im Laufe dieser Arbeit herauskristallisieren.

Reiner Frauenpreis ist selten. Oft ist dieser mit anderen Gattungen wie der Minneklage, der Minnelehre etc. verbunden. Gerühmt werden unter anderem die Schönheit sowie die inneren Werte der Frau oder ihre freudestiftende Wirkung auf das Ich.1 Es wird zu untersuchen sein, ob der Sänger Grund zur Freude hat oder ob er sich auf die Klage allein beschränken muss und in welchem Umfang die Kanzone auch Reflexion über Minne ist. Zum Gestaltungsmodus ist zu sagen, dass es sich bei dem vorliegenden Lied um einen Monolog handelt. Zwar wird die Dame direkt angesprochen und über ihre Beweggründe befragt, aber sie antwortet dem Sänger nicht. Im Vordergrund steht allerdings auch nicht Frauenverehrung, sondern vielmehr die Beschreibung des momentanen Gefühlszustandes des ich2.

Die semantischen Feinheiten dieser Kanzone werden im Kapitel 2 und 3 im Rahmen einer Übersetzung des mhd. Originals und einer anschließenden interpretierenden Erläuterung eben dieser Übersetzung herausgearbeitet. Kapitel 4 und 5 werden diese semantischen Feinheiten, die strukturellen sowie gattungsbezogenen Besonderheiten näher betrachten. Im Resümee werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst.

2. Lied und Übersetzung

Heinrich von Morungen: Lied XXIV3 Vil süeziu senftiu toeterinne

Vil süeziu senftiu toeterinne, 1

war umbe welt ir toeten mir den lîp, 2

und ich íuch sô herzeclîchen minne, 3

zwâre vróuwè, vür elliu wîp? 4

Waenent ir, ob ir mich toetet, 5

daz ich iuch iemer mêr beschouwe? 6

nein, iuwer minne hât mich des ernoetet, 7

daz iuwer sêle ist mîner sêle vrouwe. 8

sol mir hie niht guot geschehen 9

von iuwerm werden lîbe, 10

sô muoz mîn sêle iu des verjehen, 11

dazs iuwerre sêle dienet dort als einem reinen wîbe. 12

Besonders / sehr liebliche, sanfte Mörderin, 1

warum wollt Ihr mir den Leib / mich töten, 2

wo ich euch doch so von Herzen verehre, 3

wahrlich, Herrin, mehr als alle Frauen? 4

Glaubt Ihr, wenn Ihr mich tötet, 5

dass ich Euch nie mehr anblicke / bewundere? 6

Nein, die Liebe zu Euch hat mich dazu genötigt / gezwungen, 7

dass Eure Seele meiner Seele Herrin ist. 8

Wird mir jetzt / hier 9 von Eurer verehrungswürdigen Person nichts Gutes geschehen, 10

so muss meine Seele Euch bekennen / beichten, 11

dass sie Eurer Seele drüben / dann dienen wird wie einer 12 makellosen Frau / reinen Frau

3. Inhaltsangabe und Erläuterungen zur Übersetzung

In meiner Übersetzung bin ich verschiedentlich von der Übersetzung Helmut Tervoorens und Übersetzungen, die sich an anderer Stelle finden bewusst und absichtsvoll abgewichen4. Werden bei der Übersetzung Alternativen angegeben (z.B. bekennen / beichten), so ist der erste Vorschlag der präferierte. Im Anschluss werden neben einem kurzen Abriss über das Geschehen im Lied, abweichende oder potentiell problematische Übersetzungsvorschläge angeführt und diskutiert.

3.1 Verse 1 - 4

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

V.1 Vil süeziu senftiu:

Da der Elativ im Deutschen als auch im Mittelhochdeutschen keine eigene Form wie der Komparativ oder der Superlativ besitzt, müssen zum Ausdruck der Hervorgehobenheit von süeziu senftiu Adverbien wie z.B. ‚sehr’ oder Präfixe verwendet werden. Tervooren als auch Kuhn beschließen an dieser Stelle das modifizierende Adverb in der Übersetzung wegzulassen. Obgleich vil die beiden Adjektive süeziu und senftiu modifiziert und somit ihnen zugehörig ist, wird gerade dadurch eine größere Distanz zwischen Sprecher und Angesprochener geschaffen. Allerdings ergibt sich m. E. nach aus der Apostrophe als süße, sanfte Mörderin eine unziemliche Vertrautheit, die dem Verhältnis eines Dienenden zu seiner Herrin nicht angemessen ist. Aus diesem Grund habe ich mich bei der Übersetzung von süeziu gegen die Mehrheit der Übersetzer gestellt, und anstelle von ‚süß’ wählte ich ‚lieblich’.

Die Kanzone beginnt mit einer Apostrophe an die Herrin, die, selten im Minnesang5, als toeterinne bezeichnet wird. Gleichzeitig wird sie jedoch auch als lieblich und sanft besungen und damit etabliert Morungen bereits im ersten Vers „die für das klassische Minnelied typische paradoxe Situation zwischen Sänger und Dame“6. Darüber hinaus findet sich in V.1 mit toeterinne ein Anklang an den Topos des Liebeskrieges, der jedoch nicht so deutlich ausfällt wie in Lied XXV (Jâ hât si mich verwunt / sêre in den tôt), Lied XXVII (Si hât mich verwunt / rehte aldurch mîn sêle / in den vil toetlîchen grunt) oder auch in Lied IX:

Sîn hiez mir nie widersagen

unde warp iedoch

unde wirbet noch hiute ûf den schaden mîn.

des enmác ich langer niht verdagen,

wan si wil ie noch

elliu lant behern und »sîn ein rouberîn«.

„Die Steigerung der rouberinne mag schließlich die toeterinne sein, der Liebestod respektive Liebesmord der Gipfel der militia amoris7. Auch in diesen Liedern findet der minnende Sänger keine Erhörung und fühlt sich durch die Zurückweisung seines Minnedienstes tief verletzt. Brinkmann merkt dazu an, dass der Ritter8, der über das Leben anderer zu gebieten gewohnt ist, erfahren muss, dass die Frau über sein seelisches Schicksal bestimmt9, und dem „ritterlichen Menschen lag es nahe, die Gefährdung seines Lebens als Verwundung zu sehen“10. Hier überlagern sich reale Welt (Morungen als miles emeritus und real existierender Minnesänger) und fiktionale Minnesangwelt (fiktionale ritterliche Minnesänger- persona). Unterschwellig schwingen diese Verletzungen und Übergriffe wie sie in den vorgenannten Liedern geschildert werden mit, und das ich fühlt sich auf den Tod verwundet.

Auf der einen Seite erscheint die Dame dem Minnenden als erfreulich aber zugleich fühlt er Schmerz und fürchtet gar um sein Leben, was in V.2 nähere Erläuterung findet: war umbe welt ir toeten mir den lîp.

V.2 mir den lîp:

Gekränktes Unverständnis spricht aus den nächsten Versen V.2 – V.4. Denn obwohl der Sänger seiner vrouwe von Herzen zugetan ist (sô herzeclîchen minne), meint er in ihr Tötungsabsichten zu erkennen.

Der Begriff lîp enthält eine Vielzahl von verschiedenen Bedeutungen, mit denen Morungen hier spielt. Er steht – in Opposition zur Seele – für den Leib, den Körper an sich, aber lîp fungiert bei metonymischem Gebrauch auch als Ausdruck für den Menschen in seiner Ganzheit, das diesseitige Leben. Diesem Gedankengang folgen auch Tervooren und Kuhn mit ihren Übersetzungen. Sie übersetzen mit ‚mich töten’. Ähnlich wird es auch bei Stange gesehen, wo mit ‚mein Leben zerstören’ übersetzt wird. Im Verlauf des Liedes etabliert Morungen immer deutlicher die Trennung von vergänglichem Leib und ewiger Seele, insbesondere in V.10 – V.11. Aus diesem Grund erschien die Übersetzung von mir den lîp mit ‚mir den Leib’ im Kontext des gesamten Liedes als angemessener.

[...]


1 SCHWEIKLE, 126.

2 Im Laufe der Arbeit werden die Bezeichnungen lyrisches Ich, Sänger, das mhd. ich, Sänger- persona synonym verwendet. Sie beziehen sich alle auf den „Sprecher“, die fiktive im Lied sprechende Person.

3 Die Schreibweise der mhd. Wörter orientiert sich an der Ausgabe Heinrich von Morungen: Lieder. Text, Übersetzung, Kommentar v. Helmut Tervooren. Stuttgart: Reclam, 2003. Auch die Schreibung aller im weiteren Verlauf der Arbeit verwandten mhd. Wörter – auch wenn sie aus anderen Liedern stammen – orientieren sich, wenn nicht anders angegeben (in Zitaten), an dieser Ausgabe. Abweichend von den drei Textausgaben, die ich verwende, habe ich eine Aufteilung des Liedes in jeweils vier Verse vorgenommen.

4 Vor der Diskussion der einzelnen Liedabschnitte werden die betreffenden Verse nochmals wiedergegeben. Da die Ausgabe von Stange nur eine untergeordnete Rolle spielt, wurde darauf verzichtet diese im Kapitel 3 wiederzugeben. Der komplette Text findet sich im Appendix C.

5 MORUNGEN, 189.

6 EHLERT, 44.

7 LEUCHTER, 52.

8 Vgl. BRINKMANN und KLUCKHOHN zur gesellschaftlichen Stellung des Minnesängers.

9 BRINKMANN, 107.

10 BRINKMANN, 127.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Heinrich von Morungen
Untertitel
Betrachtungen zur Minnekanzone 'Vil süeziu senftiu toeterinne'
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Deutsche Philologie: Ältere Literaturwissenschaft des Deutschen)
Veranstaltung
Proseminar Heinrich von Morungen
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V130541
ISBN (eBook)
9783640363858
ISBN (Buch)
9783640364251
Dateigröße
1578 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
- mit zahlreichen mittelhochdeutschen Begriffen - inhaltlich 1,0. Der Abzug von 0,3 ist auf die zu kleinschrittige Kapitelaufteilung (Struktur der Arbeit)zurückzuführen
Schlagworte
Heinrich, Morungen, Betrachtungen, Minnekanzone
Arbeit zitieren
Patrick Ludwig (Autor:in), 2008, Heinrich von Morungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130541

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